1 Einleitung

In Empfehlungen und Verordnungen sowie in wissenschaftlichen Publikationen wird Inklusion im Bildungssystem allgemein ebenso wie im System der beruflichen Bildung und Schulen gefordert. Zusammenfassend – wenn auch verkürzend – wird darunter eine für alle Lernenden gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft verstanden. Mit Blick auf die in diesem Beitrag fokussierte berufliche Bildung wird hierunter auch eine gleichberechtige Teilhabe an Ausbildung, Arbeit und Beschäftigung gefasst (vgl. Buchmann 2016, S. 237; DUK 2014, S. 9; KMK 2011, S. 3 f.; Rützel 2016; VN-BRK 2008, Art. 24; Werning 2014). Aufgrund ihrer Bedeutung für die Bewältigung von Anforderungen und Belastungen, ihres Einflusses auf das pädagogische und inklusionsbezogene Wahrnehmen und Handeln, den Erfolg (inklusiven) Unterrichts und die Lernergebnisse der Lernenden werden in nationalen wie internationalen Studien insb. Einstellungen von Lehrkräften zu Inklusion untersucht (vgl. Cassady 2011; Heinrich et al. 2013, S. 86; Helmke 2012, S. 176; Melzer et al. 2015, S. 61; Przibilla et al. 2016, S. 36; Seifried 2015, S. 41; Sharma und Sokal 2016; Syring et al. 2018, S. 207 f.; Werning 2014, S. 616). Diese werden in der deutschsprachigen inklusionsbezogenen Forschung neben dem Professionswissen als zentraler Aspekt professioneller (Handlungs‑)Kompetenz von Lehrkräften betrachtet (vgl. Baumert und Kunter 2011, S. 482; Przibilla et al. 2016, S. 38).

Allerdings werden die inklusionsbezogenen Einstellungen von Lehrkräften an berufsbildenden Schulen bisher kaum berücksichtigt. Dies überrascht, da diese Einstellungen abhängig von der Schulform bzw. der Schulstufe, in der Lehrkräfte unterrichten, variieren (vgl. Avramidis und Norwich 2002; de Boer et al. 2010; Ruberg und Porsch 2017; Seifried 2015). Zu Lehrkräften an berufsbildenden Schulen liegen lediglich erste, teils qualitative Studien und/oder wenig belastbare Befunde bzw. Befunde zu angehenden Lehrkräften vor (vgl. Burda-Zoyke und Joost 2018; Bylinski 2015; Enggruber et al. 2014; Miesera und Gebhardt 2018; Miesera und Moser 2020).

Diese Forschungslücke zu inklusionsbezogenen Einstellungen von Lehrkräften berufsbildender Schulen haben wir bereits im Rahmen unserer Vorstudie moniert und zugleich eine eigene Untersuchung präsentiert. In dieser erprobten wir eine erste Adaption von Erhebungsinstrumenten aus dem allgemeinbildenden Bereich (vgl. insb. Seifried 2015) für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen (vgl. Driebe et al. 2018). Zwar hat sich das Erhebungsinstrument in dieser kleinen Studie (N = 62) grundsätzlich bewährt, es sollte jedoch nochmals bei einer größeren und breiteren Stichprobe eingesetzt werden. Zudem wurde eine Weiterentwicklung des Instrumentariums zugunsten einer deutlicheren Berücksichtigung des Kontextes berufsbildender Schulen sowie des Inklusionsverständnisses und -bezugs angeregt (vgl. Driebe et al. 2018, S. 414 ff.). Daran anknüpfend werden in der vorliegenden Studie abermals folgende übergeordnete Fragestellungen untersucht:

  1. 1.

    Welche Einstellungen zu Inklusion liegen bei Lehrkräften an berufsbildenden Schulen vor?

  2. 2.

    Welche Zusammenhänge zwischen den Einstellungen zu Inklusion und potenziellen Einflussfaktoren zeigen sich?

Unter Berücksichtigung der Befunde aus der vorangegangenen Studie (vgl. Driebe et al. 2018) wird hier eine große Stichprobe aus verschiedenen Bundesländern mit unterschiedlichen Inklusionskonzepten untersucht (s. Abschn. 3.2). Zudem werden die Fragestellungen und Hypothesen ausdifferenziert (s. Abschn. 2.3) und in der Folge das Erhebungsinstrument erweitert (z. B. um Fragen zum Inklusionsverständnis, zum Lehr-Lern-Verständnis oder zur inklusionsbezogenen Selbstwirksamkeit) (s. Abschn. 3.1).

Der Beitrag weist zunächst die theoretischen Grundlagen und den Forschungsstand sowie die Fragestellungen und Hypothesen aus (Kap. 2). Anschließend wird der methodische Ansatz inkl. der Stichprobe skizziert (Kap. 3). Es folgen eine Darstellung wesentlicher Ergebnisse (Kap. 4) sowie eine Diskussion derselben unter Berücksichtigung des Forschungsstandes allgemein wie auch der vorangegangenen Studie im Speziellen (Kap. 5). Eine Schlussbetrachtung rundet den Beitrag ab (Kap. 6).

2 Theoretische Grundlagen, Forschungsstand und Forschungsfragen

2.1 Inklusion allgemein und in der beruflichen Bildung

Der Begriff Inklusion ist nicht einheitlich definiert. So finden sich in der Erziehungswissenschaft allgemein sowie in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik im speziellen bspw. hinsichtlich des Adressatenkreises ‚engere‘ und ‚weitere‘ Verständnisse von Inklusion (vgl. Enggruber und Rützel 2014, S. 13; Lindmeier und Lütje-Klose 2015, S. 7 ff.; siehe auch schon aufgearbeitet in Driebe et al. 2018, S. 396 f.). Diese waren auch in der Befragung von Lehrkräften an berufsbildenden Schulen mit einer Tendenz zum weiten Verständnis beobachtbar (vgl. Driebe et al. 2018, S. 404). Mit dem engeren Verständnis werden Menschen mit Behinderungen adressiert (engeres, behindertenbezogenes Verständnis). Dies erfolgt bspw. in der VN-BRK (2008) und steht in der Tradition der Sonder- und Integrationspädagogik (vgl. Enggruber und Rützel 2014, S. 13; Lindmeier und Lütje-Klose 2015, S. 7). In den institutionellen und gesetzlichen Grundlagen der beruflichen Bildung findet sich zum engen Inklusionsverständnis eine weitere Differenzierung in a) Menschen mit Behinderung in Anlehnung an die VN-BRK und b) Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf gemäß den Schulgesetzen der Länder mit Verweis auf KMK-Vorgaben. Zudem werden nach dem Sozialgesetzbuch c) Schwerbehinderte sowie d) Rehabilitand*innen u. ä., die auch unter Benachteiligte zusammengefasst werden können, unterschieden (vgl. Enggruber und Rützel 2014, S. 16 f.; Euler und Severing 2014, S. 4 f.).

Unter weiten Verständnissen von Inklusion hingegen werden alle Menschen adressiert. Dies kann zum einen unter Ablehnung jeglicher Kategorisierung (z. B. in Behinderte und Nicht-Behinderte) erfolgen. Zum anderen kann sich dies in der Beachtung von vielfältigen vulnerablen und von Marginalisierung und Exklusion bzw. von Benachteiligung betroffenen oder bedrohten Personengruppen ausdrücken (z. B. aufgrund von Religion, Ethnie, sozialer Herkunft o. ä.), wie dies bspw. die UNESCO fordert (vgl. Enggruber und Rützel 2014, S. 14; Lindmeier und Lütje-Klose 2015, S. 8 f.).

In dieser Studie verfolgen wir grundsätzlich ein weites Verständnis unter Beachtung von Menschen mit vielfältigen potenziellen Behinderungen und/oder Benachteiligungen i. w. S. Aus Kürzungsgründen fassen wir diese unter Menschen mit besonderen Bedürfnissen zusammen.

Hinsichtlich der Umsetzung von Inklusion in den Schulen und der Lehrkräftebildung zeigen sich – verstärkt durch die föderale Struktur der Bildungspolitik – in den Bundesländern sehr unterschiedliche Inklusionsansätze (vgl. Lange 2017, S. 43 ff.).

2.2 Einstellungen von Lehrkräften zu InklusionFootnote 1

Einstellungen von Lehrkräften beschreiben „Vorstellungen und Annahmen (…) über schul- und unterrichtsbezogene Phänomene und Prozesse mit einer bewertenden Komponente“ (Kunter und Pohlmann 2009, S. 267). Einstellungen (‚attitudes‘) zu Inklusion können als summarische Gesamtbewertung von bzw. als individueller Standpunkt und Bereitschaft zur Inklusion verstanden werden (vgl. Gall et al. 1996; Kunz et al. 2010, S. 84; Seifried 2015, S. 32). Eine Abgrenzung zu Konstrukten wie Überzeugungen (‚beliefs‘) und Haltungen wird nicht einheitlich vorgenommen (vgl. Ruberg und Porsch 2017, S. 395 f.). In der Sozialpsychologie werden Einstellungen in Anlehnung an Rosenberg und Hovland (1960) sowie Eagly und Chaiken (1993) über drei Dimensionen modelliert, die die Einstellungen beeinflussende Komponenten sowie daraus resultierende Reaktionen enthalten. Man unterscheidet eine kognitive Dimension (Überzeugungen und Meinungen), eine (motivational-)affektive (Emotionen) und eine behaviorale (Verhaltensweisen) (vgl. Werth et al. 2020, S. 244). Auch in jüngeren Studien zu inklusionsbezogenen Einstellungen werden diese als mehrdimensionale Konstrukte definiert. Gleichwohl wird das Fehlen eines eindeutigen konsistenten theoretischen Konzepts vielfach bemängelt und das Zusammenspiel der Komponenten scheint noch nicht ganz geklärt (vgl. Ruberg und Porsch 2017, S. 395 f.; Seifried 2015, S. 32 f.). So lehnen sich z. B. Gebauer et al. (2013), Seifried (2015, S. 32 f.), Przibilla et al. (2016, S. 38) sowie Syring et al. (2018, S. 210) an die oben eingeführte dreidimensionale Modellierung an. Diese hat sich auch in der Befragung von Lehrkräften an berufsbildenden Schulen bewährt (vgl. Driebe et al. 2018) und wird in dieser Untersuchung erneut verfolgt.

Vorliegende Studien weisen darauf hin, dass (angehende) Lehrkräfte auch an Regelschulen der Primar- und Sekundarstufe tendenziell neutrale bis positive Einstellungen gegenüber Inklusion äußern. Ihre Bereitschaft zur Umsetzung entsprechender Maßnahmen fällt hingegen negativer aus (vgl. Avramidis und Norwich 2002; de Boer et al. 2010; Kunz et al. 2010, S. 93; Miesera und Gebhardt 2018; Miesera und Moser 2020; Przibilla et al. 2016, S. 38; Seifried 2015, S. 41). Vor diesem Hintergrund überraschen die Ergebnisse der Befragung von Lehrkräften an berufsbildenden Schulen. Darin fielen mit Ausnahme der sozialen Inklusion die durchschnittlichen Skalenwerte bei allen abhängigen Variablen eher negativ aus (vgl. Driebe et al. 2018, S. 406).

Allerdings zeigt der Forschungsstand, dass die Einstellungen in Abhängigkeit von u. a. folgenden Einflussfaktorenfaktoren variieren (siehe Driebe et al. 2018, S. 397 f.):

  • Kontakterfahrungen mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen (z. B. Behinderungen, Benachteiligungen) innerhalb und außerhalb des beruflichen Kontextes (häufig signifikant positiver Zusammenhang) (vgl. Avramidis und Norwich 2002, S. 138 f.; Driebe et al. 2018, S. 412; Feyerer et al. 2014, S. 180; Heinrich et al. 2013, S. 87; Ruberg und Porsch 2017, S. 403; Seifried 2015, S. 42 f.),

  • qualitativ hochwertige Erfahrungen mit inklusivem Unterricht, insb. in Verbindung mit Reflexionen und Evaluationen (positiver Zusammenhang) (vgl. Avramidis und Norwich 2002, S. 137; de Boer et al. 2010; Driebe et al. 2018, S. 412; Ruberg und Porsch 2017, S. 403; Seifried 2015, S. 44),

  • inklusionsbezogene, insb. langfristig und auf konkrete Umsetzungssituationen angelegte Aus- und Weiterbildung bzw. Trainingsmaßnahmen und regelmäßige Information (positiver Zusammenhang) (vgl. Avramidis und Norwich 2002, S. 139; de Boer et al. 2010; Driebe et al. 2018, S. 412; Feyerer et al. 2014, S. 177; Heinrich et al. 2013, S. 86; Miesera und Gebhardt 2018; Seifried 2015, S. 43 f.),

  • wahrgenommene (administrative) Unterstützung und Qualität des Schulumfeldes (positiver Zusammenhang) (vgl. Avramidis und Norwich 2002, S. 140 ff.; Heinrich et al. 2013, S. 89 ff.; Ruberg und Porsch 2017, S. 405).

  • das (bereichsspezifische) Selbstwirksamkeitserleben der Lehrkräfte bzw. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (positiver Zusammenhang) (vgl. Bosse und Spörer 2014; Driebe et al. 2018, S. 413; Miesera und Gebhardt 2018; Ruberg und Porsch 2017, S. 405; Seifried 2015, S. 44 f.),

Die Bedeutung der Selbstwirksamkeit ist im Kontext der Einführung von Inklusion bedeutsam, weil in verschiedenen Untersuchungen gezeigt wurde, dass Lehrpersonen mit einer hohen Selbstwirksamkeit neue berufliche Herausforderungen, wie den Umgang mit Inklusion, besser bewältigen (vgl. Schwarzer und Jerusalem 2002). Selbstwirksamkeit wird verstanden als „Überzeugungen einer Lehrperson darüber, wie gut es ihr gelingen kann, effektiv zu unterrichten“ (Kunter und Pohlmann 2009, S. 269). Da diese Überzeugungen domänenspezifisch sind (vgl. Baumert und Kunter 2013, S. 315), sollte die allgemeine Lehrkräfteselbstwirksamkeit inklusionsbezogen konkretisiert werden (vgl. Bosse und Spörer 2014), also als Überzeugung, in inklusiven schulischen Kontexten und Situationen erfolgreich handeln zu können.

Darüber hinaus deutet sich ein Zusammenhang zwischen inklusionsbezogenen Einstellungen und dem Verständnis von Inklusion an. Ein weites Verständnis scheint mit positiven Einstellungen zusammenzuhängen (vgl. Driebe et al. 2018, S. 413; Hellmich und Görel 2014, S. 237; Loreman et al. 2013, S. 39 ff.).

Keine eindeutigen Befunde finden sich bisher zum Einfluss demographischer Variablen (z. B. Geschlecht, Alter, Berufserfahrung) (vgl. zusammenfassend Avramidis und Norwich 2002; de Boer et al. 2010; Ruberg und Porsch 2017, S. 403; Seifried 2015, S. 41 f. sowie für die Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen Driebe et al. 2018, S. 409 f.). Indes konnten Unterschiede in den Einstellungen abhängig vom Erhebungsort (z. B. unterschiedliche Bundesländer in Österreich sowie zwischen Deutschland, Österreich und Kanada) beobachtet werden. Diese werden auf Unterschiede in der Implementation von Inklusion zurückgeführt (vgl. Miesera und Gebhardt 2018; Miesera und Moser 2020; Ruberg und Porsch 2017, S. 405 ff.). Jedoch konnten Unterschiede zwischen Lehrkräften an berufsbildenden Schulen unterschiedlicher Bundesländer bisher nicht beobachtet werden. Das könnte auf die geringe Stichprobengröße der Vorstudie zurückzuführen sein (Driebe et al. 2018, S. 408).

Bisher kaum untersucht sind Befürchtungen und Sorgen, die Lehrkräfte allgemein sowie an berufsbildenden Schulen im Zusammenhang mit der Einführung von Inklusion aufweisen, obwohl diese teils neue Aufgaben übernehmen müssen und mit besonderen Anforderungen konfrontiert werden. Demnach scheint die oben angeführte affektive Dimension der Einstellungen zu Inklusion kaum bearbeitet (vgl. Seifried 2015, S. 45; Syring et al. 2018). Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen aus der Vorstudie haben insb. eine Überforderung benannt, gefolgt von Nachteilen für Schüler*innen und letztlich nicht ausreichende Ressourcen (vgl. Driebe et al. 2018, S. 406 f.).

Aufgrund der Heterogenität der Lernenden sind in inklusiven unterrichtlichen Settings adaptive, individualisierte, differenzierte, kooperative Lerngelegenheiten zentrale Merkmale gemeinsamen Lernens (vgl. Stellbrink 2012). Daher könnte erwartet werden, dass Lehrpersonen, die ein diesen Unterrichtsmerkmalen näherstehendes Lehr-Lern-Verständnis aufweisen, eine positivere Einstellung zu Inklusion besitzen. Unter Lehr-Lern-Verständnis verstehen wir Überzeugungen, Orientierungen oder subjektive Theorien, die eine fachspezifische Vorstellung von Lehr-Lern-Prozessen mit entsprechenden didaktischen Handlungsweisen beinhalten (vgl. Leuchter et al. 2006). Häufig unterschieden wird zwischen konstruktivistischem Lehr-Lern-Verständnis einerseits und transmissivem, rezeptivem, behavioralem oder instruktionalem Lehr-Lern-Verständnis andererseits (vgl. Baumert und Kunter 2013, S. 212 ff.). Konstruktivistische Orientierungen korrespondieren mit eher eigenaktiven, individualisierten und kooperativen Lehr-Lern-Formen. Rezeptive Orientierungen sind eng verbunden mit kleinschrittigen, lehrerzentrierten und auf Routinen ausgerichteten Unterrichtskonzepten (vgl. Leuchter et al. 2006). Derartige Zusammenhänge zwischen inklusionsbezogenen Einstellungen und pädagogischen Orientierungen wurden bislang jedoch kaum untersucht. Dumke et al. (1989) berichten von Lehrpersonen mit negativer Einstellung zum gemeinsamen Lernen, die im Unterricht Disziplin, Autorität und Kontrolle als wichtig ansehen. Kopmann und Zeinz (2016) zeigen in einer Befragung von Lehramtsstudierenden, dass positive inklusionsbezogene Einstellungen mit konstruktivistischen Orientierungen korrelieren und transmissive Orientierungen mit negativen Einstellungen.

Die referierten Befunde stammen – mit Ausnahme von unserer kleinen Vorstudie – aus Untersuchungen, die mit Lehrkräften allgemeinbildender Regel- und Sonderschulen oder mit angehenden, aber noch nicht voll ausgebildeten Lehrkräften an beruflichen Schulen durchgeführt wurden. Jedoch deutet sich an, dass die Einstellungen in Abhängigkeit vom Lehramtstyp bzw. der Schulform variieren (vgl. Miesera et al. 2018; Ruberg und Porsch 2017, S. 404; Seifried 2015, S. 42), wobei die Befundlage hierzu durchaus uneinheitlich erscheint (vgl. Syring et al. 2018, S. 209). In der Vorstudie konnte ein Zusammenhang zwischen Schulform bzw. Bildungsgang der berufsbildenden Schule und inklusionsbezogener Einstellung nicht analysiert werden. Jedoch sind aufgrund der Hinweise zum möglichen Einfluss der Schulform innerhalb des stark differenzierten Berufsbildungssystems (z. B. Übergangssystem, Duales System, berufliche Vollzeitschulen, Förderberufsschule) in Verbindung mit den teils sehr heterogenen Zielgruppen (vgl. Euler und Severing 2014) Variationen zwischen den in unterschiedlichen Bildungsgängen eingesetzten Lehrkräften denkbar (vgl. Driebe et al. 2018, S. 415). Dies sollte daher näher analysiert werden.

Aufgrund der bisher kaum untersuchten inklusionsbezogenen Einstellungen von ausgebildeten Lehrkräften berufsbildender Schulen bzw. der kaum belastbaren und punktuell überraschenden Befunde, sollen mit dieser Studie auch die oben skizzierten Erkenntnisse hinsichtlich Ausprägung der Einstellungen und wesentlicher Einflussfaktoren auf ihre Gültigkeit für diese Zielgruppe überprüft und ausdifferenziert werden.

2.3 Fragestellungen und Hypothesen

Vor dem Hintergrund der Befunde zu inklusionsbezogenen Einstellungen von Lehrkräften allgemein sowie an berufsbildenden Schulen werden hier die in der Einleitung ausgewiesenen Fragen nach den Einstellungen zu Inklusion bei Lehrkräften an berufsbildenden Schulen sowie nach Zusammenhängen zwischen den Einstellungen und potenziellen Einflussfaktoren verfolgt. Die potenziellen Einflussfaktoren werden über folgende Forschungsfragen und Hypothesen differenzierter untersucht. Weiterentwicklungen im Vergleich zur Vorstudie sind mit einem * markiert und dienen im Wesentlichen der stärkeren Berücksichtigung des Kontextes der berufsbildenden Schulen sowie der Inklusion und hier eines weiten Inklusionsverständnisses. Dies wurde in der Vorstudie angeregt (vgl. Driebe et al. 2018, S. 415)Footnote 2:

Mit Bezug auf demographische, berufsbiografische und bildungssystembezogene Merkmale fragen wir vor dem Hintergrund des uneinheitlichen Forschungsstandes und der Spezifik der berufsbildenden Schulen: Welchen Einfluss haben das Alter (F1), das Geschlecht (F2), die Berufserfahrung (F3), die pädagogische Qualifikation (F4), das Bundesland (F5) und der primäre Einsatzbereich im berufsbildenden Schulwesen (F6)* sowie das Verständnis von Inklusion (F7) auf die Einstellung zur Inklusion?

Unter Berücksichtigung der in zahlreichen Studien untersuchten weiteren inklusionsbezogenen Einflussfaktoren leiten wir folgende Hypothesen ab: Die Kontakterfahrung mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen (H1), die Arbeit in inklusiven Klassen (H2), der Besuch von inklusionsbezogenen QualifikationenFootnote 3 (H3)*, eine erhöhte allgemeine Selbstwirksamkeitswahrnehmung (H4) und eine erhöhte inklusionsbezogene Selbstwirksamkeitswahrnehmung (H5)* wirken sich positiv auf die Einstellung zur Inklusion aus.

Wegen der spezifischen Erwartungen an die pädagogisch-didaktische Gestaltung inklusiver Unterrichtssettings im Zusammenhang mit der geringen Befundlage fragen wir zudem (F8)*, welchen Einfluss das Lehr-Lern-Verständnis auf die Einstellung zur Inklusion hat. Konkret möchten wir untersuchen, ob Lehrer*innen, die gegenüber inklusivem Unterricht positiv eingestellt sind und Schüler*innen mit ihren spezifischen Besonderheiten wahrnehmen, auch eine konstruktivistischere, subjektorientierte Überzeugung haben. Zudem analysieren wir, ob demgegenüber Lehrkräfte mit einem instruktionalen, lehrendenzentrierten Lehrverständnis eher Vorbehalte gegen inklusive Settings aufweisen.

Aufgrund der überschaubaren Befundlage zur affektiven Dimension werden erneut drei explorative Fragen dazu formuliert, welche Befürchtungen (F9), positiven Erwartungen (F10) und Forderungen (F11) Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen bezüglich Inklusion haben.

3 Methoden

3.1 Instrumente

Für die Erhebung inklusionsbezogener Einstellungen existieren verschiedene Instrumente und Skalen. Deren Qualität variiert allerdings hinsichtlich Validierungsmethode und Stichprobengröße (siehe z. B. de Boer et al. 2010; Bosse und Spörer 2014; Driebe et al. 2018, S. 399; Miesera et al. 2018). Die Mehrzahl der Skalen wurde mit geringen Stichproben validiert. Zudem wurden z. T. lediglich Studierende oder Lehramtsanwärter*innen untersucht. In unserer Vorstudie wurde das Instrumentarium von Seifried (2015) u. a. mit der Skala EFI‑L aufgegriffen. Diese Skala hat den Vorteil, dass sie erstens mit einer großen Stichprobe (N = 652), zweitens mit Lehrkräften aus allgemeinbildenden Regel- und Sonderschulen und drittens mittels konfirmatorischer Faktorenanalyse überprüft wurde. Die Skala EFI‑L folgt der o. g. dreidimensionalen Modellierung, die eine kognitive, behaviorale und affektive Dimension unterscheidet. Dies ist bedeutsam, da andere Skalen häufig ohne Begründung und trotz der anerkannten Bedeutung die affektive und teils auch die behaviorale Dimension vernachlässigen (vgl. Seifried 2015, S. 62 f.; Syring et al. 2018, S. 207). Die affektive Dimension wird mit offenen Fragen zu Befürchtungen, Erwartungen und Forderungen erhoben. Die beiden anderen Dimensionen werden über drei Faktoren gemessen: Die Faktoren Fachliche Förderung und Soziale Inklusion für die kognitive fremdbezogene Dimension sowie der Faktor Persönliche Bereitschaft für die behaviorale selbstbezogene Dimension (Tab. 1).

Tab. 1 Faktoren der Skala EFI‑L

Diese Skala wurde für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen adaptiert und in einer zunächst kleinen Stichprobe von Lehrer*innen berufsbildender Schulen aus Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt erprobt (N = 62). Ihre Überprüfung bringt auf Item- und Konstruktebene zufriedenstellende Ergebnisse hervor. Somit steht mit der adaptierten Skala EFI‑L ein Instrument zur Verfügung, das die inklusionsbezogenen Einstellungen auch bei Lehrkräften an berufsbildenden Schulen zuverlässig misst (vgl. Driebe et al. 2018, S. 405).

Der Fragebogen der hier dokumentierten Hauptstudie umfasst neben der adaptierten EFI-L-Skala vor dem Hintergrund der formulierten Fragen und Hypothesen folgende BestandteileFootnote 4:

  • Angaben zu Person und Lehrtätigkeit (Alter, Geschlecht, pädagogische Qualifikation und Berufserfahrung, Bundesland, Schulform*, in der hauptsächlich unterrichtet wird, eigene Behinderung/sonderpädagogischer Förderbedarf, Benachteiligung o. ä.),

  • Kenntnis des Inklusionsbegriffs (geschlossene Frage)*, Verständnis von Inklusion in der beruflichen Bildung und von inklusiven Klassen in berufsbildenden Schulen (offene Fragen)*,

  • Angaben zu inklusionsbezogenen Erfahrungen (Erfahrungen mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen, Tätigkeit in inklusiven Klassen, inklusionsbezogene Qualifizierungsveranstaltungen*),

  • Lehrkräfteselbstwirksamkeit (Skala WirkLehr; Schwarzer und Schmitz 1999) und inklusionsbezogene Lehrerselbstwirksamkeit* (Bosse und Spörer 2014),

  • Lehr-Lern-Verständnis*, das ein dreidimensionales Konstrukt beinhaltet (instruktional, systematik-orientiert, konstruktivistisch) (Skala erprobt an Lehrkräften berufsbildender Schulen für den wirtschaftsberuflichen Unterricht; Seifried 2009).

3.2 Stichprobe

Es wurden Lehrkräfte berufsbildender Schulen befragt, die u. a. in Klassen der beruflichen Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung unterrichten. Sie stammen aus den vier Bundesländern Hamburg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Dem Forschungsstand folgend wurden Bundesländer ausgewählt, die sich hinsichtlich der Implementation von Inklusion unterscheiden (vgl. 2.2). So haben Schleswig-Holstein und Hamburg vergleichsweise früh bildungspolitische Bemühungen zur Gestaltung eines inklusiven Bildungssystems unternommen (z. B. Leitbild und klare Schritte formuliert) (vgl. Lange 2017). Schleswig-Holstein wies zudem im Schuljahr 2008/09 die niedrigste (3,1 %) und Sachsen-Anhalt (8,7 %) eine der höchsten Exklusionsquoten in allgemeinbildenden Schulen auf (für die berufsbildenden liegen keine vergleichbaren Zahlen vor). Zwar ging die Differenz zwischen den Bundesländern und die Exklusionsquote gerade in Ostdeutschland (z. B. in Thüringen von 7,5 auf 4 %) zurück. Jedoch wies Sachsen-Anhalt auch 2016/17 noch die höchste Exklusionsquote (5,9 %) auf. Hingegen war die in Schleswig-Holstein die zweitniedrigste (vgl. Klemm 2018, S. 10). Hamburg wurde hier nicht nur aufgenommen, um ein zweites westdeutsches Bundesland zu berücksichtigen, sondern auch aufgrund seiner intensiven Reformbemühungen (s. oben). Diese beziehen sich seit 2014 v. a. auf die Ausbildungsvorbereitung an beruflichen Schulen, die hier fokussiert werden, aber in den zitierten Exklusionsquoten bislang unberücksichtigt bleiben (vgl. Sturm et al. 2020).

Die Fragebögen wurden je nach Zugangsmöglichkeit in Präsenz von Lehrkräftegruppen in den Schulen ausgefüllt oder über die Schulleitungen an die Lehrkräfte verteilt. Diese konnten den Bogen in einem festen Zeitraum im Jahr 2019 ausfüllen und gesammelt (anonym) zurückgeben. Aufgrund von missing data wurden 17 Bögen vollständig ausgeschlossen. Insgesamt wurden 662 Fragebögen ausgefüllt (Tab. 2).

Tab. 2 Stichprobe

In Anbetracht der Stichprobengröße soll vermieden werden, dass komplette Observationen aufgrund einzelner fehlender Werte entfallen. Um dies ohne eine Verzerrung der Daten zu gewährleisten, wurden die Daten der Skalen EFI‑L, WirkLehr, InklSW und LLV mittels des MCMC (Monte Carlo Markov Chain)-Verfahrens in 20 Iterationen imputiert (vgl. Graham 2012, S. 53).

3.3 Analysemethoden

Die Analyse der Einstellungen zur Inklusion (für die Gesamtskale zur kognitiven und behavioralen Dimension sowie für die drei Faktoren), der allgemeinen und inklusionsbezogenen Selbstwirksamkeit sowie des Lehr-Lern-Verständnisses erfolgte mittels deskriptivstatistischer Verfahren. Zudem wurde eine Wirkungsanalyse zwischen den Skalenwerten der Gesamtskala zur kognitiven und behavioralen Dimension bzw. ihren drei einzelnen Faktoren sowie möglichen Einflussfaktoren mittels linearer Regression durchgeführt.

Die Antworten auf die offenen Fragen zum Verständnis von Inklusion sowie zur affektiven Dimension der Einstellungen wurden mittels inhaltlich strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet (vgl. Mayring 2015). Das Inklusionsverständnis wurde binär in Anlehnung an die grundsätzliche Unterscheidung zwischen engem und weitem Verständnis codiert.Footnote 5 Für das enge Verständnis wurden im Rahmen des Probedurchlaufs induktiv weitere Sub-Codes gebildet. Zur Analyse der affektiven Dimension wurde das aus der Vorstudie gewonnene Kategoriensystem (vgl. Driebe et al. 2018, S. 407) genutzt und im Rahmen des Probedurchlaufs überarbeitet bzw. induktiv neue (Sub‑)Kategorien entwickelt.

4 Ergebnisse

Den leitenden Fragestellungen der Studie folgend werden zunächst die Ergebnisse zu den inklusionsbezogenen Einstellungen von Lehrkräften an beruflichen Schulen referiert (Abschn. 4.1). Anschließend werden die Ausprägungen der Skalen zur Selbstwirksamkeit und zum Lehr-Lern-Verständnis sowie zum Inklusionsverständnis als zentrale potenzielle Einflussfaktoren untersucht (Abschn. 4.2–4.4). Abschließend werden Ergebnisse zu Zusammenhängen zwischen potenziellen Einflussfaktoren und inklusionsbezogenen Einstellungen präsentiert (Abschn. 4.5).

4.1 Einstellungen zu Inklusion

4.1.1 Kognitive und behaviorale Dimension (EFI-L)

Zunächst wurde geprüft, ob die dreifaktorielle Struktur inklusionsbezogener Einstellungen vorliegt. Mithilfe einer konfirmatorischen Faktorenanalyse (Abb. 1) wurde untersucht, ob die Items (EFI-L1 bis EFI-L15) die kognitive und behaviorale Dimension abbilden. Da keine multivariate Normalverteilung (Mardia-Test auf multivariate Normalverteilung p < 0,001) vorliegt, wurde die WLSMV-Schätzmethode für die Prüfung des Modells genutzt, die sich besonders für grobstufige, ordinalskalierte Variablen eignet.

Abb. 1
figure 1

Konfirmatorische Faktorenanalyse der Skala EFI‑L

Die Modellpassung ist gut. Die Fit-Indizes (Chi-Quadrat (87) = 141,79, p < 0,001, RMSEA = 0,031, CFI = 0,991, TLI = 0,989, SRMR = 0,048) zeigen, dass das Modell, bestehend aus den Faktoren „Fachliche Förderung“ (EFIL_FF), „Soziale Inklusion“ (EFIL_SI) und „Persönliche Bereitschaft“ (EFIL_PB), akzeptiert werden kann (vgl. Driebe et al. 2018, S. 400; Seifried 2015, S. 107 f.).

Tab. 3 zeigt psychometrische Eigenschaften der (Sub‑)Skalen. Betrachtet man den Skalen-Split bei 3,5 (Werte unterhalb eher negativ, Werte oberhalb eher positiv), dann zeigt sich, dass Fachliche Förderung negativer und Soziale Inklusion positiver bewertet werden. Insgesamt liegen die Einstellungen unter Berücksichtigung der kognitiven und behavioralen Dimension mit 3,6 im neutralen Bereich.

Tab. 3 Skalenstatistiken EFI‑L

4.1.2 Affektive Dimension

Hinsichtlich der über offene Fragen erfassten affektiven Dimension inklusionsbezogener Einstellungen liegen von 586 (88,5 %) Befragten Antworten zu Befürchtungen, von 535 (80,8 %) zu positiven Erwartungen und von 589 (89,0 %) zu Forderungen vor. Die qualitative Inhaltsanalyse identifiziert vier Kategorien bez. der Befürchtungen, sechs zu den positiven Erwartungen und fünf zu den Forderungen (Abb. 2).Footnote 6 Die Intercoder-Reliabilität zwischen zwei unabhängigen Codern für 30 % der ausgewerteten Fragebögen ist für die Dimensionen Erwartungen mit rHolsti = 0,91 und Forderungen mit rHolsti = 0,89 (sehr) zufriedenstellend. Für die Befürchtungen ergab sich eine Intercoder-Reliabilität von rHolsti = 0,76. Diese ist sowohl auf deutlich erkennbare Codierfehler als auch auf Unschärfen im Kategoriensystem und Codierleitfaden zurückzuführen. Die erkennbaren Codierfehler wurden unter Berücksichtigung des Codierleitfadens im Rahmen der weiteren Auswertung korrigiert.

Abb. 2
figure 2

Befürchtungen, positive Erwartungen und Forderungen im Zusammenhang mit Inklusion (in % aller Befragten, Mehrfachnennungen möglich)

Lehrkräfte nennen als Befürchtung v. a. Nachteile für die Qualität des Unterrichts bzw. bezüglich der Erfüllung von Anforderungen aus Abschlussprüfungen und Zielen der Bildungsgänge sowie im Zuge dessen auch für die Lernenden. Es werden sowohl Nachteile für Schüler*innen mit Förderbedarfen als auch für Schüler*innen ohne Förderbedarfe oder für alle Lernenden benannt. Diese Befürchtung wird von fast der Hälfte der Lehrkräfte (48,6 %) geäußert und korrespondiert mit der identifizierten tendenziell negativen Einstellung zur „Fachlichen Förderung“ (Einschätzung zur Unterrichtsqualität in inklusiven Klassen). Zudem sieht mehr als ein Viertel der Berufsschullehrkräfte (27,6 %) die Gefahr einer hohen Belastung oder Überforderung ihrer selbst durch mit Inklusion verbundenen neuen Aufgaben und Anforderungen. Daraus begründen einige auch die angeführten befürchteten Nachteile für Lernende. Weiterhin befürchtet ein Viertel (25,8 %), dass nicht hinreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt bzw. erforderliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. So werden fehlendes Personal und Zeit, zu große Klassen, zu wenig finanzielle Mittel und nicht ausreichende Räumlichkeiten bemängelt. Während wenige Lehrkräfte (5,4 %) explizit und entgegen der Fragestellung keine positiven Erwartungen artikulieren, glauben 40,8 % der Befragten an positive Wirkungen für das Zusammenleben in der Gesellschaft und im Unterricht (z. B. Steigerung von Toleranz, Akzeptanz, Empathie, Sozialkompetenz). Circa ein Viertel (26 %) erwartet positive Wirkungen bzw. Bereicherungen für die Gesellschaft und die Individuen im Gefüge der Gesellschaft (z. B. Steigerung von Vielfalt, Chancengleichheit, Integration in den Arbeitsmarkt). Dies korrespondiert mit der identifizierten tendenziell positiven Einstellung zur „Sozialen Inklusion“ (Einschätzung zur Einbindung von Schüler*innen mit Förderbedarf in inklusiven Klassen). Sehr wenige Lehrkräfte erwarten, dass zusätzliche Ressourcen für die Umsetzung bereitgestellt werden. Andererseits fordert mehr als jede zweite Lehrkraft (67,4 %) die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen bzw. Rahmenbedingungen (z. B. mehr Personal, Sonder- und Sozialpädagog*innen, kleinere Klassen, finanzielle Mittel, Zeit, barrierefreie Räumlichkeiten). Etwa jede*r Vierte (24,3 %) äußert Bedarf an zusätzlicher Fort- und Weiterbildung bzw. zumindest Information. 12,1 % der Lehrkräfte fordern ein Überdenken der Inklusionsstrategie (z. B. Konzepte anpassen bis hin zur Begrenzung der Inklusion). Einzelne (3,5 %) fordern eine subjektorientierte Fokussierung der Inklusion, d. h. die Bedürfnisse und Potenziale der Einzelnen stärker zu berücksichtigen.

4.2 Selbstwirksamkeit und inklusionsbezogene Selbstwirksamkeit

Die allgemeine Lehrkräfteselbstwirksamkeitsskala (Schwarzer und Schmitz 1999) wurde ebenfalls mittels konfirmatorischer Faktorenanalysen geprüft. Die einfaktorielle Struktur lässt sich bestätigen. Da keine multivariate Normalverteilung (Mardia-Test auf multivariate Normalverteilung p < 0,001) vorliegt, wurde die WLSMV-Schätzmethode für die Prüfung des Modells genutzt. Die Modellpassung ist akzeptabel. Die Fit-Indizes (Chi-Quadrat (14) = 43,45, p < 0,001, RMSEA = 0,057, CFI = 0,978, TLI = 0,966, SRMR = 0,060) zeigen, dass das Modell akzeptiert werden kann.

Die inklusionsbezogene Selbstwirksamkeitsskala (Bosse und Spörer 2014) wurde ebenfalls mittels konfirmatorischer Faktorenanalysen geprüft. Auch hier lässt sich die einfaktorielle Struktur bestätigen. Da keine multivariate Normalverteilung (Mardia-Test auf multivariate Normalverteilung p < 0,001) vorliegt, wurde die WLSMV-Schätzmethode für die Prüfung des Modells genutzt. Die Modellpassung ist gut. Die Fit-Indizes (Chi-Quadrat (2) = 4,74, p < 0,001, RMSEA = 0,046, CFI = 0,996, TLI = 0,988, SRMR = 0,031) zeigen, dass das Modell akzeptiert werden kann.

Die internen Konsistenzen der Selbstwirksamkeitsskalen und die entsprechenden Skalenstatistiken sind der Tab. 4 zu entnehmen.

Tab. 4 Skalenstatistiken Selbstwirksamkeit

4.3 Lehr-Lern-Verständnis

Die von Seifried (2009) berichteten Konsistenzen seiner dreifaktoriellen Skala zur Erfassung des Lehr-Lern-Verständnisses sind lediglich akzeptabel, sodass im Rahmen der vorliegenden Untersuchung die Struktur des Instruments (LLV1 bis LLV21) zunächst mittels einer explorativen Faktoranalyse geprüft wurde. Dabei konnte die dreifaktorielle Struktur extrahiert werden. Sowohl der Bartlett-Test (Chi-Quadrat (210) = 2200,802, p < 0,001) als auch das Kaiser-Meyer-Olkin Measure of Sampling Adequacy (KMO = 0,819) weisen darauf hin, dass sich die Variablen für eine Faktorenanalyse eignen. So wurde eine Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation durchgeführt, welche auf das Vorliegen von drei Faktoren mit Eigenwerten größer als 1,0 hinweist. Diese Lösung wurde aufgrund des Screeplots und der theoretischen Überlegungen final gewählt und erklärt 28,9 % der Varianz. Damit liegen drei Faktoren vor: „Instruktionales Lehr-Lern-Verständnis“, „Konstruktivistisches Lehr-Lern-Verständnis“ sowie „Systematik-orientiertes Lehr-Lern-Verständnis“. Aufgrund relativ geringer Faktorladungen und identifizierter Querladungen im ersten und zweiten Faktor wurde eine weitere Berechnung mit Items durchgeführt, deren Ladungen größer 0,40 waren.

Aufgrund inhaltlichen Vorwissens kann diese Lösung angenommen werden. Sie deckt sich weitgehend mit den Befunden von Seifried (2009).

Trotz der Probleme mit der Skalengüte wird deutlich, dass in der Stichprobe eine deutlich stärkere Zustimmung zu konstruktivistischen und Systematik-orientierten Lehransätzen vorhanden ist (Tab. 5). Der Systematik-orientierte Lehransatz soll jedoch aufgrund der geringen Zuverlässigkeit für die weiteren Analysen ausgeschlossen werden.

Tab. 5 Skalenstatistik Lehr-Lern-Verständnis (LLV)

4.4 Inklusionsverständnis

Die beiden grundsätzlich unterscheidbaren Inklusionsverständnisse (enges, behinderungsbezogenes vs. weites) finden sich auch in den Antworten auf die offenen Fragen zum Verständnis von Inklusion in der beruflichen Bildung sowie von inklusiven Klassen in berufsbildenden Schulen. Bei 356 Befragten (53,8 %) finden sich Hinweise auf ein enges und bei 215 Probanden (32,5 %) Hinweise auf ein weites Inklusionsverständnis. 91 Befragte (13,7 %) machen hierzu keine Angabe oder es war keine eindeutige Codierung möglich (Tab. 6). Die diesbezügliche Intercoder-Reliabilität von zwei unabhängigen Codern für 30 % der ausgewerteten Fragebögen beträgt rHolsti = 0,837.

Tab. 6 Verteilung des Inklusionsverständnisses

4.5 Einflussfaktoren inklusionsbezogener Einstellungen

Im Folgenden werden Ergebnisse der Regressionsanalyse zum Zusammenhang zwischen Einstellungen als Gesamtskala (kognitive und behaviorale Dimension) sowie in ihren drei einzelnen Faktoren und möglichen Einflussfaktoren vorgestellt (Tab. 7). Bei allen vier Modellen ist der Determinationskoeffizient signifikant von Null verschieden. Die Gesamtvarianzaufklärung (R2adj) der Prädiktoren liegt im üblichen Bereich derartiger Untersuchungen (vgl. Seifried 2015, S. 170).

Tab. 7 Einflussfaktoren auf die Einstellungen zu Inklusion von Berufsschullehrkräften

Die demographischen Merkmale Alter und Geschlecht haben in unserer Studie ebenso wenig Einfluss auf die Einstellungen zu Inklusion von Berufsschullehrkräften wie die Berufserfahrung und die grundlegende pädagogische Qualifikation. Das Bundesland und mithin der bildungssystemische Kontext zeigen tendenziell einen leichten differenzierten Einfluss auf die kognitiven Komponenten, konnten jedoch nicht zufallskritisch abgesichert werden. Der Einsatzbereich im Berufsbildungssystem hat keinen prädiktiven Einfluss auf die inklusionsbezogenen Einstellungen, obwohl zu erwarten war, dass Lehrkräfte aus dem sog. Übergangssystem und der Benachteiligtenförderung positiver eingestellt sind.

Signifikante Einflüsse lassen sich bei inklusionsbezogenen Erfahrungen und Qualifikationen, der Selbstwirksamkeit und dem Lehr-Lern-Verständnis finden. Konkret wirken berufliche und private Kontakterfahrungen mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen, die Tätigkeit in inklusiven Klassen sowie inklusionsbezogene Qualifikationen signifikant positiv auf die inklusionsbezogenen Einstellungen. Allerdings ist einzuschränken, dass inklusionsbezogene Erfahrungen und Qualifikationen primär die persönliche Bereitschaft als behaviorale Dimension beeinflussen. Die kognitiven Aspekte (Überzeugungen und Meinungen) werden davon kaum beeinflusst. Ein signifikanter Einfluss in allen drei Modellen besteht jedoch im Hinblick auf die Selbstwirksamkeit. Hier wird offensichtlich, dass die allgemeine Selbstwirksamkeit als Lehrkraft, vor allem aber die spezifische inklusionsbezogene Selbstwirksamkeit die Einstellungen sehr positiv beeinflusst. Zudem zeigt sich, dass das Lehr-Lern-Verständnis einen erwartungskonformen Einfluss in allen drei Modellen hat: Instruktional orientierte Lehrpersonen weisen eine tendenziell kritischere Einstellung gegenüber Inklusion auf.

Weiterhin wurde der Einfluss des Inklusionsverständnisses (eng vs. weit, s. Abschn. 4.4), auf die inklusionsbezogenen Einstellungen untersucht. Dies erfolgte aufgrund des erhöhten missing-value-Anteils außerhalb der Regressionsanalyse im Rahmen eines Gruppenvergleichs. Es wurde geprüft, ob sich die Einstellungen von Lehrkräften mit engem Inklusionsverständnis signifikant von Lehrkräften mit einem weiten Inklusionsverständnis unterscheiden. Dies wurde für die Gesamtskala wie auch für die drei Subskalen (Faktoren) durchgeführt (Abb. 3). Die Gruppe derer, die kein Verständnis offenlegen oder deren Antworten nicht kategorisierbar sind (N = 91), wird hier ausgeblendet.

Abb. 3
figure 3

Einfluss des Inklusionsverständnisses auf die inklusionsbezogenen Einstellungen. a Einstellung (gesamt)**, b Einstellung (Fachliche Förderung), c Einstellung (Persönliche Bereitschaft)***, d Einstellung (Soziale Inklusion)

Hinsichtlich der Gesamtskala inklusionsbezogener Einstellungen zeigt der Gruppenvergleich, dass Lehrkräfte mit weitem Inklusionsverständnis leicht positivere Einstellungen gegenüber Inklusion (M = 3,75, SD = 0,7, n = 210) aufweisen als Lehrkräfte (M = 3,57, SD = 0,68, n = 350), die ein enges Inklusionsverständnis haben (t (429,94) = −2,969, p = 0,003). Die Effektstärke nach Cohen (1992) liegt bei Cohen’s d = 0,262 und entspricht einem eher kleinen Effekt.

Hinsichtlich der Subskalen Fachliche Förderung (t (433,54) = −1,471, p = 0,142) und Soziale Inklusion (t (425,03) = −0,837, p = 0,403) zeigen sich keine Unterschiede zwischen Lehrpersonen mit engem und weitem Verständnis.

Bezüglich der Subskala Persönliche Bereitschaft zeigt der Gruppenvergleich, dass Lehrkräfte mit weitem Inklusionsverständnis eine stärkere Bereitschaft zum Umsetzen von Inklusion (M = 3,79, SD = 1,1, n = 210) aufweisen als Lehrkräfte (M = 3,43, SD = 1,0, n = 350), die ein enges Inklusionsverständnis haben (t (419,96) = −4,0116, p < 0,000). Die Effektstärke nach Cohen (1992) liegt bei Cohen’s d = −0,350 entspricht einem mittleren Effekt.

5 Diskussion

Abschließend werden die Befunde entlang der Forschungsfragen und Hypothesen vor dem Hintergrund des bisherigen Forschungsstandes (Kap. 2) diskutiert. Die festgestellten Einstellungen zur Inklusion der Berufsschullehrkräfte insgesamt fallen neutral (M = 3,6, Abschn. 4.1) aus. Damit liegen sie im Vergleich zu den von Miesera und Gebhardt (2018, S. 9) ermittelten Einstellungen bayrischer Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst für ein Lehramt an beruflichen Schulen (M = 3,34 bei einer abweichenden Fünf-Punkt-Likert-Skala) nur leicht niedriger (vgl. ähnlich Miesera und Moser 2020). Sie sind zudem vergleichbar mit den Befunden für Lehrer*innen in allgemeinbildenden Schulen. Die in der Vorstudie überraschend festgestellten tendenziell negativen Einstellungen konnten damit indes nicht bestätigt werden (Abschn. 2.2).

Im Hinblick auf die Fragen und Hypothesen zum Einfluss demographischer, berufsbiografischer und bildungssystembezogener Variablen (F1–F6), zeigt sich folgendes:

  • Weder für Alter (F1) noch für Geschlecht (F2), Berufserfahrung (F3) oder pädagogische Qualifikation (F4) kann ein signifikanter Einfluss auf inklusionsbezogene Einstellungen festgestellt werden. Dies korrespondiert überwiegend mit Befunden anderer Studien sowie unserer Vorstudie (Abschn. 2.2).

  • Aufgrund der unterschiedlichen Implementationsgrade von Inklusion insb. zwischen den Bundesländern war zu erwarten, dass das Bundesland (F5) einen Einfluss auf die Einstellungen hat. Anders als in der Vorstudie zeigt die Regressionsanalyse, dass solche Einflüsse durchaus bestehen. Es gibt zumindest Indizien, dass die Berufsschullehrkräfte in den mitteldeutschen Ländern (Thüringen und Sachsen-Anhalt) mit ihren tendenziell höheren Exklusionsquoten leicht negativere Einstellungen bezogen auf die kognitiven Dimensionen aufweisen als ihre Kolleg*innen in Hamburg und Schleswig-Holstein. Korrespondierend hierzu stellte Lange (2017) im Ländervergleich fest, dass u. a. Hamburg und Schleswig-Holstein relativ früh bildungspolitische Bemühungen zur Gestaltung eines inklusiven Bildungssystems unternommen haben (z. B. Leitbild und klare Schritte formuliert), was die positiveren der Lehrkräfte dieser Länder Einstellungen erklären könnte.

  • Aufgrund der heterogenen Bildungsgänge im schulischen Berufsbildungssystem (u. a. bez. Adressat*innen, Zielstellungen, zu erwerbenden Zertifikaten) war zu erwarten, dass der primäre Einsatzbereich der Lehrkräfte innerhalb des berufsbildenden Schulsystems (F6) differenzierte Anforderungen stellt und daher Einfluss auf die Einstellungen hat. Diese Annahme wird durch die Daten nicht gestützt.

Im Hinblick auf die Hypothesen zum Einfluss inklusionsbezogener Erfahrungen und zur Selbstwirksamkeit auf die Einstellungen zu Inklusion (H1–H5) wurde folgendes festgestellt

  • Abweichend von der Vorstudie (vgl. Driebe et al. 2018, S. 409) und der häufig bestätigten Kontakthypothese kann gezeigt werden, dass Kontakterfahrungen mit behinderten Menschen keinen durchgehenden signifikant positiven Einfluss (H1) auf die inklusionsbezogenen Einstellungen von Berufsschullehrkräften haben. Lediglich auf die behaviorale Einstellungsdimension (persönliche Bereitschaft) zeigt die Kombination aus beruflichen und privaten Erfahrungen den erwarteten positiven Effekt. Seifried (2015, S. 131 ff.) konnte demgegenüber einen Einfluss von Erfahrungen mit behinderten Menschen auch auf die Fachliche Förderung feststellen. Miesera und Gebhardt (2018, S. 11) haben in ihrer Studie mit angehenden Lehrkräften an beruflichen Schulen nur einen sehr geringen Zusammenhang zwischen Erfahrungen und Einstellungen festgestellt, wobei die Erfahrungsskala dort neben den Kontakterfahrungen mit behinderten Menschen auch Kenntnisse und Erfahrungen im Zusammenhang mit inklusiven Klassen umfasst (s. unten) und die Ergebnisse insofern nur begrenzt vergleichbar sind.

  • Vor dem Hintergrund der Kontakthypothese war ebenfalls zu erwarten, dass die Tätigkeit in inklusiven Klassen positive Wirkung hat. Ähnlich wie in der Vorstudie (vgl. Driebe et al. 2018, S. 409) kann dies aber nur für die behaviorale Dimension gezeigt werden (H2). Dies korrespondiert mit dem Einfluss der Erfahrungen mit behinderten Menschen in dieser Studie.

  • Den Hypothesen entsprechend hat der Besuch inklusionsbezogener Qualifizierungsveranstaltungen einen signifikant positiven Einfluss auf die verhaltensnahe Dimension der Einstellung (persönliche Bereitschaft) (H3). Es ist anzunehmen, dass sich die Lehrkräfte besser vorbereitet fühlen, daher in inklusiven Settings weniger überfordert sind und schlicht mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten haben. Ähnlich zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Fortbildungen und Selbstwirksamkeit auch in der Studie von Seifried (2015, S. 178) sowie in der Vorstudie.

  • Zudem bestätigt sich in der Studie der direkte positive Einfluss der allgemeinen Selbstwirksamkeit als Lehrkraft auf die Einstellungen zu Inklusion, der bereits in anderen Studien im allgemein- wie berufsbildenden Lehramt festgestellt wurde (H4). Dies gilt zumindest für die Dimensionen Persönliche Bereitschaft und Soziale Inklusion sowie für die Gesamtskala. In der Vorstudie traf dies für alle Dimensionen zu (vgl. Driebe et al. 2018, S. 409).

  • Vor allem zeigt sich ein deutlicher globaler Effekt der inklusionsbezogenen Selbstwirksamkeit (H5). Diese hat erwartungskonform einen erheblichen prädiktiven Wert für die kognitive und behaviorale Dimension der Einstellungen und wurde u. a. auch bei Miesera und Gebhardt (2018, S. 11) für angehende Lehrkräfte an beruflichen Schulen festgestellt.

Grundsätzlich ist der positive Zusammenhang zwischen weitem Inklusionsverständnis und Einstellungen zu Inklusion (F7) erwartungskonform (vgl. Abschn. 2.2). Der signifikante kleine Effekt auf die Einstellungen und insb. die höhere persönliche Bereitschaft könnte damit zusammenhängen, dass berufliche Schulen seit jeher eine vergleichsweise hohe Heterogenität in der Schülerschaft aufweisen (Albrecht et al. 2014). Die Lehrkräfte kennen den Umgang hiermit – in größerem Umfang als mit spezifischen Behinderungsformen – und können diesbezüglich auf ein angstreduzierendes Kompetenzerleben zurückblicken.

Die in allen Facetten negativeren Einstellungen zu Inklusion von Lehrkräften mit einem eher transmissiven, instruktional orientierten Lehr-Lern-Verständnis (F8) könnte damit zusammenhängen, dass die mit dieser Orientierung verbundene Lehrkräftezentrierung weniger gut vereinbar ist mit einer im inklusiven Unterricht gebotenen individuellen Förderung von Lernenden. Andersherum könnten die konstruktivistischen, subjekt- bzw. schüler*innenorientierten Überzeugungen, welche mit einer positiveren Einstellung gegenüber Inklusion einhergehen, mit individueller Förderung der Lernenden besser vereinbar sein (s. Abschn. 2.2).

Die explorativen Analysen der affektiven Einstellungsdimension (F9–F11) zeigen, dass Berufsschullehrkräfte zuvorderst Nachteile für die Qualität des Unterrichts sowie im Zuge dessen auch für die Lernenden (mit und/oder ohne Förderbedarf) befürchten. Diese Befürchtung, die von ca. jeder zweiten Lehrkraft geäußert wird, korrespondiert mit der identifizierten eher skeptischen Einstellung zur „Fachlichen Förderung“ (Einschätzung zur Unterrichtsqualität in inklusiven Klassen). Andererseits überrascht diese Befürchtung vor dem Hintergrund der Befunde aus nationalen und internationalen Studien und Reviews, nach denen weder für die Schüler*innen mit noch ohne (kognitive Lern‑)Beeinträchtigung leistungsbezogene Nachteile in inklusiven Settings im Vergleich zu nicht-inklusiven festgestellt werden konnten (vgl. zusammenfassend in Krämer et al. 2021; Seifried 2015, S. 22 ff.). Zudem befürchtet mehr als jede vierte Lehrkraft Überlastung oder Überforderung durch Inklusion sowie mangelnde Ressourcen. Dementsprechend fordern ca. zwei Drittel der Lehrkräfte zusätzliche Ressourcen und jede vierte ausreichend Fort- und Weiterbildungen. Auch in der Vorstudie stachen die Befürchtung von Überlast der Lehrkräfte sowie die Forderung nach Qualifizierung und besseren Ressourcen hervor (vgl. Driebe et al. 2018, S. 407). Ähnliche Befunde liefern die Studien von Seifried (2015), Przibilla et al. (2016) oder Burda-Zoyke und Joost (2018). Vor dem Hintergrund des mehrfach berichteten positiven Zusammenhangs zwischen bereitgestellten vielfältigen Ressourcen (z. B. finanzieller, technischer, personeller, räumlicher), schulischen Rahmenbedingungen sowie Unterstützung (z. B. durch Schulleitung, Beratungsangebote) einerseits und Einstellungen zur Inklusion andererseits (vgl. Seifried 2015, S. 47) könnte in diesem Bereich erhebliches Handlungspotenzial liegen, um Einstellungen zu Inklusion zukünftig zu verbessern. Als kontraproduktiv wirken daher Bestrebungen, Inklusion zwar mit hohen Ansprüchen zu verbinden, sie aber gleichzeitig kostenneutral umsetzen zu wollen (vgl. Domisch und Klein 2012, S. 162).

6 Schlussbetrachtung

Die präsentierte Studie erfasste inklusionsbezogene Einstellungen von Lehrkräften berufsbildender Schulen und analysierte Zusammenhänge zu möglichen Einflussfaktoren. Die Ergebnisse zeigen, dass die adaptierte Skala EFI‑L von Seifried (2015) mit den drei Faktoren Fachliche Förderung, Soziale Inklusion und Persönliche Bereitschaft auch für Lehrkräfte an beruflichen Schulen akzeptiert werden kann.

Mit Blick auf Einflussfaktoren inklusionsbezogener Einstellungen konnte ein signifikanter Einfluss der beruflichen und privaten Erfahrungen mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen, der Erfahrungen in inklusiven Klassen und der inklusionsbezogenen Qualifizierung auf die persönliche Bereitschaft festgestellt werden. Zudem zeigen die allgemeine und in besonderer Weise die inklusionsbezogene Selbstwirksamkeit einen positiven Effekt auf das Gesamtmodell. Des Weiteren konnte dokumentiert werden, dass das Lehr-Lern-Verständnis einen Einfluss auf die Einstellungen zur Inklusion hat. Dies geschieht in der Form, dass ein instruktional orientiertes Verständnis mit negativeren Einstellungen im Gesamtmodell sowie in seinen drei Einzel-Modellen zusammenhängt. Mit Blick auf das Inklusionsverständnis zeigt sich, dass ein weites Verständnis insb. mit einer höheren persönlichen Bereitschaft zusammenhängt.

Gerade diese behaviorale Einstellungsdimension ist für den Erfolg inklusiver Bildungssettings von Bedeutung. Diesbezüglich kann resümiert werden, dass insb. inklusionsbezogene Qualifizierungsmaßnahmen für die persönliche Bereitschaft der Lehrkräfte eine wichtige Funktion haben. Aufgrund des wiederholt dokumentierten Einflusses inklusionsbezogener Erfahrungen (z. B. mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen und in inklusiven Klassen) kann die schon in der Vorstudie formulierte Forderung, dass entsprechende Erfahrungsräume im Rahmen der Lehrkräfteaus- und -fortbildung geschaffen werden sollten, bekräftigt werden (vgl. Driebe et al. 2018, S. 414 f.). Dies kann z. B. durch Hospitationen und/oder Unterricht in inklusiven Klassen, durch Kontakt mit Menschen mit Beeinträchtigungen (s. z. B. zum Service Learning zur beruflichen Integrationsförderung Götzl und Struck 2020) oder durch Fallarbeit mit (Video‑)Vignetten zum inklusiven Unterricht (s. z. B. Burda-Zoyke und Joost 2020) realisiert werden. Die Forderung zur Schaffung solcher positiv konnotierter Erfahrungsräume zur Vorbereitung auf inklusive Settings wird durch die domänenspezifisch identifizierte Relevanz der Selbstwirksamkeit für die Einstellungen nochmals gestärkt. Diese kann bspw. durch eigene Handlungserlebnisse oder durch stellvertretende Erfahrungen im Rahmen von Beobachtungen gefördert werden (vgl. Schwarzer und Jerusalem 2002, S. 42).

Unter Berücksichtigung der affektiven Dimension deutet sich über das Schaffen von Qualifizierungsangeboten hinaus bildungspolitischer Handlungsbedarf an. Dies betrifft die bereitzustellenden Ressourcen (z. B. finanziell, technisch, personell, räumlich) und schulischen Rahmenbedingungen sowie Unterstützungsangebote (z. B. durch die Schulleitung, Beratungsangebote).

Abschließend soll die Studie kritisch reflektiert werden. Die Skala zum Lehr-Lern-Verständnis zeigt keine hohe interne Konsistenz. Hier wären in kommenden Untersuchungen möglichst andere – ggf. domänenunabhängigere – Instrumente zu nutzen. So könnte das Konstrukt der Lehransätze nach Trigwell und Prosser (2004) eine gute Alternative darstellen.

Zudem ist generell kritisch anzumerken, dass die Daten explizit erhoben wurden und einen teils emotional besetzten Gegenstand berühren. Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Umstand Einfluss auf die Ergebnisse hat und ggf. eine Selbstselektion von Probanden*innen (mit einer eher starken Meinung) begünstigt hat.