1 Einleitung

In den letzten Jahrzehnten sind die Bedeutung von Elternschaft sowie die Ansprüche an Erziehung und eine partnerschaftliche Arbeitsteilung in Familien stark gestiegen. Eltern investieren mehr Zeit in Kinderbetreuung und -erziehung als jemals zuvor (Bundesministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend 2021). Mütter gelten zwar nach wie vor in den meisten Fällen als Hauptbezugsperson des Kindes, jedoch ist das väterliche Engagement in der Kindererziehung stark gewachsen (Walper und Lien 2018). Damit rücken auch Väter als Eltern in das Blickfeld der Forschung (Cabrera et al. 2018; Liel 2018). Sowohl Belsky (1984) als auch Taraban und Shaw (2018) betonen in ihrem Prozessmodell zu Determinanten von Erziehung das gestiegene Engagement von Vätern, weshalb das Erziehungsverhalten jedoch nicht unbedingt deckungsgleich ist. Auch aus einer Familiensystemperspektive ist die Berücksichtigung beider Elternteile essentiell, da das Verhalten einzelner Familienmitglieder von anderen abhängt (Cook und Kenny 2005). Deshalb zielt die aktuelle Studie darauf ab, die Determinanten des Erziehungsverhaltens von Müttern und Vätern auf Unterschiede und in ihrer Interdependenz an einer deutschen Stichprobe von Zweielternfamilien mit kleinen Kindern zu untersuchen.

1.1 Das Erziehungsverhalten von Müttern und Vätern

In den Erziehungswissenschaften und der Entwicklungspsychologie gibt es verschiedene konzeptionelle Ideen das Erziehungsverhalten von Eltern zu systematisieren. Große Bekanntheit hat der von Baumrind (1971) entwickelte typologische Ansatz erlangt, der je nach dem Ausmaß von Wärme bzw. Responsivität und Regeln zwischen vier Erziehungsstilen unterscheidet. Ein autoritativer Erziehungsstil ist mit einem hohen Maß sowohl an elterlicher Responsivität als auch erwarteter Regeleinhaltung des Kindes gekennzeichnet. Charakteristisch für den autoritären Erziehungsstil sind viele Regeln und Verhaltenskontrolle des Kindes, jedoch ohne „ausgleichende“ liebevolle Wärme. Beim permissiven Erziehungsstil wird auf Regelanforderungen weitgehend verzichtet zugunsten eines hohen Maßes an Responsivität gegenüber dem Kind. Eltern mit einem vernachlässigenden Erziehungsstil stellen kaum Regeln auf und weisen auch wenig Wärme gegenüber dem Kind auf.

Besonders entwicklungsförderlich scheint gemäß einer Meta-Analyse ein autoritativer Erziehungsstil zu sein (Pinquart 2017). Eine Längsschnittuntersuchung belegt, dass unterstützendes und strukturierendes Erziehungsverhalten wahrscheinlicher zu geringeren internalisierenden und externalisierenden Verhaltensproblemen der Kinder führt (Serbin et al. 2015). In mehreren europäischen Ländern berichteten junge Menschen kulturübergreifend von einer erhöhten Lebenszufriedenheit im Zusammenhang mit einem als Kind erlebten autoritativen Erziehungsstil, selbst wenn dieser im Wechsel mit einem autoritären oder permissiven Erziehungsstil auftrat (Lavrič und Naterer 2020). Bei aggressiven Kindern werden Zusammenhänge mit externalisierenden Verhaltensproblemen bei einem autoritativen Erziehungsstil verringert und bei einem permissiven Erziehungsstil verstärkt beobachtet (Rathert et al. 2015).

Eine klassische, zirkumplexe Theorie von Schaefer (1959), die Erziehungsstile als emotionale und soziale Verhaltensausprägungen dimensional zwischen Wärme vs. Ablehnung und Kontrolle vs. Autonomie auffasst, war Vorlage für die empirische Unterscheidung zwischen positiv-funktionalem und negativ-dysfunktionalem Erziehungsverhalten. Beispielsweise wird wie in einem Koordinatensystem zwischen Wärme vs. Feinseligkeit (x-Achse) sowie zwischen Überreagieren vs. Vernachlässigen (y-Achse) unterschieden, wobei letztere Pole die negative Verhaltensakzentuierung von Schaefers (1959) Kontrolle vs. Autonomie abbilden (Parent und Forehand 2017). Oder es wird die Möglichkeit elterlicher Akzeptanz vs. Ablehnung des Kindes in vielen Kulturen vergleichbar beschrieben (Parental-Acceptance-Rejection-Theory). Die Ablehnung des Kindes ist hier ein Überbegriff für die dysfunktionalen Formen eines feindseligen, vernachlässigenden oder indifferent ablehnenden Erziehungsverhaltens (Rohner 2004; Rohner und Ali 2020). Für die erziehungswissenschaftliche und entwicklungspsychologische Forschung sind also insbesondere dysfunktionale elterliche Verhaltensdimensionen oder -formen interessant, da diese mit negativen Auswirkungen für Kinder verbunden werden.

Ein von Akzeptanz und Responsivität gekennzeichneter Erziehungsstil ist als vorhersagekräftig für eine gesunde Entwicklung des externalisierenden Verhaltens von Kindern belegt (Rothbaum und Weisz 1994). Währenddessen hat sich dysfunktionales, also feindseliges, überreagierendes, vernachlässigendes bzw. allzu nachgiebiges Erziehungsverhalten im Kindesalter kulturübergreifend als vorhersagekräftig für spätere internalisierende und externalisierende Verhaltensprobleme der Kinder gezeigt und wird mit schlechteren Schulleistungen und Schwierigkeiten bei der Entwicklung von prosozialem Verhalten verbunden (Putnick et al. 2015). Auch in Deutschland gibt es Nachweise des Zusammenhangs von dysfunktionalem Erziehungsverhalten im Kindesalter und externalisierendem Problemverhalten der Kinder im Vorschulalter (Beelmann et al. 2007) sowie Mobbingerfahrungen im Jugendalter (Hahlweg und Schulz 2020). Solche Effekte wurden für alle Dimensionen dysfunktionalen Elternverhaltens gefunden (Reichle und Franiek 2009; Wootton et al. 1997), sie können für elterliches Überreagieren und Feindseligkeit jedoch als besonders gut belegt gelten (Haan et al. 2012; Kendziora und O’Leary 1993; Rhoades und O’Leary 2007). Als wesentlicher Aspekt überreagierenden und feindseligen Erziehungsverhaltens steht in der frühen Kindheit die elterliche Bereitschaft zur harten und körperlichen Bestrafung (sog. „harsh parenting“) im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses, da sie sowohl die Wahrscheinlichkeit für Kindesmisshandlung und -vernachlässigung erhöht (Liel et al. 2020; Stith et al. 2009) als auch mit langfristig negativen Entwicklungsergebnissen, wie einer belasteten Eltern-Kind-Beziehung, psychischen Problemen sowie aggressivem und delinquentem Verhalten im weiteren Kindes- und Erwachsenenalter assoziiert ist (Gershoff 2002). Es ist keine Studie bekannt, die positive Auswirkungen einer rigiden Erziehungspraxis auf die Entwicklungschancen von Kindern belegt (Gershoff 2002; Gershoff und Bitensky 2007). Vielmehr haben Parent et al. (2016) einen Zusammenhang der Kombination aus harschem und nachgiebigem Erziehungsverhalten mit internalisierenden Verhaltensproblemen über das gesamte Kindesalter hinweg nachgewiesen.

Bezogen auf die Frage, inwieweit sich dysfunktionales Erziehungsverhalten zwischen Müttern und Vätern unterscheidet, ist der Forschungsstand widersprüchlich (Putnick et al. 2015). Während in einigen Studien keine Unterschiede zwischen elterlichem Erziehungsverhalten sowie dessen Auswirkungen auf die kindliche Anpassung gefunden wurden (Beckerman et al. 2018; Putnick et al. 2015), kommen andere Studien zu dem Ergebnis, dass Mütter häufiger als Väter zu überreagierendem Erziehungsverhalten (Arnold und O’Leary 1997) und körperlicher Bestrafung des Kindes neigen (Lee et al. 2015). Wenn Mütter und Väter an Studien zu dysfunktionalem Erziehungsverhalten teilnehmen, beschränken sich Studien meist auf die Untersuchung von Ähnlichkeiten. Die wechselseitige Beeinflussung der Eltern wurde bisher kaum untersucht. Für die frühe Kindheit wurde zumindest nachgewiesen, dass das beobachtete Erziehungsverhalten zwischen Müttern und Vätern mittelstark korreliert und mütterliches für väterliches Erziehungsverhalten längsschnittlich vorhersagekräftig ist (Deschênes et al. 2014). Von Cho (2015) wurde dieser längsschnittlich beobachtete Partnereffekt von Müttern auf Väter für dysfunktionales Erziehungsverhalten nachgewiesen.

Kaum untersucht ist auch die Dynamik wechselseitiger Beeinflussung von Eltern und Kindern. Schließlich ist es möglich, dass Eltern mit dysfunktionalem Elternverhalten lediglich auf herausforderndes Verhalten des Kindes reagieren. Del Vecchio und Rhoades (2010) konnten beispielweise longitudinal-gerichtete Zusammenhänge in Mutter-Kleinkind-Dyaden aufzeigen, indem mütterliches Überreagieren wahrscheinlicher negative Emotionen beim Kind auslöst, negative Emotionen des Kindes jedoch mütterliche Nachgiebigkeit begünstigten. Eine andere Studie ergab, dass Aggressivität im Kindesalter mit höheren Raten elterlichen Überreagierens und weniger Wärme im Jugendalter verbunden wird und dass dieses Elternverhalten die Abnahme kindlicher Aggressivität behindert (Haan et al. 2012).

Die Erforschung des Erziehungsverhaltens wird dadurch limitiert, dass sie überwiegend anhand des elterlichen Selbstberichts erfolgt und dementsprechend sozialer Erwünschtheit unterliegt (Übersicht in Holden und Edwards 1989). Allerdings hat sich die Parenting Scale (Arnold et al. 1993) als ökonomisches Maß zum Screening dysfunktionaler Erziehungspraktiken von Müttern und Vätern bewährt (Kliem et al. 2019). Dies ist beachtlich, weil nicht alle Selbstberichtsinstrumente von Elternverhalten bei Müttern und Vätern gleichermaßen gut funktionieren, insbesondere wenn es um die Erfassung von Gefährdungsrisiken des Kindes geht (Liel et al. 2019). Mit der Parenting Scale konnten schwache bis moderate Zusammenhänge von Überreagieren und Feindseligkeit mit (späteren) kindlichen Verhaltensproblemen nachgewiesen werden, und zwar an Müttern und Vätern (Übersicht in Salari et al. 2012). Zusammenhänge von mütterlicher und väterlicher Nachgiebigkeit mit emotionalen und sozialen Anpassungsschwierigkeiten der Kinder scheinen eher schwach ausgeprägt zu sein (Kliem et al. 2019; Miller 2001; Rhoades und O’Leary 2007).

1.2 Determinanten mütterlichen und väterlichen Erziehungsverhaltens

Naheliegend ist die Frage, welche Bedingungen dazu führen, dass Eltern dysfunktionale Erziehungsstile praktizieren. Ein von Belsky (1984) entwickeltes und von Taraban und Shaw (2018) aktualisiertes Prozessmodell systematisiert die verschiedenen Determinanten von Erziehung und Elternschaft. Diese betreffen elterliche Charakteristika (z. B. Persönlichkeit, biographische Erfahrungen, Psychopathologie), Merkmale des Kindes (z. B. Alter, Temperament) und den sozialen Kontext (z. B. Partnerschaftsqualität, soziale Unterstützung). In der vorliegenden Studie beziehen wir uns auf dieses Prozessmodell der Elternschaft, wenn wir Anzeichen für elterliche Depression oder Ärger bzw. eine negative Emotionalität des Kindes und die Partnerschaftszufriedenheit und partnerschaftliche Rollenverteilung in der Versorgung des Kindes untersuchen. Taraban und Shaw (2018) beschreiben die gestiegene Beteiligung von Vätern als wesentliche Neuerung bei der heutigen Kindererziehung verglichen mit früheren Generationen gemäß Belsky (1984). Dieser Erkenntnis folgend wird es unabdingbar, Einflüsse dieser Determinanten auf das Erziehungsverhalten differenziell für Mütter und Väter zu untersuchen und die Charakteristika und das Erziehungsverhalten des anderen Elternteils als zusätzliche Determinanten des sozialen Kontextes zu berücksichtigen. Da Väter und Mütter für unterschiedliche Entwicklungsaufgaben des Kindes zuständig sind und ihre Elternrollen verschieden ausüben können, ist davon auszugehen, dass sie ihr Erziehungsverhalten nebst determinierenden Bedingungen teilweise unterschiedlich beschreiben. Entsprechend zielt die vorliegende Studie darauf ab, die Systematik von Taraban und Shaw (2018) mit einer dyadischen Sichtweise auf Elternschaft durch Einbeziehung beider Eltern empirisch zu fundieren.

Es ist wissenschaftlich nicht abschließend geklärt, ob dysfunktionales Erziehungsverhalten als Mediator zwischen den Determinanten des Elternverhaltens und einer defizitären Entwicklung oder Gefährdung des Kindes fungiert, wie es z. B. das Family-Stress-Modell (Conger und Conger 2002) nahelegt, oder nicht (Kochanova et al. 2021; Maat et al. 2021). Die im Folgenden vorgestellten elterlichen, kindlichen und sozialen Charakteristika können bei negativer Ausprägung sowohl dysfunktionales Erziehungshandeln begünstigen als auch das Risiko für Misshandlung, Vernachlässigung und Entwicklungsschwierigkeiten von Kindern unmittelbar erhöhen (Belsky 1993; Stith et al. 2009).

1.2.1 Elterliche Charakteristika

Auf Seiten der Eltern wurde der mütterlichen Depressivität in der bisherigen Forschung Beachtung geschenkt, da sich diese oftmals in einem dysfunktionaleren Erziehungsverhalten ausdrücken und darüber vermittelt in negativer Eltern-Kind-Interaktion und Verhaltensproblemen von Kindern niederschlagen kann (Arnold et al. 1993; Kliem et al. 2019; Wekerle 1995). In Einklang mit Forschungsergebnissen zu mütterlicher Depressivität ist auch die väterliche Depressivität laut einem meta-analytischen Review mit weniger positivem und mehr negativem Erziehungsverhalten assoziiert (Wilson und Durbin 2010). In den Studien, die beide Eltern untersuchten, fanden die Forscherinnen keine signifikanten Unterschiede zwischen Vätern und Müttern hinsichtlich der Stärke des Zusammenhangs. Als weitere Determinante wird auch elterlicher Stress mit dysfunktionalem Erziehungsverhalten in Verbindung gebracht (Wekerle 1995). Cina und Bodenmann (2009) fanden hierzu, dass bei Eltern von zwei- bis zwölf-jährigen Kindern sowohl mütterlicher als auch väterlicher Stress mit dem jeweils eigenen nachsichtigen und überreagierenden Erziehungsverhalten assoziiert ist.

Gerade in Bezug auf harte Bestrafung des Kindes werden auch vermehrte Wutgefühle und die Neigung zum Ausdruck von Ärger als Persönlichkeitsmerkmale diskutiert, die das Erziehungsverhalten determinieren, weil sie unter Stress impulsive Reaktionen begünstigen können. Ärger hat sich bei Müttern und Vätern gleichermaßen als unmittelbar und vermittelt über negative Attributionen des kindlichen Verhaltens vorhersagekräftig für überreagierendes Erziehungsverhalten erwiesen (Leung und Slep 2006). Die Zusammenhänge mit überreagierendem und feindseligem Erziehungsverhalten können als insgesamt moderat und mit Nachgiebigkeit schwach bezeichnet werden (Rhoades und O’Leary 2007). Bei Müttern kann die Neigung zu Ärger auch mit einer negativen Emotionalität des Kindes (Fullerton et al. 2018) und dysfunktionalem Erziehungsverhalten in einem klinisch relevanten Bereich einhergehen (Morawska und Sanders 2007).

1.2.2 Kindliche Charakteristika

Taraban und Shaw (2018) heben eine negative Emotionalität, also häufiges Wut- und Trotzverhalten, als zentrales Element eines schwierigen kindlichen Temperaments als Determinante des Erziehungsverhaltens von Vätern und Müttern hervor: Kinder mit hoher negativer Emotionalität sind leichter übermäßig erregt und schwieriger zu beruhigen und stellen durch renitentes Verhalten höhere Anforderungen an die Eltern (Fullerton et al. 2018). Eine Meta-Analyse zeigt schwache Zusammenhänge zwischen höherer negativer Emotionalität und wenig unterstützendem Erziehungsverhalten und verstärkter restriktiver Kontrolle des Kindes (Paulussen-Hoogeboom et al. 2007). Die untersuchten Studien belegen zudem, dass der Zusammenhang zwischen negativer Emotionalität und restriktivem Erziehungsverhalten mit dem Alter des Kindes zunimmt und im elterlichen Selbstbericht höher ausfällt als bei einer Fremdbeurteilung. Ein schwieriges Temperament des Kindes muss sowohl als Disposition als auch als Folge negativer Erziehungserfahrungen angesehen werden, da bidirektionale Zusammenhänge – wie bei anderen Determinanten – wahrscheinlich sind (Taraban und Shaw 2018). Da der Fokus dieser Studie auf dem Erziehungsverhalten von Müttern und Vätern liegt, betrachten wir die negative Emotionalität des Kindes als Determinante elterlicher Erziehung.

1.2.3 Der soziale Kontext

Schließlich unterstreichen Taraban und Shaw (2018) die Bedeutung des sozialen Kontextes für Elternschaft, zu dem sie neben dem kulturellen Hintergrund auch die soziale Unterstützung innerhalb der Familie zählen. Familiäre Voraussetzungen bestehen in der Familienstruktur (z. B. Anzahl und Alter der Kinder) und im Ausmaß der Beteiligung des Vaters an der Versorgung und Erziehung des Kindes. Interessanterweise zählen zum väterlichen Engagement nicht nur Betreuungsaufgaben des Kindes, sondern auch die finanzielle Absicherung der Familie durch Erwerbsarbeit. Beispielsweise haben Morawska und Sanders (2007) nachgewiesen, dass neben der empfundenen Selbstwirksamkeit und geringen Stressbelastung von Müttern die Arbeitsauslastung von Vätern ein Schutzfaktor vor dysfunktionalem Erziehungsverhalten der Mütter in der frühen Kindheit ist. In ähnlicher Weise haben Dubowitz et al. (2000) auf die unterstützende Rolle von Vätern für Mütter mit vernachlässigendem Erziehungsverhalten hingewiesen, und zwar sowohl zur Unterstützung bei Betreuungsaufgaben als auch als Alleinverdiener. Ein unterstützendes väterliches Engagement in der Kindererziehung scheint zudem mit einem geringeren Misshandlungsrisiko seitens der Mütter verbunden zu sein (Guterman et al. 2009; Seilbeck und Liel in Vorbereitung).

Grundlage für ein väterliches bzw. wechselseitig unterstützendes elterliches Engagement ist allerdings die Partnerschaftsqualität. Diese beschreiben Taraban und Shaw (2018) als äußerst einflussstarke Determinante des sozialen Kontextes auf das Erziehungsverhalten. In einer Meta-Analyse errechneten Krishnakumar und Buehler (2000) einen moderaten bis hohen Zusammenhang zwischen hoher Partnerschaftsunzufriedenheit bzw. -konflikten mit hartem, nachgiebigen oder wenig unterstützendem Erziehungsverhalten, der mit Alter des Kindes und sozioökonomischem Status der Eltern zunimmt. Die hohe Variabilität von Einzelbefunden legt mehrere Erklärungen des Zusammenhangs nahe. Wahrscheinlich ist ein Spillover der elterlichen Partnerschaftsqualität auf das Erziehungsverhalten, es könnten aber auch kompensatorische (z. B. die Paarkonflikte ausgleichendes besonders strenges oder nachgiebiges Elternverhalten) oder abgeschottete Prozesse (z. B. sozial generell inkompetente bzw. unerfahrene Eltern) ausschlaggebend sein (Krishnakumar und Buehler 2000).

1.3 Forschungsfragen

Gegenstand der vorliegenden Studie ist die querschnittliche Untersuchung dysfunktionalen Erziehungsverhaltens von Müttern und Vätern in Familien mit Kindern zwischen ein und sechs Jahren. Aus der Darstellung von Taraban und Shaw (2018) folgern wir, dass sowohl elterliche, kindliche und soziale Kontextmerkmale dysfunktionales Erziehungsverhalten beeinflussen. Zusätzlich gehen wir einer systemischen Sichtweise auf dysfunktionale Elternschaft (Liel 2018) folgend davon aus, dass auch die Merkmale und das Erziehungsverhalten des anderen Elternteils einen Einfluss auf das Erziehungsverhalten ausüben. Cho (2015) folgend nehmen wir an, dass dysfunktionales Erziehungsverhalten von Vätern durch das von Müttern beeinflusst wird. Basierend auf unseren Annahmen aus der Forschungsliteratur wurden folgende Fragestellungen untersucht:

  1. 1.

    Welche Unterschiede zeigen sich im dysfunktionalen Erziehungsverhalten von Müttern und Vätern?

  2. 2.

    Welche elterlichen (Stress, Depression/Ängste, Ärger) und kindlichen Charakteristika (Alter, Geschlecht, Geschwisteranzahl, negative Emotionalität) sowie Merkmale des sozialen Kontexts (Rollenverteilung, Partnerschaftsunzufriedenheit) sind mit überreagierendem, feindseligem und nachlässigem Erziehungsverhalten von Müttern und Vätern assoziiert?

  3. 3.

    Tragen neben eigenen (Akteureffekte) auch psychosoziale Merkmale bzw. dysfunktionales Erziehungsverhalten des anderen Elternteils (Partnereffekte) zum dysfunktionalen Erziehungsverhalten von Müttern und Vätern bei?

2 Methode

2.1 Stichprobe

Die Daten wurden im Rahmen der Studienfolge Kinder in Deutschland (KiD 0–3) erhoben, die als wissenschaftliche Begleitforschung der Bundesinitiative Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen durch das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) durchgeführt wurde. Die hier genutzten Daten stammen aus der Folgebefragung des Jahres 2017. Aus der vorhergehenden nationalen Hauptstudie aus dem Jahr 2015 mit 8063 Familien mit Säuglingen und kleinen Kindern (Eickhorst et al. 2015; Liel et al. 2020) wurden 1625 Familien zur Folgebefragung eingeladen.

Zu Projektende lagen zu 1014 Kindern Fragebögen der Hauptbefragungsperson und zu 610 Kindern Fragebögen des Partners vor. Nach Plausibilitätsprüfungen zur Sicherstellung der Identifikation des Kindes und der Bezugspersonen aus der Hauptstudie anhand des Geburtsdatums bestand die finale Stichprobe aus 556 Familien. Sechs Fälle mit anderen Antwortpersonen als den Eltern wurden von den Analysen ausgeschlossen. Somit wurden 550 Angaben von Familien in die Analysen eingeschlossen, zu denen die Fragebögen jeweils von Mutter und Vater ausgefüllt vorlagen.

Die Mütter waren im Durchschnitt 36,3 Jahre alt (SD = 4,51), die Väter 39,2 Jahren (SD = 5,54). Die Antworten bezogen sich auf Kinder zwischen 16,1 und 68,6 Monaten (MW 34,1, SD 11,86). Der Großteil der Mütter (54,2 %) und der Väter (59,2 %) hat – wie in sozialwissenschaftlichen Wiederbefragungen üblich – einen hohen Bildungsabschluss (vgl. Tab. 1). Beide Elternteile stimmen zu 75,6 % darin überein, dass der Vater der Hauptverdiener ist. Die Angaben zur Betreuung des Kindes unterschieden sich, indem Mütter häufiger als Väter (77,0 % vs. 74,8 %) angaben, dass Mütter die Hauptbetreuungsperson seien. Bezogen auf die psychosoziale Belastungslage berichten Mütter signifikant häufiger als Väter Anzeichen einer Depression oder Angstsymptomatik (15,9 % vs. 9,1 %) und Neigung zu Ärger (18,0 % vs. 10,4 %).

Tab. 1 Deskriptive Statistik der Mütter und Väter (n = 550 Familien)

2.2 Instrumente

Der schriftliche Fragebogen enthielt Fragen zu Merkmalen des Kindes, zur psychosozialen Situation der Eltern, zur Eltern-Kind-Interaktion und zur soziökonomischen Lage der Familie sowie zu Unterstützungsangeboten für Familien. Die Variablen wurden jeweils für Mütter und Väter anhand validierter Instrumente untersucht. Sofern keine Normierungsvorgaben vorlagen, wurde ein Grenzwert beim 90. Perzentil festgelegt. Interkorrelationen zwischen den Variablen werden in einer Tabelle im ESM berichtet.

Erziehungsverhalten: Das dysfunktionale Erziehungsverhalten wurde mit der deutschen Übersetzung (Miller 2001) einer international etablierten Kurzform der Parenting Scale (Arnold et al. 1993) erhoben, die bereits an einem Sample von Müttern und Vätern drei bis siebenjähriger Kinder erprobt wurde (Werte für Gesamtskala Mütter: α = 0,68, r = 0,81; Väter: α = 0,65, r = 0,84; Rhoades und O’Leary 2007). Das Instrument erfasst die selbsteingeschätzte Verhaltenstendenz zur Disziplinierung des Kindes in schwierigen Erziehungssituationen in den letzten zwei Monaten (Naumann et al. 2010). Die Befragten müssen sich auf einer siebenstufigen Likert-Skala zwischen effektivem und ineffektivem Verhalten gegenüber dem Kind positionieren (Salari et al. 2012). Beispielsweise wird gefragt, ob der Elternteil bei ungezogenem bzw. unangemessenem Verhalten ruhig mit dem Kind spricht (1 = effektiv) oder die Stimme hebt oder es anschreit (7 = ineffektiv).

Die internationale Kurzform besteht aus 13 Items auf drei Subskalen (Rhoades und O’Leary 2007), die in der vorliegenden Studie eine akzeptable interne Konsistenz aufwiesen: Überreagieren (fünf Items; Mütter/Väter: α = 0,66/0,65, r = 0,25***), Nachgiebigkeit (fünf Items; M/V: α = 0,54/0,60, r = 0,25***) und Feindseligkeit (drei Items; M/V: α = 0,65/0,65, r = 0,31***). Bei der Subskala Überreagieren wurde ein Item ausgeschlossen, das eine geringe Trennschärfe aufwies. Es wurden die Skalenmittelwerte genutzt.

Soziodemographische Merkmale: Mithilfe des Fragebogens wurden Alter und Bildungsstand der Eltern, Alter und Geschlecht des Kindes und weitere minderjährige (Geschwister-)kinder im Haushalt erfasst. Der elterliche Bildungsstand wurde gemäß der International Standard Classification of Education (ISCED) basierend auf dem Schul- und Berufsabschluss in drei Gruppen kategorisiert.

Rollenverteilung: Beide Eltern wurden befragt, welcher Elternteil den größten Teil zum Haushaltseinkommen und welcher den größten Teil zur Kinderbetreuung beiträgt. Die Angaben wurden einheitlich rekodiert (1 = Hauptverdiener Vater bzw. Haubetreuungsperson Mutter, 0 = umgekehrt oder gleichverteilt).

Depression und Ängste: Für das Screening von Anzeichen einer Depression oder Angstsymptomatik wurde die normierte Kurzversion des Patient-Health-Questionnaires (PHQ-4) eingesetzt, für die eine gute interne Konsistenz (α = 0,82) und Konstruktvalidität nachgewiesen wurde (Löwe et al. 2010). Je zwei Fragen zur Häufigkeit von Beschwerden einer Depression (z. B. „Wie oft fühlten Sie sich im Verlauf der letzten 2 Wochen durch die folgenden Beschwerden beeinträchtigt? – Niedergeschlagenheit, Schwermut oder Hoffnungslosigkeit.“) und Angstsymptomatik (z. B. „Nicht in der Lage sein, Sorgen zu stoppen oder zu kontrollieren“) wurden auf einer vierstufigen Likert-Skala (0 = Überhaupt nicht; 3 = Beinahe jeden Tag) erhoben und der Summenwert anhand der deutschen Normierung (≥ 4) dichotomisiert (Kerper et al. 2014). In der vorliegenden Stichprobe lag die interne Konsistenz bei α = 0,78 (Mütter) bzw. α = 0,74 (Väter).

Ärger: Mittels der beiden Items „Ich bin oft innerlich wütend“ und „Viele Dinge machen mich ärgerlich“ aus dem Child-Abuse-Potential-Inventory (CAPI; Milner 1986) wurde die elterliche Neigung zum Ausdruck von Ärger untersucht. Die beiden Merkmale wurden in der vorliegenden Stichprobe vierstufig erhoben (Max. 6, Cut.Off ≥ 3), die interne Konsistenz als Skala lag bei α = 0,74 (Mütter) bzw. α = 0,78 (Väter).

Stress: Das subjektive Stressempfinden im letzten Monat wurde mit der Kurzfassung der Perceived Stress Scale (PSS‑4; Cohen et al. 1983) in der Übersetzung von Engling (2013) gemessen, die eine gute Konsistenz (α = 0,82–0,84) und Test-Retest-Reliabilität aufweist. Die Fragen (z. B. „Wie oft hatten Sie das Gefühl, dass sich die Dinge nicht nach Ihren Vorstellungen entwickeln?“) wurden fünfstufig erhoben, sodass höhere Werte mehr Stresserleben abbilden (Max. 16, Cut-Off ≥ 10). Die interne Konsistenz lag bei lag bei α = 0,78 (Mütter) und α = 0,75 (Väter).

Partnerschaftsunzufriedenheit: Für die Kurzform der Dyadic Adjustment Scale (DAS-4) wurde in verschiedenen Studien eine hervorragende Konsistenz (α = 0,91) sowie sehr gute Reliabilität gefunden (Sabourin et al. 2005). Sie erfasst, wie zufrieden die Befragten in ihrer Partnerbeziehung sind (z. B. „Können Sie sich auf Ihren Partner verlassen, vertrauen Sie ihm?“). Ein siebenstufiges bzw. drei sechsstufige Items wurden invertiert kodiert, sodass höhere Werte eine geringere Partnerschaftszufriedenheit abbilden und der Summenwert (Max. 16) anhand des internationalen Cut-Offs (≥ 8) dichotomisiert. In unserer Stichprobe wurde eine sehr gute interne Konsistenz gemessen (Mütter/Väter: α = 0,81/0,80).

Negative Emotionalität des Kindes: Die Emotionsdysregulation des Kindes wurde mithilfe der gleichnamigen Subskala eines Screening-Instruments zur Früherkennung von Entwicklungsauffälligkeiten gemessen, die bei der Validierung eine gute interne Konsistenz (α = 0,83) und Konstruktvalidität gezeigt hat (Kübber 2014). Die Subskala umfasst sechs Items (z. B. „Mein Kind ist zum jetzigen Zeitpunkt oft sehr trotzig“) mit einem vierstufigen Antwortformat (Max. 18, Cut-Off ≥ 7) und wurde in unserer Studie metrisch berücksichtigt. Die interne Konsistenz lag bei α = 0,77 für Mütter und für Väter.

2.3 Datenanalyse

Die Analysen der Daten wurden mit den Statistikprogrammen SPSS (Version 22.0.) und R (Version 1.2.5033) durchgeführt. Signifikante Unterschiede zwischen Müttern und Vätern wurden mittels Testverfahren für verbundene Stichproben von metrischen (T-Test), kategorialen (Friedmann-Test) und dichotomen Variablen (McNemar Test) bestimmt. Zur unabhängigen Untersuchung von Einflussfaktoren auf das mütterliche und väterliche Erziehungsverhalten kamen lineare Regressionen zum Einsatz. Um der gleichzeitig auch abhängigen Datenstruktur Rechnung zu tragen, wurde der dyadische Einfluss der Charakteristika von beiden Elternteilen auf das Erziehungsverhalten eines Elternteils bestimmt (Cook und Kenny 2005). Mittels Actor-Partner-Interdependence-Modellen (APIM) wurden Einflüsse der unabhängigen Variable (UV) von Elternteil A auf die abhängige Variable (AV) von Elternteil A (Akteureffekte) und der UV von Elternteil B auf die AV von Elternteil A (Partnereffekte) und vice versa berechnet. Signifikante sozioökonomische Merkmale aus den multiplen Regressionsanalysen wurden als Kontrollvariablen mit in die APIMs aufgenommen.

3 Ergebnisse

3.1 Unterschiede im Erziehungsverhalten von Müttern und Vätern

In Tab. 1 sind Ergebnisse der T‑Tests für den Vergleich des mütterlichen und väterlichen Erziehungsverhaltens aufgeführt. Während Mütter im Vergleich zu Vätern im Mittel mehr überreagierendes Erziehungsverhalten berichten, weisen Väter im Mittel höhere Werte bei Feindseligkeit und Nachgiebigkeit auf.

3.2 Determinanten von mütterlichem und väterlichem Erziehungsverhalten

Anschließend wurden in linearen Regressionsmodellen die Einflussfaktoren des mütterlichen bzw. väterlichen Erziehungsverhaltens untersucht. Sozioökonomische Merkmale, Rollenverteilung, psychosoziale Merkmale des Elternteils sowie Merkmale des Kindes wurden schrittweise einbezogen. Die Ergebnisse sind in Tab. 2 für Mütter und Väter getrennt dargestellt.

Tab. 2 Lineare Regressionsmodelle für überreagierendes, feindseliges und nachgiebiges Erziehungsverhalten von Müttern und Vätern

In beiden Modellen gehen Alter und negative Emotionalität des Kindes mit einem höheren überreagierenden Erziehungsverhalten einher. Überreagierendes Erziehungsverhalten von Müttern wird durch eine traditionelle Rollenverteilung, Depression/Ängste und Ärger beeinflusst, überreagierendes Erziehungsverhalten von Vätern durch Ärger und weitere Kinder im Haushalt. Feindseliges Erziehungsverhalten hängt bei Müttern und Vätern mit eigenem Ärger und negativer Emotionalität des Kindes zusammen. Bei Müttern sind ein niedriger Bildungsstand und das Alter des Kindes weitere Einflussfaktoren. Bei beiden Eltern hängen eine negative Emotionalität des Kindes und fehlende Geschwister mit Nachgiebigkeit zusammen, jedoch zeigen die Modelle wenig weitere Übereinstimmung. Bei Partnerschaftsunzufriedenheit sind Mütter verstärkt nachgiebig und Väter weniger nachgiebig. Nachgiebiges Erziehungsverhalten von Vätern wird durch Armutsgefährdung und Stress begünstigt.

3.3 Akteur- und Partnereffekte von psychosozialen Elternmerkmalen und Erziehungsverhalten

Weiter wurde überprüft, inwiefern psychosoziale Merkmale und das Erziehungsverhalten des anderen Elternteils mit dysfunktionalem Erziehungsverhalten von Müttern und Vätern assoziiert sind. Akteureffekte beziehen sich auf das Merkmal des untersuchten Elternteils und Partnereffekte das selbige Merkmal des anderen Elternteils. Die APIMs sind in Tab. 3 zusammengefasst.

Tab. 3 Einfluss psychosozialer Elternmerkmale und Elternverhalten auf überreagierendes, feindseliges und nachgiebiges Erziehungsverhalten

Die Ergebnisse zu überreagierendem und feindseligem Erziehungsverhalten sind miteinander vergleichbar im Hinblick auf den Einfluss psychosozialer Elternmerkmale und das jeweils andere Elternverhalten. Nahezu alle Akteureffekte sind relevant. Die Effektstärken der Merkmale Depression/Ängste und Ärger sowie der feindseligen bzw. überreaktiven Erziehungsdimension fallen moderat bis hoch aus. Die Effektstärken von Stress und Partnerschaftsunzufriedenheit sind demgegenüber schwächer ausgeprägt. Die Ergebnisse der Analysen zu nachgiebigem Erziehungsverhalten fallen differenzierter aus: Akteureffekte liegen bei beiden Elternteilen nur für Stress und Ärger vor. Weitere Akteureffekte (Depression/Ängste, Partnerschaftsunzufriedenheit und Überreagieren) sind nur bei Müttern zu finden.

Partnereffekte von psychosozialen Merkmalen bestehen bei feindseligem und nachgiebigem, aber nicht bei überreagierendem, Erziehungsverhalten. Partnerschaftsunzufriedenheit der Väter ist mit feindseligem und mit nachgiebigem Erziehungsverhalten von Müttern assoziiert. Ein weiterer Partnereffekt zeigt sich von Ärger der Mütter auf nachgiebiges Erziehungsverhalten von Vätern. Andere Partnereffekte weisen die Modelle nicht auf.

Innerhalb des Erziehungsverhaltens zeigen sich zwei Partnereffekte: Überreagierendes Erziehungsverhalten von Müttern wird durch nachgiebiges Erziehungsverhalten der Väter beeinflusst und nachgiebiges Erziehungsverhalten von Müttern durch überreagierendes Erziehungsverhalten der Väter.

Alle mittels linearer Regression gemessenen Effektstärken sowie die Partnereffektstärken der APIMs sind gemäß Konvention als klein bis mittel zu bewerten. Die Akteureffektstärken der APIMs sind als groß anzusehen.

4 Diskussion

Das Ziel der vorliegenden Studie war es, das mütterliche und väterliche Erziehungsverhalten in drei dysfunktionalen Subdimensionen bei Familien mit Kindern im Krippen- und Kindergartenalter in Deutschland zu untersuchen. Dazu wurde überprüft, ob sich mütterliches und väterliches Erziehungsverhalten innerhalb derselben Familie unterscheidet und welche elterlichen (Depression/Ängste und Ärger) und kindlichen Charakteristika (Alter, negative Emotionalität) sowie Merkmale des sozialen Kontexts (Rollenverteilung, Partnerschaftsunzufriedenheit) es unabhängig und abhängig voneinander beeinflussen. Wir gingen einer Familiensystemperspektive folgend der Frage nach, ob psychosoziale Merkmale und das Erziehungsverhalten des anderen Elternteils Einfluss auf das Erziehungsverhalten von Müttern und Vätern ausüben. Die Ergebnisse sind konsistent mit dem Forschungsstand, der überwiegend Gemeinsamkeiten und wenige Unterschiede zwischen Müttern und Vätern ausweist (Beckerman et al. 2018; Putnick et al. 2015), weshalb die gemessenen Effektstärken überwiegend schwach ausfallen.

4.1 Unterschiede im Erziehungsverhalten von Müttern und Vätern

Bezüglich unserer ersten Fragestellung zeigten sich konsistente signifikante Unterschiede in allen Dimensionen dysfunktionalen Erziehungsverhaltens zwischen Müttern und Vätern. Mütter beschreiben sich im Mittel überreagierender und Väter feindseliger und nachgiebiger als der andere Elternteil. Bei beiden Eltern wurden geringere Mittelwerte von Feindseligkeit im Vergleich zu den anderen Subskalen gefunden. Die Mittelwerte aller Subskalen unterscheiden sich allerdings kaum von der internationalen Befundlage zur Parenting Scale (Rhoades und O’Leary 2007), weshalb dies keine Besonderheit dieser Studie ist und vielmehr für die Gültigkeit der Befunde spricht.

Höhere Werte der Mütter bei überreagierendem Erziehungsverhalten könnten zum Teil dadurch erklärt werden, dass Mütter – häufiger als Väter – die regelmäßige Betreuung junger Kinder übernehmen und sich ihnen dadurch mehr Gelegenheiten bieten, ihre Kinder zu disziplinieren. Allerdings wurde diese Hypothese in einer Studie von Lee et al. (2015) empirisch nicht bestätigt. Da die Unterschiede in dieser Studie insgesamt klein ausfallen, scheinen die Gemeinsamkeiten zwischen Müttern und Vätern zu überwiegen.

4.2 Determinanten des Erziehungsverhaltens

Die Studie weist verschiedene elterliche, kindliche und soziale Merkmale als Determinanten des Erziehungsverhaltens aus, die sich in Abhängigkeit von der Form des dysfunktionalen Erziehungsverhaltens unterscheiden. Die Akteureffekte in den dyadischen Modellen (APIM) legen nahe, dass die getesteten elterlichen Merkmale tatsächlich Risikofaktoren für dysfunktionales Erziehungsverhalten sind.

Insgesamt scheinen Gemeinsamkeiten zwischen den Eltern zu überwiegen, da die multiple Regression nur vereinzelt Unterschiede zwischen Müttern und Vätern mit vergleichsweise schwachen Effektstärken erbracht hat. Als Determinante überreagierenden Erziehungsverhaltens von Müttern wurden Anzeichen einer Depression bzw. Angstsymptomatik identifiziert, während Stress nachgiebiges Erziehungsverhalten von Vätern determiniert. Beide Determinanten sind für dysfunktionales und kindeswohlgefährdendes Elternverhalten empirisch gut belegt (Liel 2018; Stith et al. 2009). Weitere Aufklärung verlangt, dass Partnerschaftsunzufriedenheit zwar nachgiebiges Erziehungsverhalten beider Eltern beeinflusst, bei Müttern allerdings ein positives und bei Vätern ein negatives Vorzeichen aufweist. Möglicherweise sind Mütter durch Partnerschaftsprobleme stärker belastet und neigen deshalb zu mehr Nachgiebigkeit gegenüber dem Kind oder möchten Belastungen des Kindes durch Paarkonflikte durch nachgiebiges Elternverhalten abmildern. Bei Vätern scheinen Partnerschaftskonflikte einen gegenteiligen Effekt zu haben, indem sie weniger nachgiebiges, d. h. möglicherweise auch rigideres Erziehungsverhalten begünstigen können.

Merkmale des sozialen Kontexts zeigen sich insofern relevant, als dass die traditionelle Rollenverteilung mit dem Vater als Hauptverdiener mit mütterlichem Überreagieren assoziiert ist. Die in dieser Konstellation mehr mit dem Kind alleine verbrachte Zeit könnte möglicherweise mütterliches Überreagieren begünstigen (Arnold und O’Leary 1997; Kendziora und O’Leary 1993). In dieser sozioökonomisch überwiegend gering belasteten Stichprobe scheint das Risiko einer traditionellen Rollenverteilung den Nutzen durch finanzielle Absicherung zu überwiegen, der sich in einer Risikostichprobe gezeigt hat (Dubowitz et al. 2000). Dies ist beachtlich, weil wir an anderer Stelle zeigen, dass väterliches Engagement in der Kindererziehung mit weniger mütterlichem Kindesmisshandlungsrisiko einhergeht, insbesondere wenn der Vater sich an Versorgungsaufgaben beteiligt, die emotionale Zuwendung zum Kind erfordern (z. B. das Kind ins Bett bringen; Seilbeck und Liel in Vorbereitung). In der vorliegenden Studie beeinflusst der sozioökonomische Status der Familie in Form von Armutsgefährdung die väterliche Nachgiebigkeit. Beide Merkmale – Alleinverdiener und Armutsgefährdung – sind als väterspezifische Schutz- bzw. Risikofaktoren mit Studien belegt (Metzner und Pawils 2021).

Negative Emotionalität des Kindes ist eine konsistente Determinante aller drei dysfunktionalen Dimensionen des Erziehungsverhaltens von Müttern und Vätern. Der Forschungsstand weist darauf hin, dass das elterliche Erziehungsverhalten und das kindliche Temperament maßgeblich zusammenhängen (Paulussen-Hoogeboom et al. 2007). Aufgrund der Erfassung dieses Merkmals im elterlichen Selbstbericht konnte nicht kontrolliert werden, ob die Kinder von Eltern mit dysfunktionalem Erziehungsverhalten tatsächlich eine höhere negative Emotionalität aufweisen oder Eltern mit einem solchen Verhalten die Emotionalität der Kinder negativer wahrnehmen. Die Wirkrichtung kann mit dieser Querschnittsstudie nicht geklärt werden.

Während in unserer Studie das Geschlecht des Kindes keine Rolle für das Erziehungsverhalten der Eltern spielt, beeinflusst das Alter des Kindes überreagierendes Verhalten beider Eltern und feindseliges Verhalten der Mutter. Dies ist durchaus verständlich, da ein ähnliches Verhalten des Kindes abhängig vom Alter und Entwicklungsstand des Kindes und der Dauer des gezeigten Verhaltens unterschiedlich beurteilt werden kann, d. h. die Akzeptanz von problematisch erlebtem Verhalten seitens der Eltern eher abnimmt und dysfunktionales Erziehungshandeln wahrscheinlicher wird (Paulussen-Hoogeboom et al. 2007). Keine solche Altersabhängigkeit hat sich hingegen für nachgiebiges Erziehungsverhalten gezeigt. Die Anzahl der Geschwister trägt zu vermehrt überreagierendem und zu weniger nachgiebigem Verhalten des Vaters bei. Ob dieser Effekt auf die im Vergleich mit der Mutter geringere Erziehungspraxis mit mehreren Kindern aufgrund der weniger mit den Kindern verbrachten Zeit und einer dadurch eventuell schnelleren Überforderung zurückzuführen ist, kann mit dieser Studie nicht abschließend geklärt werden. Hier besteht weiterführender Forschungsbedarf.

4.3 Partnereffekte von Elternmerkmalen und Erziehungsverhalten

Die Studie zeigt fünf Partnereffekte auf das elterliche Erziehungsverhalten. Mehrheitlich beeinflussen väterliche Merkmale dysfunktionales Erziehungsverhalten von Müttern. Umgekehrt beeinflusst nur mütterlicher Ärger nachgiebiges Erziehungsverhalten von Vätern. Dies könnte als Hinweis auf komplementäre Eigenschaften der Eltern oder auf eine väterliche Neigung zu ausgleichendem, evtl. auch sich enthaltendem Erziehungshandeln bei erhöhter Impulsivität von Müttern gesehen werden. Auf der Ebene des Erziehungsverhaltens spiegelt sich ein ausgleichendes Verhalten nicht wider, d. h. mütterliches Überreagieren oder Feindseligkeit gegenüber dem Kind zeigte in dieser Studie keinen Zusammenhang mit der Nachgiebigkeit von Vätern.

Weitere Befunde dieser Studie stützen die theoretischen Überlegungen von Taraban und Shaw (2018). Als sozialer Kontextfaktor zeigt sich Partnerschaftsunzufriedenheit mit zwei Partnereffekten auf elterliches Erziehungsverhalten, die nahezu durchgängig vorliegende Akteureffekte ergänzen. Partnerschaftsunzufriedenheit der Väter beeinflusst überreagierendes und nachgiebiges Erziehungsverhalten von Müttern. Mütterliches Überreagieren und Nachgiebigkeit wird von eigener Partnerschaftsunzufriedenheit beeinflusst, d. h. die Sicht auf Paardistress wird möglicherweise wechselseitig geteilt. Als Erklärungen bieten sich wie von Krishnakumar und Buehler (2000) skizziert (a) ein Spillover der negativen Partnerschaftserfahrungen auf das Erziehungsverhalten als auch (b) den Paardistress kompensierendes oder ausgleichendes Erziehungsverhalten der Mütter an.

Zudem zeigt diese Studie komplementäre Wechselwirkungen bei überreagierendem und nachgiebigem Erziehungsverhalten von Vätern auf Mütter, d. h. nachgiebiges Erziehungsverhalten der Väter begünstigt überreagierendes der Mütter und überreagierendes der Väter begünstigt nachgiebiges Erziehungsverhalten der Mütter. Diese Wirkrichtung widerspricht unseren Erwartungen basierend auf der Längsschnittstudie von Cho (2015). Die Befunde stützen die Sichtweise auf die Mutter als primäre Bezugsperson mit großem, aber nicht unabhängigem Einfluss auf die Erziehung des Kindes, da sie auf unterstützendes väterliches Engagement angewiesen ist und fehlendes bzw. falsches Erziehungsverhalten des Vaters auszugleichen oder zu kompensieren versucht. Unsere Studie zeigt den Vater als sekundäre Bezugsperson mit einem sowohl direkten als auch indirekten Einfluss auf die kindliche Sozialisation durch Beeinflussung der Mutter mit seinem Erziehungsverhalten.

Damit unterstützen diese Partnereffekte eine systemische Sichtweise auf Elternschaft, bei der soziale Kontextfaktoren wie Partnerschaftsunzufriedenheit und Erziehungsverhalten des anderen Elternteils dysfunktionales Erziehungsverhalten begünstigen können. Dies ist der wesentliche Beitrag der vorliegenden Studie.

4.4 Limitationen

Die Ergebnisse der Studie müssen im Lichte ihrer Limitationen betrachtet werden. Die Stichprobe wurde aus einer groß angelegten repräsentativen Studie rekrutiert (Liel et al. 2020). Die vorliegenden Analysen beziehen sich auf eine Folgestudie im Postversand mit Abstand von zwei Jahren zur Erstbefragung. Entsprechend zeigen sich Selektionseffekte, die in einer geringeren Beteiligung sozioökonomisch belasteter und gering gebildeter Familien resultieren. Obwohl es eine Stärke dieser Studie darstellt, dass beide Eltern befragt wurden, konnte damit nur eine der Familienformen untersucht werden, in denen Kinder in Deutschland aufwachsen. Partnerschaftsunzufriedenheit zeigt sich als Einflussfaktor auf dysfunktionales Erziehungsverhalten, wurde aber bei getrenntlebenden Eltern mit einem z. T. höheren Konfliktniveaupotential nicht untersucht. Zudem basieren die Analysen auf einem querschnittlichen Design.

Weiterhin einschränkend wirkt die Erfassungsmethode des Erziehungsverhaltens im elterlichen Selbstbericht. Somit bleibt unklar, inwieweit das Verfahren eher Einstellungen oder tatsächliches Erziehungsverhalten abbildet. Immerhin lagen zur Parenting Scale bereits Erfahrungen mit Müttern und Vätern vor (Miller 2001; Rhoades und O’Leary 2007), die im Rahmen der Validierung einer deutschen Kurzfassung zwischenzeitlich bestätigt wurden (Kliem et al. 2019). Die hier verwendete internationale Kurzform wurde in Deutschland zumindest an einer kleinen klinischen Stichprobe getestet (Liel et al. 2021).

4.5 Schlussfolgerung

Zusammenfassend zeigt der hier vorliegende Beitrag die zentrale Bedeutung einer Familiensystemperspektive auf das elterliche Erziehungsverhalten auf, die sich vor dem Hintergrund sich wandelnder Bedingungen von Elternschaft zukünftig stärker in der Theorienentwicklung abbilden sollte. Der Einbezug beider Elternteile und die (wechselseitig unabhängige und abhängige) Gegenüberstellung der Perspektiven von Müttern und Vätern aus derselben Familie sind der große Mehrwert dieser Studie. Diese Betrachtungsweise von Müttern und Vätern hat viele übereinstimmende Parameter erbracht, aber auch Unterschiede in ihrer Ausprägung und Bedeutung für dysfunktionales Erziehungsverhalten, was eine genderspezifische Sichtweise Elternschaft und der Rollen von Müttern und Vätern nahelegt. Bei in einem Haushalt zusammenlebenden Familien ist das Erziehungsverhalten der Hauptbezugsperson nicht unabhängig von der zweiten Bezugsperson des Kindes, wie der komplementäre und gerichtete Zusammenhang des väterlichen mit dem mütterlichen Erziehungsverhalten zeigt.