1 Einleitung

Solide Kenntnisse der Mathematik stellen nicht nur in den MINT-Fächern, sondern auch in weniger ‚rechenintensiven‘ Disziplinen wie beispielsweise Soziologie oder Psychologie eine wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Studium dar (Bebermeier und Nussbeck 2016; Fleischer et al. 2019; Müller et al. 2018; Reiss et al. 2009). Gerade diesbezüglich werden aber seit geraumer Zeit Mängel bei Studienanfängern an deutschen Hochschulen festgestellt (Cramer et al. 2015; Cramer und Walcher 2010; Knospe 2012; Schwenk-Schellschmidt 2013). Zwar zieht sich das Wehklagen über die Studier(un)fähigkeit von Studienanfängern fast leitmotivisch durch die neuere deutsche Hochschulgeschichte (Hanft 2015; Stary 1994), aus empirischer Sicht erscheint dieses im Hinblick auf Mathematik aber nicht unbegründet. Knospe (2012) berichtet Längsschnittdaten eines mathematischen Eingangstests, der zwischen 2002 und 2011 jährlich an 13 nordrheinwestfälischen Fachhochschulen durchgeführt wurde. Die über 26.000 getesteten Studienanfänger der Ingenieurswissenschaften und der Informatik wiesen dabei über den kompletten Beobachtungszeitraum im statistischen Mittel „alarmierend schwache Grundlagenkenntnisse“ (Knospe 2012, S. 23) auf. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass dies keinesfalls nur ein deutsches Phänomen ist (McCormick und Lucas 2011; Thomas et al. 2015). Ungeachtet der Frage, ob das mathematische Vorwissen der Studienanfänger tatsächlich zu gering ist oder die Erwartungshaltung der Hochschullehrer zu hoch ansetzt, besteht unmittelbar evident eine Diskrepanz.

Um diesem Problem zu begegnen, werden an den meisten Hochschulen in Deutschland vor Studienbeginn vorbereitende Mathematikvor- bzw. -brückenkurse angeboten. Durch eine Wiederholung von Mittel- und Oberstufenmathematik sollen diese Kurse Wissensdefizite der Teilnehmer kompensieren und so zu einer Harmonisierung des Leistungsniveaus beitragen. Das Vorkurskonzept basiert in der Regel auf Freiwilligkeit und damit auf der Annahme, dass diejenigen einen Vorkurs aus eigenem Antrieb besuchen werden, die auch entsprechende Defizite aufweisen. Ob das in der Realität aber auch der Fall ist, ist kaum untersucht. Denn auch der umgekehrte Fall wäre denkbar und wird von Praktikern geschildert: Sie beschreiben, dass mitunter gerade diejenigen Vorkurse aufsuchen, die bereits über ein hohes mathematisches Qualifikationsprofil und allgemein günstige Lernvoraussetzungen verfügen (Haase 2014; Weinhold 2014). Ein solches Verhalten wäre zwar kontraintendiert, von einem motivationspsychologischen Standpunkt aus betrachtet aber kaum überraschend.

2 Stand der Forschung

Kognitiv ausgerichteten motivationspsychologischen Modellen folgend, wählen Menschen zwischen verschiedenen Handlungsoptionen grundlegend diejenige aus, bei der das Produkt aus dem Handlungswert und dessen Realisationswahrscheinlichkeit maximal ist (Beckmann und Heckhausen 2018). Solche Erwartungs-mal-Wert-Ansätze ließen sich auch in Modelle der Leistungsmotivation integrieren (z. B. Wigfield und Eccles 2000) und haben sich in Bezug auf Bildungsaspirationen und -entscheidungen als erklärungsmächtig erwiesen (Guo et al. 2017; Köller et al. 2000). Auch leistungsmotiviertes Verhalten in Schule und Studium resultiert demnach aus dem Zusammenspiel einer Wert- und einer Erwartungskomponente. Die Wertkomponente umfasst persönliche Bedeutsamkeit, intrinsischen und instrumentellen Wert sowie Kosten, die einer Handlung zugeschrieben werden können. Die Erwartungskomponente resultiert hingegen aus der angenommenen Wahrscheinlichkeit, bei einer Handlung erfolgreich zu sein und steht damit in engem Zusammenhang mit dem Fähigkeitsselbstkonzept. Legte man diesen Ansatz zugrunde, ergäbe sich für mathematikaffine und begabte Studienanfänger ein tendenziell höherer Anreiz, einen Vorkurs zu besuchen, weil die Beschäftigung mit Mathematik für sie höherwertiger und Erfolgserlebnisse im Vorkurs als wahrscheinlicher anzusehen sind. Zwar ließe sich argumentieren, der Vorkursbesuch müsste gerade für Studienanfänger mit schwächer ausgeprägten mathematischen Kompetenzen von höherem Wert erscheinen, weil er die Chancen für ein erfolgreiches Studium erhöhe. Eine solche Betrachtung vernachlässigt aber die Wertdiskontierung, der die kognitive Bewertung zukünftiger Ereignisse unterliegt (Wüst und Beck 2009). Während die Kosten eines Vorkursbesuchs hier und jetzt anfallen, liegen die Erträge in Form erfolgreicher Prüfungen und eines Studienabschlusses in einer entfernten und unsicheren Zukunft.

Auch bedürfnisorientierte Motivationstheorien können als Erklärung für ein kontraintendiertes Vorkurswahlverhalten herangezogen werden. Nach Deci und Ryan (1993) sind Kompetenzerleben, Selbstbestimmung und soziale Eingebundenheit dem Menschen angeborene Grundbedürfnisse und erweisen sich als zentral für die Ausbildung habituellen Verhaltens. Menschen folgen bestimmten Handlungszielen und suchen genau solche Situationen auf, in denen diese Bedürfnisse befriedigt werden, meiden wiederum andere, die dem entgegenstehen. So gestalten und wählen Personen ihre Umwelt in einer Weise, die eine möglichst gute Passung zur eigenen Persönlichkeit herstellt, was letztlich auch zur kumulativen Stabilisierung der Persönlichkeit führt (Asendorpf und Neyer 2012; Caspi et al. 1989). Haben Personen sich bei der Bewältigung mathematischer Aufgaben als selbstbestimmt, kompetent und sozial eingebunden erlebt, werden sie solche Situationen wieder aufsuchen wollen. Gelang ihnen das nicht, werden sie eher dazu tendieren, diese Bedürfnisse in anderen Domänen zu befriedigen. Auf diese Weise tragen diese Grundbedürfnisse auch zur Genese des Fähigkeitsselbstkonzepts bei, das wiederum bedeutsam für nachfolgende bildungs- und berufsbezogene Auswahlentscheidungen ist (Heine et al. 2005).

Aus motivationspsychologischer Perspektive muss ein Mathematikvorkurs also nicht primär eine Lerngelegenheit darstellen, bei der Wissensdefizite ausgeglichen werden können. Vielmehr könnten gute, interessierte und leistungsmotivierte Studienanfänger darin auch eine Möglichkeit sehen, ihrem Interesse an der Mathematik nachzugehen, sich unter Gleichgesinnten sozial eingebunden und kompetent zu erleben und ihre Erfolgschancen im Studium weiter zu verbessern. Umgekehrt wäre es plausibel anzunehmen, dass Studienanfänger, die schon in ihrer Schulzeit nur ein geringes Interesse an Mathematik oder in Folge negativer Leistungsrückmeldungen ein schwaches mathematisches Selbstkonzept entwickeln konnten, den Besuch des Mathematikvorkurses eher meiden könnten. In der Folge hieße das, dass der gegenwärtig praktizierte Modus nicht zur intendierten Negativselektion führt und das Format damit seinen Zweck, die Anhebung und Harmonisierung des Leistungsniveaus, nur eingeschränkt erfüllen kann oder ihm möglicherweise sogar entgegensteht.

Obwohl mathematische Kompetenzen von besonderer Bedeutung für den Studienerfolg in einer Reihe von Disziplinen sind und aus motivationspsychologischer Sicht Gründe für die Annahme bestehen, dass das Teilnahmeverhalten an Mathematikvorkursen nicht der intendierten Form folgen könnte, existieren hierzu nur wenige empirische Untersuchungen. Das ist insofern bemerkenswert, als dass ein kontraintendierter Befund das Vorkurskonzept im Grunde genommen ad absurdum führen würde. In dem Fall würden Vorkurse nämlich nicht zu einer Harmonisierung beitragen, sondern im Extremfall Leistungsunterschiede sogar noch vergrößern. Die Begleitforschung zu Mathematikvorkursen fokussiert hauptsächlich entweder auf didaktische Konzepte oder bestimmt evaluativ die Wirksamkeit konkreter Angebote (z. B. Bausch et al. 2014; Greefrath und Hoever 2016; Hoppenbrock et al. 2016; Roth et al. 2015). Determinanten des Teilnahmeverhaltens oder Dispositionsunterschiede von Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern finden wenig Beachtung. Roegner (2012, zitiert nach Roegner et al. 2014) berichtet Befragungsergebnisse (N = 1269) aus einem Online-Mathematik-Brückenkurs der Technischen Universität Berlin. Nur 15 % der Teilnehmer bewerteten demnach vor Beginn des Vorkurses ihre Fertigkeiten in Mathematik als (eher) schlecht, 53 % hatten in der Schule einen Mathematik-Leistungskurs besucht. Greefrath et al. (2017) berichten Zahlen zum Vorkurs der Universität Kassel. In den Studiengängen Informatik und Elektrotechnik (N = 707) lag der Anteil der Leistungskursabsolventen unter den Vorkursteilnehmern bei etwa 23 %. Voßkamp und Laging (2014) untersuchten ebenfalls an der Universität Kassel das Teilnahmeverhalten bei Studenten der Wirtschaftswissenschaften nach Geschlecht und Schulabschluss (N = 246). Während sich in Bezug auf das Geschlecht keine Unterschiede im Teilnahmeverhalten zeigten, bestand eine leicht höhere Teilnahmequote bei Abiturienten (57 %) gegenüber Fachabiturienten (47 %). Wie die Ergebnisse mathematischer Eingangstests aber zeigen, verfügen Fachabiturienten in der mittleren Tendenz über größere Wissensdefizite als Abiturienten (Knospe 2012). Als Gründe für die Teilnahme gaben in der Untersuchung von Voßkamp und Laging (2014) etwas mehr als 60 % mathematische Defizite an. Aber auch das Motiv, Campus und Kommilitonen kennenlernen zu können, erwies sich als fast gleichermaßen wichtig. Als Grund gegen die Teilnahme dominierte mit über 70 % die räumliche und zeitliche Verfügbarkeit. Tieben (2019) untersuchte auf Basis von Befragungsdaten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) das Teilnahmeverhalten von Ingenieursstudenten (N = 986). Vorkursteilnehmer an Fachhochschulen waren dabei etwas älter (Cohens d = 0,23) und fühlten sich etwas schlechter auf ihr Studium vorbereitet (d = −0,19). An Universitäten besaßen die Vorkursteilnehmer hingegen eine etwas ausgeprägtere Studienbindung (d = 0,13) und Leistungsorientierung (d = 0,14) und hatten Eltern mit marginal statusniedrigeren Berufen (d = −0,16).Footnote 1 In Anbetracht der standardisierten Mittelwertdifferenzen sind die Unterschiede aber als sehr klein und mitunter sogar als trivial zu bewerten. In den übrigen untersuchten Merkmalen zeigten sich keinerlei signifikante Unterschiede zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern. Dazu zählen insbesondere die Art der Hochschulzugangsberechtigung, die Abiturdurchschnittsnote, die letzte Mathematikhalbjahresnote und das akademische Selbstkonzept. Mit den zitierten Studien liegen empirische Hinweise und Belege vor, die (1) gegen die Annahme einer ausschließlich defizitorientierten Selbstselektion der Teilnehmer sprechen und (2) dass Teilnahme oder Nicht-Teilnahme auch in relevantem Ausmaß durch lebensweltliche Umstände bestimmt zu sein scheinen.

Zur Bedeutung leistungsassoziierter Persönlichkeitsmerkmale für die Teilnahme an Mathematikvorkursen liegen nach Kenntnisstand der Autoren bisher keine Studien vor. Allerdings existiert eine Reihe von Untersuchungen zu schul- und studienbezogenem Kurswahlverhalten. Hiernach erweisen sich Leistungsniveau, fachspezifisches Selbstkonzept, Selbstwirksamkeit und Fachinteresse als stabile Prädiktoren (Köller et al. 2000, 2006; Marsh und Yeung 1997; Stevens et al. 2007). Schüler und Studenten neigen also dazu, Kurse zu wählen, die ihrem Leistungs- und Interessenprofil entsprechen und von denen sie annehmen, dass sie die darin gestellten Aufgaben erfolgreich bewältigen können. Untersuchungen zur Inanspruchnahme von Nachhilfe zeigen hingegen, dass diese vorrangig von ‚Problemschülern‘ besucht wird (Wagner et al. 2003).

3 Zusammenfassung und Forschungsfragen

Dass sich insbesondere Studienanfänger mit Kompetenzdefiziten für einen Vorkursbesuch entscheiden sollten, erscheint zwar naheliegend und wünschenswert. Aber auch der umgekehrte Fall, wonach Vorkurse besonders für mathematisch begabte und leistungsfähige Studienanfänger attraktiv erscheinen könnten, ließe sich motivationspsychologisch plausibilisieren. Die bisherige empirische Befundlage ist wenig eindeutig. Insbesondere die Rolle von Persönlichkeitsmerkmalen ist bisher kaum untersucht. In einer weiteren Annäherung an dieses Problem wird im vorliegenden Beitrag deshalb folgenden Fragen nachgegangen:

  1. 1.

    Unterscheiden sich Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer von Mathematikvorkursen in bildungsbiographischen und soziodemographischen Merkmalen sowie in lern- und leistungsassoziierten Persönlichkeitsmerkmalen?

  2. 2.

    Welchen inkrementellen Beitrag leisten lern- und leistungsassoziierte Persönlichkeitsmerkmale bei der Erklärung von Unterschieden im Teilnahmeverhalten.

Geprüft wird damit die dem Vorkurskonzept implizit innewohnende Annahme einer selbständigen Negativselektion und damit eines rein defizitorientierten Vorkurswahlverhaltens.

4 Methode

Für die Untersuchung wurden Erstsemester-Studenten einer sächsischen Fachhochschule zu zwei verschiedenen Zeitpunkten im Wintersemester 2016/17 schriftlich befragt. Die erste Befragung (t0) erfolgte zu Beginn des Mathematikvorkurses, die zweite Befragung (t1) zu Beginn der Vorlesungszeit im Rahmen der regulären Mathematikvorlesung. Der Vorkurs fand über einen Zeitraum von zwei Wochen vor Semesterbeginn statt und war inhaltlich auf eine Wiederholung von Schulmathematik ausgerichtet. Für die Teilnahme wurde ein Beitrag von 50 € erhoben. Während in der t0-Befragung Studenten unabhängig vom Studiengang befragt wurden, weil die Vorkurse grundsätzlich für Studienanfänger aller Studiengänge offenstehen, konzentrierte sich die t1-Befragung auf Studenten der Informatik und naturwissenschaftlich-technischer Studiengänge. Die Teilnahme an der Befragung war freiwillig. Mit dem Ausfüllen der Fragebögen willigten die Teilnehmer in die Verarbeitung ihrer Daten ein. Für die Verknüpfung der Daten aus t0 und t1-Befragung generierten die Teilnehmer selbständig ein Pseudonym nach vorgegebenen Regeln.

4.1 Personenmerkmale und Messinstrumente

Die Auswahl der zu erhebenden Personenmerkmale erfolgte (1) auf Basis möglichst enger korrelativer Zusammenhänge mit Indikatoren akademischen Lern- und Leistungsverhaltens und (2) nach der Verfügbarkeit valider, reliabler und im Rahmen des Forschungsvorhabens testökonomisch anwendbarer Messinstrumente. Neben einfach zu erhebenden bildungsbiographischen Merkmalen wie Schulnoten als Indikator für vorangegangenes Leistungsverhalten und Vorwissen fiel die Auswahl auf die globalen Persönlichkeitsmerkmale Leistungsmotiv, Gewissenhaftigkeit und die damit eng verbundene Prokrastinationsneigung sowie mathematikspezifisch auf Selbstwirksamkeit, Anstrengungsregulation und Interesse. Alle erfassten Merkmale gelten als relativ zeitstabil.

Zu Determinanten schulischen und außerschulischen Lern- und Leistungsverhaltens liegt eine Fülle von Befunden vor. Domänenspezifisch sind vor allem Vorwissen und vorangegangene Leistungen ein zuverlässiger Prädiktor für nachfolgendes Leistungsverhalten (d = 0,67, Hattie 2009; vgl. auch Gruber und Stamouli 2015; Stern 2015). Aus dem Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit gilt Gewissenhaftigkeit als stabiler Prädiktor (r = 0,26, 95 % CI [0,23, 0,30], Vedel 2014). Für Leistungsmotiv (Steinmayr und Spinath 2009), Selbstwirksamkeit und Anstrengungsregulation (ρ = 0,37 bzw. ρ = 0,40, Credé und Phillips 2011) sowie die Prokrastinationsneigung (r = −0,22, 95 % CI [−0,27, −0,18], Richardson et al. 2012) werden in der Literatur stabile Zusammenhänge mit mathematischen oder allgemein akademischen Schul- und Studienleistungen berichtet. Für Fachinteresse berichtet die Metaanalyse von Schiefele et al. (1993) eine mittlere Korrelation von r = 0,28 mit Mathematikleistungen. Neuere Untersuchungen aus dem Hochschulkontext zeigen zwar gemischte Befunde etwa bei der Vorhersage von Klausurnoten (Kosiol et al. 2019; Rach und Heinze 2017), für die Vorhersage des Studienabbruchs erweist sich das Interesse aber als relevant (Schiefele et al. 2007).

4.1.1 Gewissenhaftigkeit

Gewissenhaftigkeit wird als individuelle Neigung zu Selbstkontrolle, Ordnung, Fleiß und dem Befolgen sozialer Regeln verstanden (Roberts et al. 2014). Gewissenhaftigkeit stellt unter den Big Five den besten Prädiktor für akademische Leistungen im Studium dar (Vedel 2014). Die Messung erfolgte auf Basis des NEO-Fünf-Faktoren-Inventars (Borkenau und Ostendorf 2008) mittels sechs Items aus der 30-Item-Kurzfassung (NEO-FFI-30, Körner et al. 2008; „Ich halte meine Sachen ordentlich und sauber.“).

4.1.2 Selbstwirksamkeit und Anstrengungsregulation

Selbstwirksamkeit ist die subjektive Erwartung, eine Aufgabe aufgrund eigener Kompetenzen bewältigen zu können (Bandura 1977). Unter Anstrengungsregulation wird die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung von Anstrengung und Aufmerksamkeit auch angesichts uninteressanter Aufgaben oder Ablenkungen verstanden (Pintrich et al. 1993). Die Messung erfolgte mittels vier bzw. acht Items aus dem Motivated Strategies for Learning Questionaire (Pintrich et al. 1993) in Anlehnung an die deutsche Übersetzung von Kivinen (2003; Selbstwirksamkeit: „Ich glaube, dass ich eine ausgezeichnete Mathematiknote in meinem Studium erhalten werde.“; Anstrengungsregulation: „Sogar wenn Mathematikaufgaben langweilig und uninteressant sind, schaffe ich es, weiter daran zu arbeiten, bis ich fertig bin.“).

4.1.3 Interesse

Interesse bezeichnet überdauernde wert- und emotionsbezogene Valenzüberzeugungen zu einem Gegenstandsbereich (Schiefele und Schaffner 2015). Die Messung erfolgte bezogen auf das Fach Mathematik unter Anwendung der 9‑Item-Kurzfassung des Fragebogens zum Studieninteresse (FSI; Krapp et al. 1993; „Wenn ich genügend Zeit hätte, würde ich mich mit Mathematik, auch unabhängig von Prüfungsanforderungen, intensiver beschäftigen.“).

4.1.4 Leistungsmotiv

Nach Brunstein und Heckhausen (2018, S. 178) kann das Leistungsmotiv „als ein wiederkehrendes Anliegen definiert werden, sich mit Gütestandards auseinanderzusetzen und Tüchtigkeitsmaßstäbe zu übertreffen“. Allgemein akzeptiert ist eine Unterscheidung zweier antagonistischer Motivdispositionen: Erfolgszuversicht (Hoffnung auf Erfolg) und Misserfolgsängstlichkeit (Furcht vor Misserfolg). Zur Messung wurde die revidierte 10-Item-Fassung (Lang und Fries 2006; Hoffnung auf Erfolg: „Mich reizen Situationen, in denen ich meine Fähigkeiten testen kann.“; Furcht vor Misserfolg: „Es beunruhigt mich, etwas zu tun, wenn ich nicht sicher bin, dass ich es kann.“) der Achievement Motives Scale (Gjesme und Nygard 1970) herangezogen.

4.1.5 Prokrastination

Prokrastination wird als Tendenz zu Aufschubverhalten gegenüber – für die betroffenen Personen meist unangenehmen – Tätigkeiten verstanden (Lay 1986). Die Messung erfolgte mit vier leicht angepassten Items aus dem Prokrastinationsfragebogen für Studierende (PFS; Glöckner-Rist et al. 2014; Bsp.: „Ich fange mit einer Aufgabe oft erst an, wenn ich unter Druck gerate.“).

4.1.6 Bildungsbiographie, Vorwissen und soziodemographische Daten

Die Studienteilnehmer wurden nach der Art der Hochschulzugangsberechtigung (HZB), der Durchschnittsnote des höchsten Schulabschlusses, der letzten Zeugnisnote in Mathematik, der Teilnahme an einem Mathematik-Leistungskurs, Geschlecht, Alter und Studiengang befragt. Sie sollten außerdem angeben, wie lang der letzte Mathematikunterricht, den sie besucht hatten, zum Zeitpunkt der Befragung zurücklag (Angabe in Jahren auf ganze Jahre abgerundet). Die Mathematikzeugnisnote und die Teilnahme an einem Leistungskurs dienen in der vorliegenden Untersuchung als Maß für das fachspezifische Vorwissen. Die Note konnte entweder auf der Schulnotenskala oder als Abiturpunktwert angegeben werden. Für die übergreifende Betrachtung wurden Schulnoten (1 bis 6) in Punktwerte (15 bis 0) umgerechnet.

4.1.7 Vorkursteilnahme

Die Vorkursteilnahme wurde über die Teilnahme an der t0-Befragung erfasst. Zusätzlich wurde die Vorkursteilnahme auch in der t1-Befragung noch einmal retrospektiv erfragt, um auch Personen korrekt zuordnen zu können, die zwar zur t0-Befragung möglicherweise nicht anwesend waren, aber sonst dennoch am Vorkurs teilgenommen hatten.

4.1.8 Gründe gegen die Vorkursteilnahme

Studenten, die nicht an den Vorkursen teilgenommen hatten, wurden gebeten, Gründe dafür anzugeben. Neben fünf vorgegebenen Antwortkategorien (Kursgebühren, Zeitmangel, fehlende Unterkunft am Studienort, mangelndes Interesse, gute Mathematikkenntnisse) konnten auch freie Antworten gegeben werden.

4.2 Codierung und fehlende Daten

Alle Items der sieben erfassten Persönlichkeitsmerkmale wurden auf nummerierten sechsstufigen unipolaren Ratingskalen beantwortet, deren Skalenendpunkte mit „trifft überhaupt nicht zu“ bzw. „trifft voll zu“ bezeichnet waren. Durch die Befragung mittels Papierfragebogen kam es vereinzelt dazu, dass Teilnehmer ihr Antwortkreuz zwischen zwei Feldern der Antwortskala setzten. Bei der Codierung der Daten wurden diese dann als Mittelwert der benachbarten Skalenpunkte (z. B. als 3,5 bei einer Antwort zwischen 3 und 4) erfasst, weil das die tatsächliche Positionierung zu einer Aussage besser repräsentiert, als eine Codierung als fehlender Wert. Der Anteil tatsächlich fehlender Item-Werte für die in 4.1.1 bis 4.1.5 beschriebenen Merkmale ist mit 0,2 % sehr moderat und kann als vollständig zufallsverteilt angenommen werden (Littles MCAR Test: χ2 = 1094,89, df = 1064, p = 0,249). Die wenigen fehlenden Werte wurden deshalb jeweils durch den individuellen Skalenmittelwert imputiert (valid mean substitution), um alle Fälle für die Analysen berücksichtigen zu können.

4.3 Stichprobenbeschreibung

An der t0-Befragung beteiligten sich 115, an der t1-Befragung 329 Studenten. Insgesamt wurden damit im Rahmen der Studie 394 Personen befragt (185 davon Frauen, 12 machten keine Angabe zum Geschlecht). Die Rücklaufquote lag in beiden Befragungen bei nahezu 100 %. Nur in Einzelfällen nahmen Studenten nicht an der Befragung teil, etwa weil sie zu spät zum Vorkurs oder zur Vorlesung erschienen. Problematischer hingegen war der Umstand, dass ein nennenswerter Teil von Studenten nicht über die Vorlesung erreicht werden konnte. So liegen von den 87 Studenten der naturwissenschaftlich-technischen Studiengänge, die zu t0 im Vorkurs befragt wurden, bei lediglich 50 von ihnen auch t1-Messergebnisse vor. Trotz der Tatsache, dass die t1-Befragung unmittelbar zu Beginn des Semesters erfolgte, konnte offenbar ein nennenswerter Teil der Studenten auf diese Weise nicht erreicht werden. Alle befragten Studenten waren im ersten Fachsemester immatrikuliert und im Durchschnitt 20,27 Jahre alt (SD = 3,01). 40 % der Studenten hatten einen Mathematik-Leistungskurs besucht. 72 % verfügten über die Allgemeine Hochschulreife, 22 % über eine fachgebundene oder Fachhochschulreife. Die übrigen Teilnehmer verfügten über eine andere Form der Hochschulzugangsberechtigung oder machten keine Angabe dazu.

5 Ergebnisse

5.1 Gruppierung

Da sich Studiengänge in Anforderungsprofil, Studieninhalten und Karriereperspektiven erwartbar unterscheiden, rekrutieren sie auch Studienanfänger mit unterschiedlichen Qualifikationsprofilen, Interessen und Studienmotiven (Abel 2002; Heine et al. 2005). Um derlei Rekrutierungseffekte und damit Mittelwertunterschiede zwischen verschiedenen Studienfächern zu berücksichtigen, werden die Studenten entsprechend ihres Studiengangs und damit auf Basis der zu besuchenden Mathematikvorlesung bei der Datenauswertung einer von vier Gruppen zugeordnet. Die erste Gruppe bilden Informatikstudiengänge (Medieninformatik, Wirtschaftsinformatik, Angewandte Informatik), die zweite Gruppe Ingenieurstudiengänge (z. B. Maschinenbau, Lasertechnik etc.), die dritte Gruppe bildet der Studiengang Allgemeine und digitale Forensik, der aufgrund hoher Studentenzahlen und spezifischer Anforderungen eine eigene Mathematikvorlesung erhält. Die vierte Gruppe (n = 34) umfasst alle weiteren Studiengänge. Studenten der vierten Gruppe werden für die vergleichende Betrachtung von Vorkursteilnehmern und Nicht-Teilnehmern nicht einbezogen, weil sie aufgrund des Untersuchungsdesigns ausschließlich aus Vorkursteilnehmern besteht. Die Daten dieser Gruppe sind gewissermaßen ‚Beifang‘, der aber in die Überprüfung des Messmodells einfließt. In die vergleichende Analyse fließen somit Daten von 87 Vorkursteilnehmern und 253 Nicht-Teilnehmern.

5.2 Überprüfung des Messmodells

Im ersten Schritt wird das zugrunde gelegte Messmodell für die Merkmale Gewissenhaftigkeit, Selbstwirksamkeit, Anstrengungsregulation, Interesse, Leistungsmotiv und Prokrastination mittels konfirmatorischer Faktorenanalysen überprüft. Ein erstes Modell unter Aufnahme sämtlicher Items zeigt nur eine ungenügende Passung zu den empirisch ermittelten Daten (χ2 = 1739,41, df = 758, p < 0,001, CFI = 0,857, RMSEA = 0,057, 90 % CI [0,054, 0,061], SRMR = 0,066). Nach Elimination schwach ladender Items (standardisierte Faktorladungen λj < 0,50) und dem Zulassen von fünf Konstrukt-immanenten Korrelationen zwischen Indikator-Messfehlern verbessert sich die Modellanpassung deutlich und erreicht einen zufriedenstellenden Modellfit (χ2 = 667,47, df = 379, p < 0,001, CFI = 0,941, RMSEA = 0,044, 90 % CI [0,038, 0,049], SRMR = 0,050). Abb. 1 zeigt das finale Messmodell.

Abb. 1
figure 1

Faktoranalytische Prüfung des revidierten Messmodells

Bivariate Korrelationen zwischen den erfassten Merkmalen erweisen sich als vollständig theorie- und inhaltskonform (vgl. Tab. 1). Prokrastinierendes Verhalten korreliert stark negativ mit den beiden Merkmalen Gewissenhaftigkeit (r = −0,52, p < 0,01) und Anstrengungsregulation (r = −0,54, p < 0,01). Je stärker die individuelle Neigung zu Selbstkontrolle, Ordnung und dem Befolgen sozialer Regeln bzw. die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung von Anstrengung und Aufmerksamkeit auch angesichts uninteressanter Aufgaben oder Ablenkungen ausgeprägt ist, desto geringer tendieren die Befragten zu aufschiebendem Verhalten. Für das mathematikbezogene Interesse sind stark positive Korrelationen mit der Selbstwirksamkeit (r = 0,53, p < 0,01) und der Anstrengungsregulation (r = 0,47) zu verzeichnen.

Tab. 1 Pearson-Korrelationen der erfassten Persönlichkeitsmerkmale

Die Beurteilung der Reliabilität erfolgt auf Basis von Konsistenzanalysen. Dazu werden die Koeffizienten Cronbachs α und McDonalds ω auf Basis der gepoolten Daten aus t0- und t1-Befragung berichtet. Bei Personen, bei denen für beide Messzeitpunkte Daten vorliegen, geht die t0-Messung in die Berechnung ein. Die Berechnung erfolgt also immer auf Basis der ersten Befragung eines Teilnehmers. Beide Koeffizienten liefern nahezu identische Schätzungen. Die niedrigsten Werte wurden mit jeweils 0,73 für die Konstrukte Hoffnung auf Erfolg und Anstrengungsregulation ermittelt (vgl. Tab. 2). Für die Selbstwirksamkeitsskala konnte die höchste Reliabilität (Cronbachs α = 0,88) ermittelt werden. Alle anderen Merkmale befinden sich innerhalb dieser Spannweite. Während für individualdiagnostische Messungen Messinstrumente mit hoher Reliabilität gefordert werden (Moosbrugger und Kelava 2012), können für die Schätzung von Populationskennwerten auch Skalen mit geringerer Reliabilität zum Einsatz kommen. Vor diesem Hintergrund ist die Reliabilität der eingesetzten Skalen als ausreichend zu bewerten.

Tab. 2 Skalenmittelwert, Standardabweichung und Reliabilität

Der höchste Skalenmittelwert war mit 4,61 (SD = 0,47) für das Merkmal Gewissenhaftigkeit feststellbar. Zusammen mit einer moderaten Standardabweichung betrachtet zeigt dies, dass sich der Großteil der Befragten als gewissenhaft beschreibt. Für das mathematikbezogene Interesse ist hingegen mit 3,10 der geringste Mittelwert zu beobachten (SD = 0,47). Nur wenige der Befragten würden sich demnach ein hohes Interesse an mathematischen Sachverhalten zuschreiben.

5.3 Scoring

Zur besseren Nachvollziehbarkeit werden die Scores aller gemessenen Persönlichkeitsmerkmale als einfacher Mittelwert der jeweils eingehenden Items berechnet. Das führt zu geringen Abweichungen zwischen den in Abb. 1 und Tab. 1 berichteten Korrelationskoeffizienten. Auf diese Weise bleibt gegenüber der faktoranalytischen Schätzung der ursprüngliche Wertebereich erhalten.

Bei Vorkursteilnehmern, für die keine t0-, sondern nur t1-Messungen vorliegen, werden t1-Werte für die weitere Analyse verwendet. Die fehlende t0-Messung wird also durch die t1-Messung ersetzt. Dass dieses Vorgehen zulässig ist, unterstreichen Mittelwertvergleiche bei Probanden, für die Werte aus beiden Messzeitpunkten vorliegen: Bei keinem der erfassten Merkmale sind signifikante Unterschiede in der mittleren Tendenz zwischen den Messzeitpunkten t0 und t1 festzustellen. Unterstützt wird dies durch die standardisierten Mittelwertdifferenzen beider Messzeitpunkte (Cohens d), deren Betrag kleiner 0,20 ist (trivialer Effekt) oder im Falle der Anstrengungsregulation nur knapp darüber liegt. Bemerkenswert erscheint an dieser Stelle, dass der Besuch des Vorkurses weder die mathematische Selbstwirksamkeit, noch die Hoffnung auf Erfolg im Studienmodul Mathematik spürbar stärkt (Tab. 3).

Tab. 3 Veränderungen zwischen Messzeitpunkten

5.4 Unterschiede zwischen Vorkursteilnehmern und Nicht-Teilnehmern

Ein Drittel (33 %) der Vorkursteilnehmer besuchte vor dem Studium einen Mathematikleistungskurs. Bei den Nicht-Teilnehmern waren es mit 2 von 5 (40 %) in der Tendenz etwas mehr. Der Unterschied ist aber nicht signifikant (χ2(1, n = 336) = 1,13, p = 0,288). Die Abiturquote lag in beiden Gruppen mit 78 % bzw. 77 % auf vergleichbarem Niveau (χ2(1, n = 340) = 0,08, p = 0,777). Auch der letzte Mathematikunterricht lag bei Teilnehmern nicht länger zurück als bei Nicht-Teilnehmern (Mann-Whitney-Test: U = 9702, p = 0,109). Studienanfänger mit abgeschlossener Berufsausbildung stellten sowohl unter Teilnehmern (n = 2) wie Nicht-Teilnehmern (n = 2) die Ausnahme dar. Deskriptive Maße der übrigen Variablen und die Ergebnisse univariater Tests auf Unterschiede können den Tab. 4 und 5 entnommen werden. In der univariaten Betrachtung zeigen sich lediglich in der mathematikbezogenen Selbstwirksamkeit signifikante Unterschiede. Vorkursteilnehmer erwarteten von sich demnach etwas bessere Mathematikleistungen im Studium als Nicht-Teilnehmer (d = −0,29). Einschränkend ist mit Blick auf die Konfidenzintervalle festzuhalten, dass mit der gegebenen Teststärke hier kleine bis moderate Effekte – im Fall der Mathematiknote bei Studienanfängern mit fachgebundener und Fachhochschulreife sogar ein großer Effekt – unentdeckt blieben.

Tab. 4 Deskriptive Statistiken zu erhobenen Merkmalen
Tab. 5 Univariate Signifikanztests und Effektstärken

In Ergänzung zur multiplen univariaten Prüfung auf Unterschiede zwischen Vorkursteilnehmern und Nicht-Teilnehmern wird ein multivariater Ansatz mittels logistischer Regression verfolgt. Die Analyse wird in zwei Schritten durchgeführt. Zunächst erfolgt die Schätzung auf Basis soziodemographischer und bildungsbiographischer Merkmale sowie von Schulleistungsindikatoren. Anschließend wird ein zweites Modell unter Aufnahme der zusätzlich erfassten Persönlichkeitsmerkmale gebildet. Deren Messwerte werden vor Aufnahme in die logistische Regression z‑transformiert. Auf diese Weise können Odds Ratios anschaulicher in Bezug auf eine Standardabweichung der jeweils zugrundeliegenden Verteilung anstelle eines Skalenpunkts auf einer arbiträren Ratingskala interpretiert werden. Da die Variablen Alter und letzter Mathematikunterricht hoch korreliert sind (r(336) = −0,76, p < 0,001) wird zur Vermeidung von Multikollinearität nur letztere Variable als Modellprädiktor berücksichtigt.

Wie die anhaltende Diskussion um die Vergleichbarkeit von Abiturnoten zeigt (Neumann et al. 2009; Stanat et al. 2016), bestehen Zweifel, ob identische Noten aus unterschiedlichen Bundesländern auch identische Leistungsniveaus widerspiegeln. Da diese Annahme aber bei der Studienplatzvergabe getroffen wird, soll sie auch an dieser Stelle übernommen werden. Eine Gleichsetzung von Allgemeiner Hochschulreife und fachgebundener/Fachhochschulreife erscheint mit Blick auf berichtete Leistungsunterschiede in mathematischen Eingangstests unzulässig (Greefrath und Hoever 2016; Knospe 2012). Ebenso bedeutet der Besuch eines Leistungskurses neben einer höheren Wochenstundenzahl auch eine inhaltlich anspruchsvollere Ausrichtung des Unterrichts und damit gegenüber dem Grundkurs ein höheres Anforderungs- und Leistungsniveau. Dies spiegelt sich auch im Hinblick auf die Selbstwirksamkeit im Fach Mathematik wider. So bestehen deutliche Unterschiede zwischen Leistungskurs- und Grundkursteilnehmern (t(256) = −5,68, p < 0,001, d = 0,71) zu Gunsten der Leistungskursteilnehmer. Um diesen beiden Aspekten Rechnung zu tragen, werden zwei zusätzliche Interaktionsterme (Mathematiknote * Leistungskurs, Mathematiknote * HZB) bei der Modellbildung berücksichtigt (Tab. 6).

Tab. 6 Determinanten der Vorkursteilnahme (binär logistische Regression), Model 1

Der Omnibustest der Modellkoeffizienten bestätigt ein signifikantes Gesamtmodell (χ2(313) = 24,89, p = 0,006). Unterschiede bestehen im Notendurchschnitt, in der letzten Mathematikzeugnisnote sowie zwischen den betrachteten Studiengangsgruppen. Bezogen auf den Notendurchschnitt wächst mit jedem Notenpunkt auf der Notenskala (1–6) das Chancenverhältnis zwischen Teilnahme und Nicht-Teilnahme um den Faktor 2,2. Gleichzeitig erhöht sich auch mit jedem Punkt auf der Punkteskala (1–15) im Fach Mathematik das Chancenverhältnis um den Faktor 1,3, wobei der signifikante Interaktionsterm (Mathematiknote * Abitur) darauf hinweist, dass dieser Effekt bei Abiturienten schwächer ausfällt. Da höhere Werte auf der Notenskala für schlechtere Leistungen stehen, höhere Werte auf der Punkteskala hingegen für bessere, wurde das Vorkursangebot insgesamt also eher von Studenten mit schwächeren allgemeinen Schulleistungen und/oder solchen mit besseren Leistungen in Mathematik wahrgenommen. Auch Studenten der Ingenieursdisziplinen und der Forensik nahmen gegenüber Studenten der Informatik deutlich vermehrt am Vorkurs teil. Der Besuch eines Leistungskurses zeigt analog zur univariaten Betrachtung keinen Zusammenhang mit der Teilnahme am Vorkurs. Insgesamt kann das Gesamtmodell nur 11 % (Nagelkerkes R2) der Gesamtvarianz der Teilnahmeentscheidung aufklären. Dies ist ein starker Hinweis darauf, dass entscheidendere Variablen nicht im Modell berücksichtigt sind.

Auch für das zweite Modell weist der Omnibustest der Modellkoeffizienten ein signifikantes Gesamtergebnis aus (χ2(306) = 38,22, p = 0,002). Von den hinzugekommenen Prädiktoren erweisen sich lediglich Selbstwirksamkeit und Furcht vor Misserfolg als signifikant. So erhöht sich jeweils bezogen auf eine Standardabweichung bei den genannten Merkmalen das Chancenverhältnis auf etwa das 1,7- bzw. 1,4-fache. Folglich nahmen auf der einen Seite eher Personen am Vorkurs teil, die sowieso schon die Erwartung hatten, Mathematikmodule ihres Studiums erfolgreich zu absolvieren und/oder auf der anderen Seite Studienanfänger, deren Leistungsverhalten eher durch Meiden von Misserfolgen motiviert ist. Durch die Aufnahme der zusätzlichen Prädiktoren verfehlen die Mathematiknote und der Interaktionsterm Mathematiknote * HZB das notwendige Signifikanzniveau. Zu beachten ist hierbei, dass insbesondere Selbstwirksamkeit und die Mathematiknote moderat korreliert sind (r = 0,38). Selbstwirksamkeit stellt offenbar den besseren Prädiktor dar, der damit den Effekt vorangegangener Leistungsrückmeldungen (Mathematiknote) teilweise verdeckt. Die Varianzaufklärung wächst auf 16 % an. Der inkrementelle Erklärungsbeitrag der in Modell 2 hinzugenommenen Persönlichkeitsmerkmale ist damit sehr gering (Tab. 7).

Tab. 7 Determinanten der Vorkursteilnahme (binär logistische Regression), Model 2

5.5 Gründe der Nicht-Teilnahme

Befragt nach den Gründen der Nicht-Teilnahme am Vorkurs nannten 17 % die anfallenden Kursgebühren, 19 % mangelndes Interesse und 43 % Zeitmangel. 38 % zogen eine Teilnahme nicht in Erwägung, weil sie über noch keine Unterkunft am Studienort verfügten. Lediglich 13 % verwiesen auf ausreichend gute Mathematikkenntnisse als Grund. Aus den Freitextantworten konnten durch induktive Kategorienbildung weitere Hinderungsgründe identifiziert werden. So gaben vier Prozent berufliche Verpflichtungen an, entweder um sich noch Geld für das Studium zu verdienen oder weil sich der Vorkurs mit der Praxisphase im dualen Studienmodell überschnitt. Organisatorische Probleme wie mangelnde Informationen zum Vorkursangebot (zwei Prozent) oder verspätete Studienplatzzusagen durch Nachrückverfahren (zwei Prozent) waren von nachrangiger Bedeutung. Wie die Betrachtung der Gründe zeigt, erfolgt die Entscheidung für oder gegen einen Vorkursbesuch wie zu erwarten nicht immer primär vor dem Hintergrund des eigenen Leistungsniveaus. Vielmehr scheinen auch, wie schon von Voßkamp und Laging (2014) berichtet, lebensweltliche Faktoren im Vordergrund zu stehen.

6 Diskussion

Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer des untersuchten Vorkursangebots weisen kaum systematische Unterschiede in den untersuchten Merkmalen zueinander auf. Weder der vorherige Besuch eines Mathematikleistungskurses noch die Art der Hochschulzugangsberechtigung schienen das Teilnahmeverhalten zu leiten. Die multivariate Analyse zeigte kleinere Unterschiede im schulischen Leistungsniveau. So wurde der Vorkurs eher von Studienanfängern mit schlechterem allgemeinem Leistungsniveau aufgesucht. Unter Studienanfängern mit fachgebundener oder Fachhochschulreife neigten eher die mit besseren Vorleistungen in Mathematik zum Besuch des Vorkurses. Letzter Befund bedeutet im Umkehrschluss, dass vor allem die Gruppe mit der ungünstigsten Erfolgsprognose, Fachabiturienten mit schlechten Mathematikvornoten, tendenziell im Vorkurs weniger vertreten waren.

Unterschiede in den globalen Persönlichkeitsmerkmalen Gewissenhaftigkeit, Prokrastinationsneigung, Erfolgszuversicht (Hoffnung auf Erfolg) oder den speziell auf Mathematik bezogenen Merkmalen Anstrengungsregulation und Interesse zeigten sich nicht. Es sind also weder die besonders Eifrigen und Interessierten, die sich zum Vorkurs anmeldeten, noch die Trägen und Desinteressierten. Kleinere Unterschiede bestanden in Bezug auf allgemeine Misserfolgsängstlichkeit (Furcht vor Misserfolg) und mathematische Selbstwirksamkeit. Beide Persönlichkeitsfacetten waren bei den Vorkursteilnehmern etwas stärker ausgeprägt, was nicht bedeutet, dass beides gleichzeitig in einer Person auftreten muss. Vielmehr sind die Merkmale negativ korreliert (siehe Tab. 1). Der Vorkurs rekrutiert also eher (handlungsorientierte) Personen, deren Handeln durch das Verfolgen von Vermeidungszielen motiviert ist, hier wahrscheinlich das negative Abschneiden in einer bevorstehenden Mathematikprüfung. Misserfolgsmeider neigen dazu, sich stärker auf negative Ereignisse zu konzentrieren und unterschätzen damit oft ihre Chancen auf Erfolg (Brunstein und Heckhausen 2018). Das erklärt, warum sie bei sonst kaum differierenden Lernvoraussetzungen zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern, häufiger im Vorkurs zu finden sind. Gleichzeitig rekrutiert der Vorkurs aber auch Personen, die stärkeres Zutrauen in die eigenen mathematischen Fähigkeiten haben, was eher für Personen mit günstiger Erfolgsprognose spricht (Robbins et al. 2004). Wichtig erscheint hier aber der Hinweis, dass die Befragung der Vorkursteilnehmer zu Beginn des Vorkurses stattfand. Unklar ist deshalb, inwiefern bereits der Umstand, sich für den Vorkurs angemeldet zu haben, die Erwartungen der Befragten, die Mathematikmodule ihres Studiums erfolgreich zu absolvieren, positiv beeinflusste. Dies stellt eine methodische Einschränkung dar und lässt sich mit dem beschriebenen Vorgehen nicht überprüfen. Eine zeitlich noch weiter vorgelagerte Befragung erscheint aus untersuchungspraktischer Sicht kaum realisierbar oder sie hätte mit anderen methodischen Problemen zu kämpfen.

Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass für die Erfassung des für Studienerfolg sehr zentralen Prädiktors Vorwissen lediglich auf Schulnoten und nicht auf einen Fachwissenstest zurückgegriffen wurde. Schulnoten messen neben Wissen auch andere Aspekte des Lern- und Leistungsverhaltens (McMillan 2001). Empirische Untersuchungen zeigen in aller Regel wenigstens moderate Zusammenhänge zwischen Schulnoten und standardisierten Leistungstests. Dickhäuser und Plenter (2005) berichten bspw. für eine Stichprobe von Schülern der Klassenstufen 7 und 8 eine Korrelation von r = 0,41 zwischen der letzten Zeugnisnote in Mathematik und dem Ergebnis eines Leistungstests (für einen Überblick zur konkurrenten Validität von Schulnoten siehe auch Lintorf 2012, S. 46). Die Operationalisierung des Vorwissens über die letzte Zeugnisnote stellt damit eine Limitation der vorliegenden Untersuchung dar.

Schulnoten, weitere bildungsbiographische und soziodemographische Merkmale sowie die gewählte Studienrichtung erklären etwa 11 % der Unterschiede im Teilnahmeverhalten. Durch Hinzunahme der besprochenen Persönlichkeitsmerkmale kann eine Varianzaufklärung von 16 % erzielt werden. Die Erklärungskraft lern- und leistungsassoziierter Persönlichkeitsmerkmale ist damit als sehr gering zu bewerten.

Die Ergebnisse zeigen in Summe gute Übereinstimmungen mit vorangegangenen Arbeiten (Greefrath et al. 2017; Tieben 2019; Voßkamp und Laging 2014). Weder scheinen Vorkursangebote per se nur von Studienanfängern mit schlechteren Vorkenntnissen angenommen zu werden, noch sind sie vorrangig eine zusätzliche Starthilfe für Hochleister. Vielmehr kommen individuelle lebensweltliche Umstände als erklärende Ursache für das variierende Teilnahmeverhalten infrage. Zu einer Harmonisierung des Eingangsniveaus können sie damit nur eingeschränkt beitragen.