1 Einleitung

Die Planung von Unterricht gehört nicht nur zu den zentralen Elementen der Lehrkräftebildung (Baumert und Kunter 2006; KMK 2019), sondern ist auch ein bedeutsamer Forschungsgegenstand. In der deutschsprachigen Tradition der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wurde dieser Gegenstand überwiegend in eher präskriptiven (allgemein-)didaktischen Planungsmodellen thematisiert (Scholl 2018). Dagegen führte die kognitionspsychologische Hinwendung zu den Denkprozessen von Lehrkräften im angloamerikanischen Raum (Borko et al. 1981; Housner und Griffey 1985) ab den 1970er-Jahren dazu, dass die Unterrichtsplanungsforschung zunehmend die gedanklichen Problemlösungs- und Entscheidungsprozesse fokussierte (Clark und Peterson 1986). Speziell mit den Arbeiten von Bromme (1981) haben die Erträge des Decision-Making-Paradigmas (Shavelson und Borko 1979) dann auch Einzug in die deutschsprachige Unterrichtsplanungsforschung gehalten.

Eine gemeinsame Linie der Arbeiten zum Decision-Making besteht im Versuch, kognitive Operationen der Unterrichtsplanung zu identifizieren, sie in ihrer Abfolge von der basalen instruktionalen Planungsidee bis hin zur Bildung schnell abrufbarer, kognitiv entlastender Planungsroutinen zu beschreiben (Yinger 1980) und Einflüsse auf diese Operationen zu benennen (Shavelson und Stern 1981). Dabei wurden insbesondere die beiden Operationen der Auswahl und Integration von planungsbedeutsamen Informationen (z. B. Berücksichtigung der Vorwissensunterschiede bei methodischen Entscheidungen) sowie die kognitiven Einflüsse auf diese Operationen (z. B. das konzeptuelle Wissen der planenden Lehrkraft) evidenzbasiert beschrieben und in ihrem Zusammenhang erklärt (z. B. König et al. 2020; Lui und Bonner 2016).

Auffallend unbestimmt sind dagegen psychoemotionale Einflüsse auf diese Operationen, auf die bereits Shavelson und Stern (1981) verwiesen. Um deswegen auch zu diesen Einflüssen erste Erkenntnisse anzubieten, werden im Folgenden Befunde zu den Einflüssen von Tendenzen im Entscheidungsverhalten auf das selbsteingeschätzte adaptive Planungsverhalten bei Lehramtsstudierenden als Facette der Unterrichtsplanung berichtet.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Kognitive und psychoemotionale Einflüsse auf zentrale Operationen der Unterrichtsplanung

In einem übergreifenden Sinne umfasst die Unterrichtsplanung alle kognitiven Operationen, „die das (eigene) unterrichtliche Handeln zum Gegenstand haben und dazu dienen, dieses (…) optimal zu organisieren“ (Bromme und Seeger 1979, S. 4). Aus informationstheoretischer Perspektive gelten dabei seit Shavelson und Stern (1981) die Selektion planungsbedeutsamer Informationen und die Integration dieser Informationen zu Erwartungen, Urteilen und Hypothesen (Inferenzbildung) als zwei zentrale Operationen. Diese beiden Operationen werden auch in aktuellen Modellen der Unterrichtsplanung als situationsspezifischer Fähigkeit angenommen (König et al. 2017a): Darin wird die Unterrichtsplanung als Abfolge der Wahrnehmung in Form der Informationsselektion (z. B. des lernbereichsspezifischen Vorwissens von Schülerinnen und Schülern), der Interpretation (z. B. des Stellenwerts dieses Vorwissens als Prädiktor für lernwirksame Instruktionen) und der Entscheidung (z. B. zur Adaption einer Unterrichtsmethode an das wahrgenommene und lernbedeutsam interpretierte Vorwissen) beschrieben. Die beiden letzten Operationen können als Teilprozesse der Inferenzbildung angesehen werden.

Die Informationsselektion und Inferenzbildung scheinen allerdings nicht isoliert, sondern nur beeinflusst von kognitiven und psychoemotionalen Faktoren denkbar zu sein: Shavelson und Stern (1981) gingen davon aus, dass diese beiden Operationen einer „bounded rationality“ (S. 456) unterliegen, weil sie von den individuellen und simplifizierenden gedanklichen Modellen der komplexen unterrichtlichen Wirklichkeit beeinflusst werden (eine Konsequenz der begrenzten Kapazität der Informationsverarbeitung; Simon und Newell 1971). Schon früh wurden empirische Hinweise auf kognitive Bestandteile solcher Wirklichkeitsmodelle gefunden, z. B. „educational beliefs“ (Shavelson und Borko 1979, S. 184) oder die Vorstellung vom Instruktionskontext (Borko et al. 1990). Die Einflüsse dieser und weiterer kognitiver Faktoren, z. B. des vorhandenen allgemeinen pädagogischen (König et al. 2020) oder des konzeptionellen (mathematischen) Wissens (Lui und Bonner 2016), der Wahrnehmung curricularer Vorgaben (Siuty et al. 2018) oder der lehr-lerntheoretischen Überzeugungen mit impliziten Wissensanteilen (Stender 2014) auf die Informationsselektion und/oder Inferenzbildung, gelten heute als empirisch gut belegt. Die vermuteten Einflüsse psychoemotionaler Faktoren, die im Zusammenhang mit diesen Wirklichkeitsmodellen stehen und auf die Shavelson und Stern (1981) unter Bezugnahme auf das Konfliktmodell des Entscheidens (Janis und Mann 1977) hinweisen, sind dagegen noch nicht zum Gegenstand der empirischen Unterrichtsplanungsforschung geworden.

2.2 Entscheidungstendenzen beim Umgang mit konflikthaften Entscheidungssituationen – auch in der Unterrichtsplanung?

Im Konfliktmodell des Entscheidens wird die Konflikthaftigkeit einer Entscheidungssituation an drei Bedingungen festgemacht (Mann et al. 1997): Erstens müssen die vermuteten Folgen der jeweiligen Entscheidungsoptionen mit einem wahrgenommenen und affektbesetzten Risiko für die Entscheidenden oder nahestehende Personen einhergehen, zweitens muss die Hoffnung auf das Finden besserer Entscheidungsoptionen und drittens ein Gefühl von Zeitdruck bestehen. Situationen, die diesen Bedingungen genügen, drängen Entscheidende in Konflikte, weil für jede Entscheidungsoption zu wählen ist, ob sie verfolgt oder zurückgewiesen werden soll (Janis und Mann 1977). Diese Konflikte rufen (entlastende) Entscheidungsverhaltenstendenzen hervor, die wiederum einen produktiven oder kontraproduktiven Einfluss auf die Auflösung des Konflikts haben (Mann et al. 1997).

Janis und Mann (1977) beschreiben ursprünglich fünf solcher Tendenzen („unconflicted adherence“, „unconflicted change“, „defensive avoidance“, „hypervigilance“ und „vigilance“; S. 70), faktorenanalytische Untersuchungen deuten aber nur auf vier hin: Vigilanz, Vermeidung („buck-passing“), Aufschub („procrastination“) und Hypervigilanz (Mann et al. 1997, S. 12). Beim vigilanten Entscheiden setzen sich die Entscheidenden mit möglichst vielen der verfügbaren Informationen auseinander, wägen die vorhandenen Optionen sorgfältig ab und kommen zu einer zufriedenstellenden Lösung. Deshalb gilt diese Tendenz – im Gegensatz zu den drei anderen – als produktiv. Bei der Entscheidungsvermeidung wird die Entscheidungsmacht an andere abzugeben versucht, beim Entscheidungsaufschub werden Entscheidungen möglichst lange hinausgezögert, und hypervigilantes Entscheiden geschieht unsicher und impulsiv, häufig begleitet von Pessimismus und nachträglicher Reue.

Im Rückgriff auf dieses Modell vermuten Shavelson und Stern (1981): „conflict and stress (Janis und Mann 1977) speak to the selection and integration of information“ (S. 469). Während sich zumindest für Planungsnovizinnen und -novizen stützende empirische Forschungshinweise zur Teilannahme dieser Vermutung finden lassen, dass 1. die Unterrichtsplanung eine konflikthafte Entscheidungssituation ist, liegen dagegen für die weitere Teilannahme, dass 2. diese Konflikthaftigkeit Tendenzen im Entscheidungsverhalten hervorruft, die die kognitiven Planungsoperationen beeinflussen, keine Befunde vor:

Zu 1.: Planungsnovizinnen und -novizen scheinen die Unterrichtsplanung als eine konflikthafte Situation zu erleben. Denn unerfahrene Lehrkräfte besitzen ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis, das jede Entscheidungsoption aus der Angst heraus, Fehler im ungewissen Unterricht zu begehen, mit dem selbstbezogenen, affektiven Risiko des Scheiterns versieht (Bullough 1987; Koeppen 1998). Darüber hinaus verfügen unerfahrene Lehrkräfte in der Regel über keine entlastenden Planungsroutinen (Westerman 1991; Yinger 1980), weshalb sie Schwierigkeiten mit der Vorhersage der Folgen ihrer Entscheidungen haben und – im Wissen um ihre Unerfahrenheit – eher davon ausgehen, dass es bessere Entscheidungsoptionen gibt (Borko und Livingston 1989). Schließlich stehen unerfahrene Lehrkräfte mit einer geringeren Zahl (Griffey und Housner 1991) an relativ zeitaufwendigen (Livingston und Borko 1989) Planungsentscheidungen für die kommende Einzelstunde (Hall und Smith 2006) bei einer ähnlichen wöchentlich investierten Zeit für die Unterrichtsplanung wie erfahrene Lehrkräfte (Ball et al. 2007; Clark und Yinger 1980) unter einem besonderen Zeitdruck des herannahenden Termins (Pfannkuche 2015).

Zu 2.: Ob angenommene Tendenzen im Entscheidungsverhalten die Informationsselektion und Inferenzbildung von unerfahrenen Lehrkräften in deren Unterrichtsplanung beeinflussen, wurde empirisch noch nicht untersucht. Lediglich Studien im Zusammenhang mit konflikthaften Entscheidungssituationen im medizinischen (Chipchase et al. 2017) oder persönlichkeitspsychologischen Bereich (Di Fabio und Palazzeschi 2012) lassen darauf schließen, dass diese Tendenzen auch einen Einfluss auf die Unterrichtsplanung von unerfahrenen Lehrkräften haben könnten.

3 Fragestellung

An diesem Desiderat setzt die vorliegende Studie mit der Frage an, inwiefern Tendenzen im Entscheidungsverhalten (Vigilanz, Vermeidung, Aufschub und Hypervigilanz) das selbsteingeschätzte adaptive Planungsverhalten als spezifischer Facette der Operationen der Informationsselektion und Inferenzbildung in den ersten Planungsversuchen unerfahrener Lehrkräfte beeinflussen. Die Tendenzen im Entscheidungsverhalten werden mit dem Melbourne-Decision-Making-Questionnaire (Mann et al. 1997) gemessen, der bisher aber erst in anderen Sprachen (Bailly und Ilharragorry-Devaux 2011; Cotrena et al. 2018; Isaksson et al. 2014) als Deutsch vorliegt. Deshalb wird zunächst eine deutschsprachige Übersetzung faktoriell validiert (Studie 1), bevor Einflüsse der vier Entscheidungstendenzen auf das selbsteingeschätzte adaptive Planungsverhalten angehender Lehrkräfte geprüft werden (Studie 2).

4 Faktorielle Validierung einer deutschsprachigen Version des Melbourne-Decision-Making-Questionnaires (Studie 1)

4.1 Methode

4.1.1 Vorgehen, Instrument und Stichprobe

Zur faktoriellen Validierung einer deutschsprachigen Version des Melbourne-Decision-Making-Questionnaires (MDMQ; Mann et al. 1997) wurden die Items der englischsprachigen Originalversion von zwei bilingualen Personen aus dem Englischen ins Deutsche und danach wieder zurück übersetzt (Schmitt und Eid 2007). Anschließend wurden die festgestellten und diskutierten Unterschiede zwischen Rückübersetzung und Original zugunsten der flüssigen Lesbarkeit der Items in der deutschsprachigen Version aufgelöst.

Der MDMQ umfasst 22 Items auf vier Skalen, die die Entscheidungstendenzen Vigilanz (6 Items, z. B. „Ich versuche herauszufinden, welche Nachteile verschiedene Alternativen haben.“), Vermeidung (6 Items, z. B. „Ich überlasse das Treffen von Entscheidungen lieber anderen.“), Aufschub (5 Items, z. B. „Ich zögere Entscheidungen heraus, bis es zu spät ist.“) und Hypervigilanz (5 Items, z. B. „Ich habe das Gefühl, bei Entscheidungen unter enormem Zeitdruck zu stehen.“) operationalisieren.

Die Rekrutierung der Teilnehmenden fand in einer für alle Lehramtsstudierenden verpflichtenden allgemeindidaktischen Veranstaltung im Bachelorstudium an der Universität Vechta statt. Am Ende dieser Veranstaltungen erklärten sich 180 Studierende bereit, die Items des MDMQ auf einer fünfstufigen, endpunktbenannten Likert-Skala (1 = „trifft überhaupt nicht zu“; 5 = „trifft voll und ganz zu“) einzuschätzen. Die Studierenden befanden sich zu diesem Zeitpunkt meist am Ende ihres vierten Fachsemesters (M = 4,96, SD = 0,98), waren in der Mehrzahl weiblich (n = 138, 78 %) und durchschnittlich 22 Jahre alt (M = 22,41, SD = 1,90).

4.1.2 Statistische Analysen

Um die von Mann et al. (1997) sowie Bailly und Ilharragorry-Devaux (2011) postulierte Skalenstruktur für die deutschsprachige Version zu überprüfen, wurden mittels konfirmatorischer Faktorenanalysen vier Modelle spezifiziert und einander gegenübergestellt: Modell I entspricht dem MDMQ mit vier korrelierten Faktoren (Vigilanz, Vermeidung, Aufschub und Hypervigilanz). Modell II stellt ein zweidimensionales Modell mit den Faktoren des produktiven (Vigilanz) und kontraproduktiven Entscheidens (Vermeidung, Aufschub und Hypervigilanz) dar. Modell III folgt den ursprünglichen Überlegungen von Janis und Mann (1977), die drei Faktoren Vigilanz, Hypervigilanz und „Defensive Avoidance“ (Vermeidung und Aufschub) zu unterscheiden, und in Modell IV wurde aus den Korrelationen der vier Faktoren von Modell I ein Faktor zweiter Ordnung extrahiert. Aufgrund der ordinalen Datenstruktur wurde der WLMSV-Schätzer verwendet. Die Modelle wurden auf Basis des Satorra-Bentler korrigierten Chi-Quadrat-Differenzentests (Satorra und Bentler 2010) in Mplus 7.3 (Muthén und Muthén 2014) miteinander verglichen.

4.2 Ergebnisse

Tab. 1 enthält die Fit-Indices der spezifizierten Messmodelle. Im Vergleich zu den Modellen II, III und IV zeichnet sich Modell I durch eine signifikant bessere Anpassungsstruktur aus (I vs. II: χ2(5) = 101,20, p < 0,001; I vs. III: χ2(3) = 67,71, p < 0,001; I vs. IV: χ2(2) = 14,73, p < 0,001).

Tab. 1 Fit-Indices der vier konfirmatorisch getesteten Modelle

Die standardisierten Faktorladungen einschließlich der Standardfehler der einzelnen Items sowie die interne Konsistenz, der Mittelwert und die Standardabweichung der einzelnen Skalen sind in Tab. 2 abgetragen. Die interne Konsistenz liegt für alle vier Skalen im akzeptablen bis guten Bereich.

Tab. 2 Faktoren, Items, standardisierte Faktorladungen und Standardfehler des MDMQ (Modell I)

5 Einflüsse der Tendenzen des Entscheidungsverhaltens auf das selbsteingeschätzte adaptive Planungsverhalten (Studie 2)

5.1 Methode

5.1.1 Vorgehen und Stichprobe

Zur Untersuchung des Einflusses der Entscheidungstendenzen auf die Informationsselektion und Inferenzbildung in der Unterrichtsplanung wurde in den Begleitseminaren des Allgemeinen Schulpraktikums (ASP) an der Universität Vechta eine Längsschnittstudie mit zwei Messzeitpunkten realisiert. Dieser erste schulpraktische Anteil im regulären Studienverlauf wurde gewählt, um sicherzustellen, dass die Teilnehmenden über wenig Unterrichtsplanungserfahrungen und damit über keine Planungsroutinen verfügen und sie die Unterrichtsplanung als schwierige (Gassmann 2013) und konflikthafte (s. Kap. 2) Aufgabe empfinden.

Das sechswöchige ASP wird durch ein Seminar zu theoretischen Grundlagen der Unterrichtsplanung vorbereitet. Im ASP hospitieren die Studierenden an einer zugeteilten Praktikumsschule zunächst den Unterricht einer betreuenden Lehrkraft, bevor sie eigene Unterrichtsversuche durchführen. In einem Nachbereitungsseminar zum ASP erhalten die Studierenden die Gelegenheit, ihre Unterrichtserfahrungen zu reflektieren.

Insgesamt nahmen 61 Studierende des lehramtsbezogenen Bachelorstudienganges an der Universität Vechta an t1 (Ende Vorbereitungsseminar) und t2 (Beginn Nachbereitungsseminar) teil, die sich größtenteils im vierten Fachsemesters befanden (M = 4,30, SD = 1,13). Die Mehrzahl der Teilnehmenden war weiblich (n = 49, 80 %) und zum ersten Erhebungszeitpunkt im Mittel 22 Jahre alt (M = 22,21, SD = 1,74).

5.1.2 Instrumente

Für die Erfassung der Tendenzen im Entscheidungsverhalten wurde die validierte Version des MDMQ (Studie 1) eingesetzt. Die einzelnen Subskalen zeigen zu t1 und t2 gute interne Konsistenzen (Vigilanz: α‑t1 = 0,82, α‑t2 = 0,74; Vermeidung: α‑t1 = 0,82, α‑t2 = 0,83; Aufschub: α‑t1 = 0,85, α‑t2 = 0,72; Hypervigilanz: α‑t1 = 0,78, α‑t2 = 0,81).

Da die Operationalisierung der Informationsselektion und Inferenzbildung ökonomisch bei einer großen Stichprobe einsetzbar sein sollte, fiel die Entscheidung auf das mit 14 Items relativ kurze Selbsteinschätzungsinstrument zum adaptiven Planungsverhalten von König et al. (2017b). Dieses Instrument erfasst die eigene Einschätzung von unterrichtlichen Planungsentscheidungen hinsichtlich des Planungsaspekts der Adaptivität als beispielhafter Facette von Unterrichtsplanungsentscheidungen. Dabei spezifizieren die Items die Operationen der Informationsselektion und Inferenzbildung für das adaptive Planungsverhalten (Beck et al. 2008; Kirsch 2020) inhaltlich. Für dieses Instrument spricht außerdem die Fokussierung der einzelnen Items auf ausgewählte Entscheidungszusammenhänge, was der gut belegten Fähigkeit von Planungsnovizinnen und -novizen entspricht, nur wenige ihrer Entscheidungen aufeinander beziehen zu können (Koeppen 1998; Westerman 1991): Das Instrument erfasst, inwieweit Planungsentscheidungen auf die Lerngruppe (3 Items, z. B. „Ich überlege mir, welche Lernvoraussetzungen ich bei der Schulklasse antreffe.“), die Aufgaben (6 Items, z. B. „Ich stimme die Aufgabe(n) auf individuelle Lernvoraussetzungen der Schüler*innen ab.“) und den Lernprozess (5 Items, z. B. „Ich überprüfe, ob die Bearbeitung der Aufgabe zu meinem Unterrichtsziel hinführt.“) der Lernenden abgestimmt werden. Die Items wurden auf einer fünfstufigen, endpunktbenannten Likert-Skala (1 = „trifft überhaupt nicht zu“; 5 = „trifft voll und ganz zu“) eingeschätzt. Wie auch bei König et al. (2017b), vereinen sich die Items zu einem Faktor zweiter Ordnung, der bei einer akzeptablen bis guten Reliabilität (α‑t1 = 0,83; α‑t2 = 0,66) zu t1 und t2 als Indikator für das selbsteingeschätzte Planungsverhalten (sPv) genutzt wurde.

5.1.3 Statistische Analyse

Der Einfluss der Entscheidungstendenzen auf das sPv wurde mittels eines Cross-Lagged-Panel-Modells in Mplus 7.3 (Muthén und Muthén 2014) analysiert. Cross-Lagged-Panel-Modelle dienen dazu, mögliche Wirkungsstrukturen im Längsschnitt auf Basis zweier oder mehrerer zeitlich verzögert erhobener Variablen aufzudecken. Zur Analyse der kausalen Struktur werden die wiederholt gemessenen Variablen über autoregressive Pfade miteinander verknüpft und geprüft, inwieweit die durch den autoregressiven Effekt nicht erklärte Varianz zu einem späteren Messzeitpunkt durch weitere Variablen erklärt werden kann, die zu den Messzeitpunkten berücksichtigt werden. Zur Überprüfung der Kausalität werden die jeweils korrespondierenden, sogenannten kreuzverzögerten Pfade zwischen zwei Variablen miteinander in Relation gesetzt und analysiert, welcher der kreuzverzögerten Pfade eine höhere Prädiktionskraft für die jeweils vorhergesagte Variable besitzt (McArdle 2009).

Aufgrund der geringen Stichprobengröße wurden die autoregressiven, kreuzverzögerten Pfade und die messzeitpunktspezifischen Korrelationen durch ein datenbasiertes, bayesianisches Vorgehen geschätzt (McNeish 40,41,a, b). Hierzu wurde aus den Daten erstens eine a‑priori-Verteilung der zu schätzenden Parameter generiert, indem das Cross-Lagged-Panel-Modell mittels des robusten Maximum-Likelihood-Schätzers spezifiziert wurde. Unter den Bedingungen dieser a‑priori geschätzten Verteilung der Parameter wurde das Modell zweitens abermals mittels einer bayesianischen Schätzung berechnet, eine a‑posteriori Verteilung der geschätzten Parameter bestimmt und deren Signifikanz geprüft (König und van de Schoot 2018; Smid et al. 2020).

Im Rahmen der Spezifikation der Hyperparameter des bayesianischen Modells wurde von einer Normalverteilung der einzelnen Parameterschätzungen im Kontext der a‑priori-Verteilung ausgegangen. Für die einzelnen Hyperparameter wurden dabei die Pfad- und Korrelationskoeffizienten als Mittelwert gesetzt, die im ersten Schritt geschätzt wurden. Darüber hinaus wurde die hohe Unsicherheit dieser Schätzungen in der Varianz der Hyperparameter berücksichtigt, indem – gemäß des Vorgehens von Yuan und MacKinnon (2009) – der quadrierte Standardfehler der robusten Maximum-Likelihood-Schätzung für die jeweiligen Pfad- und Korrelationskoeffizienten vervierfacht wurde.

Zur Evaluation der Modellgüte wurde der χ2-basierte posterior predictive p-value (ppp-value) und dessen Konfidenzintervall betrachtet. Ppp-values nahe 0,50 mit einem um Null zentrierten symmetrischen Konfidenzintervall lassen auf eine gute Anpassungsstruktur des Modells schließen (Kaplan und Depaoli 2012).

Zur Untersuchung intraindividueller Unterschiede im sPv von t1 zu t2 wurde der Reliable Change Index (RCI; Jacobson und Truax 1991) als standardisiertes Maß verwendet. Ein RCI von ≥1,96 bzw. ≤−1,96 bedeutet eine signifikante Zu- bzw. Abnahme des individuellen Wertes.

5.2 Ergebnisse

Tab. 3 enthält die Ergebnisse der deskriptiven Voranalysen. Im t‑Test für abhängige Stichproben zeigt sich eine signifikante Verringerung der Hypervigilanz über die Zeit (t = 3,39; df = 60; p ≤ 0,01; d = −0,43). Alle anderen Variablen erweisen sich als zeitstabil. Die Vigilanz steht zu t1 und t2 in einem positiven Zusammenhang mit dem sPv zu t1 und t2, der Aufschub zu t1 und t2 korreliert negativ mit dem sPv zu t2. Für die Vermeidung und Hypervigilanz finden sich signifikant negative Korrelationen mit dem sPv nur zu t2.

Tab. 3 Mittelwerte, Standardabweichung, Ergebnisse des T‑Test für abhängige Stichproben sowie Interkorrelation der Variablen

Tab. 4 präsentiert die Koeffizienten, Standardfehler und Konfidenzintervalle der bayesianischen Parameterschätzung des Cross-Lagged-Panel-Modells. Dieses Modell zeigt mit ppp = 0,58 (CI95%: [−36,91; 29,60]) eine sehr gute Anpassungsstruktur an die Daten. Im Rahmen dieses Modells beeinflusst über die Autoregression des sPvs zu t1posterior = 0,42; SDposterior = 0,10, p < 0,01; CI95%: [22; 0,61]) hinaus insbesondere der Entscheidungsaufschub zu diesem Messzeitpunkt (βposterior = −0,26; SDposterior = 0,13, p < 0,05; CI95%: [−0,51; −0,01]) die Ausprägung des sPvs zu t2 signifikant. Die Ausprägung des sPvs zu t1 sagt jedoch statistisch bedeutsam den Entscheidungsaufschub zu t2 vorher. Allerdings umschließt das 95 %ige Konfidenzintervall die Null (βposterior = 0,13; SDposterior = 0,07, p < 0,05; CI95%: [−0,01; 0,27]), so dass auf Basis des Vergleichs der korrespondierenden kreuzverzögerten Pfade von einem kausalen Effekt des Entscheidungsaufschubes auf die Ausprägung des sPvs ausgegangen werden kann. Außerdem erweist sich der posteriore Regressionskoeffizient der Vigilanz zu t1 als signifikant in Bezug auf die Prädiktion des sPvs zu t2posterior = 0,18; SDposterior = 0,11, p < 0,05), wobei das sPv zu t1 nicht die Vigilanz zu t2 prädiziert (βposterior = 0,15; SDposterior = 0,11, p = n. s.; CI95%: [−0,07; 0,37]). Da jedoch das 95 %ige Konfidenzintervall (CI95%: [−0,03; 0,38]) des kreuzverzögerten Pfades von Vigilanz zu t1 auf das sPv zu t2 die Null umschließt, ist dieser kausale Einfluss eher tendenzieller Art. Alle anderen kreuzverzögerten Pfade zeigen keinen statistisch bedeutsamen Effekt.

Tab. 4 Ergebnisse der bayesianischen Cross-Lagged-Panel-Schätzung

Die Berechnung des RCI zeigt nur für eine der teilnehmenden Personen einen signifikanten Zuwachs im sPv von t1 zu t2 (RCI = 3,85). Die RCIs aller anderen Teilnehmenden liegen zwischen −1,57 und 1,22 (nicht signifikant), weshalb auf eine Untersuchung von Extremgruppen verzichtet werden musste.

6 Diskussion

Ziel dieser Studie war es, Zusammenhänge zwischen vier Entscheidungstendenzen und der Informationsselektion und Inferenzbildung beim selbsteingeschätzten adaptiven Planungsverhalten von Planungsnovizinnen und -novizen als einer Facette der Unterrichtsplanung zu explorieren, um dadurch den Blick der Unterrichtsplanungsforschung für psychoemotionale Einflüsse auf die kognitiven Operationen bei der Unterrichtsplanung zu öffnen. Zunächst wurde in Studie 1 eine deutsche Version des MDMQ (Mann et al. 1997) zur Erhebung von vigilantem, vermeidendem, aufschiebendem und hypervigilantem Entscheidungsverhalten faktoriell validiert. Die Modellvergleiche bestätigen die von Mann et al. postulierte Skalenstruktur mit vier Faktoren bei einer guten Reliabilität der einzelnen Faktoren. Anschließend wurden in Studie 2 die Einflüsse dieser vier Tendenzen im Entscheidungsverhalten auf das selbsteingeschätzte adaptive Planungsverhalten über zwei Zeitpunkte hinweg mittels eines Cross-Lagged-Panel-Modells geprüft. Die Ergebnisse zeigen (tendenzielle) Einflüsse des aufschiebenden und vigilanten Entscheidens auf das selbsteingeschätzte adaptive Planungsverhalten: Nach einem sechswöchigen Schulpraktikum wird das adaptive Planungsverhalten von Lehramtsstudierenden umso höher eingeschätzt, je weniger aufschiebend und – tendenziell – je vigilanter das Entscheidungsverhalten vor dem Praktikum ist. Bei aller gebotenen Zurückhaltung lässt sich also die Annahme von Janis und Mann (1977) zur Bedeutung der Tendenzen im Entscheidungsverhalten auf die Unterrichtsplanung übertragen. Stützen lässt sich diese Übertragung auch dadurch, dass sich der Befund einer negativen Wirkung von Prokrastination auf das selbsteingeschätzte adaptive Planungsverhalten mit Befunden zur allgemeinen Prokrastination bei Lehramtsstudierenden (Lohbeck et al. 2017) oder zum Verhältnis von Prokrastination und akademischer Leistung (Kim und Seo 2015) deckt.

Einerseits liefern die Befunde dieser Studie also empirische Hinweise auf die Bedeutung von Shavelson und Sterns (1981) Annahme, dass psychoemotionale Faktoren einen Einfluss auf die kognitiven Planungsoperationen haben. Für die Unterrichtsplanungsforschung könnte es deshalb lohnend sein, diesen Einfluss künftig genauer zu untersuchen und dabei auch neuere Erkenntnisse zum generellen Entscheiden in komplexen Situationen und der eingeschränkten Entscheidungsrationalität aufzugreifen (Payne et al. 2008), in denen die Annahmen von Janis und Mann (1977) und Mann et al. (1997) eine Bestätigung und Weiterführung erfahren. Andererseits ist die Aussagekraft dieser Befunde vor dem Hintergrund der Limitationen dieser Studie zu relativieren: Da die Studienlage die Konflikthaftigkeit von Planungssituationen bisher erst für Novizinnen und -novizen nahelegt, steht die relativ kleine und nicht repräsentative Stichprobe nicht stellvertretend für Lehrkräfte im Allgemeinen, für die – z. B. über kontrastive Verfahren – die Ergebnisse dieser Studie repliziert und ggf. relativiert werden müssten.

Hinzu kommt, dass in dieser Studie Selbsteinschätzungsmaße genutzt wurden, die zwar übliche und valide Indikatoren darstellen (König et al. 2017b), die die Studierenden aber z. B. durch den Seminarkontext, an den beide Befragungen gekoppelt waren, zu sozial erwünschtem Antwortverhalten animiert haben könnten. Im Seminar wurden die Studierenden nämlich explizit auf die Unterrichtsplanungsaufgabe vorbereitet und mussten als Prüfungsleistung zum erfolgreichen Abschluss eine ausführliche Unterrichtsplanung vorlegen.

Außerdem könnte das Selbstkonzept der Studierenden einen Einfluss auf das Antwortverhalten gehabt haben: Einen Anlass zu dieser Vermutung bieten die Befunde zur Wirksamkeit des Praktikums, die zwar nicht im Zentrum dieser Untersuchung standen, die aber durch das längsschnittliche Design impliziert waren. Wie die intraindividuellen RCIs zeigen, ist die Selbsteinschätzung des adaptiven Planungsverhaltens nach dem Praktikum unverändert, so dass das Praktikum keine Effekte auf diese Selbsteinschätzungen zu haben scheint – vermutlich auch, weil das Planungsverhalten schon vor dem Praktikum hoch eingeschätzt wurde. Eine solch hohe Selbsteinschätzung der eigenen Kompetenzen vor den ersten Berufserfahrungen unter Lehramtsstudierenden ist keine Seltenheit, wobei Rothland (2018) annimmt, dass „die von den Lehramtsstudierenden sich selbst zugeschriebenen Fähigkeiten und Fertigkeiten kaum Ergebnis ihrer bisherigen akademischen Ausbildung sein oder auf schulische oder pädagogische Vorerfahrungen zurückgeführt werden“ können (S. 490). Stattdessen, so argumentiert Rothland unter Rückgriff auf Greif (2008), bildeten Selbsteinschätzungen ideale Selbstkonzepte der Lehramtsstudierenden ab, deren oberstes Ziel während Praktika offenbar der Schutz oder die Optimierung ihrer Selbstbilder ist (Meyer und Kiel 2014). Als Limitation erweist sich das verwendete Selbsteinschätzungsmaß dann also deshalb, weil es weniger das eigene Planungsverhalten als vielmehr das Selbstkonzept abbilden könnte. In diesem Fall ließe sich der Hauptbefund auch so interpretieren, dass Personen mit einem stärker ausgeprägten positiven Selbstkonzept weniger zum Aufschieben neigen, da sie der Überzeugung sind, dass sie die anstehende Anforderung meistern. Einer solchen Interpretation könnte in Folgestudien genauer nachgegangen werden.

Schließlich bildet das gewählte Instrument – anders als objektive Maße z. B. zur Analyse der Güte von Planungsentscheidungen als Ergebnis von Planungskognitionen in schriftlichen Unterrichtsentwürfen (König et al. 2015; Stender 2014) oder Vignettentests (Kirsch 2020) – keine eindeutigen, auf die Praxis der Unterrichtsplanung bezogenen Informationsselektionen und Inferenzbildungen (und auch Selbsteinschätzungen) ab. Folgestudien müssten deshalb explizit das unterrichtsplanerische Entscheiden als situationsspezifische Fähigkeit (König et al. 2017a) im Feld fokussieren und die Frage nach psychoemotionalen Einflüssen anhand von objektiven Maßen aufwerfen. Mithilfe solcher Maße könnten dann zusätzlich genauer graduelle Abstufungen der Tendenzen im Entscheidungsverhalten, z. B. der Überplanung als Extremform vigilanten Entscheidens mit Verkehrung ins Unproduktive (Janis und Mann 1977), und ihres Einflusses auf die Ergebnisqualität der Planungskognitionen erfasst werden.

Trotz dieser Limitationen lässt sich zumindest ein generalisierender, praxisbedeutsamer Schluss ziehen. Offenbar spielt der affektbeladene Umgang mit Entscheidungssituationen eine Rolle für unterrichtliche Planungsentscheidungen von angehenden Lehrkräften. Dieser Befund könnte zum Anlass genommen werden, um Studierende in Lehrveranstaltungen verstärkt zur Reflexion ihres Entscheidungsverhaltens in anderen Situationen zu motivieren, um sie für Tendenzen in ihrem Entscheidungsverhalten zu sensibilisieren. Eine solche Reflexion eigener Planungsentscheidungen während der Planung und nach der Unterrichtsdurchführung ließe sich z. B. im Kontext des Lesson-Study-Ansatzes (Cheung und Yee Wong 2014) realisieren, bei dem kollaborativ geplanter Unterricht zunächst durchgeführt und anschließend gemeinsam analysiert wird. Die grundsätzlichen Wirkungen eines solchen vollständigen Kreislaufs von Planung, Durchführung und Reflexion (Munthe und Conway 2017) ließen sich dann auch für den Aspekt der psychoemotionalen Planungseinflüsse nutzen.