1 Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus – ein Jugendproblem?

Wenn Gewalt und schwere Hasstaten gegen Mitglieder bestimmter Gruppen in der Gesellschaft als ‚jugendlicher Rechtsextremismus‘ sichtbar wird und dieser mediale, politische oder auch wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfährt, dann zumeist und zunächst mit dem Fokus auf das Lebensalter und die Lebenslage der Täter_innen als Erklärungsfaktor. Für die Auseinandersetzung mit Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus als ‚Jugendproblem‘ schien auch seit den rassistischen Ausschreitungen in den 90er-Jahren die Evidenz zu sprechen, dass es nach dem Mauerfall eine wachsende jugendkulturelle Szene um neonazistische Gruppierungen gab, die für die Angriffsserie auf Ausländer und Asylsuchende verantwortlich waren. Die Beschäftigung mit Rechtsextremismus war seitdem in weiten Teilen Jugendforschung (Rieker 2006).

Dabei wurde die Debatte von einem selektiven Verständnis geprägt, das sich auf jugendliche Täterbeschreibungen ausrichtete und vor allem junge Männer in Ostdeutschland meinte (Groffmann 2001; Jäger 1997; Lynen von Berg 2000). Insbesondere am Beispiel des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds lässt sich nachzeichnen, dass deren Mitglieder sich im Jugend- bzw. jungen Erwachsenenalter radikalisierten (Würstl 2016). Und auch heute inszenieren sich junge Rechtsextreme stärker in der Öffentlichkeit als andere. Angesicht eines anhaltenden antidemokratischen Potenzials in der Gesellschaft wurde ein solch generations- bzw. jugendbezogenes Verständnis der betreffenden Phänomenbereiche teilweise neu begründet. Wie die Forschung zum Rechtsextremismus zunehmend junge Menschen in den Fokus nahm, zielte auch die mehr oder minder gut begründete Pädagogik gegen Rechts auf junge Menschen ab. Die aufgelegten Bundesprogramme zur Extremismusprävention und Demokratieförderung wurden verstärkt und im Feld pädagogischer Arbeit überwiegend an Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und deren Bezugspersonen gerichtet (vgl. BMFSFJ 2016).Footnote 1

Obgleich dies noch zu erforschen wäre, entstehen dabei Verzerrungen und Wechselwirkungen zwischen der staatlichen Förderung einzelner Maßnahmen und Programme, der medialen Berichterstattung über Menschenfeindlichkeit und Rechtextremismus und eben auch einer erziehungswissenschaftlichen Konzentration auf das Jugendalter als Erklärungsfaktor. Letzteres spiegelt sich grundlegend in der Entwicklung von Theorie- und Forschungsansätzen wider, die sich auf sozio-ökonomische Prozesse der Modernisierung, Individualisierung und Desintegration stützten (vgl. Überblick von Frindte et al. 2016). Zementiert wurde damit der Eindruck, dass Jugendforschung vor allem Bereiche betritt, „in denen Gesellschaft über Jugend beunruhigt ist, wo die Genese einer demokratisch gesonnenen Persönlichkeit auszubleiben droht“ (Reinders 2001, S. 9). Mudde (2014) betont sogar, dass es mehr Studien zum Thema Jugend und Rechtsextremismus in Deutschland gibt als in der restlichen Welt zusammen.

Es ist nachvollziehbar und notwendig, dass die Entwicklung ‚jugendlichen Rechtsextremismus‘ in seinen verschiedenen Ausprägungsformen von Interesse für die Öffentlichkeit und Politik eines demokratisch verfassten Staats ist, der ausdrücklich einen Bildungs- und Erziehungsauftrag im Sinne demokratischer Grundsätze formuliert (z. B. KMK 2018). Allerdings gerät dabei der gesellschaftliche Kontext, in dem sich die politische Sozialisation auf der Grundlage geteilter Normen und Werte vollzieht, leicht aus dem Blick, wie schon Klönne (1994) auf die Frage verwies, „wie denn jugendspezifische rechtsextreme Risiken und in der ‚erwachsenen‘ Gesamtgesellschaft etablierte Weltbild und Verhaltensweisen ineinandergebunden sind“ (S. 141). Auch die Analyse von Rieker (2006) verweist darauf.

Mit der im Jahr 2014 wieder aufgekeimten ‚(Anti‑)Asyldebatte‘, deren tiefgreifenden Polarisierung in der Gesellschaft und Resonanz für antidemokratische, wie menschenfeindliche und verschwörungsideologische Agitation ging ein enormer Anstieg des Personenpotentials sowie von Hass- und Gewalttaten im Bereich des Rechtsextremismus einher, bei gleichzeitig schwindender Abgrenzung davon in anderen Teilen der Bevölkerung (BMI 2016). Trotz oder wegen der gesellschaftlichen Verbreitung entsprechender Einstellungen, schienen aber vor allem bestimmte Altersgruppen, vermutlich sogar im Namen einer schweigenden Mehrheit, zur Tat zu schreiten. Länderspezifische Hellfeldstatistiken zur politisch-rechts-motivierten KriminalitätFootnote 2 zeigen unter anderem, dass 2018 am häufigsten gegen männliche Personen über 21 bzw. 30 Jahren Tatverdacht bestand (Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt 2019; Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen 2019), womit eher junge Erwachsene in den Fokus der Ermittlungen rückten.

Ähnliche Muster zeigen sich mit Blick auf das Wahlverhalten. Beispielsweise weisen Analysen der Landtagswahlen 2019 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen auf entscheidende Verschiebungen zwischen den Altersgruppen hin. Entgegen des Bildes ‚alter weißer Männer‘, die ihre Wut über einen vermeintlichen Bedeutungs- und Privilegienverlust in der Unterstützung antifeministischer und rassistischer Kräfte ausdrücken (vgl. Kimmel 2016), waren es die über 60-Jährigen, die beispielsweise zu einem deutlich geringeren Anteil die AfD gewählt haben als die 30- bis 59-Jährigen. Gleichwohl erhielt die AfD mit durchgängigem Abstand die meisten Stimmen von männlichen Wählern (infratest dimap 38,39,40,a, b, c; Forschungsgruppe Wahlen 18,19,20,a, b, c).

Zur Untersuchung von antidemokratischen Einstellungen unter jungen Menschen rekurriert in Teilen auch die Shell-Jugendstudie auf einzelne Fragen jener Erhebung, die wir später zugrunde legen. Die darin befragten 12- bis 25-Jährigen äußern zuletzt ein nach 2015 anhaltendes Problembewusstsein für ‚Ausländerfeindlichkeit‘, wenngleich rund 30 % angeben, dass ihnen ‚die Zuwanderung nach Deutschland‘ Angst macht. Ähnlich ambivalent wird die Aufnahme von Flüchtlingen bewertet und auch die Unterstellung eines Meinungsdiktats findet in der Aussage „In Deutschland darf man nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden“ breite Zustimmung (Schneekloth und Albert 2019).

Konkret nach rechtsextremen Einstellungen gefragt, berichten Krieg und Kliem (2019) im Zeitvergleich zwischen 2013, 2015 und 2017 von Schüler_innen der 9. Jahrgangsstufe in Niedersachsen kaum Veränderungen für die Subdimension der Ausländerfeindlichkeit; mit den zwar höchsten Zustimmungswerten jedoch einen leichten Rückgang bei der erhobenen Form von Muslimfeindlichkeit; sowie eine deutlich geringe Zustimmung bei Antisemitismus und auch beim Chauvinismus. Eine rechtsautoritäre Diktatur befürworten auch die Wenigsten ohne signifikante Veränderungen über die Erhebungsjahre. Für 2015 und 2017 sei insgesamt eine höhere Prävalenz von Rechtsextremismus unter Jungen niedrigerer Schulformen als unter Mädchen höherer Schulformen festzustellen. Für weitere Vergleiche zu rechtsextremen Einstellungen sei auch auf die Analysen von Stöss (2007) sowie Stöss und Niedermayer (2008) verwiesen, die eher unter älteren Generationen höhere Zustimmungswerte verzeichneten.

Ebenso konnte mit Blick auf Vorurteilsmuster bzw. gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit die Annahme altersspezifischer und veränderter Sozialisationsbedingungen bestätigt werden, dass im Vergleich zu jüngeren Befragten zwischen 16 und 25 Jahren fast durchgängig die Älteren über 26 Jahren den einzelnen Abwertungselementen signifikant häufiger zustimmten. Eine Ausnahme bildet die Abwertung von Obdachlosen. Keinen Unterschied zwischen den beiden Altersgruppen gab es bei der Abwertung von Menschen mit Behinderung (Endrikat 2006).

Auffällige (Geschlechts- und) Altersunterschiede herauszustellen scheint dem Forschungsstand zufolge durchaus angebracht, aber eine Vereinfachung und Verengung des Diskurses läuft Gefahr, die politische Sozialisation falsch zu verstehen und das antidemokratische Potenzial in der Breite der Bevölkerung zu unterschätzen, was immer wieder zur Selbstentlastung beiträgt.Footnote 3 So vielschichtig und zeitgeschichtlich der Ausdruck von sozialen und politischen Ideologien der Ungleichwertigkeit ist, so unterschiedlich sind auch das Ausmaß und die Verschiebung des Problems, je nachdem, welche Indikatoren herangezogen werden. Notwendigerweise wird dabei zwischen Verhalten und Einstellungen unterschieden.

Wenn Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus, z. B. in Form offener Gewalt oder eben auch im Wahlverhalten zu Tage treten, dann ist dies die Spitze eines Eisberges, dessen Ganzes die historischen Kontinuitäten und gesellschaftlichen Verhältnisse betrifft, die sich nicht zuletzt in den Einstellungen sowie Wert- und Normvorstellungen der Bevölkerung widerspiegeln; mit all deren kognitiven, affektiven und handlungsnahen Komponenten, sodass zwar moderate Zusammenhänge, aber kein Determinismus zwischen abwertenden Einstellungen und diskriminierendem Verhalten besteht (Schütz und Six 1996). Nur, je stärker Einstellungen ausgeprägt sind und auch über die Zeit stabil bleiben, desto enger hängen sie mit Verhalten zusammen (Glasman und Albarracín 2006), was sich insbesondere für emotional verankerte Vorurteile zeigt (Talaska et al. 2008). Dabei variieren feindselige Einstellungen über die Zeit und in unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung, sind allerdings bei keiner demografischen Gruppe verhaftet oder allein zu verorten.

Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen und der Frage, wie trennscharf sich Feindseligkeiten und rechtsextreme Orientierungen überhaupt in zunächst demografisch bestimmten Altersgruppen verorten lassen, soll eine differenzierte Analyse von antidemokratischen Orientierungen vorgenommen werden. Ebenso sollen daraus Hinweise auf Fragen der Ursachen von- sowie Bildung und Erziehung gegen Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus ermittelt werden (Zick et al. 2019a).

Die Analyse soll aus einer interdisziplinär erziehungswissenschaftlichen Perspektive auf die politische Sozialisation junger Heranwachsender bzw. Erwachsener erfolgen, also der jungen Mündigen (Kuhn und Krappmann 2000). Hierfür werden Erkenntnisse der Vorurteilsforschung mit Sozialisationstheorie in Verbindung gebracht. Der Blick ist auf antidemokratische Orientierungen gerichtet, wozu neben rechtsextremen auch rechtspopulistische und menschenfeindliche Einstellungen gehören. Diese sind im Kern antidemokratisch, weil sie Überzeugungen der Ungleichwertigkeit von Menschen widerspiegeln (Berghan und Zick o. J.). Bevor wir sie genauer definieren, diskutieren wir zunächst Grundüberlegungen zur politischen Sozialisation und gehen dann genauer darauf ein, was hier unter rechtsextremen, rechtspopulistischen wie menschenfeindlichen Überzeugungen verstanden wird. Im Anschluss berichten wir intergenerative Unterschiede in aktuellen Daten einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage. Wir haben dazu Differenzen in den antidemokratischen Orientierungen zwischen Altersgruppen statistisch ausgewertet. Die empirischen Analysen sind auf junge Erwachsene konzentriert, genauer Menschen zwischen 18 und 30 Jahren. Wir analysieren also die politischen Überzeugungen in der späten Adoleszenz im Vergleich zu älteren Altersgruppen der 31- bis 60-Jährigen sowie über 60-Jährigen. Für die Gruppen sind mit Blick auf die Teilhabe an politischen Prozessen unterschiedliche Sozialisationskontexte bedeutsam, die u. a. durch damit einhergehende Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse geprägt sind, die sich wiederum in den politischen Orientierungen widerspiegeln können.

Zuletzt werfen wir auch ein Schlaglicht auf einige Faktoren, die neben dem Alter die Variation der Orientierungen in der Bevölkerung erklären können. Hierbei gehen wir heuristisch vor, d. h. wir dokumentieren ausgehend von sich in vorhergegangenen Analysen als erklärungskräftig erwiesenen Einflussfaktoren einige Auffälligkeiten in der empirischen Erklärung rechtsextremer Einstellungen. Der primäre Beitrag gilt aber der Frage nach dem Vorhandensein intergenerativer Unterschiede. Am Ende sollen auf der Grundlage der Analysen auch erste Hinweise für eine demokratische Erziehung und Bildung, die Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in der Gesamtbevölkerung ernst nimmt, gegeben werden.

2 Politische Sozialisation und Orientierungen zur Demokratie

Eine politische Sozialisation zu demokratischen oder eben antidemokratischen Orientierungen, wie sie sich in Menschenfeindlichkeit, Rechtsextremismus oder anderen politischen Einstellungen manifestieren, ist von den Bedingungen abhängig, die es Individuen überhaupt ermöglichen, ein politisch denkendes und handelndes Subjekt zu werden (vgl. z. B. Rippl et al. 2015). Kleeberg-Niepage (2012, S. 23) betont dies mit dem Blick auf rechtsextremes Denken. Dieses „[bahne sich] letztlich den gleichen Weg durch die Sozialisationsinstanzen wie demokratisches Denken auch“, was gegen die Idee spricht, „dass Rechtsextremismus eine Sonderform oder eben ‚Fehlentwicklung‘ politischer Sozialisation darstellt.“

In der politischen Sozialisation setzen sich Menschen aktiv mit ihrer Umwelt auseinander und eignen sich Werte und Normen in Bezug auf das gesellschaftliche Zusammenleben, bzw. dessen Institutionen, Strukturen und Funktionsweisen, sowie Einstellungen zu sozialen Gruppen an. In dieser wechselseitigen Auseinandersetzung der Individuen bzw. Subjekte mit politischer Macht und Ohnmacht besteht ein normativer Gehalt politischer Sozialisation darin, Mitglieder einer demokratischen Gesellschaftsform an eben jenen Verfassungskonsens zu binden (Kevenhörster 2008), der einen gewissen Grad an Unterstützung gegenüber dem politischen Systems erfordert, um dessen Stabilität und Legitimität zu gewährleisten (Easton 1975).

Dies entspricht jedoch keiner blinden bzw. unreflektierten Übernahme vorgegebener Werte und Normen. Vielmehr fordern gerade demokratisch verfasste Gesellschaften von ihren Subjekten die selbstständige, produktive, kritische und fortwährende Auseinandersetzung mit der sozialen Wirklichkeit und den gesellschaftlichen Spielregeln. Eine offene und vielfältige Demokratie ist zwar die Voraussetzung für politische Mündigkeit, aber diese Mündigkeit ist ihrerseits Voraussetzung für die Demokratie.

Dafür sind sowohl manifeste und meist formelle Faktoren wie die politische Bildung als auch latente und eher informelle Strukturen und Prozesse relevant. Für die politische Sozialisation und dabei insbesondere die Herausbildung rechtsextremer Einstellung können (früh-)kindliche Bindungs- und Interaktionserfahrungen in der Familie als auch die zunehmende Ablösung von ihr durch deren Bearbeitung im Jugendalter entscheidend sein (Hopf und Hopf 1997; Wahl et al. 2001). Neben Erfahrungen in der Kindheit wird auch die Bedeutung lebenslangen Lernens betont (Preiser 2008). Wobei die Ausbildung einer politischen Identität im Vordergrund steht, die von sozial geteilten Überzeugungen geprägt ist (Adams 1985). Die Adoleszenz ist für die politische Sozialisation eine „besonders sensible und prägende Phase“ (Rippl 2008, S. 444), die einerseits Möglichkeiten bietet, eine eigene politische Position einzunehmen, gesellschaftliche Rechte und Pflichten wahrzunehmen, oder auch sich von der gegebenen demokratischen Ordnung abzugrenzen. Mit zunehmenden Alter werden zudem die politischen Orientierungen stabiler (Hooghe und Wilkenfeld 2008) und die Befürwortung demokratischer Werte, Normen und Herrschaftsstrukturen enger miteinander verknüpft (Reinders 2001). Diese Einschätzung wird durch Längsschnittstudien gestützt (Grob 2009). Ebenso ist mit steigendem Alter von einem größeren Einfluss der Sozialisationsinstanzen auf die Ausbildung von Vorurteilen in der Adoleszenz auszugehen, zumal die Forschung zeigt, dass sich nach der Kindheit Vorurteile als identitätsrelevante gruppenbezogene Überzeugungen verfestigen, die junge Menschen an Gruppen binden und ihnen Zugehörigkeit eben in Abgrenzung zu sozial bedeutsamen ‚Anderen‘ verschaffen (Raabe und Beelmann 2011).

Vor dem Hintergrund der Problemstellung und Erkenntnis, dass antidemokratische Orientierungen frühe Vorläufer in der Entwicklung haben, sich in der Adoleszenz allmählich herausbilden und identitätsstiftend werden können, teilen wir die Ansicht, dass eine Auseinandersetzung mit Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus im Jugendalter zielgerichtet sein kann oder überhaupt notwendig wird. Allerdings müsste dies, gerade mit einem Blick auf die politische Sozialisation, die von Wechselwirkungen von Personenfaktoren der Identitätsbildung mit der gesellschaftlichen Umwelt ausgeht, die Frage nach dem gesellschaftlichen Klima, den Normen und gesellschaftlichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen hervorrufen. Wird nicht danach gefragt, wie Normalitätsvorstellungen der Ungleichwertigkeit von Gruppen prägend sind, können menschenfeindliche und rechtsextreme Sichtweisen im Jugendalter vorschnell als jugendliche Devianz fehlinterpretiert werden. Die Auseinandersetzung mit den Facetten antidemokratischer Orientierungen sollte demgemäß im Verhältnis zu den gesamtgesellschaftlichen Normalitäten, Entwicklungen bzw. Verschiebungen und Diskursen kritisch betrachtet werden. Und dazu gehört auch die Analyse von Einstellungen, Überzeugungen und normativen Ungleichwertigkeitsvorstellungen, also Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, und nicht nur manifesten Straftaten und Organisationsformen.

An dieser Stelle möchten wir die Konzepte politischer bzw. antidemokratischer Orientierungen genauer präziseren. Dies ist notwendig, um deren Messung später zu ermöglichen. Im Kontext der Diskussion sind u. E. menschenfeindliche, rechtsextreme und rechtspopulistische Orientierungen Ausdruck solcher Überzeugungen.

Wir verstehen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) und deren Facetten der Abwertung, wie beispielsweise Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus als generalisierte Vorurteile, die zwar jeweils ihre eigene Ausdrucksweise, Geschichte und unterschiedliche Folgen für die Betroffenen haben, die aber nicht unabhängig voneinander bestehen und auf einen gemeinsamen Kern, eine Ideologie der Ungleichwertigkeit, zurückgeführt werden können (vgl. Heitmeyer 2002; Zick et al. 2008, 2019b).Footnote 4 Diese langjährige Beobachtung bestätigt die frühe Annahme, dass eine Person, die Vorurteile beispielsweise in Form rassistischer Meinungen gegenüber einer bestimmten Gruppe hat, mit größerer Wahrscheinlichkeit auch Ungleichwertigkeitsvorstellungen gegenüber anderen ‚Fremdgruppen‘ teilt (Allport 1954).

Diese Gruppen werden auf der Grundlage von Kategorisierungen und Stereotypisierungen gebildet, und zwar in einer Weise, dass sie soziale Hierarchien und Machtverhältnisse in der Gesellschaft ausdrücken wie gleichsam reproduzieren. Entscheidend für die Ausrichtung des sozialen Vorurteils ist kein individuelles Feindschaftsverhältnis, sondern die tatsächliche oder meist vermutete Zugehörigkeit zu einer Gruppe, also unabhängig davon, wie sich eine Person verhält, ob sie sich selbst als Mitglied jener Gruppe sieht oder auch einer anderen Gruppe zuordnet.

Die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die sich in sozialen Vorurteilen manifestiert, kann drei Einstellungsdimensionen umfassen (Aronson et al. 2018). Kognitiv entspricht sie einem sozial geteilten (konstruierten) Wissen über bestimmte Gruppen, das sich z. B. in der Aussage ausdrückt, Sinti und Roma seien kriminell. Affektiv drückt sie sich als emotionale Reaktion wie z. B., dass Homosexualität ekelhaft sei, aus. Drittens können sich Vorurteile verhaltensbezogen, oder direkt im Verhalten ausdrücken. Die Forderung, Muslimen die Einwanderung zu versagen, oder Obdachlose aus Fußgängerzonen zu vertreiben, ist insofern auch Ausdrucks von Vorurteilen bzw. GMF.

Rechtspopulistische Orientierungen greifen GMF auf und binden sie an rechtsradikale aber vermeintlich ‚noch normale‘ und eben scheinbar ‚nicht-extremistische‘ Überzeugungen. Gerade weil rechtspopulistische Orientierungen bislang noch nicht unter einer generativen oder sozialisationsrelevanten Perspektive analysiert wurde, empfiehlt sich eine solche Analyse angesichts der Normalisierungen und Normalisierungseinflüsse des Rechtspopulismus (vgl. aber Bude 1993). Dass rechtspopulistische Überzeugungen eine intergenerative Brückenfunktion haben können, zeigt beispielsweise die Ausbildung von Jugendorganisationen oder jugendaffinen rechtsextremen Gruppen, wie z. B. der Identitären Bewegung, oder die intergenerative Verbreitung von Hasskampagnen in digitalen Medien.

Bei unserem Verständnis rechtspopulistischer Einstellungen greifen wir diese sozial geteilten (rassistischen) Vorurteile über vermeintlich fremde oder andere Gruppen auf und verorten sie in einem zweidimensionalen Modell (Mudde und Kaltwasser 2017). Die horizontale Dimension ist geprägt von einem homogenen und damit antipluralistischen Volksverständnis (‚Wir‘), von dem ‚Fremde‘ ausgeschlossen werden. Die vertikale Dimension ist geprägt von dem Wunsch nach einer Autorität, die härter gegen ‚die Anderen‘ vorzugehen vermag – ausgedrückt in einem Law-and-Order-Autoritarismus –, als auch im Ausdruck eines destruktiven Misstrauens in die Prinzipien der Demokratie und deren Repräsentanten, die allgemein als ‚eigennützig‘ herabgewürdigt werden und das Volk um die Macht betrügen würden (Demokratiemisstrauen bzw. der dezidierten Demokratieverachtung). Im Rechtspopulismus zeigt sich die antipluralistische Idee eines einzig wahren und moralisch reinen Volks in Abgrenzung zu ‚den Anderen‘. Dieser Populismus ist als ‚dünne Ideologie‘ nicht notwendigerweise extremistisch, genauso wie Rechtsextremismus in seinen verschiedenen Ausprägungen nicht notwendigerweise populistisch ist. Allerdings weisen rechtspopulistische wie rechtsextreme Orientierungen große Nähen und Überschneidungen auf, dies insbesondere in Ideologien der Ungleichwertigkeit, mithin GMF und der Betonung nationaler Identitäten (vgl. auch Zick und Küpper 2018). Mindestens auf einer Einstellungsebene ist darüber hinaus sowohl bei rechtspopulistisch als auch rechtsextrem orientierten Personen eine höhere Billigung und Bereitschaft zu Gewalt nachweisbar (Zick et al. 2019a).

Rechtsextreme Orientierungen haben in Übereinstimmung mit einer Konsensdefinition von Forschenden sechs Einstellungselemente, die zwei Dimensionen zugeordnet werden können (Decker und Brähler 2006; Küpper et al. 2019a). Die Befürwortung einer rechtsgerichteten Diktatur, nationaler Chauvinismus und die Verharmlosung des Nationalsozialismus beziehen sich dabei eher auf eine rechtsextreme Politikvorstellung, die als autoritär, nationalistisch, geschichtsrevisionistisch und explizit antidemokratisch umschrieben werden kann, während Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Sozialdarwinismus eher das rechtsextreme Gesellschaftsverständnis kennzeichnen, das von einem rassistischen und völkisch-biologistischen Denken durch die Abwertung von ‚Ausländern‘, Juden und sozial Schwächeren getragen wird.

Im Folgenden sollen nun die drei antidemokratischen Orientierungen danach untersucht werden, inwieweit sie in Altersgruppen geteilt werden, oder sich tatsächlich eine jugendspezifische oder eher andere Konzentration ergibt. Empirisch werden dabei Einstellungen in der ‚Normalbevölkerung‘ betrachtet; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Ergebnisse werden zeigen, welche Ungleichwertigkeitsvorstellungen von wem in welchem Maße geteilt werden und ob die These der besonderen Belastung der Jugend oder die These, dass Ungleichwertigkeitsideologien, die sich womöglich in jugendlichen Hasstaten radikalisieren, auf weit geteilten Einstellungen begründen.

3 Intergenerative Differenzen in antidemokratischen Orientierungen in der Mitte-Studie 2018/2019

3.1 Datengrundlage und Auswertungsmethode

Die folgende Analyse basiert in erster Linie auf Querschnittsdaten der Mitte-Studie 2018/19Footnote 5, bei der im Rahmen einer computergestützten Telefonumfrage 2005 Bürger_innen befragt wurden. Da in die Auswertung aus Gründen der Vergleichbarkeit nur diejenigen Befragten einbezogen werden, die eine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, reduziert sich die Stichprobe auf 1890 Befragte. Die Untersuchung 2018/19 beinhaltete einen methodischen Split, der einer zufällig ausgewählten Hälfte der Befragten für Aussagen zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und einigen weiteren Konstrukten die Möglichkeit gab auf einer vierstufigen vollverbalisierten Likert-Skala zu antworten und der anderen Hälfte auf einer fünfstufigen (Berghan und Faulbaum 2019). Die Items zur Erfassung rechtsextremer Einstellungen wurden durchweg fünfstufig erhoben.

Skalen mit mehr Antwortkategorien spiegeln die tatsächlichen Korrelationen einer normalverteilten kontinuierlichen Variablen besser wider (Bollen und Barb 1981; Lozano et al. 2008; Lubke und Muthén 2009). Der Nachteil des Splits ist die Verringerung der Stichprobengröße, insbesondere, wenn wie im Folgenden Aussagen für spezifische (soziodemografische) Untergruppen getroffen werden sollen. Um dennoch für die Vergleiche zwischen den Altersgruppen auf die Gesamtstichprobe zurückgreifen zu können, wurden für die Ergebnisse für GMF und die Rechtspopulistische Orientierung auf Konstruktebene die 4‑ und 5‑stufigen Antworten zusammengefasst. Dabei wurde die Mittelkategorie „teils-teils“ nicht zur offenen Zustimmung gezählt. Vielmehr wurde für die Analyse in den einzelnen Einstellungs-Dimensionen Dummy-Variablen mit den Ausprägungen ‚Zustimmung‘ und ‚Keine Zustimmung‘ gebildet. Zur Zustimmung wurden die Antwortkategorien „trifft/stimme eher zu“ sowie „trifft/stimme voll und ganz zu“ gerechnet. Zur Ablehnung wurde die offene Ablehnung mit „trifft/stimme eher nicht zu“, „trifft/stimme überhaupt nicht zu“ sowie die Mittelkategorie „teils-teils“ gezählt. Die Ergebnisse fallen daher eher konservativ aus. Aufgrund dieses Vorgehens werden ordinale Verfahren, insbesondere Chi2-Tests für die Analyse von Unterschieden im intergenerativen Vergleich verwendet. Lediglich für die ergänzend berichtete lineare Regressionsanalyse der Einflussfaktoren rechtsextremer Einstellungen in den verschiedenen Altersgruppen sowie die Testung der internen Konsistenz und Faktorenstruktur der MessinstrumenteFootnote 6 wurde auf entsprechende Analyseverfahren zurückgegriffen, dann jedoch lediglich mit fünfstufig erhobenen Skalen gerechnet.

Das Durchschnittsalter beträgt 51,4 Jahre (die/der jüngste Befragte war 18 Jahre, die/der älteste 97 Jahre alt); mit 52,2 % sind etwas mehr weibliche als männliche Befragte in der Stichprobe vertreten. Für den Vergleich der rechtsextremen Einstellungen im Zeitverlauf wird zusätzlich auf Daten der Mitte-Studien aus den Jahren 2014 (Zick und Klein 2014) sowie 2016 (Zick et al. 2016) zurückgegriffen. Die rechtsextremen Einstellungen sind auf dieselbe Art und Weise erhoben worden, wie 2018/19. Alle Daten sind mit einem kombinierten Gewicht aus Alter und Bildung gewichtet. Näheres zur Methodik und Stichprobe der jeweiligen Erhebungen findet sich bei Groß (2014), Krause und Faulbaum (2016) sowie Berghan und Faulbaum (2019).

Die im GMF-Konzept eingegangenen Abwertungselemente werden jeweils über Kurzskalen mit zwei vorurteilsvollen und diskriminierenden Aussagen gemessen, die sich zum Monitoring menschenfeindlicher Einstellungen in Deutschland etabliert haben (Heitmeyer 2002; Krause und Zick 2013; Zick et al. 2008, 2019b). Für die Operationalisierung rechtspopulistischer Einstellungen orientieren wir uns an der Methode in der Mitte-Studie (Küpper et al. 2019b). Für die horizontale Konfliktdimensionen werden die vier GMF-Dimensionen herangezogen, die im Zentrum rechtspopulistischer Agitation stehen: Fremden- und Muslimfeindlichkeit, Abwertung von Sinti und Roma sowie von Asylsuchenden. Wenngleich weitere Formen von GMF, wie beispielsweise Antisemitismus oder ein klassisch-biologistischer Rassismus, wesentlicher Teil des Rechtspopulismus sein können, fließen sie aus Gründen der Vergleichbarkeit nicht in den Index ein. Für die vertikale Konfliktdimension beziehen wir die Konstrukte des Demokratiemisstrauens und einer autoritären Aggression ein. Insgesamt fließen damit sechs Einstellungselemente in den Gesamtindex einer rechtspopulistischen Orientierung ein (Küpper et al. 2019b).Footnote 7 Als klar rechtspopulistisch eingestellt und damit im Zustimmungsbereich des Gesamtindex Rechtspopulismus gelten jene Befragte deren Wert über alle Dimensionen hinweg im Durchschnitt ≥3 (bei vierstufiger Erhebung) beziehungsweise ≥3,5 bei fünfstufiger Erhebung liegt. Demgegenüber wird jedes der sechs Elemente des Rechtsextremismus anknüpfend an die aufgeführte Konsensdefinition und die Operationalisierung in der Mitte-Studie mit drei Aussagen erfasst, welche auf einer fünfstufigen vollverbalisierten Antwortskala von „lehne völlig ab“ bis „stimme voll und ganz zu“ zur Beantwortung stehen (Küpper et al. 2019a). Analog zu Küpper et al. (2019a) sowie Decker et al. (2012) wird ein Summenindex gebildet, um ein rechtsextremes Weltbild zu erfassen. Bei insgesamt 18 Items (d. h. bei einem minimalen Wert von 18 und maximalen Wert von 90) gilt eine Person ab einem Grenzwert von >63 als geschlossen rechtsextrem eingestellt. Alle Erhebungsinstrumente sind in Tab. 3 im Anhang aufgeführt.

In der Stichprobe der Jahre 2014 und 2016 waren die jüngsten Befragten 16 Jahre alt. Wir haben diese nicht aus der jahresvergleichenden Analyse ausgeschlossen, um die jüngste Altersgruppe bestmöglich abbilden zu können, und schließlich soll ein maximal möglicher intergenerativer Vergleich vorgenommen werden. Es ist anzumerken, dass sich bei einer Einteilung in kleinere Altersgruppen zwar die Differenzierbarkeit zwischen den Altersgruppen erhöht, allerdings liegen unserer Analyse Messinstrumente extremer Einstellungen zugrunde, bei denen teilweise nur ein relativ geringer Teil der Bevölkerung zustimmt. Wenn statt drei zwischen sechs verschiedenen Altersgruppen differenziert wird, fällt in einigen Gruppen die Fallzahl im Zustimmungsbereich so gering aus, dass insbesondere zu einzelnen Facetten rechtsextremer Einstellungen nicht mehr ausreichend robuste Aussagen hinsichtlich der Altersunterschiede zwischen den Gruppen getroffen werden können. Nichtsdestotrotz versuchen wir, die in dieser Analyse berichteten Ergebnisse auch hinsichtlich ihrer Replizierbarkeit in kleiner eingeteilten Altersgruppen zu prüfen, insbesondere für GMF und Rechtspopulismus.Footnote 8 In der Regel kommen die so durchgeführten Analysen nicht zu grundsätzlich anderen Ergebnissen, einzelne relevante Auffälligkeiten diesbezüglich werden bei der Ergebnisdarstellung transparent gemacht.

3.2 Ergebnisse

Im Folgenden beschreiben wir die Ergebnisse und Auffälligkeiten der deskriptiven Analyse. Zunächst konzentriert sich der Beitrag auf die primäre Forschungsfrage und damit auf eine Exploration intergenerativer Unterschiede in den verschiedenen Einstellungsfacetten in der aktuellsten Erhebung 2018/19. Daran anschließend werden die rechtsextremen Orientierungen untersucht und Auffälligkeiten in der Entwicklung der Zustimmung der jüngeren Altersgruppe im Vergleich zu den anderen Altersgruppen seit 2014 dargelegt. Im Anschluss werden zentrale Einflussfaktoren rechtsextremer Einstellungen untersucht, um erste Hinweise auf mögliche Ursachen zu erkennen. Diese Analyse kann nur verkürzt erfolgen und ist nicht hinreichend, weil die Querschnittdaten keine kausalen Analysen zulassen. Sie geben aber Hinweise auf die Frage, warum die Orientierungen variieren und weisen die Richtung für weitere vertiefende Studien.

Abb. 1 zeigt, dass bei sieben Elementen ein deutlicher und signifikanter Anstieg in der Zustimmung zur Abwertung mit dem Lebensalter erkennbar ist: Besonders beispielsweise beim Sexismus (χ2 (2) = 22,93; p = 0,000; V (Cramér’s V) = 0,11), wo sich die Zustimmung in der jüngsten Altersgruppe gegenüber der ältesten Altersgruppe nahezu vervierfacht oder in den Etabliertenvorrechten (χ2 (2) = 30,65; p = 0,000; V = 0,13), bei denen sich die Zustimmung gegenüber der mittleren und ältesten Altersgruppe fast verdoppelt. Auch im klassischen (χ2 (2) = 14,51; p = 0,001; V = 0,09) und israelbezogenen Antisemitismus (χ2 (2) = 24,37; p = 0,000; V = 0,12), der Muslimfeindlichkeit (χ2 (2) = 15,24; p = 0,000; V = 0,09), der Abwertung von Sinti und Roma (χ2 (2) = 17,24; p = 0,000; V = 0,10), sowie von asylsuchenden Menschen (χ2 (2) = 18,56; p = 0,000; V = 0,10) zeigt sich der Anstieg menschenfeindlicher Vorurteile mit dem Lebensalter recht deutlich. Bei der Fremdenfeindlichkeit (χ2 (2) = 3,22; p = 0,200; V = 0,04) zeigt sich ein Anstieg der Zustimmung mit dem Lebensalter zwar ebenfalls, jedoch ist dieser statistisch nicht signifikant und daher nur in der Tendenz beobachtbar.

Abb. 1
figure 1

Zustimmung (%) zu den Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und rechtspopulistischer Einstellungen in verschiedenen Altersgruppen

Bei vier Elementen zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den Altersgruppen, die sich eher einer U‑förmige Verteilung annähern, d. h. bei der sich die geringste Zustimmung zu GMF in der mittleren Altersgruppe erkennen lässt. Dies ist im Rassismus (χ2 (2) = 7,40; p = 0,025; V = 0,06), der Abwertung homosexueller Menschen (χ2 (2) = 27,19; p = 0,000; V = 0,12), von Trans*Menschen (χ2 (2) = 36,66; p = 0,000; V = 0,14) sowie der Abwertung von wohnungslosen Menschen (χ2 (2) = 9,38; p = 0,009; V = 0,07) der Fall. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch auch hier, dass es nicht die jüngste Altersgruppe ist, die die höchste Menschenfeindlichkeit aufweist. Bei einer Einteilung der Altersgruppen in sechs Kategorien mit einer jüngsten Altersgruppe zwischen 18–27 Jahren zeigt diese Gruppe niedrigere Werte im Rassismus als die nächst ältere Gruppe. Eine quasi U‑Förmige Verteilung bleibt jedoch mit Blick auf die weiteren Altersgruppen und die höhere Zustimmung der Ältesten bestehen (χ2 (5) = 15,78; p = 0,007; V = 0,09).Footnote 9 Ähnlich verhält es sich bei der Abwertung homosexueller Menschen (χ2 (5) = 42,42; p = 0,000; V = 0,15).Footnote 10 Bei der Abwertung von Trans*Menschen sind die Unterschiede zwischen jüngster und mittlerer Altersgruppe vernachlässigbar. Die U‑Form zeigt sich nur in der Tendenz, denn die älteste Altersgruppe stimmt mit 19,8 % rund doppelt so häufig zu wie die anderen Jahrgänge. Bleibt die Abwertung wohnungsloser Menschen, bei der sich unter Kontrolle der Ergebnisse mit sechs Alterskategorien (χ2 (5) = 17,08; p = 0,004; V = 0,10) ebenfalls zeigt, dass die 28- bis 37-Jährigen mit 14,5 % eine höhere Zustimmung haben als die 18- bis 27-Jährigen (9,1 %). Der Trend der niedrigen Zustimmung in den mittleren Altersgruppen und der höchsten Zustimmung bei den Ältesten bleibt ansonsten auch bei sechs Alterskategorien bestehen. Es sind jedoch nicht die jüngsten Befragten, welche für eine U‑förmige Verteilung der Ergebnisse sorgen, sondern die Befragten im Alter ab 28 Jahren bis Mitte/Ende Dreißig sowie die älteste Altersgruppe.

Die Abwertung langzeitarbeitsloser Menschen zeigt als einziges GMF-Element eine signifikante Abnahme der Zustimmungen zu den vorurteilsvollen Meinungen gegenüber der Gruppe mit dem Lebensalter (53,3 % Zustimmung bei 18- bis 30-Jährigen vs. 47,2 % bei über 60-Jährigen) (χ2 (2) = 7,13; p = 0,028; V = 0,06). Die Unterschiede sind jedoch nicht besonders groß und auch die Kontrolle mit sechs Alterskategorien relativiert diese.Footnote 11 Die Abnahme in der Zustimmung zur Abwertung Langzeitarbeitsloser geht nicht von den jüngsten (18–27) aus – diese weisen vielmehr gemeinsam mit den Altersgruppen ab 58 Jahren die niedrigsten Zustimmungen auf, sondern die höchste Zustimmung zeigt sich bei den 28- bis 37- sowie 38- bis 47-Jährigen. Nichtsdestotrotz zeigt sich auch bei Kontrolle mit sechs Alterskategorien das im Vergleich zu den anderen GMF Elementen auffallende Ergebnis, dass die ältesten Personen(gruppen) die niedrigste Zustimmung aufweisen.

Mit Blick auf die für die Erfassung einer rechtspopulistischen Orientierung herangezogenen Konstrukte des Demokratiemisstrauen und der autoritären Aggression zeigen sich mit den GMF-Ergebnissen vergleichbare Tendenzen (siehe Abb. 1). Für das Demokratiemisstrauen ist ein signifikanter Anstieg in der Zustimmung mit dem Lebensalter feststellbar (χ2 (2) = 15,30; p = 0,000; V = 0,09). Die älteste Altersgruppe stimmt deutlich häufiger zu als die jüngste Altersgruppe. Bei Kontrolle mit sechs Alterskategorien bleibt die Zunahme im Demokratiemisstrauen mit dem Lebensalter bestehenFootnote 12, jedoch weist die jüngste Altersgruppe bis 27 Jahren deutlich höhere Zustimmung auf als die 28- bis 37-Jährigen, welche stattdessen die niedrigste Zustimmung zeigen. Für die autoritäre Aggression zeigt sich nur ein tendenzieller Anstieg mit dem Lebensalter, der jedoch statistisch nicht signifikant ist (χ2 (2) = 3,38; p = 0,185; V = 0,04). Bei Kontrolle mit sechs Alterskategorien zeigt sich im Autoritarismus ein signifikanter Unterschied, der jedoch keinen linearen Anstieg wiedergibt. Vielmehr zeigt sich die niedrigste Zustimmung bei den jüngsten sowie den 48- bis 67-Jährigen, die höchste hingegen bei den 28- bis 47- sowie den über 68-Jährigen.Footnote 13 Ausgehend von den berichteten Ergebnissen überrascht jedoch insgesamt nicht, dass sich auch für den Gesamtindex Rechtspopulismus (Tab. 2), in den vier GMF-Elemente, welche die Abwertung von als fremd konstruierten sowie das Demokratiemisstrauen und die autoritäre Aggression einfließen, sich demgemäß eine höhere Zustimmung in den älteren Altersgruppe zeigt (χ2 (2) = 7,37; p = 0,025; V = 0,06). Dies ändert sich auch nicht bei Kontrolle mit sechs Alterskategorien (χ2 (5) = 12,14; p = 0,033; V = 0,08).

Bei der Analyse rechtsextremer Einstellungen in der Erhebung 2018/19 fällt auf, dass sich für drei der sechs Dimensionen des Rechtsextremismus signifikante Unterschiede zwischen den drei Altersgruppen feststellen lassen. Die Ergebnisse sind in Tab. 1 abgedruckt. Die mittlere Altersgruppe stimmt verhältnismäßig am stärksten einer Diktatur zu, während sich die jüngste und älteste kaum voneinander unterscheiden (χ2 (2) = 11,14; p = 0,004; V = 0,08). Besonders auffallend sind die signifikanten Unterschiede in den Zustimmungen zur Verharmlosung des Nationalsozialismus (χ2 (2) = 30,70; p = 0,000; V = 0,14) sowie zum Sozialdarwinismus (χ2 (2) = 14,65; p = 0,001; V = 0,09), welche der Beobachtung eines Anstiegs antidemokratischer Einstellungen wie in den meisten menschenfeindlichen Vorurteilen mit dem Lebensalter nicht entsprechen. Bei der Verharmlosung des Nationalsozialismus liegen in der jüngsten Altersgruppe 7 % der Befragten im Zustimmungsbereich, während dies bei den Mittleren nur 1,5 % beziehungsweise bei den über 60-Jährigen 1,7 % sind. Ähnlich verhält es sich beim Sozialdarwinismus. Mit Blick auf den Gesamtindex Rechtsextremismus (Tab. 2) zeigt sich in der Tendenz ein höherer Anteil von jüngeren Befragten im Zustimmungsbereich, allerdings sind diese Unterschiede statistisch nicht signifikant (χ2 (2) = 3,39; p = 0,183; V = 0,05).

Tab. 1 Zustimmung (%) zu den Dimensionen Rechtsextremer Einstellungen in verschiedenen Altersgruppen in 2014, 2016 und 2018/19
Tab. 2 Verbreitung manifest rechtsextremer und rechtspopulistischer Orientierungen (Zustimmung auf den Gesamtindexen in %) in verschiedenen Altersgruppen

Ausgehend von diesen Auffälligkeiten in rechtsextremen Orientierungen scheint es von Relevanz, insbesondere die Zustimmung zur rechtsextremen Einstellungen in den Altersgruppen hinsichtlich ihrer Entwicklung in den letzten Jahren in den Blick zu nehmen (Tab. 1).Footnote 14 Werden die Veränderungen oder Stabilitäten in dem Ausmaß des Rechtsextremismus in den Altersgruppe genauer betrachtet, fällt zunächst auf, dass es in der Gruppe der älteren Befragten nur geringe Veränderungen und insbesondere keinen Anstieg in der Zustimmung seit 2014 gibt. In der Verharmlosung des Nationalsozialismus (χ2 (2) = 0,58; p = 0,750; V = 0,02), dem Antisemitismus (χ2 (2) = 0,19; p = 0,911; V = 0,01), der Fremdenfeindlichkeit (χ2 (2) = 0,10; p = 0,950; V = 0,01) zur Befürwortung einer Diktatur (χ2 (2) = 5,44; p = 0,066; V = 0,06) und dem Chauvinismus (χ2 (2) = 2,95; p = 0,228; V = 0,04) zeigen sich keine signifikanten Unterschiede im Analysezeitraum. Nur beim Sozialdarwinismus (χ2 (2) = 8,33; p = 0,015; V = 0,07) zeigt sich ein Rückgang in der Zustimmung der älteren Befragten seit 2014. Etwas anders verhält es sich in der mittleren Altersgruppe. Keine der Dimensionen rechtsextremer Orientierung ist rückläufig. Vielmehr zeigt sich über nahezu alle Dimensionen hinweg mindestens in der Tendenz ein Anstieg zwischen 2014 und 2018/19. Statistisch signifikant wird dies jedoch nur beim Chauvinismus (χ2 (2) = 7,33; p = 0,026; V = 0,05) und der Fremdenfeindlichkeit (χ2 (2) = 8,47; p = 0,014; V = 0,06).Footnote 15 Anders verhält es sich in der jüngsten Altersgruppe. Während die Befürwortung einer Diktatur (2014: 4,9 %; 2016: 5,1 %; 2018/19: 2,2 %) (χ2 (2) = 4,31; p = 0,116; V = 0,07) keine statistisch signifikante Veränderung aufweist, so zeigt sich bei den restlichen Dimensionen eher ein sehr aktueller Anstieg in der Zustimmung, nachdem diese 2016 im Vergleich zu 2014 zunächst zurückgegangen war. Dies wird insbesondere im Chauvinismus (χ2 (2) = 9,27; p = 0,010; V = 0,10) und bei der Verharmlosung des Nationalsozialismus (χ2 (2) = 11,68; p = 0,003; V = 0,11) deutlich. Aber auch bei der Fremdenfeindlichkeit (χ2 (2) = 13,43; p = 0,001; V = 0,11) und im Antisemitismus (χ2 (2) = 7,45; p = 0,024; V = 0,09). Der Sozialdarwinismus steigt in der jüngsten Altersgruppe seit 2014 mehr oder wenig kontinuierlich an(χ2 (2) = 10,30; p = 0,006; V = 0,10).

An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, ob Einflussfaktoren die Variation in den berichteten Einstellungen erklären können. Dazu haben wir in Übereinstimmung mit theoretischen Ausführungen und empirischen Analysen von Zick und Küpper (2018) bzw. Küpper et al. (2019c) den Gesamtindex rechtsextremer Orientierung empirisch unter Berücksichtigung von zentralen und gut erforschten demografischen, soziologischen und sozialpsychologischen Faktoren erklärt. Dazu zählen, die Soziale Dominanzorientierung, autoritäre Aggression, Anomie, politische Machtlosigkeit, ökonomistische Werthaltung, fraternale Deprivation (gefühlter Mangel an Ressourcen im Vergleich zu ‚Fremden‘), Gerechtigkeitsgefühle, sowie die demografischen Faktoren Geschlecht und formales Bildungsniveau. Dafür haben wir in den drei Altersgruppen separate Regressionsanalysen durchgeführt, deren Ergebnisse in den Tab. 456 und 7 im Anhang aufgeführt sind. Es zeigt sich: In allen drei Altersgruppen haben die Erklärungsfaktoren ähnliche Einflüsse. Einen auffälligen Unterschied gibt es jedoch im Bildungseffekt auf rechtsextreme Einstellungen. Während unter Kontrolle der genannten Erklärungsfaktoren der Einfluss des formalen Bildungsniveaus in der mittleren und ältesten Altersgruppe verschwindet, bleibt er in der jüngsten Altersgruppe erklärungsstark.

4 Diskussion

Ausgangspunkt der empirischen Analysen war die Frage, ob die Lokalisierung und Problematisierung von antidemokratischen Orientierungen insbesondere unter jungen Menschen angemessen ist, angesichts eines zunächst augenscheinlich klaren Ausmaßes an Hasstaten oder öffentlich sichtbaren Gruppen junger Rechtsextremist_innen sowie der politischen Konzentration von pädagogischer Praxis auf junge Menschen. Wir haben eine empirische Antwort gegeben. Jüngere Befragte stimmen zwar einzelnen Dimensionen rechtsextremer Einstellungen deutlich häufiger zu, aber die älteren Befragtengruppen sind in gewisser Weise ‚normal feindselig‘Footnote 16 und äußern hinsichtlich Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Durchschnitt die höchsten Zustimmungen. Damit scheint sich der klassische Befund höherer feindseliger Einstellungen mit steigendem Lebensalter teils zu bestätigen, jedoch ist der Anstieg autoritärer Einstellungen nicht eindeutig linear. Dies könnte daran liegen, dass wir lediglich die autoritäre Aggression gemessen haben und nicht tiefergehende autoritär bis kulturell-konservative Einstellungen, die mit einer höheren Menschenfeindlichkeit bei älteren Gruppen in Verbindung gebracht werden (Franssen et al. 2013). Das ist anders in Bezug auf rechtsextreme Orientierungen. Sie finden deutlicher Zuspruch bei den Jüngeren.

Aber die Frage, wer am Ende antidemokratischer eingestellt ist, verkürzt vorab die Risiken und Herausforderungen an eine politische Sozialisation zur Demokratie. Demokratische Gesellschaften sind nicht durch die Überzeugungen einzelner Generationen gefährdet, denn Facetten antidemokratischer Ideologien der Ungleichwertigkeit sind empirisch in allen Altersgruppen nachweisbar. Das Ausmaß variiert und bedarf auch einer Einschätzung, ab wann einzelne Versatzstücke oder Auffälligkeiten in Teilen der Bevölkerung ‚gefährlich‘ bzw. antidemokratisch sind. Ebenso ist die Frage zu stellen, welche konsistenten Muster und Strukturen der Abwertung und Ausgrenzung auf Mechanismen der Selbstentlastung hinweisen. Auch darauf geben die Auswertungen erste Hinweise. Eine sich als demokratisch und offen verstehende Mitte der Gesellschaft, die Menschenfeindlichkeit, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus auf die bedrohlichen Ränder projiziert, läuft Gefahr, eigene Bezüge auf Ideologien der Ungleichwertigkeit zu normalisieren und legitimieren sowie die politische Dimension des eigenen Handelns nicht ernst zu nehmen. Fuchs (2003) konstatiert, dass die ‚Verdächtigung‘ der Jugend, eher anfällig für Rechtsextremismus zu sein, eine Verengung eines Diskurses ist auf einen unter Umständen „sichtbare[n] Teil entsprechender Einstellungen und Handlungsdispositionen, die weit darüber hinaus in der Bevölkerung latent vorhanden sind“ (S. 655). Durch die Selbstentlastung fungieren Jugendphänomene aber als gesellschaftliche Stellvertreter für ein politisches Klima der Abwertung, Ausgrenzung und Gewalt (Groffmann 2001).

Mit Blick auf die ergänzende Ursachenanalyse und die dabei festgestellte Auffälligkeit des unterschiedlichen Bildungseinflusses auf Rechtsextremismus je nach Alter ist zunächst festzuhalten, dass tatsächlich stattfindende Bildungsprozesse über das formale Bildungsniveau nur unzureichend operationalisiert werden können. Dennoch wird deutlich, dass Bildung insbesondere bei der jüngeren Altersgruppe einen schwächenden Einfluss auf die Zustimmung zu einem rechtsextremen Weltbild hat. Zwei Erklärungen dafür erscheinen uns diskussionswürdig.Footnote 17 Zum einen könnte ein Kohorteneffekt vorliegen. Bildungsprozesse in Schulen hatten vor einigen Jahrzehnten evtl. nicht in gleichem Maße demokratiefördernde Wirkung wie in jüngerer Zeit. Es ist vorstellbar, dass jüngere Kohorten in Bildungsinstitutionen sozialisiert werden, die Demokratie und die damit verbundenen Werte eher erfahrbar machen, während ältere Kohorten noch stärker autoritäreren Bildungsinstitutionen ausgesetzt waren, die weniger politische bzw. demokratiefördernde Bildung vermittelten. Zum anderen könnte auch ein Lebensphasen- bzw. Alterseffekt vorliegen, d. h., dass Bildung zwar im Allgemeinen eine vorurteilsmindernde oder demokratiefördernde Wirkung hat, dies jedoch bei Jüngeren am ehesten noch einen Effekt zeigt, da sie sich noch in Bildungsinstitutionen befinden bzw. deren Einfluss eher noch nachwirken. Demgegenüber sind Ältere mit größerer Wahrscheinlichkeit in anderen politischen Sozialisationskontexten eingebettet, die keine genuin liberalisierende Wirkung haben und die durchlebten Bildungserfahrungen werden in den Lebenskontexten älterer Menschen weniger relevant. Die Prüfung beider Annahmen ist ein Forschungsdesiderat und kann mit den hier geprüften Daten nicht beantwortet werden. Obwohl diese ergänzenden Ergebnisse nicht detaillierter ausgeführt werden können, haben wir sie betrachtet, da sie die deskriptiven Analyse bestätigen. Es kann angemessen sein, die Analyse und Diskussion sowie eine daraus abgeleitete Prävention von antidemokratischen Orientierungen auf eine bestimmte Altersspanne auszurichten, wenn längsschnittliche Entwicklungen darauf hinweisen, dass Einstellungsanteile in den betreffenden Bevölkerungsgruppen konstant bleiben oder deutlich zunehmen. Allerdings weisen sowohl das Vorkommen verschiedener antidemokratischer Orientierungen in allen Altersgruppen als auch die nahezu gleichen Erklärungskräfte rechtsextremer Orientierung in allen Altersgruppen umso mehr auf die Notwendigkeit einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtungsweise des Phänomens hin. Es ist angebracht, das Alter bzw. die Adoleszenz als vorrangigen Erklärungsfaktor für Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit weiter in Frage zu stellen (vgl. auch Dierbach 2010).Footnote 18

Stattdessen gilt es wissenschaftlich zu analysieren und pädagogisch zu reflektieren, wie sich Ungleichwertigkeit in verschiedensten Facetten in gesamtgesellschaftlichen Diskursen und Praktiken manifestiert. Denn die mal mehr, mal weniger subtil geteilte Menschenfeindlichkeit bietet die Legitimationsfolie, vor der ein aktionsorientierter Rechtsextremismus erst schlagkräftig wird. So ist insbesondere hinsichtlich der aufgeführten auffälligen Veränderungen im Rechtsextremismus der jüngeren Befragten seit 2014 zu bedenken, dass soziale Einstellungen immer eingebettet sind in gesellschaftliche Entwicklungen. Die politische Sozialisation jüngerer Generationen ist stets abhängig von gesellschaftlich relevanten sozialen Ordnungen und Ideologien insbesondere hinsichtlich der Beurteilung von Gruppen. Schenke et al. (2018) gehen im Rahmen von Fokusgruppeninterviews mit 16- bis 35-Jährigen der Frage nach, ob das Auftreten von Gruppierungen wie Pegida in den letzten Jahren Spuren in der politischen Kultur hinterlassen hat. Sie kommen zwar zu dem Ergebnis, dass es keine direkten Anzeichen für ein Anwachsen antidemokratischen Potenzials gegeben hat, jedoch auch keine deutliche Distanzierung zu den völkisch-rassistischen und rechtspopulistischen Inhalten unter jungen Menschen.

Die Dominanz gesellschaftlicher Entwicklungen könnte hinsichtlich der auffälligen Zustimmung jüngerer Befragter zum Sozialdarwinismus als Zuspitzung einer gewissen Leistungs- und Nützlichkeitslogik interpretiert werden, der sich unter 30-Jährige in ihrer beruflichen und sozialen Lebenslage womöglich selbst besonders ausgesetzt sehen. So verweist auch die Shell Jugendstudie darauf, dass Jugendliche „bereit [sind] sich in hohem Maße an Leistungsnormen zu orientieren“ (Albert et al. 2019, S. 13) Der Sozialdarwinismus ist die Schattenseite einer rigiden, teils auch ökonomistischen Leistungsorientierung und eines sozialen Kontexts, der den Wert von Menschen nach deren Nützlichkeit bestimmt. Auch andere Studien stellen fest, markorientierte und ökonomistische Einstellungen bedingen Menschenfeindlichkeit und Gewalt (Groß und Hövermann 2014; Groß et al. 2018; Hövermann et al. 2015).

Mit Blick auf die relativ hohe Zustimmung der Jüngeren zur Verharmlosung des Nationalsozialismus greifen wir die Einschätzung von Küpper et al. (2019a) auf. Es scheint eine Distanz der jüngeren Befragten zum Nationalsozialismus zu herrschen, welcher als historischer Effekt interpretiert werden könnte, den Bildung bisher nicht in ausreichendem Maße ausgleichen konnte; anders ausgedrückt: „Die Jüngeren verlieren die historische und persönliche Nähe zum Nationalsozialismus“ (S. 143). Auch die Ergebnisse des Erinnerungsmonitor „MeMO“ lassen solche Schlüsse zu (Zick et al. 2018). Es könnte aber auch sein, dass die andauernde Agitation insbesondere von AfD-Anhänger_innen und weiterer neurechter Akteure hinsichtlich der Relativierung der Bedeutsamkeit des Nationalsozialismus für die deutsche Geschichte oder die Forderung die Erinnerungskultur zu ändern, einen bleibenden Eindruck insbesondere auf jene (jüngeren) Teile der Bevölkerung hinterlassen hat, welche in ihren politischen Einstellungen noch nicht so verfestigt sind, wie ältere Generationen. Dies würde auch die relativ geringen Veränderungen in den rechtsextremen Einstellungsfacetten bei älteren Befragten seit 2014 erklären. In den letzten Jahren waren etwas größere Veränderungen in der mittleren Altersgruppe und insgesamt die auffälligsten Veränderungen in der jüngsten Altersgruppe festzustellen, was auf Veränderungen des gesellschaftlichen Klimas hinweist. „Allerdings ist die Forschung in diesem Feld vielmehr als in anderen Bereichen gezwungen, ihre einmal gewonnenen Ergebnisse kritisch zu hinterfragen – von Generation zu Generation verändert sich die Kohorte der Jugendlichen hinsichtlich ihre Wertvorstellungen und Einstellungen“ (Langebach 2016, S. 419).

Die Frage nach der pädagogischen Praxis, die der Analyse folgen sollte, drängt sich auf. Wenngleich konkrete praktisch pädagogische Vorschläge einzig aufgrund unserer Ergebnisse kaum gegeben werden können, so lässt die Analyse doch Hinweise auf eine gewisse Perspektive zu, die pädagogische Praxis einnehmen kann. Welche Erziehung und Bildung hat die Ermittlung antidemokratischer Orientierung zur Folge? Demokratiepädagogik, politische Bildung und andere Ansätze, die sich den hier analysierten Phänomenen annehmen, stehen vor großen Herausforderungen angesichts dessen, dass (junge) Antidemokrat_innen sich auf ein umfangreiches Reservoire von menschenfeindlichen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Orientierungen in der Mitte der Gesellschaft berufen können. Die präsentierten Ergebnisse lassen allerdings etwas Zuversicht zu. Bildung und Erziehung üben einen Einfluss auf die Entwicklung von menschenfeindlichen bis rechtsextremen Orientierungen aus und es dürfte sich lohnen, wenn sich Bildungsanstrengungen nicht nur auf die hauptsächlich in formale Bildungsinstitutionen eingebundene jüngere Altersgruppe konzentrieren. Die Entwicklung von politischen Sozialisations- und Bildungsangeboten über die gesamte Lebensspanne ist angebracht, selbst unter der Annahme, dass das Jugendalter eine sensible Phase für die Herausbildung und Verfestigung ebenjener Orientierungen ist. Doch dies steht eben nicht vor einem politisch-kulturell oder diskursiv leeren Sozialisationshintergrund. Erziehung und Bildung sehen sich daher maßgeblich vor der Herausforderung stets in Auseinandersetzung mit „der überwältigenden Kraft des Bestehenden“ (Adorno 1982 [1969]) die sozialen Zustände zu reflektieren und auch eine gewisse Widerständigkeit gegenüber dem normal feindlichen einzuüben und zu vermitteln.