1 Problemaufriss

Die Entwicklung einer individuellen beruflichen Identitätskonstruktion, welche als sinnstiftende und handlungsleitende innere Instanz die bloße Verbundenheit des Auszubildenden mit dem Ausbildungsbetrieb überstrahlt, ist neben dem Erwerb beruflicher Handlungskompetenz ein wichtiger Indikator des Erfolgs beruflicher Bildungsbemühungen im dualen System (vgl. Drexel 2005; Brown et al. 2007; Baethge und Arends 2009; Baethge et al. 2009). Aus berufspädagogischer Perspektive begründet sich diese Relevanz beruflicher Identität nicht zuletzt aus der Verschränkung mit beruflicher Kompetenzentwicklung und den spezifischen Herausforderungen, welchen sich der Lernende im dualen System gegenübersieht: „Er muss eine spezifische Berufsrolle antizipieren und sich mit ihr identifizieren – anders würde keine Kompetenzentwicklung denkbar sein“ (Blankertz 1983, S. 139). Berufliches Lernen und berufliche Kompetenzentwicklung sind demnach stets auf das Engste mit dem beruflichen Sozialisationsprozess und der Entwicklung beruflicher Identität verbunden. In neueren konzeptionellen Ansätzen für den Berufsbildungskontext ist die Rede von einer „individuellen beruflichen Regulationsfähigkeit“ (Baethge et al. 2006, S. 13), womit „das Vermögen des Individuums, sein Verhalten und Verhältnis zur Umwelt, die eigene Biografie und das Leben in der Gemeinschaft selbständig zu gestalten“ (Baethge et al. 2006, S. 13) gemeint ist. Auch dies verweist auf die motivationserzeugende und handlungsregulierende Funktion beruflicher Identität für die eigene Arbeitstätigkeit und geht zugleich mit einer gesellschaftlichen Integrationsfunktion einher (vgl. Rauner 1999).

Trotz erkennbarer Erosionserscheinungen des Berufsprinzips bzw. der Beruflichkeit (vgl. Baethge und Baethge-Kinsky 1998) zielen Inhalte und Standards der beruflichen Erstausbildung weiterhin auf überbetrieblich anerkannte Berufsbilder ab (vgl. Deißinger 1998; Rosendahl und Wahle 2012; Konietzka 2016). Aus individueller Perspektive fußt die Entwicklung einer beruflichen Identität zunächst auf der Wahrnehmung des eigenen Tuns als Beruf. Das Beruflichkeitsbewusstsein von Auszubildenden in Form tätigkeitsbezogener Metakognitionen hängt dabei insofern mit deren beruflicher Identität zusammen, als davon ausgegangen wird, „Tätigsein im Status der Beruflichkeit wirke in gewisser Weise und bis zu einem gewissen Grade identitätsstiftend und insoweit systemstabilisierend auf die Persönlichkeit“ (Beck 1997, S. 359). Inwiefern allerdings nach wie vor gilt, dass „gewisse Konstanzbedingungen in der Arbeitswelt via Beruflichkeitskognitionen durchaus identitätsstabilisierende Effekte erzeugen“ (Beck 1997, S. 359), ist angesichts vielfach beschriebener arbeitsweltlicher Flexibilisierungstendenzen (vgl. Sennett 1998; Bolder et al. 2010; Trinczek 2011) eine offene Frage. Stabilität und Kontinuität von Berufsbiographien weichen zunehmend der Individualisierung, Subjektivierung und Selbststeuerung beruflicher Laufbahnen (vgl. Heinz 1995; Vondracek et al. 2010). Neben berufs- und domänenbezogenen Kompetenzfacetten gewinnen individuelle Dispositionen wie Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft an Bedeutung (vgl. Fugate et al. 2004; Hall 2004), welche zugleich aber wiederum entscheidenden Einfluss auf die Art der Identifikation mit der eigenen Arbeit haben (vgl. Kirpal 2006). Dabei stellt sich die Frage, welche Berufsgruppen hiervon in welcher Weise betroffen sind und ob sich bereits in der Berufsausbildung systematische Muster identifizieren lassen. Gerade kaufmännischen Angestellten wird in diesem Zusammenhang etwa aufgrund ihrer vergleichsweise generalistisch angelegten Ausbildung eine eher geringe Bindung an den Beruf attestiert (vgl. Bühler 2007).

Bezüglich der Operationalisierung beruflicher Identität liegen jüngere Skalen für den berufsbildenden Bereich (vgl. Heinemann und Rauner 2008) und auch speziell für die kaufmännische Domäne (vgl. Klotz et al. 2014) vor. Diese sind jedoch bewusst berufsunspezifisch konzipiert, um berufsübergreifende Vergleiche zu ermöglichen. Hierbei sind unter kaufmännischen Ausbildungsberufen recht große Divergenzen hinsichtlich der Bindung an den Beruf auszumachen (vgl. Heinemann et al. 2009). Berufsspezifische Inhalte und Charakteristika beruflicher Identität werden dabei allerdings explizit von der Analyse ausgeschlossen. Dies führt zu der Frage, ob systematische berufsspezifische Merkmale beruflicher Identität bei kaufmännischen Auszubildenden unterschiedlicher Ausbildungsberufe zu beobachten sind und inwiefern hierbei homogene identitätsstiftende Elemente innerhalb der kaufmännischen Domäne oder aber spezifische Identifikationspotenziale sowie -hindernisse einzelner Ausbildungsberufe überwiegen.

Um die subjektive Perspektive kaufmännischer Auszubildender auf berufsspezifische identitätsrelevante Faktoren näher zu beleuchten, wurde im Rahmen eines explorativen Forschungsdesigns eine Interviewstudie durchgeführt. Bevor auf die Methodik und Ergebnisse dieser Interviewstudie eingegangen wird, erfolgt zunächst eine theoretische Klärung der Begriffe Identität und Identifikation. Im Anschluss wird näher auf relevante identitätsstiftende Faktoren und die existierende Befundlage eingegangen, worauf eine Präzisierung der erkenntnisleitenden Fragestellungen der Interviewstudie folgt. Die Ergebnisse der Studie werden schließlich diskutiert und auf ihre Implikationen hinterfragt.

2 Berufliche Identifikation – Konzeptualisierung und zentrale Faktoren

2.1 Abgrenzung beruflicher Identität und beruflicher Identifikation

In der einschlägigen Forschungsliteratur besteht eine enorme Vielfalt theoretischer Konzeptualisierungen beruflicher Identität (vgl. Raeder und Grote 2005; Heinzer und Reichenbach 2013). Dabei kann grundsätzlich zwischen jenen Ansätzen unterschieden werden, welche sich auf die Selbstwahrnehmung in Form individueller selbstreflexiver Prozesse beziehen und jenen, welche auf die Außenwahrnehmung und somit die Verortung des Individuums innerhalb eines sozialen Kontexts abstellen (vgl. Raeder und Grote 2007, S. 151). Während bei ersterer Herangehensweise zumeist der Begriff der personalen Identität verwendet wird (vgl. Erikson 1959; Marcia 1980; Hausser 1995; Raeder und Grote 2004) ist bei letzterer i. d. R. von der sozialen Identität bzw. der Identifikation mit einer sozialen Gruppe die Rede (vgl. Tajfel 1978; Ellemers et al. 2002; Kirpal 2004). Die Berufsbildung zielt klassischerweise darauf ab, dass die Lernenden ihre individuelle Handlungsfähigkeit in tätiger Auseinandersetzung mit ihrer Arbeitsumgebung entfalten und hieraus ein angemessenes berufliches Selbstverständnis ableiten (vgl. Baethge et al. 2007). Dieser ganzheitliche Sozialisationsmodus bildet für die Lernenden im dualen System nach wie vor eine wichtige Basis für die Entwicklung einer beruflichen und sozialen Identität (vgl. Baethge et al. 2007, S. 72). Daher erscheint es sinnvoll, berufliche Identität als Bestandteil der sozialen Identität und somit als Identifikation mit dem Beruf aufzufassen. Hierfür spricht auch, dass im Zusammenhang mit der eingangs angesprochenen individuellen Regulationsfähigkeit das Wechselspiel von individuellem Streben und förderlichen wie hinderlichen Kontextbedingungen, welche den Rahmen für die Entwicklung und Festigung der beruflichen Identität festlegen, betont wird (vgl. Baethge et al. 2006, S. 13).

In diesem Zusammenhang ist die Theorie der sozialen Identität in Verbindung mit der Selbstkategorisierungstheorie von zentralem Interesse (für einen Überblick vgl. Haslam und Ellemers 2005). Tajfel definiert die soziale Identität als „that part of an individual’s self-concept which derives from his knowledge of his membership of a social group (or groups) together with the value and emotional significance attached to that membership“ (1978, S. 63). Die berufliche Identität kaufmännischer Auszubildender stellt nun insofern einen zentralen Bestandteil ihrer sozialen Identität dar, als dass sie sich auf die berufliche Gruppenzugehörigkeit, also hier die Identifikation mit den anderen Angehörigen des jeweiligen Ausbildungsberufs, bezieht. In analoger Weise könnte auf die Zugehörigkeit zu der durch den Ausbildungsbetrieb definierten sozialen Gruppe in Form einer betrieblichen Identität abgestellt werden. Neben diesen Foci der Identifikation lassen sich aus obiger Definition auch verschiedene Dimensionen der Identifikation ableiten: die Kenntnis der Gruppenzugehörigkeit (kognitiv) sowie den damit verbundenen Wert (evaluativ) und deren emotionale Bedeutung (affektiv). In späteren Konzeptualisierungen wird eine in Tajfels Definition noch nicht vorhandene behaviorale Komponente ergänzt (vgl. Van Dick 2004). Die Selbstkategorisierung als Gruppenmitglied (kognitiv) wird dabei zumeist als Ausgangspunkt für die anderen Komponenten der Identifikation gesehen (vgl. Ashforth und Mael 1989).

Berufliche Identität i.S. beruflicher Identifikation ist im vorliegenden Kontext als Bindung des Auszubildenden an den Ausbildungsberuf zu verstehen. Allerdings ist diese Form der Bindung vom häufig synonym verwendeten Begriff des (beruflichen) Commitments abzugrenzen (vgl. Blau 2007). Während sich beide Konzepte insbesondere bezüglich der affektiven Dimension durchaus überschneiden, erweist sich lediglich der Identifikationsbegriff als relevant für die Identitätsentwicklung, da er darauf abzielt, wie sehr sich jemand als Mitglied einer sozialen Gruppe definiert und diese Gruppenmitgliedschaft in sein Selbstkonzept integriert (vgl. Van Dick 2004, S. 4 f.). An einem solchen selbst-definitorischen Merkmal mangelt es dem Commitment-Begriff, welcher demgegenüber eher die Summe der Attribute, welche einen Beruf attraktiv erscheinen lassen und das Individuum an diesen binden, umfasst (vgl. ebenda). Im Einklang hiermit versteht Neuenschwander (1996) die Identifikation als wesentliche Grundlage für die Entwicklung einer Identität. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit einem Identifikationsobjekt, wie in diesem Fall dem Ausbildungsberuf, wird durch wiederholt gemachte Erfahrungen die Einstellung gegenüber der Tätigkeit im Ausbildungsberuf als identitätsrelevant eingestuft und somit letztlich in die eigene Identität integriert.

2.2 Kennzeichen und Bedingungsfaktoren beruflicher Identifikation

Für die Identifikation mit dem Beruf ist das Berufsverständis der Auszubildenden, welches nicht zuletzt durch die berufliche Erstausbildung geprägt wird, von grundlegender Bedeutung. Dem Beruf als Fokus der Identifikation werden von Seiten des Individuums verschiedene Deutungen zugeschrieben. So ist danach zu fragen, „welche Attribute im Beruf präsent sind, was Einzelne aus ihrer Berufsarbeit gewinnen, welche Perspektiven sie erschließt und welcher Art die Verantwortung ist, die ihnen als ‚Berufsmenschen‘ zukommt“ (Dostal et al. 1998, S. 448). Solche Attribute oder Befriedigungsangebote eines Berufs bestehen u. a. in der Übernahme einer als sinnhaft empfundenen Aufgabe, der monetären Entlohnung, der sozialen Integration und Einbindung oder der Möglichkeit sich an gestellten Anforderungen messen zu können (vgl. Dostal et al. 1998, S. 443).

In ähnlicher Weise sieht Beck das „Tätigsein im Status der Beruflichkeit“ (Beck 1997, S. 359) als identitätsstiftendes Element. Obgleich Beruflichkeitskognitionen nicht mit Identitätskognitionen zu vermengen sind, bilden erstere eine wesentliche Stütze für letztere. Beck unterscheidet dabei sechs Komponenten des Beruflichkeitsbewusstseins (vgl. Beck 1997, S. 357 f.). Die Relevanzkognition bezieht sich auf die Susbsistenznotwendigkeit und damit v. a. die materielle Entlohnung einer Tätigkeit. Die Zeitkognition umfasst die Wahrnehmung eines nicht vernachlässigbaren Umfangs der Tätigkeit, wie auch das Bewusstsein einer gewissen zeitlichen Dauerhaftigkeit. In der Kompetenzkognition emergieren die im Tätigsein aktivierten Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche nicht zuletzt im Rahmen einer absolvierten Ausbildung erworbenen wurden. Die Statuskognition verweist auf die „kognitive Selbstlokalisierung des Individuums innerhalb des sozialen Gefüges der es umgebenden (Arbeits‑)Gesellschaft“ (Beck 1997, S. 358). Die Idealitätskognition bezieht sich auf einen subjektiven Idealstandard für das tätigkeitsspezifische Handeln, also auf eine Vorstellung hinsichtlich des in der jeweiligen Tätigkeit Gesollten. Die Sinnkognition wird schließlich als grundlegende Motivation, den Tätigkeitsverpflichtungen jenseits der reinen Erwerbsorientierung nachzukommen, verstanden. Das Vorhandensein dieser tätigkeitsbezogenen Metakognitionen ist laut Beck nun entscheidend dafür, „ob ein Individuum die (Erwerbs‑)Tätigkeit, die es ausübt, in der physischen Verfaßtheit von ‚Beruflichkeit‘ erfüllt“ (Beck 1997, S. 356). Mit Blick auf die Theorie der sozialen Identität ergibt sich somit eine inhaltliche Nähe zur kognitiven Komponente als Grundlage der weiteren Dimensionen der Identifikation.

Wie die berufliche Sozialisationsforschung gezeigt hat, spielen zudem die Tätigkeitsanforderungen und beruflichen Entwicklungsperspektiven eines Berufs inklusive der entspechenden Weiterbildungswege eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung einer sozialen Identität. (vgl. Brose 1986; Mönnich und Witzel 1994; Heinz 1995). Die enge Verzahnung von beruflicher Identitätsentwicklung und Kompetenzentwicklung wurde eingangs bereits angesprochen. Für einen positiven Zusammenhang zwischen beiden Merkmalen liegen für die kaufmännische Domäne innerhalb der Berufsbildung auch bereits empirische Belege vor (vgl. Klotz 2015). In manchen Ansätzen wird berufliche Identität gar mit der subjektiv wahrgenommenen Kompetenzentwicklung gleichgesetzt (vgl. Mieg und Woschnack 2002; Bremer und Haasler 2004). Obgleich diese terminologische Vermengung die Abgrenzung zwischen beiden Konstrukten erschwert, verdeutlicht sie doch die hohe Relevanz der spezifischen Tätigkeitsanforderungen und darauf bezogenen Dispositionen für die Herausbildung einer beruflichen Identität. Dabei weist bereits Hoff et al. (1985) darauf hin, dass sich die Arbeitsinhalte und -tätigkeiten für eine Identifikation mit diesen nicht zwangsläufig als hochkomplex darstellen müssen, sondern auch in Routinearbeiten bestehen können. Zudem ist die identitätsstiftende Wirkung berufstypischer Tätigkeitsmerkmale nicht wie zuweilen angenommen auf akademisch professionalisierte und berufsständisch organisierte Berufe beschränkt, sondern entfaltet sich ebenso unter Kaufleuten und Handwerkern (vgl. Heinz 1995, S. 104).

Im Rahmen einer Analyse der Aus- und Fortbildungsordnungen kaufmännischer Berufe sowie einer ergänzenden Befragung untersucht Kaiser die charakteristischen kaufmännischen Tätigkeiten, welche zusammen mit den „in ihnen geronnenen Denkweisen“ (2014, S. 75) die Mentalität der kaufmännischen Angestellten entscheidend prägen. Dabei wird festgestellt, dass die in allen untersuchten kaufmännischen Ausbildungsberufen vorkommenden Gemeinsamkeiten gegenüber den berufsspezifischen Vertiefungen und Besonderheiten deutlich überwiegen. Insgesamt ist das Denken und Handeln qualifizierter Kaufleute demnach von drei Aspekten geprägt: der Entscheidungsfindung nach dem ökonomischen Prinzip, der Vermittlerfunktion zwischen Unternehmen und Kunden sowie der Beobachtung und Mitgestaltung rechtlicher, politischer und ökonomischer Rahmenbedingungen (vgl. Kaiser 2014, S. 76). Für ein vertieftes Verständnis darüber, inwiefern einzelne Berufe identitätsstiftende (Tätigkeits)-Elemente aufweisen, welche die Entwicklung eines kaufmännischen Selbstverständnisses ermöglichen, sind allerdings spezifischere Analysen notwendig (vgl. Kaiser 2014, S. 78 f.). Dabei ist von besonderer Relevanz, inwiefern angesichts der hohen Überschneidungen in der kaufmännischen Domäne aus Sicht der angehenden Kaufleute berufstypische Tätigkeiten ausgemacht werden können. Ausgehend von der Tatsache, dass das Interesse am Inhalt der beruflichen Tätigkeit regelmäßig als ausschlaggebendes Motiv für die Wahl eines Ausbildungsberufs genannt wird (vgl. Ebner 2000), spielt zudem die interessensbezogene und emotionale Bewertung der als berufstypisch wahrgenommenen Tätigkeiten eine zentrale Rolle. Insofern haben die berufstypischen Tätigkeiten und deren Beurteilung aus Sicht der Auszubildenden eine hohe Bedeutung für deren affektive Identifikation mit dem Beruf.

Beim Übergang ins Erwerbsleben bilanzieren die Auszubildenden ihre im Rahmen der Erstausbildung gemachten Erfahrungen, antizipieren Karriereperspektiven sowie berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und streben nach der für die eigene Identitätsentwicklung so wichtigen Vereinbarkeit (ökologische Konsistenz) von beruflichem und privatem Lebensbereich (vgl. Baethge et al. 1988; Witzel und Kühn 1999). Dabei verschieben sich im Laufe der Ausbildung die Wahrnehmungsmuster. Während zu Beginn der Ausbildung häufig noch der Kontrast zur vorausgegangenen schulischen Laufbahn im Vordergrund steht, gewinnt mit zunehmenden Eintauchen in die betriebliche Erfahrungswelt die Bewertung der künftigen Beschäftigungsaussichten und Verwirklichungspotenziale an Bedeutung (vgl. Wahler 1997). Zum Ende der Lehrzeit hin werden auch mögliche Alternativen zur Übernahme im Ausbildungsbetrieb wie die schulische Weiterqualifikation, ein Betriebs- oder sogar Berufswechsel virulent. Unter angehenden Kaufleuten geht die Übernahmeerwartung dabei häufig mit Weiterbildungsabsichten und beruflichem Aufstiegsstreben einher (Wahler 1997). Jüngere qualitative Studien diagnostizieren in diesem Zusammenhang innerhalb der kaufmännischen Domäne durchaus Unterschiede. So werden den Absolventen einer beruflichen Erstausbildung im Einzelhandel insgesamt gute Aufstiegsmöglichkeiten bescheinigt, da in diesem Sektor die interne Nachwuchskräftesicherung nach wie vor stark dominiert (Voss-Dahm 2011; Franz 2011). Demgegenüber sehen sich aufstiegsorientierte Industriekaufleute in zunehmendem Maße mit der Konkurrenz durch die externe Rekrutierung von Akademikern konfrontiert (Bromberg et al. 2013). Zugleich ergeben sich für letztere durch die komplexen Organisationsstrukturen in der Industrie vielfältigere Karrieremöglichkeiten als in der filialisierten Struktur des Einzelhandels (Bromberg et al. 2013).

Neben der ökologischen Konsistenz stellt auch die berufsbiographische Kontiuität einen wichtigen Aspekt beruflicher Identität dar. Diese herzustellen erscheint angesichts moderner arbeitsweltlicher Strukturen aber zunehmend schwierig (vgl. Raeder und Grote 2005). Im Rahmen des FAME-Projektes (vgl. Kirpal 2004) wurde ein Kontinuum an Identitätsformen von einer klassischen bis hin zu einer flexiblen und individualisierten ArbeitsidentitätFootnote 1 konstatiert. Während sich die klassische Arbeitsidentität durch eine hohe Identifikation mit dem Beruf, den Arbeitstätigkeiten und meist auch dem Unternehmen auszeichnet, spielen diese Bindungen bei Personen der flexiblen Identitätsform eine untergeordnete Rolle. Gleichzeitig sind Letztere dazu in der Lage, arbeitsweltliche und betriebliche Veränderungen für sich als Chancen zu nutzen, während Erstere nicht „über das persönliche Rüstzeug verfügen, um Forderungen nach Anpassung ihrer beruflichen Tätigkeit, Kompetenzentwicklung und Laufbahnausrichtung gerecht werden zu können“ (Kirpal 2006, S. 48). Da dieser Mangel an erforderlichen Anpassungsressourcen laut der Studie insbesondere bei Beschäftigten der mittleren Qualifikationsstufe zu beobachten ist (Kirpal 2006, S. 49), kann die Wahrnehmung entsprechender Diskontiuitäten die Identifikation der angehenden Fachkräfte mit ihrer Arbeit schon in der Entstehung hemmen. Insgesamt haben die Karriereaussichten und Entwicklungsperspektiven einer Berufsgruppe entscheidenden Einfluss auf die Bewertung der eigenen Gruppenmitgliedschaft und prägen damit zentrale Attribute, welche der Gruppe zugeschrieben werden. Somit ergibt sich hier eine Überschneidung mit der evaluativen Dimension der Identifikation.

Wie dargelegt wurde, kann für die drei behandelten Bedingungsfaktoren der Identifikation (Beruflichkeitskognitionen, Tätigkeiten, berufliche Perspektiven) jeweils eine gewisse Nähe zu einer Komponente der Identifikation (kognitiv, affektiv, evaluativ) ausgemacht werden. Dies ist jedoch nicht als eindeutige Zuordnung, sondern vielmehr als konzeptionelle Rahmung des vorliegenden Artikels zu verstehen. Es wird somit ausdrücklich nicht ausgeschlossen, dass bspw. die Tätigkeiten in einem Beruf auch in Zusammenhang mit der evaluativen Dimension stehen. Jedoch wird deren Einfluss auf die affektive Identifikation mit dem Beruf als besonders relevant eingestuft.

3 Konzeption der empirischen Untersuchung

3.1 Forschungsfragen

Die dargelegten Befunde und Theorielinien verdeutlichen, dass sich die Auszubildenden von ihrer Ausbildung sowohl inhaltlich interessante Tätigkeiten als auch aussichtsreiche berufliche Entwicklungsmöglichkeiten erhoffen (vgl. Mönnich und Witzel 1994; Ebner 2000). „Wenn diese Ansprüche durch die Ausbildungsorganisation nicht eingelöst werden, fallen Sozialisationserfahrungen aus, die eine Verbindung zwischen Berufstätigkeit und sozialer Identität bei Jugendlichen festigen könnten“ (Heinz 1995, S. 149; s. a. Heinemann et al. 2009). Hinzu kommt, dass diese affektiven und evaluativen Bewertungen i. d. R. auf grundlegenderen berufsbezogenen Kognitionen fußen, wodurch sich folgende Präzisierung des Forschungsinteresses ergibt:

  1. 1.

    Welches Berufsverständnis weisen kaufmännische Auszubildende auf und inwiefern ergeben sich diesbezüglich Unterschiede zwischen den Ausbildungsberufen?

  2. 2.

    Welche Tätigkeiten werden von kaufmännischen Auszubildenden als berufstypisch wahrgenommen? Welche dieser Tätigkeiten werden im Sinne einer affektiven Bedeutsamkeit als besonders interessant und angenehm erlebt? Ergeben sich diesbezüglich Divergenzen zwischen generalistischen und eher spezialisierten Ausbildungsberufen?

  3. 3.

    Inwiefern bieten die subjektiv wahrgenommenen beruflichen Perspektiven in kaufmännischen Ausbildungsberufen divergierende Potenziale für eine Identifikation mit dem Ausbildungsberuf?

3.2 Stichprobe und Vorgehensweise der Interviewstudie

Zur Beantwortung der zuvor dargelegten Fragen wurde eine Interviewstudie mit N = 51 Auszubildenden (45,1 % weiblich) aus fünf kaufmännischen Ausbildungsberufen mit einem Durchschnittsalter von 20,98 Jahren (SD = 3,06) durchgeführt. Dabei wurden gezielt Ausbildungsberufe ausgewählt, für welche eine überdurchschnittliche (Automobil- und Industriekaufleute), eine mittlere (Einzelhandels- und SpeditionskaufleuteFootnote 2) als auch eine unterdurchschnittliche (Kaufleute für Büromanagement) Bindung an den Ausbildungsberuf festgestellt worden ist (Heinemann et al. 2009; Rauner et al. 2016). Zudem sollten einerseits sowohl generalistische (Industrie, Büro, Einzelhandel) als auch spezialisierte (Spedition, Automobil) kaufmännische Berufe berücksichtigt werden (vgl. Tab. 1).

Tab. 1 Verteilung der Stichprobe auf Ausbildungsberufe und -jahre

Die Interviews wurden nach Zustimmung der Auszubildenden mit einem Audioaufnahmegerät aufgezeichnet und später transkribiert. Die Kodierung und inhaltsanalytische Auswertung der transkribierten Daten erfolgte anhand eines Kodierleitfadens und unter Anwendung der Software MAXQDA Version 12. Für alle weiteren Auswertungen wurde IBM SPSS Statistics Version 25 verwendet. Zur Durchführung der Interviews diente ein Interviewleitfaden, der in drei Fragenbereiche jeweils mit Ober- und Unterfragen gegliedert ist. Im ersten Bereich ging es um das subjektive Berufsverständnis der Auszubildenden („Was bedeutet für Sie persönlich der Begriff ‚Beruf‘? Was verstehen Sie unter einem Beruf?“). Der zweite Bereich zielte auf die als charakteristisch für den eigenen Beruf wahrgenommenen Tätigkeiten und ihre affektive Bedeutsamkeit („Welche typischen Aufgaben und Tätigkeiten verbinden Sie mit Ihrem Ausbildungsberuf?“; „Welche Ihrer Aufgaben und Tätigkeiten finden Sie besonders interessant bzw. welche machen Ihnen am meisten Spaß?“)Footnote 3. Im letzten Bereich wurden die antizipierten beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten erfragt („Wie schätzen Sie Ihre berufliche Perspektive nach Abschluss Ihrer Ausbildung ein“). Durch zusätzliche Nachfragen zu jedem der drei Bereiche sollten spezifische Teilaspekte abgedeckt werden, sofern die Probanden diese nicht schon von sich aus ansprechen.

3.3 Kategoriensystem und qualitative Inhaltsanalyse

Das methodische Vorgehen erfolgt entlang der Prinzipien der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (vgl. Mayring und Fenzl 2014; Mayring 2015). Das Kategoriensystem wurde im inhaltlichen Bezug zu den drei Fragenbereichen im Interviewleitfaden theoriegeleitet erstellt. Bezüglich des Berufsverständnisses wurden in Anlehnung an die Komponenten des Beruflichkeitsbewusstseins nach Beck (1997) verschiedene Beruflichkeitskognitionen als Kategorien gefasst: Relevanz‑, Kompetenz, Status‑, Idealitäts‑, Sinn-, und Zeitkognition (Tab. 2). Nach einer ersten Materialsichtung wurde zudem die Kategorie Sozialkognition ergänzt, welche sich auf den Beruf als Medium sozialer Einbindung bezieht. Die Interraterreliabilität weist gute Werte auf (κ = 0,82)Footnote 4.

Tab. 2 Kategoriensystem – Beruflichkeitskognitionen

Für die berufstypischen Tätigkeiten wurden die Überkategorien Kundenkontakt, fachbezogenes Arbeiten, administratives Zuarbeiten, selbständige Projektarbeit und sonstige Tätigkeiten gebildet. Diese Überkategorien setzen sich wiederum aus Unterkategorien im Sinne verschiedener Tätigkeiten zusammen, welche u. a. in Anlehnung an Rausch (2011) gebildet wurden (Tab. 3). Die eigentliche Kodierung erfolgt auf Ebene dieser Unterkategorien (z. B. Kundenkontakt per Telefon). Die beiden Überkategorien selbständige Projektarbeit und sonstige Tätigkeiten wurden nicht weiter untergliedert. Dieses Kategoriensystem wurde nun sowohl für die Kodierung berufstypischer als auch affektiv bedeutsamer Tätigkeiten verwendet, um eine konsistente Gegenüberstellung zu ermöglichen. Die Interraterreliabilität liegt bei κ = 0,86 (berufstypische T.) bzw. κ = 0,83 (affektiv bedeutsame T.).

Tab. 3 Kategoriensystem – Typische/affektiv bedeutsame Tätigkeiten

Hinsichtlich der antizipierten beruflichen Perspektiven sind drei Untersuchungsschwerpunkte zu unterscheiden (Tab. 45 und 6). Zunächst werden die Angaben zur Hauptfrage („Wie schätzen Sie Ihre berufliche Perspektive nach dem Abschluss der Ausbildung ein?“) danach kategorisiert, ob an dieser Stelle konkrete Weiterbildungsmöglichkeiten genannt werden und ob zusätzlich zu deren Relevanz für die eigene berufliche Entwicklung Bezug genommen wird (relevante Weiterbildungsmöglichkeiten). Für diese Kategorisierung werden auch die Antworten zu einer spezifischeren Unterfrage („Welche beruflichen Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten sehen Sie mittel- bis langfristig in Ihrem Ausbildungsberuf?“) mitberücksichtigt. Die Interraterreliabilität weist zufriedenstellende Werte auf (κ = 0,70).

Tab. 4 Kategoriensystem – Weiterbildungsmöglichkeiten (WBM)
Tab. 5 Kategoriensystem – Allgemeine/Kaufmännische Vergleichsbewertung
Tab. 6 Kategoriensystem – Berufsbindung vs. Berufswechsel

Des Weiteren geht es um die Vergleichsbewertung der beruflichen Möglichkeiten gegenüber anderen Berufen im Allgemeinen (Unterfrage: „Wie bewerten Sie die beruflichen Möglichkeiten verglichen mit anderen Berufen?“;(κ = 0,64Footnote 5)) sowie anderen kaufmännischen Ausbildungsberufen im Besonderen (Unterfrage: „Wie bewerten Sie die beruflichen Möglichkeiten verglichen mit anderen kfm. Ausbildungsberufen?“). Hierbei erfolgt jeweils eine dreistufige Kategorisierung (eher negativ, neutral, eher positiv; (κ = 0,90)).

Schließlich wird bezüglich der Bindung an den Ausbildungsberuf (Unterfrage: „Sehen Sie Ihre berufliche Zukunft ausschließlich in Ihrem Ausbildungsberuf oder könnten Sie sich vorstellen auch etwas ganz anderes zu machen?“) zwischen der grundsätzlichen Tendenz im Ausbildungsberuf zu verbleiben (Berufsbindung), einer potenziellen Umorientierung auf Basis des Ausbildungsberufs (Umorientierung als Option) sowie konkreter Hinweise, dass eine Laufbahn außerhalb des eigenen Ausbildungsberufs angestrebt wird (Berufswechsel als Option) unterschieden (k = 1,00). Bezüglich aller drei Bereiche der beruflichen Perspektiven erfolgt eine eindeutige Zuordnung zu einer der jeweils drei Kategorien.

4 Empirische Befunde

4.1 Berufsverständnis und Beruflichkeitskognitionen

Zunächst wurde betrachtet, welche Charakteristika von den Auszubildenden bei der Frage nach ihrem Berufsverständnis angesprochen wurden („Was bedeutet für Sie persönlich der Begriff ‚Beruf‘? Was verstehen Sie unter einem Beruf?“). Da pro Interview erfasst wurde, ob die Auszubildenden bestimmte Beruflichkeitskognitionen für die Beschreibung ihres Berufsverständnisses heranziehen, kann jeder Kognitionsbereich maximal eine Nennung in der Größenordnung der Stichprobe von 51 Fällen aufweisen. Wie Abb. 1 zu entnehmen ist, sind die Sinn- (42 Nennungen) und die Relevanzkognition (38) über alle Ausbildungsberufe hinweg am stärksten präsent. Im mittleren Bereich befinden sich die Zeit- (25), Kompetenz- (19) und Sozialkognition (19). Die Idealitäts- (6) und vor allem die Statuskognition (3) werden dagegen kaum angesprochen. Der Vergleich der Nennungen pro Ausbildungsberuf zeigt, dass die Speditionskaufleute durchschnittlich die meisten Beruflichkeitskognitionen nennen (M = 3,56), gefolgt von den Industriekaufleuten (M = 3,22), den Kaufleuten für Büromanagement (M = 3,17) sowie den Automobilkaufleuten (M = 2,92). Während die Werte dieser vier Berufe relativ nah zusammenliegen, fallen die Einzelhandelskaufleute mit durchschnittlich lediglich 2 Nennungen erkennbar ab. Es liegt ein statistisch signifikanter, aber bezüglich der Effektstärke schwacher Mittelwertunterschied zwischen den verschiedenen Berufen vor (F = 3,130; p = 0,023; f = 0,219). Der Post-hoc-Vergleich zeigt, dass dies auf den signifikanten Mittelwertunterschied zwischen den Einzelhändlern und Speditionskaufleuten zurückzuführen ist (p = 0,042).

Abb. 1
figure 1

Beruflichkeitskognitionen (Häufigkeiten)

Bei differenzierterer Betrachtung der einzelnen Ausbildungsberufe zeigt sich, dass die Kompetenzkognition unter den Kaufleuten im Einzelhandel am schwächsten (1/9)Footnote 6, unter den Automobilkaufleuten und den Kaufleuten für Büromanagement mittelstark (je 4/12) sowie unter den Industrie- und Speditionskaufleuten am stärksten (je 5/9) ausgeprägt ist. Ein recht ähnliches Bild ergibt sich für die Zeitkognition, mit dem einzigen Unterschied, dass die Automobilkaufleute diese gegenüber den Kaufleuten für Büromanagement etwas häufiger nennen, während im unteren und oberen Bereich die gleichen Ausbildungsberufe wie zuvor zu finden sind. Die Einzelhandelskaufleute weisen auch hinsichtlich der Relevanz- (5/9) und der Sinnkognition (6/9), welche unter den übrigen Berufen durchweg sehr stark präsent sind, die geringsten Werte auf. Die Sozialkognition kann dagegen am ehesten bei den Kaufleuten für Büromanagement (6/12) und den Einzelhandelskaufleuten (4/9) ausgemacht werden, während diese bei den restlichen Berufen weniger zu finden ist. Bezüglich der Idealitäts- und Statuskognition ist aufgrund der geringen absoluten Nennungen keine differenzierte Analyse der einzelnen Berufe möglich.

Weiter wurde untersucht, inwiefern die Häufigkeiten der Nennung verschiedener Beruflichkeitskognitionen unabhängig von den Ausbildungsberufen systematische Zusammenhänge aufweisen. Über alle Ausbildungsberufe hinweg betrachtet ist jedoch lediglich zwischen der Relevanz- und der Sinnkognition ein signifikanter Zusammenhang auszumachen (Cramér-V = 0,319; p = 0,036)Footnote 7, das heißt, das Relevanz- und Sinnkognition häufig gemeinsam genannt werden, wohingegen die anderen Beruflichkeitskognitionen nicht systematisch zusammenfallen.

4.2 Berufliche Tätigkeiten und ihr Identifikationspotenzial

4.2.1 Berufstypische Tätigkeiten

Die verschiedenen berufstypischen Tätigkeitskategorien konnten pro Interview jeweils einmal erfasst werden. Die Angabe von mehreren Tätigkeiten innerhalb derselben Kategorie führt nicht zu einer Mehrfachzählung dieser Kategorie, d. h. pro Tätigkeitskategorie war ebenfalls ein maximaler Wert von 51 Nennungen möglich. Insgesamt fällt auf, dass sich der Schwerpunkt der berufstypischen Tätigkeiten auf die Überkategorie Fachbezogenes Zuarbeiten konzentriert (s. Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Berufstypische Tätigkeiten (Häufigkeiten)

Bei den Speditionskaufleuten zeigt sich ein klarer Fokus der berufstypischen Tätigkeiten auf die beiden Kategorien Transportabwicklung (9/9) sowie Kundenkontakt per Telefon (6/9). In teils deutlich geringerem Umfang werden Buchhaltung & Verrechnung (4/9) sowie Verwaltungstätigkeiten & Aufräumarbeiten (3/9) genannt. Die Kaufleute für Büromanagement weisen demgegenüber eine breitere Streuung auf, wobei Vertriebsvorbereitung und -abwicklung (10/12), Kundenkontakt per Telefon (8/12), Buchhaltung & Verrechnung (7/12) sowie Organisation & Koordination (7/12) das Muster typischer Tätigkeiten prägen. Bezüglich der Industriekaufleute ist mit den als besonders charakteristisch wahrgenommenen Tätigkeitsbereichen Vertriebsvorbereitung und -abwicklung (8/9), Buchhaltung & Verrechnung (7/9) sowie Einkauf & Beschaffung (5/9) der Tätigkeitsfokus eindeutig beim fachbezogenen Zuarbeiten zu verorten. Die Einzelhandelskaufleute nennen fasst durchweg berufstypische Tätigkeiten im Bereich Warenpräsentation (9/9) und Face-to-Face-Kundenkontakt (8/9), mit etwas Abstand gefolgt vom Kassenwesen (5/9), der Warenlagerung (4/9) sowie dem Bereich Einkauf & Beschaffung (4/9). Unter den Automobilkaufleuten ergibt sich mit typischen Tätigkeiten besonders in den Bereichen Face-to-Face-Kundenkontakt (10/12) Vertriebsvorbereitung und -abwicklung (8/12) sowie Organisation & Koordination (7/12) und geringeren Nennungshäufigkeiten in vielen verschiedenen Kategorien eine relativ breite Streuung auf alle Überkategorien.

4.2.2 Affektiv bedeutsame Tätigkeiten

Die Kodierung der affektiv bedeutsamen Tätigkeitskategorien erfolgte analog zu den berufstypischen Tätigkeitskategorien. Im Gegensatz zu diesen ist die Überkategorie Fachbezogenes Zuarbeiten nun aber vergleichsweise unterrepräsentiert. Vielmehr ergibt sich eine deutliche Verschiebung in Richtung der Überkategorie Kundenkontakt. Deren Anteil an den Gesamtnennungen steigt von 26,2 % (53/202) bei den berufstypischen Tätigkeiten auf 45,7 % (32/70) bei den affektiv bedeutsamen Tätigkeiten an. Die Beobachtungen in den einzelnen Ausbildungsberufen sind allerdings durchaus divers (s. Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Affektiv bedeutsame Tätigkeiten (Häufigkeiten)

Bei den Speditionskaufleuten fällt auf, dass sich deren affektiv bedeutsame Tätigkeiten mehr als bei allen anderen Ausbildungsberufen mit den meistgenannten berufstypischen Tätigkeiten decken (Transportabwicklung: 5/9 sowie Kundenkontakt per Telefon: 4/9) und außerhalb dieser beiden Kategorien lediglich zwei Nennungen affektiv bedeutsamer Tätigkeiten zu finden sind. Auch unter den Kaufleuten für Büromanagement wird am ehesten den wahrgenommenen Tätigkeitsschwerpunkten affektive Relevanz beigemessen, wenngleich die Nennungen hier deutlich geringer ausfallen (Vertriebsvorbereitung und -abwicklung: 4/12, Buchhaltung & Verrechnung: 3/12, Organisation & Koordination: 3/12). Unter den Industriekaufleuten wird mit Ausnahme der Vertriebstätigkeiten (4/9) quasi keiner der berufstypischen Tätigkeitsbereiche als affektiv bedeutsam bewertet. Vielmehr ist hier eine Verschiebung zum Kundenkontakt per Telefon (5/9) zu erkennen. Die Einzelhandelskaufleute nehmen in erster Linie den Face-to-Face-Kundenkontakt (6/9) sowie mit Abstrichen Tätigkeiten im Bereich Einkauf & Beschaffung (3/9) als affektiv bedeutsam wahr. Die von vielen als berufstypisch empfundenen Tätigkeitskategorien Warenpräsentation und Kassenwesen führt allerdings jeweils lediglich ein Proband an. Die Automobilkaufleute nennen trotz der breiten Streuung berufstypischer Tätigkeiten fast ausschließlich den Face-to-Face-Kundenkontakt (9/12) als affektiv relevante Tätigkeit. Die Überprüfung über alle Ausbildungsberufe hinweg bestätigt, dass der Zusammenhang zwischen den als berufstypisch und den als affektiv bedeutsam wahrgenommenen Tätigkeiten für den Face-to-Face-Kundenkontakt besonders stark ausfällt (Cramér-V = 0,676; p = 0,000)Footnote 8. Für die Vertriebsvorbereitung und -abwicklung (Cramér-V = 0,361; p = 0,015) sowie Buchhaltung und Verrechnung (Cramér-V = 0,419; p = 0,004) als meistgenannte Tätigkeitskategorien des fachbezogenen Zuarbeitens fällt dieser Zusammenhang deutlich geringer, wenn auch signifikant aus.

Weiterhin wurde auch auf Ebene der Ausbildungsberufe der Zusammenhang der Nennungshäufigkeiten von berufstypischen und affektiv bedeutsamen Tätigkeiten berechnet, um festzustellen, ob sich in Abhängigkeit der Berufszugehörigkeit systematische Inkonsistenzen ergeben. Hierzu wurden die drei im jeweiligen Ausbildungsberuf am häufigsten genannten berufstypischen Tätigkeiten (s. Abb. 2) herangezogen und unter allen Probanden dieses Ausbildungsberufs abgeglichen, inwiefern sich die Nennung dieser Tätigkeiten als berufstypisch und affektiv bedeutsam decken. Der stärkste Zusammenhang ergibt sich hierbei für die Speditionskaufleute (Cramér-V = 0,511; p = 0,013), gefolgt von den Kaufleuten für Büromanagement (Cramér-V = 0,426; p = 0,001). Der fehlende Zusammenhang zwischen berufstypischen und affektiv bedeutsamen Tätigkeiten unter den Industriekaufleuten (Cramér-V = 0,143; p = 0,283) und Einzelhandelskaufleuten (Cramér-V = 0,101; p = 1,000) offenbart Inkonsistenzen zwischen den als berufstypisch und affektiv bedeutsam wahrgenommenen Tätigkeiten für diese beiden Ausbildungsberufe. Für die Automobilkaufleute ist der Zusammenhang lediglich auf dem 6 %-Niveau signifikant (Cramér-V = 0,337; p = 0,060).

4.3 Berufsbindung und berufliche Perspektiven

Hinsichtlich der wahrgenommenen Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten fällt die Anzahl derer, welche überhaupt keine Weiterbildungsmöglichkeiten wahrgenommen haben, in allen Ausbildungsberufen sehr gering aus (insgesamt 7/51). Die Speditions- (7/9), Industrie- (8/9) und Automobilkaufleute (10/12) sind fast durchwegs in der Lage, relevante Weiterbildungsmöglichkeiten zu nennen. Das bedeutet, sie nennen nicht nur konkrete Weiterbildungsoptionen (z. B. Fach‑/Betriebswirt, fachlich einschlägiges Studium), sondern nehmen auch Bezug auf deren Relevanz für die eigenen beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten, indem bspw. die damit verbundenen Vor- und Nachteile bzw. die sich dadurch eröffnenden Karrierewege erörtert werden. Im Gegensatz hierzu erfolgt bei den Einzelhandelskaufleuten in gleichem (4/9) und bei den Kaufleuten für Büromanagement sogar in größerem Maße (6/12) lediglich eine Nennung der Weiterbildungsmöglichkeiten, ohne Bezugnahme zu deren Relevanz für die eigene berufliche Entwicklung (s. Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Weiterbildungsmöglichkeiten (Häufigkeiten)

Die allgemeine Vergleichsbewertung bezüglich der beruflichen Möglichkeiten fällt nur bei den Industriekaufleuten durchweg positiv aus (9/9). Allerdings bewertet auch der Großteil der Speditions- (7/9) und Automobilkaufleute (9/12) sowie der Kaufleute für Büromanagement (8/12) die eigenen beruflichen Möglichkeiten als eher positiv gegenüber anderen Berufen im Allgemeinen. Lediglich unter den Einzelhändlern sind dies deutlich weniger (4/12), während einige hier ein neutrales (3/9) oder sogar eher negatives (2/9) Bild zeichnen. Hinsichtlich der Vergleichsbetrachtung mit anderen kaufmännischen Ausbildungsberufen ändert sich bei den Industrie- und Speditionskaufleuten kaum etwas. Die sehr positive Bewertung bleibt auch beim Vergleich mit anderen kaufmännischen Ausbildungsberufen als Vergleichsreferenz weitgehend bestehen. Bei den Kaufleuten für Büromanagement und den Einzelhandelskaufleuten erfolgt dagegen eine Korrektur nach unten, sodass die Bewertung nun überwiegend neutral (7/12) bzw. bei letzteren sogar zu gleichen Teilen neutral und eher negativ (je 2/9) ausfällt. Unter den Automobilkaufleuten ergibt sich in abgeschwächter Form ebenfalls eine Korrektur nach unten, was zu einer gleichmäßigen Verteilung auf die drei Bewertungskategorien führt (s. Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Bewertung der beruflichen Möglichkeiten (Häufigkeiten)

Unter den Industrie- (7/9), Speditions- (6/9) und Automobilkaufleuten (8/12) ist eine recht hohe Bindung an den Ausbildungsberuf zu konstatieren (s. Abb. 6). Konkrete Hinweise darauf, dass eine andere fachliche Laufbahn außerhalb des eigenen Ausbildungsberufs in Frage kommt sind hier eher weniger zu finden (je 2/9). Bei den Kaufleuten für Büromanagement ist dieser mögliche Berufswechsel als Option (4/12), ebenso wie die Möglichkeit der Umorientierung auf Basis des aktuellen Ausbildungsberufs (2/12) schon präsenter. Die Einzelhandelskaufleute weisen die mit Abstand schwächste Berufsbindung auf und können sich zu einem erheblichen Teil (6/9) einen Berufswechsel, z. B. durch das Absolvieren einer weiteren Ausbildung, vorstellen. Ein separater Blick auf die Auszubildendem, welche sich im dritten Lehrjahr und somit unmittelbar vor dem Abschluss ihrer Ausbildung befinden, verstärkt diesen Eindruck. Während die Industrie‑, Speditions- und Automobilkaufleute im dritten Lehrjahr überwiegend in ihrem Beruf verbleiben wollen (insgesamt: 8/12), trifft dies bei den Kaufleuten für Büromanagement und den Einzelhandelskaufleuten im letzten Lehrjahr nur für eine Minderheit zu (insgesamt: 2/6). Der Abgleich mit den Auszubildenden im ersten Lehrjahr ergibt eine ähnliche Diskrepanz zwischen den Industrie‑, Speditions- und Automobilkaufleuten (insgesamt: 7/9) sowie den Kaufleuten für Büromanagement und den Einzelhandelskaufleuten (insgesamt: 3/6).

Abb. 6
figure 6

Berufsbindung vs. Berufswechsel (Häufigkeiten)

5 Diskussion und Ausblick

Mit der vorliegenden Interviewstudie war die Intention verknüpft, die Sichtweisen kaufmännischer Auszubildender auf die Konstrukte Beruf und Beruflichkeit sowie berufstypische und identifikationsrelevante Tätigkeiten auf qualitativem Wege herauszuarbeiten und wahrgenommene berufliche Perspektiven zu eruieren. Dabei war auch von Interesse, ob und inwiefern sich zwischen unterschiedlichen kaufmännischen Ausbildungsberufen systematische Ergebnismuster offenbaren.

Für den ersten Interviewbereich zeigt sich zunächst insgesamt eine verhältnismäßig hohe Bandbreite der durch die Auszubildenden angesprochenen Beruflichkeitskognitionen. Die häufigen Nennungen der Sinn- und Relevanzkognition über alle Berufe hinweg verweisen auf den Umstand, dass die Auszubildenden mit dem Beruf in erster Linie eine interessante und sinnhafte Tätigkeit verbinden wollen, sich zugleich aber der materiellen Notwendigkeit der Erwerbstätigkeit bewusst sind. Der Vergleich der durchschnittlichen Anzahl an Nennungen pro Ausbildungsberuf lässt darauf schließen, dass die Einzelhandelskaufleute gegenüber den anderen vier Berufen ein weniger breites Berufsverständnis i. S. der Wahrnehmung unterschiedlicher Perspektiven auf den Beruf aufweisen.

Die vergleichsweise hohe Präsenz der Zeit- und Kompetenzkognition unter den Industrie- und Speditionskaufleuten deutet darauf hin, dass deren Perspektive auf den Beruf stark durch die fähigkeitsbezogene und zeitliche Inanspruchnahme im Ausbildungsberuf geprägt ist. Die Auszubildenden in diesen Berufen definieren ihr berufliches Selbstverständnis also in besonderem Maße durch die von ihnen wahrgenommenen Kompetenzanforderungen und den zeitlichen Aufwand, welchen sie in ihre Ausbildung investieren. Während die Automobilkaufleute und die Kaufleute für Büromanagement hier tendenziell im Mittelfeld rangieren, sind die Zeit- und Kompetenzkognition unter den Einzelhandelskaufleuten nahezu überhaupt nicht präsent. Offensichtlich verbinden diese ihren Beruf in geringerem Maße mit kompetenzbezogenen und zeitlichen Herausforderungen, wodurch letztlich wesentliche Bezugspunkte für ein anspruchsvolles berufliches Selbstbild fehlen. Demgegenüber betonen sie vergleichsweise häufig den Stellenwert der sozialen Einbindung im Beruf, wodurch der Sozialkognition in gewisser Weise eine Kompensationsfunktion zukommen könnte. Von der Sonderstellung der Einzelhandelskaufleute abgesehen lassen sich keine statistisch relevanten Unterschiede zwischen den übrigen Ausbildungsberufen herausarbeiten.

Bezüglich der Tätigkeiten ist die Konzentration der affektiv bedeutsamen Tätigkeiten auf den Kundenkontakt und hier besonders auf den direkten Kundenkontakt per Telefon bzw. den Face-to-Face-Kundenkontakt herauszustellen. Berufsübergreifend erweist sich demnach offenbar ein hoher Anteil an möglichst direktem Kundenkontakt als wesentliche Quelle affektiver beruflicher Identifikation.

Daneben ist auffällig, dass tendenziell die eher spezialisierten Berufe eine hohe Kohärenz zwischen berufstypischen und affektiv bedeutsamen Tätigkeiten aufweisen, wobei hier insbesondere die Speditionskaufleute zu nennen sind. Für die Automobilkaufleute konnte diesbezüglich allerdings nur eine Zusammenhangstendenz zwischen berufstypischen und affektiv bedeutsamen Tätigkeiten festgestellt werden. Dies lässt sich allerdings durch den nahezu ausschließlichen Fokus auf den Face-to-Face-Kundenkontakt als affektiv bedeutsame Tätigkeitskategorie zurückführen, wodurch quasi keine anderen berufstypischen Tätigkeiten auch als affektiv bedeutsam genannt wurden. Da von einer besonderen Relevanz des unmittelbaren persönlichen Kundenkontakts im Ausbildungsberuf des Automobilkaufmanns auszugehen ist, kann zumindest in qualitativer Hinsicht auch in diesem Ausbildungsberuf auf eine Kohärenz von charakteristischen und affektiv bedeutsamen Tätigkeiten geschlossen werden. Diese Kohärenz zwischen Anforderungen und persönlichen Neigungen erscheint als förderliches Element für eine starke affektive Bindung der Auszubildenden an ihren Beruf. Im Gegensatz hierzu ist die Kohärenz unter den Industrie- und Einzelhandelskaufleuten deutlich geringer ausgeprägt. Für die Kaufleute für Büromanagement findet sich ein solcher, wenn auch schwächerer Zusamenhang, wodurch diese hier die Ausnahme unter den eher generalistisch angelegten Berufen bilden. In der Summe lässt sich mit der angesichts der geringen Stichprobengröße gebotenen Vorsicht von einem hohen Identifikationspotential kundenbezogener beruflicher Tätigkeiten ausgehen, das sich über die verschiedenen Berufsbilder hinweg entfaltet. Auffällig hohe Kohärenzen ergeben sich über die Tätigkeiten hinweg für Speditions- und Automobilkaufleute, während diese für Einzelhandelskaufleute deutlich schwächer ausgeprägt sind. Auch in diesem Bereich offenbaren die Ergebnisse eine Sonderstellung der zuletzt genannten Berufsgruppe in Bezug auf die Identifikation mit dem Ausbildungsberuf und dem ihm immanenten Tätigkeitsprofil. In Verbindung mit der vergleichsweise hoch ausgeprägten Bedeutung der Sinnkognition der Einzelhandelskaufleute ist diese mangelnde Kohärenz aus berufspädagogischer Sicht bedenkenswert und spricht für die Notwendigkeit, das Tätigkeitsprofil der Berufsgruppe anzureichern und dessen affektive Relevanz stärker zu adressieren.

Bezüglich der antizipierten beruflichen Perspektiven bieten sich für die Industrie‑, Speditions- und Automobilkaufleute höhere wahrgenommene Identifikationspotenziale. Konkrete Weiterbildungsaspirationen sowie eine positive Bewertung der beruflichen Möglichkeiten gehen bei diesen Berufen einher mit der Absicht langfristig im Ausbildungsberuf zu verbleiben. Eher diffus wahrgenommene Weiterbildungsmöglichkeiten und teils negative Zukunftsaussichten scheinen unter den Kaufleuten für Büromanagement und in noch größerem Maße unter den Einzelhandelskaufleuten für eine eher geringe berufliche Bindung und erhöhte Wechselabsichten mitverantwortlich zu sein, was nicht zuletzt der Blick auf die Auszubildenden im dritten Lehrjahr unterstreicht. Auch hier dokumentiert sich insofern die Sonderstellung der Einzelhandelskaufleute, wenn auch die vergleichsweise niedrigere Beobachterübereinstimmung in diesem Bereich eine weitreichende Interepretation erschwert. Nichtsdestoweniger bestätigt sich auf der anderen Seite auch für die wahrgenommenen beruflichen Perspektiven wieder der Eindruck, dass sich Automobil- und Speditionskaufleute stärker mit ihrem Ausbildungsberuf identifizieren als die übrigen Berufsbilder. So zeigt sich bei ihnen insgesamt nicht nur ein besonders vielfältiges Bild auf den Beruf und die mit ihm assoziierten Tätigkeiten, sondern auch eine ausgeprägte Kohärenz hinsichtlich der affektiven Identifikation und eine relativ hohe evaluative Identifikation.

Wie in der identitätstheoretischen Grundlegung skizziert (vgl. Abschn. 2.2) weisen die drei Schwerpunkte der Interviewstudie (Beruflichkeitskognitionen, Tätigkeiten, berufliche Perspektiven) jeweils für eine der verschiedenen Dimensionen der beruflichen Identifikation (kognitiv, affektiv, evaulativ) eine besondere Relevanz auf. Aus den Befunden zu den Beruflichkeitskognitionen kann demnach geschlossen werden, dass die Komponenten des Beruflichkeitsbewusstseins als Grundlage für die kognitive berufliche Identifikation in den verschiedenen Berufen in unterschiedlichem Maße vorhanden zu sein scheinen. Berufsbezogene Divergenzen ergeben sich somit bereits bei der Wahrnehmung der eigenen beruflichen Gruppenzugehörigkeit, welche den Ausgangspunkt für die weiteren Identifikationsdimensionen i. S. d. Theorie der sozialen Identität bildet. Bezüglich dieser grundlegenden Dimension fallen die Einzelhandelskaufleute gegenüber den anderen Ausbildungsberufen mit einem weniger vielfältigen beruflichen Selbstverständnis auf. Bezüglich der hieran anknüpfenden emotionalen Bewertung dieser beruflichen Gruppenzugehörigkeit (affektive Identifikation) wurden die berufstypischen Tätigkeiten und deren affektive Bedeutung für die Auszubildenden als besonders wichtige Faktoren identifiziert. Der Blick auf die Kohärenz zwischen diesen beiden Faktoren brachte unterschiedliche Profile für die Ausbildungsberufe hervor, was auf divergierende affektive Identifikationsmöglichkeiten schließen lässt. Hierbei weisen die eher sepzialisierten Berufe tendenziell günstigere Charakteristika auf. Für die ebenfalls auf die kognitive Dimension aufbauende evaluative Komponente der Identifikation spielen v. a. die wahrgenommenen beruflichen Perspektiven eine wichtige Rolle. Die Differenzen zwischen den Ausbildungsberufen in diesem Bereich implizieren, dass sich den Kaufleuten für Büromanagement und v. a. den Einzelhandelskaufleuten nachteiligere Bedingungen für die Bewertung der eigenen Gruppenmitgliedschaft offenbaren, was sich letztlich auch in deren erhöhter Wechselabsicht manifestiert. Über alle drei Dimensionen hinweg betrachtet ergeben sich somit insbesondere bei den Einzelhandelskaufleuten konsistente Hinweise auf mangelnde Identifikationsmöglichkeiten mit dem Beruf, während sich in den anderen Ausbildungsberufen ein weniger einheitliches Bild zeichnen lässt. So kann beispielsweise bei den Industriekaufleuten, welche eine vergleichsweise geringe Kohärenz bezüglich der berufstypischen und affektiv bedeutsamen Tätigkeiten aufweisen (affektiv), von einer kompensatorischen Wirkung durch die antizipierten Karrieremöglichkeiten (evaluativ) ausgegangen werden.

Limitierend ist anzumerken, dass die Ergebnisse durch die nicht erhobene Betriebszugehörigkeit systematisch verzerrt worden sein könnten – gerade im Automobilbereich wird die Ausbildung einer Alterskohorte in der Regel von wenigen großen Unternehmen mit entsprechenden Qualitätsstandards in den Ausbildungsprozessen dominiert. Zudem wurden weder die individuelle Leistungsfähigkeit noch emotional-motivationale Traits der Auszubildenden kontrolliert, die aber auf die Frage der wahrgenommenen affektiven Identifikationspotentiale einen Einfluss ausgeübt haben könnten. Auch war die Stichprobe über alle drei Ausbildungsjahre verteilt, und es ergaben sich für die einzelnen Ausbildungsberufe verhältnismäßig geringe Zellhäufigkeiten. Eine Generalisierbarkeit der Befunde dieser explorativen Studie ist folglich nicht intendiert. Für nachfolgende quantitative und insbesondere auch längsschnittliche Zugänge ist daher insbesondere die Frage relevant, ob und inwiefern sich über die Ausbildungszeit hinweg unterschiedliche Identifikationspotenziale und -stadien in den betrachteten Ausbildungsberufen identifizieren lassen.

In der Gesamtschau liefert die vorliegende Studie einen ersten Diskursbeitrag zur bislang weitgehend offenen Frage nach systematischen Unterschieden hinsichtlich berufsspezifischer Beruflichkeitskognitionen, affektiver Identifikationspotenziale berufstypischer Tätigkeiten und wahrgenommener Perspektiven zwischen verschiedenen kaufmännischen Ausbildungsberufen. Dabei zeigten sich durchaus systematische Ergebnismuster, die in nachfolgenden Untersuchungen mittels quantitativer Zugänge weiter abzusichern sind.