Zusammenfassung
Übergänge in eine Hauptschullaufbahn im Anschluss an die Grundschule sind von besonderer Brisanz, weil die Akzeptanz für diese Schulform bei Eltern und Schülern kaum mehr gegeben ist. Anders als für die Übergänge ins Gymnasium liegen für Hauptschulübergänge jedoch keine neueren Untersuchungsergebnisse vor. Analysen mit Daten der bayerischen Teilstichprobe aus der Studie KOALA-S zeigen, dass bei Übergängen in die Hauptschule die Diskrepanzen zwischen Elternaspirationen und Schülerwünschen auf der einen und Übertrittsempfehlungen der Lehrkräfte sowie Schulanmeldungen auf der anderen Seite besonders groß und weit größer sind als an der Schnittstelle Realschule vs. Gymnasium. Besonders häufig trifft ein ungewollter Besuch der Hauptschule Kinder aus unteren Schichten bzw. aus Familien mit niedrigem Bildungsstatus. Wie Analysen mit einem elaborierten Simulationsverfahren (kontrafaktische Berechnungen) zeigen, resultieren Hauptschulkarrieren in erster Linie als Folge schwacher Leistungen und sind im Vergleich dazu weit weniger durch die soziale Selektivität der elterlichen Übergangsentscheidungen oder des Übergangsverfahrens bedingt.
Abstract
It can be especially controversial when pupils are transferred to the “Hauptschule”, which is the lowest of three tracks in the German secondary school system. The acceptance of this type of school is very low for both parents and pupils. By contrast with the transfers of pupils to the high ability grammar school (“Gymnasium”), there are no recent studies on transfers to the “Hauptschule”. Analyses using data from the Bavarian partial sample in the KOALA-S study show that the discrepancy between the aspirations of parents and pupils on the one hand and the school type recommended by teachers and the pupil registrations on the other hand is particularly large when pupils are transferred to the “Hauptschule”. Discrepancies concerning transfers to the “Realschule” (intermediate track; commercial/technical secondary school) or “Gymnasium” are less severe. Unwanted attendance at the “Hauptschule” most frequently affects children from families with lower social or educational status. Analyses with an elaborated simulation procedure (counterfactual calculations) show that attendance at the “Hauptschule” mainly results from poor school achievements, whereas social selectivity due to parents decision making or transition regulations is far less important.
Notes
Die Muttersprache der Kinder und der Migrationshintergrund der Eltern wurden ebenfalls erhoben. Allerdings wird im Folgenden nicht weiter darauf eingegangen, da sich in der bayerischen Stichprobe zeigt, dass sich keine eigenständigen Effekte der migrationsbezogenen Merkmale mehr finden, wenn die übrigen Merkmale der sozialen Herkunft kontrolliert werden.
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Die Untersuchung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter dem Titel „Disparitäten der Bildungsbeteiligung und des Kompetenzerwerbs“ gefördert.
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Ditton, H. Wer geht auf die Hauptschule? Primäre und sekundäre Effekte der sozialen Herkunft beim Übergang nach der Grundschule. Z Erziehungswiss 16, 731–749 (2013). https://doi.org/10.1007/s11618-013-0440-y
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