Die Erforschung der Jugend als Lebensphase und soziale Gruppe kann ohne Zweifel als eines der zentralen sozialwissenschaftlichen Forschungsfelder beschrieben werden. Die Wurzeln der Forschungstradition reichen zurück bis in die Anfänge hermeneutischer Pädagogik im ausgehenden 18. und in die Zeit der Diagnose der Jugend als eigenstände Lebensphase im späten 19. Jahrhundert (vgl. z. B. Sander 2000; Krüger und Grunert 2002). Seither wurde eine Vielzahl von normativen Perspektiven, disziplinären Zugängen sowie theoretischen und methodologischen Zugriffen auf die Realitäten von Jugend(lichen) angelegt, die, je nach sozialhistorischem Kontext, in einem emotional aufgeladenen Spannungsverhältnis zueinander oder scheinbar unbemerkt voneinander existieren.

Als „Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen“ (Scherr 2003, S. 7) ist die Jugendforschung hochgradig an wissenschaftstheoretische, disziplingeschichtliche, aber auch sozialpolitische und kulturelle Entwicklungen rückgebunden (z. B. Griese und Mansel 2003a, S. 12). Insbesondere die Geschichte der Jugend als einer Alterskohorte und der Jugendforschung als zentraler Instanz ihrer wissenschaftlichen Beobachtung und Dokumentation sind massiv ineinander verwickelt.

Trotz aller paradigmatischen Wendungen hat sich die Jugendforschung als Forschungsfeld seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts immer weiter ausdifferenziert. Neben der Schulforschung gehörte sie lange Zeit zu den zentralen Forschungslinien der Erziehungswissenschaft; auch in der Soziologie, der Psychologie, den Kulturwissenschaften und neuerdings auch in der sozialwissenschaftlich orientierten gesundheitswissenschaftlichen Forschung bilden Jugendliche aktuell einen wichtigen Gegenstandsbereich. Entsprechende Handbücher, Zeitschriften, Forschungsinstitute, Lehrstühle und Sektionen von Fachgesellschaften sind Ausdruck der zunehmenden Institutionalisierung des Forschungsfeldes.

Trotz, oder gerade aufgrund dieser Heterogenität der Jugendforschung hagelt es aktuell Kritik. So entbehre die sozialwissenschaftliche Jugendforschung einer tragfähigen Theoriegrundlage (Scherr et al. 2003; Ecarius et al. 2011), sei von mangelnder interdisziplinärer Bezugnahme gekennzeichnet (Riegel et al. 2010) und hätte trotz einer unüberschaubaren Vielzahl an empirischen Analysen nur einen mangelhaften Erkenntnisstand hervorgebracht (Merkens 2008).

Dieser Beitrag geht den Entwicklungen in den letzten beiden Jahrzehnten nach und fragt vor dem Hintergrund einer Beschränkung auf die deutschsprachige Jugendforschung und, soweit das aufgrund mangelnder disziplinärer Trennschärfe möglich ist, auf erziehungswissenschaftliche Analysen des Gegenstandsfeldes, nach aktuellen inhaltlichen, theoretischen und methodologischen Tendenzen innerhalb des Forschungsfeldes. Dazu soll in einem ersten Schritt die Ausgangslage für Studien zum Jugendalter in den 1970er- und 1980er-Jahren beschrieben werden. In einem zweiten Schritt werden exemplarisch aktuelle Forschungsfelder der Jugendforschung einer systematisierenden Darstellung unterzogen. Dabei und im Rahmen der anschließenden Darstellung von wichtigen Grundkonzepten und zentralen Differenzierungen wird deutlich, dass trotz einzelner inhaltlicher Innovationen die grundsätzlichen Zugänge und Gegenstände bei der Betrachtung von Jugend erheblichen Kontinuitäten unterliegen.

1 Gesteigerte Unsicherheiten – Zur Ausdifferenzierung der Jugendforschung in den 1970er- und 1980er- Jahren

Einschlägige Systematisierungen der Forschungslandschaft (vgl. z. B. Dudek 1990; Sander 2000; Krüger und Grunert 2002; Griese und Mansel 2003b) verorten die Entstehung der Jugendforschung übereinstimmend in der Zeit um 1900. In diesem Zeitraum scheint sich die Jugendphase als ein allgemeines ‚biografisches Muster‘ für große Teile der Heranwachsenden durchzusetzen, das lange Zeit als Moratorium des Übergangs in das Erwachsenenalter beschrieben wurde (vgl. z. B. Dudek 1990). Diese Anfänge der Jugendforschung waren durch eine grundlegende disziplinäre, theoretische und auch methodische Vielfalt in der wissenschaftlichen Beobachtung von Jugendlichen gekennzeichnet (vgl. Krüger und Grunert 2002). In der Zeit der Neukonstitution der Jugendforschung in den 1950er- und 1960er-Jahren dominierte hingegen die soziologische Perspektive einer auf repräsentativen Querschnittsstudien beruhenden Deskription von Werten, Einstellungen und Formen der Teilhabe Jugendlicher.

Für die Institutionalisierung der deutschen Jugendforschung steht ab Anfang der 1960er-Jahre das auf Beschluss des Bundestags gegründete Deutsche Jugendinstitut (DJI), das im Verlauf der 1960er- und 1970er-Jahre Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Jugendhilfe, Vorschulerziehung und Sozialisation etablierte. An deutschen Universitäten entstand eine erziehungswissenschaftlich ausgerichtete Jugendforschung erst in den 1970er- und 1980er-Jahren mit der Tradition der ‚pädagogischen Jugendforschung‘, die insgesamt einerseits zu einer stärkeren Akteurszentrierung und andererseits mit der Anknüpfung an hermeneutische Traditionen und der Neu- bzw. Weiterentwicklung von rekonstruktiven Forschungsmethoden zu einer methodischen Vervielfältigung der empirischen Zugänge zur Lebenswelt Heranwachsender geführt hat (vgl. Sander 2000; Krüger und Grunert 2002). Begriffe, wie „erziehungswissenschaftliche Wende“ (Krüger und Grunert 2002, S. 17) oder „pädagogische Wende in der Jugendforschung“ (Griese und Mansel 2003a, S. 15) und erziehungswissenschaftlich ausgerichtete Schwerpunktprogramme der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), wie das Programm „Sozialisationsprozesse Jugendlicher unter Einwirkung bestimmter Lernorte oder einer Mehrzahl von Lernorten“, aus dem Jahr 1974 und das Nachfolgeprogramm „Pädagogische Jugendforschung“, ausgeschrieben im Jahr 1979 (vgl. zusammenfassend: Becker 1989), sind Belege für diese Perspektivverschiebung der Jugendforschung.

In diesem Zusammenhang wurde eine Reihe von Studien realisiert, die sich vorwiegend aus Akteursperspektive mit dem sozialen Leben von Jugendlichen und den soziokulturellen Bedingungen ihres Aufwachsens befasst haben (vgl. z. B. die Beiträge in Breyvogel 1989a; zusammenfassend: Hornstein 1989). Mit dieser Stärkung der Deskription der Sichtweise und des Erlebens von Jugendlichen in der Jugendforschung ging eine Abkehr von der sozialwissenschaftlichen Vorstellung von der Jugend als einer einheitlichen Statuspassage für alle Heranwachsenden einher. Vielmehr standen einzelne (benachteiligte) Gruppen, dominant z. B. Lernende an Hauptschulen (z. B. Projektgruppe Jugendbüro 1975, 1977; Bietau 1989), im Zentrum empirischer Untersuchungen. Zugleich wurden am DJI in den 1970er-Jahren erste Surveystudien zur Lebenssituation und zum Bildungsverhalten in Familien durchgeführt.

Auch der jugendtheoretische Diskurs der 1980er-Jahre, in dem das damals populäre Konzept der Sozialisation in einer Neubestimmung des Verhältnisses von Gesellschaft und Individuum gewendet (vgl. z. B. Hurrelmann 1983) und das Konstrukt der ‚Identität‘ grundsätzlich auf seine Gültigkeit hin befragt wurde (vgl. zusammenfassend: Breyvogel 1989b; Hornstein 1989) spiegeln eine Vervielfältigung des sozialwissenschaftlichen Blicks auf Jugendliche. Zugleich gerieten mit Untersuchungen zu den Statuspassagen der weiterführenden Schule, der Ausbildung und der Einmündung in den Beruf und vor dem Hintergrund der Beobachtung einer „Entstrukturierung der Jugendphase“ (z. B. du Bois-Reymond und Oechsle 1990) erstmals auch die Altersgruppen der Prä-Adoleszenten und der jungen Erwachsenen ins Blickfeld der Jugendforschung, die bislang nicht zu ihrem Gegenstandsfeld gehörten. Auch die Idee der Jugendphase als eines Übergangsmoratoriums ins Erwachsenenalter, die die Lebensphase als eine Zeit sinkender Abhängigkeit beim Eintritt in das eigene Berufs- und Familienleben konzipiert, wurde vor dem Hintergrund einer differenzierteren, milieuspezifische Jugendverläufe unterscheidenden Forschung zugunsten der konkretisierbareren Vorstellung des Bildungsmoratoriums aufgegeben (vgl. z. B. Zinnecker 1987).

Die hier skizzierten Entwicklungstendenzen bildeten den Ausgangspunkt der neueren Jugendforschung in den letzten beiden Jahrzehnten, um die es im Folgenden in diesem Text gehen soll. Kurz und knapp lässt sich die ‚Hinterlassenschaft‘ der Jugendforschung der 1970er- und 1980er-Jahre wie folgt beschreiben:

  • disziplinäre Vielfalt der wissenschaftlichen Beobachtung der Jugend ohne eindeutige Grenzziehungen und Bezüge zwischen den disziplinären Perspektiven (z. B. Stauber 2010),

  • theoretische Verunsicherung durch Infragestellung konzeptioneller Ankerpunkte, wie des Sozialisations- und des Identitätskonzepts (vgl. hierzu z. B. die Beiträge in du Bois-Reymond und Oechsle 1990; s. a. Abschn. 3),

  • Ausdehnung des Untersuchungsgegenstandes durch Aufhebung bestehender inhaltlicher und altersbezogener Beschränkungen in der Bestimmung der Jugendphase (z. B. Fuchs-Heinrich 2002; Münchmeier 2008),

  • methodologische Vielfalt der Zugänge bei gleichzeitiger mangelnder gegenseitiger Bezugnahme zwischen verschiedenen Ansätzen (vgl. z. B. Krüger und Grunert 2002) und

  • Mangel an systematischen Anknüpfungspunkten für den theoretischen Einbezug gesellschaftlicher Transformationsprozesse (vgl. z. B. Riegel et al. 2010).

2 Thematische Schwerpunkte der Jugendforschung seit Anfang der 1990er-Jahre – neue Themen in vertrauten Perspektiven

Vor dem Hintergrund dieser strukturellen Unsicherheiten besteht innerhalb der Jugendforschung ein umfassender Bedarf an Selbstvergewisserungen, der sich zum einen in einer Vielzahl von Systematisierungsversuchen zeigt (vgl. z. B. die Bände von Krüger 1993; Timmermann und Wessela 1999 sowie die Beiträge von Zinnecker 1996; Münchmeier 1998; Sander 2000; Krüger und Grunert 2002; Griese und Mansel 2003a, b; Hurrelmann 2007; Merkens 2008; Ecarius 2009). Zum anderen häufen sich insbesondere im vergangenen Jahrzehnt Kritiken an den theoretischen Grundlagen bzw. der mangelnden Interdisziplinarität der Jugendforschung als Tradition (vgl. z. B. die Bände von Mansel et al. 2003; Hoffmann und Merkens 2004; Riegel et al. 2010); auch fehlende internationale Bezüge der deutschsprachigen Jugendforschung werden wiederholt zum Thema gemacht (vgl. du Bois-Reymond und Hübner-Funk 1993; Münchmeier 2008). Auch bezogen auf populäre Themen bzw. theoretische bzw. disziplinäre Schwierigkeiten der Forschungslinie herrscht nur begrenzte Einigkeit.

Bezogen auf die thematischen Forschungsfelder der Jugendforschung beschreiben beispielsweise Krüger und Grunert (2002) für das beginnende 21. Jahrhundert die politische Sozialisation, die Jugendkulturforschung, Studien zu Jugend und Ungleichheit mit einem Fokus auf Jugendlichen mit Migrationshintergrund sowie den Bereich der informellen Bildung als wichtige Forschungsthemen. Griese und Mansel (2003b) verstehen Forschungen zu Jugendgewalt und Jugenddelinquenz als periodisch wiederkehrende und die Felder der Migrationsforschung, der Gesundheits- und der Armutsforschung zum Jugendalter als aktuelle Forschungsthemen. Münchmeier (2008) skizziert für die Jugendforschung eine Konzentration auf die Themen Arbeitslosigkeit, Bildung, Geschlecht und Migration. Ecarius (2009) beschreibt Ethnizität, Bildung, Rechtsextremismus und Gewalt sowie Geschlechtlichkeit als zentrale Themen einer pädagogischen Jugendforschung. Ausgehend von den sichtbaren Schnittmengen in diesen und anderen aktuellen Systematisierungen des Forschungsfeldes werden im vorliegenden Beitrag drei Forschungsfelder unterschieden. Dies ist erstens der Bereich der Integration der Jugend – von Hornstein (1999, S. 323) als zentraler gesellschaftlicher Forschungsauftrag an die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Jugend bezeichnet – der hier am Beispiel der Ost-West-Vergleiche nach der Wiedervereinigung Deutschlands in den 1990er-Jahren und anhand der daran unmittelbar anschließenden Forschung zu Jugendlichen mit Migrationshintergrund skizziert werden soll. Zweitens wird das heterogene Feld der Erforschung kultureller Praxen von Jugendlichen exemplarisch anhand der Gegenstände Jugendkulturen, Sozialformen Gleichaltriger und jugendliches Medienhandeln beschrieben und drittens schließlich geht es am Beispiel von Arbeiten zu Jugend und Gewalt sowie zu gesundheitsriskantem Verhalten um das nach wie vor prominente Feld des jugendlichen Risikoverhaltens.

2.1 Zur Integration der Jugend: Jugendliche in Deutschland im Vergleich

Ungeachtet der beschriebenen Unsicherheiten gaben das ‚gesellschaftliche Großereignis‘ der politischen Transformationen im Ostblock und die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten der Jugendforschung zunächst weiteren Anlass zu einer ungebremsten Fortsetzung ihrer Bemühungen um eine empirische Deskription der bestehenden Vielfalt jugendlichen Lebens (vgl. z. B. Schmidtchen 1997; Fabel und Krüger 2001). Lebensbedingungen (z. B. Oswald 1998; Pollack 2000; Sturzbecher 2001) und Werthaltungen (z. B. Friedrich 1990; Behnken et al. 1991), Freizeit- und Bildungspraxen (z. B. Büchner und Krüger 1991; Kötters 2000), Strategien der Bewältigung des gesellschaftlichen Umbruchs (z. B. von Wensierski 1994; Oswald 1998), aber auch politische Einstellungen (z. B. Hoffmann-Lange 1995; Helsper et al. 2006) waren die Hauptthemen dieser auch politisch stark nachgefragten Forschungslinie. Ein weiteres Schwerpunktprogramm der DFG mit dem Titel ‚Kindheit und Jugend in Deutschland vor und nach der Vereinigung‘ (1992–1998) unterstützte diese Entwicklung. In einer Metaanalyse zur Forschung über Jugendliche in Ostdeutschland beschreiben Schubarth und Speck (2006, S. 234) die Jahre zwischen 1992 und 1998 als den Zeitraum, in dem die meisten Studien zum Thema publiziert wurden. Seither hat der Ost-West-Vergleich in der Jugendforschung trotz fortbestehender Differenzen in den objektiven Lebensbedingungen massiv an Bedeutung verloren (ebd.). Krüger und Grunert (2002, S. 26) sehen für dieses Forschungsfeld „Parallelen zur Jugendforschung der Nachkriegszeit“ mit einem Fokus auf „dem demokratischen Potential der Jugendlichen“. Dies ist zweifellos eine inhaltliche Bestimmung der Jugendforschung, die über die Studien zur Jugend in Ostdeutschland in den 1990er-Jahren hinausreicht. Denn im gesellschaftlichen ‚Live-Experiment‘ (Giesen und Leggewie 1991) der deutschen Wiedervereinigung bezog sich die deutsch-deutsch-vergleichende Jugendforschung in erster Linie auf die Beschreibung von Analogien und Differenzen zwischen Jugendlichen in beiden Landesteilen und richtete sich damit auf Fragen der Integration der Heranwachsenden in den neuen Bundesländern. Buch- und Beitragstitel, wie „Transformationsprobleme in Ostdeutschland“ (Krüger et al. 1995) „Ostdeutsche Jugend im Westen angekommen?“ (Speck und Schubarth 2006), „Wie weit ist der Weg nach Deutschland? Sozialpsychologie der Jugend in der postsozialistischen Welt“ (Schmidtchen 1997) oder „Jugend und Politikverdrossenheit – zwei politische Kulturen im Deutschland nach der Wiedervereinigung?“ (Pickel 2002), verdeutlichen diese Perspektive.

Im Bezug auf ihre theoretischen wie methodologischen Bezüge war die Nachwendetradition der innerdeutschen Vergleichsforschung breit aufgestellt. Allenfalls lässt sich eine leichte Dominanz modernisierungstheoretisch orientierter Arbeiten beobachten, die den sozialen Transformationsprozess im Osten Deutschlands als ‚nachholende‘ bzw. ‚doppelte Modernisierung‘ fasste (vgl. z. B. die Beiträge in Behnken et al. 1991; Büchner et al. 1996; zusammenfassend: Fabel und Krüger 2001), aber auch sozialisationstheoretische Bezüge, z. B. im Hinblick auf die Untersuchung von Prozessen der politischen Sozialisation (z. B. die Beiträge in Heitmeyer und Jacobi 1991; Hoffmann-Lange 1995) wurden häufig angewandt. Unter methodologischer Perspektive wurde der Ost-West-Vergleich in der Jugendforschung in den 1990er-Jahren zunächst und vor allem auf der Basis von Meinungsumfragen realisiert (z. B. Behnken et al. 1991; Büchner et al. 1996; Friedrich und Förster 1996; Sturzbecher 2001; siehe zusammenfassend den Band von Bolz und Griese 1995), zugleich wurden aber auch schon früh qualitative Studien realisiert, z. B. in Form von Biografieanalysen (z. B. von Wensierski 1994; Andresen 2002).

Das Wiederaufleben des Diskurszusammenhangs der Integration der Jugendlichen basierte auf der Erkenntnis einer steigenden Vielfalt jugendlichen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland, die im Verlauf der späten 1980er-Jahre zu einer breiten Fachdiskussion um das ‚Ende der Jugend‘ bzw. die ‚Entstrukturierung der Jugendphase‘ geführt hatte (vgl. zusammenfassend Olk 1985; du Bois-Reymond und Oechsle 1990; Münchmeier 1998). Diese setzte sich jedoch nicht erst mit der deutschen Wiedervereinigung und der Beobachtung der Jugend in den neuen Bundesländern durch, sondern bestand in der erziehungswissenschaftlichen Forschung in den 1980er-Jahren bereits im Zusammenhang mit einem entstehenden Interesse für Fragen der Migration in der Jugendforschung (vgl. zu einem Überblick Granato 1999). So waren insbesondere Heranwachsende mit ausländischer Staatsbürgerschaft bereits in den späten 1980er-Jahren Thema einer pädagogisch orientierten Praxisforschung (vgl. zusammenfassend: Granato 1999; Griese und Mansel 2003a). Diese frühe Thematisierung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund war geprägt durch eine Defizitperspektive, die kulturelle Andersheit als Hindernis für Integration thematisiert (vgl. ebd.; Hamburger und Hummrich 2007; Geisen 2007) und die Bearbeitung von Migrationserfahrungen der pädagogischen Praxis zur Aufgabe stellt (z. B. Auernheimer 1994; Herwartz-Emden 1997). Erst ein gutes Jahrzehnt später wird diese Sichtweise sukzessive ergänzt um eine Perspektive, die ‚kulturelle Andersheit als Differenz‘ denkt (Geisen 2007, S. 29) und erst ab Mitte der 1990er-Jahre und damit parallel zum Jugendvergleich zwischen Ost- und Westdeutschland etabliert sich eine stärker sozialwissenschaftlich ausgerichtete Forschung zu Jugendlichen mit Migrationshintergrund (vgl. Nauck 1994; Meister 1997; Hummrich 2002). Schrittweise nimmt diese Forschungstradition die allgemeinen Themen der Jugendforschung, wie Wertorientierungen (z. B. Tertilt 1996; Heitmeyer et al. 1997; Fritzsche und Wiezorek 2006), Gewalt (z. B. Walter und Trautmann 2003; Fuchs et al. 2009), Peerbeziehungen (z. B. Reinders 2004; Bohnsack und Nohl 2004; Nohl 2005) und Bildung (z. B. Hummrich 2002; King 2006) auf. Analog zur Forschung über Jugendliche in den neuen Bundesländern bilden dabei Fragen der gesellschaftlichen Integration oder der Passförmigkeit von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in die Gesamtgesellschaft bezogen auf Einstellungen, Bildungswege und Lebensstile zentrale Themen. Auf die strukturellen Parallelen der sozialwissenschaftlichen Diskurse zur Jugend in Ostdeutschland und mit Migrationshintergrund macht am Beispiel jugendlicher Rechtsextremer und jugendlicher Fundamentalisten Rommelspacher (2000) aufmerksam. Auch im Bereich der Buch- und Beitragstitel im Feld der Jugendforschung dokumentieren sich diese sehr schön: „Verlockender Fundamentalismus. Türkische Jugendliche in Deutschland“ (Heitmeyer et al. 1997), “Die zweite Generation: Etablierte oder Außenseiter?“ (Juhasz und Mey 2003), „Jugend, Partizipation und Migration: Orientierungen im Kontext von Integration und Ausgrenzung“ (Geisen und Riegel 2007), oder „Jugendliche Aussiedler: zwischen Entwurzelung, Ausgrenzung und Integration“ (Vogelgesang 2008). Im Unterschied zum Ost-West-Vergleich in der Jugendforschung stehen neben den Lebensbedingungen und den kulturellen Spezifika der untersuchten Jugendpopulation auch die sozialen Strukturen der Integration im Zentrum der Analyse, mit denen sich Jugendliche mit Migrationshintergrund auseinandersetzen müssen (vgl. z. B. Münchmeier 2008). Unter theoretischer und methodischer Perspektive erscheint die Forschung zu Jugendlichen mit Migrationshintergrund noch facettenreicher als die des Ost-West-Vergleichs. In methodischer Hinsicht haben insbesondere qualitativ angelegte Studien eine besondere Bedeutung; das eingesetzte Spektrum reicht von ethnografischen Arbeiten zu einzelnen Peers (z. B. Tertilt 1996; Hitzler und Niederbacher 2010), über biografieanalytische Studien (z. B. Hummrich 2002; Juhasz und Mey 2003) bis hin zu dokumentarischen Gruppenstudien (z. B. Nohl 2005). Daneben wurden Meinungsumfragen (z. B. Heitmeyer et al. 1997; Halm 2007) und sozialstatistische Analysen realisiert (z. B. Nauck et al. 1998; von Below und Karakoyun 2007), einzelne Studien gehen methodentriangulativ vor (z. B. Fritzsche und Wiezorek 2006).

2.2 Die (Wieder-)Entdeckung kultureller Praxen in der deutschsprachigen Jugendforschung

Die systematische Erforschung jugendlicher Praktiken setzte in der deutschsprachigen Jugendforschung gegen Mitte der 1980er-Jahre ein (vgl. z. B. Krüger 1985, 1989; Baacke 1987; Zinnecker 1987; Bietau 1989; Helsper 1989). Sie war von Beginn an methodisch sehr vielfältig aufgestellt und theoretisch deutlich weniger an die Analyse der Sozialstruktur gebunden als in anderen Wissenschaftskulturen. Das damit in Gang gesetzte Studium der durch jugendliche Gleichaltrigengruppen hervorgebrachten Orientierungen, Praktiken und Sozialformen hat sich, mit konjunkturellen Schwankungen, bis heute kontinuierlich ausdifferenziert. Gegenwärtig lassen sich u. a. drei dominante Untersuchungsgebiete unterscheiden: die Erforschung jugendkultureller Stile und Szenen, Sozialformen von Gleichaltrigen und Medienpraxen (vgl. Thole 2002).

Die Jugendkulturforschung, die sich mit jugendlichen Ausdrucksstilen und Szenen sowie deren Systematisierung und Deskription befasst, steht seit der Ausdifferenzierung der Jugendkulturlandschaft im Verlauf der 1980er-Jahre unter dem Druck, der steigenden Vielfalt jugendkultureller Phänomene in theoretischer und methodischer Hinsicht gerecht zu werden (vgl. schon Baacke 1987; Dewe und Scherr 1995; Schwender 1995; für einen Überblick: vgl. die Beiträge in Richard und Krüger 2010). So wurde das Konzept der sozialstrukturell determinierten jugendlichen Subkulturen durch solche von jugendkulturellen Stilen (z. B. die Beiträge im Band von Ferchhoff et al. 1995) und Szenen (Höhn und Vogelgesang 1999; Hitzler et al. 2005) ersetzt, quantitative Kohortenvergleiche zur Beliebtheit einzelner Jugendkulturen (z. B. Zinnecker 1987; Fritzsche 1997) durch Deskriptionen der immer komplexer werdenden Szenelandschaft (z. B. Farin 2001; Hitzler et al. 2005; Ferchhoff 2007) abgelöst. Daneben werden seit Mitte der 1990er-Jahre vermehrt detaillierte Fallstudien zu einzelnen Stilen und Szenen (z. B. die Beiträge in SPoKK 1997, die Publikationen des Archivs der Jugendkulturen e. V. sowie in Richard und Krüger 2010) bzw. thematisch fokussierte szenevergleichende Untersuchungen realisiert (z. B. Roth und Rucht 2000 sowie Pfaff 2006 zu Fragen des Jugendprotests; Bohnsack et al. 1995; Eckert et al. 2000 zur Gruppengewalt). Ebenso stellen sich unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen auch sozialstrukturelle Fragen erneut, wie die nach der Geschlechts- bzw. Milieuspezifik jugendkultureller Inszenierungen (z. B. Stauber 2004 zu Geschlecht; Otte 2010; Pfaff et al. 2010 zu Milieu) oder Vergleiche zwischen Jugendlichen in verschiedenen Sozialräumen (z. B. Schulze-Krüdener und Vogelgesang 2002, Eisenbürger und Vogelgesang 2002), mit und ohne Migrationshintergrund (z. B. Lübcke 2007; Riegel und Geiser 2009) sowie in unterschiedlichen kulturellen Kontexten (z. B. Fornäs und Bolin 1995; Weller 2003; Villániy et al. 2007).

Durchaus im Überschneidungsbereich der Jugendkulturforschung liegen Studien, die sich mit den Sozialformen Jugendlicher befassen: Dazu gehören nicht nur Organisationsformen von Beziehungen zwischen Gleichaltrigen, sondern auch spezifische Praktiken, Aktivitäten und Interaktionsformen in jugendlichen Peergroups (für einen historischen Gesamtüberblick: vgl. Bünger 2011). Interessant an diesem Untersuchungsfeld ist erstens seine Bedeutung als Brückenschlag zwischen unterschiedlichen disziplinären Zugängen zur Jugendforschung (vgl. z. B. die Beiträge in Schuster et al. 2005; Alisch und Wagner 2006). Zweitens handelt es sich bei diesem Bereich wenigstens in Teilgebieten um ein stark internationalisiertes Forschungsfeld, z. B. beim Thema Sozialformen jugendlicher Gleichaltriger (vgl. zusammenfassend: von Salisch und Seiffge-Krenke 1996; Fend 2000). Drittens sind aus Studien zu jugendlichen Peergroups interessante theoretische Bezüge für die Jugendforschung hervorgegangen, wie beispielsweise das Konzept des Aktionismus (z. B. Bohnsack 2004) oder ritualtheoretische Ansätze (z. B. Wulf et al. 2007). Forschungsmethodisch sowie bezogen auf seine inhaltlichen Schwerpunkte ist dieser Untersuchungsbereich sehr breit aufgestellt. Unter der Perspektive des methodischen Zugriffs stehen hier Soziometrie und Netzwerkanalyse neben ethnografischen und interaktionsanalytischen Studien. Aktuelle inhaltliche Schwerpunkte liegen u. a. auf den Feldern der Kommunikationspraxen und Interaktionsformen (vgl. zusammenfassend: Neumann-Braun und Deppermann 1998; Neumann-Braun 2003), Körperlichkeit (vgl. zusammenfassend: Frohmann 2003; Hübner-Funk 2003; vgl. auch die Schwerpunktteile im Heft 2/2007 der Zeitschrift „Diskurs Kindheits- und Jugendforschung“ sowie im Heft 2/2008 der „Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation“) Peer-Kulturen in Schule und Unterricht (vgl. zusammenfassend: Breidenstein 2008), aber auch auf dem neuen Thema der Medienpraxen sowie einem traditionellen Thema der Jugendgewalt.

Jugendliches Medienhandeln wird vor allem deshalb im Forschungsfeld der Jugendforschung verhandelt, weil Peergroups den zentralen sozialen Kontext entsprechender Praxen darstellen. Theoretisch wird der Umgang Jugendlicher mit Medien dabei ganz unterschiedlich gefasst: Medien als Agent und Gegenstand von Sozialisationsprozessen (z. B. Süss 2004; Fritz et al. 2003; Vollbrecht und Wegener 2009; Hoffmann und Mikos 2010); Mediennutzung als Bildungsprozess im Sinne der Aneignung von Medienkompetenz (z. B. Kutscher et al. 2007; Treumann et al. 2007) oder als informeller Lernprozess (z. B. Tully 2006). Auch die Frage nach der Identitätsbildung wird im Kontext der Erforschung sozialer Netzwerke und von Online-Rollenspielen neu gestellt (z. B. Marotzki und Schlechtweg 2004; Kammerl 2005; Vogelgesang 2010). Dass der Bereich der jugendlichen Medienpraxen aktuell eines der zentralen Themen der Jugendforschung darstellt, zeigen neben dem Bezug auf eine Vielzahl relevanter Theoreme auch Überschneidungen mit anderen Forschungsfeldern, wie beispielsweise dem Studium jugendkultureller Stile (z. B. Hugger 2007, 2010; Geisler 2009) oder Thematisierungen von Ungleichheiten in der Mediennutzung, aber auch im Hinblick auf Medienkompetenz (z. B. die Beiträge im Band von Kutscher et al. 2007).

2.3 Dauerbrenner Risikoforschung

Jugendforschung erschöpft sich nicht in der objektiven Analyse des Verhältnisses von Jugend und Gesellschaft bzw. jugendlicher Entwicklungsprozesse oder in der wertneutralen Deskription jugendlichen Handelns. Stattdessen unterliegt vielen Studien zum Jugendalter ein normativer Zugang, der Jugendliche einerseits, und oft konjunkturell mit dem öffentlichen Diskurs einhergehend, entweder als Hoffnungsträger oder Risikofaktor gesellschaftlicher Entwicklungen betrachtet (vgl. z. B. Sander 2000). Zugleich wird bestimmten Forschungslinien innerhalb der Jugendforschung, wie beispielsweise pädagogischen oder entwicklungspsychologischen Arbeiten per se eine grundlegende, das eigene Forschen bzw. Handeln legitimierende Normativität unterstellt (vgl. z. B. Scherr 2003; Hitzler 2008), die auf einer einseitigen Wahrnehmung von riskanten Entwicklungen, Praxen oder gar Pathologien und damit auf einer Defizitperspektive auf Jugend basiert. Regelmäßig wiederkehrende thematische Schwerpunkte sind in diesem Zusammenhang z. B. Studien zum jugendlichen Gewalthandeln (vgl. zusammenfassend: Autrada und Scheu 2009), zu Jugendkriminalität (vgl. zusammenfassend: Raithel 2003) oder zu politischen Einstellungen von Jugendlichen (vgl. zusammenfassend: Hermann und Petzold 2002). Andere Themen und Perspektiven, wie beispielsweise psychische oder somatische Störungen (vgl. zusammenfassend: Kurth et al. 2002; Hackauf und Ohlbrecht 2010) oder Jugendarmut (z. B. Palentien 2004; Schniering 2006) haben erst jüngst Einzug in die jugendbezogene Risikoforschung gehalten. Exemplarisch sollen im Folgenden die Jugend-Gewalt-Forschung sowie Studien zu gesundheitsriskantem Verhalten im Jugendalter einbezogen werden.

Jugendliches Gewalthandeln ist eines der ältesten und nach wie vor populärsten Themen der Jugendforschung (siehe auch Griese und Mansel 2003b; Eisner und Ribeaud 2003). In Abhängigkeit vom jeweiligen sozialhistorischen Kontext werden dabei je verschiedene soziale Gruppen und dabei besonders expressive Jugendszenen einer genaueren Betrachtung unterzogen (u. a. in Bohnsack et al. 1995; Eckert et al. 2000), wie beispielsweise die Rocker und Halbstarken der 1950er- und 1960er-Jahre (z. B. Bondy et al. 1957; Kaiser 1959) bis hin zu den rechtsextremen Gruppierungen der 1990er-Jahre (vgl. z. B. Groffmann 2001; Hafeneger und Jansen 2001). Neben den meist rekonstruktiv angelegten Betrachtungen der Entstehung von gewaltbezogenen Orientierungen und Praxen in einzelnen Jugendgruppen dominierten im Forschungsfeld zur Jugendgewalt in den letzten beiden Jahrzehnten einerseits quantitative Studien, in denen Gewaltakzeptanz und Gewaltaffinität für ‚die Jugend‘ insgesamt bzw. in Abhängigkeit von soziodemografischen Merkmalen, wie Geschlecht, Region, Bildungsmilieu oder Migration, untersucht wurden (z. B. Heitmeyer et al. 1995). Ihre Grundlage bilden je nach Forschungskontext und disziplinärer Einbindung entweder Jugendsurveys, die in den meisten Fällen leider ausschließlich querschnittlich angelegt sind und damit über Bedingungszusammenhänge ebenso wenig auszusagen vermögen wie über historische Entwicklungen (vgl. aber Dünkel et al. 2008) oder krimininalstatistische Daten (z. B. Enzmann und Wetzels 2000).

Daneben hat sich andererseits mit dem Themengebiet der Gewalt an Schulen ein spezifisch erziehungswissenschaftlicher Untersuchungszusammenhang entfaltet, in dem insbesondere ab Mitte der 1990er-Jahre und im Zusammenhang mit konkreten Gewaltereignissen an Schulen eine Vielzahl von Studien realisiert wurden (vgl. z. B. Holtappels et al. 1997; Tillmann et al. 1999; Fuchs et al. 2009). Analog zu sozial- und kriminalitätsstatistischen Analysen liefern auch diese Untersuchungen kaum allgemeine Aussagen zur realen Entwicklung und zu den Bedingungen eines hohen Gewaltvorkommens unter Jugendlichen (vgl. kritisch: Heitmeyer und Ulbrich-Hermann 1997). Nichtsdestotrotz haben auf dem Gebiet der Gewaltforschung an Schulen entwickelte Täter-Opfer-Typologien sowie Hinweise auf gewalthemmende schulklimatische Bedingungen regen Einzug in die schulpädagogische Konzeptentwicklung gehalten (z. B. Melzer et al. 2004) und deuten so die Anschlussfähigkeit für Resultate der Jugendforschung z. B. im pädagogischen Feld an. Am Beispiel der disziplinären, forschungsmethodischen und vor allem historischen Konjunkturen unterliegenden Forschungen zu Jugendgewalt kann darüber hinaus auch das interdependente Verhältnis von öffentlich-politischem Diskurs und Jugendforschung gut verdeutlicht werden (z. B. Schubarth 1999).

Dies gilt auch für das in Deutschland erst jüngst populär gewordene Forschungsfeld des gesundheitsriskanten Verhaltens im Jugendalter, das eine besondere Schnittstelle interdisziplinärer Jugendforschung markiert, aber auch in der Erziehungswissenschaft an Bedeutung gewinnt (vgl. z. B. Neubauer 2009; Palentien und Harring 2009; Flick und Röhnsch 2008; Ecarius et al. 2011). Wie Studien zur Jugendgewalt sind einschlägige Untersuchungen auf dem Gebiet des jugendlichen Gesundheitsverhaltens politisch gefragt und werden durch entsprechende Finanzierungen gefördert. Dazu gehören einerseits Auftragsforschungen und Expertisen für politische Institutionen (vgl. z. B. die Expertisen Pfeiffer et al. 2005 zur Jugendgewalt; zu Jugendgesundheit z. B. Hurrelmann et al. 2003), andererseits thematisch spezialisierte Studien und Theoretisierungen im Bereich der Grundlagenforschung (vgl. zusammenfassend: Raithel 2010; Ecarius et al. 2011). Darüber hinaus halten die Themen Einzug in allgemeine Jugendstudien, z. B. auf der Ebene von Einstellungsbefragungen (vgl. z. B. Gille et al. 2006; Sturzbecher und Holtmann 2007; Tamke 2008).

Raithel (2010, S. 162) fasst unter dem Bereich des gesundheitsriskanten Verhaltens u. a. bestimmte Aspekte des Ernährungsverhaltens, des Substanzkonsums, sexueller Aktivitäten sowie einzelne stilspezifische Verhaltensweisen, wie lautes Musikhören oder riskantes Verkehrsverhalten. Zu den aktuell meisterforschten Bereichen gehört dabei jugendlicher Substanzkonsum und Drogenmissbrauch, der einerseits im Zusammenhang mit jugendkulturellen Stilisierungen untersucht wird (z. B. Brunner 2007), andererseits im Hinblick auf Ausmaß der Nutzung, Bedingungsfaktoren und gesundheitsschädliche Folgen (z. B. die Beiträge in Niekrenz und Ganguin 2010). Auch im Bereich der Essstörungen und des Ernährungsverhaltens werden eine Reihe von empirischen Studien realisiert (vgl. z. B. Stahr et al. 2003). Neben entsprechenden Arbeiten aus den Disziplinen der Gesundheitswissenschaften und der Psychologie ist die spezifische Analyse gesundheitsriskanten Verhaltens in der Jugendforschung durch einen starken Bezug zu Lebenswelten und Dimensionen sozialer Ungleichheit gekennzeichnet (vgl. z. B. Kolip 1994; Jungbauer-Gans und Kriwy 2004; Richter 2005; Flick und Röhnsch 2008). Im Hinblick auf ihre theoretischen Bezüge sind insbesondere sozialisations- und identitätstheoretische Ansätze von Bedeutung, die zugleich Anschlussmöglichkeiten an andere Diskurse innerhalb der Jugendforschung offerieren.

3 Schnittmengen: Zentrale Grundbegriffe und Differenzierungen

Am Beispiel des zuletzt skizzierten Untersuchungszusammenhangs des Risikoverhaltens treten allgemeine Deutungsmuster innerhalb der Jugendforschung in ihrer Widersprüchlichkeit konturiert hervor: So wird Jugendgewalt von Griese und Mansel (2003b, S. 179) beispielsweise als „eine Form des Protests gegen die vorherrschenden Normen und Formen der Lebensführung, des Miteinander Umgehens in alltäglichen Interaktionen und der politischen Machtverteilung, der Güterverteilung und der Karrieremuster etc.“ beschrieben und damit als altersgruppenspezifisches, jedoch zugleich Gesellschaft ‚kompetent‘ gestaltendes Verhältnis zu dieser gedeutet. Eine gegenteilige, wenngleich ebenso weit verbreitete Deutung findet sich im Zusammenhang des zweiten hier beschriebenen Untersuchungsfeldes der Jugendgesundheitsforschung, aus der heraus Hackauf und Ohlbrecht (2010, S. 9) einführend konstatieren: „Das Jugendalter ist eine per se identitätskritische Lebensphase, in der Jugendliche vulnerabel sind und die Wechselwirkungen von Risiko- und Schutzfaktoren, vom Einzelnen in der Zukunftsperspektive kaum überblickt werden können“, worin sich eine Unterstellung von Inkompetenz im Bezug auf die eigene Lebensführung dokumentiert.

Zwischen diesen beiden normativen Perspektiven auf Jugend schwankt ihre sozialwissenschaftliche Beobachtung, ungeachtet von theoretischer, methodischer oder auch disziplinärer Provenienz. Gleichwohl wird die Frage nach der disziplinären Einbettung der Jugendforschung bzw. nach den Beiträgen einzelner sozialwissenschaftlicher Disziplinen zur Jugendforschung diskutiert, wie aktuell z. B. an der Frage der Normativität des Zugangs zu einem Gegenstand (vgl. z. B. Hitzler 2008 sowie die Beiträge im Heft 3/2009 in der Zeitschrift „Diskurs Kindheits- und Jugendforschung“).

3.1 Sozialisation, Identität und Bildung – Konstanten der Jugendforschung?

Sozialisations- und Bildungsforschung ebenso wie Studien zur Identitätskonstruktion im Jugendalter markieren seit je her wesentliche thematische Felder und zugleich zentrale theoretische Bezüge der Jugendforschung. Dabei repräsentieren die entsprechenden Analysen zugrundeliegenden Konzepte, wenngleich mit abnehmenden begrifflich-disziplinären Verankerungen und geprägt von den bereits genannten Unsicherheiten der Jugendforschung im Allgemeinen, die Bedeutung der Disziplinen Soziologie, Erziehungswissenschaften und Psychologie innerhalb des Forschungsfeldes. Zugleich markieren sie, trotz spezifischer Nähe zu einzelnen Disziplinen, genuin interdisziplinäre Konzepte der Sozialwissenschaften (zu Sozialisation: vgl. Veith 1995; zu Identität: vgl. Zirfas und Jörissen 2007; zu Bildung: vgl. Grunert 2006). Der Bedeutung der mit den Ansätzen der Sozialisation, Identitätsentwicklung und Bildung verbundenen Perspektiven innerhalb der Jugendforschung soll in diesem Abschnitt nachgegangen werden, einerseits um zentrale Themenfelder zu identifizieren, andererseits um wichtige theoretische Bezüge auszumachen.

Ungeachtet einer Vielzahl von Publikationen, die sich im Zusammenhang der Jugendforschung im vergangenen Jahrzehnt auf Fragen der Sozialisation bezogen haben (vgl. z. B. Breitenbach 2000; Pfaff 2006; Tully und Baier 2006; Fischer und Athemeliotis 2009; Bauer 2011; Ecarius et al. 2011 und nicht zuletzt die Beiträge in Hoffmann und Merkens 2004), ist der Erklärungsgehalt sozialisationstheoretischer Annahmen in der Jugendforschung aktuell umstritten (z. B. Junge 2004; Grundmann 2004). Zentrale Probleme liegen einerseits in der Pluralität und Unvereinbarkeit sozialisationstheoretischer Ansätze (vgl. Veith 2002; Junge 2004), oder, wie Geulen (2004) betont, an einer den aktuellen theoretischen Entwicklungen angemessenen begrifflich-terminologischen und methodologischen Diskussion zum Sozialisationsbegriff. Seit den 1980er-Jahren wurden zwar eine Vielzahl von Systematisierungen vorgelegt, jedoch kaum konzeptuelle Neuerungen vorgeschlagen (vgl. für einen Überblick z. B. Hurrelmann et al. 2008). Das „für die Sozialisation von Jugendlichen bedeutsame intermediäre Wechselspiel zwischen makro- und mikrosozialen Gegebenheiten“ ist gerade empirisch bis heute weitgehend uneingelöst (Junge 2004, S. 10). Diese Schwierigkeiten bei der theoretischen Weiterentwicklung von Modellen der Sozialisation im Jugendalter stellen für die jugendbezogene Sozialisationsforschung aktuell ein Hemmnis dar und führen zu Problemen bei der Standortbestimmung der Jugendsoziologie als Teildisziplin (vgl. die Bände von Mansel et al. 2003 sowie Hoffmann und Merkens 2004).

Ganz ähnlich ergeht es, ebenfalls ungeachtet einer unverändert regen Nutzung in der empirischen Jugendforschung (z. B. Mey 1999; Fend 2000; Meulemann 2002; Müller et al. 2006), dem Identitätskonzept. Zwar bringen diverse Wortschöpfungen, wie Patchwork-Identität (Keupp 1994), Bastel-Identität (Hitzler und Honer 1994) oder Hybride Identität (Hugger 2007), theoretische Weiterentwicklungen innerhalb der Jugendforschung zum Ausdruck; jedoch werden, analog zum Sozialisationskonzept, aktuelle Anschlussmöglichkeiten für vorliegende Identitätstheorien im Bereich der Jugendforschung kritisch betrachtet (vgl. z. B. Lenzen 1991; Reinders 2003) bzw. finden gar keine Erwähnung (z. B. Silbereisen 2002 für die psychologische Jugendforschung). Vorliegende Systematisierungen von identitätstheoretischen Ansätzen lassen demgegenüber nur marginale Bezüge zur Jugendforschung erkennen (z. B. Zirfas und Jörissen 2007; Müller 2010).

Die gesellschaftlichen Transformationen, die zu einer mehrfachen Ausdifferenzierung und zu einer partiellen Entstrukturierung der Jugendphase führen und die Anschlussfähigkeit der etablierten theoretischen Konzepte der Sozialisation und der Identität infrage stellen bzw. mindern, scheinen im Gegensatz dazu auf die Forschung zu Bildungsprozessen im Jugendalter eher beflügelnd zu wirken.

Schließlich lagen im letzten Jahrzehnt im Feld einer sich neue Gegenstände erschließenden Bildungsforschung einige der zentralen thematischen Foki der Jugendforschung (z. B. Krüger und Grunert 2005). Darauf verweisen Schwerpunkte in einer Vielzahl von Publikationsorganen der Jugendforschung, wie beispielsweise zu Schülerkulturen (Merkens und Zinnecker 2003), Qualitativer Schulforschung (Reh 2007) und schulischem Lernen (Ittel et al. 2011) im „Jahrbuch Jugendforschung“; zur Bildungsqualität (Stecher 2007), zu Bildungsbegriffen (Scherr und Grundmann 2010) oder zu Ordnungen der Erziehungswirklichkeit (Neumann 2011) in der „Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation“; zur Sicht von Schülern auf Schule (Kracke und Stecher 2006), den Differenzen zwischen pädagogischer und soziologischer Jugendforschung (Müller und Rhein 2009) oder zur Kooperation zwischen Elternhaus und Schule (Kracke und Gogolin 2010) in „Diskurs Kindheits- und Jugendforschung“ bzw. Bände in der Reihe „Jugendforschung“ zu Themen, wie Pädagogische Jugendarbeit (Nagl 2000), informelles Lernen (Rauschenbach et al. 2006), Lernen in flexibilisierten Welten (Tully 2006) oder Jugend, Bildung und Globalisierung (Hunner-Kreisel et al. 2008). Thematische Schwerpunkte bilden dabei erstens Schülerkulturen, in deren Analysen die Institution Schule nicht nur als Feldzugang für die Erforschung von Jugendlichen verstanden wird, sondern als sozialer Kontext Einfluss hat auf spezifische Orientierungen und Verhaltensstrategien von Gruppen Heranwachsender (vgl. hierzu z. B. die Bände von Breyvogel 1989a; Helsper et al. 2004 sowie Grunert und Wensierski 2008 sowie die Überblicksbeiträge Krüger und Grunert 2005; Breidenstein 2008). Ein zweiter Schwerpunkt einer bildungsorientierten Jugendforschung widmet sich dem Bereich des außerschulischen Lernens (z. B. für frühe Überblicke die Beiträge in den Bänden von Wahler et al. 2004; Rauschenbach et al. 2006), wo so gegensätzliche Kontexte, wie z. B. Vereine und Verbände (z. B. Tully 2006; Neuber 2010), die Familie (z. B. Brake und Büchner 2006), Gleichaltrige oder Jugendkulturen (z. B. Hitzler und Pfadenhauer 2006; Overwien 2007; Rohlfs et al. 2008; Schmid 2010; Harring et al. 2010) auf ihr Potenzial im Bereich der non-formalen oder informellen Bildung hin untersucht werden. Darüber hinaus sind in den letzten Jahren vermehrt Studien an der Schnittstelle von Schul- und Jugendforschung erschienen, die sich mit Bildungskarrieren von Lernenden beschäftigen (z. B. Kramer 2002; Fürstenau und Niedrig 2007; Schnoor und Pfadenhauer 2009; King 2009; König 2010) und bildungsbezogene Orientierungen, Bildungsentscheidungen und Bildungsprozesse in ihrem Zusammenhang im Verlauf der Jugendphase untersuchen. In diesem Kontext ist auch ein besonderes Interesse für Übergänge im Bildungssystem zu verzeichnen (vgl. z. B. die Beiträge in Stecher 2000; Stauber et al. 2007 sowie Oehme 2008 im einschlägigen Schwerpunkt der Zeitschrift „Diskurs Kindheits- und Jugendforschung“), wobei die Grenzen zwischen Jugend- und bildungsbezogener Institutionenforschung hier durchaus als fließend beschrieben werden können.

Über die beschriebenen Konzepte hinaus können die Modelle der Entwicklungsaufgaben (vgl. z. B. Fend 2000), der Generation (vgl. z. B. Zinnecker 2002), des Moratoriums sowie der Transition (vgl. Ecarius 2009) als wichtige Wegbegleiter der Jugendforschung beschrieben werden. An ihnen wird, ebenso wie an der eingangs zu diesem Abschnitt diskutierten Frage der Normativität, die disziplinäre Zuordnung einzelner Studien innerhalb der Jugendforschung festgemacht (z. B. Breyvogel 1989b; Merkens 2008; Ecarius 2009; Popp 2009). Eine erziehungswissenschaftliche Jugendforschung lässt sich, ebenso wie eine soziologische oder psychologische Perspektive auf Jugend, weder auf einzelne Grundbegriffe reduzieren noch wäre eine solche Beschränkung nutzbringend. Analog zu methodischen Zugängen müssten begriffliche und theoretische Einbettungen m. E. stattdessen gegenstandsadäquat erfolgen, womit auch der andauernden Forderung nach interdisziplinärer Bezugnahme Genüge getan werden könnte (vgl. Popp 2009 sowie diverse Beiträge im Band von Riegel et al. 2010).

3.2 Milieu, Geschlecht, Migration und Kultur – Blickpunkt Ungleichheiten

Kennzeichnend für die aktuelle Jugendforschung ist schließlich die Popularität von Ungleichheitssemantiken (vgl. auch Ecarius et al. 2011). Die Einsicht, dass jugendliche Lebenswelten, Wertorientierungen, Praxen und Lebensverläufe in Abhängigkeit von soziodemografischen und kulturellen Faktoren stark differieren, dass also von ‚der Jugend‘ nicht die Rede sein kann, hat sich in allen hier beschriebenen Segmenten der Jugendforschung durchgesetzt und findet ihren Ausdruck in einer schieren Omnipräsenz der Einbeziehung entsprechender Differenzierungskategorien. Einschränkungen empirischer Befunde auf bestimmte Subpopulationen der Jugend, z. B. in Abhängigkeit von Bildungsstand, sozioökonomischem Status, Geschlecht oder Migrationshintergrund werden gegenwärtig mit großer Sorgfalt bei der Titelbildung berücksichtigt. Stärkere Rufe nach der Einbeziehung intersektionaler Perspektiven und darauf Bezug nehmender empirischer Analysen reflektieren darüber hinaus die Bedeutung der spezifischen Interdependenzen der breit dokumentierten Ungleichheitsverhältnisse (vgl. z. B. Riegel et al. 2010).

Historisch betrachtet war die Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse innerhalb der Jugendforschung lange Zeit die dominante Differenzierungslinie; schon frühe Studien zu Beginn des 20. Jahrhunderts machten Schicht- und Klassenunterschiede in Lebensbedingungen und Lebensführung zum Thema (z. B. Lazarsfeld 1931; Muchow 1931), in den 1970er-Jahren entwickelt sich eine historisch-materialistische Jugendforschung (vgl. Krüger und Grunert 2002, S. 16), die den Einbezug schichtspezifischer Lebensbedingungen in Studien zum Jugendalter auf Dauer stellt. Im Gegensatz dazu werden Geschlecht (z. B. Tillmann 1992; zusammenfassend: Hagemann-White 2002) und Migration (vgl. zusammenfassend: Granato 1999) erst im Verlauf der 1980er-Jahre systematisch mit untersucht bzw. fungieren als Selektionskriterium für Untersuchungspopulationen. Inzwischen gehören beide Merkmale ebenso selbstverständlich zur Erforschung jugendlicher Lebenswelten, Orientierungen sowie Lebensweisen und -wegen wie sozialstrukturelle Aspekte sozialer Ungleichheit.

Lange Zeit gefordert (z. B. Trommsdorf 1995; Krüger und Grunert 2002, S. 33) und erst im letzten Jahrzehnt häufiger publiziert werden kulturvergleichend angelegte Jugendstudien. Dies sind zum einen vergleichende Analysen zu Bedingungen des Aufwachsens bzw. Jugendphänomenen in zwei Staaten (z. B. Weller 2003; Nauck und Trommsdorf 2009) und zum anderen thematisch fokussierte Kulturvergleiche, vor allem innerhalb Europas (z. B. Schubarth et al. 2007; Reutlinger et al. 2007), aber auch in anderen Weltregionen (z. B. Liebel 2008; Hurrelmann et al. 2003). Insgesamt gilt dabei, dass kulturvergleichende Studien in der Jugendforschung entweder als Nebenprodukte international angelegter Surveys realisiert werden oder auf der Kooperation einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler basieren. Die Jugend als Altersgruppe steht zwar in vielen Ländern unter besonderer sozialwissenschaftlicher Beobachtung, jedoch erschweren unterschiedliche Strukturen, Gegenstände und Methoden der Jugendforschung ebenso wie verschiedene Fassungen des Begriffs Jugend die vergleichende Forschung (vgl. du Bois-Reymond 2004).

4 Aktuelle Trends der Jugendforschung: ein Ausblick?

Jugendforschung, das machen die vorliegenden Ausführungen deutlich, muss 20 Jahre nach Feststellung theoretischer und konzeptioneller Verunsicherungen sowie nach weiteren inhaltlichen Ausdifferenzierungen als ein hoch komplexes und in seiner Gesamtheit kaum noch zu überschauendes Forschungsfeld beschrieben werden. In sozialhistorische und wissenschaftsgeschichtliche Zusammenhänge eingebettete disziplinäre Perspektiven wie eine Dominanz psychologischer Zugänge am Beginn des 20. Jahrhunderts, eine soziologischen Fokussierung in der Nachkriegszeit und eine Dominanz pädagogischer Fragestellungen in den 1970er- und 1980er-Jahren scheinen sich überholt zu haben. Der anhaltende Diskurs um die disziplinäre Verortung der Jugendforschung kann als Ausdruck der Selbstvergewisserung der Disziplinen in einem immer stärker interdisziplinär angelegten Forschungsfeld verstanden werden. Dies ist – davon zeugt der aktuell dominante Diskurs um den Standort einer Bildungsforschung, die sich als interdisziplinär angelegte Bildungswissenschaft versteht – keine Spezifik der Jugendforschung.

Auch im Hinblick auf relevante Theoriebezüge hat sich, trotz aller Kritik daran, eine Vielfalt der Grundkonzepte und theoretischen Zugänge durchgesetzt, die die klassischen sozialisationstheoretischen sowie bildungs- und identitätstheoretischen Perspektiven u. a. neben praxis- und ritualtheoretische stellt. Auch Modelle wie das der Generation, der Entwicklungsaufgaben oder der Transition finden Anwendung in empirischen Studien. Diese Vielfalt hat ihren Preis, der in Problemen der Übertragung von Forschungsergebnissen in andere Theoriesprachen und damit in der allgemeinen Anschlussfähigkeit für weitere Untersuchungen liegt. Ähnliches gilt für die methodische Vielfalt der Zugänge in der Jugendforschung: Empirische Untersuchungen bedienen sich standardisierter wie rekonstruktiver Forschungszugänge; auch die Triangulation beider Paradigmen, die, obgleich in der Jugendforschung schon früh erprobt (vgl. z. B. Lazarsfeld 1931; Projektgruppe Jugendbüro 1975, 1977), lange Zeit kaum realisiert wurde, findet inzwischen vermehrt Anwendung. Ebenfalls verstärkt realisiert werden quantitative (z. B. Alt 2007; Fuchs et al. 2009, zum Potenzial des Nationalen Bildungspanels für die Jugendforschung: vgl. Blossfeld et al. 2009) und qualitative Längsschnittstudien (z. B. Groffmann 2001; Krüger et al. 2010) sowie kulturvergleichende Studien.

In diesen Bereichen zunehmender methodischer Komplexität sowie sozialer und kultureller Reichweite der entwickelten Resultate liegen zweifellos auch die Zukunftsfelder der Jugendforschung. Thematisch werden dann nicht mehr nur die Entwicklungen der deutschsprachigen Jugend- und Sozialforschung für Innovationen bedeutsam sein, sondern, wie bei einigen Themenfeldern bereits sichtbar, die zentralen Perspektiven und Traditionen der Jugendforschung in anderen Wissenschaftskulturen. Vielleicht ergibt sich damit zugleich die Chance, die hierzulande lange tradierten Sichtweisen der Hoffnung auf (Integration), der affirmativen Neugier über (kulturelle Praxen) bzw. der Angst vor der Jugend (riskantes Verhalten) um einige weitere zu ergänzen.