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Die Arbeitsgemeinschaft als partizipative Regulationsform

Alfred Manns Unterrichtsprotokollierungen im Kontext erwachsenenpädagogischer Lehr-/Lernforschung der 1920er-Jahre

‘Arbeitsgemeinschaft’ as participative form of regulation

Alfred Mann’s lesson documentation in the context of teaching and learning research in adult education of the 1920s

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Zusammenfassung

Der Aufsatz fokussiert das Programm qualitativer Lehr-/Lernforschung, das Alfred Mann im Kontext der erwachsenenpädagogischen Debatten der 1920er-Jahre um die ‚richtige‘ Form des Erwachsenenlernens vorgelegt hat. Neben einigen Ausführungen zur Person werden die programmatischen Überlegungen Manns zur Erforschung des Volkshochschulunterrichts im Rahmen der ‚Arbeitsgemeinschaft‘ vorgestellt sowie das Interpretationspotenzial seiner wortgetreuen Unterrichtsprotokolle anhand eines Auszugs aus einer konkreten Arbeitsgemeinschaft ausgelotet. Bezeichnend für das von Mann angedachte und ansatzweise auch realisierte Programm war die – zu seiner Zeit avantgardistische, jedoch kaum rezipierte – Verbindung von unterrichtlicher Praxis, empirischer Fundierung und reflexionsbezogener Fortbildung.

Abstract

This contribution focuses on Alfred Mann’s program of qualitative teaching and learning research within the context of debates on adult education in the 1920s looking for the “right” form of adult learning. Following some brief notes on Mann himself, we will present his programmatic considerations on researching lessons in the Volkshochschule and investigate the interpretive potential of his verbatim lesson documentation on the basis of an extract from a lesson journal. Central to Mann’s planned and partially realized program was the—at the time avant garde and little discussed—link between practiced lessons, empirical foundations and further education based on self-reflection.

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Abb. 1

Notes

  1. Generell lässt sich in den 1920er-Jahren eine Zunahme akademischer Erwachsenenbildung und erwachsenenpädagogischer Forschung feststellen. Dabei standen vor allem die beiden Themenfelder Teilnehmer(innen)- und Adressat(inn)enforschung sowie Lehr-/Lernforschung im Zentrum (vgl. Friedenthal-Haase 1991; Seitter 2007, S. 120 ff.). Ein Großteil dieser Forschungsansätze wurde entwickelt und getragen von der Praxis selbst, die in ihren Bemühungen um Reflexion und Erkenntnisgewinn allerdings unterstützt wurde von Wissenschaftlern, die – wie etwa Leopold von Wiese oder Paul Honigsheim – aus ihrer fachspezifischen Perspektive heraus offen für Fragen der Volksbildung waren (vgl. auch Anmerkung 7).

  2. Zum genaueren Werdegang Alfred Manns ist wenig bekannt, da nach wie vor eine Monographie über diesen bedeutenden Erwachsenenbildner der Weimarer Zeit aussteht. Zu den wenigen Angaben vgl. Mockrauer 1947; Wirth 1986.

  3. Neben den zentralen Aspekten des Denkens, Wollens und Fühlens wurde am Institut für angewandte Psychologie unter der Leitung von William Stern auch die Aufmerksamkeit als psychologische Funktion untersucht. Mann war Mitglied einer wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft, die „die willkürliche Beherrschung der Aufmerksamkeit bei bestimmten Personen sowohl mit Mitteln der beobachtenden Psychographie, wie mit experimentellen Prüfungsmitteln“ (Stern u. Lipmann 1915, S. 181) untersuchte.

  4. In dieser Hinsicht entwickelte er etwa einen psychographischen Fragebogen für die Breslauer Mittelschul-Sonderklassen, um die Auswahl der begrenzten Schulplätze auf ein breiteres empirisches Fundament zu stellen (vgl. Mann 1917). Auch seine vielfältigen empirischen Beobachtungen zum Erwachsenenlernen – wie etwa Verhalten und Einstellung von Volkshochschülern (vgl. Mann 1927a) – sind ohne seine ausgiebigen psychologischen Kenntnisse nicht denkbar.

  5. Auch die Volkshochschule Breslau ist bislang historiographisch nicht untersucht worden. Als Hauptinformationsquelle können die periodischen Berichte und Zusammenfassungen in den Blättern der Volkshochschule Breslau dienen.

  6. „Nachträglich (bald nach der Sitzung) werden die Niederschriften von mir nur so gewissenhaft wie möglich ergänzt und berichtigt dort, wo offenkundig Lücken oder (vom Protokollanten) falsch Aufgefaßtes sich finden und ich meiner Erinnerung an die betreffende Stelle ganz gewiss zu sein glaube. Gelegentlich habe ich auch ein Protokoll (z. B. das unten an erster Stelle gebotene) in der nächsten Sitzung vorgelesen und durchgesprochen, was hier und da Berichtigungen der Niederschrift (übrigens auch neue Unterrichtsergebnisse) brachte“ (Mann 1924, S. 42).

  7. Aus heutiger Sicht würde man eine derart enge Koppelung nicht erwarten, einerseits aufgrund eines höheren Maßes an methodischer Reflexion, andererseits aufgrund der klare(re)n Rollendifferenzierung zwischen Wissenschaft und Praxis. In den 1920er-Jahren war jedoch – bis auf wenige Ausnahmen – Forschung im Bereich der Erwachsenenbildung nur möglich, wenn die Beteiligten selbst die Rolle von Forschern übernahmen. Dadurch entstand der Typus des reflexionsfähigen und forschungsbereiten Praktikers – ein Typus, der heute nur noch selten anzutreffen ist. Dies verweist in historischer Perspektive auch auf Verluste angesichts zunehmender (funktionaler) Differenzierung im Sinne einer Reduzierung von Rollenkomplexität.

  8. In dieser Hinsicht fehlen empirisch ausgreifende Studien zur Reflexions- und Forschungspraxis der 1920er-Jahre ebenso wie zur Rezeptionsgeschichte Alfred Manns.

  9. In der Art ihres Vorgehens orientieren sich die folgenden Ausführungen methodisch an sequenzanalytischen Verfahren (vgl. etwa Wernet 2009). Die gedankenexperimentell und am Text gewonnenen Lesartenvarianten werden allerdings nicht vollständig aufgeführt oder gar ausgiebig diskutiert, sondern im Sinne einer Abkürzungsstrategie lediglich pointiert vorgetragen.

  10. Was bei Mann neben Erhebung und Dokumentation noch recht spärlich ausfällt, sind Interpretationen der eigenen Dokumentationspraxis. Die wenigen Erläuterungen, die Mann beim Abdruck der Protokolle gab, sind eher als Zusatzinformationen zu werten denn als eigenständige Interpretationsleistungen. Mann war der Auffassung, dass die möglichst sorgsame Erhebung und Aufbereitung der Daten die empirische Grundlage für – dann relativ einfach zu vollziehende – interpretatorische Schlussfolgerungen darstellen (vgl. bereits Mann 1917, S. 605). Die Interpretation selbst als eigenständige Konstruktionsleistung stand bei Mann (noch) nicht im Vordergrund der Überlegungen.

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Seitter, W. Die Arbeitsgemeinschaft als partizipative Regulationsform. Z Erziehungswiss 13, 393–404 (2010). https://doi.org/10.1007/s11618-010-0135-6

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