Gute Forschungspraxis sollte methodischen Gütekriterien ebenso genügen wie ethischen Ansprüchen (vgl. franzke et al. 2020, S. 4; Schlütz und Möhring 2018, S. 490). Im Verlauf des Forschungsprozesses ist es dafür wichtig, die eigenen Entscheidungen durchgängig zu reflektieren und dabei die Rechte und Interessen der beteiligten Personen auszubalancieren (vgl. Schlütz und Möhring 2016, S. 484). Abzuwägen sind gesetzliche Bestimmungen, standesrechtliche und institutionelle Normen und individuelle ethische Erwägungen auf der einen Seite und methodische Überlegungen und forschungspraktische Möglichkeiten auf der anderen. Gute wissenschaftliche Praxis umfasst sowohl methodisch angemessenes, d. h. valides und reliables Vorgehen, als auch eine ständige ethische Reflexion (vgl. Markham 2006, S. 39–40). Allerdings können methodische und ethische Anforderungen bisweilen in Widerspruch zueinander stehen (vgl. Schlütz und Zillich 2023, S. 5): So gilt es zum Beispiel in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand, relevante Forschungsfragen gegen (zu) sensible Themen oder belastende Stimuli und/oder vulnerable Gruppen abzuwiegen, während bei Forschungsdesigns Fragen der Validität und des ethischen Verhaltens (Täuschung vs. informierte Zustimmung) ins Verhältnis gesetzt werden müssen. Bei der Datenerhebung sind die Belange der Kodierer*innen und anderer Beteiligter zu berücksichtigen, insbesondere wenn es sich um belastende Inhalte handelt und bei der Veröffentlichung der Ergebnisse wird eine Abwägung zwischen wissenschaftlicher Transparenz und Anonymität der Teilnehmer*innen vorgenommen. In manchen Fällen müssen die Forschenden sogar sich selbst bzw. ihr Forschungsteam vor Schaden bewahren (vgl. z. B. Podschuweit 2021, S. 316–317).

Ziel all dieser beispielhaft aufgeführten Abwägungsprozesses ist es, die Studiengüte zu optimieren und gleichzeitig nicht nur prospektiv ethische Verantwortung für die eigene Arbeit zu übernehmen, sondern auch retrospektiv (Rechenschaftsverantwortung). Konkret besteht diese Verantwortung gegenüber allen am Forschungsprozess unmittelbar beteiligten Personen, mittelbar gilt sie auch gegenüber dem Wissenschaftssystem und der Gesellschaft. Denn forschungsethische Standards sind nicht nur innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft als Teil guter wissenschaftlicher Praxis relevant, sie tragen außerdem dazu bei, dass wissenschaftliche Erkenntnis und deren Produktion ihre Vertrauenswürdigkeit behält (vgl. Zillich et al. im Druck). Dieser Prozess sollte als „handlungseröffnender und kreativitätsfördernder Denkraum“ (Coenen 2022, S. 255) begriffen werden, der alternative, innovative Vorgehensweisen motiviert und das Forschungsprojekt auf diese Weise insgesamt verbessert. Die Forschenden werden im Idealfall in diesem Prozess unterstützt durch Rahmenbedingungen, die wissenschaftliche Integrität befördern, indem sie deliberative Prozesse institutionalisieren, Prinzipien und Leitlinien entwickeln und in der Ausbildung vermitteln. Durch die Institutionalisierung von Verantwortung wird das Individuum in den konkreten Entscheidungssituationen entlastet. In der Summe führt eine solche institutionell getragene ethisch-methodische Reflexion zu einem besseren Forschungsdesign, sei es in einer bestimmten Phase der Forschung oder im gesamten Projekt (vgl. Ess 2019, S. 13).

Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen, wie Digitalisierung, Globalisierung und Individualisierung, gewinnt Forschungsethik in der Kommunikations- und Medienforschung zunehmend an Bedeutung. So hat in jüngerer Zeit eine Ausdifferenzierung der Kommunikations- und Medienwissenschaft hinsichtlich der verwendeten Datenquellen und Methoden stattgefunden, die sich in der Etablierung der Computational Communication Science manifestiert. Dieser Bereich geht mit neuen ethischen Herausforderungen einher (Niemann-Lenz et al. 2019). Beispielsweise bietet die automatisierte Analyse von Online-Kommunikation neue technische Möglichkeiten, große Mengen digitaler Spuren, wie Tracking-Daten, User-Kommentare oder andere Interaktionsspuren zu sammeln, zu analysieren und zu verarbeiten (vgl. Rogers 2019). Solche digitalen Daten und die damit verbundenen Erhebungs- und Auswertungsmethoden prägen die Forschungspraxis zunehmend (vgl. Buchanan und Zimmer 2021; Domahidi et al. 2019). Sie liefern wertvolle Erkenntnisse über soziale Kommunikationsphänomene (vgl. Geise und Waldherr 2021, S. 67), bergen aber gleichzeitig Risiken wie digitale Überwachung oder Verletzungen der Privatsphäre. Dabei sind digitale Medien sowohl Forschungsgegenstand als auch Mittel der Forschung. Diese Verschränkung erhöht die Komplexität der in diesem Kontext auftretenden ethisch-methodischen Fragestellungen (vgl. Schlütz und Zillich 2023, S. 3). Entsprechend wirft diese Erschließung neuer Forschungsfelder und die Entwicklung angemessener Methoden neue ethische Fragen auf (vgl. Hollingshead et al. 2021; Larsson 2016), zum Beispiel nach der informationellen Selbstbestimmung und dem Datenschutz (vgl. Buchanan und Zimmer 2021). Aber auch bei etablierten Methoden und Designs, wie z. B. standardisierten Befragungen, halbstrukturierten Interviews, Ethnographie, teilnehmender Beobachtung oder experimentellen Studien, können methodologische und ethische Kriterien in Konflikt geraten (vgl. Iphofen 2020, S. 372; Matthes et al. 2015, S. 194–196; Podschuweit 2021, S. 313–322; von Unger 2018, S. 193–195). Forschungsethik wird auch als neues Qualitätskriterium der Inhaltsanalyse diskutiert, ergänzend zu „traditionellen“ Gütekriterien wie beispielsweise Validität oder Reliabilität (vgl. Haim et al. 2023). Bei allen methodischen Designs müssen also Fragen der Forschungsanlage, Validität, Reliabilität und des ethischen Verhaltens abgewogen werden. Das vorliegende Sonderheft widmet sich diesen Herausforderungen, indem es theoretische und empirische Perspektiven auf das Zusammenspiel von Methodologie und Forschungsethik in der Kommunikations- und Medienforschung aufgreift. Auslöser dieser Auseinandersetzung war die Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Methoden der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im September 2023. Auf Einladung der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF diskutierte die Community in Potsdam Fragen zum Zusammenspiel von Methodik und Forschungsethik in der Kommunikations- und Medienforschung. Die meisten der in diesem Sonderheft publizierten Beiträge waren Teil des Tagungsprogramms, andere wurden ergänzend aufgenommen, um der Vielfalt der Fragestellungen und Zugänge gerecht zu werden.

Zunächst befassen sich Arne Freya Zillich, Daniela Schlütz, Eva-Maria Roehse, Wiebke Möhring und Elena Link unter dem Thema „Forschungsethische Prinzipien und methodische Güte in der Umfrageforschung“ mit der standardisierten Befragung als einer zentralen empirischen Erhebungsmethode in der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Sie argumentieren, dass die ausschließliche Beachtung methodischer Aspekte für die Sicherung wissenschaftlicher Qualität nicht ausreicht und plädieren für die Berücksichtigung der forschungsethischen Prinzipien Selbstbestimmung, Schadensvermeidung und Gerechtigkeit, aus denen ergänzende Beurteilungskriterien für die Umfrageforschung abgeleitet werden können. Um möglichen ethisch-methodischen Dilemmata zu begegnen, ist eine systematische Güterabwägung zwischen ethischen Bedenken und methodischen Erfordernissen nötig. Vor diesem Hintergrund präsentieren sie eine empirische Studie des BMBF-geförderten Verbundprojekts FeKoM, in deren Rahmen 29 empirisch arbeitende Kommunikationswissenschaftler*innen aus dem deutschsprachigen Raum interviewt wurden, um zu ermitteln, welche ethisch-methodischen Herausforderungen sie in der Umfrageforschung wahrnehmen und wie sie mit ihnen im Forschungsalltag umgehen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Interviewten keinen der beiden Aspekte priorisieren, sondern danach streben, methodische und ethische Anforderungen miteinander in Einklang zu bringen. Gleichzeitig werden Herausforderungen im jeweiligen Einzelfall sowie grundsätzliche Bedenken hinsichtlich des Stellenwertes von Forschungsethik deutlich.

Im zweiten Beitrag „On equal terms? Ethical challenges in research with vulnerable groups in communication studies“ von Susanna Endres, Tanja Evers und Liane Rothenberger geht es um einen spezifischen forschungsethischen Aspekt, nämlich Forschung mit Gruppen, die als „vulnerabel“ bezeichnet werden können. Solche Gruppen, argumentieren die Autorinnen, zeichnen sich durch eine besondere Schutzbedürftigkeit aus, z. B., weil sie sprachlich, kognitiv oder körperlich beeinträchtigt oder traumatisiert sind. Der Beitrag bezieht seine Relevanz aus einer Forschungslücke, denn bislang hat sich die Kommunikationsforschung nur selten aus einer ethisch-reflexiven Perspektive mit vulnerablen Gruppen als Forschungsteilnehmer*innen befasst – und das unabhängig davon, ob sie in einer Studie interviewt oder beobachtet werden oder aber als Transkribierende oder Kodierende in einer Inhaltsanalyse potenziell (re)traumatisierenden Inhalten ausgesetzt sind. Der Beitrag füllt die identifizierte Forschungslücke, indem er zunächst das Konzept der Vulnerabilität spezifiziert und verschiedene Ansätze und Modelle der Verfahrens- und Situationsethik in Beziehung setzt. Entlang des Forschungsprozesses der Studienplanung, Stichprobenziehung, Datenerhebung, -aufbereitung und -analyse sowie Publikation konzentriert sich der Artikel auf phasenspezifische Herausforderungen und ethische Überlegungen bei der Arbeit mit vulnerablen Gruppen, um die Möglichkeiten und Grenzen (nicht nur) von Kommunikationsstudien aufzuzeigen. Der Artikel schließt mit Empfehlungen für zukünftige Studien und wirft Schlüsselfragen auf, die die Selbstreflexion vor und während der Kommunikationsforschung mit gefährdeten Gruppen anleiten können.

In ihrem Beitrag „Forschungsethik, Barrierefreiheit und inklusive Forschung in der Kommunikationswissenschaft“ geben Benjamin Bigl, Ketevan Gognelashvili und Volker Gehrau einen Überblick, in welcher Form kommunikationswissenschaftliche Forschung Menschen mit Einschränkungen berücksichtigt. Ausgehend von dem forschungsethischen Prinzip der Gerechtigkeit adressieren sie Themenbereiche in der Schnittmenge von Forschungsethik, Inklusion und Barrierefreiheit, wobei sie Inklusion als generelle Herangehensweise und Barrierefreiheit als konkretes Mittel zur Umsetzung inklusiver Forschung und Lehre verstehen. Die von ihnen adressierten Themenbereiche umfassen rechtliche Vorgaben für kommunikationswissenschaftliche Forschung in Bezug auf Inklusion und Barrierefreiheit, Wahrnehmung, Kenntnis und Umsetzung von Barrierefreiheit in kommunikations- und sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekten sowie Stellenwert und Grad von Inklusion in kommunikationswissenschaftlichen Publikationen. Beispielhaft für die Forschungspraxis stellen sie anschließend eine kommunikationswissenschaftliche Studie zu Barrierefreiheit vor, die gemeinsam mit Menschen mit Einschränkungen konzipiert und durchgeführt wurde. Damit veranschaulicht der Beitrag, wie unnötige Barrieren in kommunikationswissenschaftlichen Studien vermieden bzw. reduziert werden können, um eine gerechte Teilhabe an Forschung für alle Menschen zu ermöglichen.

In dem Beitrag „Key Topic or Bare Necessity? How Research Ethics are Addressed and Discussed in Computational Communication Science“ wird die im Titel gestellte Frage empirisch beantwortet. Zunächst arbeiten Philipp Knöpfle, Mario Haim und Johannes Breuer die forschungsethischen Spezifika von Computational Communication Science heraus. Diese liegen vor allem in einer Auflösung der Interaktion zwischen Forschenden und Beforschten: Wenn Daten eher „gefunden“ als „erhoben“ werden, wird ein „informed consent“ erschwert. Aber auch Fragen der Transparenz, des Teilens von Daten im Sinne von Open Science und der Datensicherheit werden angesprochen. Anschließend werden die deontologische und die konsequentialistische Perspektive auf das Forschungsfeld vorgestellt. In einer manuellen, quantitativen Inhaltsanalyse werden Studien aus kommunikationswissenschaftlichen Fachzeitschriften auf die Erwähnung forschungsethischer Aspekte untersucht. Dabei unterscheiden die Autoren zwischen a) dem Verweis auf allgemeine forschungsethische Richtlinien, b) mit Blick auf die Forschungsethik durchgeführte Reviews, z. B. durch Ethikkommissionen, und c) Maßnahmen, die eine forschungsethische Durchführung der Studien gewährleisten sollen. Obwohl all diese Aspekte nur in einem geringen Bruchteil der untersuchten Fachzeitschriftenaufsätze angesprochen werden, kann ein Trend zu einer zunehmenden Thematisierung von Forschungsethik in der Computational Communication Science ausgemacht werden.

In ihrem Beitrag „‘Don’t Research Us’—How Mastodon Instance Rules Connect to Research Ethics“ untersuchen Marco Wähner, Annika Deubel, Johannes Breuer und Katrin Weller eine bislang kaum untersuchte Plattform, die vor allem Bekanntheit erlangte als potenzielle Alternative zu Twitter – sowohl für Nutzende als auch als Forschungsgegenstand. Die Autor*innen postulieren, dass die technische Struktur, im Falle Mastodons die eines dezentralen Netzwerks, auch ethische Implikationen haben kann und dass die Regeln, die in den einzelnen Instanzen des Netzwerks aufgestellt werden, von Forschenden berücksichtigt werden müssen. So könnte die Sichtweise der Nutzenden auf die Verwendung von Daten zu Forschungszwecken als ergänzende Information betrachtet werden, um für Studien ein ethisch fundiertes Forschungsdesign zu entwickeln. Mithilfe einer Kombination von quantitativer und qualitativer Inhaltsanalyse untersuchen sie daher, ob und wie Mastodon-Instanzen die wissenschaftliche Nutzung von Daten adressieren. Die Ergebnisse zeigen, dass der Großteil der Instanz-Regeln auf die Interaktion zwischen Nutzenden fokussiert und weniger auf Regeln für Forschende. Die Autor*innen entwickeln vier Hinweise als praktische Handlungsanleitungen für zukünftige Mastodon-Forschende, die auf ähnliche Plattformen übertragbar sind.

Die präsentierten Beiträge zeigen beispielhaft die Herausforderungen, die in konkreten Forschungsprojekten entstehen können, wenn ethische Erwägungen sowie methodische und forschungspraktische Kriterien gegeneinander abgewogen und miteinander in Einklang gebracht werden. Sie zeigen unserer Ansicht nach aber auch, wie dieser reflexive Prozess dazu beiträgt, empirische Studien der Kommunikations- und Medienwissenschaft insgesamt zu verbessern.