1 Einleitung: Forschungsethik in der Umfrageforschung

Die standardisierte Befragung ist eine der zentralen empirischen Erhebungsmethoden in den Sozialwissenschaften (vgl. Brenner 2020; Fairclough und Thelwall 2022). Auch in der Kommunikations- und Medienwissenschaft (KMW) sind Umfragen weit verbreitet, um Meinungen, Einstellungen und Wissen zu erforschen und retrospektiv Verhaltensweisen oder Handlungsintentionen zu untersuchen (vgl. Barchard und Williams 2008, S. 1111; Buchanan und Hvizdak 2009, S. 37; Möhring und Schlütz 2019, S. 7). Von umfassenden Untersuchungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit über Konsumabfragen und Einschaltquoten bis zur Sonntagsfrage im Kontext von Wahlen – Umfragen stellen eine bedeutende Informationsquelle dar. Die Ergebnisse sind dabei nicht nur von großem Interesse für die Forschenden selbst, sondern auch für politische Entscheidungsträger*innen, betroffene Bevölkerungsgruppen oder die breite Öffentlichkeit (vgl. Oldendick 2012, S. 34). Um diesen Aufgaben gerecht zu werden und aussagekräftige und zuverlässige Daten zu liefern, müssen Umfragen hohen methodischen und technischen Standards entsprechen. Hinsichtlich ihrer Funktionsprinzipien und Wirkungsweisen wurde die Befragung daher in vielerlei Hinsicht systematisch erforscht und entsprechend methodisch optimiert, z. B. mit Blick auf den dem Antwortverhalten zugrunde liegenden kognitiven Prozess (CASM; vgl. Schwarz 2007; Tourangeau et al. 2000), potenzielle Fehlerquellen (TSE; vgl. Groves und Lyberg 2010) oder spezifische Antwortheuristiken (satisficing; vgl. Krosnick 1999, S. 546–552). Die ausschließliche Beachtung methodischer Aspekte ist für die Sicherung wissenschaftlicher Qualität jedoch nicht ausreichend (vgl. Weichbold 2009, S. 553). Auch forschungsethische Aspekte und deren Verbindung mit methodischen Anforderungen müssen im Rahmen guter wissenschaftlicher Praxis beachtet werden (vgl. Markham 2006; Markham et al. 2018). Allerdings können methodische Anforderungen, wie valides und reliables Vorgehen, und ethische Anforderungen auch im Widerspruch zueinanderstehen (vgl. Plutzer 2019, S. 169; Schlütz und Möhring 2018, S. 33). Die sich hieraus ergebenden Dilemmata können in jeder Phase des Forschungsprozesses auftreten. In solchen Fällen ist eine systematische Güterabwägung zwischen ethischen Bedenken und methodischen Erfordernissen nötig (vgl. McKee und Porter 2009, S. xix); diese Abwägung obliegt Ethikkommissionen, häufig aber auch den Forschenden selbst. Entsprechend tragen Wissenschaftler*innen im Kontext empirischer Forschung mit Menschen eine spezielle Verantwortung. Es gilt, das Wohlergehen, die Rechte und Interessen der teilnehmenden Personen zu achten (vgl. Koch et al. 2019, S. 223). In diesem Sinne ist Forschungsethik – hier verstanden als der respektvolle und wertschätzende Umgang mit allen an empirischen Forschungsprojekten beteiligten Personen – ein wesentlicher Bestandteil guter wissenschaftlicher Praxis. Wir begreifen Forschungsethik mit Brosda und Schicha (2010, S. 10) als eine „Reflexionstheorie der Moral“. Konkret geht es um die Reflexion der eigenen Handlungsentscheidungen sowie die Abwägung der Interessen und Rechte der direkt und indirekt an empirischer Forschung beteiligten Personen (vgl. Schlütz und Möhring 2016, S. 484).

Die Relevanz des Themas weist allerdings über das einzelne wissenschaftliche Projekt hinaus, denn forschungsethische Fragen stehen zunehmend in einem öffentlichen Interesse, ausgelöst durch verschiedene Wissenschaftsskandale z. B. um Datenfälschungen oder -manipulation (vgl. u. a. Jouhki et al. 2016; Recuber 2015; Zimmer 2018). Wenn forschungsethische Prinzipien verletzt werden, schadet dies nicht nur dem eigenen Fach. Es ist anzunehmen, dass ein solches Fehlverhalten das Vertrauen in wissenschaftliche Forschung im Allgemeinen beeinträchtigt und sich z. B. negativ auf die Bereitschaft zur Teilnahme an Studien auswirkt (vgl. Koch et al. 2019, S. 224). Problematischer wäre es noch, wenn darunter das Vertrauen in Wissenschaft allgemein leidet (vgl. Hendriks et al. 2016). Im Gegensatz dazu kann ethisch angemessenes Verhalten die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Forschungsvorhaben stärken (vgl. Strobel et al. 2022, S. 4) und positiv zum Vertrauen der Öffentlichkeit in Wissenschaft beitragen (vgl. Eyal 2014, S. 337).

Bei der Reflexion methodischer und forschungsethischer Anforderungen ergeben sich für standardisierte Befragungen spezifische Herausforderungen (vgl. u. a. Franzke et al. 2020; Schlütz und Möhring 2018). In diesem Beitrag greifen wir diese Spannungsfelder auf und diskutieren sie am Beispiel standardisierter Umfragen unterschiedlicher Designs. Aufbauend auf einer literaturbasierten Analyse allgemeiner ethisch-methodischer Herausforderungen stellen wir Ergebnisse qualitativer Leitfadeninterviews mit empirisch forschenden KMWler*innen aus dem Jahr 2021 vor, in denen die Wahrnehmung und der Umgang mit forschungsethischen Herausforderungen in der Umfrageforschung untersucht wurden. Die Interviews waren Teil des BMBF-geförderten Verbundprojektes „Forschungsethik in der Kommunikations- und Medienwissenschaft“ (FeKoM)Footnote 1, welches im Frühjahr 2024 seinen Abschluss fand.

2 Theoretischer Hintergrund: Methodische und forschungsethische Anforderungen in der Umfrageforschung

Standardisierte Befragungen sind eine besondere Form der geplanten Kommunikation, die auf einem Fragebogen basiert. Befragungen existieren in unterschiedlichen Modi (z. B. persönlich-mündliche Interviews, Telefon-Umfragen, Online-Befragungen) und Designs (z. B. Experiment oder Panel). Zahlreiche KMW-Lehrbücher geben Hinweise für methodische Gütekriterien wie Validität, Reliabilität und intersubjektive Nachvollziehbarkeit (vgl. u. a. Brosius et al. 2022, S. 51–59; Koch et al. 2019, S. 56–59; Möhring und Schlütz 2019, S. 18–22; Scholl 2018, S. 24–25). Ergänzend und zum Teil im Widerspruch damit stehen forschungsethische Erwägungen als weiteres Kriterium. Auf beide Bereiche und ihr Zusammenspiel (vgl. Scholl 2018, S. 238–242) gehen wir im Folgenden ein.

2.1 Methodische Gütekriterien

Jede empirische Studie kann anhand bestimmter Kriterien hinsichtlich ihrer Güte beurteilt werden. Welche Kriterien das sind, unterscheidet sich je nach methodologischem Zugang (vgl. Döring und Bortz 2016, S. 81–119). In der standardisierten (eher neo-positivistisch ausgerichteten) Forschung beziehen sich diese Kriterien im Kern darauf, wie „gut“ ein Instrument in der Lage ist, den sog. „wahren Wert“ zu messen (vgl. Weichbold 2009, S. 555). Üblicherweise verwendet man für die standardisierte Umfrageforschung die Konzepte der Validität (Gültigkeit der Messung) und Reliabilität (ihre Verlässlichkeit). Insbesondere im Zusammenhang mit Mediennutzung spielt zudem temporale Stabilität eine Rolle (vgl. Scharkow 2019). Ein weiteres Kriterium ist „Objektivität“ bzw. intersubjektive Nachvollziehbarkeit (Transparenz, Kritisierbarkeit). Um eine reliable und valide Befragung zu gewährleisten, kommt es z. B. auf Konzeptspezifikation und Begriffsarbeit (Konstruktvalidität), Stimuluskonstruktion (interne vs. externe Validität), Operationalisierung (Reliabilität) und Auswertung (statistische Validität) an.

Auch wenn die genannten Gütekriterien der Umfrageforschung durchaus diskutabel (vgl. Scholl 2018, S. 25) und kritisierbar (vgl. Weichbold 2009, S. 555) sind, sind sie weit verbreitet. Aufgrund der Reaktivität der Befragung als Methode sind die Kriterien allerdings grundsätzlich zu hinterfragen (vgl. Scholl 2013, S. 79) bzw. in ihrer Komplexität zu würdigen (vgl. z. B. Tourangeau 2020).

2.2 Forschungsethik als ergänzendes Gütekriterium

Neben der inhaltlich-praktischen Relevanz einer Studie und ihrer methodischen Strenge tritt als weiteres Kriterium der wissenschaftlichen Qualität die ethische Strenge hinzu (vgl. Döring und Bortz 2016, S. 90). Das ist dann unproblematisch, wenn diese forschungsethischen Erwägungen die methodischen Qualitätskriterien lediglich ergänzen. Gelegentlich ist es allerdings so, dass im Rahmen der methodischen Gütekriterien getroffene Entscheidungen mit ethischen Prinzipien kollidieren, so dass bei deren Berücksichtigung aus methodischer Sicht „Fehler“ verursacht werden, die Validität und Reliabilität beeinträchtigen (vgl. Schlütz und Möhring 2018, S. 36). Stehen Forschende in ihrer Arbeit vor diesen Herausforderungen, sollten neben rechtlichen Vorgaben und institutionellen ethischen Richtlinien auch die Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls in die Abwägungen einbezogen werden (vgl. McKee und Porter 2009, S. 23–26). McKee und Porter (2008, 2009) haben dazu einen heuristischen Ansatz der Entscheidungsfindung entwickelt, in dem Prinzipien mittlerer Reichweite (die also prima facie gelten) als Grundlage bzw. Ausgangspunkt genutzt werden, um fallbasiert spezifische forschungsethische Entscheidung zu treffen. Grundlegend für die verantwortungsvolle Forschung mit Menschen sind dabei die drei handlungsleitenden Prinzipien Selbstbestimmung, Schadensvermeidung und Gerechtigkeit, die situationsadäquat gedeutet und fallbezogen angewandt werden (vgl. Beauchamp und Childress 2013, S. 25). Die Prinzipien leiten sich aus der Würde des Menschen und dem daraus resultierenden Verbot der Instrumentalisierung ab. Auf die Methode der Befragung bezogen ist es daher grundlegend, die Würde der Teilnehmer*innen zu achten, d. h. sie als Subjekte zu betrachten und entsprechend zu behandeln.

Im Folgenden werden wir entlang der drei Prinzipien Selbstbestimmung, Schadensvermeidung und Gerechtigkeit verschiedene forschungsethische Herausforderungen und ihren Zusammenhang mit den methodischen Gütekriterien darstellen. Dies erfolgt zunächst auf theoretischer Basis, um davon ausgehend bestehende Forschungspraktiken in der KMW empirisch zu explorieren. Dazu haben wir im folgenden Literaturüberblick die spezifischen Herausforderungen im Prozess der Umfrageforschung entlang der drei Prinzipien zusammengestellt und etablierte Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Neben dem forschungsethisch gebotenen verantwortungsvollen Umgang mit den Teilnehmer*innen müssen dabei auch andere Personengruppen in diese Entscheidungen miteinbezogen werden, denn sowohl für die Forschenden selbst als auch ihre Mitarbeiter*innen (wie z. B. studentische Hilfskräfte) sowie für Studierende, die innerhalb von Lehrkontexten eigene Studien durchführen, sollten mögliche Schädigungen vermieden werden (vgl. u. a. Bluvstein et al. 2021, S. 2; Podschuweit 2021, S. 317; Schlütz und Möhring 2016, S. 489–490). Zudem werden auch rechtliche Bestimmungen im Zusammenhang mit den drei Prinzipien berücksichtigt, wie etwa der Datenschutz, da ethische und juristische Aspekte in methodischen Entscheidungsprozessen nicht immer eindeutig zu trennen sind (vgl. Roehse et al. 2023, S. 484).

2.2.1 Selbstbestimmung

Das Prinzip der (informationellen) Selbstbestimmung bezieht sich auf das Recht auf eine freiwillige und widerrufbare Zustimmung zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen Studie bzw. deren Ablehnung (vgl. Jandt 2016). Für viele Studien ist es daher erforderlich bzw. ethisch geboten, eine sogenannte informierte Einwilligung (informed consent) einzuholen. Dieses Vorgehen ist mittlerweile in vielen Disziplinen üblich, wenngleich die konkrete Umsetzung, auch im Hinblick auf die Kombination mit Erfordernissen des Datenschutzes, variiert (vgl. u. a. Hallinan et al. 2023; Verbeke et al. 2023).

Eine solche Einwilligung setzt voraus, dass die Zustimmung zur Teilnahme freiwillig erfolgt, auf umfassenden und verständlichen Informationen basiert und jederzeit widerrufen werden kann (vgl. Davies 2022, S. 5; Davies et al. 2023, S. 469). Dies gilt grundsätzlich auch für die Umfrageforschung in der KMW, da hier das Recht auf informationelle Selbstbestimmung berührt wird. In einzelnen Fällen anonymer Umfragen, die keine sensiblen Themen behandeln und keinerlei Risiken für die Befragten darstellen, kann nach sorgfältiger Abwägung auf eine explizite Einwilligung verzichtet werden (vgl. Laurijssen et al. 2022, S. 556). Mindestens sollte im Einladungsschreiben über den Zweck der Umfrage und die Verwendung der Daten aufgeklärt werden. Diese Informationen sind für die Forschenden bindend. Für den Fall, dass die Teilnehmer*innen nicht geschäftsfähig sind, etwa weil sie minderjährig sind, müssen spezifische Maßnahmen getroffen werden (vgl. Sherwood und Parsons 2021). Im Kontext der Bildungsforschung beispielsweise müssen zahlreiche Genehmigungsstufen berücksichtigt werden, zu denen auch eine ergänzende Einwilligung der Erziehungsberechtigten (proxy consent) gehört (vgl. Fecke et al. 2022, S. 363).

Angeben sollten die Forschenden in diesen Informationen auch, welche Daten sie genau erheben. Bei Online-Umfragen werden unter Umständen nicht nur die Antworten, sondern auch zusätzliche Datenspuren, etwa Rechner- oder Server-ID oder verwendete Browser, gespeichert. Diese Datenerfassung wird aber oftmals im Rahmen des Einwilligungsprozesses nicht ausreichend gekennzeichnet, was jedoch aus forschungsethischer Perspektive für eine informierte Entscheidung notwendig wäre. Methodisch betrachtet kann die vollständige Offenlegung jedoch problematisch sein, da dies Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Anonymität bei den Befragten aufwerfen und in der Folge Ausschöpfungsquote bzw. Antwortverhalten beeinträchtigen könnte (vgl. Connors et al. 2019; Plutzer 2019). Schließlich können umfassende Einwilligungsprozeduren reaktiv wirken und dazu führen, dass Teilnehmer*innen aufmerksamer, selbstbeobachtender oder sensibler agieren und z. B. eher sozial erwünschte Antworten wählen, was die Datengüte einschränken könnte (vgl. Connors et al. 2019, S. 203).

Neben der informierten Einwilligung ist eine weitere forschungsethische Herausforderung bei der Umfrageforschung die Möglichkeit der Antwortverweigerung bei einzelnen Fragen (item non-response), die bereits in der Konzeption des Fragebogens bei der Fragenformulierung und der Skalenverwendung einbezogen werden sollte (z. B. durch den Einsatz motivierender Prompts anstelle von Pflichtfragen; vgl. Al Baghal und Lynn 2015). Der Anspruch durchgängiger Freiwilligkeit bei den Antworten spricht gegen strikte Ausfüllkontrollen, die zur Minimierung von Item-Non-Responses eingesetzt werden.

Eine zusätzliche Herausforderung, die dem Prinzip der Selbstbestimmung der Teilnehmer*innen zugeordnet werden kann, ist der Umgang mit den Daten nach einem Abbruch der Befragung. Es stellt sich hier die Frage, ob jeder Abbruch des Fragebogens vor dem Ende der Umfrage automatisch dazu führen sollte, dass alle Daten vollständig aus dem Datensatz gelöscht werden (wenn im Fragebogen nicht ohnehin eine technische Möglichkeit zur Löschung der Daten durch die Befragten selbst implementiert ist). Alternativ könnten die fehlenden Daten auch als Item-Non-Responses gewertet werden. Bei Umfragen, die mit Täuschung arbeiten, kann es zudem forschungsethisch geboten sein, neben der Einwilligung im Vorfeld der Studie (prospective consent) nach dem Debriefing eine erneute Möglichkeit zur Einwilligung in die Teilnahme bzw. zum Zurückziehen derselben zu offerieren (retrospective consent) (vgl. Schlütz und Möhring 2018, S. 44).

2.2.2 Schadensvermeidung

Forschende sollten bei jeder empirischen Untersuchung eine Schaden-Nutzen-Abwägung vornehmen, um dem Prinzip der Schadensvermeidung zu entsprechen (für ein Beispiel vgl. Schlütz und Zillich 2023). Hier zeigt sich das Spannungsfeld zwischen Erkenntnisgewinn und Belastung bzw. der schmale Grat, auf dem sich Forschende bei forschungsethischen Entscheidungen bewegen können. Den Nutzen kommunikationswissenschaftlicher Studien stellt auf einer allgemeinen Ebene der Erkenntnisgewinn dar. Dieser Nutzen für Gesellschaft, Wissenschaft und die Forschenden selbst, aber auch der Nutzen für die Teilnehmer*innen muss in einem ausgewogenen Verhältnis zu möglichen Schädigungen stehen. Positive Auswirkungen für die Teilnehmer*innen können zum Beispiel der Spaß an der Teilnahme, die Selbsteinsicht, Credit Points (bei Studierenden-Umfragen) oder andere moderate Anreize zur Studienteilnahme (sog. Incentives) sein (vgl. Rosnow und Rosenthal 2011, S. 46).

Als mögliche Schädigung von Teilnehmer*innen im Rahmen von sozialwissenschaftlichen Befragungen kann zum einen der Zeitaufwand gelten, den die Befragten für die Bereitstellung von Informationen aufwenden. Zudem können psychische Belastungen auftreten. So lange diese vorübergehend sind und nicht über alltagsübliche Befindlichkeitsstörungen hinausgehen, gelten sie als hinnehmbar. Belastungen treten beispielsweise dann in besonderem Maße auf, wenn eine Befragung unangenehme Themen berührt und z. B. „moralisch-polarisierende Fragestellungen“ behandelt werden (vgl. Endres und Filipovic 2018). Themen wie Rassismus, Gewalt oder Pornografie erfordern ebenfalls eine sorgfältige Schaden-Nutzen-Abwägung (vgl. Schlütz und Möhring 2018, S. 38). Auch das Thema „Psychische Gesundheit“ bedarf besonderer Sorgfalt in Befragungen (vgl. Götze und Wahl 2020). Zudem ist die Wahrscheinlichkeit von Belastungen wie Stress oder Unbehagen höher in experimentellen Studien durch die Konfrontation mit Stimulus-Material. Das gilt etwa für allgemein emotionalisierende oder spezifisch aggressionsfördernde oder angstinduzierende Inhalte. Bei derartigen Studien muss im Vorfeld der Teilnahme auf diese Risiken hingewiesen werden. Wenn kein vollständiges Briefing über den Zweck der Studie erfolgt bzw. aus methodischen Gründen erfolgen kann, spricht man von einer Täuschung. Täuschungen sind durch die fehlende bzw. auf unvollständigen Informationen beruhende Zustimmung der Teilnehmer*innen forschungsethisch besonders herausfordernd und sollten maßvoll eingesetzt werden (vgl. Scholl 2018, S. 240). Sie sind dann legitim, wenn sie durch einen hohen wissenschaftlichen Mehrwert der Studie gerechtfertigt sind und durch ein Debriefing flankiert werden, welches die fehlerhaften Informationen korrigiert, die genutzten Manipulations-Mechanismen offenlegt und ggf. gefolgt wird von einer retrospektiven Einwilligung (s. oben) (vgl. Verbeke et al. 2023).

Im Kontext des Prinzips der Schadensvermeidung geht es häufig auch um Fragen des Datenschutzes. Privatheitsaspekte spielen gerade im Bereich der Computational Social Science (CSS) eine große Rolle, weil die Integration unterschiedlicher Datenquellen neue Möglichkeiten der Identifikation von Personen ermöglicht (vgl. Hollingshead et al. 2021). Weitgehender Konsens besteht hinsichtlich der Gewährleistung von Anonymität (bzw. Pseudonymität bei Panel-Umfragen) und Vertraulichkeit im Umgang mit erhobenen Daten. Entsprechend erwarten die Teilnehmer*innen, dass sie aufgrund ihrer Antworten in der Befragung nicht identifiziert werden können (vgl. Oldendick 2012, S. 27), insbesondere bei Umfragen zu sensiblen Themen.

Für alle der hier diskutierten Aspekte gilt: Je vulnerabler die Teilnehmer*innen sind bzw. zu sein scheinen, desto größer ist das Risiko für mögliche Belastungen und somit auch die Verpflichtung, sie vor möglichen Schäden zu schützen (vgl. franzke et al. 2020, S. 17). In der Regel werden Personen und Gruppen, die nicht in der Lage sind, ihre eigenen Interessen zu schützen, als vulnerabel eingestuft (vgl. Tiidenberg 2018, S. 4). Dies trifft z. B. auf folgende Gruppierungen zu: Kinder und Jugendliche (vgl. u. a. Sherwood und Parsons 2021), Menschen mit Behinderung (vgl. u. a. Barnes 2009), Personen in sehr gehobenem Alter (vgl. u. a. Szala-Meneok 2009) oder Personen in besonders emotionalen Zuständen, wie Trauer und/oder Trauma (vgl. u. a. Dittmer und Lorenz 2018).

2.2.3 Gerechtigkeit

Das Prinzip der Gerechtigkeit bezieht sich auf die gerechte Teilhabe aller Menschen am wissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Das bedeutet, dass alle Vorteile, wie Erkenntnisgewinn, wissenschaftlicher Fortschritt und Prestige, fair verteilt sein sollten (vgl. Schlütz und Zillich 2023, S. 9). So verstoßen Incentives, die in ihrem Wert vom Antwortverhalten abhängig sind (und damit Ausfälle durch non-response minimieren), beispielsweise gegen das Gerechtigkeitsprinzip. Zudem darf es durch die Auswahl der Teilnehmer*innen nicht zu einer einseitigen Verteilung der Belastungen kommen. Das ist etwa der Fall, wenn durch eine bewusste Gruppenaufteilung im Rahmen von Experimentalstudien einige Teilnehmer*innen stärkeren Belastungen ausgesetzt sind als andere (z. B. die Kontrollgruppe). Es ist aber ebenfalls problematisch, wenn bestimmte Gruppen gänzlich von der Forschung ausgeschlossen werden, z. B., weil sie keinen Zugang zum Internet haben oder Umfragen nicht barrierefrei gestaltet sind (vgl. Gehrau et al. 2023).

3 Empirische Exploration: Ein Blick auf die deutschsprachige KMW

Die bisherige Auseinandersetzung mit der theoretisch-empirischen Forschungslage hat gezeigt, dass viele Überlegungen und Empfehlungen für ein forschungsethisches Vorgehen im Rahmen von Befragungsstudien vorliegen, auch für den Bereich der Sozialwissenschaften: Studien sollten methodisch valide und reliabel sein, aber auch den Prinzipien der Selbstbestimmung, Schadensbegrenzung und Gerechtigkeit folgen. Zugleich gibt es einige offene Fragen, insbesondere in den Fällen, in denen sich Ethik und Methodik nicht ergänzen, sondern einander widersprechen. Es wurde zudem deutlich, dass es kaum möglich und auch nicht sinnvoll ist, allgemeingültige Empfehlungen zu geben, sondern dass stets fallbasiert abgewogen und entschieden werden muss. Das bedeutet, dass viele Entscheidungen ad-hoc im Forschungsprozess getroffen werden müssen. Um diese Fragen näher zu beleuchten und die konkrete Forschungspraktik mit der bestehenden Literaturlage abzugleichen, haben wir eine explorative Studie durchgeführt, die auf die deutschsprachige KMW fokussierte. Unseres Wissens liegen zu dieser Gruppe bisher keine Ergebnisse vor. Neben anderen Aspekten, die für diese Auswertung nicht relevant sind, sind wir dabei der folgenden Frage nachgegangen: Welche forschungsethischen Herausforderungen nehmen empirisch forschende Kommunikationswissenschaftler*innen in standardisierten Befragungsstudien wahr und wie gehen sie damit um?

Zur Beantwortung der Forschungsfrage analysierten wir qualitative Leitfadeninterviews, die wir 2021 mit 31 deutschsprachigen, überwiegend standardisiert forschenden Kommunikationswissenschaftler*innen unterschiedlicher Qualifikationsstufen durchgeführt haben. Die interviewten Wissenschaftler*innen fungierten dabei als Expert*innen im Hinblick auf die sozialen Kontexte und Prozesse, in denen sie agieren (vgl. Gläser und Laudel 2009, S. 11). Ziel der Leitfadeninterviews war es, die wahrgenommenen forschungsethischen Herausforderungen empirisch arbeitender Kommunikationswissenschaftler*innen und deren Handhabung zu rekonstruieren. Die Stichprobe bildete ein möglichst breites Spektrum an Wissenschaftler*innen ab. Sie umfasste verschiedene Forschungsfelder der KMW (wie politische Kommunikationsforschung, Journalismus, Rezeptions- und Wirkungsforschung) sowie unterschiedliche Methoden (wie Befragung, Inhaltsanalyse, Beobachtung, psychophysiologische Messungen) und Studiendesigns (wie Experimentaldesigns, komparative Forschungsdesigns, Längsschnittdesigns). Es wurden zudem Interviewpartner*innen unterschiedliche Qualifikationsstufen einbezogen, da wir von einem Einfluss dieses Kriteriums ausgegangen sind. So kann die Wahrnehmung von und der Umgang mit möglichen Herausforderungen im Forschungsprozess von der jeweiligen Karrierestufe abhängen, da Wissenschaftler*innen zu Beginn ihrer Karriere z. B. noch keine oder weniger Erfahrung im Bereich der Publikation oder der Drittmitteleinwerbung haben (vgl. Schlütz et al. 2023, S. 35). Anhand dieser Screening-Merkmale erstellten wir einen umfassenden Pool an Wissenschaftler*innen und stuften sie hinsichtlich ihrer methodischen oder thematischen Expertise ein, welcher die Grundlage der Auswahl darstellt.

Für diesen Beitrag haben wir einen Teildatensatz ausgewählt und uns auf forschungsethische Praktiken und Herausforderungen in der Umfrageforschung fokussiert. Diese wurden in 29 der 31 Interviews thematisiert. Von den 29 Interviewten waren 22 männlich; 18 waren Professor*innen, zehn Post-Doc und ein*e Prae-Doc; 28 Interviewte waren an einer Hochschule und ein*e Interviewte*r an einer außeruniversitären Forschungseinrichtung tätig (siehe Tab. 1). Trotz umfangreicher Bemühungen, Forschende unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlicher Qualifikationsstufe zu rekrutieren, weist die Stichprobe eine Schieflage hinsichtlich des männlichen Geschlechts auf. Das ist darauf zurückzuführen, dass Frauen in der Wissenschaft in Deutschland noch immer unterrepräsentiert sind – insbesondere in den späteren Phasen der akademischen Laufbahn („leaky pipeline effect“, vgl. Ysseldyk et al. 2019). Während die Gruppe der Post-Docs ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis aufweist, ist es in der Gruppe der Professor*innen nicht gelungen, das KMW-spezifische Geschlechterverhältnis abzubilden (vgl. Boczek und Rothenberger 2024).

Tab. 1 Soziodemografische Merkmale der Interviewten

Die Interviews fanden via Zoom statt und dauerten durchschnittlich 59 min (mit einer Variationsbreite von 32 bis 82 min). Alle Teilnehmer*innen wurden zu Beginn des Interviews über den Zweck, die Inhalte und das konkrete Vorgehen der Studie sowie die Möglichkeit des Widerrufs aufgeklärt und stimmten der Aufzeichnung des Interviews explizit zu.

Nachfolgend beschreiben wir zunächst das allgemeine Vorgehen der Datenerhebung und -auswertung der Leitfadenstudie im Rahmen des FeKoM-Projektes und erläutern anschließend, auf welche Teilaspekte wir uns im Rahmen dieses Beitrags konzentrieren. Um die Interviews zu strukturieren und Reflexions-Impulse zu geben, setzten wir einen Leitfaden ein, der deduktiv entwickelt wurde und eine große Spannbreite möglicher Berührungspunkte mit forschungsethischen Praktiken in unterschiedlichen Bereichen des wissenschaftlichen Arbeitens abdeckte (vgl. u. a. Boynton 2016; Iphofen 2017; Israel und Hay 2019) wie z. B. Forschen, Publizieren, Einwerben von Drittmitteln, Lehre und Anleitung von Mitarbeiter*innen. Zudem wurden die oben genannten Leitprinzipien Selbstbestimmung, Schadensvermeidung und Gerechtigkeit berücksichtigt. Diese Prinzipien sind für ein ethisch sensibles Handeln von Wissenschaftler*innen in den verschiedenen Bereichen ihres wissenschaftlichen Arbeitens grundlegend und können ihre jeweils spezifischen forschungsethischen Entscheidungen anleiten. Der Leitfaden adressierte konkret folgende Bereiche des wissenschaftlichen Arbeitens: (I) Persönliche Erfahrungen mit Forschungsethik und Praktiken forschungsethischen Handelns, (II) wahrgenommene forschungsethische Herausforderungen in der (standardisierten) kommunikationswissenschaftlichen Forschung, (III) Stellenwert von Forschungsethik im Rahmen von Publikationen, (IV) Drittmitteleinwerbung, (V) Ausbildung und Lehre sowie (VI) Orientierungsrahmen in Bezug auf Forschungsethik (wie Informationsquellen und Austauschmöglichkeiten).

Die Tonspur der Interviews wurde aufgezeichnet und transkribiert. Die Analyse erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse über die Software MAXQDA (vgl. Rädiker und Kuckartz 2020). Wir führten eine deduktiv-induktiv thematische Analyse der Transkripte durch (vgl. Braun und Clarke 2006, S. 79): Aufbauend auf dem oben skizzierten theoretischen Hintergrund formulierten wir folgende Hauptkategorien für den ersten Schritt der Auswertung: (1) Herausforderungen im Forschungsprozess, (2) Standards für den Umgang mit diesen Herausforderungen, (3) Dilemmata, (4) Relevanz von Forschungsethik beim wissenschaftlichen Publizieren, (5) in der Lehre, (6) in der Betreuung von Studierenden und Mitarbeiter*innen, (7) beim Einwerben von Drittmitteln, (8) Orientierungsrahmen der Interviewten sowie (9) Entwicklungsperspektive für die deutsche Fachgemeinschaft. Anschließend wendeten wir diese Kategorien auf die Interviews an, präzisierten die Hauptkategorien durch Unterkategorien, modifizierten Kategorien und führten Unterkategorien zusammen. Hierauf aufbauend benannten wir den zentralen Gehalt der Kategorien, arbeiteten die Beziehungen zwischen den Kategorien heraus und verglichen sie miteinander, um wiederkehrende Themen zu identifizieren (vgl. Rädiker und Kuckartz 2020, S. 57–58, 65–71, 82–84). Im Rahmen dieses Beitrags betrachten wir die Hauptkategorie (1) Herausforderungen im Forschungsprozess, welche einen großen Stellenwert für die Interviewten hatte. Dies spiegelte sich sowohl in der Anzahl an Unterkategorien wider, die wir induktiv auf Basis des Materials für diese Hauptkategorie entwickelten, als auch in der Fülle und Reichhaltigkeit der hier codierten Textsegmente. Ferner konzentrieren wir uns in diesem Beitrag auf forschungsethische Herausforderungen in der Umfrageforschung, da dieses Anwendungsfeld in nahezu allen Interviews (d. h. in 29 von 31 Interviews) thematisiert wurde und somit von hoher Relevanz für die Forschungspraxis der KMW ist. Erkenntnisse zu den anderen Hauptkategorien sowie anderen forschungsethischen Praktiken, wie Forschung in und mit dem Internet oder der Wahrnehmung und Bewertung ethischer Begutachtung, die wir ebenfalls auf Basis der Leitfadeninterviews gewonnen haben, wurden bereits an anderer Stelle veröffentlicht (vgl. Schlütz et al. 2023; Zillich et al. 2023).

Nachfolgend berichten wir die von den Interviewten wahrgenommenen forschungsethischen Herausforderungen in der Umfrageforschung und ihren Umgang mit diesen. Hierfür wurden die Namen der Interviewten durch Fallnummern (gekennzeichnet mit #) ersetzt, um ihre Privatsphäre zu schützen.

4 Ergebnisse

Die Aussagen der Interviewten verdeutlichen die Vielfalt und Komplexität der ethisch-methodischen Einzelfallentscheidungen bei der Durchführung standardisierter Befragungen. Im Rahmen der Analyse identifizierten wir fünf Themenfelder, die unterschiedliche Aspekte der drei forschungsethischen Prinzipien Selbstbestimmung, Schadensvermeidung und Gerechtigkeit adressieren und sich auf unterschiedliche Aspekte im Forschungsprozess beziehen: 1) Formulierung des Fragebogens, 2) Verwendung von Stimulusmaterial, 3) Täuschung in Experimentaldesigns, 4) Freiwilligkeit und Anonymität in Befragungen und 5) Befragung von vulnerablen Zielgruppen. Nachfolgend erläutern wir die jeweiligen Herausforderungen und Lösungsansätze und veranschaulichen sie mit Zitaten der Interviewten. Eine Übersicht über die zentralen Ergebnisse zeigt Tab. 2.

Tab. 2 Ethisch-methodische Entscheidungen in der Umfrageforschung

4.1 Formulierung des Fragebogens

Die Befunde zeigen zunächst, dass die Konzeption standardisierter Befragungen von mehreren Interviewten forschungsethisch als vergleichsweise wenig herausfordernd wahrgenommen wurde, da das „ethische Handwerk so in die Fragebogenkonstruktionslehre reingewachsen“ (#42) sei. Forschende könnten entsprechend Vorkehrungen treffen, die gleichermaßen forschungsethischen wie methodischen Anforderungen gerecht würden: Mehrere Interviewte berichteten beispielsweise, dass sie auf eine diskriminierungsfreie Sprache im Fragebogen achteten, um keine Stereotype zu reproduzieren. Dies bedeute vor allem, gendersensible Formulierungen zu verwenden und keinen (impliziten) Rassismus zu replizieren. Ziel sei es, Respekt gegenüber den Studienteilnehmer*innen zu zeigen. Hiermit wird das Grundprinzip der Schadensvermeidung umgesetzt. Insbesondere bei Befragungen zu den Themen Migration, Gender und Rassismus sowie bei Umfragen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten sei es zudem wichtig, Vertreter*innen dieser Gruppen aktiv in die Fragebogenkonstruktion einzubeziehen. „Da ist es hilfreich, dass wir die Menschen selbst befragen, so nach dem Motto kann man diesen Begriff benutzen oder nicht? Ist der für dich beleidigend? Oder findest du den okay und so weiter.“ (#83). Ebenfalls könne es helfen, den Fragebogen durch andere Forschende prüfen zu lassen, die eine hohe Sensibilität für ethische Fragen habe. Die konsequente Umsetzung einer diskriminierungsfreien Sprache könne zukünftig z. B. auch bedeuten,

„dass wir […] fragen müssen, ganz am Anfang: ‚Möchten Sie einen gegenderten Fragebogen oder einen nicht gegenderten Fragebogen?‘ Keine Ahnung oder brauchen wir in Zukunft Fragebögen, die auf drei Geschlechter ausgerichtet sind? Das werden die ersten Fragen sein und je nachdem, was die Person angibt, bekommt sie einen Fragebogen, der auf die jeweilige Geschlechtsvariante abgestimmt ist.“ (#71).

In einzelnen Fällen, in denen diese methodisch-forschungsethischen Vorkehrungen nicht ausreichten, um Belastungen für die Teilnehmer*innen zu minimieren, verzichteten die Forschenden darauf, bestimmte Fragen zu stellen oder Skalen zu verwenden, die in dem jeweiligen Befragungskontext als unangemessen wahrgenommen werden könnten. Zudem passten sie die Formulierung von Items an, um im „Wording“ (#107) möglichst sensibel auf „mögliche Vorbehalte“ (#71) der Befragten zu reagieren. Diesbezüglich gab ein Interviewter jedoch zu bedenken, dass Teilnehmer*innen in Befragungen „ein unterschiedlich ethisch sensibles Niveau haben“ und Forschende lediglich „eine Antizipation eines Durchschnittsbefragten“ (#83) vornehmen können.

Eng verbunden mit der Verwendung einer diskriminierungsfreien Sprache war die Verwendung von einfacher Sprache. Wie eine Person im Interview veranschaulichte, wirft vor allem die Verwendung von etablierten (psychologischen) Skalen ethische Fragen auf. Psychologische Skalen, die zum Standardrepertoire der Kommunikationswissenschaft gehören, würden häufig an Psychologie-Studierenden getestet und reflektierten somit deren kognitive Auffassungsgabe. Für Personen mit weniger Routine bei der Beantwortung solcher Items könne die Verwendung solcher Skalen die Teilnahme an Befragungen erschweren. Dies kann dem forschungsethischen Prinzip der Gerechtigkeit zuwiderlaufen. Würden Forschende hingegen Skalen verwenden, die den Anforderungen an einfache Sprache entsprechen, könne dies wiederum ggf. zu Einschränkungen hinsichtlich ihrer Reliabilität und Validität führen.

Eine Orientierung an dem Prinzip der Schadensvermeidung lässt sich in folgenden Ausführungen feststellen. Mehrere Interviewte berichteten, dass sie sowohl in eigenen Umfragen als auch in der Lehre darauf achteten, nur solche Fragen und Skalen in ihre Befragung aufnehmen, die zur Beantwortung ihrer Forschungsfragen nötig sind. Die Umfrageforschung sei jedoch von dem Prinzip „‚Viel hilft viel‘, lieber 30 Items als 15“ (#27) gekennzeichnet. Dies sei eine Zumutung für die Studienteilnehmer*innen, die es gemäß dem Prinzip der Schadensvermeidung zu vermeiden gelte. „Das ist Lebenszeit von anderen Menschen, die wir da haben, das ist auch eine forschungsethische Regel, dass wir die nicht über Gebühr strapazieren sollen.“ (#37). Die Gesamtqualität von Befragungen ließe sich häufig verbessern, wenn Forschende keine unnötigen Fragen stellen und kürzere Skalen verwenden. Dieses Gebot der Datensparsamkeit sei umso wichtiger, wenn personenbezogene Daten erhoben werden. Zudem berichteten mehrere Interviewte, dass sie Teilnehmer*innen in Befragungen die Möglichkeit gaben, Antworten zu verweigern, um auf diese Weise dem Prinzip der Selbstbestimmung zu entsprechen. Dies könne insbesondere bei Onlineumfragen sehr einfach durch entsprechende technische Einstellungen in der Befragungssoftware umgesetzt werden.

„Ich sag allen meinen Studierenden, wenn sie Befragungen online programmieren, die klicken immer dieses Pflichtfeld-Ding an. Also, dass die Leute jede Frage beantworten müssen, sonst geht der Fragebogen nicht weiter. Und ich sag denen immer, sie sollen das rausnehmen, weil das eine unbotmäßige Einschränkung der Autonomie der Befragten ist.“ (#42).

Allerdings können das Gebot der Datensparsamkeit und die Möglichkeit der Antwortverweigerung mit methodischen Herausforderungen einhergehen, die die Aussagekraft und Belastbarkeit der Ergebnisse einschränken. In Panelbefragungen begrenze die Forderung, möglichst wenige personenbezogene Daten zu erheben, die Möglichkeiten, weitere Variablen in den jeweiligen Wellen zu ergänzen. Dies sei ein „Riesennachteil […]. Denn der Vorteil eines Online-Panels ist ja, dass ich im Laufe der Zeit immer mehr Persönlichkeitsvariablen […] abfrage und in späteren Studien verwenden kann.“ (#86). Würde ein größerer Anteil an Befragten von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Antwort zu verweigern, führe dies zu methodischen Herausforderungen bezüglich der Datenbereinigung und Datenanalyse, die letztlich in „Ergebnisverzerrungen“ (#77) resultieren könnten.

Vor dem Hintergrund dieser methodisch-ethischen Entscheidungen sprachen sich mehrere Interviewte dafür aus, keine überzogenen forschungsethischen Forderungen an standardisierte Befragungen zu stellen, sprich „die Kirche im Dorf [zu lassen]“ (#43) und nicht zu forschungsethischer „Hypersensibilisierung“ (#83) zu neigen. Als Forschende*r müsse es weiterhin möglich sein „auch mal unangenehme Fragen stellen [zu] dürfen“ (#83). Dies könne auch bedeuten, Skalen zu verwenden, die aus forschungsethischer Sicht kritisch, für die Fragestellung aber zentral und im Forschungsgebiet etabliert sind – vorausgesetzt, den Studienteilnehmer*innen wird die Möglichkeit gewährt, ihre Antwort zu verweigern.

4.2 Verwendung von Stimulusmaterial

Ein weiteres Themengebiet, auf dem die Interviewten forschungsethische Herausforderungen in der Umfrageforschung wahrnahmen, war die Verwendung von Stimulusmaterial, insbesondere im Rahmen von Experimentaldesigns. Zahlreiche Interviewte erachteten Experimentaldesigns als forschungsethisch herausfordernder als nicht-experimentelle Befragungen, da die Studienteilnehmer*innen mit Stimulusmaterial konfrontiert werden „das sie selbst nicht aufsuchen würden […], das sie vielleicht nicht mögen, das sie verstören könnte“ (#77). Somit sei es bei Forced-Exposure-Experimentaldesigns grundsätzlich möglich, dass die Teilnehmer*innen Inhalten ausgesetzt werden, denen sie sich im Alltag nicht freiwillig zuwenden würden und die sie belasten könnten – sprich, die negative Wirkungen haben könnten und damit dem Prinzip der Schadensvermeidung widersprechen.

„Also platt gesagt, wenn Leute sich Pornos selber reinziehen und ich korrelativ auswerte, was damit zusammenhängt, dann habe ich damit ethisch erst einmal wenig Probleme. Das ist was ganz anderes, wenn ich den Leuten einen Sexfilm zeige, um die Wirkung zu untersuchen, da hängt sicherlich viel dran.“ (#42).

Auf Basis des Forschungsstandes ließe sich für bestimmte Forschungsfelder jedoch annehmen, dass mögliche negative Wirkungen nur von kurzfristiger Dauer seien, da „Wear-Out-Effects […] relativ schnell eintreten“ (#81). Dies gelte insbesondere für medienpsychologische Studien, die z. B. Unterhaltungserleben oder Well-Being erforschen. Dennoch seien je nach Thema der Studie auch „drastischere Folgen“ (#107) möglich, wie sexuelle Irritationen, Angst, Aggression, das Schüren von Rassismus oder das Verstärken von Fake News. Auch wenn Forschende begründet annehmen könnten, dass die Zuwendung zum Stimulusmaterial keine nachhaltige Belastung für die Teilnehmer*innen darstelle, ließe sich dies im Einzelfall nicht ausschließen. Dies führe zu einem grundlegenden Dilemma bei der Verwendung von möglicherweise irritierendem Stimulusmaterial in der Umfrageforschung: „Und das ist […] immer der Konflikt: Was ist methodisch notwendig […], was [ist] sozusagen minimal, damit das Experiment funktioniert und was ist auf der ethischen Seite aber vertretbar.“ (#60).

Um diesem Dilemma zu begegnen und Schaden von den Studienteilnehmer*innen abzuwenden, berichteten zahlreiche Interviewte, dass sie ethisch unbedenkliche Stimuli verwendeten. Dies ließe sich in vielen Fällen realisieren, indem die „Dosierung“ (#12) des Stimulus angepasst wurde. Oft sei es nicht notwendig, das „extremste Material [zu] nehmen, [sondern] entschärftes Material“ (#9). Zudem orientierten sich mehrere Interviewte an Medieninhalten, denen Nutzende auch in ihrem Alltag begegnen könnten.

„Die [Varianten im Stimulus] sind in unseren Fällen häufig Varianten, die genau so in der Realität da draußen auch irgendwie vorkommen könnten. In dem Sinne, ich sage mal auch keinem wehtun irgendwie […], wo die Argumentqualität mal variiert wird, wo in einem Fall vielleicht noch ein emotionaler Faktor […] mit eingeklemmt wird, in der anderen Variante nicht.“ (#84).

Ein weiterer Lösungsansatz, um Schaden zu vermeiden, sei es, „prävalidierte Stimuli“ (#68) zu verwenden, bei denen aus der Forschungshistorie bekannt ist, dass sie das Wohlbefinden der Studienteilnehmer*innen nur geringfügig und vorübergehend beeinflussen. Zudem diskutierten einzelne Forschende im Rahmen des Pretests ethische Aspekte des Stimulusmaterials mit den Teilnehmer*innen, um mögliche negative Wirkungen besser einschätzen und es auf dieser Basis anpassen zu können. Außerdem achteten die Interviewten darauf, gerecht zu handeln, indem sie keine Stereotype reproduzierten und eine mögliche Diskriminierung von Personengruppen vermieden. So würden sie beispielsweise „einen Beitrag zur Jugendkriminalität nicht mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund […] visualisieren. Einfach, weil ich glaube, das muss an der Stelle nicht sein.“ (#28). Die Verwendung von ethisch unbedenklichen Stimuli würde zunehmend auch von kooperierenden Marktforschungsinstituten gefordert werden, wurde berichtet. In einzelnen Fällen war es jedoch aufgrund des Forschungsinteresses nötig, drastischere Stimuli zu verwenden. Um den Teilnehmer*innen damit möglichst wenig bzw. gar nicht zu schaden, informierten die interviewten Forschenden sie vor Beginn der Befragung angemessen über die im Rahmen der Studie gezeigten Inhalte, gaben ihnen jederzeit die Möglichkeit zum Abbruch der Studie und klärten sie im Anschluss an die Studie nachhaltig auf (siehe auch Abschn. 4.4). Damit wurde zugleich dem Prinzip der Selbstbestimmung entsprochen.

Eng verbunden mit der Intensität des verwendeten Stimulusmaterials waren dessen Ursprünge. Hier unterschieden die Interviewten zwischen real-existierenden Stimuli, z. B. Inhalten aus Filmen, Fernsehserien, Internetseiten oder Social-Media-Plattformen und selbst erstelltem Material. Nutzten Forschende real-existierendes Material im Rahmen ihrer Befragungen, trafen sie unterschiedliche Vorkehrungen, um dessen ethische Unbedenklichkeit zu gewährleisten und eine mögliche Schädigung der Teilnehmer*innen abzuwenden. Beispielsweise verwendeten sie Material aus weit verbreiteten Kanälen, wie Nachrichtenwebsites, denen die Studienteilnehmer*innen „mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwo ausgesetzt [sind].“ (#77). Zudem setzten sie Stimulusmaterial ein, das medienrechtlich zulässig war und die Vorgaben der jeweiligen Kontrollinstanz, wie der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, erfüllte. Einzelne Forschende berichteten hingegen, dass sie kein Material aus dem Internet, wie Fotos von Personen, Memes oder Nutzendenkommentare, verwenden, sondern ihre Stimuli selbst erstellten. Zum einen könne nicht vorausgesetzt werden, dass Internetnutzende der Verwendung ihrer digitalen Daten zugestimmt hätten, d. h. eine informierte Einwilligung angenommen werden könne. Zum anderen sei die Verwendung von real existierendem Internetmaterial häufig mit Fragen des Urheberrechts verbunden.

Neben der sorgfältigen Planung und Auswahl des Materials achteten mehrere Interviewte grundsätzlich darauf, keine Studien zu heiklen Themen, wie Diskriminierung, Gewalt, Impfungen oder Fake News stimulusbasiert durchzuführen, da bei experimentellen Befragungen zu heiklen Themen auch geringere Wirkungen Schäden bei den Studienteilnehmer*innen verursachen könnten. Daher überprüften sie ihre angenommenen Effekte nur mit „irrelevanteren Themen“ (#43). In den Fällen, in denen heikle Themenfelder originäres Forschungsinteresse der Interviewten waren, verwendeten sie einen vergleichsweise banalen Anwendungsfall. Beispielsweise nutzten sie fiktive Szenarien oder Ereignisse, die nicht handlungsrelevant im Alltag der Studienteilnehmer*innen waren.

„Was klar war ist, wir nehmen Fake News, die sozusagen wenig Angst auslösen, wenig Ärger bereiten. Also es war direkt klar, wir machen nichts mit ‚Flüchtlinge machen irgendwas‘ oder […] ‚Irgendeine Krankheit grassiert‘ oder so, sondern wir haben uns dann […] entschieden für ‚Schokolade wird teurer‘ oder […] ‚Irgendeine Art von Schokolade gibt es nicht mehr‘, also wirklich sehr harmlose Sachen.“ (#60).

Die dargestellten forschungsethischen Vorkehrungen bei der Verwendung von Stimulusmaterial können sich durchaus nachteilig auf die methodische Güte der Studie und deren Reichweite auswirken. Mehrere Interviewte wiesen in diesem Kontext darauf hin, dass die Verwendung von abgeschwächten Stimuli dazu führen könne, dass sie kaum Wirkungen erzeugen und damit unklar ist, ob der zu prüfende Effekt tatsächlich nicht existiert oder ob lediglich der Stimulus zu wenig gewirkt habe. Zudem gaben einige Interviewte zu bedenken, dass die Ausklammerung von heiklen Themen in empirischen Studien dazu führen könne, dass bestimmte Problemfelder nicht mehr erforscht werden. Aus unserer Sicht kann dies langfristig nicht nur der Disziplin schaden, sondern auch der Gesellschaft, die auf evidenzbasiertes Wissen zu kontroversen Themen angewiesen ist. Daher rieten einzelne Interviewte dazu, sich mit ethischen Bedenken bei der Planung und Auswahl des Stimulusmaterials „bescheiden zurückzuhalten“ (#83).

4.3 Täuschung in Experimentaldesigns

Ähnlich wie die Verwendung von Stimulusmaterial ist auch die Täuschung der Studienteilnehmer*innen häufig ein inhärenter Bestandteil experimentell angelegter Befragungsstudien. Die große Mehrheit der Interviewten war sich darin einig, dass Täuschungen in Experimentaldesigns aus methodischer Sicht häufig nötig seien, d. h. dass es Forschungsfragen gäbe, bei denen den Teilnehmer*innen nicht der wahre Zweck der Studie mitgeteilt werden kann oder die gezeigten Inhalte manipuliert werden müssen. „Das muss man manchmal machen, sonst kann man das Experiment gleich vergessen.“ (#12). Hierdurch werden experimentelle Befragungsstudien forschungsethisch herausfordernder als nicht-experimentelle Befragungen, da das Vorgehen dem Prinzip der Schadensvermeidung zuwiderläuft. Die Frage, „was ist methodisch notwendig, muss ich täuschen, muss ich manipulieren? […sei] die Gretchenfrage und der Standardkonflikt in der Experimentalforschung“ (#60).

Um diesen Konflikt zu lösen und Schaden zu vermeiden, wendeten mehrere Interviewte eine abgeschwächte Form der Täuschung an. Denn Täuschung sei eine „graduelle Entscheidung“ (#64), bei der es „Abstufungen“ (#12) gäbe. In der Regel müsse man „viel weniger täuschen, betrügen und so weiter, als wir immer denken“ (#27). Beispielsweise verzichteten einzelne Forschende darauf, negative Stimmungen der Studienteilnehmer*innen über manipulierte Misserfolgserlebnisse zu induzieren und nutzten stattdessen mediale Stimuli.

Darüber hinaus erachtete die große Mehrheit der Interviewten ein ausführliches Debriefing als etablierten Standard in der experimentellen Umfrageforschung, um den durch die Täuschung entstandenen Schaden zu kompensieren. Da weite Teile der Bevölkerung großes Vertrauen in Wissenschaftler*innen hätten, könnten Falschinformationen, die im Rahmen einer experimentellen Befragungsstudie präsentiert wurden, „möglicherweise noch verschärft [wirken] aufgrund der Tatsache ‚Das habe ich doch an der Uni gesehen, das wird dann doch stimmen‘.“ (#71). Die Notwendigkeit, Studienteilnehmer*innen im Anschluss an die Befragung ausführlich und sorgfältig zu debriefen, sei bei kontroversen oder heiklen Themen, wie Hate-Speech, Fake News, Rassismus oder Extremismus, umso wichtiger. Hier sei es nicht nur das Ziel, Teilnehmer*innen nachträglich aufzuklären, sondern idealerweise „negative Wirkungen auch zurück[zu]nehmen“ (#9). Um dies zu erreichen, präsentierten einzelne Interviewte den Studienteilnehmer*innen im Anschluss an die Studie das Original-Stimulusmaterial und zeigten auf, in welcher Form sie es manipuliert hatten. Da der mögliche Schaden bei heiklen Themen schwerwiegender sei als bei unkontroversen Themen, verzichteten einzelne Interviewte bei heiklen Themen gänzlich auf Täuschung. Andere erachteten den wissenschaftlichen Mehrwert und den gesellschaftlichen Nutzen dieser Vorgehensweise größer als den möglichen Schaden eines unzureichenden Debriefings.

Im Zusammenhang mit Debriefing wiesen die Interviewten insbesondere auf zwei methodische Herausforderungen hin: Erstens könne in Onlinebefragungen weniger gut sichergestellt werden, dass die Teilnehmer*innen das Debriefing erreiche und sie es sich auch wirklich durchlesen. Um sicherzustellen, dass möglichst alle Teilnehmer*innen über den wahren Zweck der Studie aufgeklärt werden und die korrekten Informationen erhalten, gaben mehrere Interviewte an, das Debriefing einige Wochen nach Abschluss der Studie zu wiederholen und hierfür unterschiedliche Kommunikationskanäle zu nutzen (wie Webseite oder E‑Mail). Trotzdem könne in Onlinebefragungen nicht ausgeschlossen werden, dass Teilnehmer*innen das Browser-Fenster mit dem Debriefing direkt wegklicken oder vorzeitig schließen. Entsprechende technische Lösungen würden bisher noch fehlen.

„Was ist denn, wenn einer vor dem Debriefing den Browser zuknallt? Also ich bin da echt ein bisschen ratlos. Was macht man an so einer Stelle? Früher hätte man ein Pop-Up programmiert, dass wäre kein Problem, das hätte dann das Debriefing noch nachgeliefert. Aber mittlerweile haben [sie] einen Pop-Up-Blocker im Browser und weg sind sie.“ (#64)

Noch deutlicher zeigt sich das Problem bei Online-Feldexperimenten, beispielsweise auf Social-Media-Plattformen. Hier, so einige der Befragten, sei ein nachhaltiges Debriefing aufgrund der fehlenden Kontrolle des Feldes oft nicht zu realisieren. Daher entschieden sich einzelne Interviewte in diesem Kontext gegen ein solches Vorgehen und nutzten ein Labor-Setting, um etwaige Fragen vor Beginn der Studie sowie im Anschluss unmittelbar vor Ort klären zu können.

Ein weiteres Problem stellt sich in Panelbefragungen, wo das Debriefing erst am Ende der letzten Welle platziert werden kann. Nicht alle Personen würden jedoch bis zur letzten Befragung teilnehmen. Die Panelmortalität trüge dazu bei, dass das Debriefing einen nicht unwesentlichen Anteil an Befragten nicht erreicht. Würde man stattdessen das Debriefing nach jeder Welle präsentieren, hätte dies „natürlich wieder einen Effekt auf das Design“ (#25). Aufgrund der Komplexität dieser methodisch-ethischen Überlegungen bei Täuschungen in Experimentalstudien stellten einzelne Interviewte in Frage, ob ein Debriefing „dann überhaupt am Ende [hilft]“ (#107). Stattdessen sei es „vielfach ein Feigenblatt mit dem wir halt dann den ethischen Regularien genüge getan haben“ (#47).

4.4 Freiwilligkeit und Anonymität in Befragungen

Der vierte Bereich, in dem die Interviewten häufig ethisch-methodische Abwägungen vornahmen, war Freiwilligkeit und Anonymität in Befragungen. Diese forschungsethischen Anforderungen, die das Prinzip der Selbstbestimmung adressieren, ließen sich nach Ansicht vieler Interviewter vergleichsweise gut in standardisierten Befragungen umsetzen. Im Rahmen der informierten Einwilligung klärten sie die Befragten über den Zweck der Studie auf, sicherten ihnen Anonymität zu, erbaten ihre Zustimmung zur Verwendung der Daten und informierten sie über ihr Widerrufsrecht. Einzelne Interviewte wiesen darauf hin, dass bei anonymen Umfragen volljähriger Personen zu unkontroversen Themen keine ausführliche Einwilligungserklärung erforderlich sei. Demgegenüber bestand Einigkeit darüber, dass besondere Sorgfalt bei der Einwilligungserklärung nötig sei, wenn Minderjährige befragt werden. Wahrgenommene Herausforderungen im Zusammenhang mit der informierten Einwilligung bezogen sich erstens auf die Forschung im Internet, bei der die informierte Einwilligung nicht-beteiligter Dritter (wie anderer Personen, die auf Fotos abgebildet oder in Kommentaren erwähnt bzw. verlinkt sind) weder eingeholt noch vorausgesetzt werden kann. Zweitens sei die langfristige Aufbewahrung und Wiederverwendung von Paneldaten häufig nicht Bestandteil von Einwilligungserklärungen und würde nicht explizit erfragt werden. Drittens würden die wenigsten Studienteilnehmer*innen ausführliche Einwilligungserklärungen in Gänze lesen. Die große Mehrheit der Teilnehmer*innen könne vermutlich auch auf Basis von weniger Informationen einschätzen, ob sie an der Studie teilnehmen möchten oder nicht. Um aber auch den „Superkritiker[n]“ (#109) gerecht zu werden, benötige man ausführliche Einwilligungserklärungen, die möglicherweise abschreckend wären. Einzelne Interviewte äußerten daher die Befürchtung, dass ausführliche Einwilligungserklärungen negative Auswirkungen auf die Teilnahmequote hätten. Denn

„in dem Moment, wo ich Personen extra darauf hinweise, was alles mit ihren Daten nicht gemacht wird und wie sie geschützt sind, dann kann man ja sagen, weckt man quasi sozusagen schlafende Hunde. Und die Leute werden gerade erst misstrauisch, wenn sie hören, was wir für Vorkehrungen alles treffen, […] um sie nicht zu schädigen.“ (#83).

Eng hiermit verbunden war die Sicherstellung des Datenschutzes. In Deutschland legt die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) den rechtlichen Rahmen fest, der auch bei wissenschaftlichen Studien beachtet werden muss. Diese rechtlichen Vorgaben wurden von einzelnen Interviewten als sehr komplex wahrgenommen.

„Aber Datenschutz ist natürlich so ein Bereich, wo man so als empirisch arbeitender Wissenschaftler, gerade wenn man es mit vielen Befragungsdaten zu tun hat, wirklich oft gar nicht mehr wissen will, wie eigentlich die Anforderungen sind, weil man, wenn man dann mal ins Detail geht, eigentlich alles unglaublich schwierig ist.“ (#86).

Daher erachteten es mehrere Interviewte als Vorteil, ihre Befragungen von einem zertifizierten Marktforschungsinstitut durchführen zu lassen, da hierdurch sichergestellt sei, dass alle datenschutzrechtlichen Anforderungen erfüllt und das Prinzip der Selbstbestimmung umgesetzt sei. Insbesondere die Zielgruppe der Journalist*innen habe eine hohe Sensibilität für Datenschutz, weshalb es bei Befragungen mit Journalist*innen wichtig sei, möglichst transparent über die Studie zu informieren und „die berechtigten Ängste und Sorgen der Befragten […] ernst [zu nehmen].“ (#31). In der international vergleichenden Umfrageforschung seien zudem die jeweiligen nationalen Bestimmungen zu berücksichtigen. Um diese umzusetzen, sei ein hoher technischer Standard bei der Speicherung der Daten und dem Zugriff nötig, insbesondere wenn es sich um sensible Informationen handelt. Beispielsweise wurden die erhobenen Daten in einem international vergleichenden Forschungsprojekt nur lokal gespeichert. Wollte ein*e Kooperationspartner*in auf die Daten zugreifen, wurde die Datenverbindung für eine kurze Zeit geöffnet, so dass die Daten heruntergeladen werden konnten und anschließend gleich wieder geschlossen.

Darüber hinaus achteten die Interviewten auf eine konsequente Anonymisierung der Daten, um Schaden von den Teilnehmer*innen abzuwenden und dem Prinzip der Selbstbestimmung gerecht zu werden. Hierfür gäbe es in der standardisierten Umfrageforschung ein etabliertes Repertoire an Vorkehrungen. Dies umfasse z. B. die anonyme Erhebung, der weitgehende Verzicht auf die Erfassung von personenbezogenen Daten, die anonyme Bereitstellung von Datensätzen für die Sekundärauswertung und der Einsatz von Datenmanagement-Plänen. Ziel sei es, eine nachträgliche Re-Identifikation der Befragten zu verhindern. Daher speicherten einzelne Interviewte bei spezifischen Zielgruppen, wie Befragungen von Journalist*innen oder Mitarbeiter*innen eines Unternehmens, Individualdaten und Daten der Organisation separat voneinander und verzichteten darauf, diese miteinander zu kombinieren. Dies könne jedoch die Aussagekraft der Ergebnisse einschränken. „Wenn […] wir das durchziehen müssen für alle beteiligten Länder, dann haben wir natürlich einen erheblichen Nachteil, was die Auswertungsmöglichkeiten angeht und können bestimmte Forschungsziele jetzt nicht mehr erreichen.“ (#31). Zudem gelte es zu bedenken, dass im Zuge der Open Science-Bewegung zukünftig unterschiedliche Interessengruppen Zugriff auf die Daten haben könnten. Da die technischen Möglichkeiten bereits weit fortgeschritten seien, könne eine nachträgliche De-Anonymisierung von offen verfügbaren Befragungsdaten nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Daher gelte es abzuwägen, welche Daten im Einzelfall erhoben werden müssen. Dies stelle Forschende vor „ein echtes Dilemma. […] Ich möchte mir natürlich bestimmte Fragen nicht verbieten lassen, weil das sind ja meistens gerade die spannenden, die man dort stellen möchte, die man dann nicht stellen könnte, weil möglicherweise jemand hergeht und die Menschen de-anonymisiert.“ (#64).

4.5 Befragung von vulnerablen Zielgruppen

Die bisher dargestellten ethisch-methodischen Herausforderungen werden umso bedeutsamer, wenn vulnerable Zielgruppen befragt werden. Der Begriff „vulnerable Zielgruppen“ wird in der Forschung häufig gleichgesetzt mit gefährdet, marginalisiert oder stigmatisiert (vgl. Clark 2017, S. 1). Im Rahmen unserer Studie berichteten die Interviewten von ethisch-methodischen Herausforderungen bei der Befragung von Kindern, Menschen mit Behinderungen, Patient*innen, Geflüchteten, Opfern sexueller Gewalt und Journalist*innen aus Krisengebieten und stellten insbesondere die Verantwortung heraus, die sie als Forschende gegenüber dieser Gruppe von Befragten trugen. Die Forschung mit vulnerablen Personengruppen sei wichtig, um ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen und ihnen Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen zu ermöglichen. Dies kann dem forschungsethischen Prinzip der Gerechtigkeit dienen.

„Wenn wir politische, gesellschaftliche Entscheidungen über unser soziales Zusammenleben auf der Basis von Umfragen fällen […] dann kann es nicht sein, dass wir riesige Teile einfach ausschließen. Dass wir sagen ‚Ist völlig in Ordnung, die gar nicht zu befragen.‘, es gar nicht zu versuchen. Das kann doch auf Dauer nicht sein.“ (#27).

Häufig seien standardisierte Befragungen von vulnerablen Zielgruppen mit einem hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden und werden daher insbesondere im Rahmen von Drittmittelprojekten oder öffentlicher Auftragsforschung realisiert; hier erleichtere die Kooperation mit einem kommerziellen Marktforschungsinstitut die Beachtung der Anforderungen.

5 Diskussion

Wenn Wissenschaftler*innen empirisch arbeiten, treffen sie während des gesamten Forschungsprozesses Entscheidungen. Kriterien der methodischen Güte sind dabei eine zentrale Grundlage der Abwägung; als weiterer Aspekt wissenschaftlicher Qualität treten, wie oben ausgeführt, forschungsethische Prinzipien hinzu. Methodische und forschungsethische Kriterien können dabei Hand in Hand gehen oder sich wechselseitig optimieren, manchmal können sie aber auch im Konflikt zueinander stehen. Der vorliegende Beitrag hat diese Abwägung zum Gegenstand einer qualitativen Studie (n = 29) gemacht und ist der Frage nachgegangen, welche forschungsethischen Herausforderungen empirisch forschende Kommunikationswissenschaftler*innen in standardisierten Befragungsstudien wahrnehmen und wie sie im Einzelfall mit diesen umgehen. Mit dieser Studie liegen somit für die deutschsprachige KMW erstmals empirische Erkenntnisse zu der Frage vor, in welcher Form forschungsethische Überlegungen in methodische Entscheidungsprozesse implementiert sind, welche konkreten Lösungsansätze bereits praktiziert werden und auf welchen Prinzipien diese Vorgehensweisen gründen. Die Studie erweitert damit die Frage der Relevanzzuschreibung forschungsethischen Handelns um die Reflexion herausfordernder Erfahrungen und kritischer Entscheidungen im konkreten Einzelfall. Der Fokus dieses Beitrags lag entsprechend auf der Frage, wie Forschende auf individueller Ebene Entscheidungen treffen, wie sie diese begründen und wie sie in konkreten Einzelfällen handeln. Wir haben damit die Mikroebene forschungsethischer Entscheidungen näher betrachtet. Andere Bezugsebenen, etwa institutionelle (Mesoebene) oder rechtliche Rahmenbedingungen (Makroebene) wurden nur einbezogen, wenn sie in den Ausführungen der Befragten explizit eine Rolle spielten. Dies war insbesondere im Kontext datenschutzrechtlicher Überlegungen der Fall, die als justiziable Rahmenbedingung nach unserem Verständnis nur implizit Gegenstand forschungsethischer Entscheidungen sind, diese aber in hohem Maße beeinflussen, da auch sie gewisse Spielräume bzw. Auslegungsmöglichkeiten bieten.

Anhand der Interviews ließen sich fünf Themenfelder identifizieren, die im Kontext standardisierter Befragungen als forschungsethisch besonders herausfordernd wahrgenommen wurden: Formulierung des Fragebogens, Verwendung von Stimulusmaterial, Täuschung in Experimentaldesigns, Freiwilligkeit und Anonymität in Befragungen und Befragung von vulnerablen Zielgruppen. Die geschilderten ethisch-methodischen Einzelfallentscheidungen zeigen, dass die Interviewten bei standardisierten Befragungen die skizzierten methodischen und ethischen Anforderungen in weiten Teilen gut miteinander verbinden und sich die Entscheidungsprozesse mit Rückbezug auf die drei handlungsleitenden Prinzipien Selbstbestimmung, Schadensvermeidung und Gerechtigkeit (vgl. Beauchamp und Childress 2013; siehe auch McKee und Porter 2009) einordnen lassen. Dies spricht für eine große Professionalität der befragten Forschenden und vor allem für deren umfassende praktische Erfahrung.

Der grundlegende Befund, dass die interviewten Kommunikationswissenschaftler*innen durch ihre Erfahrung für die skizzierten Spannungsfelder sensibilisiert sind, ist beruhigend. Allerdings müssen bei dieser Einschätzung mindestens zwei limitierende Aspekte bedacht werden. Erstens liegt eine selbstselektierte und leicht verzerrte Stichprobe vor, die z. B. im Bereich der Geschlechterverteilung nicht das Fach repräsentiert (vgl. Boczek und Rothenberger 2024). Zudem ist der Anteil der Professor*innen besonders hoch, vermutlich begründet durch die in dieser Gruppe der hoch qualifizierten Personen stärker ausgeprägte Bereitschaft, im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Thema Forschungsethik Auskunft zu geben. Zweitens birgt eben dieses Setting – Kolleginnen interviewen Kolleg*innen, auch vor dem Hintergrund einer größeren gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gegenüber forschungsethischen Fragen – die Gefahr interaktiv-performativen Handelns i. S. einer in situ konstituierten Selbstpositionierung (vgl. Deppermann 2013). Wir haben zudem für diesen Beitrag ausschließlich Antworten im Zusammenhang mit standardisierten Befragungen analysiert. Daneben haben viele der Interviewten aber auch ihre Erfahrungen mit qualitativen Forschungsdesigns eingebracht. Sie verwiesen in diesem Kontext darauf, dass es in ihren Augen oftmals noch herausfordernder sei, forschungsethisch angemessen vorzugehen, da diese Studiendesigns einen tieferen und weitreichenden Einblick in die jeweiligen Lebenswelten ermöglichen und potenzielle Schädigungen noch schwieriger abzuschätzen seien. Zudem erforderten qualitative Forschungsdesigns einen erheblichen Aufwand in Bezug auf die anonymisierte Speicherung und Analyse der Daten. Diese Aspekte sind in diesem Beitrag nicht näher herausgearbeitet worden, sie böten aber die Möglichkeit einer zusätzlichen Analyse.

Diese Einschränkungen berücksichtigend, zeigen die Ergebnisse dennoch, dass die interviewten, empirisch forschenden KMWler*innen grundsätzlich bereit sind, ihre methodischen Settings an forschungsethischen Anforderungen auszurichten. Ob in Dilemmasituationen die methodische gegenüber der forschungsethischen Güte bevorzugt wird oder nicht, ist dabei vom konkreten Forschungsprojekt abhängig. Einzelne Interviewte zeigten sich jedoch auch besorgt, dass (überzogene) forschungsethische Forderungen, wie z. B. ausufernde Einwilligungsprozeduren, standardisierte Befragungen zukünftig erschweren könnten. Empirische Erkenntnisse legen allerdings nah, dass diese Sorge unbegründet ist: So schrecken ausführliche Einwilligungserklärungen Teilnehmer*innen nicht grundsätzlich ab (vgl. Walzenbach et al. 2023), wenngleich spezifische Informationen (z. B. zum Teilen von Daten) durchaus das Antwortverhalten beeinflussen können (vgl. Connors et al. 2019). Weiterhin äußerten die Interviewten Bedenken, dass die wissenschaftliche Untersuchung spezifischer Themenfelder oder der Einsatz bestimmter Methoden möglicherweise zukünftig aufgrund forschungsethischer Bedenken gänzlich unterlassen werden könnte. Sie sprachen sich gegen diese Form der Selbstzensur aus und plädierten dafür, im Zweifel solche Studien durchzuführen, aber Sorge zu tragen, dass die Freiwilligkeit der Teilnahme durchgehend gewahrt wird und dass potenzielle Schäden, etwa durch belastende Themen oder Stimuli, im Vorfeld berücksichtigt und entsprechend begleitet werden. An dieser Stelle sei deutlich gesagt: Die Berücksichtigung forschungsethischer Kriterien führt nach unserer Auffassung insgesamt zur Verbesserung der wissenschaftlichen Qualität einer Studie. Möglicherweise überzogene Ansprüche an Forschungsethik dürfen nicht dazu führen, dass empirische Forschung grundsätzlich unterbunden wird. Allerdings plädieren wir dafür, forschungsethische Reflexionsprozesse – ebenso wie methodische Überlegungen – von Anfang an systematisch in die Studienplanung zu integrieren. Die Interviewten haben vielfältige, konkrete Anregungen geliefert, wie auch zukünftig sensible Themenfelder unter Berücksichtigung forschungsethischer Aspekte beforscht werden können. Es ist uns wichtig zu betonen, dass im forschungspraktischen Alltag ein Abwägungs- und Reflexionsprozess über zu treffende methodische Entscheidungen auf der Basis handlungsleitender Prinzipien fest implementiert sein sollte. Damit ist aber explizit nicht gemeint, dass sich die KMW aus einer falsch verstandenen Vorsicht heraus forschungsethisch komplexeren Fragen und Themen verschließt und damit ihren Beitrag bei der wissenschaftlichen Erforschung zentraler gesellschaftlicher Probleme nicht (mehr) leisten kann.

Die Interviews ermöglichten einen Einblick in individuelle Entscheidungsprozesse und zeigten neben dem Problembewusstsein der Interviewten auch das Ringen um das Vereinbaren von methodischer und forschungsethischer Güte zugunsten wissenschaftlicher Qualität. Insgesamt lassen sich aus der Fülle der in den Interviews geschilderten Einzelfällen Anregungen für ethisch-methodisch reflektierte Entscheidungen in empirischen Studien unterschiedlicher Designs und Methodiken entnehmen, die für andere Wissenschaftler*innen hilfreich sein können. Da sie jeweils das Ergebnis individueller Abwägungsprozesse in konkreten Forschungsanlagen sind, muss ihre jeweilige Sinnhaftigkeit immer auch im Kontext eines entsprechenden Anwendungsfalls beurteilt werden. Um die Ergebnisse als Reflexionsbasis für das Fach besser nutzen zu können, haben wir sie in einer Handreichung zur forschungsethischen Selbstreflexion zusammengefasstFootnote 2 sowie konkrete Empfehlungen zur Gestaltung von Einwilligungsprozeduren formuliertFootnote 3 (siehe auch Davies 2022; Davies et al. 2023; Hallinan et al. 2023). In Form von praxisorientierten Leitfragen zeigt die Handreichung Dilemmata und Lösungsansätze auf, die im Laufe des standardisierten empirischen Forschungsprozesses relevant werden können. Hier finden sich unter anderem Beispiele für sensible Forschungsthemen, bei denen in allen Phasen des Forschungsprozesses eine sorgfältige Schaden-Nutzen-Abwägung vorgenommen werden sollte und ggf. die Sichtweise der Betroffenen noch stärker beachtet werden muss sowie Beispiele, wie sich das Freiwilligkeitsprinzip in Online-Umfragen von Forschenden umsetzen lässt. Im Rahmen einer Vorlage für die informierte Einwilligung stellen wir Textbausteine bereit, die am Anfang eines Online-Fragebogens integriert werden können, um forschungsethischen, aber auch datenschutzrechtlichen Anforderungen zu entsprechen. Diese Handreichungen können empirisch forschende Kommunikationswissenschaftler*innen dabei unterstützen, forschungsethische Fragen in der Umfrageforschung reflektiert entscheiden zu können.