1 Agenda-Cutting: die vernachlässigte Stiefschwester des Agenda-Setting

Eines der meistbeforschten Theoreme der Medienwirkungsforschung und generell der Kommunikationswissenschaft ist das Agenda-Setting, das sich im Kern mit den Zusammenhängen von Themen-Salienzen in den Agenden der Medien und des Publikums befasst (Maurer 2017). Die umgekehrte Frage wurde bislang wenig exploriert: Welche Auswirkungen hat es für die Öffentlichkeit, wenn Medien ihrer Aufgabe, relevante Themen in angemessener Art und Weise aufzuarbeiten und publik zu machen, nicht nachkommen – und welche Gründe kann das haben? Für diesen Fall, dass Medien ihre Aufgabe als Agenda-Setter verfehlen, hat sich der Begriff Agenda-Cutting etabliert. Erstmals erwähnt in Wober und Gunter (1988), kann das Phänomen folgendermaßen definiert werden: „(…) agenda cutting occurs when forces from both outside and within the media attempt to keep an issue, topic, or story off the media agenda; to remove it once it is on the agenda; or to bury it by placing it low on the news agenda, such as by giving it nonprominent placement within a newscast or little news space“ (Colistra 2018, S. 1793). Die drei hier enthaltenen Phänomene wurden von Buchmeier (2020, S. 2012) zu „(1) issue omission (keep an issue off the agenda), (2) issue diminution (place an issue low on the agenda), and (3) issue removal (remove an ongoing issue from the agenda)“ zugespitzt.

Agenda-Cutting ist bislang wenig wissenschaftlich bearbeitet, aus mindestens zwei Gründen: Erstens sieht sich Forschung zu diesem Phänomen einem „epistemischen Dilemma“ gegenüber – „How can one empirically study the absence of content?“ (Buchmeier 2020, S. 2008) – und zweitens ist sie zwangsläufig normativ aufgeladen und muss sich dagegen wappnen, für subjektive Setzungen und Spekulationen kritisiert zu werden: Schließlich müssen die Forschenden darlegen, dass die Relevanz eines angeblich vernachlässigten Themas höher ist als in den Medien dargestellt und dass die Gründe für die Vernachlässigung andere sind als reguläre professionelle Selektionsentscheidungen in den Redaktionen. Denn das Aussortieren bzw. Nicht-Publizieren von Themen wegen fehlenden Nachrichtenwertes gilt, zumindest bei Buchmeier (2020, S. 2015), nicht als Agenda-Cutting.

Agenda-Cutting kann auf verschiedene Ursachen zurückgehen: auf mangelnde Ressourcen innerhalb der Redaktion, auf die Annahme eines fehlenden Publikumsinteresses, auf Selbstzensur aufgrund von gesellschaftlichen Tabus oder Meinungsklimata, auf den Einfluss von Medieneigentümer:innen oder Werbekund:innen sowie auf Aktivitäten aus den Bereichen PR und Strategische Kommunikation (Haarkötter 2023, S. 34–40, 2016, S. 371–372; Haarkötter und Kalmuk 2023, S. 135–138; Buchmeier 2020, S. 2016–2018; Colistra 2018, S. 1794–1796; Krüger 2023, S. 289–296; Pöttker 2014). Vor allem PR-Akteur:innen dürften häufig ein Interesse daran haben, die Medien-Agenda zu beschneiden, besteht doch ihre Hauptaufgabe darin, der Öffentlichkeit ein positives Bild der eigenen bzw. beauftragenden Organisation zu vermitteln – und um dieses Ziel zu erreichen, können sie entweder Positives über die Organisation nach vorn stellen oder Negatives von der Öffentlichkeit fernhalten: „Public Relations-Systeme können versuchen, (…) durch das Setzen eigener Themen die Interessen zu legitimieren oder aber – dies trifft meist für angegriffene Systeme zu – durch die Dethematisierung ein möglicherweise delegitimierendes Thema nicht eskalieren zu lassen.“ (Hoffjann 2007, S. 208) Genau ein solcher mutmaßlicher Versuch der Dethematisierung durch strategisches Klageverhalten im Sinne des Reputations- bzw. Krisenmanagements der Hohenzollern-Familie als „angegriffenes System“ wird in der vorliegenden Fallstudie behandelt.

Auch wenn der Begriff Agenda-Cutting „offensichtlich“ eine Ableitung von Agenda-Setting ist (Haarkötter 2023, S. 19), ist die Verwandtschaft der Konzepte doch eher entfernt und am ehesten als stiefschwesterlich zu charakterisieren: Im Kern ist Agenda-Cutting nicht den Medienwirkungstheorien zuzuordnen, sondern dem Gatekeeping-Ansatz, der „nach den Gründen der Auswahl und der Präsentation von Themen, Ereignissen und Ereignisaspekten an verschiedenen Stufen des Informationsflusses fragt“ (Engelmann 2016, S. 11). Im vielzitierten „Hierarchy-of-Influences“-Modell von Shoemaker und Reese (2014, S. 7–15) mit seinen fünf Einfluss-Ebenen wären strategische Klagen der Hohenzollern auf der Ebene der „Social Institutions“ einzuordnen, wo der Einfluss von Öffentlichkeitsarbeit und Interessengruppen auf journalistisches Handeln konzeptualisiert ist. In einem anderen heuristischen Modell zur Erklärung von Einflüssen auf redaktionelles Handeln, dem „Propagandamodell“ von Herman und Chomsky (2023), gibt es fünf „Filter“, die das Rohmaterial der Nachrichten passieren muss – darunter den Filter „‚Flak‘ als Mittel zur Disziplinierung der Medien“ (Herman und Chomsky 2023, S. 130), der ausdrücklich negative Reaktionen auf Veröffentlichungen in Form von juristischen Klagen oder sonstigen Beschwerden und Drohungen umfasst (Herman und Chomsky 2023, S. 163). Rita Colistra, deren Ausführungen zu Agenda-Cutting sowohl von Shoemaker und Reese als auch von Herman und Chomsky inspiriert sind (Colistra 2018, S. 1790–1791), hat ein eigenes theoretisches Modell der „Influences on Media Content (IOMC)“ vorgeschlagen: Hier wirken „Extramedia Influences“ (durch Werbekunden, PR oder politischen Druck) und „Organizational Influences“ (Druck durch Eigentümer:innen, die Redaktionsgröße oder begrenzte Ressourcen), vermittelt durch „Within-Media Influences“ (Druck durch das Management oder redaktionsinterne Vorgaben), auf den medialen Output ein (Colistra 2012, S. 87).

Laut diesem Modell wäre das juristische „Flakfeuer“ der Hohenzollern als extramedialer Einfluss zu sehen, und es wäre zu fragen, welche Durchschlagskraft diese mutmaßliche PR-Strategie auf den Medieninhalt hatte bzw. ob medieninhärente Faktoren wie starke Haus-Justiziariate die Wirkung der Klagen abfedern konnten. In den Blick genommen werden in dieser Studie nicht nur Journalist:innen bzw. Medienhäuser, sondern auch die von Klagen betroffenen Historiker:innen, die – durch die Brille des Gatekeeper-Ansatzes betrachtet – mit ihrer wissenschaftlichen Expertise wichtige Quellen für die Berichterstattung darstellen. Über diese Funktion für den Journalismus hinaus sind sie aber auch als eigenständige Akteur:innen anzusehen, die durch die Publikation von Büchern und Fachaufsätzen oder die Teilnahme an Podiumsdiskussionen, Konferenzen oder parlamentarischen Anhörungen noch anderweitig Öffentlichkeit herstellen.

2 Anwaltsstrategien gegen Medien und SLAPPs

Ein Instrument zur Dethematisierung, das auch in Hand- und Praxisbüchern der PR empfohlen wird (Krüger 2023, S. 279–284), ist der Einsatz presserechtlicher Mittel. Dieser ist freilich legitim, wenn es gilt, schutzwürdige private Interessen gegen Falschdarstellungen in der Öffentlichkeit zu verteidigen; er kann allerdings auch für die Demokratie problematisch werden, wenn er gesellschaftliches Bewusstsein für relevante Themen verringert oder verhindert. Grundsätzlich steht die Presse- und Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG in einem Spannungsverhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus den Grundgesetz-Artikeln 1 (Menschenwürde) und 2 (freie Entfaltung der Persönlichkeit) (Solmecke 2023, S. 305).

Laut Gostomzyk und Moßbrucker (2019, S. 46) haben sich neben den klassischen „repressiven“ Maßnahmen, die gegen bereits publiziertes Material gerichtet sind, „zunehmend präventive Anwaltsstrategien entwickelt mit der Zielsetzung, entweder eine Berichterstattung zu verhindern oder die öffentliche Wahrnehmung einer Berichterstattung zu beeinflussen“: Anwaltskanzleien verschicken dann schon während der Recherche „Warnschreiben“, um Medienhäuser von der Publikation bestimmter Sachverhalte oder Formulierungen abzuhalten, oder „presserechtliche Informationsschreiben“, um vor der Übernahme einer Darstellung aus anderen Medien zu warnen. Letztere Schreiben haben häufig Erfolg, Erstere führen eher zur Abschwächung einzelner Formulierungen als zur Nicht-Publikation einer Recherche (Gostomzyk und Moßbrucker 2019, S. 5–6).

Finden derartige Klagen systematisch statt, um Journalist:innen und andere Akteur:innen mundtot zu machen, spricht man von Strategic Lawsuits Against Public Participation (SLAPP). Die Abkürzung erinnert nicht zufällig an das englische Wort für Ohrfeige (slap): Solche strategischen Klagen, konzeptualisiert als erste von Canan und Pring (1988, vgl. Pring und Canan 1996), sollen nicht in erster Linie einen Erfolg vor Gericht zeitigen, sondern vor allem den Angegriffenen hohe emotional-psychologische, zeitliche und finanzielle Kosten aufbürden und sie von einer weiteren Teilnahme am öffentlichen Diskurs zum Thema abhalten, also einen chilling effect („abkühlende“ Wirkung bzw. Abschreckungseffekt) erzeugen, der zum Verzicht auf die Ausübung von Grundrechten führt (vgl. Sheldrick 2014; Pech 2021). Auch ein „ripple effect on other citizens’ political involvement“ (Canan und Pring 1988, S. 390) ist intendiert. Derartige Klagen sind als rechtsmissbräuchlich anzusehen, da sie erhoben werden, „um dem anderen zu schaden und nicht, um ein eigenes Recht zu verteidigen“ (Solmecke 2023, S. 315). Sie gehen in der Regel von mächtigen und finanzstarken Akteur:innen aus und sind typischerweise gegen Personen gerichtet, die als „public watchdogs“ charakterisiert werden können, v. a. Journalist:innen, Menschenrechtsaktivist:innen und Wissenschaftler:innen (The Coalition against SLAPPs in Europe 2022, S. 13). In Europa werden SLAPPs zunehmend zu einem Problem, weswegen die Europäische Kommission bereits eine Anti-SLAPP-Richtlinie über Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug vorgeschlagen (EU-Kommission 2022a) und in einer ergänzenden Empfehlung (EU-Kommission 2022b) die Mitgliedsstaaten zu analogen Maßnahmen für innerstaatliche Fälle aufgefordert hat (vgl. Solmecke 2023, S. 317). Der EU-Ministerrat hat sich zu der Empfehlung bereits unterstützend positioniert, das EU-Parlament erarbeitet derzeit seine Position und in Trilog-Verhandlungen wird demnächst die endgültige Fassung erarbeitet (Killeen 2023). In Deutschland zeigte sich zuletzt ein No-SLAPP-Bündnis aus 74 zivilgesellschaftlichen Organisationen (darunter Reporter ohne Grenzen und die Journalist:innen-Gewerkschaften dju und DJV) besorgt darüber, dass der EU-Entwurf nicht weit genug gehe und keinen wirksamen Schutz für Menschenrechts-NGOs und investigative Journalist:innen biete (Reporter ohne Grenzen 2023).

Forschung zu den Effekten von juristischen Klagen auf journalistisches Handeln ist – wie solche zu Agenda-Cutting – rar. Anhand von qualitativen Interviews mit 20 Investigativjournalist:innen aus 18 Ländern (darunter auch Deutschland) konstatierten Clark und Horsley (2020, S. 57): „The threat of criminal sanctions constitutes a very powerful form of pressure which is often used by powerful elites to silence critical voices.“ In einer älteren Studie mit größerem Sample (Voakes 1999) wurden 42 Journalist:innen interviewt, die wegen einer Verletzung der Privatsphäre verklagt worden waren. Gefragt, wie stark die Klagen ihre Arbeit beeinflusst haben, bewerteten sie den Einfluss auf einer Skala von eins bis zehn im Durchschnitt mit 4,6. Viele gaben an, generell vorsichtiger geworden zu sein, doch große Veränderungen in der Arbeitsweise und eine abschreckende Wirkung der Klagen gab nur etwa jeder Zehnte an. Voakes (1999, S. 104) resümierte: „The journalists seemed unwilling to concede the chilling effect, as it counters some ingrained professional norms.“ In einer aktuellen Befragung in Slowenien, wo für Straftatbestände wie Beleidigung, Diffamierung und Verleumdung sogar Gefängnisstrafen drohen, wurden 18 Journalist:innen von sechs Medien zur Wirkung von SLAPPs befragt (Kerševan und Poler 2023). Dabei waren die Hälfte selbst Betroffene von über 60 Klagen, die andere Hälfte waren deren Kolleg:innen in denselben Redaktionen. In beiden Gruppen überwog ein Widerwille, direkte Wirkungen der Klagen auf die eigene Arbeit zuzugeben, dafür wurde ein signifikanter Effekt auf jüngere Kolleg:innen, Freelancer und Mitarbeiter:innen kleinerer Medien sowie auf die Berufsgruppe als Ganzes angegeben (Kerševan und Poler 2023, S. 13). Die Forscherinnen erklären dieses Antwortverhalten mit einer Art „Third-Person-Effekt“ (da auch hier die Wirkung von Kommunikation auf andere als höher eingeschätzt wird als auf sich selbst) und sozialer Erwünschtheit.

3 Die Hohenzollern, die Geschichtswissenschaft und die Medien

Die Abmahn- und Klagewelle der Hohenzollern wird in der Literatur als „Agenda Cutting par excellence“ (Haarkötter und Nieland 2023, S. 7, Hervorh. i. Orig.) sowie als SLAPP bezeichnet (Solmecke 2023, S. 310), weshalb ein genauer Blick darauf lohnenswert erscheint. Worum geht es? Die Hohenzollern sind eine deutsche Adelsfamilie, die erstmals im Jahr 1061 schriftlich erwähnt wurde und die im Deutschen Reich von 1871 bis 1918 den Kaiser als Staatsoberhaupt stellten. Nach der Novemberrevolution 1918 floh Kaiser Wilhelm II. in die Niederlande, wo er 1941 verstarb. Der Kronprinz Wilhelm Prinz von Preußen floh ebenfalls in die Niederlande, kehrte aber 1923 nach der Zusicherung politischer Enthaltsamkeit nach Deutschland zurück (an den Vorbereitungen dazu war auch Reichskanzler Gustav Stresemann beteiligt), wo ihm unter anderem das Schloss Cecilienhof in Potsdam als Privateigentum verblieben war (Conze 2020; Malinowski 2021). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die in der sowjetischen Besatzungszone liegenden Immobilien der Hohenzollern samt Inventar enteignet und der öffentlichen Hand übergeben.

Bei den bis heute andauernden Streitigkeiten um das Hohenzollern-Erbe geht es maßgeblich um die Besitztümer, die zwischen 1945 und 1949 beschlagnahmt wurden, denn: „Anders als Enteignungen durch die DDR nach 1949 wurden die Enteignungen der Jahre 1945 bis 1949 durch die Sowjetunion im Einigungsvertrag von 1990 nicht rückgängig gemacht“ (Conze 2020, S. 243).

Seit 1994 besteht durch das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) für Personen, die in jenen Jahren enteignet wurden, grundsätzlich ein Anspruch auf Entschädigung – nur dann nicht, wenn der Betroffene „dem nationalsozialistischen oder dem kommunistischen System in der sowjetisch besetzten Zone oder in der Deutschen Demokratischen Republik erheblichen Vorschub geleistet hat“ (EALG § 1 Satz 4). Weil die Formulierung „erheblicher Vorschub“ nicht präzisiert wurde, wird seit 1994 darüber debattiert, wie die Familiengeschichte der Hohenzollern einzuordnen ist und ob der Ururenkel des letzten deutschen Kaisers, Georg Friedrich Prinz von Preußen, als Vertreter des Familienverbands der Hohenzollern einen Anspruch im Sinne des EALG geltend machen kann, was dieser seit 2014 in nicht-öffentlichen Gesprächen mit dem Bund und den Ländern Brandenburg und Berlin sowie seit 2017 in einem Gerichtsverfahren gegen das Land Brandenburg erreichen möchte (Conze 2020). Das Verfahren ist zum Zeitpunkt der Endredaktion dieses Aufsatzes noch nicht abgeschlossen.

Über die Entschädigungsverhandlungen wurde seit Dezember 2014 berichtet, besonders intensiv aber ab Juli 2019, als Thorsten Metzner vom Tagesspiegel und Klaus Wiegrefe vom Spiegel brisante Fakten aus den Vertragsverhandlungen zwischen Georg Friedrich Prinz von Preußen und den Ländern Berlin und Brandenburg sowie dem Bund öffentlich machten. Den Höhepunkt erreichte die Berichterstattung, als der Satiriker Jan Böhmermann im November 2019 in seiner Sendung Neo Magazin Royale vier Gutachten veröffentlichte, die zwischen 2011 und 2016 zu der Frage erstellt worden waren, ob der ehemalige Kronprinz Wilhelm den Nationalsozialisten erheblichen Vorschub geleistet hatte (Böhmermann 2019).

Die Gutachten von Dr. Stephan Malinowski und Prof. Dr. Peter Brandt wurden vom deutschen Staat beauftragt (Landesregierung Brandenburg bzw. Bund) und kommen beide zu dem Befund, dass der ehemalige Kronprinz dem NS-Regime erheblichen Vorschub geleistet habe. Wilhelm habe eine „sowohl aktiv als auch passiv wichtige Rolle bei der Herstellung, Darstellung und Festigung der NS-Diktatur“ (Malinowski 2014, S. 43) gespielt, habe persönliche Kontakte zu NS-Führern gepflegt und sei von diesen, inklusive Hitler, als bedeutsame Figur wahrgenommen worden. Er habe „stetig und in erheblichem Maß zum Übergang der Macht an die NSDAP und zu deren Festigung beigetragen (…), verbunden mit der Hoffnung auf einen prominenteren Platz in den neuen Verhältnissen“ (Brandt 2014, S. 59).

Die beiden anderen Gutachten – von Prof. Dr. Christopher Clark und Paul Schönberger sowie Prof. Dr. Wolfram Pyta und Rainer Orth – wurden von Georg Friedrich Prinz von Preußen finanziert und kommen zu anderen Ergebnissen. Clark und Schönberger (o.J., S. 19) bescheinigen dem Kronprinzen „Unfähigkeit (…), in einem komplexen und sich schnell verändernden politischen Umfeld effektiv zu handeln“; dieser sei eine „Randfigur“ gewesen und in den Augen des NS-Regimes „irrelevant“. Pyta und Orth gehen in ihrem Gutachten noch weiter und resümieren, Wilhelm habe „einen überaus aktiven Part bei der Verhinderung einer Kanzlerschaft Hitlers gespielt. Auch nach Januar 1933 lehnte Kronprinz Wilhelm das NS-System aktiv ab. Er stand von Anfang an den sich formierenden Widerstands-Netzwerken nahe.“ (Pyta und Orth 2016, S. 143) Der renommierte Preußen-Historiker Clark hat sich 2020 von der Einschätzung in seinem Gutachten distanziert und der Meinung von Malinowski angeschlossen (Fanizadeh 2020).

Seit 2015, besonders verstärkt aber seit 2019 ging Georg Friedrich Prinz von Preußen zusammen mit seinem Anwalt Markus Hennig juristisch gegen Journalist:innen, Publizist:innen, Medienhäuser, Politiker:innen und Wissenschaftler:innen vor (Schönberger 2022). Betroffen waren unter anderem die FAZ, das Neue Deutschland, der Spiegel, die Welt, die Berliner Zeitung, der MDR und Deutschlandfunk Kultur. Unter den Forscher:innen wurden unter anderem Stephan Malinowski, Winfried Süß, Eckart Conze und Eva Schlotheuber abgemahnt. Wie viele Klagen bisher eingereicht wurden, ist unklar. Die Plattform Frag den Staat spricht von „mehr als 40 Entscheidungen“ allein am Landgericht Berlin (Semsrott 2020). In einem Interview mit der Welt vom Februar 2020 sprach Georg Friedrich Prinz von Preußen von mindestens 120 Klagen (Gaschke 2020), seither sind weitere hinzugekommen. Dabei wird gegen eine Vielzahl an Aspekten vorgegangen; ein kritischer Artikel auf Übermedien fasst zusammen:

„Die Stellen in der Berichterstattung, gegen die die Hohenzollern rechtlich vorgehen, drehen sich häufig darum, ob das Hausarchiv der Hohenzollern für Recherchen zugänglich sei, ob das Haus Preußen das Geschichtsbild der Familie zurechtrücken wolle, inwieweit es Mitspracherechte bei ihren Leihgaben in Museen haben möchte – und ob man gegen ‚kritische Berichterstattung‘ vorgehe. Daneben Ungenauigkeiten wie eine falsche Jahreszahl; Verwechslungen; Satzbau, der mehrere Lesarten zulässt; semantische Details. Kleinkram, könnte man meinen. Aber mit weitreichendem Effekt. (Haeming 2020)“

Der freie Medienjournalist Thomas Schuler berichtete im Dezember 2019, kurz nach der Böhmermann-Sendung, von „Abmahnungen der Hohenzollern an Historiker, Redaktionen und andere Beteiligte. Abmahnungen, über die sich niemand offen äußern möchte aus Angst vor einer neuen Klage oder Abmahnung“ (Schuler 2019). Prompt handelte er sich eine Abmahnung wegen dreier Marginalien in seinem Artikel ein, gefolgt von einem Gerichtsverfahren (Orth 2020). Die Plattform Frag den Staat richtete 2020 einen „Prinzenfonds“ ein, der Betroffene mit Spenden unterstützt. Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands betreibt seit Juni 2021 ein „Hohenzollern-Klage-Wiki“, in dem viele der Abmahnungen aufgelistet sind. Ziel sei es, das Klagegeschehen „transparent zu machen“ und die „öffentliche Auseinandersetzung mit der Frage nach Ausmaß, Intention und Einschüchterungspotential“ des „ungewöhnlichen juristischen Vorgehens“ zu befördern (Staas 2021). Der Journalist:innenverein Netzwerk Recherche verlieh Georg Friedrich Prinz von Preußen 2021 den Negativpreis „Verschlossene Auster“ und begründete dies damit, dass sein juristisches Vorgehen gegen Journalist:innen und Historiker:innen „die Freiheit der Berichterstattung und die öffentliche Diskussion über grundsätzliche Fragen der deutschen Geschichte bedroht“ (Netzwerk Recherche 2021). In einem Interview mit Zeit Geschichte vom Februar 2022 äußerte sich Georg Friedrich Prinz von Preußen dazu wie folgt: „Ich habe weder Kritik an meiner Person noch die Diskussion als solche oder die wissenschaftliche Aufarbeitung angegriffen.“ Er sei „schlicht gegen Falschbehauptungen vorgegangen“; in Zukunft wolle er aber anders agieren: „Wenn künftig etwas gesagt wird, das aus meiner Sicht falsch ist, werde ich sicher erst einmal das Gespräch suchen, bevor ein Anwalt tätig wird“ (Flohr und Werner 2022).

4 Erkenntnisinteresse und Methode

Das Vorgehen der Hohenzollern kann als ein versuchtes Agenda-Cutting durch SLAPPs gewertet werden. Die schiere Menge an Abmahnungen, Unterlassungsforderungen und Klagen und deren oft marginale Anlässe sprechen dafür, dass durch die Sanktionierung von Nebensächlichkeiten die Journalist:innen und Wissenschaftler:innen von der weiteren Teilnahme an der Debatte abgehalten werden sollten. Weitere Merkmale von SLAPPs laut Pring und Canan (1996) sind erfüllt: Es geht um zivilrechtliche Beanstandungen von Kommunikationshandlungen über einen Gegenstand von öffentlichem Interesse, und es findet eine dreifache Verschiebung des Konflikts statt: eine „dispute transformation“ (ein Wandel des Konflikts von einer politischen Streitfrage hin zu einer Rechtsstreitigkeit), eine „forum transformation“ (eine Verschiebung des Konflikts aus der Öffentlichkeit auf eine private, wenig zugängliche Bühne) sowie eine „issue transformation“ (Gegenstand ist nicht mehr der Schaden für die Öffentlichkeit bzw. Gesellschaft, sondern der Schaden der Kläger) (Pring und Canan 1996, S. 10).

Ziel der Studie ist es herauszufinden, welche Auswirkungen die Anwaltsstrategie der Hohenzollern auf die Betroffenen sowie den generellen öffentlichen Diskurs hatte. Folgende Forschungsfragen wurden gestellt:

  1. 1.

    Wie haben die Betroffenen das juristische Vorgehen wahrgenommen und erlebt, und wie bewerten sie es?

  2. 2.

    Welche Auswirkungen hatte das juristische Vorgehen auf die Arbeit der Betroffenen, und gibt es Schutzmechanismen gegen juristische Angriffe?

  3. 3.

    Welche Auswirkungen hatte aus Sicht der Betroffenen das juristische Vorgehen auf die generelle Berichterstattung bzw. Forschung zur Thematik, d. h. auf die Öffentlichkeit?

Um diese Forschungsfragen zu beantworten, wurden sie für zwei Gesprächsleitfäden (die sich weitgehend glichen) operationalisiert. Es wurden halbstandardisierte Interviews mit fünf Journalisten und fünf Historiker:innen geführt, die vom anwaltlichen Vorgehen des Georg Friedrich Prinz von Preußen betroffen waren. Die geringe Größe des Samples begründet sich mit der Gesprächsbereitschaft im Feld.

Betroffene wurde über das „Hohenzollern-Klage-Wiki“ des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e. V. identifiziert (das allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, was wiederum von vornherein eventuelle weitere Interviewpartner:innen ausschloss). Elf Journalist:innen und sieben Wissenschaftler:innen wurden für das Forschungsprojekt angefragt. Ein Großteil der Journalist:innen reagierte nicht beziehungsweise war nicht zu einem Gespräch bereit. Letztlich konnten Dr. Klaus Wiegrefe (Der Spiegel, festangestellt), Andreas Kilb (Frankfurter Allgemeine Zeitung, festangestellt), Sven Felix Kellerhoff (Die Welt, festangestellt), Nikolaus Bernau (Freier Journalist) und Andreas Fritsche (Neues Deutschland, festangestellt) interviewt werden.

In der Gruppe der Wissenschaftler:innen zeigte sich eine deutlich höhere Bereitschaft zur Durchführung eines Interviews. Von den sieben angefragten Personen erklärten sich fünf zu einem Interview bereit: die Historiker:innen Dr. Stephan Malinowski (University of Edinburgh), Prof. Dr. Eva Schlotheuber (Heinrich-Heine-Universität-Düsseldorf), PD Dr. Winfried Süß (Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam) und Prof. Dr. Eckart Conze (Philipps-Universität Marburg) sowie der Wirtschaftsrechtler Prof. Dr. Torsten Tristan Straub (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin). Die Gespräche wurden zwischen Juni und August 2022 per Videokonferenz geführt und dauerten zwischen 40 und 150 Minuten.

Die aufgezeichneten Interviews wurden transkribiert und von den Gesprächspartner:innen autorisiert. Die Auswertung der Gespräche fand mit Hilfe der Analysesoftware MAXQDA statt, wobei den Grundsätzen der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2022) gefolgt wurde.

5 Ergebnisse der Interviews mit Wissenschaftler:innen

5.1 Wahrnehmung und Bewertung des juristischen Vorgehens

Vier der fünf befragten Wissenschaftler:innen hatten zuvor keine Erfahrungen mit juristischen Schritten gegen ihre Arbeit gemacht. Das juristische Vorgehen rief eine ganze Bandbreite an negativen Emotionen hervor, drei Befragte nannten Gefühle von „Unsicherheit“ und „Nervosität“ und „Angst“ bis hin zu „Schock“ und „Empörung“. Alle Befragten gaben an, durch das Vorgehen stark in der Ausübung ihrer Arbeit beeinträchtigt worden zu sein. Vier nannten den Faktor Zeit, beispielsweise Eckart Conze:

„Es hat sehr viel Zeit und Energie gekostet. (…) Und es war nicht geplant, dass ich einen Sommer intensiv mit dieser Hohenzollern-Frage und auch mit rechtlichen Streitigkeiten verbringe. Die Sache selbst hat mich historisch natürlich interessiert und auch zum Teil beschäftigt. Aber natürlich lenkt es ab und auch das ist ja ein vielleicht intendierter Effekt, das wissenschaftliche Arbeiten dadurch schlichtweg auch zu stören.“

Zwei Befragte nannten emotionale Beeinträchtigung. Torsten Tristan Straub äußerte sich folgendermaßen:

„Und auch jetzt noch kostet das sehr viel Kraft und Nerven. Eigentlich möchte ich, dass Georg Friedrich Prinz von Preußen in meinem Leben keine Rolle mehr spielt. Es zieht – und das trifft sicher auch für meine Leidensgenossen zu – einfach sehr viel Energie aus einem Leben heraus.“

Daneben thematisierten drei Befragte den finanziellen Faktor, wobei sie jeweils ihre privilegierte Position zu bedenken gaben:

„Ich arbeite in einer Leitungsposition an einem öffentlich finanzierten Forschungsinstitut. Ich hätte ein Klagerisiko von rund 10.000 € durch zwei Instanzen notfalls alleine tragen können, wenn das ZZF da nicht eingesprungen wäre. Aber viele meiner Kolleginnen und Kollegen arbeiten auf befristeten Stellen, sind Doktoranden, forschen in Drittmittelprojekten. Hier sah die Sache ganz anders aus. Für diese Personen war der finanzielle Druck, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, sehr groß.“ (Winfried Süß)

„[I]ch selbst bin ein etablierter Hochschullehrer, Geschichtsprofessor, der (…) auch über nicht zuletzt finanzielle Möglichkeiten verfügt, sich zur Wehr zu setzen. Ich habe in meinem Fall ganz schnell nach diesem anwaltlichen Schreiben einen eigenen Rechtsanwalt beauftragt, um meine Interessen zu vertreten und diese Abmahnung und Unterlassungsaufforderung zurückzuweisen. Aber das kostet natürlich etwas Geld. Einen Rechtsanwalt zu beauftragen, das war in meinem Falle offensichtlich dann auch durchaus erfolgreich. Ich habe dann ja auch persönlich von den Hohenzollern nichts weiter gehört. Also meine Sache ging gar nicht vor Gericht. Aber nicht jeder junge Doktorand oder junge Journalist oder Blogger verfügt über diese Möglichkeiten.“ (Eckart Conze)

Für Stephan Malinowski „stand durchaus Geld um die 50.000 € auf dem Spiel“, beim Gang in höhere Instanzen hätte es „dann auch mehr werden“ können. Es habe in seinem Umfeld Kolleg:innen gegeben, die die juristischen Angriffe stärker als er „auf eine persönlich-dramatische Weise erlebt haben“ und „die zum Teil auch schlechter verteidigt waren oder weniger Geld hatten als ich“.

Alle fünf Befragten bewerten das Vorgehen gegen ihre Äußerungen als nicht gerechtfertigt – auch jene, die Fehler in ihren Äußerungen eingestanden. Torsten Tristan Straub sagte: „Ich halte dieses Vorgehen gegen mich für absolut nicht gerechtfertigt, sondern für einen Missbrauch.“ Eva Schlotheuber betonte: „Wenn Sie sich das durchgelesen haben, das ist ein sehr aggressiver Ton. (…) Man konnte eben sehen, dass es da um etwas anderes geht als um die Sache.“ Winfried Süß verwendete eine farbige Metapher: „Hier ist schon von Anfang an mit Kanonen auf Spatzen geschossen worden. Nach meiner Erfahrung verbindet jemand, der Kanonen auffahren lässt, damit eine Absicht.“

Zwei der Befragten empfahlen andere Wege zur Konfliktlösung, vor allem den persönlichen Kontakt zum Autor oder auch das presserechtliche Instrument der Gegendarstellung – denn angegriffen wurden die Wissenschaftler:innen wegen Interviewäußerungen oder Gastbeiträgen in journalistischen Medien.

5.2 Auswirkungen auf die eigene Arbeit und Schutzmechanismen

Alle befragten Wissenschaftler:innen ergriffen umfangreiche Gegenmaßnahmen, um sich gegen das anwaltliche Vorgehen der Hohenzollern zu wehren. Stefan Malinowski und Eckart Conze gaben an, infolge des Verfahrens verstärkt in die mediale Öffentlichkeit getreten zu sein, an politischen Gremien (Bundestagsanhörungen, Expertengespräche von Bundestagsfraktionen) partizipiert sowie eigene aufklärende Recherchen angestellt zu haben. Die eigenen Recherchen beziehen sich hierbei vor allem auf das „Hohenzollern-Klage-Wiki“, an dem mehrere Befragte mitgewirkt haben. Dies deutet auf breite Vernetzungseffekte unter den Wissenschaftler:innen hin.

Vier Befragte gaben an, sich auch im Anschluss an die rechtlichen Vorgänge weiterhin öffentlich geäußert zu haben, beispielsweise im Rahmen von Vorträgen, Podiumsdiskussionen oder in Fachpublikationen. Stephan Malinowski erklärte, dass er durch den juristischen Ärger „jetzt erst recht“ gesagt habe und dass dieser ihn

„motiviert hat, dieses Buch weiter zu machen [Malinowski 2021 – d. Aut.], weil ich dann entschieden habe, dass die Antwort, die ich als Historiker geben kann, eben die Sachverhalte, um die man streitet, noch gründlicher, noch genauer als zuvor darzustellen. Insofern war das ein positiver Schub.“

Medienauftritte wurden von einigen Betroffenen bewusst gemieden, offenbar um die Gefahr weiterer rechtlicher Auseinandersetzungen möglichst gering zu halten. Torsten Tristan Straub erklärte, er äußere sich aufgrund von noch laufenden Berufungsverfahren „derzeit nicht in einem Bereich, der zu den öffentlichen Medien gehört“.

Die Interviews deuten zudem darauf hin, dass sich die Arbeitsweise der Befragten infolge der juristischen Auseinandersetzungen geändert hat. Vier Befragte gaben an, dass sie ihre damaligen Äußerungen heute so nicht wiederholen würden, und drei berichteten, nun deutlich vorsichtiger zu agieren und zu formulieren als zuvor. Dies zeigte sich beispielsweise im Gespräch mit Torsten Tristan Straub:

„Man schreibt nicht mehr unbefangen. Man denkt nicht mehr unbefangen. Man ist eigentlich schon in der Defensive. Man hat seinen eigenen Anwalt verinnerlicht. Und das führt dazu, dass man jedes Wort auf die Goldwaage legt, man sich auch überlegt, wie könnte es denn böswillig fehlinterpretiert werden? […] Da hat man eine Zensurschere im Kopf.“

Winfried Süß äußerte sich wie folgt:

„Und ehrlich gesagt, wenn ich gewusst hätte, wieviel Zeit das am Ende kostet, sich auf so eine Sache einzulassen, bin ich nicht sicher, ob ich 2019 vielleicht noch etwas vorsichtiger formuliert hätte. Auf der anderen Seite bin ich auch nicht sicher, ob ich nicht trotzdem verklagt worden wäre, so wie viele andere auch.“

Gefragt nach möglichen Maßnahmen zur präventiven rechtlichen Absicherung, zeigte sich ein eindeutiges Bild. Drei der fünf befragten Wissenschaftler:innen lehnten eine rechtliche Vorprüfung ihrer eigenen Arbeiten ab und beriefen sich hierbei zum Teil auf den Grundsatz der Wissenschaftsfreiheit, zum Teil begründeten sie es damit, nicht über die finanziellen Mittel zu verfügen, um jede einzelne Publikation rechtlich prüfen zu lassen.

Was die Bewertung der Unterstützung durch die Medienhäuser anging, zeigte sich ein durchwachsenes Bild. Zweimal wurde die Zusammenarbeit positiv bewertet, einmal neutral und einmal negativ; eine befragte Person hatte auf rechtliche Unterstützung durch das Medienhaus verzichtet. So berichtete Stefan Malinowski von umfangreicher Unterstützung und einer teilweisen Übernahme der Abmahnungskosten durch die Medienhäuser; er habe dies als „Solidargemeinschaft“ erlebt. (Er verzichtete jedoch auf die Möglichkeit, sich direkt vom Medienhaus rechtlich vertreten zu lassen, sondern bezahlte einen eigenen Anwalt, um sich nicht beim Gang durch die Instanzen zu abhängig von der Bereitschaft der Medienhäuser zur Investition in diesen Fall zu machen). Dementgegen steht der Fall von Eva Schlotheuber, die von keiner Unterstützung durch Medien berichtete, sondern durch ihre Universität vertreten wurde.

Gefragt nach Verbesserungsvorschlägen in Richtung der Medienhäuser, blieben die Befragten meist unkonkret. Lediglich Stefan Malinowski schlug eine präventive Rechtsberatung von medial auftretenden Personen vor:

„Also ich denke, die Verlage und die Journalisten haben natürlich eine andere Erfahrung mit Medienrecht und mit äußerungsrechtlichen Schwierigkeiten, die man als Wissenschaftler oder als Autor, als Normalmensch, der sich zu irgendeinem Thema äußert, nicht hat. Und ich denke, es hätte eine Form der gründlicheren Prüfung oder Vorwarnungen geben können, wo potenziell die Fallstricke liegen können.“

5.3 Auswirkungen auf Forschung und Öffentlichkeit

Vier der fünf Befragten gaben an, dass das Vorgehen der Hohenzollern in der Wissenschaft nahezu einhellig negativ wahrgenommen wurde. Stellvertretend für den Tenor steht folgende Antwort von Stefan Malinowski:

„Selbst bei denen, die die Hohenzollern-Position vertreten, gab es interessanterweise immer eine sehr scharfe Kritik an diesem äußerungsrechtlichen Vorgehen. Also Christopher Clark, der der wichtigste Gutachter am Anfang war und der gewissermaßen ranghöchste Historiker von uns allen ist, hat das in sehr scharfer Form in seinem ersten Spiegel-Interview kritisiert. Lothar Machtan, der ein von der Familie auch finanziell unterstütztes Buch geschrieben hat, mit einer Hohenzollern-freundlichen Deutung, hat das auch kritisiert. Unter den Historikern ist mir überhaupt niemand bekannt, der diese Form des Vorgehens gegen Journalisten und gegen Historiker offen verteidigt oder beklatscht hätte.“

Daran anschließend schätzten alle fünf Befragten, dass das Vorgehen der Hohenzollern nicht erfolgreich war. Beispielhaft lässt sich hierzu folgende Aussage von Winfried Süß heranziehen:

„Wenn man vom Ergebnis her denkt, haben diese Klagen vermutlich genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie hätten erreichen sollen: Was sie erreicht haben, ist, dass es einen dramatischen Ansehensverlust des Klägers gegeben hat, dass die Verhandlungen mit der öffentlichen Hand durch die Klagen stark erschwert wurden, weil zum Beispiel die brandenburgische Wissenschaftsministerin gesagt hat, sie möchte nicht mit Leuten verhandeln, die brandenburgische Wissenschaftler verklagen.“

Drei der fünf Befragten gaben zudem an, dass sich durch das anwaltliche Vorgehen die Aufmerksamkeit für die Hohenzollern-Thematik erhöht habe. Zudem sei die Forschung zu dem Thema stark intensiviert worden. Eckart Conze sagte:

„Die juristische Kampagne hat die Forschung zu den relevanten Themen noch einmal intensiviert, das wird man sagen können. Es gibt ja auch in der Folge oder im Zusammenhang mit dieser Debatte eine ganze Reihe neuer Publikationen. Im Grunde hat die Kampagne die Forschung nicht zum Erliegen gebracht, sondern eher dazu geführt, dass in den spezifischen Kontexten, um die es ging, die Forschung sich noch einmal intensiviert hat. Und das wird sich auch in den nächsten Jahren noch zeigen. Das kann man jetzt noch gar nicht vollkommen ermessen, sondern es werden Arbeiten geschrieben, Projekte konzipiert, die dann erst in den nächsten Jahren durchgeführt und abgeschlossen werden.“

Die Befragten wurden gebeten einzuschätzen, welche Ziele die Hohenzollern mit ihrer Anwaltsstrategie möglicherweise verfolgen. Ein Befragter machte aus äußerungsrechtlichen Bedenken keine Angaben. Die anderen vier nannten die Klärung des Rechtsstreits mit der Bundesrepublik als ein mögliches Teilziel. Drei Interviewpartner:innen erklärten, es entstehe der Eindruck, dass die Hohenzollern die Gegenseite einzuschüchtern versuchten. Eva Schlotheuber gab zu Protokoll: „Die Idee ist offensichtlich, den Leuten, die sich über den öffentlichen Raum äußern, den Schneid abzukaufen, mit anwaltlichen Maßnahmen, die mit hohen Strafsummen verbunden sind.“

Ein weiteres mögliches Ziel war die Sicherung von Prestige. Drei Befragte nannten dies, darunter Stefan Malinowski:

„Und ich denke, wie im Adel und in jeder Familie, da geht es um Prestige, also das Prestige und das Ansehen der Familie. Wenn bei diesem Streit am Ende rauskommt, dass gerichtlich verbrieft und vielleicht mehrfach bestätigt Mitglieder aus zwei bis drei Generationen dieser Familie mit dem Nationalsozialismus kollaboriert haben, entsteht natürlich ein Imageschaden, der vorher in dieser Form nicht existiert hatte.“

Die befragten Wissenschaftler:innen äußerten einstimmig, dass das anwaltliche Vorgehen der Hohenzollern gescheitert ist. Folgende Aussage von Winfried Süß steht hierbei sinnbildlich für den Tenor:

„Wenn es das Ziel war, Dinge richtigzustellen, hat es nicht besonders gut funktioniert. Wenn es Ziel war, eine öffentliche Auseinandersetzung über umstrittene Forschungsfragen zu verhindern, hat es nicht funktioniert. Wenn das Ziel war, möglichst rasch eine Einigung über strittige Vermögenswerte zu erreichen, hat es offenbar, das ist jetzt mein Informationsstand zu diesen Verhandlungen, soweit ich das aus der Presse entnehme, auch nicht funktioniert. Das Ansehen der Familie hat ebenfalls schwer gelitten.“

Weiterhin sollte die Frage geklärt werden, wie betroffene Wissenschaftler:innen derartige Anwaltsstrategien aus wissenschaftlicher Perspektive einordnen und welche Gefahren derartige Vorgehensweisen aus Sicht der Betroffenen für die Wissenschaft bergen. Vier Befragte sahen die Wissenschaftsfreiheit durch derartige Vorgehensweisen bedroht, etwa Eckart Conze:

„Wenn so ein Klima der Bedrohung, der Einschüchterung entsteht, wenn man anfängt, sich überlegen zu müssen, was kann ich sagen, ohne belangt zu werden, ohne abgemahnt zu werden, dann ist damit bereits Wissenschaftsfreiheit, aber auch Meinungsfreiheit im Allgemeinen zentral betroffen und letztlich auch reduziert. So habe ich das wahrgenommen und so würde ich das heute auch nach wie vor sehen.“

Weiterhin sahen drei Befragte das Grundrecht der Meinungsfreiheit bedroht, in manchen Gesprächen mit Synonymen wie „Denkfreiheit“ oder „Sprechfreiheit“ bezeichnet. Drei Befragte sahen die Gefahr einer Einschränkung der Diskussionskultur. Eva Schlotheuber nutzte die Metapher von unfairem Verhalten im Boxring des demokratischen Diskurses:

„Sie müssen sich das so vorstellen wie im Boxring. Wenn man sich damit auseinandersetzen will, und das müssen wir als Gesellschaft immer, brauchen Sie einen Raum, wo Sie sich auseinandersetzen können. Und dieser Raum muss auch gewisse Regeln haben. Zum Beispiel, dass Sie da nicht mit einer Pistole auftauchen. Oder ihrem Gegner Gift einflößen oder so was. Dann ist eine solche Auseinandersetzung nicht möglich.“

Alle fünf Wissenschaftler:innen äußerten die Sorge, dass juristische Maßnahmen eingesetzt werden können, um zukünftige Forschung zu einem bestimmten Thema gezielt zu unterbinden. Eckart Conze formulierte das so: „Das ist in der Tat eine Gefahr. Hier bedarf es eben einer aufmerksamen, einer wachen Wissenschaft, die Ansätzen einer solchen Juridifizierung von Wissenschaft deutlich entgegentritt.“ Ähnlich sah dies Stefan Malinowski:

„Wenn Sie mir die Frage generell stellen, dann würde ich sie mit einem eindeutigen Ja beantworten. So wie man im Wirtschaftsrecht einen Konkurrenten in Schwierigkeiten bringen kann mit Massenklagen, kann man durchaus einen massiven Druck ausüben auf Sprecher und Sprecherinnen und Leute, die in einem bestimmten Kontext arbeiten.“

Der Historiker Winfried Süß machte zu diesem Punkt eine Einschränkung und ergänzte, dass eine solche Unterbindung nur in eingeschränktem Maße möglich sei, und begründete dies mit der in Deutschland vorherrschende Rechtslage, die das Durchführen von SLAPPs erschwert.

„Also Sie kennen ja aus dem anglophonen Presserecht den Begriff der SLAPPs, also der strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung. Im angelsächsischen Presserecht wird das gemacht. Im deutschen Presserecht scheint mir das schwieriger zu sein, weil das finanzielle Risiko begrenzt ist. Dadurch, dass immer nur der normale Gebührensatz eines Anwalts in Anschlag gebracht werden kann, können Sie einen Journalisten mit solchen Klagen in Deutschland eigentlich nicht finanziell ruinieren. Das Risiko ist kalkulierbar.“

6 Ergebnisse der Interviews mit Journalisten

6.1 Wahrnehmung und Bewertung des juristischen Vorgehens

Drei der fünf Journalisten gaben an, bereits zuvor Erfahrungen mit juristischem Vorgehen gegen ihre Berichterstattung gemacht zu haben. In den meisten Fällen habe es sich um Unterlassungsklagen gehandelt. Die Befragten gaben an, dass derartige Abmahnungen Teil des Berufsalltags seien, jedoch nicht sehr oft vorkommen würden. Lediglich Nikolaus Bernau und Andreas Kilb hatten im Vorfeld noch nie mit einem juristischen Vorgehen gegen ihre Arbeit zu tun. Kilb empfand die Situation „als verunsichernd, denn die Unterlassungsklageandrohung war mit einer sehr hohen Strafgeldandrohung verbunden“; er konnte sich aber der Unterstützung des FAZ-Justiziars sicher sein. Ähnlich meinte Klaus Wiegrefe, dass der Spiegel „eine sehr gute Rechtsabteilung hat und man solche Dinge mit sehr großer Gelassenheit hier betrachtet“. Er habe sich lediglich „geärgert“ bzw. es „bereut“, dass sich ein kleiner Fehler bzw. ein Missverständnis in seine Berichterstattung eingeschlichen hatte, so dass man dagegen vorgehen konnte. Sven Felix Kellerhoff von der Welt benannte „Stress“, denn man müsse „seitenweise Schriftsätze (…) in einem völlig unverständlichen Kauderwelsch“ durchlesen.

Andreas Fritsche vom Neuen Deutschland und Klaus Wiegrefe vom Spiegel bezeichneten das Vorgehen in einigen Aspekten als gerechtfertigt. Andreas Fritsche meinte: „Rein juristisch kann man das so machen.“ Nikolaus Bernau und Sven Felix Kellerhoff sahen dies gänzlich anders. Bernau meinte, dass dieses Vorgehen „in gar keiner Art und Weise gerechtfertigt war (…) Es handelte sich um einen massiven Angriff auf die im Grundgesetz garantierte Wissenschafts‑, Berichterstattungs- und Meinungsfreiheit“. In den Unterlassungsforderungen seien „durchweg nicht die eigentlichen Inhalte der jeweiligen Sendungen oder Artikel angegriffen“ worden, „sondern absolute Kinkerlitzchen“; und als Freier Journalist betonte er folgenden Aspekt:

„Unterlassungsklagen aber sind eine sehr, sehr teure Angelegenheit. Da muss man gegenseitig belegen, worum es geht, braucht selbst einen Anwalt. Vor allem aber dreht es sich natürlich darum, die Solidarität der jeweiligen Auftraggeber mit den betroffenen Journalisten zu unterminieren. (…) das ist das zentrale Ziel gewesen, glaube ich, die Vertrauenswürdigkeit der berichtenden und kommentierenden Journalisten und ihre Unterstützung durch die Auftraggeber zu unterminieren. Und das ist, halten zu Gnaden, ein Angriff auf die Demokratie.“

Andreas Kilb bewertete das Vorgehen nicht. Drei Befragte betonten die Möglichkeit anderer Wege zur Konfliktlösung, wie etwa persönliche Gespräche oder Leserbriefe.

6.2 Auswirkungen auf die eigene Arbeit und Schutzmechanismen

Die Frage, was die Journalisten heute mit dem Blick auf ihre damalige Arbeit verändern würden, wurde unterschiedlich beantwortet. Andreas Kilb gab an, dass er Fakten rückwirkend genauer prüfen würde. Sven Felix Kellerhoff gab an, dass er eine andere Formulierung wählen würde:

„Ich hätte wahrscheinlich Perfekt statt Präsens geschrieben, dann hätte ich nicht verloren [den Prozess, Anm. d. Aut.]. Auf so eine absurde Ebene begibt man sich, wenn ein Richter das historische Präsens, das er im Duden nachschlagen kann, nicht anerkennt.“

Klaus Wiegrefe erklärte, dass er bei dem Thema auf Formulierungen aus der Verdachtsberichterstattung zurückgreife: „Man wählt dann Formulierungen, die sprachlich nicht so schön sind, aber juristisch nicht angreifbar.“

Andreas Fritsche erklärte, er würde unter Zeitdruck keine kritischen Themen mehr bearbeiten und jeweils eine Konfrontationsanfrage schicken, bevor Artikel publiziert werden. Im Vorfeld einer Hohenzollern-Publikation habe er Gespräche mit dem Hohenzollern-Anwalt Markus Hennig geführt, um eine erneute Abmahnung zu verhindern: „Ich habe mich dann immer rückversichert (…). Das ging sogar bis dahin, dass ich bestimmte Formulierungen angefragt habe, ob er die denn auch angreifen würde, wenn ich das jetzt so schreiben würde.“ Er selbst beschreibt dieses Vorgehen als „absurd“ und begründet dieses Vorgehen mit seinem Pflichtgefühl als verantwortlicher Redakteur beim Thema Hohenzollern: „Aber ich kann das nicht verantworten, wenn jetzt vier oder sechs Kollegen ihrer Familie sagen müssen: ‚Der Fritsche hat scheiße geschrieben, ich hab’ jetzt keinen Job mehr.‘“ Andererseits hätten die Hohenzollern bei diesen Gesprächen durch ihren Anwalt „Erklärungen und Zitate“ übermittelt, mit denen Fritsche „journalistisch auch etwas anfangen“ konnte. Die ganze Sache habe die Berichterstattung zwar beeinflusst, aber nicht dazu geführt, dass er nicht das geschrieben habe, was er für richtig hielt.

Der freie Journalist Nikolaus Bernau äußerte, dass sein Arbeitsverhältnis mit dem MDR zeitweilig zum Erliegen kam: „Sie werden umfassend als inkompetent dargestellt. Da kann der Auftraggeber machen, was er will. Psychologisch gesehen ist das für den ein Hemmnis, mit mir weiter zusammenzuarbeiten.“ Er spricht von einer „inneren Schere“ bei Themen zum deutschen Adel: Da ihn eine Klage „in den Abgrund reißen“ könne, versuche er, „das Thema weiträumig zu umschiffen“. Sven Felix Kellerhoff erklärte: „Meine kritische Stimme ist in diesem Fall verstummt. (…) [I]ch habe einfach keine Lust mehr, mich zu äußern, wenn das sofort zum nächsten absurden Schriftsatz führen kann. Das ist es nicht wert.“

Die Unterstützung durch ihr Medienhaus schätzten Sven Felix Kellerhoff, Andreas Kilb und Klaus Wiegrefe als durchgehend positiv ein. Andreas Fritsche betonte, dass das Neue Deutschland „als kleine Genossenschaft mit einer 17.000er Auflage“ nur begrenzte Möglichkeiten zur juristischen Gegenwehr habe. Der Anwalt des ND habe gesagt, „ja, diese Unterlassungserklärung müssen wir unterschreiben. Ist leider so, kann man nichts machen. Und dann hat er in Verhandlungen versucht, die Kosten möglichst niedrig zu halten.“ Nikolaus Bernau bewertete die Unterstützung durch einen Teil seiner Abnehmer-Redaktionen als positiv; zum MDR machte er keine Angaben.

Gefragt nach Maßnahmen zur präventiven rechtlichen Absicherung der eigenen Berichterstattung zeigte sich ein relativ eindeutiges Bild. Sven Felix Kellerhoff, Andreas Kilb und Klaus Wiegrefe gaben an, dass sie ihre Artikel vor der Veröffentlichung dem hausinternen Justiziariat vorlegen. Andreas Fritzsche bestätigte ebenfalls die Möglichkeit einer juristischen Vorprüfung. Nikolaus Bernau gab zudem an, als Freier Journalist eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen zu haben.

6.3 Auswirkungen auf Berichterstattung und Öffentlichkeit

Drei Journalisten nahmen wahr, dass das Vorgehen der Hohenzollern in der Medienlandschaft negativ aufgenommen wurde; zwei wollten dazu keine Angabe machen. Andreas Fritsche äußerte sich hierzu wie folgt:

„Das ist ganz schlecht angekommen, insgesamt in der Medienlandschaft, auch was man so von Kollegen mitkriegt oder was man liest woanders. (…) Da hatte ich den Eindruck, dass die Hohenzollern sich damit keinen Gefallen getan haben und dass sie das irgendwann auch selber erkannt haben. Dass sie teilweise Medien gegen sich aufgebracht haben, die sonst gar nicht gegen sie gewesen wären.“

Die Journalisten bewerteten die Auswirkungen der Klagen auf die Berichterstattung unterschiedlich. Manche meinten, das juristische Vorgehen habe die Berichterstattung gestärkt: Anstatt das Thema aufzugeben, hätten sich die Kolleg:innen um noch mehr Präzision bemüht, um künftig Klagen zu vermeiden. Auf der anderen Seite habe es tatsächlich Abschreckungseffekte gegeben. Klaus Wiegrefe äußerte sich wie folgt:

„Ich kann nicht für andere Redaktionen sprechen. Ich kann Ihnen weitergeben, was so erzählt wird. Es wird erzählt, dass es gerade bei kleineren Medienhäusern aus Angst vor juristischen Auseinandersetzungen und den damit einhergehenden Kosten und dem Aufwand Hemmungen gibt, das Thema weiterzuverfolgen.“

Nikolaus Bernau nannte als Auswirkung „Selbstzensur, ganz klar“. Er selbst sei ein privilegierter Journalist, der für nationale Medien arbeite und „sehr gut geschützt worden“ sei. Aber:

„Ganz anders sieht es aus mit den Kollegen im Süden von Sachsen-Anhalt oder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen, Niedersachsen. Also in allen ehemals preußischen Gebieten. Überall ist die Eigentumsfrage relevant. Und ja, Sie können sich das als freier Autor in Quedlinburg nicht leisten, sich mit den Hohenzollern anzulegen. Es gibt außerdem nicht so rasend viele Journalisten, die sich für so was interessieren. Das heißt, wenn die zwei oder drei Personen, die das machen, sagen, das ist mir zu riskant, dann ist das Thema tot. Und genau das ist ja passiert.“

Aus Bernaus Sicht war das Ziel der Hohenzollern, „über den Umweg des Privatrechts eine öffentliche Debatte über die Eigentumsansprüche des Herrn Prinz von Preußen und seiner Familie an die Bundesrepublik zu verhindern. Das ist übrigens auch gelungen.“

In den Interviews wurden weitere mögliche Ziele der Hohenzollern erwähnt. Zwei Befragte vermuteten, dass eines der Ziele ein erfolgreicher Ausgang der Verhandlungen sei. Andreas Fritsche vermutete, dass es außerdem um Ehre geht:

„Der Rechtsstreit (…) muss schon mehr Geld verschlungen haben als die Summe, um die es da geht. Gut, wenn sie [die Hohenzollern – Anm. d. Aut.] am Ende Recht kriegen, würden sie auch die Verfahrenskosten noch ersetzt bekommen. Aber ich glaube, da geht es um ein Prinzip. Und ein bisschen um den Ruf der Familie.“

Sven Felix Kellerhoff und Andreas Kilb äußerten sich dazu nicht.

Der Erfolg der Hohenzollern wurde von den Befragten als begrenzt bewertet. Zwar sei es gelungen, kleine Fehler in der Berichterstattung zu korrigieren. Die Kritik am Vorgehen werde aber weiter geäußert. Außerdem habe das juristische Vorgehen zu großem Misstrauen gegenüber der Familie geführt. Nikolaus Bernau bewertete das Vorgehen insofern als erfolgreich, da die Berichterstattung „unterdrückt“ worden sei. Gleichzeitig sei das Vorgehen aber auch rufschädigend in der öffentlichen Wahrnehmung. Sven Felix Kellerhoff und Andreas Kilb machten auch hierzu keine Angaben.

Zwei Befragte äußerten, dass derartige Maßnahmen in anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien eine größere Gefahr für den Journalismus darstellten als in Deutschland. Drei Journalisten meinten, dass Berichterstattung durch Anwaltsstrategien verhindert werden kann, vor allem dann, wenn der beklagte Journalist oder sein Medienhaus finanziell nicht in der Lage sind, rechtlichen Beistand hinzuzuziehen oder ein Justiziariat zu unterhalten.

Klaus Wiegrefe resümierte mit Blick auf bröckelnde Geschäftsmodelle und schwindende Einnahmen vieler Medienhäuser im digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit: „Wenn es keine Rechtsabteilungen mehr gibt, dann kann so ein Vorgehen sehr wohl eine Gefahr für die Pressefreiheit, die Medienfreiheit sein. Es behindert zudem Journalisten und Journalistinnen allein schon durch den schieren Arbeitsaufwand, der daraus folgt, bei der eigentlichen Tätigkeit.“

7 Fazit, Limitationen und Ausblick

Die Interviews mit den zehn Betroffenen, die rechtliche Schritte der Hohenzollern-Familie wegen ihrer öffentlichen Äußerungen erlebt haben, offenbaren einen zumindest zeitweise erheblichen Einfluss auf ihre Arbeit. Sowohl die Journalisten als auch die Forschenden beschrieben ihre Erlebnisse als zeit- und energiefressend, emotional belastend und die Arbeit beeinträchtigend. Alle Wissenschaftler:innen und die Mehrheit der Journalisten sah das Vorgehen der Hohenzollern als ungerechtfertigt an, vor allem da es sich bei den inkriminierten Aussagen nicht um den Kern der jeweiligen Sache gehandelt habe, sondern um Nebensächlichkeiten. Insofern stützen die Interviews den Verdacht, dass es sich bei den Klagen der Hohenzollern um rechtsmissbräuchliche SLAPPs gehandelt hat: Das Ziel scheint eher die Unterbindung einer Debatte – also Agenda-Cutting – mit Hilfe des Zivilrechts gewesen zu sein als der Schutz der Familie vor falschen Tatsachenbehauptungen in der Öffentlichkeit.

Der Verunsicherungseffekt scheint bei den Forschenden, da vorwiegend ohne Erfahrung mit äußerungsrechtlichen Schritten, stärker ausgeprägt gewesen zu sein als bei den Journalisten, die Abmahnungen als normalen Teil ihrer Arbeit betrachteten und oft ein professionelles Haus-Justiziariat im Rücken hatten. Zugleich gab es unter den Wissenschaftler:innen eine beachtliche Vernetzung und Solidarisierung untereinander, die im Journalismus-Metier offenbar weitgehend ausblieb. Berufsübergreifend trat der Effekt ein, öffentliche Äußerungen sorgfältiger zu überdenken. Dabei reicht das Spektrum von verstärkter Präzision beim Recherchieren – was als Gewinn für den öffentlichen Diskurs gelten kann – über einen defensiveren Sprachgebrauch bis hin zum Vermeiden des Themas und gar zum Rückzug aus der massenmedialen Sphäre – was als Verlust für die Öffentlichkeit gewertet werden muss. Wenn ein Wissenschaftler und zwei Journalisten zugeben, dass sie sich zum Thema nun nicht mehr öffentlich äußern bzw. ihre kritische Stimme verstummt ist, sind dies Indikatoren für den chilling effect auf public watchdogs, der durch SLAPPs erreicht werden soll. Insgesamt wurde das Vorgehen der Hohenzollern meist als gezielter Angriff auf die Meinungs‑, Wissenschafts- und Pressefreiheit erlebt. Von ihren persönlichen Fällen abstrahierend, äußerten Befragte zudem, dass das Vorgehen der Hohenzollern einen stärkeren Abschreckungseffekt auf Kolleg:innen gehabt habe, die weniger etabliert und weniger finanziell bzw. juristisch abgesichert sind als sie selbst, etwa auf freiberufliche Journalist:innen, Regional- und Lokalmedien oder befristet beschäftigte Doktorand:innen.

An dieser Stelle sei an die stärkste Limitation der Studie erinnert: die geringe Größe des Samples. Wie dargestellt, war die Auskunftsbereitschaft im Feld nicht besonders hoch, was auch Ausdruck von Selbstzensur aufgrund von Furcht vor weiteren rechtlichen Sanktionen – also wiederum eines chilling effect – gewesen sein könnte. Das würde bedeuten, dass es ein „Dunkelfeld“ von stärker eingeschüchterten Personen gibt und das Problem größer ist, als es in den vorliegenden Interviews erscheint. Auch die Interviews selbst wurden mit dem Bewusstsein gegeben, dass Äußerungen rechtliche Konsequenzen haben können, und waren von Vorsicht beim Formulieren geprägt. Ebenfalls ist denkbar, dass soziale Erwünschtheit vor allem bei den Journalisten-Interviews eine Rolle gespielt hat: in dem Sinne, dass man einem (Selbst- oder Fremd‑)Bild des toughen Medienprofis entsprechen wollte, der sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen lässt. Dass man die größeren Wirkungen der SLAPPs bei anderen, weniger privilegierten Kolleg:innen sah, erinnert jedenfalls an den „Third-Person-Effekt“ aus der slowenischen Studie (Kerševan und Poler 2023) – ist jedoch andererseits auch plausibel.

Die Unterdrückung der Hohenzollern-Debatte sei nicht gelungen, lautete die fast einhellige Einschätzung der Befragten. Sofern also die Klagen als SLAPPs qualifiziert werden können, ist der Versuch eines Agenda-Cutting in diesem Fall – zumindest in der überregionalen Medienlandschaft – gescheitert und hat den Ruf der Hohenzollern-Familie eher beschädigt als geschützt. Dieser Befund müsste freilich mit einer Inhaltsanalyse der Berichterstattung validiert werden, zumal ein Befragter ein erfolgreiches Agenda-Cutting auf regionaler Ebene konstatierte. Und dies bedeutet keinesfalls eine generelle Entwarnung, was SLAPPs angeht. Ein Monitoring-Bericht der Initiative Media Freedom Rapid Response (2023, S. 15–16) spricht allein für das Jahr 2022 von 39 missbräuchlichen Klagen gegen Journalist:innen in EU-Mitgliedsstaaten und von acht weiteren in Ländern mit EU-Kandidatenstatus; der Bericht hebt Fälle in Frankreich, Italien, Griechenland und Polen hervor. In Österreich ist die linksliberale Wochenzeitung Falter nach Enthüllungen über die Finanzen der Partei ÖVP 2019 von der Partei mit einer Klagewelle überzogen worden (Pflügl 2021). In Deutschland sind aktuell Konzern-Klagen gegen Organisationen der Umwelt- und Klimabewegung und gegen ihr nahestehende Journalist:innen bekannt (Umweltinstitut München o.J.; Pfeiffer 2023), aber auch Fälle in anderen Themenbereichen: die Immobilienfirma United Capital gegen die Leipziger Studierendenzeitung luhze (Süßmann 2022), ein AfD-Mitarbeiter gegen die Kontext:Wochenzeitung (Hunger und Stiefel 2022), die Firma Solar Millenium gegen die Süddeutsche Zeitung (Horizont und dpa 2021) und weitere (Knop 2023; Mrazek 2023). Eine kritische Kommunikationswissenschaft sollte – sich selbst auch als Teil einer wachsamen Zivilgesellschaft verstehend – solche Tendenzen verstärkt beforschen. Zumal das Hohenzollern-Beispiel eines ist, das es zu einer gewissen medialen Prominenz gebracht hat und andere Versuche, die Themenagenda und das Meinungsspektrum der demokratischen Öffentlichkeit mithilfe von SLAPPs (oder auch anderen Strategien) zu beschneiden, erfolgreicher verlaufen sein mögen. Fälle von gelungener Dethematisierung, die nicht bereits medienjournalistisch behandelt worden sind und sich gerade darum als Forschungsthema weniger aufdrängen, bräuchten dann umso dringender eine Thematisierung von Seiten der Wissenschaft.