1 Extended Abstract

Redaktionen müssen angesichts einer zunehmend fragmentierten Publikumsbeziehung neue Wege finden, ihre Rezipierenden an sich zu binden. Eine in diesem Kontext oftmals diskutierte Strategie ist die des Audience-Engagements. Audience-Engagement meint in diesem Zusammenhang die stärkere Orientierung am eigenen Publikum sowie die aktive Einbindung und Beteiligung der Rezipierenden innerhalb des Journalismus, mit dem Ziel des Aufbaus von Loyalität, Vertrauen und langfristigen sowie nachhaltigen Journalismus-Publikum-Beziehungen. Im Rahmen einer Fallstudie untersucht dieser Beitrag Chancen und Herausforderung der redaktionellen Umsetzung von Audience-Engagement anhand eines Projekts einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt. Das ARD-Event #unserWasser, konzipiert und durchgeführt unter Federführung des SWR, befasste sich über sieben Monate hinweg in journalistischer Form mit dem Thema der Wasserknappheit und Zugriffsrechte – dem Zugang zu Wasserressourcen für private sowie ökonomische Akteure – innerhalb Deutschlands. Ziel des Projektes ist, auf die Problematik der schwindenden Wasservorräte innerhalb Deutschlands und so auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen. Auf Basis von qualitativen Leitfadeninterviews mit beteiligten Journalist:innen und Publikumsmitgliedern analysiert der vorliegende Beitrag Chancen und Herausforderungen, die sich in der Durchführung von journalistischen Projekten mit Audience-Engagement-Fokus in den Redaktionen sowie der Zusammenarbeit mit dem Publikum ergeben. In der qualitativen Analyse zeichnen sich klare Chancen des Audience-Engagements ab: der Aufbau von Legitimität, Relevanzgewinn, Repräsentation, neue Finanzierungsmöglichkeiten sowie Vertrauensbildung und Beziehungspflege. Der aktiven Beteiligung des Publikums wird von journalistischer Seite aus großes Potenzial für die Journalismus-Publikum-Beziehung zugesprochen und entsprechende Projekte dementsprechend als wichtig und lohnenswert eingeordnet. Zugleich zeigen sich jedoch auch einige Herausforderungen, die es bei der Planung und Umsetzung derartiger Projekte zu berücksichtigen gilt: Der hohe Organisations- und Koordinationsaufwand, redaktionelle Selbstverpflichtung, Themen- und Formatauswahl, Erwartungsmanagement sowie ethische und datenschutzrechtliche Aspekte stellen sich als Erfolgsfaktoren für die Durchführung von Audience-Engagement-Projekten heraus. Zentral ist, solche Themen zu wählen, die einerseits relevant genug sind, um einen größtmöglichen Anteil des Publikums anzusprechen und zur Beteiligung zu motivieren, zugleich müssen die Themen jedoch regional genug sein, um einen unmittelbaren Bezug zur Lebenswelt der Rezipierenden und damit eine direkte Motivation für deren Beteiligung mit sich zu bringen. Auch die Schaffung einer auf Publikumsbeteiligung ausgerichteten Redaktionskultur ist von hoher Relevanz – ohne ausreichende redaktionelle Selbstverpflichtung sowie dem Engagement motivierter Einzelpersonen ist die langfristige und nachhaltige Umsetzung von Audience-Engagement-Projekten nur schwerlich denkbar. Genau diese ist es jedoch, die von den beteiligten Journalist:innen sowie Publikumsmitgliedern als Voraussetzung für die Etablierung nachhaltiger Journalismus-Publikum-Beziehung essenziell ist. Auf Basis der Befunde lassen sich diverse Implikationen für die Umsetzung von Audience-Engagement-Projekten ableiten – zentral für deren Umsetzung wird insbesondere die Institutionalisierung solcher Initiativen innerhalb der Redaktion sowie die ausreichende Bereitstellung von Ressourcen durch Redaktion und Verleger:innen sein. Die Ergebnisse bieten sowohl für die Forschung als auch für die journalistische Praxis vielfältige Anknüpfungspunkte.

2 Einleitung

Innerhalb der letzten Jahre hat sich das Konzept des ‚Audience-Engagements‘ – definiert als inklusive Praktik der Publikumsbindung und -einbindung (Green-Barber und McKinley 2019) – zu einem Buzzword entwickelt, sowohl innerhalb des Journalismus als auch innerhalb der Journalismusforschung (vgl. Lawrence et al. 2018, S. 1220; Nelson 2018, S. 528). Audience-Engagement als Begriff und strategische Ausrichtung innerhalb von Redaktionen hat seinen Ursprung vorwiegend in den USA, wo ein enges Verhältnis zum Publikum und die aktive Einbindung und Einbeziehung der Rezipierenden schon seit vielen Jahren intensiv Thema ist – in vielen Redaktionen in den Vereinigten Staaten herrscht Audience-Engagement bereits länger als „strategic priority“ (Lawrence et al. 2018, S. 1221) vor. Parallel zur steigenden Popularität des Audience-Engagements nimmt auch die Forschung zum Konzept zu (vgl. Gajardo und Costera Meijer 2023, S. 1960), sowohl in den USA (vgl. Ferrucci et al. 2020; Nelson 2021; Nelson und Schmidt 2022) als auch innerhalb des deutschsprachigen Raums (bspw. für Deutschland: vgl. Fiene 2020; Granow 2020; Stollfuß 2019; Österreich: vgl. Kaltenbrunner und Luef 2017; Meier et al. 2018). Grund hierfür ist, dass das Publikum an den Journalismus verstärkt die Erwartung stellt, aktiv in dessen Arbeit miteinbezogen zu werden. Journalismus soll „mit dem Publikum in einen Dialog treten über aktuelle Themen“ und – wenn zwar etwas weniger wichtig – „mit dem Publikum eine ‚Gemeinschaft‘ bilden und pflegen“ (Loosen et al. 2020, S. 20). Wie Meier et al. (2022, S. 704) zeigen, gehört datenbasiertes Audience-Engagement in fünf untersuchten Ländern zu den zwanzig größten Innovationen innerhalb des Mediensektors – in Deutschland wird es sogar als zweitwichtigste Medieninnovation der letzten zehn Jahre (2010–2020) eingeordnet.

Die vorliegende Studie nimmt ein konkretes Audience-Engagement-Projekt in den Fokus, um die Planung, Umsetzung und den Erfolg von Audience-Engagement in deutschen Medienhäusern anhand eines konkreten Beispiels zu analysieren. Unter dem Schlagwort ‚#unserWasser‘ haben die öffentlich-rechtlichen Medien unter Federführung des Südwestrundfunks und in Zusammenarbeit mit den Rundfunkanstalten der ARD 2022 einen mehrmonatigen Themenschwerpunkt ins Leben gerufen, in dem Publikumsbeteiligung eine zentrale Rolle einnimmt. Das Projekt soll als Fallstudie aus der aktuellen journalistischen Praxis dienen, um Herausforderungen und Chancen in der Umsetzung von Audience-Engagement-Projekten innerhalb von Medienredaktionen auf Basis von qualitativen Leitfadeninterviews mit beteiligten Journalist:innen und Publikumsmitgliedern zu analysieren und zu diskutieren. Basierend auf der Analyse des Fallbeispiels werden übergreifende notwendige Planungsschritte sowie Chancen und Herausforderungen der Umsetzung von Audience-Engagement innerhalb des Redaktionsalltags diskutiert. Die zentrale Forschungsfrage lautet folglich: Welche Chancen und Herausforderungen lassen sich in der redaktionellen Umsetzung von Audience-Engagement identifizieren?

3 Die Journalismus-Publikum-Beziehung

Das Publikum spielt seit jeher eine zentrale Rolle im Journalismus.Footnote 1 Journalismus ist ohne Publikum grundsätzlich nicht denkbar und journalistische Kommunikation bedarf eines oder mehrerer Empfänger (vgl. Loosen et al. 2020, S. 10). Kovach und Rosenstiel stellten bereits 2001 als Grundsatz auf: „Journalism’s first loyalty is to citizens.“ (Kovach und Rosenstiel 2001, S. 51) Journalismus erbringt innerhalb demokratischer Gesellschaften eine Vielfalt an wichtigen Funktionen: Informationsvermittlung, Orientierung, Meinungsbildung, politische Deliberation sowie Partizipation sind hier nur Beispiele (vgl. Blöbaum 2016, S. 152). Damit der Journalismus diese gesellschaftlich wichtigen Aufgaben weiterhin erbringen kann, ist er auf die Unterstützung und Zuwendung seines Publikums angewiesen (vgl. Loosen et al. 2020, S. 10). Innerhalb der letzten Jahrzehnte war diese Orientierung am Publikum in der journalistischen Praxis jedoch nicht immer gegeben. Journalist:innen hatten kaum Informationen, wie sich ihr Publikum zusammensetzt und welche Interessen und Erwartungen es hat – der Kontakt zum Publikum beschränkte sich vorwiegend auf imaginäre Vorstellungen, Mediaforschung und vereinzelte Publikumsrückmeldungen (vgl. Hohlfeld 2023, S. 246). Mittlerweile hat sich der Journalismus jedoch auf das zuvor erwähnte Statement von Kovach und Rosenstiel (2001, S. 51) zurückbesonnen und die Erkenntnis an Bedeutung gewonnen, dass es gilt, das Publikum ernst zu nehmen, dessen Erwartungen und Bedürfnisse anzuerkennen und auch in der eigenen Arbeit zu berücksichtigen (vgl. Hohlfeld 2023, S. 243). Befördert wurde dies durch die Entwicklungen der Digitalisierung, welche zu einer verstärkten Sichtbarkeit beider Parteien der Journalismus-Publikum-Beziehung geführt hat (Wilhelm et al. 2021, S. 1006). Durch verschiedene Formen der Publikumsvermessung verfügen Redaktionen mittlerweile über deutlich mehr Wissen darüber, wie sich ihr Publikum zusammensetzt sowie welche Wünsche, Interessen und Erwartungen dieses an ihre Arbeit mitbringt (vgl. Ferrucci 2020, S. 1588).Footnote 2 Direkter Austausch mit den Rezipierenden wurde durch die technologischen Möglichkeiten der Digitalisierung deutlich erleichtert und Redaktionen und Publikum haben mittlerweile vielfältige Wege, in direkte Interaktion zu treten und eine dialogische Beziehung aufzubauen (vgl. Wilhelm et al. 2021, S. 1006). In den Redaktionen findet dementsprechend mittlerweile eine deutlich stärkere Befassung mit dem Publikum statt (vgl. Uth 2021, S. 229) – sei es in Form von Publikumskennzahlen (vgl. Ferrucci et al. 2020, S. 1588) oder durch die Einbindung des Publikums in die journalistischen Produktionsprozesse (vgl. Engelke 2019, S. 33). Auch die kommunikationswissenschaftlich Forschung zur Journalismus-Publikum-Beziehung nahm über die letzten 20 Jahre entsprechend konstant zu (vgl. Uth et al. 2023, S. 5) und innerhalb der Journalismusforschung werden oftmals die Potenziale für eine neue, engere Journalismus-Publikum-Beziehung diskutiert (vgl. Wilhelm et al. 2021, S. 1006–1007). Zugleich ist öffentlich häufig jedoch auch die Rede von einer gebrochenen beziehungsweise gestörten Beziehung zwischen dem Journalismus und seinem Publikum (vgl. Holton et al. 2016, S. 851; Wolf 2015, S. 28). Diese Beziehungsstörung äußert sich in vielerlei Indikatoren: Während der Journalismus in Deutschland und vor allem im internationalen Vergleich hohes Vertrauen genießt, gibt es einen kleinen, aber verhärteten Teil der Bevölkerung, der den Medien nicht (mehr) vertraut und ihnen skeptisch oder sogar zynisch gegenüber steht (vgl. Schultz et al. 2023, S. 2) und Teile der Bevölkerung fühlen sich von den Medien nicht ernstgenommen und repräsentiert (vgl. Jackob et al. 2019, S. 216). Redaktionen stehen deshalb vor der Herausforderung, die Potenziale der Digitalisierung für sich zu nutzen und entsprechende Strategien zu entwickeln, um eine engere Bindung und Beziehung zu ihren Rezipierenden aufzubauen.

4 Audience-Engagement als Strategie der Publikumsbindung

Eine hierfür in der Journalismusforschung als zentral angesehene Strategie ist die des Audience-Engagements beziehungsweise des ‚Engaged Journalism‘ (vgl. beispielsweise Green-Barber und McKinley 2019; Nelson 2018). Obwohl in den letzten Jahren viele Publikationen zu Audience-Engagement erschienen sind, liegt bislang kein klarer Konsens zur Definition des Konzepts vor (vgl. Gajardo und Costera Meijer 2023, S. 1960). Allen Definitionen gemein ist jedoch die Orientierung des Journalismus an seinem Publikum, der Fokus auf Interaktion, Partizipation und die Erlebnisse, die Rezipierende mit dem Journalismus und seinen Angeboten erleben als zentrale Komponenten (vgl. Lawrence et al. 2018, S. 1221) sowie Bindung, Loyalität, Vertrauen und die finanzielle Stärkung des Journalismus als Ziele des Audience-Engagements (vgl. Batsell 2015, S. 5–6). Zugrundeliegende Forderung ist, dass Redaktionen stärker in den Kontakt und Austausch mit ihrem Publikum treten, um dieses sowie dessen Erwartungen besser zu verstehen und bedienen zu können (vgl. Nelson 2021, S. 2355). Zentrale Komponenten sind neben quantitativen Publikumskennzahlen vor allem qualitative Formen der Einbindung und Kooperation mit den Rezipierenden (vgl. Ferrucci et al. 2020, S. 1588; Nelson 2018, S. 530–531). Das Konzept des Audience-Engagements zeigt durch diese Bestandteile und Ziele vielfältige Ähnlichkeiten und Verbindungen zu anderen, früheren theoretischen Konzeptualisierungen von spezifischen journalistischen Berichterstattungsmustern (auch X‑Journalism genannt, vgl. Loosen et al. 2022) – wie beispielsweise ‚Public Journalism‘ (vgl. z. B. Nip 2006), ‚Partizipativer Journalismus‘ (vgl. Engelke 2019) oder ‚Reciprocal Journalism‘ (vgl. z. B. Lewis et al. 2014). Oftmals ist in diesem Zusammenhang auch die Rede von Audience-Engagement als ‚Public Journalism 2.0‘ (vgl. Min 2020).

Audience-Engagement kann entsprechend der Definition von García-Avilés (2022) als Medieninnovation gesehen werden, da Redaktionen durch Audience-Engagement als mögliche Lösung auf ein Problem in der Medienbranche reagieren und mit dieser zugleich Mehrwert für sowohl das Publikum als auch die Redaktion schaffen (S. 365). Audience-Engagement kann durch die Zusammenarbeit zwischen Journalismus und Publikum und damit diverser unterschiedlicher Akteure auch als Form kollektiver Innovation gesehen werden (für eine Definition kollaborativer Innovation siehe Wittke und Hanekop 2011, S. 9).

Wie bisherige Literatur nahelegt, lassen sich zwei zentrale Komponenten des Audience-Engagements unterscheiden – Broersma (2019) bezeichnet diese als manifeste vs. latente Dimensionen des Audience-Engagements (S. 2). Während sich manifeste Kategorien vor allem auf quantitativ messbare Aspekte fokussieren, welche aus dem Konsum von Medienprodukten resultieren, beispielsweise Publikumskennzahlen, sind latente Formen des Audience-Engagements schwerer zu fassen. Sie sind als qualitativ anzusehen und beziehen sich auf das Wahrnehmen und Erleben von Medienprodukten, beispielsweise in Form von Interaktion oder Partizipation (vgl. Broersma 2019, S. 2). Je nachdem, welche dieser manifesten oder latenten Elemente in der strategischen Ausrichtung einer Redaktion vorherrschen, unterscheidet Broersma (2019) zudem zwischen dem ‚minimalist‘ sowie dem ‚maximalist approach to audience engagement‘, welche als zwei Endpunkte eines Spektrums der Umsetzung von Audience-Engagement anzusehen sind (S. 4). Die minimalistische Herangehensweise an Audience-Engagement besteht vor allem in einem Fokus auf quantitative Komponenten, zum Beispiel Kennzahlen wie Klickzahlen, über welche Journalist:innen das Engagement ihres Publikums unmittelbar beobachten können – also manifeste Dimensionen (vgl. auch Ferrucci 2020, S. 249–250). Die maximalistische Herangehensweise am anderen Ende des Spektrums meint die aktive Beteiligung des Publikums in der Nachrichtenherstellung – als Beispiel benennt Broersma (2019) hier den ‚Public‘ oder ‚Civic Journalism‘, welche das Publikum ins Zentrum ihrer Arbeit stellten (S. 4; vgl. auch Nip 2006, 2008). Die ‚maximalist approaches‘ zeichnen sich dadurch aus, dass das Publikum sowie dessen Interessen aktiv in die Herstellung journalistischer Inhalte miteinbezogen werden, Journalist:innen mit ihren Rezipierenden kollaborieren und so nicht nur die gemeinsame Beziehung vertiefen, sondern gemeinsam gesellschaftlich relevanten Journalismus produzieren (vgl. Broersma 2019, S. 1–2; vgl. auch Green-Barber und McKinley 2019, S. 6; Wenzel 2019, S. 709–710).

Eng hiermit verbunden schlagen Lawrence et al. (2018, S. 1224) eine Systematisierung von Audience-Engagements anhand vier Dimensionen vor. Ihrer Systematisierung zugrunde liegen zwei divergierende Publikumskonzeptionen, zwischen denen es in Redaktionen zu differenzieren gilt: Einerseits die Konzeption der Rezipierenden als vorwiegend passive Konsument:innen und Empfänger:innen journalistischer Kommunikation („audience as reactive consumer“, S. 1224), sowie andererseits das Verständnis von Rezipierenden als aktive Nutzer:innen und Produzent:innen journalistischer Inhalte („audience as active user“, S. 1224). Die jeweilige Konzeption des Publikums innerhalb der Redaktionen veranschaulichen Lawrence et al. (2018, S. 1224–1225) anhand vier konkreter Dimensionen, welche jeweils als Kontinuum zwischen zwei Extrempunkten anzusehen sind und in Tab. 1 genauer erläutert werden (siehe Tab. 1).

Tab. 1 Klassifizierung von Audience-Engagement anhand vier Dimensionen. (nach Lawrence et al. 2018, S. 1224–1225)

Um eine tiefgehende Beziehung mit dem Publikum aufzubauen, scheinen vor allem die qualitativen Herangehensweisen an Audience-Engagement, die mit einem Verständnis des Publikums als aktive Produzent:innen einhergehen, vielversprechend (vgl. Broersma 2019, S. 4; Lawrence et al. 2018, S. 1225). Medienhäuser haben in den letzten Jahren entsprechende Bausteine in ihre Arbeit integriert (vgl. Lawrence et al. 2018, S. 1235; Wenzel 2019, S. 709–710). Eine Möglichkeit hierzu sind Sonderprojekte des Audience-Engagements. Darunter verstehen wir dabei meist einmalig angelegte Projekte, innerhalb derer Audience-Engagement beziehungsweise Partizipation als konkrete Zielvorstellung formuliert und in denen das Publikum gezielt eingebunden und beteiligt wird.

5 Fallbeispiel #unserWasser

Ein Beispiel für ein solches Projekt ist das ARD-Event #unserWasser, welches unter Federführung des SWR konzipiert und durchgeführt wurde.Footnote 3 Von 16. März 2022 bis zum 29. August 2022 beleuchtete das Projekt in journalistischer Form das Thema der Wasserknappheit und Zugriffsrechte innerhalb Deutschlands. Ziel des Projektes ist, auf die schwindenden Wasservorräte innerhalb Deutschlands und so auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen, wie die ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger berichtet: „Mit #unserWasser wollen wir als ARD das Thema Wasser mit all seinen Problemen in die Gesellschaft bringen. Mit allem was die ARD zu leisten vermag: TV, Radio, Twitter – aber nicht als Einbahnstraße, sondern im Dialog mit dem Publikum“ (Gendries 2022, o. S.). Um das Publikum aktiv in das Thema einzubinden sowie kollaborativ Wissen zum Thema zu sammeln, wurden mehrere Formate der Publikumsbeteiligung gestaltet, mitunter eine Crowd-Science-AktionFootnote 4 mit dem Titel „Wo verschwinden unsere Bäche und Teiche?“: eine interaktive Deutschlandkarte, in der Publikumsmitglieder Gewässer in ihrer Nähe melden können, die kein oder nur wenig Wasser führen; ebenso wie eine Mitmachaktion in Zusammenarbeit mit dem Weltfriedensdienst e. V., in der Rezipierende mit Hilfe einer Wasserampel analysieren können, wie viel Wasser sie im Alltag verbrauchen. Zusätzlich zu diesen beiden zentralen Formaten der Publikumsbeteiligung finden sich im Projekt viele weitere Initiativen, die die Rezipierenden aktiv in den journalistischen Produktionsprozess miteinbeziehen sollen, beispielsweise in Form von Abtimmungen über ein interaktives Zuschauertool. Durch die verschiedenen Formate soll nicht nur informiert, sondern auch Publikum und Politik zum Handeln animiert werden. Das Projekt wurde laut Einschätzung der Organisator:innen gut vom Publikum angenommen: Neben hohen Einschaltquoten für die angebotenen Fernsehformate wurden vor allem die interaktiven Elemente des Projektes, die Crowd-Science-Aktion sowie die Wasserampel, in regem Maße genutzt. Zum Ende des Projekts sind auf der interaktiven Karte zu Gewässern mit niedrigem Wasserstand bzw. austrocknenden Gewässern über 2200 Meldungen eingegangen, die anschließend wissenschaftlich durch die Universität Koblenz-Landau ausgewertet wurden.Footnote 5

5.1 Methodisches Vorgehen

Um die Chancen und Herausforderungen von Audience-Engagement innerhalb von Redaktionen genauer zu beleuchten, wurde das soeben beschriebene Projekt #unserWasser im Rahmen einer qualitativen Fallstudie genauer analysiert. Qualitative Fallstudien eignen sich zur Beantwortung explorativer Fragestellungen, die sich mit der Beschreibung, Charakterisierung und Erklärung sozialer Phänomene befassen (vgl. Speier-Werner 2006, S. 54; Yin 2009, S. 4). Durch die intensive Beschreibung eines konkreten, zeitlich abgegrenzten Falles erlaubt die Fallstudie detailreiche Einblicke über diesen (vgl. Von Rimscha und Sommer 2016, S. 371–372; Speier-Werner 2006, S. 54), durch welche sich dann Schlüsse über den übergeordneten Forschungsgegenstand ziehen lassen (vgl. Gerring 2011, S. 1137). Mit Blick auf die Konzeption von Fallstudien lassen sich verschiedene Typen unterscheiden (vgl. Yin 2009, S. 47). Im vorliegenden Fall handelt es sich mit der Untersuchung des Projektes #unserWasser um ein Single-Case-Design, welches sich die Untersuchung eines Extremfalles (bzw. auch „unique case“, Yin 2009, S. 47) zum Ziel setzt. Da im deutschen Kontext und Raum bislang nur wenige Projekte vorliegen, die intensiv Audience-Engagement betreiben, bietet sich die Analyse des Projektes #unserWasser gesondert an, um die Umsetzung, Chancen und Herausforderungen des Audience-Engagements zu analysieren. Der Einzelfall steht als typischer beziehungsweise besonders prägnanter Fall exemplarisch für eine größere Zahl vergleichbarer Phänomene und erlaubt so weiterführende Aussagen zur Beantwortung der Forschungsfrage (vgl. Speier-Werner 2006, S. 57).

Die zentrale Methode dieser Studie sind qualitative Leitfadeninterviews. Da es sich bei Audience-Engagement um ein Konstrukt innerhalb der Journalismus-Publikum-Beziehung handelt, bietet sich die Durchführung einer sogenannten „Beziehungsstudie“ (vgl. Sprengelmeyer et al. 2022, S. 219) an, die sowohl Journalist:innen als auch Publikumsmitglieder in den Fokus nimmt. Auf der journalistischen Seite wurden drei Expert:inneninterviews mit Journalist:innen geführt, die in tragender Rolle am Projekt #unserWasser beteiligt sind:

  • Thomas Reutter, Head of Project

  • Daniel Harrich, Filmemacher

  • Verena Ziegler, Social Media Redakteurin/Teamlead Digital Strategy & Distribution

Für die Publikumsseite wurden ein Interview mit einem Publikumsmitglied geführt, welches in intensiver Form aktiv am Projekt partizipiert hat. Die Konstruktion der Leitfäden erfolgte auf Basis der Forschungsfragen sowie bisheriger Theoriearbeit zu Audience-Engagement. Der Leitfaden bestand insgesamt aus drei Blöcken:

  • Einleitung: Projektbeschreibung und -wahrnehmung, Rolle innerhalb des Projektes, Koordination mit anderen Beteiligten;

  • Hauptteil: Erwartungen an das Projekt sowie die Audience-Engagement-Formate (Fokus auf Interaktion);

  • Schluss: Evaluation und Bewertung des Projektes, Erkenntnisgewinne, Folgen für die Journalismus-Publikum-Beziehung.

Ausgehend von dieser Grundstruktur wurden die Leitfäden im Detail auf die jeweiligen Interviewpartner und ihre Rolle innerhalb des Projektes angepasst. Für den Leitfaden des Publikums wurde eine größtmögliche Spiegelung mit dem der Journalist:innen angestrebt, um einen Vergleich der Erfahrungen, Wahrnehmungen und Bewertungen zu ermöglichen. Die Feldphase lief von Ende Juni bis zum 08. Dezember 2022. Die Gespräche wurden über Zoom geführt, aufgenommen und transkribiert sowie auf Wunsch eine Autorisierung und Anonymisierung ermöglicht.

Neben den qualitativen Interviews wurden außerdem verschiedene Dokumente zur Durchführung und dem Ertrag des Projektes #unserWasser für ergänzende Einblicke zur Auswertung herangezogen, die uns vom SWR zur internen Nutzung bereitgestellt wurden. Dazu zählten Pressemitteilungen zum Projekt, eine Informationsbroschüre sowie der Bericht zur wissenschaftlichen Auswertung.

Die Auswertung der Interviews und Dokumente erfolgte in Form einer qualitativen, induktiv-deduktiven Inhaltsanalyse nach Mayring (2015). Ausgangsbasis stellte ein aus den Forschungsfragen sowie der Literatur abgeleitetes deduktives Kategoriensystem dar, welches nach einer ersten Anwendung auf das Material induktiv und zirkulär ergänzt wurde. Das Kategoriensystem ist im Anhang des Aufsatzes einsehbar. Auf Basis dieses Kategoriensystems wurden alle Transkripte codiert, systematisiert und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede herausgearbeitet.

5.2 Auswertung

Mit Blick auf die vorhin eingeführte Systematisierung nach Lawrence et al. (2018, S. 1225) ist das Projekt #unserWasser grundsätzlich als ‚thick approach‘ des Audience-Engagements zu klassifizieren. Vor allem die zwei zentralen Partizipationselemente innerhalb des Themenschwerpunkts, die Wasserampel sowie die Crowdsourcing-Aktion sind als qualitative, intensive Formen des Audience-Engagements zu verstehen – ergänzt werden diese durch klassische ‚thin approaches‘, die generell im Redaktionsalltag bestehen. Das Publikum hat die Möglichkeit, sich nicht nur als ‚reaktive Konsumenten‘ vor und im Anschluss des Produktionsprozesses einzubringen, sondern als ‚aktive Nutzer‘ Inhalte selbst zu gestalten und sich in die journalistische Recherche einzubringen (vgl. Lawrence et al. 2018, S. 1224).

Mit Blick auf den Partizipationsgrad des Publikums (participation in vs. through news, vgl. Lawrence et al. 2018, S. 1224) ist eine Mischform festzustellen, die sich über die Zielsetzung des Projektes begründen lässt. Wie sich in den Interviews zeigt, verfolgt der Themenschwerpunkt #unserWasser zwei Ziele: Primäres Ziel ist, die Rezipierenden auf die Problematik der Wasserknappheit aufmerksam zu machen und Denkanstöße sowie Handlungsanregungen zu schaffen – also ein über die Berichterstattung hinausgehender Impact auf Rezipierende sowie Politik (und damit gesellschaftliche Partizipation über den Nachrichtenkonsum hinaus). Zugleich verfolgt das Projekt aber auch das Ziel der Einbindung und Beteiligung der Rezipierenden (Partizipation an den Nachrichten). Mit Blick auf die journalistische Einstellung gegenüber Audience-Engagement innerhalb der Redaktion (vgl. Lawrence et al. 2018, S. 1225) herrscht klar Optimismus vor – die Beteiligten zeigen Begeisterung für das Projekt und die aktive Einbindung der Rezipierenden in ihre Arbeit.

Nichtsdestotrotz ergeben sich aus den Interviews diverse Herausforderungen, die es bei der Planung und Durchführung von Audience-Engagement-Projekten zu beachten gibt. Diese sollen im Folgenden kurz dargestellt und diskutiert werden.

5.2.1 Herausforderungen des Audience-Engagements

Organisations- und Koordinationsaufwand

Als zentrale Herausforderung für Audience-Engagement-Projekte ist der hohe notwendige Aufwand für deren Planung und Umsetzung zu nennen. Die Einbindung des Publikums erfordert Zeit und Arbeit, welche zusätzlich zum bestehenden redaktionellen Alltagsgeschäft anfällt. Audience-Engagement-Initiativen müssen nicht nur intensiv vorbereitet, sondern auch während ihrer Durchführung betreut, die Beteiligungen des Publikums entsprechend beantwortet sowie aktiv journalistisch aufgearbeitet werden – beispielsweise in Form weiterer Berichterstattung oder Projekte. Idealerweise werden durch die Redaktionsleitung personelle Kapazitäten freigegeben, die gezielt auf die Betreuung entsprechender Projekte angesetzt und von anderen Aufgaben freigestellt werden. Die Einrichtung einer spezifischen Audience-Engagement-Stelle, oder im Falle größerer Redaktionen sogar eines eigenen Teams, ist wünschenswert, um längerfristige Kompetenzen und Verantwortlichkeiten aufzubauen. Das analysierte Projekt #unserWasser wurde beispielsweise unter wiederholter Zusammenarbeit desselben Teams gestaltet – demnach lagen sowohl für die Planung entsprechender Projekte als auch mit Blick auf Abläufe und Koordination innerhalb des Teams bereits wertvolle Erfahrungen vor.

Redaktionelle Selbstverpflichtung

Auch die vorherrschende Redaktionskultur ist für Audience-Engagement-Projekte entscheidend. Hier geht es vor allem um die Aufgabe, die Redaktion und ihre Mitglieder primär von der Notwendigkeit und dem Sinn derartiger Audience-Engagement-Projekte zu überzeugen und eventuell vorherrschende Vorurteile oder Hürden abzubauen. Wie aus den Interviews hervorgeht, ist von zentraler Bedeutung, dass alle Beteiligten das Projekt inhaltlich und vor allem auch die Ausrichtung auf Engagement mittragen. Um diese Zusage bei den Beteiligten zu erreichen und derartige Projekte erfolgreich umzusetzen, ist erneut eine dezidierte Leitungsposition innerhalb des Projektes sinnvoll, welche die Idee des Audience-Engagements innerhalb der Redaktion vorantreibt und zum Ziel ihrer Arbeit macht – wie in unserem Fall Thomas Reutter als Head of Project.

Erwartungsmanagement und Prozesskommunikation

Hiermit verbunden ist die Notwendigkeit eines klaren Erwartungsmanagements innerhalb von Audience-Engagement-Projekten – welches sowohl von den Journalist:innen als auch vom Publikum als wichtiger Faktor benannt wurde. Von Anfang an sollte klar kommuniziert werden, in welcher Form das Publikum beteiligt wird und wie auf diese Beteiligung von journalistischer Seite aus reagiert wird – eine konstante und realistische Prozesskommunikation spielt dementsprechend eine zentrale Rolle: „Also ich glaube, es ist wichtig, dass wir dem Publikum nicht zu viel versprechen. Wir haben zum Beispiel sehr darauf geachtet, dass die nicht auf die Idee kommen, dass bei jeder Meldung jetzt ein Wissenschaftler angerannt kommt und ein Kamerateam parat steht. Wenn man diese Erwartungshaltung schürt, dann sind sie natürlich enttäuscht. Andererseits muss man natürlich vermitteln, dass es wichtig ist, dass sie da mitmachen, weil die Wissenschaftler diese Daten brauchen.“ (Thomas Reutter) Diese Prozesskommunikation ist entscheidend, um Enttäuschungen im Falle unterschiedlicher Erwartungen zu vermeiden – wie es für den interviewten Publikumsvertreter der Fall war: „Ich überlege noch, ob ich mich überhaupt noch mal zu einem Interview oder so bereiterkläre – hätte ich es nicht gemacht, wäre ich heute genauso weit, wie ich jetzt bin.“ (Publikumsvertreter).

Ethische und datenschutzrechtliche Aspekte

Neben den bisher genannten Aspekten offenbaren die Interviews auch pragmatische Herausforderungen in der Umsetzung von Audience-Engagement: ethische sowie datenschutzrechtliche Aspekte, im Projekt #unserWasser beispielsweise mit Blick auf die Crowd-Science-Aktion sowie die daraus entstehende #unserWasser-Karte. Bei allen Optionen der Publikumsbeteiligung, die über basale Reaktionsoptionen (z. B. Likes, Votes) hinausgehen, stellt sich im Vorfeld stets die Frage, wie mit einem eventuellen Missbrauch der Partizipationsoptionen umzugehen ist. Redaktionen sollten bereits vor der Durchführung entsprechender Projekte offene Fragen aus Sicht des Community-Managements, wie beispielsweise Moderation und Kommentarmanagement, beantworten. Praktisch stellt sich die Abwägung, wie Redaktionen Audience-Engagement moderieren können, um einerseits genug Kontrolle zu bieten und Anforderungen an den Datenschutz aber auch an die journalistische Qualität zu erfüllen, andererseits aber den Arbeitsaufwand möglichst gering halten zu können. Fragen wie diese zeigen, dass bei der Umsetzung von Audience-Engagement-Projekten eine gute Kenntnis des eigenen Publikums, aber vor allem auch Vertrauen in dieses notwendig ist. Vor der Überlegung und Umsetzung entsprechender Projekte gilt es, mit Blick auf das eigene Publikum zu evaluieren, ob diese angenommen und wertgeschätzt werden, mit welchen Beiträgen und welchem Feedback zu rechnen ist sowie die Wahrscheinlichkeit des Missbrauchs beziehungsweise der Zweckentfremdung einzuschätzen.

Themenfindung

Ein weiterer zentraler Faktor, der über Erfolg oder Misserfolg von Audience-Engagement-Projekten entscheiden wird, ist das gewählte Thema des Projektes. Zentral ist, dass das dem Projekt zugrundeliegende Thema nicht nur journalistische Relevanz aufweist, sondern auch subjektive Relevanz für die Rezipierenden mit sich bringt. Es muss breit genug gewählt sein, um ein möglichst großes Publikum anzusprechen und für dieses von Interesse zu sein, zugleich muss das Thema unmittelbare Handlungsrelevanz für die Rezipierenden haben und spezifisch genug sein, damit diese sich aktiv einbringen und die angebotenen Bausteine des Audience-Engagements nutzen. Die an #unserWasser Beteiligten betonen, dass sich vor allem solche Themen für Audience-Engagement-Projekte anbieten, die einen unmittelbaren Bezug zur Lebenswelt der Rezipierenden aufweisen und gegebenenfalls sogar ein Problem aufgreifen, mit dem sich das Publikum im Alltag konfrontiert sieht: „[A]lso zum einen das Bewusstsein über die Problematik und der Wunsch, etwas dagegen zu tun, und vielleicht auch das Bewusstsein: ‚Okay, wenn ich mich daran beteilige, dann kann ich da wirklich was dazu beitragen […]‘.“ (Verena Ziegler). Hier ist also erneut eine gute Kenntnis des eigenen Publikums wichtig: Je passgenauer die Themen, zu denen Redaktionen Audience-Engagement-Initiativen ins Leben rufen, auf das Publikum und dessen Bedürfnisse und Interessen abgestimmt sind, desto quantitativ und qualitativ höherwertigeres Audience-Engagement ist erwartbar: „Besonders wichtig sind Themen der Zeit, die in unserem Lebensraum stattfinden.“ (Publikumsvertreter) Vor allem lokale Themen dürften hier große Potenziale mit sich bringen, da diese für die meisten Rezipierenden des Verbreitungsgebietes unmittelbare Relevanz sowie einen oftmals akuten Bezug zum eigenen Leben mit sich bringen – im Rahmen der Fallstudie #unserWasser betonen die Beteiligten insbesondere den lokalen Bezug der Aktion als Motivation hinter der Beteiligung des Publikums: „Weil das auch irgendwas mit diesem Heimatgefühl vielleicht zu tun hat und mit dem Bewusstsein, mit der Wahrnehmung meiner persönlichen Umgebung.“ (Thomas Reutter)

Formate der Publikumsbeteiligung

Eng mit dem Gesichtspunkt der Themenfindung ist auch die Wahl der jeweiligen Formate der Publikumsbeteiligung verbunden. Wie gezeigt, ist prinzipiell eine breite Vielfalt an Audience-Engagement-Formaten denkbar, die mit jeweils unterschiedlichen Hürden für das Publikum einhergehen. Hier ergibt sich aus journalistischer Perspektive eine Abwägungsfrage: Je höher die Schwelle zur aktiven Beteiligung, desto geringer könnte der Grad an Publikumsbeteiligung ausfallen – zugleich kann nicht vernachlässigt werden, dass Beteiligungsformate erst ab einem gewissen Grad der aktiven Beteiligung sinnvoll journalistisch nutzbar werden. Empfehlenswert ist deshalb, verschiedene Bausteine des Audience-Engagements zu kombinieren, die unterschiedliche Level an Involvement verlangen. Wie die Erfahrungen aus #unserWasser zeigen, nehmen diese unmittelbar Auswirkungen auf den Grad der Beteiligung des Publikums. Innerhalb des analysierten Projektes wurden verschiedene Formate kombiniert, die jeweils mit unterschiedlichem Aufwand für das Publikum einhergingen – beispielsweise die Wasserampel, bei der Publikumsmitglieder recht einfache Angaben zu ihrem eigenen Wasserverbrauch machen mussten, im Vergleich zur Crowd-Science-Aktion, in der den Publikumsmitgliedern vergleichsweise aufwendige Angaben abgefordert wurden, beispielsweise zum Standort, zum Wasserstand des Gewässers in der Vergangenheit sowie idealerweise auch ein Foto des Gewässers. Wie die Beteiligten berichten, spiegelten sich diese Anforderungen auch in der Nutzung der unterschiedlichen Elemente wider: Während die eher einfach gehaltene Wasserampel hohe Nutzungswerte aufwies, fielen die Zahlen bei der Crowd-Science-Aktion im Vergleich etwas ab, auch wenn hier Beteiligung über die zuvor definierten Erwartungen hinaus zu verzeichnen war – was erneut die Relevanz der Themenwahl betont. Zugleich bestimmt die Wahl der Formate jedoch nicht nur den Grad der Beteiligung, sondern auch den zu erwartenden Nutzen für die Journalismus-Publikum-Beziehung. Insbesondere Formate mit direkterem Kontakt zum Publikum, die oftmals jedoch mit einem höheren notwendigen Involvement einhergehen, scheinen mit Blick auf ihre Chancen für die Journalismus-Publikum-Beziehung besonders vielversprechend, wie die beteiligten Journalist:innen berichten. Zentral ist, dass der für das Publikum individuelle Aufwand mit dem einhergehenden persönlichen Ertrag und Nutzen im Verhältnis steht: „Das [Anm.: eine positive Erfahrung] war es sicherlich. Nur der Aufwand ist für mich eigentlich zu hoch. Ich habe bisher auch dadurch nichts Greifbares in Händen.“ (Publikumsvertreter) Ein gut gewählter Mix aus verschiedenen Formaten der Publikumsbeteiligung scheint also empfehlenswert, um die Balance zwischen Reichweite einerseits sowie Chancen und Effekten andererseits zu wahren.

Journalistische Qualität und Unabhängigkeit

Audience-Engagement-Projekte bergen – wie alle Formen der Publikumsbeteiligung –Herausforderungen mit Blick auf die Wahrung journalistischer Unabhängigkeit. Bei Kooperationen mit Publikumsmitgliedern ist aus Sicht der Beteiligten entscheidend, die Balance zwischen einer Öffnung des Journalismus gegenüber dem Publikum und dessen Interessen einerseits sowie journalistischer Qualität und Unabhängigkeit andererseits zu wahren: „Auch journalistisch muss man da ja sensibel sein, wenn man ein Amt miteinbezieht in das Programm, was man macht. Also da muss man auch darauf achten, dass man journalistisch unabhängig bleibt.“ (Thomas Reutter).

5.2.2 Chancen des Audience-Engagements

Audience-Engagement-Projekte bringen jedoch nicht nur Herausforderungen, sondern auch vielfältige Chancen für den Journalismus mit sich. Diese positiven Effekte zeigen sich auch im Rahmen des Projekts #unserWasser, welches von den Beteiligten insgesamt als eindeutig positiv für die Journalismus-Publikum-Beziehung bewertet wird: „Also ich glaube, dass das Projekt #unserWasser eines der Leuchtturmprojekte war für eine sehr gute Beziehung zum Publikum.“ (Verena Ziegler) Welche positiven Effekte Audience-Engagement für Medienhäuser mit sich bringen kann, soll im Folgenden anhand des Projektes #unserWasser kurz diskutiert werden.

Aufbau von Legitimität, Repräsentation und Diversität

Werden Audience-Engagement-Projekte erfolgreich umgesetzt, bieten sie die Chance, durch die aktive Einbeziehung des Publikums und der Öffentlichkeit zum Aufbau von Legitimität beizutragen – sowohl für die Medienorganisation selbst als auch für den Journalismus im Ganzen. Durch die Etablierung von Initiativen, die das Publikum gezielt in die Berichterstattung und deren Produktion sowie Diskussion miteinbinden, wird der Journalismus seinem gesellschaftlichen Auftrag der Gemeinwohlorientierung gerecht. Vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist diese Orientierung an seinem Publikum zentral und fest in seinem öffentlichen Auftrag verankert (vgl. Stehle et al. 2022, S. 198). Werden Rezipierende nicht nur auf den der Produktion nachgelagerten Stufen involviert, sondern darüber hinaus auch in Prozesse der Produktion wie die Recherche und Selektion von Themen eingebunden, kann Journalismus auf neue Themen und Blickwinkel aufmerksam gemacht werden. Dadurch bietet Audience-Engagement die Möglichkeit, die Relevanz der Medienagenda zu steigern und Themen aufzugreifen, die ihre Rezipierenden in ihrem Alltag beschäftigen und für sie unmittelbare Handlungsrelevanz haben. Dies bietet nicht nur Chancen mit Blick auf die gesellschaftliche Legitimität des Journalismus sowie dessen Diversität und Repräsentation, sondern trägt zudem auch dazu bei, dass der Journalismus den Erwartungen seines Publikums gerecht werden kann – was wiederum Zufriedenheit mit der Leistung des Journalismus sowie Vertrauen befördern kann (vgl. Prochazka 2020, S. 68; Wilhelm et al. 2021, S. 1005). Durch Projekte, die dem Publikum eine Möglichkeit der aktiven Mitarbeit bieten, können Redaktionen ihren Rezipierenden verdeutlichen, dass sie von der Redaktion gehört werden und für diese von Relevanz sind: „Ich glaube, dass es darauf ankommt, dass man dem Publikum zeigt: Ihr habt hier die Möglichkeit, eine Rückkopplung zu geben, ihr werdet wahrgenommen, wir hören euch zu, wir kommen auch zu euch. Zeigt ihr es uns.“ (Thomas Reutter) Auch aus Publikumssicht wurde dieses Zuhören der Redaktion positiv bewertet – und auf Basis bisheriger Erfahrungen mit dem Journalismus gar nicht erwartet: „Es kam mehr zurück, als ich erwartet habe.“ (Publikumsvertreter). Für die Redaktionen, die entsprechende Audience-Engagement-Projekte umsetzen, bietet sich zudem der praktische Vorteil, dass durch die Beteiligung des Publikums zusätzliche Berichterstattung generiert werden kann – im Fall von #unserWasser beispielweise durch die direkte Zusammenarbeit mit den Menschen, die im Rahmen der Crowd-Science-Aktion austrocknende Gewässer meldeten und im Anschluss für Beiträge in Radio und Fernsehen interviewt wurden.

Erschließung neuer Finanzierungsmöglichkeiten und neuer Publikumssegmente

Eng mit den Aspekten der Etablierung journalistischer Legitimität verbunden ist die finanzielle Überlebensfähigkeit des Journalismus – auch hier bietet Audience-Engagement diverse Chancen. Audience-Engagement wird sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis (vgl. Nelson 2018, S. 528) oftmals als vielversprechende Strategie angesehen, um sinkenden Auflagezahlen und Werbeeinnahmen entgegenzuwirken. Hoffnung ist, dass die Fokussierung auf das Publikum als Erlösquelle eine mögliche Strategie zur Sicherstellung der Finanzierbarkeit des Journalismus darstellt. Für die Zukunft des Journalismus wird zentral sein, Rezipierende an das eigene Medienangebot zu binden und anstelle von reichweitenbasierten Einnahmen (z. B. über Auflage und Werbung) auf die Zahlungsbereitschaft eines kleineren, involvierten Rezipierendenkreises zu setzen (vgl. Nelson und Schmidt 2022, S. 5843). Audience-Engagement-Projekte stellen hierfür eine Möglichkeit dar, durch die sich eine Redaktion von konkurrierenden Anbietern abheben und diesen Rezipierendenkreis aufbauen kann.

Audience-Engagement-Projekte können zudem zum Aufbau der Überlebensfähigkeit des Journalismus beitragen, indem sie darüber hinaus neue Zielgruppen und Publikumssegmente erschließen. Durch den innovativen Zugang zum Publikum bieten solche Projekte nicht nur die Chance, das bestehende Publikum auch weiterhin an das eigene Angebot zu binden sowie neue Monetarisierungsstrategien zu erschließen, sondern auch komplett neue Zielgruppen und Publikumssegmente anzusprechen, die bislang nicht zum Stammpublikum eines journalistischen Angebots zählten – vor allem mit Blick auf jüngere Zielgruppen, die zunehmend weniger Interesse an Journalismus, zugleich jedoch stärkeres Interesse an Partizipation zeigen als andere Generationen (vgl. Hölig et al. 2022, S. 54) und so durch Audience-Engagement für den Journalismus gewonnen werden könnten. Diese Zielsetzung wurde auch im Rahmen des in der Fallstudie analysierten Themenschwerpunktes #unserWasser definiert: „Also der SWR […] erhofft sich einfach, neue Zielgruppen zu erschließen. Mit Leuten in den Austausch zu kommen, die vielleicht erstmal gar nicht so SWR-affin sind. Und so ist es auch in der ARD. Wir versuchen, Leute anzusprechen, die sonst vielleicht gar nicht so auf der Wellenlänge vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind.“ (Thomas Reutter).

Vertrauensbildung

Wie Uth (2021, S. 229) zeigte, stellt Publikumseinbindung und Audience-Engagement in vielen deutschen Redaktionen außerdem eine zentrale Strategie der Vertrauensbildung dar. Grundannahme ist, dass die aktive Zusammenarbeit zwischen Redaktion und Rezipierenden ein Gefühl der Bindung und Gemeinschaft schafft, welches dann wiederum zum Aufbau von Vertrauen beiträgt (vgl. auch Green-Barber und McKinley 2019, S. 6; Nelson 2018, S. 528). Wie Studien aus anderen Disziplinen zeigen, ist der persönliche Kontakt mit Systemvertretern ein entscheidender Faktor, was die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit eines Berufsstandes und einer Organisation angeht (vgl. z. B. Boda und Medve-Bálint 2017, S. 732). Audience-Engagement-Projekte, die diesen Kontakt explizit anregen, halten also vielfältige Potenziale für den Journalismus bereit. Dieses Ziel wurde auch im Rahmen des analysierten Themenschwerpunkts #unserWasser klar als solches formuliert: „Und ich glaube, dass sich der SWR auch ein bisschen […] gerne da einfach wieder eine Nähe schafft und eine Augenhöhe und ja, einfach eine bessere Glaubwürdigkeit und Nähe zur Bevölkerung.“ (Verena Ziegler).

6 Diskussion

Welche Herausforderungen und Aspekte gibt es bei der Planung und Durchführung von Audience-Engagement in Redaktionen zu beachten – und wo liegen mögliche Chancen? Die vorliegende Fallstudie zu einem Audience-Engagement-Projekt innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bietet dahingehend weiterführende Einblicke.

Audience-Engagement birgt sowohl für Redaktionen als auch für Rezipierende vielfältige Chancen: Themenvielfalt, Aufbau von Legitimität, Diversität und Repräsentation, Erschließung neuer Finanzierungsmöglichkeiten und neuer Publikumssegmente, Vertiefung der Publikumsbindung und Vertrauensbildung sind mögliche Vorteile von Audience-Engagement, die sich im Rahmen unserer Fallstudie gezeigt haben.

Zugleich zeigten sich auch Herausforderungen, die mit der Umsetzung von Audience-Engagement im Redaktionsalltag einhergehen: Der einhergehende Organisations- und Kommunikationsaufwand, das notwendige redaktionelle Engagement, Erwartungsmanagement, ethische und datenschutzrechtliche Aspekte, Themenfindung, die richtige Wahl und Kombination der Formate der Publikumsbeteiligung sowie Gefahren für journalistische Qualität und Unabhängigkeit sind als zentrale Herausforderungen und Erfolgsfaktoren von Audience-Engagement zu benennen. Diese Herausforderungen überschneiden sich nicht nur mit den von Lawrence et al. (2018, S. 1236–1237) zuvor identifizierten Hindernisse in der Umsetzung von Audience-Engagement auf ökonomischer, technologischer sowie (journalismus-)kultureller Ebene, sondern auch mit den Herausforderungen, mit denen sich Medieninnovationen klassischerweise konfrontiert sehen (García-Avilés 2022, S. 366).

Auf Basis der Analyse lassen sich für Redaktionen diverse Handlungsempfehlungen für die Durchführung von Audience-Engagement-Projekten ableiten. Hier zeigen sich Parallelen zur Forschung zu Innovationsmanagement (siehe auch Zerfaß 2009), was erneut den Innovationscharakter von Audience-Engagement unterstreicht.

Etablierung einer Engagement-Kultur

Als Erfolgsfaktor für Audience-Engagement müssen die richtigen organisationalen Rahmenbedingungen (inklusive finanzieller und personeller Ressourcen) sowie eine ‚Engagement-Kultur‘ gegeben sein. Zentral ist, dass gegebenenfalls bestehende Scheu vor Publikumsinteraktion überwunden wird und alle Beteiligten die Orientierung am Publikum als Teil des journalistischen Selbstverständnisses sehen (vgl. auch Lawrence et al. 2018, S. 1237). Obwohl Publikumsorientierung in den letzten Jahren an Wichtigkeit gewonnen hat, ist sie bislang nicht zwingend als Selbstverständlichkeit innerhalb deutscher Redaktionen zu sehen (vgl. Loosen et al. 2020, S. 18–19; Steindl et al. 2017). Wie Nelson (2021, S. 2355) beschreibt, stehen Vertreter:innen des Audience-Engagement insbesondere angesichts der nur schwer nachweisbaren Vorteile vor der Herausforderung, dessen Nutzen im aktuell vorherrschenden „media regime“ (S. 2353) der Medienwelt zu demonstrieren, welches vor allem auf Reichweite als Erfolgsindikator von Medieninhalten ausgerichtet ist (vgl. Nelson und Schmidt 2022, S. 5852–5853). Wie Borger et al. (2013, S. 129) zeigen, stehen in Redaktionen oftmals primär ökonomische und strategische Zielsetzungen hinter der Einbindung des Publikums und diese wird primär als zusätzliche Mehrarbeit im Redaktionsalltag bewertet. Aussagen journalistischer Praktiker:innen zeigen, dass Publikumsbeteiligung vor allem dann wertgeschätzt wird, wenn sie für die Redaktion selbst von Nutzen ist – beispielweise in Form von Themenanregungen (vgl. Engelke 2023, S. 621; Uth 2021, S. 241). Es liegt nahe, dass rein strategisch angelegtes Audience-Engagement vom Publikum als solches erkannt und wahrgenommen wird (Guzmán 2016, o. S.) – was dazu führen kann, dass die angenommenen positiven Effekte des Audience-Engagements ausbleiben. Relevant ist, dass die Beteiligung des Publikums mit Wertschätzung behandelt und aktiv betreut wird, um Publikumserwartungen zu bedienen und so positive Effekte mit Blick auf Publikumsbindung und Vertrauen zu erzielen (vgl. auch Uth 2021, S. 242). Mit Blick auf die zuvor beschriebene Systematisierung des Audience-Engagements nach Lawrence et al. (2018, S. 1225) kann dementsprechend festgehalten werden, dass in Redaktionen zukünftig noch stärker ein Verständnis des Publikums als aktive, gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe angestrebt werden sollte.

Konstante Kommunikation und Begleitung

In der Einführung von Innovationen ist außerdem eine konstante begleitende Kommunikation zentral, um die von der Neuerung Betroffenen ‚mitzunehmen‘ und Vertrauen aufzubauen (Zerfaß 2009, S. 25). Auch für Audience-Engagement-Projekte wie das analysierte ist dies – insbesondere mit Blick auf ein Erwartungsmanagement – ratsam.

Nachhaltige Umsetzung

Eng hiermit verbunden ist der Aspekt der Nachhaltigkeit: Obwohl sie auch als Einzelprojekte sinnvoll und für die Redaktion gewinnbringend sein können, sollte das Ziel sein, Audience-Engagement-Initiativen nicht nur einmalig in Form kurzzeitiger Einzelprojekte umzusetzen, sondern eine dauerhafte Audience-Engagement-Kultur zu etablieren und Publikumsbeteiligung als festen Bestandteil der journalistischen Arbeit konstant mitzudenken (vgl. auch Fiene 2020, S. 285). Nur wenn Audience-Engagement-Projekte langfristig und nachhaltig mitgedacht werden, können sie die von Lewis et al. (2014) angedachten Vorteile im Sinne der „sustained reciprocity“ (S. 235) mit sich bringen – beispielsweise den nachhaltigen Aufbau und Vertiefung der Journalismus-Publikum-Beziehung, Vertrauensbildung sowie den Aufbau einer Gemeinschaft. Die Redaktionsatmosphäre sollte folglich von einer generellen Offenheit gegenüber den Rezipierenden sowie einem aufrichtigen Interesse am Publikumskontakt geprägt sein. Angesichts des hohen Organisations- und Koordinationsaufwands, der mit Audience-Engagement-Projekten einhergeht, gilt es, für die Redaktionen mit ihren individuellen Ressourcen umsetzbare Strategien der dauerhaften Publikumsbeteiligung zu finden. Im Idealfall bietet sich hier eine Kombination aus verschieden tiefgehenden Formaten des Audience-Engagements an. Im Redaktionsalltag kann eine Basisform des Audience-Engagements durch niedrigschwellige Beteiligungsformen eingerichtet werden, beispielweise durch Umfragen, Nutzerkommentare oder die Möglichkeit zu Themenvorschlägen. Diese Basisform kann dann gezielt mit Einzelprojekten ergänzt werden, die die Publikumsorientierung der Redaktion punktuell nach außen hin demonstrieren. Um diese Herausforderungen der redaktionellen Selbstverpflichtung und der langfristigen Umsetzung von Audience-Engagements effizienter in Angriff zu nehmen, ist die Einrichtung fester Audience-Engagement-Stellen oder -Teams innerhalb sinnvoll – vergleichbar mit den von García-Avilés et al. (2019) mit Blick auf Medieninnovationen identifizierten „drivers of change“ (S. 11), die es sich zur persönlichen Aufgabe machen, Wandel innerhalb der Redaktionen aktiv voranzutreiben. Informations- und Wissensmanagement werden im Innovationsmanagement zum zentralen Faktor (Zerfaß 2009, S. 24).

Auswertung und Evaluation

Aufgrund des hohen Aufwands, den Audience-Engagement-Projekte mit sich bringen, ist eine dezidierte Auswertung der Projekte und ihres Ertrags wichtig, um Kosten und Nutzen ins Verhältnis zu setzen – und sie auch gegenüber der Redaktionsleitung zu legitimieren. Unklar ist jedoch, wie Audience-Engagement zielführend gemessen werden kann (vgl. auch Nelson 2018, S. 531). Eine wichtige Komponente hierfür sind Publikumskennzahlen: Sie zeigen auf quantitativer Ebene, inwiefern die Initiativen vom Publikum wahrgenommen, nachgefragt und genutzt werden – beispielsweise in Form von Zugriffszahlen, Bounce Rates, Reaktionen wie Likes, Shares, Kommentarzahlen oder Heatmaps (vgl. Ferrucci 2020, S. 249; Ferrucci et al. 2020, S. 1588). Sie können einen ersten Einblick über den Erfolg des Projektes geben, sind allein jedoch nicht hinreichend, da Audience-Engagement über messbare Kennzahlen hinausgeht und auch emotionale Komponenten wie Bindung, Loyalität oder Vertrauen umfasst (vgl. Nelson 2018, S. 531). Quantitative Messungen müssen dementsprechend durch qualitative Methoden ergänzt und für jedes individuelle Projekt individuelle Mechanismen der Evaluation entwickelt werden. Sinnvollerweise bieten sich solche Methoden an, die die Initiativen in Zusammenarbeit mit dem Publikum evaluieren – beispielsweise Gruppendiskussionen, Feedbackrunden oder Einzelinterviews mit Publikumsmitgliedern.

Grenzen des Audience-Engagements

Trotz aller Chancen gilt zu beachten, dass der Trend zu einem Mehr an Partizipation nicht ausschließlich positiv zu sehen ist: Nach einer anfänglichen Phase der Begeisterung ist mittlerweile oftmals Ernüchterung feststellbar (vgl. Quandt 2018, S. 37–38). In den letzten Jahren sind zunehmend Angriffe gegenüber Journalist:innen beobachtbar, Kommentarspalten werden von Inzivilität dominiert – sowohl gegenüber journalistischen Akteuren als auch innerhalb des Publikums (vgl. Zick und Preuß 2021, S. 253). In Folge wurden viele Formen der Publikumsbindung und -einbindung wieder eingestellt und es hat sich auf journalistischer Seite oft Zurückhaltung herausgebildet, was die aktive Beteiligung des Publikums angeht (vgl. Engelke 2023). Gründe hierfür sind Sorgen um journalistische Unabhängigkeit, Autorität und Qualität (vgl. Uth 2021). Partizipative Elemente werden mittlerweile entsprechend oftmals nur unter kontrollierbaren Bedingungen eingesetzt, in denen Journalist:innen weiterhin Kontrolle über die Beteiligung ihrer Rezipierenden behalten und diese in gelenkten Bahnen erfolgt (vgl. Uth 2021) – Herausforderungen, die auch mit Blick auf Audience-Engagement im Hinterkopf zu behalten sind.

Zuschnitt der Initiativen auf das eigene Publikum

Audience-Engagement-Projekte legen grundsätzlich die normative Annahme zugrunde, dass das Publikum Interesse an einer aktiven Beteiligung am Journalismus hat (vgl. Nelson und Schmidt 2022, S. 5854) – inwiefern dies jedoch tatsächlich zutrifft, ist unklar. Wie der Reuters Digital News Report 2022 zeigt, interagiert nur ein kleiner Ausschnitt der Bevölkerung tatsächlich mit journalistischen Angeboten online (vgl. Hölig et al. 2022, S. 54). Auch wenn die Beteiligten der Fallstudie von einer zufriedenstellenden Beteiligung berichten, die die Erwartungen der Redaktion übertraf, gilt es, die allgemein eher geringe Teilnahmebereitschaft des Publikums im Hinterkopf zu behalten. Wie bei vielen anderen journalistischen Initiativen und Innovationen – wie beispielsweise Transparenz (vgl. Badura et al. 2020, S. 441) – wird deshalb von zentraler Bedeutung sein, dass die von der Redaktion angestrebten Audience-Engagement-Instrumente und -Projekte auf das eigene Publikum individuell zugeschnitten werden. Grundlage hierfür sollte stets qualitative und quantitative Publikums- und Mediaforschung sein, die Auskunft darüber gibt, welche Formate beim eigenen Publikum zielführend sein werden (beispielsweise mit Blick auf die Altersstruktur, Zusammensetzung (Stammleser vs. größtenteils Wechselnutzer) und Mediennutzung des Publikums, aber auch in Abhängigkeit von deren Vertrauen in das Angebot). Zudem sollte vor der Umsetzung jeglicher Projekte stets kritisch evaluiert werden, welche Projekte die Redaktion nachhaltig stemmen kann. Themenschwerpunkte, wie bei #unserWasser der Fall, können hierfür als Test dienen.

7 Limitationen und Ausblick

Zuletzt gibt es in dieser Analyse Limitationen, die es zu berücksichtigen gilt. Zunächst muss einschränkend angemerkt werden, dass auf Publikumsseite nur ein Interview geführt werden konnte. Grund war, dass für die Beantwortung der Forschungsfrage solche Publikumsmitglieder befragt werde sollten, die in einer aktiven Rolle am Projekt teilgenommen und mehrfach mit beteiligten Journalist*innen interagiert hatten – die Beteiligung an der Crowd-Science-Aktion allein war somit nicht ausreichend –, was die Stichprobe auf Publikumsseite stark eingeschränkt hat. Ein weiterer Punkt betrifft die Methodik der Fallstudienanalyse. Generell sollten Begrenzungen bei der Generalisierung von Fallstudien anerkannt werden (vgl. Yin 2009, S. 15), welche insbesondere bei Einzelfallstudien wie dieser vorgebracht werden können. Allerdings lag das Ziel der Untersuchung nicht in einer statistischen Generalisierbarkeit, sondern in einer analytischen Generalisierbarkeit (vgl. auch Speier-Werner 2006, S. 56; Yin 2009, S. 43), welche durchaus gewährleistet ist. Insbesondere angesichts der in Deutschland bislang nur spärlichen Forschung zu Chancen und Herausforderungen des Audience-Engagements bietet die Einzelfallstudie trotz der Einschränkungen in ihrer Generalisierbarkeit wichtige Erkenntnisse mit Blick auf Theoriebildung sowie die Erweiterung des Forschungsstandes. Künftige Forschung kann auf den gefundenen Ergebnissen aufbauen und diese validieren – beispielsweise in Form von Beobachtungen weiterer Projekte, qualitativer Interviews mit beteiligten Journalist:innen und Publikumsmitgliedern sowie quantitativer Untersuchungen zu den Wirkungen solcher Audience-Engagement-Projekte.

Künftige Projekte sollten sich dabei vor allem den Chancen des Audience-Engagements verstärkt annehmen. Während erste Studien, inklusive dieser, die Umsetzung von Audience-Engagement in journalistischen Redaktionen untersuchen (vgl. auch Lawrence et al. 2018), bleibt die Frage, inwiefern der Einsatz von Audience-Engagement systematisch und nachhaltig zur Stärkung der Publikumsbeziehung beiträgt (vgl. für diese Diskussion auch Nelson 2018, S. 540). Bisherige Aussagen über die Wirkungen von Audience-Engagement beschränken sich bislang vor allem auf subjektive Erfahrungen und Wahrnehmungen der Journalist:innen, die an entsprechenden Initiativen beteiligt waren – eine tatsächliche empirische Überprüfung steht unseres Wissens nach bislang noch aus. Neben der Befragung von Rezipierenden in qualitativer Form mit Blick auf Wahrnehmung und Erleben von Audience-Engagement bieten sich hierfür vor allem experimentelle Ansätze an.

Die Analyse bietet eine Ausgangsbasis mit Blick auf zu untersuchende Chancen, aber auch Herausforderungen in der Umsetzung von Audience-Engagement. Dadurch bietet die vorliegende Studie nicht nur einen Mehrwert auf eine bislang nur wenig erforschte Innovation innerhalb des journalistischen Felds, sondern kann auch die journalistische Praxis in der Planung und Durchführung erfolgreichen Audience-Engagements unterstützen.