1 Einleitung: Forschungsethik als Teil des wissenschaftlichen Alltages?

Die Auseinandersetzung mit forschungsethischen Fragen in der Kommunikations- und Medienwissenschaft (KMW) hat in den letzten Jahren verstärkt an Bedeutung gewonnen. So fordert etwa der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) in seinen forschungsethischen Grundsätzen und Prüfverfahren mehr Reflexion und eine ethik-sensible Forschungshaltung (vgl. RatSWD 2017, S. 10). Forschungsethik als „Reflexionstheorie der Moral“ (Brosda und Schicha 2010, S. 10) wird in diesem Beitrag verstanden als die Reflexion der eigenen Handlungsentscheidungen und die Abwägung der Interessen und Rechte der unmittelbar und mittelbar an empirischer Forschung beteiligten Personen (vgl. Schlütz und Möhring 2016, S. 484). Von Unger et al. (2014, S. 2) siedeln diese forschungsethischen Abwägungen an „zwischen rechtlichen Fragen des Datenschutzes, philosophischen Fragen einer angewandten, handlungsorientierten Ethik, politischen und theoretischen Fragen der Positionierung von Forschenden und Wissenschaft in der Gesellschaft und methodischen und methodologischen Fragen einschließlich der (Selbst‑)Reflexivität von Forschenden“ (siehe dazu auch Abschn. 2). Zusätzlich stoßen forschungsethische Fragen zunehmend auch auf öffentliches Interesse, ausgelöst unter anderem durch Debatten über wissenschaftliches Fehlverhalten wie Fälschungen oder Datenmanipulation (vgl. Hofmann und Holm 2019, S. 2). Ethisch angemessenes Verhalten der Forschenden kann die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Forschungsvorhaben stärken (vgl. Strobel et al. 2022, S. 4) und trägt zum Vertrauen der Öffentlichkeit in Wissenschaft bei (vgl. Eyal 2014, S. 337), während Fehlverhalten die öffentliche Skepsis fördert (vgl. Recuber 2015, S. 46). Forschungsethik kann als Teilbereich wissenschaftlicher Integrität und der daraus abgeleiteten „Guten Wissenschaftlichen Praxis“ (GWP) verstanden werden (vgl. Aubert Bonn und Pinxten 2019, S. 339). GWP bildet die Grundlage einer vertrauenswürdigen Wissenschaft, die sich durch „redliches Denken und Handeln“ sowie „durch organisations- und verfahrensrechtliche Regelungen“ auszeichnet (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2022, Präambel).

Im Gegensatz zu Ländern wie den USA, wo die Institutionalisierung von Forschungsethik und die Integration in die Forschung in Form der Arbeit mit Ethikkommissionen (vgl. u. a. Speiglman und Spear 2009; Spellecy et al. 2018) und der Einsatz von „Informed-Consent“-Prozeduren (vgl. u. a. Buchanan und Zimmer 2021) weit fortgeschritten sind, lassen sich in Deutschland zumindest institutionalisierte Prozesse beobachten. Es stellt sich daher die Frage, wie ausgeprägt sie sind und wie stark sie den Arbeitsalltag prägen. Die KMW steht als dynamisches Fach vor der Herausforderung, fortlaufend neue Forschungsbereiche und Themen zu integrieren (vgl. Altmeppen et al. 2011, S. 394). Vor diesem Hintergrund rücken, etwa im Kontext von Methodenentwicklungen und Debatten um den „computational turn“ im Fach (vgl. u. a. Hepp et al. 2021), auch forschungsethische Fragen immer mehr in den Blick der deutschsprachigen KMW. Das unterstreicht die Relevanz einer ersten Bestandsaufnahme dieses Prozesses. Dies gilt insbesondere für die quantitativ forschende KMW und ihre spezifischen Spannungsfelder zwischen forschungsethischen und methodischen Abwägungsprozessen (vgl. Schlütz und Möhring 2018; für forschungsethische Erwägungen qualitativer Forschung siehe Guillemin und Gillam 2004; von Unger 2014).

Wenn forschungsethische Fragen aufkommen, sind sie in der deutschen KMW durchaus ein kontrovers diskutiertes Thema (vgl. Heise 2017; Schlütz und Möhring 2016, S. 486, 2017). Auf der einen Seite besteht die Sorge, dass eine zunehmende Beschäftigung mit forschungsethischen Fragen Forschung komplizierter macht, auf der anderen Seite wird ihr Beitrag zur Qualitätssicherung hervorgehoben (vgl. Schlütz et al. 2023, S. 33). Die bisherigen (forschungs-)ethischen Debatten in der KMW, wie z. B. um den Ethik-Kodex der DGPuK (vgl. u. a. Altmeppen 2016; Stöber 2015), haben gezeigt, dass sich nur ein kleinerer Kreis fachöffentlich explizit beteiligt und dass diejenigen, die aktiv diskutierten, entweder ein ausgesprochen skeptisches oder ein eher wohlwollendes Interesse äußerten. Um dies vorwegzunehmen: Auch im Rahmen der hier vorgestellten Studie hat sich gezeigt, dass es eine Befragung zur Forschungsethik nicht ganz leicht hat, Aufmerksamkeit zu wecken. Teilgenommen haben insbesondere eher jüngere Wissenschaftler*innen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, was es bei der Gesamtaussagekraft der Studienergebnisse zu berücksichtigen gilt. Für die KMW als eine Disziplin, die soziale Settings sowie individuelle Einstellungen und Handlungen untersucht, haben forschungsethische Fragen jedoch eine besondere Relevanz für die Beziehung zwischen allen am Forschungsprozess beteiligten Personen (vgl. Schlütz und Möhring 2016, S. 483). Eine systematische Integration forschungsethischer Reflexion auch in die entsprechende Methodenausbildung ist relevant für die KMW (vgl. Prinzing et al. 2020, S. 347), um den Standard einer guten wissenschaftlichen Praxis zu erlangen und zu sichern (vgl. Fisher et al. 2009; Rakebrand 2019). Der Bedarf an Richtlinien, Regelungen sowie Anleitungen entsteht nicht erst nach dem Studium: Es gilt Studierende bereits in ihrer Ausbildung, insbesondere bei eigenen Forschungsprojekten, zu sensibilisieren und zu forschungsethischer Reflexion zu ermutigen (vgl. Döveling et al. 2016, S. 417; Schlütz und Möhring 2016, S. 492). In einigen Methodenhandbüchern wird dem durch entsprechende Kapitel schon entsprochen (vgl. u. a. Gehrau 2017; Koch et al. 2019; Möhring und Schlütz 2019; Rössler 2017; Schlütz und Zillich 2023).

Vor diesem Hintergrund haben wir das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Verbundprojekt Forschungsethik in der Kommunikations- und Medienwissenschaft (FeKoM)Footnote 1 gestartet. In verschiedenen Teilstudien (Leitfadeninterviews, Online-Befragung, Gruppendiskussionen und Online-Experimente) untersuchen wir, welcher Stellenwert Forschungsethik in der KMW zugeschrieben wird und welche forschungsethischen Entscheidungen der Arbeitsalltag empirisch forschender KMWler*innen beinhaltet. Ziel des Gesamtprojektes ist es, das fachinterne Bewusstsein zu stärken, Empfehlungen für die angewandte Forschungsethik zu formulieren und diese in der Lehre der quantitativ forschenden KMW zu vermitteln. Im Mittelpunkt dieses Beitrages steht eine Online-Befragung von sowohl quantitativ als auch qualitativ forschenden KMWler*innen, zumal diese beiden Zugänge in der Praxis oft gemeinsam eingesetzt werden (siehe dazu auch Abschn. 4.2). Die Ergebnisse der Befragung ermöglichen einen temporären Blick auf den Stellenwert und den Umgang mit forschungsethischen Fragen in der KMW im Kontext der eigenen Forschung, der Lehre sowie der Betreuung.

2 Forschungsethische Praxis – Diskursive Abwägungen auf mehreren Ebenen

Forschungsethik bezieht sich auf verschiedene Kontexte (vgl. McKee und Porter 2008, S. 711) und hat die Aufgabe, Wissenschaftler*innen Orientierung sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf institutioneller und individueller Ebene zu geben. Abwägungen und Handlungsentscheidungen sind in diese Kontexte eingebunden: Auf der Makro-Ebene wird Forschungsethik durch allgemeine, rechtliche Rahmenbedingungen geprägt, auf der Meso-Ebene werden Standesregeln durch das Wissenschaftssystem vorgegeben (vgl. Neuhaus und Webmoor 2012, S. 44; Schlütz und Möhring 2016, S. 484–485). Auf der Mikro-Ebene kommt die individuelle Verantwortung zum Tragen; hier gilt es, die rechtlichen, standesrechtlichen und institutionellen Vorgaben auf den Einzelfall zu beziehen und persönlich zu verantworten (vgl. Schlütz und Möhring 2016, S. 488). Für das individuelle Handeln ergibt sich daraus die Notwendigkeit, eigene Entscheidungen zu reflektieren und die mit diesen Entscheidungen verbundenen Interessen und Rechte aller Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Im Arbeitsalltag von Forschenden entstehen dabei unterschiedlich gelagerte Dilemmata, die anhand forschungsethischer Richtlinien und Prinzipien bewertet werden können (vgl. Averbeck-Lietz und Sanko 2016, S. 130–131; Lamnek 2002, S. 254). Gesellschaftlich betrachtet können Dilemmata unter anderem aus der Abwägung zwischen Forschungsethik und der Freiheit der Forschung resultieren. Auf der institutionellen und individuellen Ebene können z. B. Forschungsethik und die methodische Studiengüte einander widersprechen (vgl. Schlütz und Möhring 2016, S. 485).

Gute Forschungspraxis steht damit gleichermaßen vor ethischen wie methodischen Herausforderungen, die nicht immer vollständig zufriedenstellend gelöst werden können. Sie ergeben sich auf jeder Stufe eines Forschungsprojektes, von der Anlage des Studiendesigns bis zur Veröffentlichung (vgl. franzke et al. 2020, S. 9; Schlütz und Möhring 2018, S. 37). Zum Beispiel müssen auf Ebene des Forschungsdesigns Fragen der Validität und des ethischen Verhaltens (etwa Täuschung vs. informierte Zustimmung) abgewogen werden. Weitere Herausforderungen sind beispielsweise die Verwendung von belastendem Stimulusmaterial oder die Anonymisierung von Daten (vgl. Schlütz und Möhring 2018, S. 44).

Stehen Forschende in ihrer Arbeit vor diesen Fragen, werden rechtliche Vorgaben und institutionelle ethische Richtlinien häufig routinemäßig angewendet. Da dadurch spezifische Probleme nicht immer abgedeckt werden können, sollten auch die Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls in die Abwägungen einbezogen werden (vgl. McKee und Porter 2009, S. 23–26). Eine Entscheidungsroutine wird jedoch auch dadurch erschwert, dass sich die Förderung forschungsethischer Kompetenzen bislang nicht durchgängig in der Aus- und Weiterbildung der KMW wiederfindet (vgl. Rakebrand und Schlütz 2019, S. 188). Zur Reflexion derartiger forschungsethischer Probleme ist eine fallbezogene, d. h. angewandte Ethik hilfreich (vgl. Markham und Buchanan 2012, S. 5), die sich zwischen Praxis und Theoriebildung bewegt. Grundlegend für solche prozessualen Ansätze sind handlungsleitende Prinzipien wie Selbstbestimmung, Schadensvermeidung und Gerechtigkeit, die situationsadäquat gedeutet und fallbezogen angewandt werden (vgl. Beauchamp und Childress 2013, S. 25). Sinnvoll kann es sein, forschungsethische Entscheidungen diskursiv auszuhandeln und, wenn möglich, gemeinsam mit allen am Forschungsprozess beteiligten Personengruppen zu treffen (wie z. B. den Studienteilnehmenden oder der Scientific Community) (vgl. Pentzold 2015, S. 65).

3 Die Sicht der Forschenden – Forschungsstand

Vor diesem Hintergrund sollte auch die Sicht der Forschenden in den Reflexionsprozess rund um forschungsethische Herausforderungen einbezogen werden. Internationale Studien aus verschiedenen Fachbereichen (z. B. Medizin oder Psychologie) haben dieses Thema bereits untersucht (vgl. u. a. Felaefel et al. 2018; Hjellbrekke et al. 2018; Laas et al. 2021; Mabou Tagne et al. 2020; MacNeill et al. 2021; Raykov 2020; Yalcinatas und Selcuk 2015). In diesen Befragungen wurden verschiedene Themenbereiche aus der Alltagspraxis der Forschenden einbezogen, z. B. der Stellenwert von Forschungsethik im jeweiligen Fach, Herausforderungen und Lösungsansätze, ethische Standards im Forschungsprozess, Konflikte zwischen Methodik und Forschungsethik, forschungsethische Fragen bei Publikationen und in Lehre und Ausbildung. In den bisherigen internationalen Untersuchungen zur Sicht der Forschenden in der KMW lag der Schwerpunkt auf Fragen der Internet Research Ethics (vgl. u. a. Buchanan und Ess 2009; Golder et al. 2017; Hokke et al. 2020; McKee und Porter 2009). Die Ergebnisse dieser Arbeiten verdeutlichen, dass der Bedarf nach weiterführenden Materialien und Leitlinien zum Thema Forschungsethik hoch ist: „Well-defined and practical guidelines and policies for ethical decision making around Internet research are indeed necessary.“ (Buchanan und Ess 2009, S. 46) Sie zeigen außerdem, dass insbesondere Fragen des Datenschutzes und der Umgang mit Daten aus den sozialen Medien als herausfordernd wahrgenommen werden.

Auch im deutschsprachigen Raum finden sich einige wenige Untersuchungen, die sich mit der Sicht der KMW-Forschenden zu forschungsethischen Fragen beschäftigen. Zwei explorative Studien (vgl. Döveling et al. 2016; Heise 2011) befassten sich auf der Basis von Leitfadeninterviews mit forschungsethischen Praktiken und Kontexten im Alltag von Wissenschaftler*innen. Sie zeigten, dass sich die Teilnehmenden bei forschungsethischen Fragen an universitären Vorgaben und Regelungen orientieren und beim Umgang mit forschungsethischen Herausforderungen die Persönlichkeitsrechte der Proband*innen und ihr Schutz im Vordergrund stehen. Damit wird auch hier deutlich, dass aus Sicht der Forschenden datenschutzrechtliche Fragen in einem engen Zusammenhang mit forschungsethischer Reflexion stehen. Eine vom RatSWD eingesetzte Arbeitsgruppe Forschungsethik führte im Frühjahr 2021 eine interdisziplinäre Online-Befragung zur forschungsethischen Begutachtung bzw. der Arbeit von Ethikkommissionen durch. Die Teilnehmenden (n = 951) waren Forschende aus den verschiedenen Statusgruppen in vom RatSWD vertretenen Disziplinen (auch der KMW). Die Ergebnisse zeigen u. a., dass die Befragten gelegentlich bis häufig Bedarf für eine forschungsethische Begutachtung haben und sich dafür konkrete Hilfestellung in Form von Vorlagen etc. wünschen (vgl. Strobel et al. 2022, S. 3–7). Auch in den Leitfadeninterviews mit 31 überwiegend quantitativ forschenden KMWler*innen unterschiedlicher Qualifikationsstufen, die wir im Rahmen des FeKoM-Projektes geführt haben, waren Einschätzungen und Erfahrungen mit Ethikkommissionen an den eigenen Standorten Gegenstand.Footnote 2 Die Bewertungen fielen dabei durchaus ambivalent aus – zum einen mit Blick auf die Notwendigkeit, zum anderen mit Blick auf Erwartungen an die Beratungsprozesse (vgl. Schlütz et al. 2023, S. 35).

Die Ergebnisse der bisherigen Studien verdeutlichen, dass wir aktuell in der KMW noch wenig über leitende ethische Prinzipien, die Praxis von Abstimmungsprozessen im Kontext forschungsethischer Herausforderungen im Forschungsprozess und die Einbindung des Themas Forschungsethik in Hochschullehre und Betreuung wissen. Die hier vorgestellte Studie leistet einen Beitrag, um diese Wissenslücke zu schließen, und gibt mit einer standardisierten Befragung einen Einblick, welchen Stellenwert Forschungsethik in der empirischen Forschungsarbeit der KMW hat, wie methodische und forschungsethische Entscheidungen kontextuiert sind und wie Forschungsethik in Lehre und Betreuung von Projekt- und Abschlussarbeiten eingebunden ist. Dieses Themenportfolio bildet den Rahmen für Forschungsfrage 1:

FF1:

Welche Rolle spielen forschungsethische Entscheidungen im Arbeitsalltag von KMWler*innen und wie lässt sich ihre Praxis beschreiben?

Neben unterschiedlichen Aspekten der forschungsethischen Alltagspraxis in der KMW legt der bisherige Forschungsstand auch nahe, dass es Einflussfaktoren gibt, die sich auf die forschungsethische Haltung von Wissenschaftler*innen auswirken. Diese Einflussfaktoren können im Kontext etwa der Akzeptanz von Social-Media-Forschung z. B. das Alter sein (vgl. Golder et al. 2017, S. 12), aber auch Vorerfahrung im Bereich bestimmter Forschungsfelder und damit verbundene Methodenerfahrung (vgl. Hokke et al. 2020, S. 17) oder die eigene Arbeitsbiografie, die den Stellenwert forschungsethischer Fragen und den Umgang mit Unsicherheiten durch individuelle Strategien bestimmt (vgl. Heise 2011, S. 340).

Vor diesem Hintergrund untersuchen wir, wie sich der individuelle Forschungshintergrund der Befragten auswirkt. Da sowohl Vorerfahrungen im Forschungskontext und die Arbeitsbiografie eine Rolle spielen und es zugleich auch Alterseffekte geben kann, berücksichtigen wir zum einen die Karrierestufe (als Indikator für Berufserfahrung in Kombination mit möglichen Alterseffekten) der Befragten sowie das Erfahrungswissen durch das Arbeiten mit verschiedenen empirischen Zugängen. Dies erscheint deshalb relevant, da in der Arbeit mit qualitativen Methoden eine forschungsethische Praxis schon etablierter sein kann (vgl. u. a. von Unger 2014). Daraus abgeleitet lautet unsere zweite Forschungsfrage:

FF2:

Wie wirkt sich der persönliche Forschungshintergrund (empirischer Zugang und Karrierestufe) auf die forschungsethische Praxis aus?

4 Empirisches Vorgehen: Online-Befragung zur forschungsethischen Praxis in der KMW

4.1 Konzeption und Aufbau der Befragung

Eine quantitative Onlinebefragung sollte die Forschungsfragen beantworten. Die Ethikkommission der TU Dortmund hat unser Vorhaben begutachtet und freigegeben. Der Fragebogen baut zum einen auf dem skizzierten Stand der Literatur auf, greift aber zudem auf Erkenntnisse zurück, die im Projekt in Form von Leitfadeninterviews mit Expert*innen und Wissenschaftler*innen der KMW gewonnen und eingearbeitet wurden. Die angestrebte Grundgesamtheit waren deutschsprachige, empirisch forschende Wissenschaftler*innen der KMW. Die Ansprache erfolgte auf mehreren Kommunikationswegen innerhalb des Befragungszeitraum vom 22.03.2022 bis 28.06.2022 unter den Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK). Zusätzlich kontaktierten wir alle deutschsprachigen KMW-Institute sowie weitere (deutschsprachige) Fachgesellschaften.Footnote 3 Nach der DatenbereinigungFootnote 4 umfasst der Datensatz 186 aktiv empirisch Forschende, 167 Personen haben den Fragebogen beendet.

Durch die Befragung soll ein möglichst umfassender erster Einblick erzielt werden, welchen Stellenwert forschungsethische Abwägungen in der KMW haben und wie sie in die Forschungs- und Lehrpraxis verankert sind. Der Fragebogen berücksichtigt entsprechend den in Abschn. 2 und 3 angeführten Aspekten der Alltags- und Arbeitspraxis verschiedene thematische Blöcke (persönliche Einstellung zu Forschungsethik, konkrete Berührungspunkte mit Forschungsethik im Forschungsprozess, Orientierungsrahmen eigener forschungsethischer Entscheidungen, Umgang mit Ethikkommissionen, Thematisierung von Forschungsethik in Lehr- bzw. Betreuungstätigkeit, persönlicher Forschungshintergrund und Soziodemografie)Footnote 5. Da wir aus vorherigen Studien (siehe Abschn. 3) und den im Projekt geführten Leitfadeninterviews bereits wissen, dass Forschungsethik und Datenschutz oft zusammen gedacht werden, haben wir auch dazu Items in den Fragebogen eingearbeitet. Eine Vielzahl der Fragen haben wir als Itembatterien (auf einer 5‑er Skala skaliert) operationalisiert, die Operationalisierung eines methodisch-forschungsethischen Entscheidungsdilemmas erfolgte mit einem Schieberegler, auf dem die Befragten ihre Entscheidung frei angeben konnten (Wert 0 = Methodische Validität; Wert 100 = Forschungsethische Korrektheit). Zusätzlich hatten die Befragten die Möglichkeit, offene Antworten zu formulieren, um Aspekte auszuführen. Es war den Befragten immer möglich, keine Angaben zu machen. Zu Beginn des Fragebogens wurde ein „Informed Consent“ eingeholt; die Studien- und Datenschutzinformationen konnten dabei in einer Akkordeon-Variante gelesen werden. Die Teilnehmenden bekamen hierbei zunächst nur die Überschriften der einzelnen Gliederungspunkte angezeigt. Sie konnten selbst entscheiden, ob sie durch einen Klick auf einen Gliederungspunkt mehr Informationen zum jeweiligen Thema sehen wollten. Am Ende der Befragung bestand die Möglichkeit, die Teilnahme noch einmal zu widerrufen sowie Lob und Kritik zu äußern. Der Fragebogen wurde mit dem Online-Befragungstool SoSci Survey (www.soscisurvey.de) umgesetzt (vgl. Leiner 2019).

4.2 Stichprobenbeschreibung

Zum Zeitpunkt der Befragung lebte die Mehrheit der teilnehmenden Befragten (93 %) in Deutschland (Österreich: 2 %, Schweiz: 4 %), 61 % ordneten sich dem weiblichen Geschlecht zu. Die Altersverteilung der Teilnehmenden zeigte, dass insbesondere jüngere Forschende teilgenommen haben: 35 % der Befragten wurden zwischen 1981 und 1990 geboren, 33 % zwischen 1991 bis 2000. Entsprechend der Erhebungsgrundgesamtheit waren nahezu alle Teilnehmenden (96 %) an einer Universität oder Hochschule tätig, etwa zwei Drittel (65 %) von ihnen in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Im Rahmen ihrer Tätigkeit standen 44 % der befragten Forschenden am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karriere und arbeiteten als Praedoc. Mit Blick auf die angewandten Forschungszugänge zeigte sich, dass 45 % der Befragten in ihren Forschungsprojekten sowohl mit quantitativen als auch qualitativen Methoden arbeiteten, etwa ein Viertel vorrangig quantitativ, 18 % vorrangig qualitativ (vgl. Tab. 1).

Tab. 1 Soziodemografie und Forschungshintergrund (ausgewählte Variablen)

Die Befragten konnten sowohl die eigenen methodischen Instrumente und Zugänge als auch ihre Forschungsfelder offen angeben (bis zu jeweils drei Angaben). In ihrer Forschungsarbeit setzten sie häufig verschiedene Formen der Befragung (n = 132), experimentelle Designs (n = 45) oder Formen der Inhaltsanalyse (n = 68) ein; auch Verfahren der Computational Methods (n = 11), Beobachtungsverfahren (n = 11) und spezifische andere qualitative oder quantitative Zugänge fanden sich unter den Antworten. Orientiert an den Fachgruppen der DGPuK wurden die Forschungsfelder Rezeptions- und Wirkungsforschung (n = 76), Journalismusforschung (n = 33), digitale Kommunikation (n = 32) und politische Kommunikation (n = 28) am häufigsten genannt.

5 Ergebnisse

5.1 Forschungsethische Entscheidungen in der Praxis

Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage nach der Rolle forschungsethischer Entscheidungen und ihrer Praxis im Arbeitsalltag der KMWler*innen beleuchten wir im Folgenden verschiedene Teilaspekte (Stellenwert von Forschungsethik, Kontextuierung von Entscheidungen und Einbindung in den Arbeitsalltag).

Stellenwert von Forschungsethik: Persönliche Einstellung und Erwartungen

Um den Stellenwert von Forschungsethik und ihre Rolle in der Praxis zu beurteilen, haben wir nach der persönlichen Einstellung zu kontroversen Aussagen (vgl. Tab. 2) und einer thematischen Zukunftsperspektive bzw. Wünschen gefragt.

Tab. 2 Beurteilung kontroverser Aussagen. Skala: 1 „stimme überhaupt nicht zu“ bis 5 „stimme voll und ganz zu“

Die große Mehrheit (90 %) der befragten KMWler*innen war der Meinung, dass die Relevanz des Themas Forschungsethik in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. 88 % der Befragten stimmten der Aussage zu, dass Forschungsethik die gründliche Reflexion des empirischen Forschungsprozesses fördert. Gleichzeitig bestand eine gewisse Skepsis gegenüber möglichen Beschränkungen der Forschung: Knapp die Hälfte sprach sich dafür aus, dass auch bei forschungsethischen Bedenken bestimmte methodische Vorgehensweisen möglich sein sollten (49 %) und dass Forschungsethik methodisch notwendige Entscheidungen erschwert (41 %). Forschungsethik ist somit einerseits für die Studienqualität förderlich, andererseits wird sie als anstrengend empfunden – diese Ambivalenz empfanden immerhin 12 % der Befragten, indem sie beiden Items gleichzeitig zustimmten.

Bei der Frage nach ihren Wünschen zum Thema Forschungsethik konnten die Befragten aus einer Reihe von Möglichkeiten auswählen (vgl. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Zukunftswünsche. Frage: Was wünschen Sie sich in Bezug auf Forschungsethik? (Mehrfachantworten möglich), n = 166

Die befragten Forschenden wünschten sich vor allem praxisorientiertes Material für ihren Arbeitsalltag: 82 % eine „Checkliste Forschungsethik“ für empirische Studien und 78 % Handreichungen zu einzelnen forschungsethischen Herausforderungen, wie z. B. eine Vorlage für eine Informed-Consent-Prozedur. Außerdem wünschte sich die Mehrheit der Befragten (65 %) Entscheidungshilfen, die ihnen bei forschungsethischen Fragen mehr Sicherheit geben. In den offen formulierten Zukunftswünschen zeigten sich zwei kontroverse Sichtweisen (n = 14). Auf der einen Seite standen Antworten, in denen die Befragten, über die bereits aufgezählten Wünsche hinaus, noch weitere Überlegungen äußerten, wie Forschungsethik besser/mehr in den Arbeitsalltag integriert werden könnte (Beispiel: „ein verpflichtender Weiterbildungskurs für alle Forschenden und Lehrenden an meiner Uni“). Es fanden sich jedoch auch Antworten, die deutlich machten, dass weitere Maßnahmen abgelehnt werden: „Keine Vorschriften: Man hat es hier so oft mit wenig forschungsethischer Reflexion und stattdessen mit furchtsamer Bedenkenträgerei zu tun, dass das in Forschungsverhinderung ausartet. Ich wünsche mir also, dass der gesellschaftliche Nutzen universitärer Forschung noch deutlicher herausgestellt wird und ansonsten max. Freiheit herrscht.“

Die Antworten zu Einstellung und Erwartungen der Teilnehmenden zeigten, dass die Relevanz des Themas Forschungsethik anerkannt wird und auch Konsens darüber herrschte, dass sie zukünftig noch zunehmen wird. Für die Zukunft äußerten die Teilnehmenden den Wunsch nach praxisorientierten Hilfsmitteln wie Checklisten. Allerdings zeigte sich auch, dass einige Forschende dem Thema Forschungsethik eher kritisch gegenüberstanden und weitere Maßnahmen ablehnten.

Kontextuierung von Entscheidungen I: Konkrete Berührungspunkte im Forschungsprozess

Um den Kontext methodischer und forschungsethischer Entscheidungen besser zu verstehen, haben wir nach erlebten forschungsethischen Herausforderungen in verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses gefragt (vgl. Tab. 3).

Tab. 3 Erleben forschungsethischer Herausforderungen. Skala: 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“

Die Ergebnisse zeigten, dass insbesondere die Umsetzung datenschutzrechtlicher Anforderungen (56 %) und die Formulierung einer informierten Einwilligungserklärung (50 %) einen Großteil der befragten Forschenden herausfordern. Die Aufzeichnung von Verhaltensspuren (Tracking-Daten) (18 %), die Verwendung von belastendem Stimulusmaterial (22 %) und die Täuschung in Experimenten (30 %) sind hingegen bisher weniger als Herausforderung erlebt worden – was auch mit den jeweils spezifischen Methoden zusammenhängt, die nicht alle einsetzen. Befragte, die mit experimentellen Methodendesigns oder mit Computational Methods arbeiteten, standen entsprechend häufiger vor diesen Herausforderungen. Ergänzend gaben mehrere Teilnehmende Fragen rund um das Thema der Autor*innenschaft offen an.

Zusätzlich zu den konkret erlebten Herausforderungen baten wir die Befragten, sich eine Dilemma-Situation vorzustellen, in der sich im Forschungsalltag methodische Validität und forschungsethische Korrektheit nicht ohne weiteres vereinbaren lassen und diese mit Hilfe eines Schiebereglers einzuordnen. Die Ergebnisse (n = 181) zeigten, dass sich die Mehrheit der Befragten tendenziell im Sinne der forschungsethischen Korrektheit entscheiden würde (M = 59,3; SD = 26,5). Auch hier scheint es aber mindestens zwei Positionen zu geben: In der Kontinuumsspanne 96 bis 100 lag die höchste Anzahl der Einschätzungen (n = 22), jedoch dicht gefolgt von der eher mittig gelegenen Spanne mit den Werten 46 bis 51 (n = 19). Dies zeigte dennoch, dass Forschungsethik ein durchaus beachtetes Kriterium darstellt.

Insgesamt wird deutlich, dass forschungsethische Entscheidungen besonders im Bereich des Datenschutzes eine Rolle für die Forschungstätigkeit der Befragten spielten. Datenschutzrechtliche Fragen traten bereits bei der Konzeption von Forschungsprojekten auf wie auch in späteren Phasen, etwa der Ergebnisauswertung. Auch bei der Entwicklung des Instrumentes (z. B. bei der Formulierung der informierten Einwilligung) waren sie relevant. Zudem zeigten die Ergebnisse, dass in einer Dilemmasituation forschungsethischer Korrektheit ein etwas höherer Stellenwert beigemessen wurde als der methodischen Validität.

Kontextuierung von Entscheidungen II: Orientierungsrahmen und Abstimmungsprozesse

An wem oder woran orientieren sich die Befragten im Umgang mit forschungsethischen Herausforderungen (vgl. Tab. 4)? An erster Stelle stand der Austausch mit Kolleg*innen, um forschungsethische Herausforderungen zu lösen (89 %). Daneben suchten die Teilnehmenden auch eigenständig nach Lösungen (87 %) oder orientierten sich an vorhandenen Leitlinien und Kodizes (73 %). Hier führten sie insbesondere die Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher PraxisFootnote 6 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an (38 von 112 Nennungen) sowie Vorgaben der eigenen Universität oder Hochschule (30 Nennungen) und den Ethik-Kodex der DGPuKFootnote 7 (29 Nennungen). Neben konkreten Leitlinien und Kodizes fanden sich unter den Antworten aber auch forschungsethische Prinzipien: „Gerechtigkeit, Schadenvermeidung, Selbstbestimmung“. Zudem verdeutlichten die Ergebnisse, dass ein wohl überlegter Umgang mit forschungsethischen Herausforderungen für viele der teilnehmenden Forschenden wichtig war. Die beiden Antwortmöglichkeiten Ich denke nicht weiter darüber nach und Ich entscheide aus dem Bauch heraus fanden in dieser Stichprobe nur geringe Zustimmung (4 und 13 %).

Tab. 4 Umgang mit forschungsethischen Herausforderungen. Skala: 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“

Zum Abstimmungsprozess über forschungsethische Herausforderungen können auch kritische Nachfragen und Diskussionen gehören. Manche der Befragten haben bereits kleinere Nachfragen (39 %) und auch massive Diskussionen (4 %) über forschungsethisch getroffene Entscheidungen in eigenen Studien erlebt. 35 Forschende nutzten die Möglichkeit, zusätzliche Angaben zu den Inhalten der Diskussionen zu machen. Sie zeigten, dass ein Großteil der Diskussionen im Zusammenhang mit Fragen des Datenschutzes stand und sich damit auf rechtsgebundene Vorgaben und weniger auf freiwillige forschungsethische Abwägungen bezogen. Besonders in der Social-Media-Forschung schienen diese Diskussionen aufzutreten, etwa bei der Datenaggregation: „Es ging darum, inwiefern die Verwendung von aggregierten Twitter-Daten datenschutzrechtliche Bedenken mit sich bringt.“ Ein weiteres Bespiel für eine Diskussion im Rahmen von Social-Media-Forschung thematisierte zudem auch den Reviewprozess: „Reviewer wollten gerne, dass wir eine Liste der Twitter-Accounts aus unserer Studie veröffentlichen. Wir lehnten das aus Datenschutz- und Forschungsethik-Gründen ab, was zu einer längeren Diskussion führte.“ Aber auch in anderen Forschungsbereichen traten Diskussionen auf, z. B. bei Untersuchungen zur Ethnizität: „Hier entzünden sich sehr häufig intensive Diskussionen über Frageformulierungen und die Verwendung gewisser Stimuli.“

Wenn forschungsethische Herausforderungen in der eigenen Forschung auftreten, stellt sich auch die Frage, wie diese in Publikationen kommuniziert werden (sollten), um so auch für andere Forschende als Orientierungsrahmen zu dienen (vgl. Tab. 5).

Tab. 5 Thematisierung forschungsethischer Überlegungen in Publikationen. Skala: 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“

Insgesamt empfanden die Befragten die Thematisierung von forschungsethischen Fragen in Publikationen als sehr relevant. 75 % der Befragten interessierten sich für diese Ausführungen in den wissenschaftlichen Publikationen anderer, und 64 % fanden es wichtig, ihre forschungsethischen Abwägungen in eigenen Publikationen transparent zu machen. Nur 4 % der Teilnehmenden sahen die Thematisierung in Publikationen allgemein als überflüssig an. In den offenen Antworten zeigte sich sowohl die Relevanz der Thematisierung in Publikationen als auch die Schwierigkeit der korrekten Umsetzung: „Man merkt Studien sofort an, ob da jemand alibimäßig einen Halbsatz zur Forschungsethik eingefügt hat oder sich Gedanken gemacht hat. Für diese 2–3 Sätze MUSS Platz sein, sonst ist die Methode nicht korrekt beschrieben (wenngleich es zugegeben äußert schwierig sein kann, die komplexen Abwägungen transparent zu machen).“

Zusammenfassend zeichnete sich die Praxis forschungsethischer Abstimmungsprozesse in unserer Stichprobe durch Eigeninitiative aus – es wurde der Austausch mit Kolleg*innen favorisiert, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen, es wurden eigenständig mögliche Lösungswege recherchiert. Vorhandene Kodizes und Leitlinien bildeten dabei einen relevanten Orientierungsrahmen. Im Rahmen des Abstimmungsprozesses haben einige der Teilnehmenden schon kleinere Nachfragen zu ihren Entscheidungen erlebt, wobei insbesondere Fragen zu datenschutzrechtlichen Themen im Mittelpunkt standen, juristische und forschungsethische Fragen also eng verwoben sind. Dem Großteil der Befragten war es zudem wichtig, die eigenen forschungsethischen Entscheidungen in ihren Publikationen transparent zu machen und so auch zur Orientierung für andere Forschende beizutragen.

Kontextuierung von Entscheidungen III: Forschungsethische Begutachtung

Bezogen auf die Verankerung forschungsethischer Begutachtung in der KMW zeigten die Ergebnisse, dass 72 % der Befragten bei einer Ethikkommission an ihren Einrichtungen Ethikvoten beantragen konnten (n = 170). Bei diesen Ethikkommissionen handelte es sich größtenteils um fachlich übergreifende Einrichtungen (67 %). Diejenigen, die in ihrer Einrichtung keine Ethikkommission hatten, wünschten sich mehrheitlich eine (14 von 17 Personen). Unabhängig davon, ob es an der Einrichtung der Befragten eine Ethikkommission gab, stellten wir die Frage nach dem Wunsch einer übergeordneten Ethikkommission, die z. B. von einer Fachgesellschaft getragen wird. 78 % der befragten Forschenden haben hier die Antwortmöglichkeiten eher ja und ja ausgewählt (n = 169).

Die Arbeit von Ethikkommissionen unterscheidet sich an den verschiedenen Standorten. Wir haben die Befragten daher gebeten, die Arbeit ihrer Ethikkommission zu beschreiben (vgl. Abb. 2). Circa die Hälfte der Teilnehmenden gab an, dass der Antragsprozess ihrer Ethikkommission fest vorgegeben ist (53 %) und dass bei der Antragsstellung konkrete Forschungsinstrumente mit eingereicht werden müssen (50 %). Allerdings fiel insgesamt bei den Antworten und insbesondere bei einigen Items auf, dass der Anteil der Personen, die die Option k.A./weiß ich nicht ausgewählt haben, relativ groß war. Diese hohen Werte lassen darauf schließen, dass vielen der Befragten die konkreten Arbeitsweisen der Ethikkommission an ihrer Einrichtung nicht genau bekannt waren.

Abb. 2
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Arbeit von Ethikkommissionen. Frage: Die Arbeit von Ethikkommissionen unterscheidet sich an den verschiedenen Standorten. Wie ist das bei der Kommission, an die Sie sich üblicherweise wenden? (Angaben in Prozent), n = 121

Alle Befragten wurden nach ihren Einstellungen zur Arbeit von Ethikkommissionen im Allgemeinen befragt (vgl. Tab. 6).

Tab. 6 Auswirkungen von Ethikkommissionen. Skala: 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“

Hier zeigte sich, dass die Arbeit von Ethikkommissionen teilweise negativ bewertet wurde: 68 % gaben an, sich durch den zeitlichen Rahmen der Begutachtung eingeschränkt zu fühlen oder dass ein erforderliches Ethikvotum die Arbeit an bestimmten Themen erschweren kann (45 %). Gleichzeitig sah die Mehrheit der Befragten (55 %) die Antragsstellung bei einer Ethikkommission als willkommenen Anlass, die eigene Studienanlage noch einmal gründlich zu prüfen, so dass sich insgesamt die Studienqualität verbessert (52 %). Dabei fand die Antragstellung vorrangig dann statt, wenn ein Votum extern vorgegeben bzw. erwartet wurde (54 %). Auch bei den Auswirkungen von Ethikkommissionen konnten die Befragten ergänzende Antworten geben und von ihren persönlichen Erfahrungen berichten: „Ich habe zu Beginn der Corona-Pandemie einen Antrag an die Ethikkommission gestellt und konnte anderthalb Monate lang nicht beginnen, weil ich kein Feedback bekommen habe, was ziemlich ärgerlich war, da am Ende nichts beanstandet wurde.“ Außerdem gaben Befragte an, dass eine Beratung durch die Ethikkommission relevanter sein sollte als die Kontrolle.

Es lässt sich festhalten, dass eine forschungsethische Begutachtung durch Ethikkommissionen in der KMW insofern verankert ist, als an vielen Einrichtungen bereits fachlich übergreifend arbeitende Ethikkommissionen vorhanden sind. Darüber hinaus wurde der Wunsch nach einer übergeordneten Ethikkommission geäußert. Allerdings zeigten die Ergebnisse auch, dass die genauen Arbeitsweisen der Ethikkommissionen noch nicht hinreichend bekannt schienen und besonders die zeitlichen Vorgaben bei der Begutachtung eine negative Auswirkung auf die Forschungspraxis haben konnten.

Einbindung in den Arbeitsalltag: Lehr- bzw. Betreuungstätigkeit

Lehre und Betreuung sind ein wichtiger Bestandteil des Arbeitens an Hochschulen und zugleich bietet sich hier die Möglichkeit, eine forschungsethische Diskussionskultur und Reflexionsfähigkeit auszubilden. Wir haben daher auch einen Blick auf diesen Teil des Arbeitsalltages der KMWler*innen geworfen. Zunächst interessierte die Frage nach einer curricularen Verankerung des Themenfeldes (vgl. Abb. 3). Die Ergebnisse zeigten, dass Forschungsethik eher in anderen Lehrveranstaltungen (etwa Methodenveranstaltungen oder Veranstaltungen zum wissenschaftlichen Arbeiten) verankert war, als dass dazu ein eigenständiges Angebot vorgesehen war. 16 % der Befragten gaben an, dass Forschungsethik an ihrer Einrichtung kein fester Bestandteil des Curriculums war. Die Teilnehmenden konnten weitere Formen in einem offenen Feld nennen, dies waren beispielsweise eine „Zusätzliche Vortrags- und Workshopreihe“ oder die Thematisierung „‚am Rande‘ bei projektbasierten Seminaren“.

Abb. 3
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Verankerung Curriculum. Frage: Wie ist Forschungsethik bei Ihnen an der Universität/Hochschule im Curriculum verankert? Forschungsethik ist bei uns im Curriculum … (Mehrfachantworten möglich), n = 168

Die Teilnehmenden sollten auch beantworten, inwieweit Forschungsethik in ihren eigenen Lehrveranstaltungen und in ihrer Betreuung von Qualifikationsarbeiten vorkam (vgl. Abb. 4). Forschungsethik wurde in der eigenen Lehre sowie in der Betreuung vorrangig anlassbezogen thematisiert. Nur 2 % der Befragten haben angegeben, dass sie Forschungsethik nicht in ihrer Lehr- bzw. Betreuungstätigkeit thematisierten.

Abb. 4
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Verankerung eigene Lehre und Betreuung. Frage: Wie ist Forschungsethik in Ihren Lehrveranstaltungen und in Ihrer Betreuung von Qualifikationsarbeiten verankert? (Mehrfachantworten möglich), n = 168

Was motivierte die Befragten, Forschungsethik in der eigenen Lehre zu thematisieren? Auch hier zeigte sich der hohe Stellenwert von Forschungsethik für die Befragten (Abb. 5) – für 85 % war das Thema an sich sehr relevant. 42 % vermissten das Thema in ihrer eigenen Ausbildung, dies galt über alle Altersgruppen hinweg. Ein Effekt sich verändernder curricularer Ausbildungen war daher nicht erkennbar. Darüber hinaus konnte auch angegeben werden, ob es einen besonderen Anlass gab, der als Motivation für die Thematisierung von Forschungsethik gesehen werden konnte – so gab etwa eine Person an, dass Studierende in einem Methodenseminar Fragen zu Forschungsethik gestellt haben, die sie nicht systematisch beantworten konnte. Aus den zusätzlich angegebenen Motivationen wurde ebenfalls die hohe individuell zugeschrieben Relevanz deutlich: „Aus Respekt gegenüber den Menschen – das gehört zu aufgeklärter Forschung dazu! Wer sich nicht darum kümmert, verbrennt zukünftige Möglichkeiten, wenn das Kind erst in den Brunnen gefallen ist.“

Abb. 5
figure 5

Motivationen für die Verankerung in der eigenen Lehre. Frage: Welche Motivation steht hinter der Thematisierung in Ihrer Lehre? (Mehrfachantworten möglich), n = 142

Insgesamt zeigte sich, dass Forschungsethik in Lehr- bzw. Betreuungstätigkeiten der befragten Forschenden eine Rolle spielte. An den meisten Einrichtungen, die durch Teilnehmende in dieser Umfrage vertreten waren, war das Themenfeld im Curriculum insoweit verankert, als es in anderen Lehrveranstaltungen integriert und anlassbezogen thematisiert wurde. Die Mehrheit der hier Befragten hielt Forschungsethik für relevant und baute sie anlassbezogen in die eigene Arbeit mit Studierenden oder Doktorand*innen ein.

5.2 Mögliche Einflussfaktoren auf die forschungsethische Praxis

Erste Studien haben bereits untersucht, ob und inwieweit Faktoren der Arbeitsbiografie und Forschungserfahrungen forschungsethische Haltungen und Handlungen beeinflussen können (vgl. Abschn. 3). Unsere zweite Forschungsfrage beschäftigt sich mit zwei dieser Einflussfaktoren (Art des empirischen Zugangs und Karrierestufe). Um sie zu beantworten, führten wir zwei multivariate Varianzanalysen (MANOVAs) durch. Die unabhängige Variable (uV) empirischer Zugang wurde für die erste MANOVA neu gruppiert: Quantitativ (n = 28), quantitativ und qualitativ (n = 29) sowie qualitativ (n = 16).Footnote 8 Für die MANOVA verwendeten wir ausgewählte abhängige Variablen (aVs), die anhand einer fünfstufigen Skala zu beantworten waren (vgl. Tab. 2, 3, 4, 5 und 6).

Die einfaktorielle MANOVA (vgl. Tab. 7) zeigte keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den empirischen Zugängen für die ausgewählten abhängigen Variablen, F (78,64) = 0,993, p = 0,515, η2 = 0,547, Wilk’s Λ = 0,205. Allerdings fanden sich auf der univariaten Ebene zwei Effekte: Es zeigte sich, dass die Herausforderung Täuschung der Teilnehmenden in Experimenten eher von quantitativ Forschenden (M = 3,2; SD = 1,5) erlebt wurde als von Personen mit quantitativem und qualitativem Zugang (M = 2,3; SD = 1,4) sowie mit qualitativem Zugang (M = 1,1; SD = 0,3). Dies ließ sich damit erklären, dass Personen, die vorrangig qualitativ forschen, in der Regel keine Experimente durchführen. Der zweite Effekt zeigte sich bei der Beurteilung der Aussage: Forschungsethik fördert die gründliche Reflexion des empirischen Forschungsprozesses. Dieser Aussage stimmten Personen mit quantitativem und qualitativem Zugang (M = 4,6; SD = 0,6) eher zu als Personen, die sich in ihrer Forschung ausschließlich mit qualitativer Forschung beschäftigten (M = 3,9; SD = 0,9).

Tab. 7 Zusammenfassung der signifikanten univariaten Effekte der empirischen Zugänge (uV) auf verschiedenen Aspekten der Praxis (aVs)

Für die zweite MANOVA verwendeten wir die uV Karrierestufe mit folgenden Gruppen: (Junior‑)Professur (n = 19), Postdoc (n = 25) und Praedoc (n = 29).Footnote 9 Die einfaktorielle MANOVA (vgl. Tab. 8) zeigte auf der multivariaten Ebene einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den verschiedenen Karrierestufen für die kombinierten abhängigen Variablen, F (78, 64) = 1,809, p = 0,008, partielles η2 = 0,688, Wilk’s Λ = 0,097. Auf der univariaten Ebene zeigte sich ein Effekt beim Umgang mit forschungsethischen Herausforderungen: (Junior‑)Professor*innen (M = 1,4; SD = 0,7) wandten sich in solchen Fällen weniger häufig an ihre Vorgesetzten. Dieser Effekt ist selbsterklärend.

Tab. 8 Zusammenfassung der signifikanten univariaten Effekte der Karrierestufen (uV) auf verschiedenen Aspekten der Praxis (aVs)

Auch bei den Auswirkungen von Ethikkommissionen fand sich ein signifikanter Unterschied. Der Aussage Die Ethikkommission wird ausschließlich dann kontaktiert, wenn ein zweckgebundenes Votum (z.B. für einen Drittmittelantrag) benötigt wird stimmten (Junior‑)Professor*innen (M = 4,2; SD = 1,1) eher zu als Postdocs (M = 3,2; SD = 1,2) und Praedocs (M = 2,9; SD = 1,2). Zudem fand sich bei einer weiteren Aussage über die Auswirkungen von Ethikkommissionen ein Effekt: Praedocs (M = 3,9; SD = 0,8) waren eher der Meinung, dass der Antrags- und Begutachtungsprozess die Qualität der Studienlage verbessert als (Junior‑)Professor*innen (M = 3,1; SD = 1,2).

Insgesamt machten die Ergebnisse deutlich, dass die Karrierestufe zwar Einfluss auf die forschungsethische Praxis nehmen kann, die gefundenen Effekte aber wenig überraschend sind. Die verschiedenen methodischen Zugänge der befragten Forschenden sind kein genereller Einflussfaktor auf die forschungsethische Praxis, sondern zeigen sich allein in einigen Facetten.

6 Diskussion: Forschungsethik als Qualitätskriterium – ein Thema für alle?

Insgesamt zeigten die Ergebnisse der Online-Befragung, dass das Thema Forschungsethik im Forschungsalltag der Befragten einen relevanten Stellenwert hat und unter ihnen auch Konsens darüber herrschte, dass die Relevanz in Zukunft noch zunehmen wird. Selbstverständlich gilt es zu berücksichtigen, dass die Ergebnisse auf einer stark selbstselektiven Stichprobe beruhen, d. h. verstärkt Wissenschaftler*innen mit Interesse am Thema an der Umfrage teilgenommen haben, wodurch ein systematischer Fehler entstanden sein könnte.

Forschungsethische Abwägungen wurden im Arbeitsalltag der Befragten in verschiedenen thematischen Kontexten getroffen, sie waren zugleich eng verwoben mit juristischen, insbesondere datenschutzrechtlichen Fragen. Die Herausforderungen stellten sich den Forschenden in allen Phasen des Forschungsprozesses und waren verbunden mit methodischen Abwägungen. In einer (hypothetisch abgefragten) Entscheidungssituation schrieben die Befragten dem Kriterium der forschungsethischen Korrektheit mindestens eine so große Bedeutung zu wie methodischen Erwägungen. Die forschungsethische Praxis zeichnete sich vor allem durch in Eigeninitiave gesuchte Abstimmungs- und Abwägungsprozesse aus: Gemeinsam mit Kolleg*innen und auch in Eigenregie wurden Lösungswege recherchiert und diskutiert. Den Befragten war zugleich die Kommunikation über forschungsethische Entscheidungen und Abwägungen (z. B. in Publikationen) wichtig. Für eine sich entwickelnde Fachpraxis wäre es daher wünschenswert, wenn in Publikationen und insbesondere auch in fachwissenschaftlichen Vorträgen nicht allein ein Hinweis auf eine mögliche Freigabe durch eine Ethikkommission erfolgt, sondern auch methodisch-praktische Entscheidungen kommuniziert werden.

Auf institutioneller Ebene fanden sich an vielen KMW-Einrichtungen bereits fachlich übergreifend arbeitende Ethikkommissionen. Eine thematische Analyse der Leitfadengespräche im Zuge des Projektes (vgl. Schlütz et al. 2023) hat gezeigt, dass Prozessabläufe und Arbeitsweisen der Ethikkommissionen in der KMW noch nicht hinreichend bekannt sind und dass besonders die zeitlichen Abläufe bei der Begutachtung eine negative Auswirkung auf die Forschenden haben kann. Diese Ergebnisse fanden sich auch in unserer Online-Befragung wieder. Daraus lässt sich ableiten, dass in diesem Bereich noch mehr Maßnahmen (z. B. mehr Aufklärung über die Arbeitsweise der Ethikkommissionen) ergriffen werden könnten, damit forschungsethische Entscheidungen und ihre Begutachtung sich noch stärker in der KMW etablieren. In der Vergangenheit konnte zudem festgestellt werden, dass es in KMW-Instituten an einer festen curricularen Verankerung von Forschungsethik fehlte (vgl. Rakebrand und Schlütz 2019, S. 188). Für die Einrichtungen, an denen die Befragten tätig waren, traf dies insoweit noch zu, als es kaum eine eigenständige Veranstaltung zu diesem Thema gab. Allerdings wurde das Thema dennoch in andere Lehrveranstaltungen integriert und anlassbezogen in Lehre und Betreuung mit Studierenden diskutiert.

Sowohl in der Online-Umfrage des RatSWDs (vgl. Strobel et al. 2022) als auch in unseren Leitfadeninterviews (vgl. Schlütz et al. 2023) betonten die Befragten die Notwendigkeit und den Wunsch nach Handlungsempfehlungen und Best-Practice-Beispielen zu Forschungsethik in der KMW. Dies spiegelt auch unsere Befragung wider: Die Teilnehmenden wünschten sich vor allem praxisorientiertes Material für ihren Arbeitsalltag, etwa eine „Checkliste Forschungsethik“ für empirische Studien und Handreichungen zu einzelnen forschungsethischen Herausforderungen oder eine Vorlage für eine Informed-Consent-Prozedur. Deutlich zeigte sich in der Befragung auch die enge Verwobenheit von forschungsethischen und datenschutzrechtlichen Fragen. Während im Bereich der Forschungsethik verschiedene Ansprüche ethisch abgewogen werden, besteht im Kontext des Datenschutzes insbesondere Sorge vor juristischen Konsequenzen. Dies ist im methodischen Entscheidungsprozess Einzelner nicht immer trennscharf. Entsprechend zeigten die Ergebnisse, dass forschungsethische Herausforderungen insbesondere im Bereich des Datenschutzes gesehen und auch hier Vorlagen gewünscht wurden. Insgesamt scheint es einen Bedarf zu geben, niedrigschwellig nutzbare Vorlagen und Materialien zu entwickeln (z. B. Checklisten, kurze Videos oder Anregungen für Lehreinheiten) und dieses zur Verfügung zu stellen, um bei der forschungsethisch und methodisch fundierten Entscheidungsfindung eine Hilfestellung zu leisten. Um diesen Wünschen nachzukommen, ist es ein Ziel des FeKoM-Projektes, unterstützende Materialien aufzubereiten, Handreichungen und praxisorientierte Checklisten zu erarbeiten und diese der Scientific Community auf unserer Projekt-WebseiteFootnote 10 zur Verfügung zu stellen. Hier finden sich bereits eine ausführliche Zusammenstellung von zahlreichen Links zu forschungsethischen Lehrmaterialien, eine „Checkliste Datenschutz“, die relevante datenschutzrechtliche Fragen zur Vorbereitung einer Online-Befragung thematisiert, und eine dazugehörige „Vorlage Studien- und Datenschutzinformationen“, die als Beispiel für eine Informed-Consent-Erklärung genutzt werden kann. Es kann und soll sich hier nicht um starre Lösungskataloge handeln, vielmehr geht es um Leitlinien zu forschungsethischen Fragen, die von Fall zu Fall angewendet und diskutiert werden können. So kann eine kontinuierliche forschungsethische Reflexion im Forschungsprozess angestrebt werden.

Unter den Befragten bestand weitgehend Konsens darüber, dass die Relevanz des Themas in Zukunft zunehmen wird, unabhängig davon, ob man dies befürwortet oder nicht. Denn auch der kontroverse Charakter von Forschungsethik spiegelte sich in den Ergebnissen wider, etwa bei dem Wunsch nach oder auch der Sorge vor einer Vertiefung des Themas und der einhergehenden Befürchtung, dass Forschungsethik unseren Arbeitsalltag nur noch komplizierter macht. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich die Kontroverse nicht aus einem Aufeinandertreffen von zwei strikt voneinander getrennten Positionen (für oder gegen Forschungsethik) ergab. Die Grenzen waren fließend und Forschungsethik wurde gleichzeitig als herausfordernd und anstrengend wie auch als Qualitätskriterium wissenschaftlicher Forschung gesehen. So oder so: Auch wenn kommunikationswissenschaftliche Forschung durch forschungsethische Entscheidungen komplizierter wird – mit Sicherheit gewinnt sie dadurch an Reflexionstiefe und vielleicht auch an Qualität (vgl. auch Schlütz und Möhring 2016, S. 493).

Limitiert werden die Befunde unserer Online-Befragung durch die Zusammensetzung der Stichprobe. Aufgrund der kleinen, nicht-repräsentativen und selbst-selektiven Stichprobe sind die Ergebnisse selbstverständlich nicht verallgemeinerbar. Vielmehr bieten sie einen Einblick von möglicherweise am Thema besonders Interessierten auf den Stellenwert und den Umgang mit forschungsethischen Fragen in der KMW im Kontext des eigenen Arbeitsalltages. Teilgenommen haben zudem eher jüngere Wissenschaftler*innen, die am Anfang ihrer Karriere standen. Sie hatten damit noch weniger ausgeprägte Handlungsroutinen, aber auch empirisches Erfahrungswissen. Da unsere Stichprobe außerdem aus KMWler*innen des deutschsprachigen Raums bestand, wären weitere Arbeiten in anderen kulturellen oder akademischen Kontexten wichtig, um die Rolle forschungsethischer Entscheidungen und ihre Praxis im Arbeitsalltag in der deutschen KMW besser vergleichen und einordnen zu können. Für vertiefende Einblicke in die forschungsethische Praxis der KMWler*innen hätten wir zusätzlich auch noch ihr institutionelles Umfeld umfassender berücksichtigten können, um so die Unterschiede zwischen Instituten und/oder Hochschulformen herauszuarbeiten. Hier haben wir uns aus datenschutzrechtlichen Gründen dagegen entschieden, da wir dadurch eine Identifizierbarkeit der Befragten befürchteten. Zudem haben wir im Rahmen der zweiten Forschungsfrage den möglichen Einflussfaktor „Karrierestufe“ als Indikator für die jeweilige Berufserfahrung untersucht, obwohl die Karrierestufe eher indirekt auf die Berufserfahrung der Befragten schließen lässt. Eine konkretere Abfrage der jeweiligen Berufserfahrung (z. B. die genaue Anzahl der Berufsjahre) hätte jedoch ebenfalls die Gefahr der De-Anonymisierung erhöht. Trotz der angesprochenen Limitationen kann die Studie aber einen wichtigen Einblick in eine dynamische und herausfordernde Thematik der KMW leisten.

Forschungsethik ist ein komplexes und nicht immer ganz einfaches Thema, das – heruntergebrochen auf einzelne Fragen und Items – zu weiteren Fragen führen kann. Dies zeigten auch die offenen Anmerkungen, die einige der Teilnehmenden am Ende des Fragebogens bei „Lob und Kritik“ äußerten: „Solche Fragen können nur sinnvoll in einer abwägenden Diskussion besprochen werden. Es setzt zu sehr unter Druck bei einem Durchklicken eines Fragebogens zu so komplexen Fragen Stellung zu nehmen. Gerade, wenn man sich mit dem Thema noch nicht intensiv beschäftigt hat. Prinzipiell sollte das Thema vielleicht lieber qualitativ mit Gruppendiskussionen erforscht/aufgearbeitet werden. Ich finde es aber wichtig, dass das Thema in der DGPuK mehr Aufmerksamkeit bekommt!“ Auch selbstkritische und reflektierte Anmerkungen wurden geäußert: „Ich fand es irgendwie witzig, dass Sie zu Beginn (vorbildlich) ganz viele Informationen zum Datenschutz etc. anbieten, die ich natürlich nicht durchgelesen habe, aber dennoch angeklickt habe, ich hätte dies getan, um loszulegen. Ihr Versuch, eine ethische Befragung durchzuführen, hat also gleichsam bei mir zu einem unethischen Verhalten geführt;) Dieser Mangel pragmatischer Qualität scheint mir oft eine Eigenschaft der Forschungsethik-Debatte zu sein. Am Ende muss der Aufwand verhältnismäßig bleiben.“ Die Debatte um Forschungsethik bietet somit mehr als ausreichend Möglichkeiten zu einer fortlaufenden Auseinandersetzung. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen die Relevanz, den Diskurs um Forschungsethik in der KMW aufrechtzuerhalten, weiter voranzutreiben und zu vertiefen. Wir hoffen, mit diesen ersten Einblicken in die verschiedenen Sichtweisen von Forschenden einen Beitrag zum diskursiven Aushandlungsprozess forschungsethischer Fragen leisten zu können.