Im November 1951 kam im Lechte-Verlag im münsterländischen Emsdetten mit einjähriger Verspätung die Festschrift zum 60. Geburtstag des Berliner Publizistikwissenschaftlers Emil Dovifat unter dem programmatischen Titel Publizistik als Wissenschaft heraus. Die Titelei wies als Herausgeber das Institut für Publizistik an der Universität Münster aus. De facto war es dessen Direktor Walter Hagemann. Er schrieb im Vorwort: „Das vorliegende Heft sollte die erste Nummer einer neuen Zeitschrift für Publizistik werden, die ausersehen ist, das Erbe der früheren ‚Zeitungswissenschaft‘ auf erweiterter Grundlage fortzuführen. Aber die bescheidenen Mittel, die bisher zur Verfügung standen, ließen das Risiko vorläufig zu groß erscheinen, und so wird ein späterer, hoffentlich nicht zu ferner Zeitpunkt abgewartet werden müssen.“ (Hagemann 1951, S. VIII). Hagemann war, das sei vorweggenommen, der Initiator, die bestimmende und treibende, zugleich aber auch hemmende Kraft bei der Gründung der Publizistik. Diese Gründung erstreckte sich über gut fünf Jahre und erfolgte in drei Anläufen, ehe die Zeitschrift im Februar 1956 als Zweimonatsschrift erstmals erschien. Diese drei Anläufe und ihre Zusammenhänge bilden den Mittelpunkt meiner Ausführungen. Zur Einordnung werde ich zunächst einige Konturen der fachlich-strukturellen Rahmenbedingungen darstellen, unter denen sich die Gründung der Zeitschrift vollzog und die sie nicht unwesentlich bedingten.

1 Fachlich-strukturelle Rahmenbedingungen

Die Zeitschrift Zeitungswissenschaft, 1926 als erstes Fachorgan von Karl d’Ester und Walther Heide gegründet und bis Ende 1944 herausgegeben, verzeichnete in ihrem letzten Heft vom Oktober 1944 insgesamt 17 zeitungswissenschaftliche Einrichtungen an reichsdeutschen Universitäten und Hochschulen. Von ihnen war 1945 kaum die Hälfte übriggeblieben. In der Bundesrepublik bestanden 1951 an den traditionellen Universitätsstandorten des Faches in Heidelberg, München, Münster und Nürnberg sowie an der 1948 neu gegründeten Freien Universität Berlin fünf Institute, die, bis auf München, ihre fachliche Bezeichnung inzwischen in „Publizistik“ geändert hatten. Dabei handelte es sich um Ein-Professoren-Institute mit drei bis maximal fünf wissenschaftlichen Mitarbeitern. In der DDR waren die ehemaligen zeitungswissenschaftlichen Institute an den Universitäten Halle und Leipzig 1946 wiedereröffnet worden. Allerdings hatten die Teilung Deutschlands und der Kalte Krieg das Fach längst erreicht. Durch die unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Ordnungen bedingt und forciert, konnte und sollte wohl auch ein fachliches Zusammengehörigkeits-Bewusstsein der Institute in Ost und West gar nicht erst entstehen. Die Größe der Fachgemeinschaft in der Bundesrepublik entsprach 1951 also in etwa der eines heutigen mittelgroßen kommunikationswissenschaftlichen Instituts – auch unter Einbeziehung der damaligen gesamten Studentenzahlen.

Ein schwerwiegendes Manko beim Neuaufbau des Faches bestand darin, dass eine politisch unbelastete, fachwissenschaftlich qualifizierte Nachwuchsgeneration fehlte. Daraus erklärt sich u. a. die personelle Kontinuität der Professuren seit der Weimarer Republik in Berlin (Emil Dovifat) und München (Karl d’Ester), aber auch in Leipzig (Gerhard Menz). Eine wissenschaftliche Gesellschaft des Faches existierte 1951 ebenso wenig wie ein Fachorgan, zumal d’Ester keine Anstalten machte, anstelle der Zeitungswissenschaft eine neue Zeitschrift ins Leben zu rufen. Die wenigen fachwissenschaftlichen Artikel erschienen in dieser Zeit in den neugegründeten Periodika der Zeitungsverleger und Journalisten sowie mitunter in der von 1948 bis 1950 von dem Fernsehjournalisten und Mitgründer des Hans-Bredow-Instituts (Hamburg) Kurt Wagenführ herausgegebenen Zeitschrift Rundfunk und Fernsehen. Das war eine rundfunkkundliche Zweimonatsschrift, und diesem Typ entsprach in den ersten Jahren auch ihre Fortsetzung, die von 1953 an unter dem gleichen Titel vom Hans-Bredow-Institut herausgegeben wurde und seit dem Jahr 2000 mit dem Titel Medien & Kommunikationswissenschaft erscheint.

Die kleine akademische Spezialität „Publizistik“ befand sich 1951 im Frühstadium ihrer universitären Formierung und am Beginn einer theoretischen Fundierung, die sich von der im „Dritten Reich“ politisch-ideologisch durchsetzten Zeitungswissenschaft distanzierte, abhob und so bemühte, sich als neue, eigenständige wissenschaftliche Disziplin zu legitimieren. Es war vor allem Hagemann, der in beiden Dimensionen wegbereitende Schritte leistete. Dabei ist einerseits auf sein 1947 erschienenes Lehrbuch Grundzüge der Publizistik zu verweisen. Teils angelehnt an die zeitungswissenschaftliche Theoriebildung der ausgehenden 1920er-Jahre, formulierte er den publizistischen Prozess als neues Formalobjekt des Faches und als seine spezifische Erkenntnisperspektive die durch alle publizistischen Mittel, also nicht mehr nur allein durch die Zeitung hergestellte öffentliche Kommunikation. Eine wichtige Aufgabe des Fachs (bzw. die Erwartungshaltung seiner Studierenden) war die akademische Ausbildung für eine Tätigkeit im Journalismus. Zugleich begann Hagemann in einer sehr frühen Phase des Neuaufbaus, die Gründung einer wissenschaftlichen Zeitschrift mit dem Ziel zu betreiben, ein zentrales, im Fach akzeptiertes und nach außen hin erkennbares Forum für die Veröffentlichung, Erörterung und Kritik von aktuellen fachwissenschaftlichen Untersuchungen zu schaffen und dadurch eine fachinterne kognitive und soziale Identität, vor allem aber einen Konsens über das neue, von ihm formulierte Formalobjekt „Publizistik“ bzw. den publizistischen Prozess herzustellen.

Insofern war seine Bemerkung im Vorwort zur Dovifat-Festschrift von 1951, wonach die geplante Zeitschrift „das Erbe der früheren ‚Zeitungswissenschaft‘ auf erweiterter Grundlage fortführen“ sollte, höchst irritierend. Denn Walther Heide, der Mitherausgeber der Zeitungswissenschaft, hatte in seiner Funktion als Präsident der von ihm Ende Juni 1933 nach dem sog. Führerprinzip geschaffenen Fachorganisation, des Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verbandes (DZV), 1937 gerade die Entwicklung der Zeitungswissenschaft zu einer Wissenschaft von der Publizistik aus politischen, teils auch aus fachlich-dogmatischen Gründen verboten. Damit entzog er der Veröffentlichung von entsprechenden Beiträgen in seiner Zeitschrift den Boden – einmal ganz abgesehen davon, dass dort während der nationalsozialistischen Diktatur keine wissenschaftliche Debatte mehr über Theorien, Erkenntnisziele, und Methoden stattgefunden hatte. Es mag sein, dass sich Hagemann 1951 in einer in dieser Zeit verbreiteten Mentalität lediglich in formaler Hinsicht auf die Position der Zeitungswissenschaft als einziges Fachorgan bezog und über diese Brücke insbesondere das wegen seiner Tradition und seines Lehrstuhls wichtige Münchener Institut anzusprechen versuchte. Dort wurde eine Wissenschaft von der Publizistik abgelehnt – nicht nur von dem Lehrstuhlinhaber d’Ester und seinen Mitarbeitern, sondern auch von dem Münchener Privatgelehrten Otto Groth, der durch sein vierbändiges historisch-systematisches Monumentalwerk Die Zeitung (1928–1930) und seine dogmenhistorische Geschichte der deutschen Zeitungswissenschaft (1948) im Fach hohes Ansehen genoss. Wie noch zu zeigen sein wird, sollte die Zeitungswissenschaft jedenfalls das Vorbild für einige organisatorische und formale Gestaltungsaspekte der künftigen Publizistik werden.

2 Der erste Anlauf zur Zeitschriftengründung

Hagemann war ursprünglich Journalist. 1900 in Euskirchen geboren und im Milieu des rheinischen Katholizismus sozialisiert, avancierte er nach seinem 1918 durch die Kriegsteilnahme unterbrochenen, mit der Promotion bei dem Berliner Historiker Friedrich Meinecke abgeschlossenen Studium am Ende der 1920er-Jahre zu einem einflussreichen, national-konservativen, weltpolitisch interessierten Journalisten des politischen Katholizismus. Zunächst als freier Journalist tätig, unternahm er ausgedehnte berufliche Reisen in viele Teile der Welt, ehe er 1927 in das außenpolitische Ressort der Germania (Berlin), des Organs des katholischen Zentrums, eintrat. Im Juni 1933 aus politischen Gründen entlassen. Nach der Rückkehr der Zeitung zu ihrer ehedem christlich-kulturellen Linie leitete er die Germania seit Anfang 1934 bis kurz vor ihrem Verbot Ende 1938 als Chefredakteur. Danach gab er einen Pressedienst für ausländische Zeitungen heraus, der 1941 zwangsweise dem von Walther Heide geleiteten „Ausland-Presse-Büro“ unterstellt wurde, einer Tarnorganisation des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) zur Lenkung und Kontrolle der deutschsprachigen Presse im Ausland. Nachdem er seinen Pressedienst im Sommer 1944 kriegsbedingt einstellen musste, wurde Hagemann verpflichtet, für das Programm des in Berlin zentralisierten deutschen Reichsrundfunks zu arbeiten.

Bis zum Ende des Hitler-Regimes weigerte sich Hagemann, der 1933 von einem SA-Trupp zusammengeschlagen worden war, der NSDAP beizutreten. Dem RMVP und dem Sicherheitsdienst der SS galt er als politisch unzuverlässig; seine journalistische Tätigkeit wurde beobachtet und überwacht; die Germania stand in der Schusslinie des RMVP. Andererseits fanden sich in seinen geopolitischen Schriften dieser, aber auch früherer Zeit manche Auffassungen mit inhaltlicher Nähe zu historischen Dogmen des NS-Regimes.

Trotz seiner journalistischen Arbeit während und zuletzt für das NS-Regime wurde Hagemann, bald nachdem er sich im April 1945 nach Bayern abgesetzt hatte, in München Mitarbeiter der amerikanischen Militärregierung und im Herbst 1945 Redakteur in deren offiziellem Organ Die Neue Zeitung. Im gleichen Jahr gehörte er auch zum Gründerkreis der CSU. Nachdem es ihm nicht gelungen war, Mitlizenzträger der Süddeutschen Zeitung zu werden, wechselte er, durch persönliche und politische Beziehungen begünstigt, Anfang Juni 1946 auf eine außerordentliche Professur für Zeitungswissenschaft und neuere Geschichte an die Universität Münster. Dort wurde er 1949 auch zum Institutsdirektor des Fachs ernannt, dessen Namen man inzwischen in „Publizistik“ umbenannt hatte. Er war Anfang der 1950er-Jahre eine in der Politik und in den Medien renommierte Persönlichkeit und avancierte auch im Ausland bald zum bekanntesten Vertreter der deutschen Publizistikwissenschaft.

Natürlich besaß er Sachverstand genug, um einzuschätzen, dass sich 1951 eine Fachzeitschrift in der kleinen akademischen Gemeinschaft der Publizistik finanziell kaum tragen würde. Als er das Vorwort für die Dovifat-Festschrift schrieb, stand denn auch statt eines neuen deutschen wissenschaftlichen Fachperiodikums eine internationale Zeitschrift für Publizistik auf der Tagesordnung. Der Plan dafür war auf der ersten internationalen Nachkriegstagung der Publizistikwissenschaft gefasst worden, die Mitte April 1951 in Bad Godesberg unter Beteiligung von gerade einmal zwanzig Fachvertretern (einschließlich der wissenschaftlichen Mitarbeiter) stattfand, wobei zwei Niederländer, ein Schwede und ein Schweizer die Internationalität darstellten. Zu den Teilnehmern gehörten ferner einige Mitglieder des Bundestagsausschusses für Presse, Rundfunk und Film sowie verschiedene Fachjournalisten. Initiatoren der Tagung waren Hagemann und der mit ihm seit den 1920er-Jahren befreundete deutsche Emigrant Kurt Baschwitz von der Universität Amsterdam. Beiden ging es um einen Impuls zur Einrichtung des Faches an weiteren deutschen und europäischen Universitäten (u. a. für die akademische Journalistenausbildung) und die Reintegration der deutschen Publizistikwissenschaft in die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft.

Baschwitz, 1886 im badischen Offenburg geboren, stammte aus einer assimilierten jüdischen Familie. Nach seiner Promotion bei dem Nationalökonomen Lujo Brentano ging er in den Journalismus: 1909 wurde er Redakteur des liberalen Hamburger Fremdenblatts, 1924 wechselte er zur national-konservativen Deutschen Allgemeinen Zeitung in Berlin, fünf Jahre später übernahm er die Leitung des Verleger-Organs Zeitungs-Verlag. Daneben trat er mit massenpsychologischen und pressekundlichen Studien hervor. Seit dieser Zeit kannte er Hagemann und den Berliner Zeitungskundler Emil Dovifat. Nach Hitlers Machtübernahme floh er im April 1933 in die Niederlande, wo er schon während des Ersten Weltkriegs als Auslandskorrespondent des Hamburger Fremdenblatts tätig gewesen war. 1935 erhielt er an der Universität Amsterdam eine Privatdozentur für Journalistik, musste aber nach der deutschen Okkupation bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs untertauchen. 1945 wurde er erneut als Privatdozent an der Universität Amsterdam zugelassen und dort drei Jahre später, 1948, zum Professor für Presse, Propaganda und öffentliche Meinung ernannt. Es war die erste ordentliche Professur des Fachs in den Niederlanden. Baschwitz gehörte zu den Gründervätern des Fachs und seiner Organisation in unserem westlichen Nachbarland.

Die Godesberger Tagung bestätigte die von Hagemann formulierte Bestimmung der Gegenstände und des Zwecks der Publizistikwissenschaft und fasste zwei Beschlüsse, die für unseren engeren Zusammenhang wichtig waren:

  1. 1.

    die Gründung einer internationalen Fachgesellschaft für Publizistikwissenschaft sowie, gewissermaßen als ihrem Unterbau, von nationalen Fachgesellschaften;

  2. 2.

    die vor allem von Hagemann angeregte Gründung einer internationalen Zeitschrift für Publizistik, deren organisatorischen Zusammenhang mit den auf internationaler bzw. nationaler Ebene geplanten Fachgesellschaften man aber offenbar nicht erörterte.

Mit beiden Vorhaben war man auf der 2. Internationalen Tagung der Publizistikwissenschaft im April 1952 in Münster insofern vorangekommen, als sich unter dem kommissarischen Vorsitz von Hagemann formell eine Deutsche Gesellschaft für Publizistik bildete. Doch nach der 3. Tagung im Jahr darauf in Amsterdam begann sowohl die internationale als auch die deutsche Fachgesellschaft einzuschlafen. Die nächste und letzte dieser Tagungen fand erst 1955 in Berlin statt. Offenbar war die kleine Fachgemeinschaft selbst auf (west-)europäischer Ebene überfordert, im Jahresrhythmus neue Themen zu kreieren und dazu genuine Forschungsergebnisse vorzulegen.

Auch die Zeitschriftengründung, mit der man Hagemann beauftragt hatte, stockte. Eine Förderung des Vorhabens durch die 1951 gegründete Deutsche Forschungsgemeinschaft, die 1952 in einem Gutachten über die „Notlage der deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften“ vor voreiligen Neugründungen warnte, kam nicht zustande. Nachdem der Münchener Lehrstuhlinhaber Karl d’Ester Anfang April 1952 emeritiert worden war, konzentrierte Hagemann seine Aktivitäten immer mehr darauf, dessen Nachfolge anzutreten. Der Lehrstuhl an der Maximilians-Universität in der bayerischen Landeshauptstadt mit deren vielfältigen neuen Medieneinrichtungen erschien ihm nicht nur attraktiver, sondern wohl auch angemessener als sein Extraordinariat an der Universität in der westfälischen Provinz. Dieser Versuch sollte sich mehr und mehr zu einem letztlich erfolglosen, aber durch etliche persönliche, fachliche und politische Animositäten geprägten Kampf auswachsen, der sich bis Mitte 1954 hinzog. In dieser Situation ergriff Baschwitz die Initiative und betrieb nun seinerseits von Amsterdam aus, ohne Hagemann zu beteiligen, die Gründung einer internationalen fachwissenschaftlichen Zeitschrift, die für ihn als einzigen Lehrstuhlinhaber seines Fachs in den Niederlanden einen ungleich höheren fachstrategischen Stellenwert besaß als für Hagemann. Diese neue internationale Fachzeitschrift kam erstmals im Januar 1955 mit dem Titel Gazette heraus und erscheint bis heute.

3 Der zweite Anlauf zur Zeitschriftengründung

Zeitlich parallel zur Vorbereitung der Gazette beschäftigte sich Hagemann seit August 1954 in Münster intensiver mit seinem Zeitschriftenprojekt. Wegen der bevorstehenden Gründung der Zeitschrift in Amsterdam verfolgte er nun das Ziel eines deutschen Fachorgans. Es mag sein, dass ihm Zweifel gekommen waren, ob ein internationales Periodikum genügend Raum für deutsche Themen und Untersuchungen bieten konnte und, mehr noch, ob es überhaupt das geeignete Medium für sein Anliegen war, hierzulande zur weiteren Fundierung der Publizistik als Wissenschaft beizutragen. Eine weitere wichtige Aufgabe der neuen Zeitschrift sah er zudem in ihrer Funktion als Brücke zur deutschen Medienpraxis, insbesondere zu den Zeitungsverlegern und Journalisten. Bei Hagemanns beruflicher Herkunft, ferner wegen des fachlichen Ausbildungsziels und nicht zuletzt hinsichtlich einer möglichen finanziellen Förderung der geplanten Zeitschrift durch die Zeitungsverleger war das nicht weiter verwunderlich.

In diesen konzeptionellen Auffassungen war er sich einig mit Emil Dovifat, den er wohl schon 1951 für das Zeitschriftenprojekt und spätestens Mitte 1954 als Mitherausgeber gewann. Hagemann und Dovifat waren seit den 1920er-Jahren eng befreundet. Auch der 1890 in Malmedy an der damaligen deutsch-belgischen Grenze geborene Dovifat stammte aus dem Katholizismus, für den er sich sein Leben lang auf gesellschaftlicher und politischer Ebene mit großem Engagement einsetzte. Sein 1911 wohl schon mit dem Berufsziel Journalist begonnenes Studium unterbrach er 1914 als Kriegsfreiwilliger. Im Juni 1916 wurde er schwer verwundet. Nach seiner Promotion 1918 bei dem Leipziger Historiker Erich Brandenburg arbeitete er zunächst als Provinz-Redakteur. 1921 bereitete er gemeinsam mit Heinrich Brüning, dem späteren Reichskanzler, in Berlin für die christlichen Gewerkschaften die Gründung der Zeitung Der Deutsche vor. Im gleichen Jahr übernahm er das wirtschafts- und sozialpolitische Ressort, später die Chefredaktion des Blattes, ehe er 1928 zum Professor für Zeitungswissenschaft an der Universität Berlin und zum Direktor des Deutschen Instituts für Zeitungskunde berufen wurde, das einen eigenen Rechtsträger besaß. Bereits in seiner Antrittsvorlesung fanden sich die Konturen einer Auffassung über den publizistischen Prozess als zentrales Erkenntnisobjekt seines Faches.

Während der nationalsozialistischen Machtergreifung und -sicherung äußerte Dovifat sich öffentlich dem Regime gegenüber ablehnend. Als der Reichsverband der deutschen Presse (RDP), die Organisation der hauptberuflichen Journalisten, der Dovifat seit 1914 als Mitglied, seit Beginn der Weimarer Republik in leitenden Funktionen angehörte, auf seiner Jahrestagung Ende April 1933 die Selbstgleichschaltung vollzog, widersetzte er sich gemeinsam mit zwei weiteren der anwesenden 108 Verbandsvertreter entschieden der Einführung des Arier-Paragraphen im RDP. Ein Jahr später brachte ihn seine Rede zum Abschluss des Märkischen Katholikentags am 24. Juni 1934, eine Woche vor dem Röhm-Putsch, in Lebensgefahr. Ende Juli 1934 wurde er durch das Preußische Kultusministerium als Professor in den Ruhestand versetzt, das die Pensionierung allerdings zwei Monate später wieder rückgängig machte. Obschon Dovifat das NS-Regime ablehnte, machte er sich in seinen fachlichen Veröffentlichungen seit 1933 Postulate des totalitären Staates etwa über die Freiheit und Funktion der Presse zu eigen.

Nach dem Ende von Diktatur und Zweitem Weltkrieg gehörte Dovifat 1945 zu den Mitgründern der CDU in Berlin. Er war dort zunächst Chefredakteur des sowjetisch-lizenzierten CDU-Organs Neue Zeit, bis er im Oktober 1945 das Blatt auf Druck der sowjetischen Militäradministration verlassen musste und seine Professur an der Universität Berlin wieder versah. 1948 zählte er zu den Gründungsprofessoren der Freien Universität Berlin und baute dort das Institut für Publizistik auf, das er bis 1959 leitete. Zugleich war er eine einflussreiche, vielbeschäftigte Persönlichkeit in der Medienpolitik der Ära Adenauer: Unter anderem war er von 1948 bis 1954 Mitglied, von 1950 bis 1952 Vorsitzender des Verwaltungsrats des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR), der damals nach der British Broadcasting Corporation (BBC) zweitgrößten Rundfunkanstalt in Europa; nach der Gründung des Sender Freies Berlin (SFB) 1954 wurde er zum Mitglied und Vorsitzenden des SFB-Rundfunkrats gewählt; das Amt hatte er bis 1959 inne; er gehörte ferner zu den Mitgründern des Deutschen Presserates, der sich Ende November 1956 in Köln konstituiert hatte.

Diese Konstellation macht verständlich, dass Hagemann nicht nur der Spiritus rector der Zeitschrift Publizistik war, sondern während ihrer Planung und Gründung bei personellen und Sachentscheidungen die Fäden in der Hand behielt – auch später als Herausgeber. Andererseits wurde in der Zusammenarbeit mit Dovifat ein bedeutsames, nun fachorganisatorisches Ziel sichtbar: Um ihre Funktion als zentrales Organ des Faches zu erfüllen, sollte die Publizistik erst gar nicht in den Verdacht geraten, die Zeitschrift eines einzelnen Instituts zu sein. Da es keine fachwissenschaftliche Gesellschaft gab, wollten sie eine Herausgeber-Zeitschrift schaffen, ein institutsübergreifendes Fachorgan, das von ausgewiesenen Hochschullehrern herausgegebenen wurde, die für die Einwerbung, Auswahl und Qualität der Beiträge standen. Und deshalb suchten sie noch einen weiteren Mitherausgeber.

Ich greife den Ereignissen vor, wenn ich darauf verweise, dass die Wahl auf Wilmont Haacke fiel, nachdem dieser im Mai 1953 zum Dozenten für das Fach Publizistik an der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft in Wilhelmshaven ernannt worden war. Unter den drei Gründungsherausgebern der Publizistik war der 1911 in Monschau/Eifel geborene Haacke der jüngste. Er gehörte einer anderen Generation als Hagemann und Dovifat an: Er war kein Kriegsteilnehmer, die nationalsozialistische Machtergreifung erlebte er als junger Student von Dovifat in Berlin, sein Metier war nicht der politische Journalismus gewesen, sondern das Feuilleton. Seit dem Beginn seines Studiums und fast bis zum Ende der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs veröffentlichte er in politisch höchst unterschiedlichen Zeitschriften und Zeitungen zahllose Feuilletons. Seine 1936 abgeschlossene Dissertation über die Geschichte der Deutschen Rundschau, der wohl bedeutendsten allgemein-kulturellen Zeitschriften der Wilhelminischen Ära, und ihren Gründer und Herausgeber Julius Rodenberg wurde vom Chefideologen des NSDAP und im Anschluss daran vom Preußischen Kultusministerium aufs Schärfste verurteilt und zugleich dem Doktorvater Dovifat die Eignung als wissenschaftlicher Betreuer in Abrede gestellt. Aus verfahrensrechtlichen Gründen wurde Haacke zwar promoviert, seine Doktorarbeit durfte er jedoch nicht veröffentlichen. Unter dem Druck dieser Vorgänge trat Haacke 1937 der NSDAP bei und passte sich immer mehr dem Regime und seiner Propaganda an.

Nach seiner Promotion wurde er Korrespondent des ehedem liberalen Berliner Tageblatts. Nach dem Verbot der Zeitung 1939 wechselte er, durch verwandtschaftliche Beziehungen zur Wehrmacht immer wieder als unabkömmlich eingestuft und durch den DZV-Präsidenten Heide protegiert, in die Wissenschaft. Seit 1939 arbeitete er als Assistent am neu eingerichteten zeitungswissenschaftlichen Institut der Universität Wien sowie – nach seiner Habilitation an der Karls-Universität im okkupierten Prag (1942) – von 1943 bis 1945 als Leiter des Fachinstituts der Universität Freiburg. Wie die meisten aus der zeitungswissenschaftlichen Nachwuchsgeneration, die sich seit den 1930er-Jahren für das Fach habilitiert hatten, war Haacke politisch schwer belastet. Seine Habilitationsschrift und ein umfangreicher Handbuchbeitrag über das „Wiener jüdische Feuilleton“ (1941) enthalten entsetzliche antisemitische Diffamierungen. Anthologien mit Kriegsfeuilletons veröffentlichte er 1941 und 1943 gemeinsam mit Wilfried Bade, dem Leiter der Zeitschriftenabteilung des RMVP.

Für Hagemann dürfte Haackes Reputation als Zeitschriftenforscher ein wichtiger Grund gewesen sein, ihn 1949 als seinen ersten wissenschaftlichen Assistenten nach Münster zu holen und ihm die Chance zum wissenschaftlichen Neuanfang zu eröffnen. Er sollte ursprünglich die Redaktion der geplanten Zeitschrift übernehmen. Für deren Start war nun der 1. Januar 1955 vorgesehen. Doch dazu sollte es nicht kommen. Hagemann wollte eine terminliche Kollision mit dem erstmaligen Erscheinen der Gazette vermeiden. Nicht minder wichtig war wohl, dass sich kein Verlag bereitfand, das Risiko einer Zeitschrift für das minoritäre Universitätsfach zu übernehmen. Das Vorhaben stockte seit dem Ende des Wintersemesters 1954/1955 wieder völlig, weil Hagemann in seinem anschließenden Freisemester eine siebenmonatige Weltreise unternahm. Erst nach deren Ende, im Frühherbst 1955, begann der dritte und letztlich dann erfolgreiche Anlauf der Zeitschriftengründung.

4 Der dritte Anlauf zur Zeitschriftengründung

Der entscheidende Durchbruch gelang im Herbst 1955. Hagemann hatte endlich einen Verlag für die Zeitschrift gefunden, den Verlag Pohl & Co in München, in dem die von d’Ester neu gegründete Schriftenreihe Presse und Welt erschien. Direktor des Verlags war Wolfgang Müller-Clemm, der während des „Dritten Reichs“ die Essener Verlagsanstalt geleitet hatte, in der 1939 zwischenzeitlich die Zeitschrift Zeitungswissenschaft erschienen war. Die Essener Verlagsanstalt wiederum war ein Teilunternehmen des Verlags der parteiamtlichen National-Zeitung gewesen, die als Sprachrohr von Hermann Göring galt. Durch seine Verbindungen zum Presse- und Informationsamt der Bundesregierung konnte Dovifat andererseits eine beachtliche finanzielle Förderung der Zeitschrift durch das Amt erreichen. Ein Vorbild dafür mag die ehemalige Zeitungswissenschaft gewesen sein, die während ihres gesamten Erscheinens auf Betreiben von Heide von der Presseabteilung der Reichsregierung bezuschusst worden war. Diese Abteilung ressortierte während der Weimarer Republik beim Auswärtigen Amt; nach der nationalsozialistischen Machtergreifung war sie in die Presseinlandsabteilung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda integriert worden.

Im Münsteraner Institut wurde nun während der letzten drei Monate des Jahres 1955 der Start der Publizistik unter Hochdruck vorbereitet. Die Arbeit lastete größtenteils auf den Schultern von Günter Kieslich, dem ersten Redakteur der Zeitschrift, und Walter J. Schütz. Kieslich hatte bei Hagemann mit einer Studie zur Frühgeschichte der Presse promoviert und folgte Anfang 1955 Haacke als wissenschaftlicher Assistent von Hagemann. Schütz war einer von Hagemanns studentischen Hilfskräften und wertete zu dieser Zeit gerade seine erste Stichtagserhebung der bundesdeutschen Zeitungen aus. Die eigentliche Gründung vollzogen die drei Herausgeber dann im Verlauf ihrer ersten gemeinsamen Sitzung im Dezember 1955 im Hotel Luisenhof in Hannover – mithin an einem damals fachlich neutralen Ort. Von Berlin, Münster und Wilhelmshaven aus betrachtet, lag er sicherlich verkehrsgünstig. Vielleicht wollte man, quasi als Nebeneffekt, darüber hinaus auch eine institutsunabhängige Position andeuten.

An den Vorbereitungen 1955 und auch schon 1954 beteiligte Hagemann einerseits eine Reihe von ehemaligen Zeitungswissenschaftlern wie bspw. Hans Amandus Münster, der bis April 1945 Direktor des Leipziger Instituts für Zeitungswissenschaft und bis dahin ein überzeugter Nationalsozialist gewesen war. Anderseits wirkten verschiedene Emigranten mit wie etwa der im Londoner Exil lebende, mit Hagemann seit den 1920er-Jahren befreundete Edgar Stern-Rubarth, der als einer der Direktoren von Wolffs Telegraphischem Büro (WTB), der offiziösen deutschen Nachrichtenagentur in Berlin, 1933 nach England emigriert war. Er hatte während der 1920er-Jahre ein auch im Ausland beachtetes Buch über die Propaganda sowie mehrere fachliche Aufsätze über strukturelle Probleme der Weimarer Presse publiziert. Dieses Miteinander sowohl von Gegnern des Nationalsozialismus und aus Furcht vor der Verfolgung durch das NS-Regime ins Exil Geflohenen als auch von dessen Mitläufern, Konformisten, ja sogar Mittätern im Planungs- und später im Mitarbeitergremium der Publizistik war kein Spezifikum dieser Zeitschrift, sondern charakteristisch für die bundesdeutsche Konsensgesellschaft der Wiederaufbauzeit.

Die Publizistik des Jahres 1956 unterschied sich durch ein konzeptionelles Merkmal von der Zeitschrift heute: Sie hatte feste redaktions-externe deutsche Sachbearbeiter und ausländische Mitarbeiter. Diese Einrichtung, die freilich nie richtig funktionierte, war einerseits der Ausdruck von Hagemanns Bestreben, die gesamte Publizistikwissenschaft und zudem das weitere außerakademisch-fachliche Feld in die Zeitschrift einzubeziehen. Andererseits ist diese Einrichtung als ein Rudiment der ursprünglichen Idee von Hagemann zu verstehen, eine internationale fachwissenschaftliche Zeitschrift zu gründen. In der Konzeption der externen Mitarbeiter kam fraglos auch der ehemalige Zeitungsredakteur in Hagemann zum Vorschein. Das Vorbild für diese Konzeption war indessen die ehemalige Zeitungswissenschaft, an deren formalen Gestaltungselementen man sich augenscheinlich orientierte – das ging hin bis zur Farbe des Umschlags der Zeitschrift.

Im Gründungsprozess der Publizistik fermentierten mithin sowohl ein wissenschaftlicher Neuanfang als auch die Kontinuität zum Fach Zeitungswissenschaft und dessen Zeitschrift. Kontinuität in der Konzeption eines zentralen institutsübergreifenden Fachorgans, sodann auf personeller Ebene (Herausgeber, feste redaktions-externe Mitarbeiter) sowie in manchen formalen Dimensionen der Organisation und Gestaltung der Zeitschrift. Neuanfang ebenfalls auf personeller Ebene (Redaktion; wissenschaftlicher Nachwuchs als Autoren), vor allem aber im Bemühen, den publizistischen Prozess als Formalobjekt des Faches durch aktuelle Forschungsergebnisse zu untermauern und dadurch die Legitimität der Publizistik als eigenständige Disziplin unter Beweis zu stellen. Vor allem dieses Ziel betonten die beiden programmatischen Aufsätze von Dovifat über „Die Publizistik als Wissenschaft“ und von Hagemann über „Begriffe und Methoden publizistischer Forschung“, mit denen das erste Heft der Publizistik als Zweimonatsschrift mit dem Untertitel „Zeitschrift für die Wissenschaft von Presse, Rundfunk, Film, Rhetorik, Werbung und Meinungsbildung“ im Februar 1956 ihr Erscheinen begann.