1 Einleitung: Relevanz, Ziel und Aufbau des Papiers

Medienschaffende und Kommunikationsverantwortliche bei Sicherheitsbehörden und Justiz verbreiten tagtäglich Berichte über StraftatenFootnote 1 und die Menschen, die sie verüben. Sie erfüllen damit wichtige Aufgaben, die ihren Institutionen obliegen, insbesondere die Unterrichtung der Bevölkerung über Belange der inneren Sicherheit, die Herstellung von Transparenz über die Arbeit der Sicherheits- und Justizbehörden und damit auch die demokratische Kritik und Kontrolle staatlicher Akteur*innen durch Medien. Öffentliche Berichte über Verbrechen treffen auf ein großes Interesse in der Bevölkerung, weil Straftaten als schwerwiegende Normverletzungen ein Bedürfnis nach Orientierung, aber auch starke Emotionen hervorrufen können. Auf Berichte über Verbrechen reagiert das Publikum fast unvermeidlich mit einem moralischen Urteil über Verdächtige oder Verurteilte, das Folgen auch für Meinungen und Einstellungen jenseits des geschilderten Einzelfalls haben kann.

Daher kommt der Gestaltung veröffentlichter Berichte über Straftaten eine erhebliche Bedeutung zu. Journalist*innen und Kommunikationsverantwortliche bei Sicherheitsbehörden und Justiz stehen regelmäßig vor schwierigen Abwägungen. Zunächst sind die Rechte der Personen zu bedenken, die als Verdächtige oder Verurteilte dargestellt werden. Auf sie kann sich die Neugier oder auch die Wut des Publikums richten, und sowohl gesetzliche Vorgaben (Persönlichkeitsrechte) als auch berufsnormative Erwägungen sind hier zu berücksichtigen. Doch die Bedeutung einer angemessenen Darstellung von Straftaten reicht über die Details von geschilderten Einzelverbrechen hinaus.

Denn Berichte über Straftaten können Verdächtige oder Verurteilte als Angehörige größerer sozialer Gruppen kennzeichnen. Insbesondere erwähnen zahlreiche Berichte von Medien, Polizei und Justiz, dass beteiligte Personen eine Einwanderungsbiografie aufweisen oder einer von Rassismus betroffenen Gruppe angehören (z. B. „Migrationshintergrund“; „Geflüchtete“). Solche Nennungen der Herkunft oder Gruppenzugehörigkeit von Verdächtigen oder Täter*innen sind in der Politik, in Redaktionen und Behörden seit längerer Zeit Gegenstand von Kontroversen, denn sie stellen Verknüpfungen zwischen Migration (oder Minderheitenstatus) und Kriminalität her. Laut amtlicher Statistik besitzt gut ein Viertel der deutschen Wohnbevölkerung eine Einwanderungsbiografie „im weiteren Sinne“, das sind rund 21 Mio. Menschen (Stand 2019). Die Herkunft oder Gruppenzugehörigkeit von Täter*innen und Verdächtigen in der Verbrechensberichterstattung zu erwähnen hat also Auswirkungen auf die gesellschaftliche Teilhabe dieser Menschen und die Frage, wie unsere Gesellschaft mit der Vielfalt ihrer Mitglieder umgeht.

Viele Institutionen haben deswegen interne Leitlinien entwickelt, und viele Akteur*innen orientieren sich am Pressekodex des Deutschen Presserats, der in Ziffer 12.1 explizite Hinweise zur Nennung der Herkunft von Verdächtigen und Verurteilten gibt. Doch hält die Kontroverse über die „richtige“ Umgangsweise mit Herkunftsnennungen an (vgl. Bliesener 2021), auch befeuert von rechtspopulistischen Politiker*innen, die in Migrant*innen eine Bedrohung der inneren Sicherheit vermuten und von Medien und Behörden die Offenlegung von Herkunftsinformationen vehement einfordern. Die Leitlinien, wie etwa die Erlasse der Innenministerien der Bundesländer, unterscheiden sich erheblich voneinander, und zugleich lassen die Vorgaben des im Jahr 2017 revidierten Pressekodex einigen Interpretationsspielraum. Aktuelle Forschungsbefunde zeigen, dass in manchen Tageszeitungen die Häufigkeit, mit der die Herkunft von Tätern genannt wird, in jüngerer Zeit stark angestiegen ist (vgl. unten: 3.1). All diese Beobachtungen zeigen die Notwendigkeit, im Dienste professioneller Standards und der Förderung eines friedlichen Miteinanders in unserer vielfältigen Gesellschaft über die Gestaltung von Verbrechensberichten und speziell die Gründe für und gegen die Nennung von gruppenbezogenen Informationen über Täter*innen weiter nachzudenken. Zugleich wirken sie als komplexer Hintergrund jeder einzelnen Entscheidung, die Journalist*innen und Kommunikationsverantwortliche im Alltag treffen müssen, wenn sie öffentliche Mitteilungen über ein Verbrechen verfassen – wie sollen sie mit Informationen über die Einwanderungsbiografie oder den Minderheitenstatus von Tatbeteiligten umgehen?

Die vorliegende Handreichung lädt zu eben dieser Reflexion ein. Sie ist aus der Arbeit eines Kreises von Kommunikationswissenschaftler*innen entstanden, die sich im Rahmen eines vom niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geförderten Projekts zu „Zukunftsdiskursen“ mit Expert*innen aus Medien, Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft beraten haben. Das Dokument folgt explizit keiner politischen Position und soll keinesfalls die bestehenden Leitlinien in Redaktionen und Pressestellen der Sicherheits- und Justizbehörden in Frage stellen. Vielmehr geben wir einen Überblick über die relevante wissenschaftliche Forschung, aus der heraus die stets notwendige Abwägung des Einzelfalls in der Gestaltung von Verbrechensberichten erfolgen kann. Unser Text bringt Medienschaffenden und Kommunikationsverantwortlichen bei Polizei und Justiz auch die Perspektive der „Betroffenen“ nahe, also der Menschen, die von Rassismus betroffen sind und die sich durch die Nennung der Herkunft von Einzeltäter*innen möglicherweise „mitgemeint“ fühlen. Aus diesen Grundlagen entwickeln wir schließlich Anregungen und den Vorschlag für eine „Checkliste“, mit der Journalist*innen und Kommunikationsexpert*innen bei den Behörden arbeiten können, um wohlreflektierte Einzelfallentscheidungen zur Gestaltung ihrer Verbrechensberichte zu treffen.

Vielleicht möchten manche Medienschaffende und Kommunikationsverantwortliche diese Handreichung auch zum Anlass nehmen, um mit ihren Kolleg*innen und Vorgesetzten die bestehenden Leitlinien erneut zu diskutieren. Auch diese Form der Reflexion bietet sich an, denn die Materie ist komplex und stellt sich aufgrund von Entwicklungen in Gesellschaft und Kriminalitätsgeschehen immer wieder neu dar. Verantwortungsvolle Verbrechensberichterstattung sollte daher auf regelmäßiger professioneller Reflexion ihrer Ziele, Maßstäbe und Normen entstehen. Dazu soll die vorliegende Handreichung ebenfalls beitragen.

Die nachfolgenden Abschnitte zeichnen zunächst die Debatte in politischen und professionellen Kreisen zur Thematik der Herkunftsnennung in der Verbrechensberichterstattung nach (2) und fassen den relevanten Forschungsstand der Kommunikationswissenschaft zusammen (3). Ein weiterer Abschnitt ist der Perspektive der „betroffenen“ Menschen mit Einwanderungsgeschichte gewidmet (4). Daraus werden Anregungen zur Reflexion der eigenen Kommunikationspraxis abgeleitet, die Journalist*innen und Expert*innen bei den Sicherheits- und Justizbehörden aufgreifen können (5), ergänzt um eine „Checkliste“, die bei täglichen Einzelfallentscheidungen zur Gestaltung von Verbrechensberichten helfen kann (6). Zudem bieten wir eine Liste nützlicher Informationsquellen (7) an sowie abschließend eine Übersicht der am Papier beteiligten Autor*innen und der interprofessionellen Arbeitsgruppe, mit der sie sich beraten haben (8).

2 Die politische und journalistische Kontroverse um die Herkunftsnennung in der Verbrechensberichterstattung

2.1 Argumente für und gegen die Offenlegung von Herkunftsinformationen in der Verbrechensberichterstattung

Nicht erst seit der großen Zuwanderungsbewegung im Jahr 2015 beschäftigen sich Akteur*innen in Medien und Politik mit der Frage der vormals so genannten „Ausländerkriminalität“. Die Bedeutung von Täter*innen und Verdächtigen mit einer Einwanderungsbiografie wird beispielsweise im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität (Mafia, Clan-Kriminalität), Sexualdelikten und Terrorismus häufig debattiert. Populistische Akteur*innen wiesen in den vergangenen Jahren immer wieder lautstark auf eine angebliche Bedrohung der inneren Sicherheit durch Eingewanderte, Geflüchtete oder Angehörige von hier beheimateten Minderheiten hin. Dem gegenüber stehen Bemühungen vieler staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, die Teilhabe von Menschen mit Einwanderungsbiografie oder Minderheitenstatus sowie deren Schutz vor Diskriminierung voranzubringen, was auch angesichts des erheblichen Zuwandereranteils in der deutschen Gesellschaft eine vordringliche Aufgabe darstellt. In diesem Akteursspektrum wird die öffentlich-mediale Assoziation von Migration und Kriminalität in vielen Fällen kritisch gesehen.

Die Vielfalt der von solchen öffentlichen sozialen Markierungen betroffenen Gruppen ist groß und lässt sich de facto nicht mit dem Begriff „Eingewanderte“ vollständig abbilden. Zu denken ist an sämtliche von Rassismus betroffene Gruppen, unabhängig davon, ob sie hierzulande geboren wurden, eingewandert, nach Deutschland geflüchtet und/oder Nachfahren eingewanderter Menschen sind. Verbrechensberichte enthalten häufig Verweise auf Staatsangehörigkeiten, ethnische Herkunft, Aufenthaltsstatus (z. B. „Asylbewerber“) oder die Zugehörigkeit etwa zur Gruppe der Sinti und Roma. Diese und vergleichbare Gruppenerwähnungen sind zu bedenken, wenn wir im Folgenden die Debatte über „Herkunftsnennung“ in der Verbrechensberichterstattung rekonstruieren und anschließend praktische Handlungsempfehlungen entwickeln werden. Um an die Vielfalt der betroffenen Gruppen zu erinnern, verwendet der vorliegende Text eine möglichst große Bandbreite thematischer Begriffe zu ihrer Bezeichnung.

In der Frage, ob Berichte über Verbrechen auch Informationen über die (migrantische) Herkunft von Verdächtigen und Täter*innen offenlegen sollten, bestehen sehr unterschiedliche Ansichten. Diese Frage haben nicht nur Journalist*innen bei den Nachrichtenmedien und -agenturen in ihrer täglichen Arbeit zu entscheiden, sondern auch die Kommunikationsverantwortlichen bei den Sicherheitsbehörden und der Justiz. Denn sie nehmen als Quellen eine wichtige Rolle im Informationsfluss ein und verbreiten über soziale Medien zunehmend auch selbst Informationen in der Bevölkerung.

Die Thematik wird für drei unterschiedliche Formen der Verbrechensberichterstattung diskutiert: Berichte über Einzelverbrechen (z. B. Tatereignis, Verhaftung, Verurteilung), Fahndungsaufrufe der Sicherheitsbehörden, die sie selbst sowie Nachrichtenmedien veröffentlichen, und Berichte über Verbrechensstatistiken.

Akteur*innen, die sich für eine regelmäßige Nennung der Herkunft von Verdächtigen und Täter*innen aussprechen, argumentieren zumeist mit der Forderung nach Transparenz. Verfügbare Informationen über Menschen, die die innere Sicherheit bedrohen oder Verbrechen begangen haben, dürfen nach ihrer Auffassung nicht zurückgehalten werden. Das gelte auch für eine Einwanderungsbiografie beziehungsweise die Zugehörigkeit zu einer (zugewanderten) Minderheit (vgl. z. B. Reul 2022).

Populistische Akteur*innen fordern diese Transparenz oftmals in Kombination mit der Unterstellung, Medien und Behörden würden Herkunftsinformationen bewusst verschweigen, um die „wahre Bedrohung“ der inneren Sicherheit durch Eingewanderte zu verschleiern („Lügenpresse“, vgl. z. B. AfD Thüringen 2018).

Andere Akteur*innen argumentieren gegen eine (routinemäßige, häufige) Nennung von Gruppenzugehörigkeiten in Verbrechensberichten. Sie äußern dazu im Wesentlichen zwei Argumente: Zum einen habe die (migrantische) Herkunft in sehr vielen Fällen keinen Sachbezug zum Verbrechen. Die überwältigende Mehrheit von Delikten stelle keine Verhaltensweisen dar, die kausal von der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe abhängen. Die Nennung der Herkunft sei in diesen vielen Fällen daher keine für die Vermittlung des Geschehens bedeutsame Information (vgl. z. B. Ataman 2019). Zum anderen äußern diese Akteur*innen die Sorge, dass von der Offenlegung von Herkunftsinformationen ungewünschte und weitreichende Wirkungen auf die Bürger*innen ausgehen könnten, nämlich die Verstärkung von Vorurteilen und von ablehnenden bis feindseligen Haltungen gegenüber Menschen mit Einwanderungs- oder Fluchtbiografie im Allgemeinen, also auch weit über die an der Tat beteiligten Personen hinaus. Damit verbunden seien zudem Ausgrenzungserfahrungen von Menschen, die durch die Erwähnung ihrer Herkunft als Angehörige der gleichen sozialen Gruppe öffentlich in die Nähe von Kriminalität gerückt werden (vgl. z. B. Augstein 2016).

Eben diese Argumente lassen Akteur*innen, die sich für eine regelmäßige Offenlegung von Herkunftsinformationen einsetzen, nicht gelten. Sie betonen demgegenüber die Freiheit der Bürger*innen, sich selbst ein Urteil zu bilden, und ihre Fähigkeit, verantwortungsbewusst mit Informationen über soziale Gruppen (z. B. Ethnien) umzugehen. Die journalistische oder behördliche Zurückhaltung von Herkunftsinformationen aus Sorge vor gesellschaftlich problematischen Effekten betrachten diese Akteur*innen als manipulative Unterwanderung bürgerlicher Informationsfreiheit („Zensur“).

Zusammengefasst stehen sich damit zwei grundlegende Positionen gegenüber. Die eine Seite fordert die regelmäßige Offenlegung gruppenbezogener Angaben im Dienste von Transparenz und der vollumfänglichen Freiheit der Bürger*innen, sich zu informieren. Die andere Seite betont den in der Regel fehlenden Sachzusammenhang zwischen Herkunft und Straftat (der durch die Offenlegung ungerechtfertigterweise hergestellt würde) und warnt vor negativen gesellschaftlichen Effekten wie Vorurteilen und Migrantenfeindlichkeit.

Die Kontroverse stellt sich für die drei unterschiedenen Formen der Verbrechensberichte spezifisch dar. Akteur*innen, die sich für eine (durchgehende) Herkunftsnennung stark machen, fordern dies in der Regel sowohl für Berichte über Einzelverbrechen, für Fahndungsaufrufe als auch für Berichte über Verbrechensstatistiken. Kritiker*innen benennen differenzierte Argumente zu jeder Form der Berichterstattung. Bei Berichten über Einzelverbrechen steht die Sorge vor übergeneralisierenden, emotional-negativen Urteilen des Publikums (zorniger Fehlschluss vom Einzeltäter auf eine Migrant*innengruppe) sowie die Suggestion einer unzutreffenden Kausalbeziehung zwischen Gruppenzugehörigkeit und Täterschaft im Mittelpunkt. Fahndungsaufrufe müssen zweifellos so formuliert sein, dass mutmaßliche Straftäter tatsächlich anhand äußerlicher Merkmale erkannt werden können. Doch äußern Kritiker die spezifische Sorge, dass bestimmte Formulierungen eine besondere Stigmatisierung nach sich ziehen und beispielsweise Personen mit in der Fahndung beschriebenen Merkmalen gehäuft unter Verdacht gestellt werden könnten. Denn viele Fahndungsaufrufe nennen (äußerliche) Merkmale, die eine Einwanderungsbiografie von gesuchten Personen offenlegen, zugleich aber so unspezifisch sind, dass sie die Erkennung einer Einzelperson nicht ermöglichen (z. B. eine viel zu undifferenzierte Nennung der Hautfarbe; vgl. Loggins 2009). Bei Berichten über Verbrechensstatistiken wiederum ist die kriminologische Analyse von Herkunftsmerkmalen per se unstrittig, doch mahnen Kritiker*innen hier mehr Reflexion der berichteten Kategorien an: Zum einen seien amtlich festgestellte Herkunftsinformationen (z. B. Staatsangehörigkeit) in einer modernen Einwanderungsgesellschaft oftmals wenig aussagekräftig. Zum anderen könnten bestimmte Formen der Auswertung, etwa Vergleiche von „Kriminalitätsraten“ zwischen Personengruppen aus unterschiedlichen Ländern, Vorurteile verstärken: Ohne explizite Erläuterungen könnten solche Vergleiche von Herkunftsgruppen ähnlich wie Berichte über Einzelverbrechen die nicht haltbare These transportieren, wonach Menschen aus bestimmten Ländern oder Gruppen stärker zu Kriminalität neigen.

2.2 Bisherige Leitlinien und praktische Herausforderungen

Viele mit öffentlicher Verbrechensberichterstattung befasste Institutionen haben sich Leitlinien gegeben, die entlang der oben benannten Positionen die angestrebte Vorgehensweise bestimmen. Sie orientieren sich dabei vielfach an der Ziffer 12.1 des Pressekodex des Deutschen Presserats. Sie lautet:

„In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Die Ausnahmeregelung eines „begründeten öffentlichen Interesses“ wurde mit einer Revision der Ziffer 12.1 im Jahre 2017 eingefügt. Ein öffentliches Interesse an der Herkunftsinformation anzunehmen könne nach den „Praxis-Leitsätzen“ des Presserates aus verschiedenen sachbezogenen Gründen gerechtfertigt sein, etwa bei besonders schweren Straftaten oder bei Taten, die aus Gruppen heraus verübt werden (vgl. presserat.de).

Einige Nachrichtenmedien veröffentlichen ihre redaktionseigenen Leitsätze zur Thematik und dokumentieren damit, dass sie die schwierige Abwägung der Argumente für und gegen eine Offenlegung von Herkunftsinformationen ernst nehmen. Viele Polizeibehörden orientieren sich ebenfalls an den Eckpunkten des Presserats; einige Innenministerien der Länder regeln die Vorgehensweise indes auch per Erlass. Für das Land NRW gilt demnach die Maßgabe der grundsätzlichen Offenlegung von Herkunftsinformationen in Polizeimeldungen (vgl. Reisin 2019). Innerhalb vieler Redaktionen und Organisationen bei Medien, Polizei und Justiz wird indes die Debatte entlang der skizzierten Grundpositionen fortgeführt, weil aktuelle Einzel-Verbrechen erneute und schwierige Abwägungen erfordern. Fachverbände und zivilgesellschaftliche Organisationen wie der Deutsche Journalistenverband (djv) oder die Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NDM) melden sich in solchen Zusammenhängen immer wieder mit der Forderung, sich bei der Herkunftsnennung zurückzuhalten, unter anderem weil sie eine schleichende Verschiebung der bisherigen Praxis in Folge rechtspopulistischer Agitation befürchten.

Bei Berichten über Einzelverbrechen gelten für Medienschaffende strukturell andere Rahmenbedingungen als für Verantwortliche bei den Sicherheits- und Justizbehörden. Journalist*innen sind zwar an redaktionelle Linien gebunden, verfügen aber grundsätzlich hierzulande über weitreichende Freiheiten bei der inhaltlichen Auslegung sowie bei der Wort- und Bildwahl. Verantwortliche bei der Polizei oder Justiz hingegen haben gesetzliche Informationspflichten zu beachten und sind an Dienstvorschriften sowie Weisungen ihrer vorgesetzten Stellen (z. B. Innenministerien) gebunden. Ihr Gestaltungsspielraum sowie ihre Kommunikationsaufgabe stellen sich somit grundlegend anders dar, was aber natürlich keine Akteur*in von einer reflektierten Einzelfallentscheidung bezüglich der Offenlegung von Informationen über Herkunft oder Gruppenzugehörigkeit entbinden sollte.

Schließlich beeinflusst auch der Medienwandel die Rahmenbedingungen, unter denen Journalist*innen und Kommunikationsverantwortliche ihre Entscheidungen über Nennung oder Zurückhaltung von Herkunftsinformationen treffen müssen. Denn sie sind heute nicht mehr die einzigen Akteur*innen, die Informationen über ein Verbrechen besitzen und verbreiten. Über soziale Medien melden sich häufig nicht-professionelle Akteur*innen, beispielsweise Augenzeug*innen mit Videomaterial oder Nutzer*innen, die Kommentare unter Online-Beiträgen von Medienberichten hinterlassen. Diese Personenkreise folgen in der Regel keinen kommunikativen Berufsnormen und reflektieren ihre Mitteilungen nicht entlang von ethischen Leitlinien. Falls sich Medienschaffende oder Kommunikationsverantwortliche gegen eine Erwähnung von Einwanderungsbiografien Tatbeteiligter entscheiden, können solche nicht-professionellen Akteur*innen diese Zurückhaltung konterkarieren. Daraus könnten dann doch die befürchteten Vorurteilseffekte auf das Publikum entstehen; darüber hinaus könnte aber noch ein Image-Schaden für die Medienschaffenden oder Kommunikationsverantwortlichen drohen wegen ihres öffentlich ersichtlichen „Verschweigens“ von Gruppeninformationen.

Die in Fachkreisen und teilweise öffentlich geführte Diskussion über den Umgang mit Herkunftsnennungen in Verbrechensberichten ist somit nicht geklärt, sondern schwelt weiter. Für politische Akteur*innen und Kommunikationsverantwortliche mit Leitungsaufgaben ist sie oftmals ein Anwendungsfall für ihre generelle Linie zur Darstellung von Migrant*innen und Menschen aus von Rassismus betroffenen Gruppen. Auch weil die Problematik in Zukunft immer wieder aufs Tableau kommen dürfte, lohnt sich die grundsätzliche, wissenschaftlich informierte Reflexion des eigenen professionellen Handelns für Akteur*innen bei Medien, Polizei und Justiz.

3 Forschungsstand: Journalistische Herkunftsnennung, Stereotypen-Wirkungen und medienethische Abwägungen

3.1 Medieninhaltsforschung zur Darstellung von Migrant*innen und Kriminalität

Die Perspektive auf die Inhalte von Medienberichterstattung (und Botschaften von Polizei und Justiz) beschreibt das Ausmaß, in dem verschiedene Akteur*innen die (migrantische) Herkunft von Täter*innen und Verdächtigen offenlegen. Entsprechende Studien setzen entweder bei der Frage an, wie Migrant*innen dargestellt werden (so dass Kriminalität einen von vielen möglichen Kontexten darstellt, in die Migration medial gerückt werden kann), oder sie untersuchen explizit nur Berichte über Verbrechen, um zu bestimmen, wie häufig Einwanderungs- oder Minderheitsbiografien dort thematisiert werden. Aggregierte Verbrechensstatistiken dienen dann häufig als Vergleichsfolie, wobei die Problematik wie oben geschildert nicht in erster Linie in der (möglichen) kumulativen „Überrepräsentation“ (oder Unterrepräsentation) von Eingewanderten im Vergleich zur Gesamtstatistik besteht, sondern in jedem Einzelfall eine relevante journalistische Abwägung erfordert.

Studien dieser Forschungsperspektive aus verschiedenen Ländern und Zeiträumen kommen übereinstimmend zu dem Befund, dass Nachrichtenmedien dazu neigen, Eingewanderte mit Kriminalität in Verbindung zu bringen (vgl. z. B. Hestermann 2021; Smith und Deacon 2018). Mit Hinweisen auf Verbrechen und der Offenlegung von Herkunftsinformationen werden Eingewanderte als Bedrohung der Mehrheitsgesellschaft porträtiert (vgl. z. B. Tort et al. 2016). Schwerwiegende Straftaten wie etwa die von vielen Tätern begangenen Delikte auf der Kölner Domplatte zum Jahreswechsel 2015/2016 befeuern diesen Trend (vgl. Arendt et al. 2017; Wigger et al. 2021). Aktuelle Forschungsbefunde zeigen, dass sich zwischen 2014 und 2018 der Anteil von Berichten über Einzelverbrechen in zehn deutschen regionalen und überregionalen Tageszeitungen mit (angedeuteter oder expliziter) Herkunftsnennung von Täter*innen oder Verdächtigen von 11 auf 33 % verdreifacht hat (vgl. Dittrich und Klimmt 2021). Diese Erkenntnisse zeigen eine veränderte Arbeitsroutine vieler Medienschaffender, nämlich eine zunehmende Abkehr von dem in Deutschland traditionell angewendeten Prinzip der Zurückhaltung.

3.2 Medienwirkungsforschung zu den Folgen der Verknüpfung von Migration und Kriminalität beim Publikum

Die Perspektive der Medienwirkungsforschung untersucht die Informationsverarbeitung und Urteilsbildung des Publikums medialer Berichte über Verbrechen und prüft dabei, inwiefern Vorurteile (Stereotype) über Minderheiten, insbesondere Eingewanderte oder Geflüchtete, durch die Erwähnung von Herkunftsinformationen verstärkt werden. Entsprechende Studien zeigen übereinstimmend, dass bei einem relevanten Anteil des Medienpublikums eben solche Vorurteilseffekte auftreten. Der zentrale Wirkmechanismus besteht darin, dass Zuschauer*innen und Leser*innen die Herkunftsinformation intuitiv, spontan und oftmals unbewusst heranziehen, um sich eine Vorstellung von der Straftat zu machen und diese moralisch zu bewerten („Alltagsrationalität“, vgl. Brosius 1995). Dabei findet eine Übergeneralisierung statt, die das Urteil über die genannte soziale Gruppe zum Negativen verändert (vgl. z. B. Dixon 2008). Dieser Effekt wird dadurch begünstigt, dass viele Verbrechensberichte kaum andere (persönlich-individuelle) Informationen über Täter*innen und Verdächtige enthalten. So liegt es für das Publikum nahe, aus der Herkunftsinformation weitreichende Schlüsse zu ziehen wie etwa den, dass Menschen einer bestimmten (z. B. ethnischen) Herkunft in erhöhtem Maße zur Kriminalität neigen (vgl. z. B. Lee und Thien 2015). Solche Übergeneralisierungen treffen im Falle schwerer Straftaten auf negative Emotionen wie Ärger, was den Effekt zunehmender Ablehnung von Eingewanderten weiter verstärken kann (vgl. z. B. Oliver und Fonash 2002). Von besonderer Bedeutung ist der Umstand, dass bereits subtile Andeutungen genügen können, um solche Vorurteilseffekte anzustoßen (vgl. Akalis et al. 2008, Studie 2), beispielsweise die Erwähnung, dass eine verdächtige Person „gebrochen deutsch“ gesprochen habe.

Diese Befundlage zur Wirkung von Verweisen auf eine migrantische Herkunft in der Verbrechensberichterstattung ist robust. In internationalen Fachzeitschriften mit Qualitätssicherung (peer-review) haben wir bisher 71 wissenschaftliche Forschungsbeiträge identifiziert, die seit 1997 veröffentlicht wurden und relevante Erkenntnisse für den vorliegenden Kontext enthaltenFootnote 2. Davon berichten 46 Artikel sogenannte experimentelle Studien zur Rezeption von Nachrichtenbeiträgen und kurzfristigen Effekten auf das Publikum. 9 Studien kombinieren Inhaltsanalysen der Medienberichterstattung mit Längsschnittbefragungen (Panel- oder Trendstudien) und bilden damit längerfristige, kumulierte Effekte vieler einzelner Beiträge ab. 16 weitere Forschungsberichte basieren auf anderen Designs (z. B. Querschnittsbefragungen). Die überwiegende Mehrzahl dieser Studien führt zu der Erkenntnis, dass Migrationsverweise in Verbrechensberichten migrantenfeindliche Vorurteile und Einstellungen verstärken. Von den 71 Forschungsberichten kommen 60 zu solchen Ergebnissen; 11 kommen zu nicht eindeutigen oder klar entgegengesetzten Befunden. Eberl et al. (2018) fassen in ihrer eigenen, über den Verbrechenskontext hinausgehenden Literaturschau zusammen: „Immigration coverage is often negative and conflict-centred. Frequent exposure to such media messages leads to negative attitudes towards migration, may activate stereotypical cognitions of migrant groups, and even influence vote choice.“ (S. 207).

Auch zur vorurteilsbezogenen Wirkung von nicht-professionellen öffentlichen Botschaften, insbesondere Nutzer*innenkommentaren in den sozialen Medien, liegen mittlerweile Forschungsbefunde vor. Beispielhaft für diese aktuelle Forschung zeigen Weber et al. (2020) experimentell, dass moderat-negative wie auch explizit hasserfüllte Nutzer*innenkommentare gegen Geflüchtete problematische Einstellungs- und Verhaltenseffekte auf das Publikum hervorbringen können. Die Befürchtung, dass auch digitale Bürgerkommunikation im Zusammenhang mit journalistischer Berichterstattung Stereotype und migrationsfeindliche Haltungen befördern kann (vgl. oben: 2), wird somit ebenfalls empirisch untermauert.

Wie stets bei Medienwirkungen sind nicht alle Bürger*innen gleichermaßen für solche Vorurteilseffekte anfällig (vgl. Valkenburg und Peter 2013). Menschen, die bereits zuvor negative Einstellungen gegenüber einer genannten Minderheit besaßen, werden allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Herkunftsnennungen in der beschriebenen Weise reagieren (vgl. z. B. Habib et al. 2020; Kunst 2021). Damit kann eine voranschreitende Polarisierung der Bevölkerungseinstellungen einhergehen. In jedem Fall tragen solche Medieneffekte dazu bei, dass migranten- oder minderheitenfeindliche Vorurteile unter den Bürger*innen verbreitet bleiben.

3.3 Medienethische Reflexion

Die Perspektive der Medienethik schließlich befasst sich mit der normativen Verantwortung von Menschen, die öffentliche Kommunikation betreiben (vgl. Eggers 2021; Filipović 2015). Sie kann – durchaus in Kenntnis der hier genannten empirischen Befunde – aufgrund moralischer Sichtweisen einordnen, welche Prinzipien und Werte durch die Frage der Herkunftsnennung berührt werden und welche Implikationen eine Entscheidung für oder gegen die Offenlegung von Herkunftsinformationen mit sich bringt. Dabei sind zunächst die institutionellen Rahmenbedingungen von Bedeutung, die ethisches Handeln ermöglichen (z. B. Leitsätze, Codizes, Reflexionskultur in Teams), aber auch die individuelle Abwägung durch Journalist*innen oder Kommunikationsverantwortliche.

Ethische Entscheidungen können grundsätzlich auch im Widerspruch zu empirischen Befundlagen und Erwartungen von Vorgesetzten, Kolleg*innen oder Publikum stehen. Verantwortungsbewusst zu handeln bedeutet aus medienethischer Perspektive vor allem, zu reflektieren, welche moralischen Werte durch eigene Entscheidungen tangiert sein können. Keinesfalls ergibt sich daraus nur eine einzige, „wahre“ oder alternativlose Vorgehensweise.

Allerdings ist auch aus medienethischer Sicht der mögliche Wirkungszusammenhang zwischen Erwähnung von Herkunfts- oder Gruppeninformationen in Verbrechensberichten und der Verstärkung von Diskriminierung und Vorurteilen durchaus von Bedeutung, denn er verweist auf die Zentralität der Menschenwürde in solchen journalistischen Abwägungen (vgl. Krämer 2018). Die Menschenwürde wiederum muss als besonders wichtiges, schützenswertes moralisches Gut gelten. Sie begründet fundamentale Rechte jedes Menschen, zu denen auch das Recht auf Freiheit von Diskriminierung gehört. Die Offenlegung von Herkunftsinformationen in Verbrechensberichten berührt dieses Recht, so dass Medienschaffende, Kommunikationsverantwortliche der Behörden sowie ihre Organisationen eine zentrale ethische Verantwortung tragen. Entsprechend sorgfältige Abwägungen sind aus medienethischer Sicht von Redaktionen, Behörden, einzelnen Journalist*innen und Kommunikationsverantwortlichen immer dann zu fordern, wenn sie eine Abweichung von dem medienethisch begründeten Zurückhaltungsgebot in Betracht ziehen.

Die Medienethik kann indes mindestens zwei wichtige Differenzierungen zur Thematik der Herkunftsnennung leisten. Zunächst empfiehlt es sich aus medienethischer Sicht, das eigene Handeln als Medienschaffende oder Kommunikationsverantwortliche in größeren Zusammenhängen zu betrachten und die Entscheidungen, eine Gruppenangehörigkeit in Einzelberichten zu nennen oder nicht zu nennen, nicht isoliert zu reflektieren. Wichtiger als der Ausgang solcher Einzelentscheidungen ist nämlich, dass sich eine Redaktion (oder ein Kommunikationsteam bei den Behörden) grundsätzlich und nachhaltig für die Menschenwürde und gegen Diskriminierung einsetzt (vgl. z. B. Schicha 2007). Dies sollte sie durch veröffentlichte Inhalte und praktisches Handeln nachweisen können, etwa durch eine engagierte Thematisierung von Diskriminierung und Problemen der Menschenwürde in der Gesamtberichterstattung und die angemessene Repräsentation von Menschen aus diskriminierten Bevölkerungsgruppen in den eigenen Inhalten. Eine Medienorganisation oder eine Behörde, die sich aktiv für Menschenwürde und gegen Diskriminierung positioniert, muss keinen moralischen Fehler fürchten, wenn in einigen ihrer Berichte (nach gründlicher Abwägung) die Herkunft von Verdächtigen oder Täter*innen genannt wird.

Zweitens fordert die Medienethik eine realistische Zuschreibung von Verantwortung. Wenn Leser*innen medialer Verbrechensberichte diskriminierende Schlüsse aus der Herkunftsinformation über eine*n Täter*in ziehen, tragen sie zuallererst persönlich eine ethische Verantwortung dafür – nicht die Verfasser*innen des Berichts („Publikumsethik“; vgl. Schicha 2007, S. 136). Die Hauptverantwortung läge nur dann bei den Medienschaffenden beziehungsweise Kommunikationsverantwortlichen, wenn sie explizit verkünden würden, die Gruppenzugehörigkeit sei der Grund für das geschilderte Verbrechen. Doch sind damit Redaktionen, Behördenleitungen, individuelle Journalist*innen und Kommunikationsverantwortliche gewiss nicht von der ethischen Verantwortung entlastet. Denn ihre Beweggründe, warum sie eine Herkunftsinformation publizieren, spielen eine wichtige Rolle. Wer etwa aus eigenem Ressentiment eine Verknüpfung von Verbrechen und Migration ohne Sachbezug öffentlich artikuliert, handelt gegen das ethische Prinzip der Menschenwürde, selbst wenn niemand im Publikum dadurch stärkere migrantenfeindliche Vorurteile entwickeln sollte. Zudem kann den Verfasser*innen von Verbrechensberichten eine Verantwortung durch Unterlassen zukommen – etwa wenn sie um das Risiko der Vorurteilsbeförderung wissen, dann aber ohne substanziellen Sachgrund die Herkunft von Täter*innen in ihrem Bericht nennen und das Publikum nicht explizit über die Vorurteilsproblematik aufklären.

4 Betroffenenperspektive: Diskriminierungserfahrungen durch Verbrechensberichterstattung

Wenig beachtet wurde in der bisherigen Fachdebatte die Sichtweise der Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, sowie ihrer Nachkommen. Die Mehrzahl der Personen aus von Rassismus betroffenen Gruppen kann von Diskriminierungserfahrungen im Alltag berichten (vgl. Beigang et al. 2017). Häufig kommen Herabwürdigungen und Beschimpfungen im öffentlichen Raum vor, aber auch berufliche Benachteiligungen (etwa bei Leistungsbewertungen) oder auf dem Wohnungsmarkt. Solche aversiven Erfahrungen haben nachhaltige negative Konsequenzen für Wohlbefinden und gesellschaftliche Teilhabe; sie belegen damit auch schwere Schäden am gesellschaftlichen Klima in Deutschland. Diese von vielen Menschen mit Einwanderungsbiografie geteilte Langzeiterfahrung muss als Hintergrund bedacht werden, um die negativen Effekte einer Herkunftsnennung in der Kriminalitätsberichterstattung einzuordnen.

Denn wenn mediale Verbrechensberichte die Herkunft von Verdächtigen nennen, ohne dass deren Sachbezug zur Tat ersichtlich ist, werden viele Menschen mit Einwanderungsbiografie eine weitere Episode der Ausgrenzung und Herabwürdigung durchleben – insbesondere dann, wenn die genannte Herkunft von Verdächtigen mit der eigenen übereinstimmt. Erneut wird die eigene Gruppenzugehörigkeit thematisiert, erneut passiert es ohne relevanten Grund und erneut mit negativer, sogar eine Bedrohung andeutender Konnotation. Auch pauschale Herkunftshinweise wie „südländisches Aussehen“ oder „spricht gebrochen Deutsch“ bergen das Potenzial, als Herabwürdigung verstanden zu werden. Zudem unterschlagen solche Formulierungen die Vielfalt nicht-deutscher Herkünfte: Wenn schon eine Herkunft genannt wird, möchten Menschen mit einer bestimmten (nicht-deutschen) Herkunft oftmals nicht mit Menschen einer anderen nicht-deutschen Herkunft zu einer Kategorie zusammengefasst („in Mithaftung genommen“) werden.

Von spezifischer Relevanz ist die öffentliche Erwähnung von ethnischen oder sozialen Gruppenzugehörigkeiten in der medialen Verbrechensberichterstattung. Anders als bei einer individuellen Ausgrenzungserfahrung auf der Straße werden Menschen mit Einwanderungsbiografie aus der potenziell weiten Verbreitung medialer Darstellungen wahrscheinlich ableiten, dass die erlebte Ausgrenzung und Herabwürdigung an zahlreiche Bürger*innen transportiert wird. In dieser Reichweite dürften viele eine bedrohliche Verstärkung der Diskriminierung sehen (sogenannter Third-Person-Effekt, vgl. Davison 1983). Negative Darstellungen von Menschen der eigenen Herkunft in der Zeitung oder einer Online-Meldung zu sehen bedeutet dann eine besonders aversive Ausgrenzungserfahrung (vgl. Baugut 2020; Tsfati 2007). Der Öffentlichkeitseffekt kann zudem bestehende Ängste vor ausländerrechtlichen Veränderungen (z. B. Verschärfung des Aufenthaltsrechts für die eigene Eingewandertengruppe, Familie oder Person) verstärken und damit den sogenannten Minderheitenstress (minority stress) schüren.

Die Perspektive von Menschen mit Einwanderungsbiografie als Betroffene von (medialer) Diskriminierung wird im Diskurs über Verbrechensberichterstattung häufig zu wenig bedacht. Sie sollte nicht als individuelle Befindlichkeit abgetan werden, sondern als wesentliches Element der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung, die Akteur*innen bei Medien, Sicherheits- und Justizbehörden tragen. Die gründliche Einzelfallabwägung in der Frage der Herkunftserwähnung wird somit nicht nur wegen einer möglichen Verstärkung migrantenfeindlicher Vorurteile in der Mehrheitsbevölkerung bedeutsam, sondern auch wegen Teilhabe- und Diskriminierungserfahrungen von Millionen von Bürger*innen, die von Rassismus betroffenen Gruppen angehören.

5 Schlussfolgerungen: ein Reflexionsangebot für die Kommunikationspraxis

Ob Berichte über Verbrechen die Herkunft von Verdächtigen beziehungsweise Täter*innen erwähnen oder nicht, erweist sich als potenziell folgenreiche Entscheidung. Die Gefahr, migrantenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung zu verstärken, und der ethische Bezug zur Menschenwürde verlangen von allen professionellen publizistisch tätigen Akteur*innen eine reflektierte Abwägung, wie sie sich in der Gestaltung ihrer öffentlichen Botschaften dieser Verantwortung stellen (vgl. Bliesener 2021). Eine solche Abwägung treffen sie zu anderen personenbezogenen Informationen ohnehin schon regelmäßig – nämlich bei der Veröffentlichung von Klarnamen beteiligter Personen (vgl. Richtlinie 8.1 des Pressekodex des Deutschen Presserates). Angesichts der großen Bedeutung nicht nur für die betroffenen Individuen, sondern auch für ganze Gruppen von Eingewanderten muss diese Sorgfalt auch auf die Frage der Offenlegung von Herkunftsinformationen ausgedehnt werden.

Deutlich wird aus den hier zusammengetragenen Perspektiven, dass es keine pauschal „richtige“ Vorgehensweise gibt, die sich einfach für sämtliches Kommunikationshandeln empfehlen ließe. Unser Beitrag soll in keiner Weise Vorgaben verkünden oder die Handlungsfreiheit von Journalist*innen und Verantwortlichen der Behörden in Frage stellen. Er greift vielmehr den umfangreichen Wissensstand aus Forschung und Praxis auf, um ein neues Reflexionsangebot zu unterbreiten und Orientierung für die publizistische Einzelfallentscheidung zu schaffen.

Damit tritt dieser Text neben bereits existierende Leitlinien und Maßgaben, die sich viele Redaktionen und Behörden – häufig in Anlehnung an den Pressekodex des Deutschen Presserats – gegeben haben. Teilweise sind solche Leitlinien veröffentlicht (z. B. beim Bremer Weser-Kurier; vgl. Echtermann 2018). Wir wollen anregen, im Berufsalltag immer wieder über die eigenen Handlungsmaßstäbe nachzudenken, bewusste (anstelle von habitualisierten) Entscheidungen über die Herkunftsnennung zu fällen und sich der gegebenenfalls schon vorhandenen thematischen Leitlinien zu erinnern.

Vielleicht können die nachfolgend konkretisierten Anregungen auch dazu beitragen, innerhalb der eigenen Organisation in den Austausch über berufs- und medienethische Maßstäbe zu treten, schon vorhandene Leitlinien zu überprüfen und gemeinsam über erstrebenswerte Entscheidungen zu Herkunftsnennungen in der Kriminalitätsberichterstattung nachzudenken.

5.1 Reflexionshilfe für die Situation von Fallbeteiligten mit Einwanderungsbiografie

Sie stehen als Journalist*in oder verantwortliche Person bei Polizei oder Justiz vor der Aufgabe, eine zur Veröffentlichung bestimmte Nachricht über ein Einzelverbrechen zu erarbeiten, bei dem mindestens eine beteiligte Person eine Einwanderungsbiografie aufweist oder aus anderem Grund einer von Rassismus betroffenen Gruppe angehört. Damit stehen Sie auch vor der Frage, ob (und wenn ja, wie) Sie diese Information in Ihrer Nachricht erwähnen. Hier gilt es also, zahlreiche teils miteinander in Widerspruch stehende allgemeine Überlegungen auf einen konkreten Einzelfall anzuwenden. Ihre Entscheidung hat durchaus weitreichende Konsequenzen, nicht nur für die am Fall beteiligten Personen. Wir schlagen Ihnen vor, folgende Fragen zu reflektieren, bevor Sie Ihre Nachricht anfertigen und veröffentlichen. Sie werden sich wahrscheinlich weitgehend mit jenen Maßgaben decken, die als Richtlinien für Ihre Tätigkeit (z. B. per Erlass der Behördenleitung oder Vorgabe der Redaktion auf Basis des Pressekodex) ohnehin gelten. Auch in Kenntnis solcher allgemeinen Rahmenvorgaben sind Sie stets gefordert, eine eigene professionelle Entscheidung über Herkunftsinformationen zu treffen. Die folgenden Fragen dienen daher dazu, Sie zu einer gründlichen Einzelfallentscheidung einzuladen, über mögliche Unsicherheiten mit anderen zu sprechen und sich einer verantwortungsbewussten Gestaltung Ihrer Nachricht zu vergewissern.

  • Quellenmaterial: Falls in dem Material, das Ihnen für Ihre Nachricht als Grundlage dient (z. B. Bericht einer Behörde; Pressemitteilung; Videoblog), die Herkunft oder Gruppenzugehörigkeit von mindestens einer fallbeteiligten Person genannt ist – wie bewerten Sie die Akkuratheit dieser Information? Handelt es sich um gesicherte Erkenntnisse oder vielleicht nur um die Mutmaßung eines Augenzeugen? Wie bewerten Sie die Angemessenheit der Erwähnung von Herkunftsinformationen in Ihrem Quellenmaterial?

  • Sachbezug: Wenn Sie die Herkunft von Verdächtigen (oder überführten Täter*innen) in Ihrer eigenen Nachricht nennen wollen, haben Sie dafür einen triftigen Grund, der eindeutig im Tatereignis wurzelt? Inwiefern können Sie (gegenüber Kolleg*innen oder Vorgesetzten) zeigen, dass diese Information von Bedeutung für die Erklärung und die Verständlichkeit des Falls ist?

  • Informationsnutzen: Welches „öffentliche Interesse“ würden Sie Ihrer Auffassung nach mit einer möglichen Herkunftsnennung bedienen? Bei Fahndungsaufrufen: Inwiefern kann die Art Ihres gruppenbezogenen Hinweises in plausibler Weise Ihrem Publikum helfen, die gesuchte Einzelperson zu erkennen, ohne pauschal und fälschlicherweise eine große Gruppe von Menschen zu Verdächtigen zu erklären?

  • Individualisierung und Kontextualisierung: Wird das Publikum nur die Herkunft erfahren, oder nennen Sie auch weitere Informationen, die die Person als einzelnen Menschen (und nicht nur als Angehörige*n einer sozialen Gruppe oder ethnischen Minderheit) erscheinen lassen? Bei Fahndungsaufrufen: Inwiefern schätzen Sie Ihre Darstellung als ausreichend präzise ein, um die gesuchte Einzelperson erkennbar werden zu lassen und sie nicht lediglich als Angehörige*n einer größeren sozialen oder ethnischen Gruppe auszuweisen?

  • Form und Formulierung: Wenn Sie die Herkunftsinformation in Ihre Nachricht aufnehmen – inwiefern erscheint Ihnen Ihre Umsetzung in Wort und Bild respektvoll und achtsam gegenüber möglicher Diskriminierung von Menschen mit Einwanderungsbiografie? Inwiefern sind Sie der professionellen Auffassung, dass Ihre Formulierungen oder Bilder dem Publikum nicht den Schluss nahelegen, Menschen einer bestimmten Herkunft seien pauschal kriminell oder stellten eine Bedrohung dar? Wie gründlich haben Sie Ihre Wortwahl auf Begriffe geprüft, die Stereotype ansprechen oder andeuten können oder die von der in Rede stehenden Community als herabsetzend eingestuft werden? Hier sind gerade auch jene Botschaftselemente bedeutsam, mit denen sich das Publikum einen ersten und schnellen Eindruck verschafft, nämlich Überschriften, Teaser und Bildmaterial.

  • Dialogstrategie: Falls Sie nach der Veröffentlichung Kommentare oder Fragen aus Ihrem Publikum zur (getätigten oder vermiedenen) Herkunftsnennung erreichen – wie möchten Sie darauf reagieren? Auf welche Leitlinien Ihres Medienhauses oder Ihrer Behörde werden Sie sich beziehen, und wie werden Sie Ihre Entscheidung begründen?

  • Indirekte Folgen: Ihre Entscheidung, eine Herkunftsinformation zu veröffentlichen oder unerwähnt zu lassen, könnte indirekte Folgen für bestimmte Angehörige Ihres Publikums oder andere Bürger*innen nach sich ziehen. Manche Menschen könnten aufgrund Ihrer Entscheidung ein Misstrauen Ihrer Publikation gegenüber entwickeln, weil sie mit Ihrer Entscheidung nicht einverstanden sind (etwa, wenn Sie auf eine Herkunftsnennung verzichten und sie sich dadurch bevormundet fühlen). Manche werden als „Betroffene“ eine Diskriminierung erleben, wenn Sie eine Herkunftsinformation (in bestimmter Weise) veröffentlichen, und das Vertrauen in die publizistische Qualität Ihres Mediums oder Ihrer Behörde verlieren. Inwiefern können Sie solche Folgen absehen und einschätzen? Inwiefern wissen Sie sich hier im Einvernehmen mit Ihren Vorgesetzten oder Kolleg*innen zum Umgang mit solchen (nicht beobachtbaren) möglichen Folgen Ihrer Entscheidung?

5.2 Reflexionshilfe für die Situation von Fallbeteiligten ohne Migrationshintergrund

Vielfach stehen Journalist*innen und Kommunikationsverantwortliche der Polizei- und Justizbehörden vor der Aufgabe, eine zur Veröffentlichung bestimmte Nachricht über ein Einzelverbrechen zu verfassen, bei dem keine beteiligte Person eine Einwanderungsbiografie aufweist oder einer Minderheit angehört. Dann scheint sich auf den ersten Blick die Thematik des vorliegenden Papiers gar nicht zu stellen. Doch können bestimmte Formulierungen oder Bilder auch in diesem Fall durchaus (implizit) einen Bezug herstellen zwischen Menschen mit Einwanderungsgeschichte und Kriminalität.

Denn möglicherweise überlegen Sie, in Ihrer Nachricht explizit darauf zu verweisen, dass die Tatbeteiligten keinen „Migrationshintergrund“ haben. Beispiele dafür wären Formulierungen wie „deutschstämmig“, „mit deutschem Pass“, „deutscher Staatsbürger“ oder implizite Hinweise wie „sprach akzentfreies Deutsch“. In manchen Fällen mag damit die publizistische Intention verbunden sein, einer vorurteilsbehafteten Einschätzung seitens des Publikums entgegenzuwirken – im Sinne von „Falls Sie glauben, die Täter*innen waren Ausländer, so stimmt das (dieses Mal) nicht“.

Auch solche Formulierungen können indirekte Diskriminierungswirkungen entfalten. Denn sie unterstellen ebenfalls – wie explizite Nennungen ausländischer Herkünfte – einen Sachzusammenhang zwischen Herkunft und Verbrechensneigung (vgl. oben: 3; 4). Die Annahme, dass die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen entscheidend für die Einschätzung eines Verbrechens sei, kann somit auch auf diese Weise befördert werden, so dass auch auf diesem Wege migrantenfeindliche Vorurteile anwachsen können.

Zweitens wäre ein expliziter Hinweis auf die „inländische“ Herkunft von Täter*innen ungewöhnlich – in bisherigen Medienberichten kommen solche Verweise relativ selten vor (vgl. Dittrich und Klimmt 2021). Die Ungewöhnlichkeit dürfte auch Teilen des Publikums auffallen und wiederum zu problematischen Schlussfolgerungen anregen („Wenn die deutsche Staatsbürgerschaft eigens erwähnt wird, ist es wohl die seltene Ausnahme, dass kein Ausländer der Täter ist“ oder „Wenn die deutsche Staatsbürgerschaft eigens erwähnt wird, handelt es sich wohl um einen schon eingebürgerten Ausländer“).

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen gilt die medien- und berufsethische Forderung nach einer gründlichen Reflexion der Beweggründe für den Umgang mit Herkunftsinformationen auch für die Situation eines zu berichtenden Verbrechens, an dem nur Personen ohne Einwanderungsbiografie beteiligt waren – die in Abschn. 5.1. vorgestellte Checkliste sollte also auch in diesem Falle durchlaufen werden.

6 Informationsressourcen

Zur Thematik stehen neben der zitierten Literatur weiterführende Materialien zur Verfügung:

7 Dialogpartner*innen in der interprofessionellen Arbeitsgruppe „Kriminalitätsberichterstattung“

Die Autor*innen danken den Mitgliedern einer interprofessionellen Arbeitsgruppe „Kriminalitätsberichterstattung“, die in zahlreichen Diskussionsrunden und Einzelgesprächen die Entwicklung dieses Textes begleitet haben:

  • Prof. Dr. Thomas Bliesener, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen

  • Hermann-Josef Borjans, EPHK a.D., Bund Deutscher Kriminalbeamter, Bundesvorstand, bis 11/2021

  • Arne Busse, Bundeszentrale für politische Bildung

  • Christiane Eickmann, Deutscher Journalisten-Verband, Landesverband Niedersachsen e. V.

  • Prof. Dr. Alexander Filipović, Fachbereich Sozialethik, Institut für Systematische Theologie und Ethik, Universität Wien

  • Angelika Henkel, Norddeutscher Rundfunk

  • Prof. Dr. Thomas Hestermann, Hochschule Macromedia, University of Applied Sciences, Professur für Journalistik

  • Niklas Hofmann, Antidiskriminierungsstelle des Bundes

  • Prof. Dr. Stefan Jarolimek, Deutsche Hochschule der Polizei

  • Annelene Kruse und Sonja Backhaus, Niedersächsische Landesmedienanstalt

  • Dr. habil. Heike Matthias-Ripke, Polizeiakademie Niedersachsen

  • Jan Schabacker, Polizeipräsidium Münster

  • Keywan Tonekaboni, Neue deutsche Medienmacher*innen e. V. und Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen

  • Konstantina Vassiliou-Enz, Neue deutsche Medienmacher*innen e. V. und Diversity Kartell GmbH, Berlin

  • Kai Weber, Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.