1 Einleitung

Unter den Bedingungen von Onlinekommunikation und Social Media erfahren Prozesse der öffentlichen Kommunikation und Meinungsbildung tiefgreifende Veränderungen (vgl. u. a. Bennett und Pfetsch 2018; Blumler 2016). Auch wenn klassische Massenmedien weiterhin wichtige Öffentlichkeitsfunktionen erfüllen, finden große Teile der Meinungsbildung heute in Netzwerken statt, in denen die Nutzer:innen selbst zu Gatekeepern werden und mit Algorithmen kommerzieller Plattformen interagieren. Mit einer steigenden Tendenz nennen 30 Prozent der 18- bis 24-Jährigen in Deutschland Social Media als ihre wichtigste Nachrichtenquelle (vgl. Hölig und Hasebrink 2020, S. 22). Durch drastisch sinkende Publikationsbarrieren weitet sich im Internet die Anzahl und Diversität an Medienangeboten aus (vgl. Weber und Mangold 2019). Neue Akteure durchbrechen die Dominanz etablierter Medienunternehmen und treten mit häufig hybriden Angeboten neben die Berichterstattung professioneller Journalist:innen.

In Öffentlichkeit und Forschung haben zuletzt Social-Media-Influencer:innen, die sich politisch äußern (im Folgenden PSMI für politische Social-Media-Influencer:innen) Aufmerksamkeit erhalten. Sie erzielen auf Plattformen wie YouTube und Instagram zum Teil Reichweiten, die denen von traditionellen Medienangeboten gleichen (vgl. Pfetsch et al. 2018, S. 486) und sind „für viele junge Menschen eine wichtige Quelle für Informationen zum aktuellen Weltgeschehen“ (Schmidt 2018, S. 66). In der politischen Kommunikationsforschung sind PSMI eine noch weitgehend unbekannte Größe. Offene Fragen betreffen z. B. ihre Merkmale und Eigenschaften, die Ziele und Motivationen von PSMI, ihre politischen Botschaften, Quellen und Arbeitsroutinen, ihre Wirkungspotenziale und die normativen Kriterien, mit denen ihr Handeln bewertet werden kann. Fragen dieser Art werden auch von Seiten der Politik gestellt, wie z. B. die Debatte über den YouTuber Rezo im Zuge der Europawahl 2019 gezeigt hat (vgl. u. a. FAZ Online 2019).

In bisherigen Arbeiten sind PSMI unter verschiedenen Stichworten reflektiert und zum Teil in die Nähe des Journalismus gerückt worden (vgl. Kap. 2). Dieser Beitrag knüpft an die Arbeit von Autor:innen an, die PSMI als Meinungsführer:innen in der digitalen Kommunikation behandeln (u. a. Duckwitz 2019). Der Gewinn des Meinungsführerkonzepts liegt in dessen Konzentration auf horizontale Kommunikationsprozesse und deren Wirkungsmechanismen. PSMI kommunizieren in Räumen, in denen die Grenzen zwischen massenmedialer und interpersonaler Kommunikation verschwimmen. Ein gewisser Teil ihrer Kommunikation ist horizontal, ein anderer wird zumindest von Teilen des Publikums als horizontal wahrgenommen, denn PSMI stellen eine persönliche Nähe zu ihrem Publikum her und sprechen Follower als Mitglieder einer gemeinsamen Community an. Der Beitrag verfolgt das Ziel, auf Basis des Meinungsführerkonzepts theoretische Annahmen zu PSMI zu treffen, um sie für empirische Forschung anschlussfähiger zu machen. Dazu wird auf Grundlage einer systematischen LiteraturanalyseFootnote 1 eine Definition von PSMI hergeleitet. Unter PSMI verstehe ich in Social Media bekannt gewordene Nutzer:innen, die regelmäßig selbst produzierte politische Inhalte verbreiten, sich durch Selbstinszenierung als Personenmarke etablieren und sich ein konstantes Publikum aufbauen, das sie potenziell beeinflussen. Auf Basis der Definition wird der noch dünne Forschungsstand zu PSMI mit der Forschung zu politischen Meinungsführer:innen verglichen, die ihren Schwerpunkt zuletzt vor allem auf Fragen nach Eigenschaften und Wirkungspotenzialen von politischen Meinungsführer:innen gelegt hat (vgl. Jungnickel 2017, S. 226).

Der Artikel liefert einen Beitrag zur aktuellen Diskussion über Meinungsbildung im digitalen Zeitalter. Durch den Rückgriff auf das Meinungsführerkonzept als Analyserahmen beruht die Reflexion über neue relevante Akteure der politischen Kommunikation nicht auf normativen Soll-Zuschreibungen, wie man sie z. B. aus der Journalismusforschung kennt, sondern setzt an Eigenschaften an, die prädisponierend für die Ausübung von Meinungsführerschaft und damit Einflussnahme wirken. Aufgrund der nachfolgend beschriebenen Differenzierungsebenen ist das Meinungsführerkonzept aber nur einer von mehreren denkbaren Forschungssträngen zur Erfassung von PSMI.

2 Differenzierung von Social-Media-Influencer:innen

Social-Media-Influencer:innen (im Folgenden SMI) können auf Grundlage mehrerer Kriterien voneinander unterschieden werden. Hierzu zählen z. B. die Quelle ihrer Popularität, ihre Reichweite, ihr Themenbereich, ihre Hauptplattform oder ihr Professionalisierungsgrad. Der „Archetyp des Influencers“ (Fries 2019, S. 6) ist der SMI, dem es gelungen ist, als vorher unbekannte Person so viel Aufmerksamkeit auf Social-Media-Plattformen zu erwecken, dass ein treues Publikum seine selbst produzierten Beiträge regelmäßig konsumiert. Daneben können Personen die Rolle von SMI einnehmen, die schon vor ihrer Social-Media-Aktivität prominent waren, wie Schauspieler:innen oder Sportler:innen (vgl. Borchers und Enke 2020, S. 6–7; Goanta und Ranchordás 2020, S. 8). Hier ist häufig auch von Makro- oder Mega-Influencer:innen die Rede, die mit einer Followeranzahl von über einer MillionFootnote 2 die größten Reichweiten erlangen (vgl. u. a. Boerman 2020, S. 202; Fries 2019, S. 6). Das größere Einflusspotenzial wird allerdings den sogenannten Mikro-Influencer:innen mit bis zu 10.000 Followern zugeschrieben, weil sie stärker mit ihrem Publikum interagieren (vgl. Goanta und Ranchordás 2020, S. 9). Sie machen die größte Influencer-Gruppe aus (vgl. Ruiz-Gomez 2019, S. 17). Viele SMI haben sich auf einen Themenbereich spezialisiert (vgl. Borchers und Enke 2020, S. 6; Goanta und Ranchordás 2020, S. 9), wobei nur die wenigsten einen politischen Schwerpunkt im Sinne von journalistischen Nachrichten setzen, so Duckwitz (2019, S. 4). Häufiger ließen sich SMI finden, die auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen oder sich anlassbezogen politisch äußern. Darüber hinaus gibt es SMI, die ursprünglich das Lifestyle-Segment bedienten und jetzt Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz behandeln (vgl. Duckwitz 2019, S. 4–5)Footnote 3. Der Professionalisierungsgrad von SMI reicht von Amateur:innen bis hin zu professionellen Unternehmer:innen (vgl. Altendorfer 2019, S. 49–50; Goanta und Ranchordás 2020, S. 8–9). Nur die wenigsten können ihren Lebensunterhalt mit der Tätigkeit als SMI bestreiten (Detel 2017, S. 270).

Diese Differenzierungsebenen machen PSMI an unterschiedliche Forschungszweige anschlussfähig, abhängig vom Forschungsinteresse und dem jeweiligen wissenschaftlichen Blickwinkel. Aus Sicht der Journalismusforschung können PSMI z. B. als periphere Akteure des Netzwerkjournalismus behandelt werden (vgl. u. a. Belair-Gagnon et al. 2019) und aus Sicht der strategischen Kommunikation als Form politischer Öffentlichkeitsarbeiter:innen, wenn sich bspw. Politiker:innen, wie Lilly Blaudszun von der SPD, als PSMI präsentieren oder wenn Formen der Zusammenarbeit zwischen politischen Organisationen und PSMI im Zentrum des Interesses stehen.

Die folgende Abhandlung über PSMI nimmt solche SMI in den Blick, die erst durch ihre Social-Media-Tätigkeit bekannt geworden sind und regelmäßig politische und gesellschaftliche Themen behandeln, ohne selbst in politischen Parteien beruflich tätig zu sein. Ein Argument für ihren Erfolg und ihr Einflusspotenzial ist, dass sie – anders als institutionalisierte Akteure wie Journalist:innen – von ihren Followern als Peers wahrgenommen werden (vgl. Enke und Borchers 2019, S. 264; Goanta und Ranchordás 2020, S. 5; Penney 2018, S. 355). Peers kommt ein Vertrauensvorschuss zu. So werden bspw. Medienberichte, die Peers empfohlen haben, für glaubwürdiger gehalten als andere Quellen (vgl. Turcotte et al. 2015). Social-Media-Influencer:innen konstruieren eine persönliche Nähe zu ihrem Publikum, die bis zu parasozialen Beziehungen führen kann (vgl. Ezzat 2020, S. 129; Rotz und Tokarski 2020, S. 421; Schach 2018, S. 20; Schuegraf et al. 2018, S. 81). Die Interaktion ist aber nicht rein illusionär (vgl. Marwick 2015, S. 139), denn PSMI beziehen ihr Publikum auch aktiv in die Content-Produktion ein (vgl. Kap. 4). Aus der Meinungsführerforschung ist bekannt, dass eben solch eine Kommunikation auf (vermeintlicher) Augenhöhe politisch einflussreicher sein kann als professionelle politische PR und journalistische Berichterstattung (vgl. Lazarsfeld und Menzel 1973, S. 120). Außerdem hat die Meinungsführerforschung gezeigt, dass bestimmte Eigenschaften von Personen die Übernahme der Meinungsführerrolle begünstigen (vgl. Geise 2017, S. 117; Schenk et al. 2009, S. 190). Das Meinungsführerkonzept als theoretischer Rahmen zur Erfassung von PSMI birgt also die Chance, über den Abgleich von Eigenschaften erste Annahmen zu PSMI und deren Wirkungspotenzialen zu treffen, an denen zukünftige empirische Forschungsarbeiten ansetzen könnenFootnote 4.

Sowohl die Definition von PSMI als auch der Vergleich zwischen Eigenschaften von PSMI und politischen Meinungsführer:innen baut auf drei Dimensionen auf, die Katz (1957, S. 73) zufolge das Einflusspotenzial von Individuen bestimmen: die jeweilige Person („who one is“), ihre Kompetenzen („what one knows“) und ihr soziales Netzwerk („whom one knows“).

3 Definition von PSMI

In diesem Kapitel sollen PSMI definiert werden, bevor in Kap. 4 der Forschungsstand zu ihnen aufgearbeitet wird. Da es bislang keine Begriffsbestimmungen von PSMI gibt, soll eine eigene Definition auf Grundlage bestehender Definitionen von SMI erfolgen. Auch zu SMI konnte sich bislang keine Definition etablieren, weil sich die Forschung zu SMI insgesamt noch in ihren Anfängen befindet (vgl. Sundermann und Raabe 2019, S. 278). Um Überschneidungen in unterschiedlichen Definitionen auszumachen, wurden im November 2020 mithilfe eines SuchstringsFootnote 5 in Fachdatenbanken 206 relevante Artikel zu SMI identifiziert, aus denen 63 originäre Definitionen von SMI extrahiert wurden (von denen keine PSMI beschreibt). Diese Definitionen ließen sich in ihre Einzelteile zerlegen und in Tab. 1 sortieren. Die rechte Spalte zeigt, wie viele der 63 Definitionen das jeweilige Merkmal genannt haben; je häufiger genannt, desto größer die Schnittmenge. Die meisten der extrahierten Definitionen stammen aus der Kommunikations- und Medienwissenschaft (32x) sowie aus dem Marketing (23x).

Tab. 1 Überblick über die definitorischen Merkmale von SMI

Die meisten der in der Tabelle genannten Merkmale werden in die Definition von PSMI übernommen, einige bleiben bewusst ausgeklammert.

3.1 Wahl des Definiens

Es zeigt sich, dass SMI mehrfach als Meinungsführer:innen bezeichnet werden (vgl. u. a. Casero-Ripollés 2020). Inwieweit sich das Meinungsführerkonzept als analytischer Rahmen zur Erforschung von SMI eignet, wurde aber noch nicht systematisch geprüft. Deswegen wird der Begriff „Meinungsführer:in“ nicht in die Definition von PSMI übernommen. Die Prüfung der Konzeptpassung erfolgt in Kap. 4.

Weniger verfänglich ist die Beschreibung von SMI als „bekannte Social-Media-Nutzer:innen“ (vgl. u. a. Caldeira et al. 2020). Die Bekanntheit der Akteure wird durch ihre beachtlichen Reichweiten bestätigt und begründet die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie genießen. Deswegen wird dieses Definiens auch für die Definition von PSMI verwendet, mit der Einschränkung, dass sie erst durch ihre Tätigkeit in Social Media Bekanntheit erlangt haben. Dadurch werden PSMI von Prominenten, wie Sportler:innen abgegrenzt.

Mit Personenmarken (vgl. u. a. Arriagada und Ibáñez 2020) ist die strategische Konstruktion von authentisch wirkenden Protagonist:innen mit Wiedererkennungswert gemeint (vgl. u. a. Khamis et al. 2017, S. 202; Marwick 2015). Da der Erfolg von SMI maßgeblich von dieser selbst erschaffenen Marke abhängt (vgl. Kap. 4), wird auch die Personenmarke Teil der Definition von PSMI sein.

Das „Micro-celebrity“-Konzept (vgl. Senft 2008, 2013) beschreibt nichts anderes als den Aufbau einer Personenmarke. Um eine Dopplung zu vermeiden, wird der Begriff nicht in die Definition übernommen.

3.2 Wahl der Kompetenzen

Da die Rolle von SMI auf der Produktion und Verbreitung eigenen Contents (vgl. u. a. Mičuda 2020) beruht, darf dieses Merkmal nicht in der Definition von PSMI fehlen und wird auf politische Inhalte zugespitzt. Darüber hinaus berücksichtigt die abgeleitete Definition, dass PSMI ihr Publikum regelmäßig mit Inhalten versorgen. Follower verlangen Kontinuität der Kommunikation; sie gehört zu den wichtigsten Anforderungen, denn sie erzeugt und erhält Aufmerksamkeit (vgl. Schuegraf et al. 2018, S. 81–82).

Einige Autor:innen weisen in ihren Definitionen auch darauf hin, dass manche SMI ihre Aufmerksamkeit monetarisieren (vgl. u. a. Hoffjann 2020). Da dies nicht auf alle SMI zutrifft, eignet sich das Merkmal nicht zur Definition und wird deswegen nicht übernommen.

Ebenso wird der Begriff der Authentizität (vgl. u. a. Hearn und Schoenhoff 2016) nicht in die abgeleitete Definition übernommen, weil er bereits Teil der inszenierten Personenmarke ist.

Inwieweit SMI einen themenspezifischen Expertenstatus (vgl. u. a. Mičuda 2020) haben, ist eine empirische Frage. In der abgeleiteten Definition von PSMI wird die Themenspezifität durch die Zuspitzung auf politische Inhalte abgedeckt. Der Expertenstatus soll hingegen kein Teil der Definition sein, weil noch zu wenig über das Wissen von PSMI oder die Wahrnehmung als Expert:innen durch das Publikum bekannt ist.

3.3 Wahl der Merkmale, die das soziale Netzwerk und Einflusspotenzial betreffen

Das große Einflusspotenzial von SMI taucht in bestehenden Definitionen häufig auf (vgl. u. a. Frühbrodt und Floren 2019) und konnte bereits empirisch gezeigt werden (vgl. u. a. Caldeira et al. 2020; Johnstone und Lindh 2018). Da das Einflusspotenzial schon im Begriff „Influencer:in“ steckt, wird es auch in die Definition von PSMI übernommen.

Bei der Netzwerkgröße (vgl. u. a. Scolari und Fraticelli 2019) wird der Begriff des dispersen Publikums gewählt. Damit ist gemeint, dass PSMI keinen direkten persönlichen Kontakt zu einem Großteil ihres Publikums pflegen, dessen Grenzen unabgeschlossen sind. Dieser Umstand macht PSMI zu öffentlichen Akteuren, denn „Öffentlichkeit entsteht dort, wo ein Sprecher vor einem Publikum kommuniziert, dessen Grenzen er nicht bestimmen kann“ (Neidhardt 1994, S. 10). Da das Publikum dispers ist, kann es eine erhebliche Größe erreichen.

Inwiefern PSMI als Vorbilder wahrgenommen werden (vgl. u. a. De Veirman et al. 2017) ist noch nicht weit genug gesichert, um in der Definition von PSMI aufgeführt zu werden. Insgesamt kommt es in nur wenigen Definitionen zur Sprache.

3.4 Definition von PSMI

Auf Grundlage der identifizierten definitorischen Eigenschaften von SMI lässt sich folgende Definition von PSMI als spezifischer Typ von SMI ableiten:

Politische Social-Media-Influencer:innen sind in Social Media bekannt gewordene Nutzer:innen, die als selbst-inszenierte Personenmarken regelmäßig selbst produzierte politische Inhalte verbreiten, mit denen sie ein disperses Publikum erreichen und potenziell beeinflussen.

Im folgenden Kapitel sollen erste Erkenntnisse zu PSMI mit dem großen Forschungsstand zu politischen Meinungsführer:innen verglichen werden. Die Parallelen und Unterschiede sollen verdeutlichen, inwieweit sich das Meinungsführerkonzept eignet, um theoretische Annahmen über PSMI zu treffen.

4 Eigenschaften von PSMI und politischen Meinungsführer:innen

Als Meinungsführer:innen („opinion leaders“) beschrieben Lazarsfeld und Kollegen (1944) ursprünglich Personen, denen ihre soziale Gruppe einen stärkeren Einfluss auf Wahlentscheidungen zuschrieb als den Massenmedien. Den Meinungsführer:innen war gemein, dass sie sich stärker für Politik interessierten als Nicht-Meinungsführer:innen, in ihrer Wahlentscheidung entschlossener waren, ihre politische Meinung häufiger äußerten und intensiver die politische Medienberichterstattung verfolgten (vgl. Lazarsfeld et al. 1944, S. 50–51). Heute versteht die politische Kommunikationsforschung unter Meinungsführerschaft „eine relative Kommunikationsrolle in einer alltäglichen Kommunikationsbeziehung, die zur kommunikativen Einflussnahme befähigt, welche vom Ziel der politischen Beeinflussung angeleitet wird und sich auf die Meinung des Gesprächspartners auswirkt“ (Geber 2017, S. 51). Diese Einflussnahme kann sowohl interpersonal als auch medienvermittelt stattfinden (vgl. Geise 2017, S. 14).

Auch wenn es sich bei Meinungsführerschaft nicht um ein Persönlichkeitsmerkmal, sondern um eine Kommunikationsrolle handelt, konnte die Forschung Eigenschaften bestimmen, die Meinungsführer:innen häufig teilen. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Disziplinen, Themen, Analysemethoden und Operationalisierungen von Meinungsführerschaft, die zudem in unterschiedlichen Systemen und Situationen gemessen wird, kann kein abschließender Merkmalskatalog vorgestellt werden. Dennoch lassen sich „Tendenzen“ (Jungnickel 2017, S. 227) ausmachen. Für den Vergleich der Eigenschaften von politischen Meinungsführer:innen und PSMI werden abermals die Dimensionen von Katz (1957) herangezogen, die sich jeweils in zwei bis drei Kategorien untergliedern lassen.

4.1 Person („who one is“)

Soziodemographische Merkmale

Allgemein hängt Meinungsführerschaft weder vom sozialen Status noch vom Geschlecht, noch vom Beruf ab (vgl. Jungnickel 2017, S. 228; Weimann 1994, S. 22–23). Vielmehr ist es für die Ausübung von Meinungsführerschaft entscheidend, dass Meinungsführer:innen ähnliche soziodemographische Merkmale aufweisen wie die Personen, die sie beeinflussen (vgl. Geise 2017, S. 122–123). Trotzdem konnte die Forschung zu politischen Meinungsführer:innen zeigen, dass es tendenziell höher gebildete und besser verdienende Männer mittleren Alters unter 50 Jahren sind, welche die Rolle von Meinungsführern übernehmen (vgl. Hellevik und Bjørklund 1991, S. 162; Schenk und Rössler 1997, S. 13; Weeks et al. 2017, S. 227).

Über soziodemographische Merkmale von PSMI gibt es bislang keine empirischen Erkenntnisse. Studien zufolge sind Frauen allerdings zurückhaltender, sich öffentlich politisch zu positionieren, als Männer (vgl. Coffé und Bolzendahl 2010) und beschreiben Probleme, sich als Frauen in politischen Onlinediskussionen zu behaupten (vgl. Vochocová 2018). Es wäre also zu vermuten, dass es wie bei politischen Meinungsführer:innen mehr männliche PSMI gibt als weibliche. Das Alter dürfte aber eher niedriger sein, denn das Publikum von SMI besteht in der Regel aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen (vgl. Rotz und Tokarski 2020, S. 412), die v. a. die SMI auswählen, mit denen sie sich aufgrund ähnlicher Merkmale identifizieren (vgl. Schuegraf et al. 2018, S. 81).

Persönlichkeitseigenschaften

Forschung zu politischen Meinungsführer:innen zeigt, dass sie in der Regel überdurchschnittlich kommunikativ sind (vgl. Schenk 1995, S. 160), häufig über Politik diskutieren (vgl. Schenk und Rössler 1997, S. 16) und gerne ihre politische Meinung kundtun (vgl. Adams und Ezrow 2009, S. 210). Das gilt auch für ihre Online-Aktivitäten. Meinungsführer:innen geben häufiger als andere Nutzer:innen an, Social-Media-Plattformen zur Meinungsäußerung zu nutzen (vgl. Unger und Kolo 2009, S. 21). Dabei zeigen sie ein starkes Maß an Selbstbewusstsein und Extrovertiertheit (vgl. Schäfer und Taddicken 2015, S. 968).

Sich als PSMI regelmäßig öffentlich politisch zu äußern, zeugt auch von überdurchschnittlicher Kommunikationsfreude und einem starken Selbstbewusstsein. Die Rolle von PSMI entsteht und besteht aus Kommunikation über Politik. Dabei äußern einige PSMI, wie der YouTuber LeFloid, häufig ihre persönliche Meinung. Der Wille, die eigene Meinung öffentlich kundzutun, ist allerdings von der jeweiligen Person und deren Umfeld abhängig, wie Abdulmajeed und El-Ibiary (2020) zeigen. Auch der Grad der Meinungsfreiheit im jeweiligen Land entscheide darüber, wie stark PSMI ihre politische Meinung öffentlich äußerten (vgl. Abdulmajeed und El-Ibiary 2020, S. 308–309). Darüber hinaus können auch Strukturen, in denen PSMI eingebettet sind, die Meinungsäußerung beeinflussen. So sind z. B. PSMI, die mit dem öffentlich-rechtlichen „funk“-Netzwerk kooperieren, stärker an journalistische Normen gebunden und davon abhängig, dass Redaktionsleiter:innen ihre Skripte abnehmen.

Interessen

Politische Meinungsführer:innen zeichnen sich in der Regel durch ein überdurchschnittliches Interesse an politischen Themen, Wahlkampagnen und Wahlausgängen aus und sind themenspezifisch hoch involviert (vgl. O’Cass und Pecotich 2005, S. 410–411; Schäfer und Taddicken 2015, S. 970; Shah und Scheufele 2006, S. 1).

Eine Befragung von weiblichen PSMI in Tschechien konnte zeigen, dass auch bei PSMI das persönliche Interesse an politischen Themen ein starker Motivator ist, Content zu produzieren. Anders als bei Meinungsführer:innen hängt die Themenwahl von PSMI aber auch von der inszenierten Personenmarke ab, die stimmig mit den Themen sein muss (vgl. Vochocová 2018, S. 540). Außerdem lassen sich SMI im Allgemeinen auch durch Themenvorschläge ihres Publikums inspirieren (vgl. Enke und Borchers 2018, S. 264). Die Wahl von Themen durch PSMI ist also tendenziell strategischer und auch stärker von den Interessen anderer abhängig als bei politischen Meinungsführer:innen. Der Erfolg von SMI ist von einer klaren themenspezifischen Ausrichtung der jeweiligen Kanäle abhängig (vgl. Banjac und Hanusch 2020, S. 13; Detel 2017, S. 217). Politische Wahlkämpfe motivieren aber auch ansonsten unpolitische SMI, sich politisch zu äußern (vgl. May 2010, S. 507–508).

4.2 Wissen („what one knows“)

Expertise

Tendenziell schätzen politische Meinungsführer:innen ihr politisches Wissen als hoch ein (vgl. O’Cass und Pecotich 2005, S. 411); es kann aber auf Grundlage von Wissenstests zwischen „wissenden und unwissenden“ (Trepte und Boecking 2009) Meinungsführer:innen unterschieden werden. Ebenso lassen sich „stille Experten“ (Trepte und Boecking 2009, S. 450) finden, die zwar über ein großes Wissen verfügen, sich selbst aber nicht als Meinungsführer:innen wahrnehmen. Für das Ausüben von Meinungsführerschaft ist weniger relevant, wie viel Meinungsführer:innen tatsächlich wissen, als vielmehr, dass ihnen Expertise zugeschrieben wird (vgl. Trepte und Boecking 2009, S. 457). Statt „what one knows“ müsste es also „what one seems to know“ heißen. Im Onlinekontext attestieren Jung und Kim (2016) politischen Meinungsführer:innen höhere Kurator-Fertigkeiten als anderen Internetnutzer:innen. Dazu zähle, dass politische Meinungsführer:innen mehr als andere in der Lage seien, wichtige und für das entsprechende Netzwerk nützliche Informationen auszuwählen, weiterzuleiten und gekonnt mit Social-Media-Plattfomen umzugehen (vgl. Jung und Kim 2016, S. 4454).

Wie viel PSMI über Politik wissen oder zu wissen glauben, wurde bislang nicht empirisch untersucht. Studien legen aber die Annahme nahe, dass auch PSMI, wie politischen Meinungsführer:innen, Expertise zumindest zugesprochen wird. In einer repräsentativen Umfrage in Deutschland zum Informationsverhalten in Corona-Zeiten gaben 18 Prozent der Befragten an, mindestens einmal täglich Corona-bezogene Inhalte von SMI als Informationsquelle genutzt zu haben (vgl. Viehmann et al. 2020, S. 559). Auch wenn daraus nicht hervorgeht, ob es sich um politische SMI gehandelt hat, zeigt die Studie doch, dass SMI als Informationsquellen verstanden werden. Ebenso gaben 2018 von 1197 befragten YouTube-Nutzer:innen zwischen 12 und 19 Jahren 23 Prozent an, sich regelmäßig mithilfe von SMI zu aktuellen Nachrichten zu informieren (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018, S. 74). Das setzt eine gewisse Expertise-Zuschreibung voraus.

Diese Wahrnehmung beruht auf der Selbstinszenierung von PSMI auf Social-Media-Plattformen. Da sie im Gegensatz zu politischen Meinungsführer:innen sowohl auf Social Media als auch auf öffentliche Aufmerksamkeit angewiesen sind, ist ihr Erfolg maßgeblich abhängig von den Kurator-Fertigkeiten, die auch Meinungsführer:innen attestiert werden. PSMI müssen in der Lage sein, „Inhalte zielgruppenspezifisch aufzubereiten und analog zum Kommunikationsumfeld wie zum Beispiel dem Kanal zu kommunizieren“ (Schach 2018, S. 6). Dafür müssen sie sich sowohl Produktions- als auch Distributionskompetenzen (vgl. Enke und Borchers 2019, S. 263–264) aneignen, zu denen bspw. der professionelle Umgang mit Hashtags, Thumbnails und Algorithmen gehört (vgl. Cotter 2019, S. 899–908). Die Abhängigkeit von Algorithmen und anderen Plattformlogiken wird in der politischen Kommunikationsforschung kritisch beurteilt, weil z. B. auf YouTube bevorzugt kontroverse Themen und ideologische Rhetoriken ausgespielt werden, die zahlreiche Kommentare nach sich ziehen (vgl. Finlayson 2020; Rieder et al. 2018). Neben Produktions- und Distributionskompetenzen müssen PSMI Techniken der Selbstinszenierung beherrschen. Sie können nicht in gleicher Weise wie politische Meinungsführer:innen an bestehende Beziehungsstrukturen anknüpfen, sondern müssen sich einen Wiedererkennungswert schaffen und eine authentisch wirkende Personenmarke konstruieren. Dieser „Eindruck von Echtheit“ (Arriagada und Ibáñez 2020, S. 2) ist der maßgebliche Erfolgsfaktor (vgl. u. a. Khamis et al. 2017, S. 202; Schuegraf et al. 2018, S. 82), der PSMI auch für externe Anspruchsgruppen interessant macht. In der Zusammenarbeit mit PSMI sehen Organisationen oder Ministerien die Chance, ein junges Publikum mit bestimmten Botschaften zu erreichen. So setzt z. B. die Bundeszentrale für politische Bildung PSMI als Unterstützer:innen für Kapagnen ein (z. B. die „Reflect Your Past“-Kampagne zu Wirkungsweisen von Radikalisierung im Jahr 2019). Einige Autor:innen betrachten die vermittelte Intimität zwischen PSMI und Followern aber auch kritisch, wenn Grenzüberschreitungen, wie z. B. rassistische Rede, als akzeptable Privatangelegenheiten verpackt werden (vgl. Hokka 2020, S. 7; Lewis 2020, S. 212–213).

Informationsverhalten

Die Forschung zeigt, dass politische Meinungsführer:innen tendenziell häufiger Printmedien nutzen als Nicht-Meinungsführer:innen (das gilt für die wissenden Meinungsführer:innen, vgl. Trepte und Scherer 2010, S. 135), dass sie häufiger und länger im Internet surfen (vgl. Lyons und Henderson 2005, S. 325; Trepte und Boecking 2009, S. 456) und dass sie häufiger angeben, auch Social-Media-Plattformen zu Informationszwecken zu nutzen (vgl. Karlsen 2015, S. 309).

Im Vergleich dazu ist über das Informationsverhalten von PSMI bislang kaum etwas bekannt. May zufolge greifen PSMI auf YouTube häufig auf Fernsehnachrichten und Talksendungen zurück (vgl. May 2010, S. 506). Aufgrund ihrer Arbeit auf Social-Media-Plattformen ist außerdem davon auszugehen, dass auch PSMI Social-Media-Plattformen als Informationsquelle nutzen.

4.3 Soziales Netzwerk („whom one knows“)

Soziale Position

Politische Meinungsführer:innen stehen im Zentrum größerer sozialer Netzwerke (vgl. Schenk et al. 2009, S. 192; Zhang und Dong 2009, S. 22). Diese starke Vernetzung ist konstituierend für Meinungsführerschaft (vgl. Kadushin 2012, S. 145) und zeigt sich auch im Online-Kontext. Meinungsführer:innen haben auf Plattformen wie Twitter, Instagram oder YouTube mehr Freunde bzw. Follower als andere Nutzer:innen (vgl. Karlsen 2015, S. 314; Schäfer und Taddicken 2015, S. 970).

Auch PSMI sind, wie alle Typen von SMI (vgl. Detel 2017, S. 217), auf eine starke Vernetzung angewiesen. Sie kultivieren die Netzwerke eigenständig mithilfe ihres Contents und ihrer Selbstrepräsentationstechniken (vgl. Caldeira et al. 2020; Ruiz-Gomez 2019, S. 15) und nehmen entsprechend zentrale Positionen ein. Die Netzwerke sind zwar größer als die der meisten Social-Media-Nutzer:innen, allerdings ist der Erfolg von PSMI nicht allein von der Netzwerkgröße abhängig. Sowohl aus Sicht möglicher Kooperationspartner:innen (vgl. Goanta und Ranchordás 2020) als auch aus Sicht der PSMI selbst (vgl. Wegener 2019) wird Erfolg auch an der Intensität der Interaktion mit Followern und der Qualität angestoßener Debatten festgemacht. Es zeigt sich auch hier die Relevanz horizontaler oder zumindest horizontal wirkender Kommunikation.

Soziales Verhalten

Einerseits sind politische Meinungsführer:innen bereit, sich zu exponieren und für ihre Meinungen einzustehen (vgl. Chan und Misra 1990, S. 54; Schenk und Rössler 1997, S. 26), andererseits müssen sie sich normenkonform verhalten (vgl. Katz 1957, S. 73; Rogers und Cartano 1962, S. 437). Diese Doppelrolle stärke ihr Einflusspotenzial, so Berelson et al. (1954), denn das Auftreten auf Augenhöhe ist die Grundvoraussetzung für die Identifikation der Gruppenmitglieder mit politischen Meinungsführer:innen (vgl. Berelson et al. 1954, S. 113). Die Intention, politische Meinungen zu beeinflussen, schlägt sich in einer aktiven Social-Media-Nutzung nieder (vgl. Weeks et al. 2017, S. 230–231). So nutzen Meinungsführer:innen z. B. mehr unterschiedliche Plattformen als andere Nutzer:innen, gründen häufiger Gruppen, initiieren öfter als andere Diskussionen in Foren und produzieren häufiger eigene Inhalte. Bei diesen Aktivitäten streben sie nach sozialer Anerkennung und Einfluss (vgl. Karlsen 2015, S. 310; Schenk und Scheiko 2011, S. 427; Unger und Kolo 2009, S. 17–21).

Hinsichtlich des sozialen Verhaltens ähneln PSMI politischen Meinungsführer:innen stark. Die Doppelrolle zeigt sich darin, dass der Erfolg von SMI maßgeblich davon abhängt, einerseits glaubwürdig, nahbar und so „normal“ wie möglich zu wirken, andererseits professionell produzierten Content zu liefern (vgl. García-Rapp 2017, S. 133) und eine Vorbildfunktion einzunehmen, wie eine Befragung von 562 Nutzer:innen von PSMI auf YouTube zeigt (vgl. Zimmermann et al. 2020). Ein Gespür für die Interessen und Normen des Netzwerks erlangen PSMI durch die fortlaufende Interaktion mit ihrem Publikum. Dieses äußert Themenvorschläge, kommentiert und bewertet den Content und diskutiert darüber (vgl. Enke und Borchers 2018, S. 264). Das Austarieren von Publikumsansprüchen und Professionalität hat zur Folge, dass einige PSMI bewusst keine Kooperationen mit politischen Parteien eingehen, aus Sorge vor dem Verlust möglicher Werbepartner:innen und Follower (vgl. Römermann 2019). Ezzat (2020) zufolge äußern sich deswegen viele SMI überhaupt nicht politisch (S. 125).

Ein Unterschied zwischen politischen Meinungsführer:innen und PSMI liegt in ihrer Zielsetzung und Selbstwirksamkeitserwartung. Während sich gezeigt hat, dass politische Meinungsführer:innen das Ziel verfolgen, politische Meinungen zu beeinflussen und auch deswegen Social-Media-Plattformen nutzen, verdeutlicht eine Interviewstudie von Wegener (2019), dass die Ziele von PSMI heterogener sind. Während die einen angeben, möglichst objektiv informieren zu wollen, versuchen andere, das Publikum durch Provokation zum Nachdenken anzuregen. Der Begriff des „Influencers“ wird einhellig abgelehnt – auch, weil damit zu viel Einflusspotenzial verbunden werde (vgl. Wegener 2019, S. 58–59). Sie beschreiben sich lieber als „Content Creator“, „Satiriker“ oder „Journalisten“. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Penney (2018), der die Wahrnehmung der eigenen persuasiven Wirksamkeit junger Social-Media-Nutzer:innen untersuchte, die sich zumindest manchmal öffentlich politisch äußern. Die Fokusgruppenteilnehmer:innen waren sich darüber einig, dass es Social-Media-Logiken erschwerten, politische Meinungen anderer Netzwerkmitglieder zu ändern. Vielmehr ermöglichten es Netzwerkeffekte, ähnliche Meinungen zu stärken. Nutzer:innen mit großen Reichweiten schrieben die Proband:innen allerdings ein stärkeres Einflusspotenzial zu (vgl. Penney 2018, S. 357–359). Welchen Einfluss PSMI wirklich ausüben, hat man noch kaum empirisch untersucht. Vielmehr wird der Einfluss von PSMI auf politische Einstellungen bislang eher angenommen (vgl. Duckwitz 2019, S. 3–4; Frühbrodt und Floren 2019, S. 31). Eine Befragung von PSMI-Followern zeigt eine Art Third-Person-Effekt: Der Einfluss durch PSMI auf Gleichaltrige wird höher eingeschätzt als der Einfluss auf die befragte Person selbst. Die Befragten geben außerdem an, PSMI nicht intentional zum Wissenserwerb zu nutzen. Das schließt aber einen unbewussten Einfluss insbesondere jüngerer Follower nicht aus. Befragte unter 16 Jahren beurteilten PSMI insgesamt weniger kritisch als über Zwanzigjährige. Darüber hinaus konnten die Autor:innen einen positiven Zusammenhang feststellen zwischen der Nutzungshäufigkeit eines PSMI-Kanals und der Einschätzung seiner Glaubwürdigkeit sowie zwischen der Glaubwürdigkeitseinschätzung und der Wertschätzung von Meinungsäußerungen des oder der PSMI (vgl. Zimmermann et al. 2020). Auch hier zeigt sich, dass sich das Orientierungsbedürfnis junger Menschen in ihrer Mediennutzung widerspiegelt (vgl. Frühbrodt und Floren 2019, S. 41).

Soziales und politisches Engagement

Politische Meinungsführer:innen sind tendenziell politisch partizipationsfreudig (vgl. Jungnickel 2017, S. 229). So gehen sie regelmäßig wählen (vgl. Adams und Ezrow 2009, S. 210), nehmen an Bürgerinitiativen, Demonstrationen und Petitionen teil (vgl. Schenk und Rössler 1997, S. 14) und gehen eher Parteimitgliedschaften ein als andere (vgl. Shah und Scheufele 2006, S. 4, 15). Auch online sind es eher Meinungsführer:innen, die sich mit Politiker:innen auf Social-Media-Plattformen vernetzen (vgl. Karlsen 2015).

Zum sozialen und politischen Engagement von PSMI ist nach jetzigem Stand noch nichts bekannt. Die zeitaufwändige Beitragsproduktion zu politischen Themen kann aber als politisches Engagement gelten. Inwiefern dieses positiv oder negativ zu beurteilen ist, hängt ganz von dem oder der jeweiligen PSMI ab. Einerseits machen Forscher:innen auf PSMI mit politisch radikalen Haltungen aufmerksam (vgl. Finlayson 2020; Frischlich 2020; Hokka 2020; Lewis 2020), andererseits gibt es auch Beispiele für PSMI, die sich für demokratische und freiheitliche Werte in undemokratischen Ländern stark machen (vgl. Ayish 2018) und sich gegen extreme Ideologien auflehnen (vgl. Al-Rawi 2016).

5 Fazit und Ausblick

Der vorliegende Aufsatz verfolgte das Ziel, politische Social-Media-Influencer:innen (PSMI) zu definieren und das Konzept über die Formulierung von Annahmen für die empirische Forschung anschlussfähiger zu machen. Als Analyserahmen wurde das Meinungsführerkonzept herangezogen, das ohne normative Soll-Zuschreibungen Wirkungspotenziale horizontaler Kommunikationsprozesse erklärt. In der Diskussion von PSMI über den Rückgriff auf das Meinungsführerkonzept wurden Parallelen und Unterschiede zu Eigenschaften politischer Meinungsführer:innen gefunden.

Zu den Gemeinsamkeiten gehört, dass es sich bei beiden Akteuren um extrovertierte, selbstbewusste und kommunikationsfreudige Personen handelt, die sich gut mit Social-Media-Plattformen auskennen und innerhalb größerer sozialer (Online‑)Netzwerke zentrale Positionen einnehmen. Mit den Personen in ihren sozialen Netzwerken tauschen sie sich über politische Themen aus und werden zumindest von Teilen ihres Netzwerks als glaubwürdige Informationsquellen wahrgenommen. Dadurch kommt sowohl politischen Meinungsführer:innen als auch PSMI ein Einflusspotenzial zu. Trotz dieser Gemeinsamkeiten zeigen folgende Unterschiede, dass es sich zwar um verwandte, aber nicht identische Konzepte handelt.

Die Rolle von PSMI ist deutlich voraussetzungsreicher als jene von Meinungsführer:innen. PSMI sind anders als politische Meinungsführer:innen grundsätzlich öffentliche Kommunikator:innen, die auf Social-Media-Plattformen und deren Logiken und Algorithmen angewiesen sind. In Kommunikationsräumen, in denen Aufmerksamkeit umkämpft ist, müssen sie sich auf Grundlage (semi-)professioneller medialer Kommunikationsarbeit eine authentisch wirkende Personenmarke und ein Publikum aufbauen, das ihre Inhalte regelmäßig konsumiert. Diese Inszenierungsarbeit, die den Produzenten, Protagonisten und Multiplikator von Onlinecontent in einer Person vereint, macht PSMI auch für externe Anspruchsgruppen interessant, die mit PSMI kooperieren. Meinungsführer:innen werden hingegen nicht strategisch eingesetzt, sind weder auf Öffentlichkeit noch auf Technik angewiesen und können auch ohne Personenmarken Einfluss ausüben; denn das ihnen entgegengebrachte Vertrauen hängt nicht nur von ihrer Kommunikation ab, sondern auch von persönlichen Beziehungsstrukturen, auf die PSMI nicht in vergleichbarer Weise zurückgreifen können.

Mithilfe des Meinungsführerkonzepts konnte der Aufsatz Annahmen zu den noch wenig erforschten PSMI machen. Erstens ist zu vermuten, dass sich insbesondere formal höher gebildete junge Männer als PSMI hervortun. Zweitens ist anzunehmen, dass wie bei politischen Meinungsführer:innen unterschieden werden kann zwischen PSMI, die viel über Politik wissen, und PSMI, die weniger über Politik wissen. Aufgrund ihres starken Selbstbewusstseins ist drittens davon auszugehen, dass sich beide Typen gleich viel politisches Wissen zuschreiben und dass beiden Typen durch ihre Follower Expertise zugeschrieben wird. Viertens unterscheidet sich wahrscheinlich das Informationsverhalten zwischen „wissenden“ und „unwissenden“ PSMI, und PSMI nutzen ein breites Spektrum an Onlinemedien und -Plattformen als Informationsquellen. Fünftens ist auf Grundlage des Meinungsführerkonzepts anzunehmen, dass es sich auch bei PSMI um politisch partizipationsfreudige Personen handelt.

Die genannten Annahmen lassen sich empirisch mithilfe von Befragungen überprüfen. Zur differenzierteren Einordnung der Rolle von PSMI in der politischen Öffentlichkeit braucht es aber auch Inhaltsanalysen – ein Forschungsdesiderat, auf das auch Geise (2017, S. 114) verweist. Interessant wären z. B. Untersuchungen, inwiefern sich das politische Wissen von PSMI auf die inhaltliche Qualität des Contents auswirkt. Außerdem wäre es aufgrund der heterogenen Themenschwerpunkte, Ziele und Selbstverständnisse von PSMI sinnvoll, eine Typologie herauszuarbeiten, um das Forschungsfeld zu ordnen. Auch dafür kann die Meinungsführerforschung von Nutzen sein. So könnte mithilfe von dort eingesetzten Selbsteinschätzungsskalen ermittelt werden, welche PSMI sich als Meinungsführer:innen wahrnehmen und ob und wie sich diese Selbstwahrnehmung in ihrer öffentlichen Kommunikation äußert. So mag es unter PSMI so etwas wie „transparente Meinungsführer:innen“ geben, die sich als solche wahrnehmen und dies in Form öffentlicher Meinungsbekundungen zeigen. Hier könnten Kommunikationsstrategien ausgemacht werden, die in der bisherigen Meinungsführerforschung noch wenig erforscht sind. Daneben sind „verstecke Meinungsführer:innen“ denkbar, die laut Selbsteinschätzung nur neutral informieren wollen, aber in ihrer Kommunikation ähnliche Strategien anwenden wie „transparente Meinungsführer:innen“. Das Wirkungspotenzial der unterschiedlichen Typen wäre empirisch zu überprüfen.

Die Analyse zeigt in konzeptionell-theoretischer Hinsicht, dass die Kommunikationsrolle von PSMI als Weiterentwicklung von Meinungsführerschaft beschrieben werden kann, hin zu einer Form von mediatisierter, (semi-)professioneller und öffentlicher Kommunikation, die auf strategischer Selbstinszenierung beruht. Ein derartiges Verständnis erfordert Anpassungen des Meinungsführerkonzepts, das um einige Faktoren erweitert werden muss. Dazu zählen z. B. professionelle Strukturen, wie Influencer-Netzwerke und -Agenturen, sowie elaborierte Kommunikations- und Inszenierungsstrategien. Das Wissen über unterschiedliche Typen von PSMI, über ihre Ziele, Meinungsführerpotenziale und Botschaften würde nicht nur die politische Kommunikationsforschung bereichern, sondern auch den gesellschaftlichen Diskurs über die Bedeutung dieser reichweitenstarken Politikvermittler in der politischen Öffentlichkeit.