1 Einleitung

Die aktuellen Auseinandersetzungen über „Fake news“ und den Stellenwert von Wahrheitsansprüchen im Journalismus sind unübersichtlicher, als es zunächst erscheinen mag. Es geht nicht nur um ein Ringen mit propagandistischen und populistischen Akteuren, vielmehr berührt die Diskussion das grundlegende journalistische Selbstverständnis. Brisant ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität im Journalismus.

Das Objektivitätsideal ist schon lange vor der „Fake news“-Debatte unter Druck geraten und in der Kommunikationswissenschaft auf vielfältige Weise hinterfragt und kritisiert worden (vgl. Schudson 1978; Tuchman 1971; Mindich 1998; Muñoz-Torres 2012; Raeijmaekers und Maeseele 2017). Es ist geradezu ein Gemeinplatz der Medienforschung, dass die journalistische Berichterstattung zahlreichen Einflüssen unterliegt und dass sie die Wirklichkeit nicht einfach abbilden kann. Untersucht und diskutiert werden diverse Verzerrungen, Narrative, Frames usw., die zu einer bestimmten medialen Wirklichkeitskonstruktion führen.

Parallel dazu oder Hand in Hand mit dieser wissenschaftlichen Analyse und Kritik bekunden einzelne Journalistinnen und Journalisten oder Strömungen im Journalismus, für sie spiele „Objektivität“ ohnehin keine Rolle (mehr), beispielsweise weil sie sich als Teil einer neuen Welle des „New Journalism“ sehen, die dem politischen Aktivismus zuneigt (vgl. Boynton 2005, S. XV; Russell 2016), sie statt Objektivität lieber „Transparenz“ herstellen (vgl. Meier und Reimer 2011) oder weil sie mit „konstruktivem Journalismus“ die „Fata Morgana“ der Objektivität vertreiben wollen (Urner und Langeslag 2018). In den 1970er- und 80er-Jahren sprachen Berufspraktiker von einer „Schimäre“ und einem politischen „Kampfbegriff“, den es zu überwinden gälte (vgl. Bentele und Ruoff 1982). In den USA gaben Autoren der „Objektivitätsideologie“ zuletzt eine Mitschuld an einer Krise der Demokratie (vgl. Iggers 1998; Rosen 2010). Im digitalen Journalismus legen gerade die Jüngeren und Innovativen Wert auf eine persönliche Perspektive (vgl. Keinert et al. 2019, S. 179). In Sprache und Stil sind sie offen für ein erzählendes Ich (vgl. Weidenfeld 2017). Dieser Trend zum „Ich-Journalismus“ stößt, wie überhaupt das Bekenntnis zum Subjektiven, auf Widerspruch bei denen, die sich dem Objektivitätsideal weiterhin verpflichtet fühlen (vgl. D’Inka 2019). Dies sind nicht wenige, wie die hohen Zustimmungswerte in Journalistenbefragungen zum Wert der Objektivität und zur journalistischen Rolle eines neutralen Vermittlers zeigen (vgl. Post 2013, S. 58–59, 116–128; Hanitzsch und Seethaler 2009).

Schon vor Jahren konstatierte Detlef Schröter, dass sich zwei Lager gegenüberstünden: „Für die einen ist alles subjektiv, auch die journalistische Arbeit. Es lohnt sich für sie nicht, nach einer objektiven Wirklichkeit […] zu suchen. […] Im anderen Lager wird Objektivität als grundsätzlich anzustrebendes Ziel im Interesse einer zuverlässigen Berichterstattung über sie angestrebt.“ (Schröter 2012, S. 147–8) Dabei lassen sich unterschiedliche Konzeptionen von Objektivität unterscheiden, unter anderem anhand des Kriteriums, ob sie den Begriff (auch) in den Medieninhalten verorten oder ihn (ganz) auf die Ebene der journalistischen Subjekte schieben und dabei relativieren (vgl. Donsbach 1990, S. 20).

Wer einem nicht-relativistischen Objektivitätsideal folgt, kann sich in Deutschland auf das Medienrecht berufen, das dem Journalismus eine Sorgfaltspflicht auferlegt, die mit Begriffen wie „Wahrheit“ und „Objektivität“ und mit der Unterscheidung zwischen deskriptiven und evaluativen Sätzen (Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen) verknüpft ist. So verlangen die Rundfunkgesetze nach wie vor eine objektive Berichterstattung. In § 26 Absatz 2 des Medienstaatsvertrags (vormals § 11 Absatz 2 des Rundfunkstaatsvertrags) steht: „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.“

Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, philosophische Ansätze für die Kommunikationswissenschaft zu erschließen, die das Verhältnis zwischen Objektivität und Subjektivität so bestimmen, dass sie beiden gerecht werden und man sie weder eines „naiven Empirismus“ (Schudson 1978, S. 7) noch eines ins Relativistische abdriftenden Subjektivismus zeihen kann. Als instruktiv erweisen sich hier die Arbeiten des US-amerikanischen Philosophen Thomas Nagel. Sie bieten Möglichkeiten, die Vorstellungen von Objektivität und Subjektivität im Journalismus zu klären und miteinander zu versöhnen. Auch wenn seine Beiträge gelegentlich in der Kommunikationswissenschaft genannt werden (vgl. Ward 2004, S. 282; Maras 2013, S. 77–81; Neuberger 2017, S. 414), sind die Verweise kursorisch und die Auseinandersetzungen flüchtig geblieben. So versucht nun dieser Aufsatz eine Brücke zu bauen, indem er Nagels Konzeption vorstellt und danach fragt, welche Impulse sie der Journalismusforschung geben kann. Welches Verständnis von Objektivität und Subjektivität lässt sich gewinnen – und was folgt daraus für journalistische Darstellungsformen, die als subjektiv gelten?

Der Aufsatz ist theoretisch ausgerichtet und kann die vielfältigen empirischen Befunde aus der Journalismusforschung schon aus Platzgründen nicht integrieren. Bedeutsam erscheint aber, dass Objektivitätsansprüche sowohl im Publikum als auch in den Redaktionen verbreitet sind und die Verwirklichung dieser Ansprüche als wichtiges, wenngleich schwierig zu operationalisierendes Kriterium für die Qualität der Medien gefasst werden kann – auch und gerade dann, wenn sich in der Praxis der Berichterstattung diverse Defizite zeigen (vgl. Arnold 2009; Post 2013; Mothes 2017; Krüger und Mundt 2020).

Der folgende Abschnitt skizziert zunächst Nagels Ansatz, um darauf aufbauend das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität in journalistischen Darstellungsformen zu diskutieren. Dabei stehen die als subjektiv geltenden Formen Kommentar und Reportage im Vordergrund. Während es ein etablierter Befund der Medienforschung ist, dass auf Objektivität zielende Darstellungsformen, wie Berichte und Nachrichtenmeldungen, nicht ohne subjektive Anteile auskommen, sind die objektiven Anteile in betont subjektiven Darstellungsformen bisher vernachlässigt worden. Der Skandal um die Stücke des Spiegel-Autors Claas Relotius hat jedoch unlängst eindrücklich belegt, dass Objektivitätsansprüche auch an Reportagen gestellt werden und eine subjektive Erzählperspektive nicht im Widerspruch zur Erwartung von Fakten- und Sinntreue steht, sondern mit dieser Erwartung auf Engste verbunden ist.

2 Objektivität und Subjektivität in Thomas Nagels Philosophie

Der US-amerikanische Philosoph Thomas Nagel (*1937) sucht eine Antwort auf die Frage, wie sich die subjektive Perspektive individueller Personen in der Welt mit einer objektiven Auffassung von dieser Welt, die diese Personen und ihre Perspektiven einschließt, vermitteln lässt (vgl. Nagel 2012a, S. 11). Objektivität nach Nagels Auffassung ist ein Verfahren des Verstandes, das zu bestimmten Erkenntnissen führt: „Es sind Überzeugungen und Erkenntnisse, die im primären Sinne objektiv sind. Die Wahrheiten, zu welchen man auf diesem Wege gelangt, nennen wir nur in einem abgeleiteten Sinne objektiv.“ (Nagel 1991, S. 11). Objektivität lasse sich als eine Richtung denken, „in die der Verstand schreiten kann“ (Nagel 2016, S. 27).

Nagel fasst seinen Ansatz in ein berühmt gewordenes Bild: Die objektive Perspektive ist demnach ein „Blick von nirgendwo“ (the view from nowhere). „Um zu einem objektiveren Verständnis eines Aspekts des Lebens oder der Welt zu gelangen, treten wir von unserer ursprünglichen Sichtweise dieses Aspekts zurück und bilden uns eine neuartige Auffassung, welche die ältere Auffassung und ihre Weltbeziehung zum Gegenstand hat.“ (Nagel 2012a, S. 12). Es ist ein Prozess der Distanznahme, ein Entfernen von situativen und persönlichen Standpunkten und damit von diversen Kontingenzen und Idiosynkrasien. Es geht um ein Überwinden der besonderen zugunsten einer übergreifenden Perspektive. Andere Autoren sprechen von einem „Blindsehen“ (Daston und Galison 2017, S. 15). In sozialen Kontexten (wie Prüfungen oder Gerichtsverhandlungen) gilt diese Perspektive als Grundlage für Fairness.

Das Streben nach Objektivität verlangt ein Transzendieren des Selbst; das Ziel besteht darin, die „Dinge so darzustellen, wie sie sind – und zwar nicht für ein bestimmtes Geschöpf oder für eine bestimmte Art“ (Nagel 1991, S. 121). Hier zeigt sich eine Verwurzelung von Nagels Denken im Realismus – auch wenn es weit entfernt ist von einem schlichten Positivismus oder einem naiven Empirismus.

In seiner kürzesten Form zeigt sich im Journalismus ein ähnlicher Objektivitätsanspruch im bekannten Slogan Rudolf Augsteins, der im Foyer des Spiegel-Gebäudes zu lesen ist und während der Relotius-Affäre auf den Titel des Magazins gedruckt wurde: „Sagen, was ist.“ Publizistische Objektivität bedeutet demnach, auch wenn sie nicht passiv-spiegelnd oder re-produktiv sein kann, „die Verpflichtung bzw. den Willen zu einer möglichst unverzerrten und daher allgemein annehmbaren publizistischen Beschreibung der Wirklichkeit“ (Saxer 2012, S. 20). Als Kriterien für die Objektivität können die (intersubjektiv nachprüfbare) Richtigkeit (Faktentreue) und Vollständigkeit (bzw. Relevanz) von Informationen sowie die Neutralität und Sachlichkeit herangezogen werden (vgl. Bentele 1982, S. 137–143). Vor allem die Neutralität ist jedoch, ähnlich wie die Forderung nach Ausgewogenheit, problematisch, wenn sie so ausgelegt wird, dass Journalisten kruden Ansichten das gleiche Gewicht wie gut begründeten Ansichten geben sollen – und damit Ansprüche an die Objektivität eher untergraben als erfüllt werden.

Entscheidend für Objektivität in Nagels Ansatz ist ein Hinter-sich-lassen kontingenter persönlicher Sichtweisen. Der „Blick von nirgendwo“ darf dabei nicht wörtlich genommen werden, er ist für Menschen prinzipiell nicht erreichbar. Sehr wohl ist es aber möglich, einen oder mehrere Schritte zurückzutreten und den eigenen Blick zu weiten. „Jedes Verständnis von außen, wie transzendent auch immer, beginnt ausgehend von unserem eigenen Standpunkt (wie könnte es das nicht?) und soll normalerweise mit den wichtigsten Umrissen dieses Standpunkts vereinbar sein, auch wenn es außerdem eine Grundlage für erhebliche Kritik und Überprüfung sowie Erweiterung des Standpunkts liefert.“ (Nagel 2019, S. 41). Die objektivierende Perspektive, die in Richtung eines Blicks von nirgendwo strebt, darf nicht als Auslöschen des eigenen Standpunkts missdeutet werden. Eher lässt sie sich als ein Aufheben im Hegelschen Sinne verstehen.

Die objektive Art, auf die Welt und ihre Begebenheiten zu schauen, und bereits die Behauptung, so auf die Welt blicken zu können, setzt sich vielfältiger Kritik aus. Die Kritik kann danach unterschieden werden, ob sie die Möglichkeit oder die Wünschbarkeit in Zweifel zieht (vgl. Saxer 2012, S. 12–14; Post 2013, S. 55–57). Dabei verfügt die Idee einer Distanzierung vom persönlichen Standpunkt über eine Grundplausibilität, die durch erkenntnistheoretische Unsicherheiten und konkurrierende (z. B. konstruktivistische) Auffassungen nicht unbedingt erschüttert wird.Footnote 1 Denn sie passt zu grundlegenden Erfahrungen: Menschen können sich – mal mehr, mal weniger – von ihren unmittelbaren eigenen Perspektiven lösen und versuchen, die Dinge von einer anderen, gleichsam höheren Warte aus zu betrachten. Sie sind in der Lage, sich Schritt für Schritt von der jeweiligen individuellen, situativen und historischen Sichtweise zu entfernen und andere Standpunkte zu berücksichtigen. Sie sind in der Lage, verschiedene Standpunkte in ein Verhältnis zu setzen und Situatives und Beständiges, Konkretes und Abstraktes zu unterscheiden. Auf diese Fähigkeiten setzt die Wissenschaft mit ihrer Wahrheitsorientierung, die wiederum, allen Unterschieden zwischen Wissenschaft und Journalismus zum Trotz, auch für die Medien leitend sein kann (vgl. Donsbach 1990, S. 25–27).

Der Journalismus-Professor Jay Rosen verwendet den Ausdruck „Blick von nirgendwo“, um ein seiner Meinung nach problematisches, steriles Nachrichtenverständnis zu etikettieren (vgl. Rosen 2003, 2010). Seine Darstellung wird Nagels Konzeption allerdings kaum gerecht. Rosen ignoriert die Bedeutung, die Nagel dem Subjektiven gibt, und setzt das Objektivitätspostulat mit einer demokratiefernen Haltung und einer Fetischisierung von Neutralität gleich (die zu einer Berichterstattung verleite, die dem simplen Muster „he said, she said“ folgt).

Stephen Ward unterscheidet vier Dispositionen einer objektiven journalistischen Haltung: „dispositions towards open rationality, towards partial transcendence, towards disinterested truth, and towards intellectual integrity“ (Ward 2004, S. 281). Sie ergänzen einander und passen gut zu Nagels Ansatz, der auf „partial transcendence“ und „disinterested truth“ zielt.Footnote 2 „We begin to be disinterested when we step back, metaphorically, and put a ‚critical distance‘ between our beliefs and us.“ (Ward 2004, S. 282) „Disinterested“ bezieht sich hier also auf das Überwinden eines egozentrischen Weltbilds und sollte nicht, wie bei Rosen, mit Gleichgültigkeit in der Sache oder im Einsatz für die Demokratie verwechselt werden.

Nagel vertritt einen aufgeklärten Realismus, der sich gegen den Reduktionismus szientistisch-naturwissenschaftlicher Weltauffassungen wendet. Auch wenn der Mensch keine Gewissheiten erlangen kann, kommt dem Streben nach Objektivität und Wahrheit große Bedeutung zu.Footnote 3 Es aufzugeben und den Sinn für den Wert der Wahrheit zu verlieren, könnte, wie Bernard Williams eindringlich warnte, dazu führen, dass wir „manches und möglicherweise alles einbüßen“ (Williams 2003, S. 20).

In scharfer Abgrenzung zu einem reduktiven Naturalismus und Materialismus ist Objektivität für Nagel aber „immer nur eine Möglichkeit, die Realität zu verstehen“ (Nagel 2012a, S. 49). In der Subjektivität (im Bewusstsein, im Erleben) sieht er einen wichtigen, irreduziblen Teil der Welt und der Wirklichkeit. Nagel knüpft damit an den cartesischen Dualismus an und thematisiert die Unhintergehbarkeit des Ich-Erlebens: „Eine kontinuierliche Progression unserer Objektivität kann uns zu einer Auffassung der Realität führen, die sich von der bloß persönlichen oder von der bloß menschlichen Perspektive immer weiter entfernt. Wollen wir hingegen verstehen, wie im ganzen die Welt beschaffen ist, dürfen wir diese subjektiven Anfänge nicht in Bausch und Bogen hinter uns lassen: Wir selbst und unsere persönliche Perspektive befinden uns in dieser Welt als ein Stück von ihr.“ (Nagel 2012a, S. 15)

Nicht nur kennt die Objektivität Grenzen, die damit zusammenhängen, dass das Erkennen vom Menschen und seiner eingeschränkten Erkenntnisfähigkeit abhängt (hier setzen die verschiedenen subjektivistischen und konstruktivistischen Theorien seit Kant an). Es ist, folgen wir Nagel, anzuerkennen, dass die Subjektivität selbst ein bedeutsamer Teil der Wirklichkeit ist, über den die Menschen etwas erfahren wollen. Dies kann, scheinbar paradox, zur Forderung an den Journalismus (und die Sozialwissenschaften) führen, sich auch diesem Teil der Wirklichkeit mehr oder weniger objektiv zu nähern. Wenn wir als Kern des Subjektiven die Erlebensqualität sehen, liegt es allerdings in der Natur der Sache, dass wir an Grenzen stoßen, wenn wir diesen Kern intersubjektiv erfahrbar machen wollen – und dass es schlicht nicht möglich ist, das Subjektive mit einem Blick von nirgendwo zu erfassen, ohne es dabei aus den Augen zu verlieren.

Der menschliche Blick bleibt stets bis zu einem gewissen Grad gebunden an seinen ursprünglichen Standpunkt und angewiesen auf Konzepte und Schemata, die helfen, die Welt zu ordnen und zu durchdringen. Und so sind auch Redaktionen, bei allem Pochen auf Unabhängigkeit und allem Streben nach Objektivität, niemals Unbeteiligte (vgl. Pöttker 2010) – sie bleiben eingebettet in ihre Gesellschaft und ihre Gegenwart. Nagels Ansatz lässt sich gut mit einer pragmatistischen Theorie des Erkennens und der menschlichen Untersuchung (inquiry) verbinden. „Pragmatic inquiry does not require that we wipe our minds clean of all presuppositions and start fresh from absolute propositions. What is possible is a partial transcendence of our current situation through well-designed inquiry, questioning, imagination, and interaction with other ways of thinking.“ (Ward 2004, S. 266)

Diese Einschränkung bedeutet also nicht, dass es prinzipiell falsch oder unmöglich wäre, die subjektive Perspektive zu erweitern und sich vom eigenen Standpunkt zu entfernen. Die Naturwissenschaften wollen die Welt so erfassen, wie sie unabhängig von einer individuellen und sogar unabhängig von einer menschlichen Perspektive beschaffen ist. In sozialen Zusammenhängen, in den Sozialwissenschaften und im Journalismus geht es darum, Tatsachen der sozialen Welt (auch) jenseits eines subjektiven Erlebens zu erschließen. Zugleich spielt hier das Verhältnis zwischen Innen- und Außenansicht stets eine Rolle – eben weil das Subjektive ein Teil der Welt ist und es nicht nur darum gehen kann, diese Welt zu beschreiben und zu erklären, sondern ebenso darum, sie zu verstehen, zu bewerten und zu gestalten. Daher kennt der Journalismus nicht nur nach Objektivität strebende, sondern bewusst auf Subjektivität setzende Darstellungsformen. Und doch sind diese ihrerseits nicht zu verwirklichen, ohne auch an sie Objektivitätsansprüche zu stellen.

3 Objektivität und Subjektivität in journalistischen Darstellungsformen

Im Journalismus werden nachrichtliche und kommentierende Darstellungsformen unterschieden. Bisweilen wird auch die Subjektivität als Kriterium herangezogen, sie bezieht sich aber nicht nur auf Kommentare. Die Reportage gilt als subjektive Form, zugleich aber als tatsachenorientiert und nicht als (explizit) meinungsorientiert. Zumindest in klassischen Reportagen soll es um das Erleben und Miterleben gehen, um diverse, auch auf Details bezogene sinnliche Eindrücke.Footnote 4 In nachrichtlichen Beiträgen spielen Erlebnisse und Details, die sich auf (eigene) sinnliche Eindrücke gründen, hingegen keine große Rolle; es wird abstrahiert, verallgemeinert, neutralisiert. Nachrichtenbeiträge gehen auf Distanz, die Reportage rückt nah heran ans Geschehen. Nachrichtenbeiträge versuchen, wenn schon nicht aus der Perspektive eines Nirgendwo, so doch aus einer Art Vogelperspektive die Dinge zu betrachten, während sich die Reportage auf eine bestimmte Blickrichtung einlässt.

Doch so, wie gefragt werden kann, ob sich in nachrichtlichen, nach Objektivität strebenden Beiträgen nicht mindestens latent und implizit subjektive Spuren und Komponenten finden lassen (u. a. in der Sprache oder in der Auswahl von Themen und Themenaspekten), so lässt sich auf der anderen Seite bezweifeln, ob Darstellungsformen, in denen ausdrücklich die journalistische Subjektivität zur Geltung kommen darf und soll, ohne objektive Ansprüche auskommen können. Wie ist das gemeint? Dies soll im Folgenden zunächst für Meinungsbeiträge, anschließend für Reportagen erläutert werden.

3.1 Meinungsbeiträge (journalistische Kommentare)

Inwiefern kommt ein Kommentar nicht ohne objektive Perspektive aus? Der erste Grund ist angesichts der aktuellen Erfahrungen mit Populismus und Propaganda weniger trivial, als er zunächst aussieht: Kommentare dürfen grundlegende Tatsachen nicht ignorieren oder verbiegen. Sie dürfen die Fakten zugunsten der eigenen Argumentation nicht verdrehen. Natürlich geht es in Meinungsbeiträgen oft um Deutungen, Gewichtungen und Bewertungen bestimmter Tatsachen, und immer wieder sind sogar grundlegende Tatsachen strittig. Eine strikte fact/value-Dichotomie lässt sich aus pragmatistischer Sicht nicht durchhalten (vgl. Ward 2004, S. 301–308; Martine und De Maejer 2019). Doch daraus ergibt sich für empirische Sachverhalte eben kein Freifahrtschein, alles Mögliche zu behaupten, solange es nur zur vorgebrachten Meinung passt. Wird beispielsweise ein Politiker in einem Kommentar für eine Äußerung kritisiert, die er gar nicht gemacht hat, ergibt der Kommentar keinen Sinn. Er zielt ins Leere, ihm fehlt die Tatsachengrundlage. Geschieht dies wider besseres Wissen, handelt es sich nicht um einen Fehler, sondern um eine Manipulation und einen Verstoß gegen die journalistische Ethik.

Comment is free, but facts are sacred – das bedeutet nicht, dass es ins Belieben einer Meinung gestellt wäre zu definieren, was und wie die Fakten aussehen. Und schon gar nicht, dass es überhaupt keine Fakten gäbe und alles ohnehin nur Ansichtssache wäre, auch wenn eine strikte Trennung zwischen Fakten und Werten beziehungsweise Interpretationen fragwürdig ist und es, wie die mühsame Arbeit journalistischen Fact-Checkings zeigt, oft schwerfällt, überprüfbare Tatsachen zu isolieren (vgl. Graves 2016).

In vielen Fällen mag, um das Beispiel fortzuführen, strittig sein, ob ein Kritiker eine Äußerung auf angemessene Weise verstanden, interpretiert und eingeordnet hat. Wie war der Kontext, was ist bei der Deutung zu berücksichtigen? Nun bewegen wir uns weg vom Kern einfacher empirischer Tatsachen, es wird komplizierter und nach geläufigem Sprachgebrauch subjektiver. Doch denken wir an die hermeneutischen Wissenschaften. Sie lehren uns zwar, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, etwas zu verstehen. Dennoch gibt es auch hier mehr oder weniger taugliche Vorgehensweisen und mehr oder weniger plausible Deutungen oder jedenfalls – ex negativo – Ansätze, die als abwegig qualifiziert und ausgeschlossen werden können. Im Widerspruch zu dekonstruktivistischen Positionen lassen sich durchaus hermeneutische Objektivitätsansprüche formulieren (vgl. Rescher 1997, S. 197–209).

Auch wenn Journalistinnen und Journalisten am Ende nicht für sich reklamieren können, ihre Meinung sei die einzig Mögliche oder unzweifelhaft Richtige, so können und sollten sie sich doch um eine bestmögliche Deutung bemühen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es unter Umständen (oder im Regelfall) mehrere oder viele plausible Zugänge und Interpretationen gibt – und deutlich zu machen, aus welchen Gründen die einen verworfen und die anderen vorgezogen wurden. Auch hier kann der Journalismus nicht einem ins subjektive Belieben gestellten Impuls folgen, sondern einer Systematik, die sich nicht nur um intersubjektive Nachvollziehbarkeit bemüht, sondern um die am besten passende und angemessene Sichtweise ringt.Footnote 5 So gesehen greift nun ein Objektivitätsanspruch – wenn auch im vollen Bewusstsein nicht nur der Fehlbarkeit allen Erkennens, sondern auch der Ambiguität und Perspektivenvielfalt im Umgang mit sozialen Phänomenen.

Diese Überlegungen lassen sich so zuspitzen: Journalistische Kommentare sollten auf einer möglichst soliden Tatsachengrundlage beruhen und möglichst gut durchdacht sein. Sie sollten also auf guten Gründen beruhen. Das bedeutet, dass sie sich nicht auf den ersten subjektiven Affekt verlassen können, wie dies für viele Fälle der Kommentierung in nicht-journalistischen Kontexten, etwa in spontanen Alltagssituationen (am Küchentisch, am Stammtisch, auf Social-Media-Plattformen), unterstellt werden darf. Mit anderen Worten: Auch die als explizit subjektiv geltende Form des journalistischen Kommentars folgt idealerweise einer Tendenz zur Objektivierung.

Dies lässt sich noch deutlicher erkennen, wenn berücksichtigt wird, dass in Kommentaren in der Regel nicht nur bestimmte Sachverhalte gedeutet, sondern mehr oder weniger klare Bewertungen abgegeben und Forderungen erhoben werden. Kommentare argumentieren nicht nur (und in der Regel nicht vorrangig) empirisch, sondern normativ. Sie enthalten evaluative und präskriptive Aussagen. Sollen Journalistinnen und Journalisten dabei lediglich ihren spontanen Ansichten und Affekten nachgeben? Sollen sie sich allein danach richten, was für sie persönlich gut wäre? Eher nicht. Die Öffentlichkeit erwartet von ihnen, dass sie das Gemeinwohl im Blick haben. Oder in der Formulierung von Bill Kovach und Tom Rosenstiel: dass sie „loyal“ sind zur Demokratie und den Bürgerinnen und Bürgern (vgl. Kovach und Rosenstiel 2014, S. 71–77), nicht hingegen loyal zu einzelnen Organisationen und Partikularinteressen. Natürlich ist oft umstritten, was das Gemeinwohl ausmacht und wie es zu erreichen ist, und gewiss lässt sich argumentieren, dass es in einer Demokratie sehr wohl auch darum gehen dürfe und sogar müsse, dass Einzelne und einzelne Gruppen ihre Interessen artikulieren und durchzusetzen versuchen. Dennoch ist es für viele Strömungen der Demokratietheorie und der Politischen Theorie plausibel zu verlangen, dass im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung eine Hinwendung zu verallgemeinerungsfähigen Positionen erfolgt. Dies wird umso plausibler, je weniger es um einfache Interessenkonflikte geht als um moralische Fragen.

In der Moraltheorie und in der philosophischen (Meta‑)Ethik gibt es zahlreiche Kontroversen, beispielsweise zwischen Universalisten und Relativisten oder zwischen Kognitivisten und Emotivisten, und diese Kontroversen betreffen unter anderem die Frage, welche Rolle die Idee der Objektivität in der Ethik spielen kann. Für Thomas Nagel ist Objektivität auch in der Ethik ein sinnvolles Konzept, obwohl er einräumt, dass das Gute ebenso wie das Wahre irreduzible subjektive Komponenten einschließt. Im Detail gibt es viele Unterschiede, aber Nagels Grundintuition ist vereinbar mit wichtigen anderen ethischen und politischen Theorien, wie denen von Kant, Habermas oder Rawls. Zu dieser Grundintuition gehört, dass es für die Moral darauf ankommt, die Verallgemeinerbarkeit einer Position zu prüfen.Footnote 6 Nach dieser Auffassung ist es die Grundlage der Ethik, dass Gut und Böse, Richtig und Falsch nicht ins Belieben eines Individuums gestellt sind und sich nicht oder jedenfalls nicht allein aus einem spezifischen, subjektiven Standpunkt ergeben, sondern aus „einem allgemeineren Blickwinkel, den jede denkende Person verstehen kann“ (Nagel 2012b, S. 69; vgl. Rescher 1997, S. 124–196).

John Rawls hat deshalb, um die Gerechtigkeit einer Gesellschaft zu bestimmen, das Gedankenexperiment eines „Schleiers des Nichtwissens“ (veil of ignorance) entworfen. Hinter diesem Schleier sind die konkreten Lebensumstände der Menschen verborgen, sie müssen Entscheidungen zur Ordnung der Gesellschaft treffen, ohne zu wissen, in welcher Lage sie sich selbst innerhalb dieser Gesellschaft befinden werden. Dieses Gedankenexperiment ist verwandt mit der Idee eines „Blicks von nirgendwo“, wie ihn Nagel für die Ethik diskutiert: „Wie sein Tatsachenrealismus einen Menschen nach einem distanzierten Standpunkt suchen läßt, von dem aus er die Realität zu bestimmen und die Erscheinungen zu berichtigen vermag, so läßt ihn sein Werterealismus nach einer distanzierten Perspektive greifen, aus der es möglich wird, seine Neigungen zu berichtigen und zu bestimmen, was er in Wahrheit tun soll.“ (Nagel 2012a, S. 242)

Auch wenn verschiedene journalistische Kommentare sich inhaltlich unterscheiden und sie dabei eine Vielfalt unterschiedlicher Positionen in der Gesellschaft ausdrücken, gehört es doch zum Anspruch des Journalismus, nicht der Egozentrik bestimmter Interessengruppen zu folgen, sondern so weit wie möglich autonom zu urteilen und dabei das Wohl der Gesellschaft im Ganzen im Blick zu haben. Dies schließt nicht aus, beim Kommentieren die eine oder die andere Seite zu unterstützen; Ausgewogenheit ist nicht das Ziel eines Meinungsbeitrags – und auch nicht das Kriterium für Objektivität (vgl. Bentele 1982). Einem Kommentar soll aber ein Abwägungsprozess zugrunde liegen, ein politisches und moralisches Räsonnement, das nicht den persönlichen Impuls oder das persönliche Wohlergehen in den Mittelpunkt rückt. Im Einzelnen wird dieser Anspruch zweifellos durchzogen, aber nicht durchkreuzt vom Pluralismus in der Gesellschaft, von unterschiedlichen Werthaltungen, redaktionellen Linien usw. – doch ist klar, dass es der Journalismus nicht dabei belassen sollte, die subjektiven Interessen der Autorinnen und Autoren (oder ihrer Chefs) auszudrücken, sondern begründete Urteile auf der Grundlage einer erweiterten Perspektive zu fällen.

Ein Standardeinwand gegen universalistische Auffassungen lautet, es komme grundsätzlich oder jedenfalls bei bestimmten Themen und Fragen gerade darauf an, dass Individuen oder Gemeinschaften nicht von ihren eigenen Perspektiven, Erfahrungen, Ansichten und Interessen absehen, sondern diese bewahren, entfalten und behaupten können. Die entsprechenden Debatten, beispielsweise zwischen Kommunitaristen und Liberalen, sind sehr vielschichtig und können hier nicht weiter entblättert werden. Universalisten und Vertreter von Objektivitätsansprüchen können, u. a. wenn sie Nagels Ansatz folgen, immerhin zugestehen, dass erstens der Standpunkt der Moral zwar objektiver ist als der eines Privatinteresses, doch vermutlich weniger objektiv als die Auffassungen der Physik (vgl. Nagel 2012a, S. 14). Zweitens kann betont werden, dass es in der Tat wichtig ist, die spezifischen Umstände, in denen eine Frage auftaucht, und die damit verbundenen subjektiven Perspektiven nicht zu übergehen. Den Relativismus zurückzuweisen bedeutet nicht, auf eine Kontextualisierung verzichten zu müssen (vgl. Rescher 1997, S. 67–68).

Das Subjektive ist ein wesentlicher Teil der Welt. Es gibt „Aspekte der Welt, des konkreten Lebens und unserer selbst, die von einem weitgehend objektiven Standpunkt aus gerade nicht angemessen verstanden werden könnten, wie sehr er unser Verständnis auch über seinen ursprünglichen Ausgangspunkt hinaus erweitern mag. Sehr vieles ist wesentlich an eine besondere [...] Perspektive gebunden.“ (Nagel 2012a, S. 17–18) Mehr noch: Auch die „Objektivität ist immer auf einen subjektiven Stoff angewiesen, um überhaupt wirksam werden zu können, und im Falle menschlicher Sittlichkeit beziehen wir diesen Stoff allemal aus dem menschlichen Leben“ (Nagel 2012a, S. 321). Dementsprechend muss auch der journalistische Weltzugang, in empirischen wie in normativen Kontexten, objektive und subjektive Standpunkte einschließen.

Für Menschen ist ihre je eigene Subjektivität die Basis der Welterfahrung, darüber hinaus interessieren sich Menschen für die Subjektivität der anderen. Wie und wo erfahren sie etwas über die anderen? Das ist gar nicht so einfach, denn sie können ja nie ganz die Grenze überwinden, die zwischen dem Ich und dem Gegenüber gezogen ist. Sie können nicht in den Kopf oder die Seele der anderen kriechen, sich allenfalls einfühlen, ohne je sicher zu sein, wie gut dies gelingt. Und letztlich bleibt es immer das eigene Ich, das etwas erlebt, etwas denkt und fühlt. Menschen lernen etwas über die anderen, indem sie miteinander kommunizieren, indem sie gemeinsam handeln und indem sie das Verhalten anderer studieren. Sie tun dies in ihrem Nahraum im direkten Kontakt, aber sie nehmen auch die Berichte und Erzählungen von anderen auf, sie lernen eine Sprache und bewegen sich in sozialen Institutionen, sie lassen sich inspirieren und irritieren von Kunstwerken, sie tauchen in Filme und literarische Texte ein, in denen Innenwelten sprachlich und visuell erlebbar werden. Kunst und Fiktion ermöglichen Einsichten in die subjektive Welt, allerdings erlauben sie keine Einblicke in das Subjektive in einer bestimmten realen (als real anerkannten) Situation. Diese Lücke kann der Journalismus füllen, unter anderem in Form der Reportage.

3.2 Journalistische Reportagen

Die Reportage ist eine tatsachenorientierte Darstellungsform, gilt zugleich aber als subjektiv. Sie ist „ein tatsachenbetonter, aber persönlich gefärbter Erlebnisbericht“ (Reumann 2009, S. 150). Neben den Fakten, die typischerweise detailreich geschildert werden, geht es Reportagen um das (Mit‑)Erleben, um Emotionen und seelische Vorgänge – diese müssen wahrhaftig wiedergegeben und demnach als innere Tatsachen behandelt werden. Sie lediglich fantasiereich zu entwerfen, wäre verwerflich.

Objektivitätsansprüche betreffen damit auch die Reportage (vgl. Pätzold 1999). Eine Reporterin bringt ihre eigenen Anschauungen ein, verlässt sich aber nicht ausschließlich auf diese – und muss zudem die eigenen Wahrnehmungen und Positionen für andere verständlich und erfahrbar machen. Das Objektive und das Subjektive sind damit gleichermaßen „Eckpfosten“ für den erzählenden Journalismus (vgl. Haller 2020, S. 151). Am offensichtlichsten ist die Bedeutung des Objektiven im Hinblick auf Tatsachen der äußeren natürlichen und sozialen Welt, die unabhängig von der Perspektive der Reporterin oder des Reporters bestehen und wie in nachrichtlichen Darstellungsformen korrekt wiedergegeben werden müssen. Die Fantasiegebilde, die in den Texten des Spiegel-Autors Claas Relotius zum Problem wurden, widersprechen schon auf dieser elementaren Ebene den Anforderungen an journalistische Beiträge. Existiert die Person, die in einer Reportage auftaucht, überhaupt? Hat ein Kind ein Lied (dieses Lied?) gesungen? Steht am Eingang eines Ortes tatsächlich das beschriebene Schild?

Typisch für Reportagen sind Details, die gebunden sind an spezifische Erlebnisse und an einen bestimmten Moment, in dem sie wahrgenommen werden. Diese Details sind oft nur schwer oder gar nicht zu überprüfen, im Prinzip aber nicht anders gelagert als die genannten Beispiele für elementare Fakten. Ein Reporter schreibt beispielsweise, ein Hund habe gebellt. Oder: Eine Fliege habe auf der Nase einer Kuh Platz genommen. Das sind sehr flüchtige, kleine und später kaum mehr nachvollziehbare Ereignisse. Für Nachrichten würden sie in der Regel keine Rolle spielen, in einer Reportage kann jedoch auch der Blick auf solche Kleinigkeiten wichtig sein. Scheinbar weit entfernt davon, einen Blick von nirgendwo zu wagen, zeigt eine Reporterin die Welt aus einer – ihrer – besonderen Perspektive im Hier und Jetzt. Doch anders als in fiktionalen Werken muss jede Kleinigkeit aus diesem Hier und Jetzt, die geschildert wird, real sein, und das bedeutet, dass die Fakten, auch wenn sie in einer subjektiven Perspektive aufgenommen und gedeutet werden, weiterhin Objektivitätsansprüchen genügen sollen. Nur wenn die Reporterin tatsächlich ein Hundebellen hört, kann sie dies schreiben. Ist sie sich nicht sicher, was für ein Geräusch es ist, kann sie allenfalls schreiben, es klinge (für sie) wie ein Hundebellen. Generell gilt, dass ein Reporter seine unmittelbaren Eindrücke hinterfragen und, soweit möglich, überprüfen muss, um sie einordnen zu können und sich und sein Publikum vor Illusionen und anderen Irreführungen zu bewahren. Das dichte Herangehen an Details ist auch in Reportagen gekoppelt an Momente der Distanzierung.

In Reportagen wird nicht nur benannt, was passiert. Oft wird der Eindruck geschildert, den etwas macht oder hinterlässt. Dinge, Vorgänge, Ereignisse werden qualifiziert. Und es werden implizit oder explizit Stimmungen und Gefühle ausgedrückt, die durch eine Begebenheit ausgelöst worden sind oder diese begleiten. Das Bellen eines Hundes könnte zum Beispiel als laut und heiser beschrieben werden. Vielleicht erschrickt der Reporter, zuckt zusammen, bekommt Angst. Hier bewegen wir uns weg von den primären zu den sekundären Qualitäten der Dinge, und diese sekundären Qualitäten wollen sich einem objektivierenden Zugriff entziehen. Wir wissen nicht genau, ob ein anderer Mensch eine Farbe oder ein Geräusch genauso sieht oder hört, und erst recht nicht, ob ein anderer Mensch sie in einer bestimmten Situation genauso empfindet wie man selbst. Wir sind uns sogar sehr sicher, dass wir unterschiedliche Eindrücke, Empfindungen und Assoziationen haben – und dies selbst dann, wenn wir möglicherweise auf der sinnlichen Ebene zunächst tatsächlich genau dasselbe wahrnehmen. Denn wir unterscheiden uns nun einmal in unserer individuellen Geschichte und in unserer Persönlichkeit, in unseren Gedanken und Gefühlen. Damit dringen wir weiter vor in das Reich der Subjektivität.

Reportagen versuchen, Erlebnisqualitäten für andere verständlich zu machen, indem sie unter anderem Vergleiche und sprachliche Bilder finden, die es den Rezipienten erlauben sollen, mentale Zustände, Eindrücke, Gefühle usw. zu identifizieren, wiederzuerkennen und einzuordnen. Ob und wie gut dies gelingt, ist schwierig und nie mit letzter Gewissheit zu ermessen, aber wir können uns offenbar den Erlebnissen anderer Menschen annähern und so ein gewisses Verständnis nicht nur der eigenen Subjektivität, sondern auch der Subjektivität anderer Menschen gewinnen. Dabei wird nun das Subjektive zu einem gewissen Grad einem objektivierenden Blick unterworfen. „Unsere Fähigkeit, auch eigene Erlebnisse aus der Außenperspektive – als innerweltliche Vorgänge – aufzufassen, macht den Anfang einer objektiven Konzeption des Bewußtseins aus.“ (Nagel 2012a, S. 39)

Die subjektiven Darstellungsformen im Journalismus erfüllen dabei unter anderem wichtige Orientierungsfunktionen. Sie sind wertvoll auch und gerade als Ergänzung und Abgrenzung zu fiktionalen Werken, da sie noch im Subjektiven höhere Objektivitätsansprüche bewahren und dem Publikum helfen können, sich ein realistisches Bild von den subjektiven Teilen der Wirklichkeit zu machen.

Reporterinnen und Reporter führen die Subjektivität durch einen Relevanz-Filter, sie versuchen dem Publikum nur das zu präsentieren, was aus ihrer Sicht relevant ist für das Verständnis der Erlebnisse. Nun ist die Auswahl der für relevant gehaltenen Themen und Aspekte einerseits selbst subjektiv, andererseits aber gebunden an die Idee der Objektivität. Ein Reporter belästigt das Publikum beispielsweise nicht damit, dass er in einer Situation einen flauen Magen hat – sofern es keinen Bezug gibt zu der Sache, die in der Reportage erzählt wird, oder sofern diese Bauchschmerzen seine Möglichkeiten, diese Erzählung zu liefern, nicht über Gebühr beeinträchtigen oder verändern. Kurzum: Noch die subjektivste Reportage lebt auch von der Fähigkeit der Reporterinnen und Reporter, einen Perspektivwechsel zu vollziehen und die Dinge mit den Augen ihrer Leser zu betrachten, nicht nur im Hinblick auf die Verständlichkeit der Erzählung, sondern auch und gerade im Hinblick auf die Relevanz des Geschilderten.

Während in einigen Reportagen, vor allem in Erlebnisreportagen, die in der Ich-Form erzählt werden, die Journalisten mit ihrer subjektiven Perspektive eine auch vordergründig wichtige Rolle spielen, halten sich die Autorinnen und Autoren in anderen Reportagen eher im Hintergrund. Sie leihen ihrem Publikum ihre Sinne. Natürlich sind sie es, die das Erzählte erlebt haben, und nicht ihr Publikum, aber sie schlüpfen in die Rolle eines Avatars ihrer Rezipienten. Stellvertretend für diese machen sie sich auf den Weg und lassen sich auf jene Situationen ein, die sie schildern. Diese Rollenkonstellation erzwingt bereits eine gewisse Distanzierung vom eigenen Selbst. Damit vollzieht der subjektive Journalismus eine wichtige Operation, die dazu beiträgt zu verstehen, dass und wie wir als Subjekte auf andere Subjekte treffen. „Jeder von uns“, so Nagel, „ist das Subjekt einer Vielzahl von Erlebnissen, und um überhaupt verstehen zu können, daß es im Weltgeschehen auch andere Subjekte gibt, muß jeder in der Lage sein, Erlebnisse sich zu denken, deren Subjekt nicht er selbst ist.“ (Nagel 2012a, S. 38) Die Reporterin lässt sich nicht nur auf die eigene Subjektivität ein, sie nähert sich der Subjektivität ihrer Protagonisten und kalkuliert mit der Subjektivität ihrer Leser, die ihrerseits die Reportage nutzen, um so unter anderem sich der Existenz anderer Subjekte mit ihren je eigenen Erlebnissen zu vergewissern, die mehr oder weniger nachvollzogen werden können.

Tatsächlich kann es in Reportagen darum gehen, die Subjektivität anderer Akteure zu erschließen: zu erfahren und zu ergründen, wie andere Menschen „ticken“, was sie denken und fühlen, was sie erleben und wie sie diese Erlebnisse deuten und verarbeiten. Zweifellos ist es selbst ein mehr oder weniger subjektiver Prozess, diese Subjektivität der anderen zu erfassen und zu schildern. Er ist jedoch, wie bei der Schilderung der eigenen Erlebnisse, die Reporter haben, wiederum gebunden an Distanznahmen und Objektivitätsansprüche. Diese setzen auch der Spekulation Grenzen: Im Gegensatz zu den Autoren fiktionaler Werke dürfen Reporter nicht so tun, als könnten sie den Menschen direkt in den Kopf und in die Seele schauen.Footnote 7 Und sie müssen aufpassen, dass sie aus Kleinigkeiten des Verhaltens, die sie eher zufällig und einmalig beobachtet haben, keine voreiligen oder zu weitreichenden Schlüsse ziehen. Man denke an schnelle, eher oberflächlich recherchierte Wahlkampfreportagen: Da wird eine Kandidatin nur für kurze Zeit an einem Stand in der Fußgängerzone begleitet – wie aussagekräftig sind die wenigen Sätze und Szenen, die der Journalist hier miterlebt?

Solche Überlegungen bewegen sich bereits auf einer höheren Ebene der Objektivitätsansprüche als die schlichte Forderung, alle Zitate, Namen und Zahlen in einer Reportage mögen bitte korrekt sein. Selbst wenn alle basalen Fakten stimmen, können journalistische Beiträge einen irreführenden Charakter haben. Einzelne Schilderungen werden nämlich nicht unbedingt (nur) als Momentaufnahmen gedeutet, sondern als Aussagen über größere Zusammenhänge und Muster. Wie bedeutsam ist jedoch eine konkrete Begebenheit, wenn man im Sinne eines Blicks von nirgendwo in die Totale geht und sich von der einen kleinen Szene löst?

Eine andere Variante, dies begrifflich zu fassen, besteht darin, die Wahrhaftigkeit journalistischer Beiträge zu thematisieren. Wahrhaftigkeit von Journalisten zu verlangen, bedeutet zunächst, dass sie nicht lügen, also nicht wissentlich etwas anderes berichten, als sie selbst für wahr halten. Dies bezieht sich ausdrücklich auch auf ihr subjektives Erleben. Sie sollen nicht schreiben, etwas habe sie frösteln lassen, wenn sie gar nicht fröstelten. Sie sollen nicht übertreiben und behaupten, sie hätten einen lauten Schrei gehört, wenn sie in Wahrheit, laut ihrem eigenen Erleben, nur ein normales Rufen vernommen haben. Sie sollen nicht schreiben, sie selbst hätten sich beklommen gefühlt, wenn sie sich nur gedacht haben, manche (andere) Menschen könnten sich jetzt beklommen fühlen.

Wahrhaftigkeit kann aber noch mehr bedeuten. Sie kann sich darauf beziehen, dass eine Darstellung insgesamt einen passenden, angemessenen, erhellenden Zugang zur Wirklichkeit bzw. zu einem Teil der Wirklichkeit eröffnet. In diesem Sinne ist es möglich, von der Wahrhaftigkeit eines Kunstwerks zu sprechen. Es setzt sich mit der Welt auf stimmige Weise auseinander, vielleicht entflieht es sogar der Welt, und jedenfalls braucht es sich keinerlei Fakten zu bedienen, die stimmen müssten. Im Journalismus liegen die Verhältnisse anders: Hier tauchen sogar in subjektiven Formen, wie Kommentaren und Reportagen, Fakten auf, und diese müssen stimmen. Es kann jedoch vorkommen, dass die Fakten für sich genommen stimmen – und dennoch kein stimmiges Bild entsteht. Wahrhaftigkeit verlangt hier, so gut es geht nach einem vollständigen, erhellenden Bild zu streben und sich nicht mit Ausschnitten zufriedenzugeben, die zu irreführenden Eindrücken und falschen Schlüssen führen.

Daher wäre es selbst bei einer nachrichtlichen Berichterstattung irreführend, Objektivität und den Anspruch auf Unparteilichkeit mit Passivität und einem bloßen Übermitteln herangetragener Inhalte gleichzusetzen. Vielmehr müssen Tatsachen und Meinungen aktiv recherchiert und ins Verhältnis gesetzt werden (vgl. Schönhagen 1998, S. 272–274; Ward 2004, S. 292). Doch auch das Hinzunehmen immer weiterer Fakten, die von einem möglichst objektiven Standpunkt aus betrachtet werden, könnte niemals zu einem wirklich kompletten Bild führen – ein Auswählen relevanter Aspekte gehört unweigerlich dazu. Gefragt ist eine Urteilskraft, die unter Anwendung vernünftiger, wiederum auf Objektivität zielender Kriterien und Methoden auswählt und gewichtet. Und eine Form der Demut, die sich die Einsicht, nicht annähernd die gesamte Wirklichkeit (auf einen Schlag und mit einem Blick von nirgendwo) erfassen zu können, zu Herzen nimmt und diese Einsicht nicht leichtfertig verdrängt oder überspielt.Footnote 8

4 Fazit

Objektivität und Subjektivität gehen im Journalismus spannungsreiche, aber auch produktive Verbindungen ein. Indem die Medienforschung immer wieder herausgearbeitet hat, dass und wie Objektivitätsansprüche in der Berichterstattung an subjektive Grenzen stoßen, wird eines schnell übersehen: Wichtige journalistische Darstellungsformen, wie der Kommentar oder die Reportage, sind von vornherein als subjektive Beiträge konzipiert – stoßen aber ihrerseits auf Objektivitätsansprüche, die sie nicht ignorieren können (s. Tab. 1). Dies liegt erstens daran, dass auch die dezidiert subjektiven Formen nicht ohne eine solide Tatsachengrundlage auskommen. Dabei lässt sich zweitens die journalistische Sorgfaltspflicht nicht nur auf äußere Tatsachen, sondern auch auf innere Tatsachen beziehen. Drittens sind auch normative Gehalte in journalistischen Beiträgen auf eine distanzierende Perspektive und auf verallgemeinerungsfähige Urteile angewiesen.

Tab. 1 Subjektive und objektive Perspektive in journalistischen Darstellungsformen

Objektivität, im Sinne des Philosophen Thomas Nagel verstanden als ein schrittweises Erweitern der Perspektive in Richtung eines (nie zu erreichenden) „Blicks von nirgendwo“, spielt demnach in allen journalistischen Darstellungsformen, auch in den dezidiert subjektiven, eine Rolle. Hier liegt, so lässt sich in Anschluss an Hans Wagner argumentieren, sogar ein Kern der Professionalität im Journalismus und ein Unterscheidungsmerkmal zu anderen Kommunikationen: „Ein Journalist, der sich darauf beruft, dass er nur seinen Standpunkt vertreten, nur seine eigene Sicht der Dinge darstellen, nur die von seiner Überzeugung abhängige Welt- und Ereignisinterpretation liefern könne, ein solcher Journalist tut und kann nichts anderes als das, was Jedermann […] auch tut […]. Es gibt dann keine Differenz mehr zwischen dem subjektiven Journalisten und dem ebenso subjektiven Jedermann.“ (Wagner 2012, S. 212)

Das Streben nach Objektivität im Journalismus ist nach dieser Auffassung nicht hinfällig. Es aufzugeben, wäre geradezu unvernünftig, denn allen möglichen Einwänden gegen das Objektivitätsideal zum Trotz besteht eine enge Verbindung zwischen Vernunft und Objektivität (vgl. Rescher 1997). Das Streben nach Objektivität kann im Journalismus in ein Ethos einfließen, das im Modus des Objektiven das Bewusstsein für die Bedeutung der Subjektivität wachhält – und im Modus des Subjektiven die Idee der Objektivität und damit den Anspruch, die Egozentrik und die Grenzen einer individuellen und situativen Sichtweise zu überwinden. Nicht nur der Blick der Nachrichtenjournalistin, auch der Blick des Kommentators und der Reporterin lebt von perspektivischen Wechseln und Erweiterungen und von einem Prozess der Distanznahme zum ursprünglichen eigenen Standpunkt.

Statt von einer „Fata Morgana“ (Urner und Langeslag 2018), einem Mythos oder einer Ideologie der Objektivität zu sprechen, die es zu überwinden gälte (vgl. Krüger 2018; Rosen 1999, S. 214), erscheint es vor dem skizzierten Hintergrund plausibler, die im Publikum und bei vielen Praktikern verbreiteten Objektivitätsansprüche an den Journalismus weiterhin ernst zu nehmen (vgl. Post 2013) und in einen realistischen oder pragmatistischen Theorierahmen einzupassen (vgl. Neuberger 2017; Rescher 1997). Dabei sollte die Bedeutung des Subjektiven nicht übersehen, sondern ausdrücklich berücksichtigt und betont werden.

Das Subjektive ist ein wichtiger Teil der Welt, der Journalismus ist auf vielfältige Weise mit diesem Teil verbunden und konfrontiert. Daher sollte die naive Auffassung von Objektivität, die so tut, als könnte der Journalismus es dabei belassen, nur die Fakten zu berichten („just the facts“), zugunsten einer reflektierten Auffassung überwunden werden. Diese erkennt an, dass nachrichtliche Darstellungen nicht ohne Interpretationen auskommen; sie verlangt vom Journalismus aber auch, dass Interpretationen und normative Gehalte auf vernünftige Grundlagen gestellt werden (gut begründbar sind) und sich von einer rein persönlichen Perspektive lösen und nach Verallgemeinerungsfähigkeit streben. Diese Auffassung lässt sich ausbauen zu einer globalen journalistischen Ethik: „Our world needs objective journalists who care about responsible communication. The urgent problem of journalism today is not sterile objectivity but economic and technological forces that encourage subjective and irresponsible journalism, which does nothing to address our global future as species. To devalue objectivity accomplishes nothing. It only leaves the public vulnerable to more manipulation. If journalism dismisses objective standards and ignores global responsibilities, demagogues will prosper and the public sphere will suffer.“ (Ward 2004, S. 331)

In der Medienforschung gibt es eine reiche Tradition der Kritik am journalistischen Objektivitätsideal. Man kann, wie der vorliegende Aufsatz es getan hat, den Spieß umdrehen: Sogar die bewusst subjektiven Formen, zu denen sich Teile des Journalismus immer schon bekannt haben, können sich keineswegs von Objektivitätsansprüchen freimachen. Das sollten sie auch nicht, wenn der Journalismus seine Aufgaben erfüllen soll. Innen- und Außenperspektive müssen austariert werden. Die scheinbare Polarität von subjektiven und objektiven Perspektiven überdeckt die graduellen Unterschiede; und es kommt, je nach Konstellation, zu einem Ineinandergreifen: Die Subjektivität der Reportage beispielsweise zehrt auch von der Objektivität, mit der sie äußere und innere Tatsachen schildert.

Der objektive Standpunkt kann mit dem subjektiven Standpunkt nicht nur koexistieren, beide kontrollieren und stützen sich wechselseitig. So kann die objektive Perspektive den als subjektiv geltenden journalistischen Darstellungsformen „einen Maßstab setzen, mit dem der subjektive Standpunkt nicht in Kollision geraten darf“ (Nagel 1991, S. 51). Das betrifft in Reportagen unter anderem die getreue Wiedergabe sinnlicher Eindrücke und in Kommentaren die Erwartung, dass Journalisten nicht in Egozentrik verharren, sondern zu verallgemeinerungsfähigen Positionen aufbrechen. Auf der anderen Seite zeigt auch die subjektive Perspektive den als objektiv geltenden Darstellungsformen Grenzen auf: nicht nur, dass ein irreduzibler Rest an Subjektivität in jeder objektiven Betrachtung übrigbleibt. Die Welt halbwegs erfassen und verstehen zu können, setzt voraus, auch ihre subjektiven Komponenten zu berücksichtigen. Dies betrifft nicht zuletzt die Sphäre der Werte, Lebenskonzeptionen und Geschmacksurteile jenseits allgemeiner und unbedingter moralischer Ansprüche. In dieser Sphäre existieren (keineswegs kleine) „Nischen nicht assimilierbarer Subjektivität“ (Nagel 1991, S. 52).

Folgt man Thomas Nagels Begriffsverständnis, ist eine Sichtweise objektiver als eine andere, „wenn sie in geringerem Maße von Besonderheiten der konstitutionellen Ausstattung eines Individuums und seiner Stellung in der Welt abhängig ist oder von Besonderheiten der Gattung, der dieses Wesen angehört“; das bedeutet zugleich, dass ein Standpunkt, der im Verhältnis zu einem sehr speziellen individuellen Blick objektiv wirkt, im Vergleich zu einem „entlegeneren theoretischen Standpunkt“ durchaus subjektiv erscheinen kann (Nagel 2012a, S. 13–14). Das Objektive und das Subjektive haben beide ihren Platz in der Welt. Wer versucht, das eine zugunsten des anderen journalistisch zu leugnen oder aufzugeben, verfehlt den welterschließenden Sinn des Journalismus.