1 Einleitung

In der Medien- und Kommunikationswissenschaft (MuK) wird derzeit eine lebendige Debatte über das eigene Selbstverständnis geführt, für die insbesondere die Publizistik ein wichtiges Forum bietet (vgl. Altmeppen et al. 2013; Brosius und Haas 2009; Brosius 2016; Hepp 2016; Jarren 2016; Krüger und Meyen 2018; Probst et al. 2019; Strippel et al. 2018; Theis-Berglmair 2016). Zu diesem Selbstverständnis gehört die Frage, welchen gesellschaftlichen Beitrag das Fach leistet und inwiefern es öffentlich sichtbar ist (vgl. Aviso 2019; Fengler und Eberwein 2012). In den vergangenen Jahrzehnten sind immer wieder einzelne KommunikationsforscherInnen hervorgetreten, die einen mangelnden Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit beobachteten (vgl. Altmeppen 2012, S. 37–38; Brantner und Huber 2013, S. 250; Craig 2008; Fengler und Eberwein 2012; Ruß-Mohl 2006, S. 203, 2017; Saner 2016; Wartella 1993). Bereits 1993 sprachen Docherty, Morrison und Tracey von „scholarship as silence“. Ähnlich stellte auch Kleis Nielsen kürzlich fest, dass das Fach in der gesellschaftlichen Wahrnehmung „largely irrelevant“ sei: „No one cares what we know.“ (2018, S. 145). Im Zuge der Corona-Krise haben Forscher diese Diagnose bekräftigt: „The present pandemic makes our absence in public and policy discourse all the more painfully apparent.“ (Lewis 2020a, S. 686; vgl. Nielsen 2020).

Grundsätzlich beobachten einige KollegInnen, dass kommunikationswissenschaftliches Wissen für viele gesellschaftliche Debatten potenziell von Bedeutung sei, aber in diese Debatten kaum einfließe. Entsprechend bespielten andere – gerade sozialwissenschaftliche – Disziplinen sowie außerwissenschaftliche Akteure auch jene Themen in der öffentlichen Diskussion, für die die MuK genuine Expertise anzubieten habe (vgl. Haller et al. 2019; Lewis 2020b, S. 175; Nielsen 2018; Schäfer und Wessler 2020). Reaktionen auf diese Entwicklungen sind das 2004 gegründete Europäische Journalismus-Observatorium (vgl. Ruß-Mohl 2006, S. 203–204) sowie jüngst die Initiativen „Öffentliche Kommunikationswissenschaft“, die die öffentliche Sichtbarkeit des Faches im deutschsprachigen Raum stärken will (https://oeffentliche-kowi.org/charta), „Kritische Kommunikationswissenschaft“ (Krüger und Meyen 2018, S. 354), die für eine theoretische Umorientierung und ein stärkeres gesellschaftliches Engagement des Faches plädiert (https://kritischekommunikationswissenschaft.wordpress.com), oder das Bemühen um eine gelungene und reflektierte Wissenschaftskommunikation vonseiten der deutschen Fachgesellschaft (DGPuK 2020).

Diesen Diskussionen und Entwicklungen steht allerdings ein Mangel an empirischen Daten gegenüber. Bislang liegen kaum Studien zur öffentlichen Sichtbarkeit der MuK vor (vgl. Brantner und Huber 2013; Jünger und Fähnrich 2020). Insbesondere mangelt es an Daten, die einen längeren Zeitraum abdecken und Vergleiche zu anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen ermöglichen. Mit einer automatisierten Inhaltsanalyse von Schweizer Medien untersuchen wir deshalb, inwieweit die MuK medienöffentlich präsent ist und wie sich diese Präsenz in den vergangenen 20 Jahren im Vergleich zu anderen Sozialwissenschaften entwickelt hat. Zudem analysieren wir mittels Topic Modeling, in welchen thematischen Kontexten das Fach präsent ist. Damit liefert diese Studie nicht nur einen Beitrag zur Selbstverständnisdebatte der MuK, sondern auch Erkenntnisse zur Berichterstattung über die Sozialwissenschaften, die in der Forschung zu Wissenschaftskommunikation bislang nur wenig untersucht wurde (vgl. Schäfer 2012; Scheu und Volpers 2017; für Ausnahmen siehe Albæk et al. 2003; Fähnrich und Lüthje 2017; Summ und Volpers 2016; Wien 2014).

2 Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft und zur Medienberichterstattung über die Sozialwissenschaften und MuK

Fragen der gesellschaftlichen Legitimation und Relevanz von Wissenschaft haben in den vergangenen drei Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Mit Stichworten wie „Neue Governance“ respektive Medialisierung der Wissenschaft (vgl. Dahinden 2004; Friedrichsmeier und Marcinkowski 2016; Grande et al. 2013; Marcinkowski et al. 2013; Peters et al. 2008; Weingart 2005) wird ein sich wandelndes Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft diagnostiziert. Unter anderem erwarte man von WissenschaftlerInnen zunehmend, dass sie ihre Erkenntnisse in den medialen Diskurs einbringen (vgl. Marcinkowski et al. 2014) und „public engagement“ als Teil ihrer Arbeit verstehen (vgl. Jünger und Fähnrich 2020, S. 389–390; Rose et al. 2020, S. 1; Yeo und Brossard 2017, S. 264).

Vorliegende Studien zeigen, dass dies zumindest partiell eingelöst wird. WissenschaftlerInnen beteiligen sich an öffentlichen Diskursen und tauschen sich mit außerwissenschaftlichen Akteuren aus (vgl. Just und Puppis 2012; Rauchfleisch und Schäfer 2018; Yeo und Brossard 2017). Anreize dafür schaffen sowohl Hochschulen als auch Drittmittelgeber (vgl. Herrmann-Giovanelli 2013; Laukötter 2014; Marcinkowski et al. 2014; Peters et al. 2008; Wien 2014; Yeo und Brossard 2017, S. 264–265). Zudem erkennen einige WissenschaftlerInnen die strategische Bedeutung und den individuellen Nutzen öffentlicher Präsenz (vgl. z. B. Besley und Nisbet 2013; Peters et al. 2008). Während diese vor wenigen Jahrzehnten zum Teil mit einem befürchteten Reputationsverlust einherging, wird öffentliche Präsenz heute stärker als selbstverständlich oder gar vorteilhaft für die wissenschaftliche Karriere gesehen (vgl. Jünger und Fähnrich 2020, S. 391; Peters et al. 2008; Peters 2019). Dabei sind WissenschaftlerInnen in unterschiedlichen Rollen aktiv: Sie stellen nicht nur die Ergebnisse ihrer eigenen Forschung vor, sondern ordnen als ExpertInnen auch aktuelle Ereignisse und Entwicklungen ein (vgl. Albæk et al. 2003; Brantner und Huber 2013; Wien 2014).

Häufig werden WissenschaftlerInnen durch MitarbeiterInnen unterstützt, die für die gesamte Hochschule oder für einzelne Fakultäten, Institute oder Forschungsprogramme Öffentlichkeitsarbeit leisten (vgl. Entradas und Bauer 2019; Friedrichsmeier et al. 2013; Hauser 2020; Herrmann-Giovanelli 2013; im Überblick Fähnrich et al. 2019; Rödder 2020). Auch motiviert durch die jeweilige Hochschule oder die wissenschaftlichen Normen der eigenen Disziplin, sehen es einige WissenschaftlerInnen inzwischen als ihre Pflicht und Verantwortung an, sich aktiv an öffentlichen Diskursen zu beteiligen (vgl. Davies und Horst 2016, S. 202; Marcinkowski et al. 2014; Peters et al. 2008; Peters 2019). Es gibt also „different outlooks and cultural dispositions toward science within various scientific disciplines that influence how and why these scientists participate in communication activities“ (Yeo und Brossard 2017, S. 266). Je mehr WissenschaftlerInnen beobachten, dass ihre FachkollegInnen in Medien präsent sind und ihre Scientific Community die Beteiligung an öffentlichen Diskursen wertschätzt, umso wahrscheinlicher wird sich dies langfristig als eine in vielen wissenschaftlichen Disziplinen akzeptierte Praxis etablieren (vgl. Davies und Horst 2016, S. 61–65; Peters et al. 2008; Rose et al. 2020; Yeo und Brossard 2017, S. 264).

Obwohl sich die Forschung zur Wissenschaftskommunikation in den vergangenen Jahren stark ausdifferenziert hat (vgl. Bonfadelli et al. 2017; Davies und Horst 2016; Jamieson et al. 2017) und im Wesentlichen sozialwissenschaftlich geprägt ist, wurde die öffentliche Sichtbarkeit der Sozialwissenschaften selbst vergleichsweise wenig untersucht (vgl. Cassidy 2014; Schäfer 2012; Scheu und Volpers 2017). Studien aus den 1990er und 2000er Jahren, die sich auf Medienberichte konzentrierten, die im Wissenschaftsressort erschienen oder Wissenschaft zum Hauptthema hatten, zeigten eine deutliche Dominanz von naturwissenschaftlichen Fächern und eine eher geringe Bedeutung der Sozialwissenschaften (vgl. Elmer et al. 2008; im Überblick Huber et al. 2019). Neuere Studien, die die ressortübergreifende Berichterstattung über Wissenschaft und WissenschaftlerInnen untersuchen und dabei jegliche Thematisierungsformen einbeziehen, zeigen allerdings eine starke und, in Ländern wie Dänemark und Deutschland, wachsende Präsenz der Sozialwissenschaften im öffentlichen Diskurs (vgl. Albæk et al. 2003; Cassidy 2014; Fähnrich und Lüthje 2017; Kohring 2014; Rauchfleisch und Schäfer 2018; Summ und Volpers 2016; Wien 2014). In der Schweiz haben Sozial‑, Geistes- und Kulturwissenschaften gemeinsam eine stärkere Medienpräsenz als Naturwissenschaften und Medizin (vgl. Näf und Schanne 2006).

Zudem lassen sich diesen Studien weitere instruktive Befunde zum Verhältnis von (Sozial‑)Wissenschaft und Gesellschaft entnehmen. Sie zeigen, dass Wissenschaft meist dann öffentlich sichtbar wird, wenn neue Studien vorliegen oder WissenschaftlerInnen sich zu aktuellen gesellschaftlichen Themen äußern, während Lehre und Studium kaum medial präsent sind (vgl. Friedrichsmeier und Marcinkowski 2016; Görke 2018; Laukötter 2014). Sie liefern Hinweise darauf, welchen Beitrag verschiedene Disziplinen und Forschungsbereiche bei der Vermittlung wissenschaftlichen Wissens und der Diskussion gesellschaftlicher Probleme leisten. Das in diesen Studien rekonstruierte Ausmaß öffentlicher Sichtbarkeit wird entsprechend als ein Zeichen dafür gesehen, inwieweit bestimmte Disziplinen und Forschungsbereiche öffentliche Akzeptanz genießen (vgl. Brantner und Huber 2013; Fengler und Eberwein 2012; Huber et al. 2019; Nielsen 2018) und damit zur Legitimation von Wissenschaft insgesamt beitragen (vgl. Schäfer 2012; Weingart 2005).

Allerdings haben diese Studien auch klare Limitationen: Erstens liegen kaum Studien zu einzelnen Sozialwissenschaften wie der MuK vor (vgl. Schäfer 2012; Serong et al. 2017). Zweitens betrachten die Arbeiten, die Trendanalysen zu Medienpräsenz vorlegen, nur die Sozialwissenschaften als Ganzes und liefern keine Aussagen zu konkreten Disziplinen (vgl. Albæk et al. 2003; Wien 2014; dazu kritisch Yeo und Brossard 2017, S. 266–267). Drittens arbeiten selbst die wenigen Studien, die überhaupt zeitliche Entwicklungen rekonstruieren, nur mit wenigen, etwa zwei (vgl. Brantner und Huber 2013; Elmer et al. 2008) oder fünf (vgl. Albæk et al. 2003) Messzeitpunkten. Viertens konzentrieren sich die meisten Studien auf nur wenige Qualitätszeitungen, während die Boulevardpresse und andere Medientypen unberücksichtigt bleiben (vgl. Brantner und Huber 2013; Schäfer 2012).

Zur Frage, wie sich die Sichtbarkeit der MuK in den Medien gestaltet und in den vergangenen Jahren entwickelt hat, gibt es bisher nur wenige und zudem inkonsistente Befunde: Einerseits wird davon ausgegangen, dass JournalistInnen weniger häufig den direkten Kontakt zu KommunikationsforscherInnen suchen als zu anderen SozialwissenschaftlerInnen sowie zu Natur- und GeisteswissenschaftlerInnen (vgl. Debatin 2017, S. 20; Görke 2018; Nielsen 2018, S. 146, 148). Auch zeigen Haller et al. (2019, S. 4) für Deutschland, dass Pressemitteilungen zu Forschungsthemen der MuK „von Institutionen und Akteuren außerhalb unseres Fachs dominiert“ werden. Das Forschungsprojekt „Radar Medienkritik Schweiz“ untersuchte 185 Online-Nachrichtenseiten von Deutschschweizer Medien und identifizierte im Zeitraum von Januar 2015 bis Februar 2016 lediglich 189 Artikel, die Disziplinbezeichnungen der MuK enthielten (vgl. Saner 2016). Nach Ergebnissen der Studie von Brantner und Huber (2013) ist die Berichterstattung über die MuK in der Schweiz tendenziell zurückgegangen: Die Neue Zürcher Zeitung thematisierte das Fach im Jahr 2009 weniger als 1999.Footnote 1 Andererseits legt die gleiche Studie (vgl. Brantner und Huber 2013) für die Berichterstattung in Deutschland und Österreich nahe, dass die mediale Sichtbarkeit des Fachs zwischen 1999 und 2009 leicht zugenommen hat. Die Analyse zeigt weiterhin, dass die MuK eher wenig mit Blick auf Studium und Lehre, sondern überwiegend im Kontext von Studienergebnissen und Kommentierungen zu aktuellen Themen aufgegriffen wird und dabei einige wenige aktive KollegInnen prägend sind. Auch eine Studie von Rauchfleisch und Schäfer (2018) zur Sichtbarkeit von Schweizer ProfessorInnen in Schweizer Nachrichtenmedien belegt eine nennenswerte Präsenz von KommunikationswissenschaftlerInnen. Sie rangieren auf Rang 8 von 24 untersuchten Disziplinen und werden durchschnittlich öfter als andere ProfessorInnen erwähnt – fallen aber teils deutlich hinter PolitikwissenschaftlerInnen, SoziologInnen und WirtschaftswissenschaftlerInnen zurück.

3 Diskussionen und Initiativen zur gesellschaftlichen Relevanz und Verantwortung der MuK

Da die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung in den Fach- und Forschungsroutinen der Sozialwissenschaften noch wenig belohnt wird (vgl. Felt et al. 2017, S. 39; Nielsen 2018, S. 147–148; Waisbord 2020, S. 46, 94; Yeo und Brossard 2017, S. 265–266), gibt es in verschiedenen Disziplinen Bestrebungen, den Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu stärken und zu institutionalisieren. Die hierbei entwickelten Konzepte werden als „engaged scholarship“ (Pavlik 2019) oder „public scholarship“ bzw. „Öffentliche Wissenschaft“ bezeichnet (Burawoy 2005; Cassidy 2014; Selke und Treibel 2018; Robertson-von Trotha und Muñoz Morcillo 2012).

Auch die MuK schließt an diese Diskussionen und Konzepte an. Kürzlich wurde ein entsprechendes Manifest ausgearbeitet (Waisbord 2020) und eine Charta „Öffentliche Kommunikationswissenschaft“ veröffentlicht, die 2018 im Rahmen von Workshops in Deutschland, Österreich und der Schweiz entstanden war und 15 Grundsätze für das gesellschaftliche Engagement des Fachs formuliert (vgl. Fürst et al. 2019; Prinzing et al. 2018). Folgt man den Selbstverständnisdebatten der vergangenen Jahre, hat das Fach hinsichtlich gesellschaftlicher Relevanz und Verantwortung und damit verbundener öffentlicher Sichtbarkeit noch große Potenziale auszuschöpfen: Die MuK ist eine sozialwissenschaftliche Integrationsdisziplin, die sich an vielen Orten erst in jüngerer Zeit institutionalisiert hat, noch keine klar umrissene Fachidentität aufweist und mit der Frage beschäftigt ist, welche Relevanz sie für Wissenschaft und Gesellschaft hat (vgl. Altmeppen et al. 2013; Brosda 2016; Brosius und Haas 2009; Craig 2008; Debatin 2017; Donsbach 2006; Fengler und Eberwein 2012; Krüger und Meyen 2018; Pooley 2016; Probst et al. 2019; Theis-Berglmair 2016; Wartella 1993).

Aus Sicht vieler ForscherInnen fordert die Digitalisierung die MuK nicht nur theoretisch und methodisch heraus (vgl. Brosius 2016; Brosius und Haas 2009; Hepp 2016; Jarren 2016; Strippel et al. 2018; Theis-Berglmair 2016), sondern bietet ihr auch das Potenzial einer gesteigerten gesellschaftlichen Relevanz und Verantwortung. Denn Fragen zur Digitalisierung spielen in vielen gesellschaftlichen Bereichen eine wichtige Rolle und werden öffentlich diskutiert. Die Forschung zu diesen Themen hat in unserem Fach deutlich zugenommen (vgl. Chan und Grill 2020). Die MuK könnte also hier ihre Kernkompetenz herausstellen und in gesellschaftliche Debatten einbringen. Darüber hinaus benennen FachvertreterInnen wiederholt weitere Themen, die öffentlich diskutiert werden, mit grundlegenden Umwälzungen und gesellschaftlichen Problemen zusammenhängen und zu denen die MuK aus ihrer Sicht verstärkt beitragen könnte und sollte. Im Überblick:

  • Neue Medien und Digitalisierung: Chancen und Risiken neuer Medientechnologien, Medienkompetenz, Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung (vgl. Donsbach 2006; Nielsen 2018; Pavlik 2019, S. 115–116; Stöcker 2019; Waisbord 2020, S. 29–31, 80; Wartella 1993)

  • Politische Kommunikation und Nachrichtennutzung: Verbreitung von Desinformationen und Polarisierung der Gesellschaft, Prozesse öffentlicher Meinungsbildung und Partizipation, Vertrauen in Medien und Journalismus (vgl. Freedman 2016; Heise 2019; Jünger und Fähnrich 2020, S. 388; Krüger und Meyen 2018, S. 351; Lewis 2020a, S. 684, 686; Nielsen 2018; Ruß-Mohl 2017, S. 55; Stöcker 2019)

  • Autonomie, Leistungen und Regulierung von Nachrichtenmedien: Gefährdung der Pressefreiheit, Prozesse der Medienkonzentration, Ökonomisierung der Medien, Finanzierung des Journalismus, gesellschaftliche Rolle und Qualität des Journalismus und öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie medienpolitische Entscheidungen (vgl. Borchardt 2019; Brosda 2016; Debatin 2017, S. 15; Docherty et al. 1993, S. 230–231; Donsbach 2006; Freedman 2016; Heise 2019; Krüger und Meyen 2018, S. 351–352; Lewis 2020a, S. 684, 686; Nielsen 2018; Pavlik 2019, S. 115–116; Ruß-Mohl 2017, S. 55; Wartella 1993)

Forderungen nach einem verstärkten Engagement des Faches in diesen Bereichen wurden zuletzt besonders betont – auch, so Nielsen (2018), Borchardt (2019), Lewis (2020b) und Waisbord (2020), weil das Fach in der Irrelevanz verschwinden könne, wenn es sich zu diesen Themen nicht stärker in der Gesellschaft einbringe. Auch Brosda (2016, S. 272) betont angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbrüche, „dass die Kommunikationswissenschaft nach 100 Jahren raus muss ins Offene – mehr denn je in ihrer Geschichte“.

Allerdings liegen kaum empirische Daten dazu vor, welche mediale Sichtbarkeit die MuK bislang tatsächlich hat, mit welchen Themen sie in den Medien präsent ist und wie sich Sichtbarkeit und thematische Kontextualisierung in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt haben. Diese Frage ist auch vor dem Hintergrund des starken Ausbaus der MuK interessant, der in den vergangenen 20 Jahren an Hochschulen im deutschsprachigen Raum stattgefunden hat (vgl. Brosius und Haas 2009, S. 181, 188; Probst et al. 2019, S. 10–11). Der vorliegende Beitrag adressiert diese Forschungslücke und konzentriert sich dabei auf die Berichterstattung in Schweizer Qualitäts- und Boulevardmedien.

4 Datengrundlage und Methodik

Mittels einer automatisierten Inhaltsanalyse haben wir die Berichterstattung von sieben Schweizer Printmedien vom 1. Januar 1999 bis zum 30. Juni 2018 untersucht (Datenquelle: SMD – Schweizer Mediendatenbank). Der Zugang über Printmedien erlaubt die Analyse einer langen und kontinuierlichen Zeitreihe. Für die Analyse wurden unterschiedliche Medientypen berücksichtigt: die überregionalen Qualitäts-Tageszeitungen Neue Zürcher Zeitung (NZZ) und Tages-Anzeiger, die Boulevardzeitungen Blick sowie dessen Sonntagsausgabe Sonntagsblick, die Wochenmagazine Weltwoche und Wochenzeitung (WOZ) sowie die Sonntagszeitung. Diese Medien bilden die Typen der deutschschweizerischen Presse ab, sind innerhalb ihrer jeweiligen Medientypen die reichweitenstärksten und meistzitierten Titel und waren für den gesamten Analysezeitraum verfügbar (vgl. fög 2019).

Im ersten Schritt haben wir eine automatisierte Resonanzanalyse durchgeführt. Dazu haben wir mit trunkierten Suchbegriffen sämtliche Medienbeiträge erfasst, in denen MuK, Politikwissenschaft oder Soziologie mindestens einmal erwähnt wurden (siehe Tab. 1). Die Suchbegriffe berücksichtigten die allgemeinen Bezeichnungen der Fächer (wie „Kommunikationswissenschaft“ oder „Medienwissenschaft“) einschließlich der betreffenden WissenschaftlerInnen (wie „MedienforscherIn“ oder „KommunkationswissenschaftlerIn“). Nicht als Suchbegriffe berücksichtigt wurden Subdisziplinen (wie „Medienpsychologie“ oder „Medienökonomie“), Institute (wie das „IKMZ“ der Universität Zürich) und einzelne Personen. Dies macht die Analysen über die untersuchten Disziplinen hinweg vergleichbar und garantiert eine hohe Präzision der Resultate, verengt den Fokus der Analyse aber im Vergleich zu Studien, die mehr Suchbegriffe verwendeten und Subdisziplinen einschlossen (vgl. Brantner und Huber 2013).Footnote 2 Zur Beurteilung der Validität der automatisierten Analyse wurden pro Fach 90 Suchtreffer (jeweils 30 für 1999, 2009 und 2018) auf korrekte (True Positives) beziehungsweise inkorrekte Zuweisung (False Positives) überprüft. Die auf Basis dieser Information ermittelte Präzision, d. h. der prozentuale Anteil an korrekten Zuweisungen in den Stichproben (vgl. Powers 2011), war für alle Disziplinen äußerst zufriedenstellend: Es wurden keine Falschzuweisungen festgestellt. Auch wenn man die Disziplinen im engeren Sinn betrachtet und triviale Erwähnungen ausschließt (etwa ein Statement zur Einkaufsgewohnheit einer Publizistikstudentin bei der Neueröffnung eines Kleiderladens), war die Präzision des Instruments zufriedenstellend (siehe Tab. 1).

Tab. 1 Übersicht zur automatisierten Resonanzanalyse

Als Vergleichsfächer haben wir die traditionell am stärksten beachteten Sozialwissenschaften Politikwissenschaft und Soziologie ausgewählt (vgl. Rauchfleisch und Schäfer 2018; Volpers und Summ 2015, S. 242). Ausschlaggebend dafür war auch, dass sich diese Fächer über Schlagworte gut erfassen ließen und die Präzision der Suche gewährleistet war. Die Resonanz der Fächer wurde nach Zeiträumen (Jahre und Monate) und entlang von Medien(typen) ausgewertet. Um den unterschiedlichen Umfängen der untersuchten Zeitungen und deren Veränderungen in den vergangenen 20 Jahren Rechnung zu tragen, haben wir die Resonanz – d. h. die konkrete Zahl der Erwähnungen einer Disziplin – anhand der in diesen Zeitungen tatsächlich publizierten Beiträge gewichtet. Dazu wurde jeweils die Gesamtzahl publizierter Beiträge der analysierten Medien pro Jahr bzw. Monat ermittelt (Datenquelle: Schweizer Mediendatenbank). Das Maß der Visibilität berechnet sich aus der absoluten Resonanz eines Fachs geteilt durch die Gesamtzahl an publizierten Beiträgen in Tausend. Die Visibilität stellt somit den Anteil an der Gesamtberichterstattung in Promille dar. Die pro Monat ermittelten Werte wurden für kontinuierliche Darstellungen als gleitender Durchschnitt dargestellt, jeweils unter Berücksichtigung der sechs vorangegangenen und sechs darauffolgenden Messpunkte.

Im zweiten Schritt haben wir die Analyse auf die MuK und deren mediale Thematisierung enggeführt. Für alle Artikel, die die MuK erwähnten, berechneten wir ein Topic Model mittels Latent Dirichlet Allocation (LDA) (vgl. Blei et al. 2003; Jacobi et al. 2016). Das Verfahren strukturiert einen Korpus von n Dokumenten in eine vorgegebene Anzahl (k) Topics anhand der im Text enthaltenen Wörter. Für jedes Dokument werden die Wahrscheinlichkeiten berechnet, mit der es jedem Topic zugehört, und anschließend wird jeder Beitrag dem am besten passenden Topic zugeordnet. Die Berechnung erfolgte in RStudio mit dem Package topicmodels (Grün und Hornik 2011). Vor der Modellierung wurden die Texte unter Verwendung des tm packages (Feinerer und Hornik 2019) bereinigt. Es wurden Groß- in Kleinbuchstaben umgewandelt, Zahlen, Interpunktionen, Sonderzeichen und Stopwörter entfernt und alle Wörter auf ihren Wortstamm reduziert (stemming). Via Perplexity Test (vgl. Jacobi et al. 2016) ermittelten wir ein Model mit 15 Topics als beste Variante für den Corpus. Um eine möglichst akkurate Benennung zu gewährleisten, wurden die Topics abschließend von zwei AutorInnen benannt und abgeglichen. Für die Benennung wurden pro Topic die zehn am häufigsten verwendeten Wörter sowie die zehn Medienbeiträge herangezogen, die mit der höchsten Wahrscheinlichkeit dem Topic zugehören. Die Topics und die sie definierenden Begriffe sind in Tab. 2 dargestellt.

Tab. 2 Topic Model zur MuK

5 Ergebnisse: Mediale Sichtbarkeit im disziplinären Vergleich und thematische Kontextualisierung der MuK

Die in bisherigen Studien festgestellte vergleichsweise starke Präsenz der Politikwissenschaft und Soziologie zeigt sich auch für die in diesem Beitrag untersuchten Medien (vgl. Abb. 1): Beide Disziplinen wurden über den gesamten Analysezeitraum hinweg in 3,8‰ (Soziologie, n = 9678) resp. 2,7‰ (Politikwissenschaft, n = 7013) aller Artikel der untersuchten Zeitungen erwähnt. Demgegenüber ist die MuK in nur 0,7‰ (n = 1843) aller Artikel ein Thema.

Abb. 1
figure 1

Visibilität von MuK und Vergleichsdisziplinen (01.01.1999–30.06.2018). Berechnet wurde der Anteil der Medienbeiträge (in Promille ‰) mit Erwähnung der einzelnen Disziplinen (n = 18.534) am Total der Berichterstattung (n = 2.555.692) in den untersuchten Medien. Die Monatsdaten werden als gleitender Durchschnitt von jeweils sechs Monaten vor und nach den einzelnen Messpunkten dargestellt

Es zeigt sich zudem, dass Politikwissenschaft und Soziologie in den vergangenen Jahren deutlich an medialer Visibilität gewonnen haben. Jene der MuK verharrt dagegen weitgehend konstant auf niedrigerem Niveau: Nach Jahren eines leichten Abwärtstrends nimmt die Mediensichtbarkeit erst seit 2016 wieder leicht zu.

Nimmt man die mediale Präsenz der MuK genauer in den Blick, dann zeigt sich, dass v. a. die Qualitäts-Tageszeitungen NZZ und Tages-Anzeiger über das Fach berichten (vgl. Abb. 2). Allerdings sinkt der Anteil der Erwähnungen der MuK in der NZZ im Zeitverlauf, während er im Tages-Anzeiger zunimmt. Zudem steigt der Anteil der Boulevard- und Sonntagszeitungen sowie der Wochenmagazine in der Medienberichterstattung über die MuK, von 20 bis 25 % zwischen 1999 und 2010 auf über 30 % seit 2011.

Abb. 2
figure 2

Visibilität der MuK aufgeschlüsselt nach Medientitel pro Jahr (01.01.1999–30.06.2018). Dargestellt werden die Anteile der jeweiligen Medienbeiträge über MuK am Total der ermittelten Beiträge über MuK (n = 1843)

Anschließend haben wir via LDA ausgewertet, in welchen thematischen Kontexten die MuK erwähnt wird. Dabei identifizierten wir 15 Topics, die in Tab. 2 sowie im Folgenden nach ihrer Resonanz – d. h. der Zahl der ihnen zugehörenden Artikel – geordnet dargestellt sind.

  1. 1.

    Das resonanzstärkste Topic ist die Entwicklung der Presseauflage. Entsprechende Artikel thematisieren die Daten zur Auflagenentwicklung einzelner Zeitungen, die vom privatwirtschaftlichen Institut WEMF AG für Werbemedienforschung jährlich publiziert und oft von KommunikationsforscherInnen kommentiert werden.

  2. 2.

    Von hoher Bedeutung sind zweitens Studium und Lehre. Im Mittelpunkt steht die Universität Zürich, deren Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IKMZ, vormals IPMZ) das größte kommunikationswissenschaftliche Institut in der Schweiz ist. Typische Themen sind die in den 2000er Jahren stark anwachsenden Studierendenzahlen des „Modefachs“ und damit verbundene Probleme (z. B. Raumknappheit und Betreungsverhältnisse), aber auch Berufungen von ProfessorInnen.

  3. 3.

    Dritthäufigstes Thema ist Medienpolitik, Regulierung und Service Public, was in der Schweiz primär Rundfunkpolitik betrifft. Hierbei stehen Diskussionen um die Ausgestaltung des Service Public und der Rundfunkgebühren im Mittelpunkt. KommunikationsforscherInnen treten dabei als Experten auf und ordnen Argumente und Positionen ein.

  4. 4.

    Beim Topic Entwicklung von Journalismus und Medienqualität wird zum einen die Profession des Journalismus (z. B. das Verhältnis des Journalismus zu Public Relations oder gesellschaftlichen Eliten) und die damit verbundene Entwicklung der Qualität von Nachrichtenmedien (u. a. über das „Jahrbuch Qualität der Medien“) reflektiert. Zum anderen wird die Rolle von Verlagen und Medienunternehmen, teils kritisch, betrachtet. Entsprechende Beiträge erschienen oft in der NZZ-Rubrik „Aus der Kommunikationswissenschaft“, die bis 2008 existierte.

  5. 5.

    Das Topic Medien und Kultur enthält Beiträge zur eher geisteswissenschaftlich geprägten Medienwissenschaft, wie sie in der Schweiz an der Universität Basel gelehrt wird. Es dominieren Bezüge von Medien zu Kultur, Kunst und Geschichte.

  6. 6.

    Im Topic Medien, Alltag und Identität geht es um die Rolle von Medien – darunter oftmals das Fernsehen, aber auch digitale Medien – im Alltag von Erwachsenen und für die Sozialisation von Jugendlichen. Beiträge zu diesem Topic behandeln typischerweise die mediale Darstellung von Geschlechterrollen, Sexualität, Pornographie oder Gewalt und deren Einfluss auf die RezipientInnen.

  7. 7.

    Beiträge im Topic Digitalisierung von Medien und Kommunikation wenden sich neben dem Internet und der Digitalisierung im Allgemeinen stark den sozialen Netzwerken Facebook und Twitter zu. Typische Beiträge behandeln die wachsende Bedeutung von digitaler Medientechnologie (Internet, mobile Geräte, Social Media) und die damit verbundenen Folgen für die NutzerInnen (z. B. Datenschutz) oder einzelne Teilbereiche der Gesellschaft (z. B. für den Journalismus).

  8. 8.

    Typische Beiträge des Topics Fernsehen als Unterhaltungsmedium befassen sich mit Unterhaltungsformaten wie dem „Bachelor“ oder „Music Star“. KommunikationswissenschaftlerInnen ordnen diese Sendungen oftmals ein, insbesondere die Ursachen für den Publikumserfolg der Formate.

  9. 9.

    Im Topic Schweizer Politik dominieren Einordnungen von FachvertreterInnen zur Rolle der Medien bei Wahlen und Abstimmungen. Diese Beiträge haben häufig einen Bezug zur rechtspopulistischen SVP, der wählerstärksten Schweizer Partei. Eine ebenfalls wichtige Rolle spielen Statements von Roger Blum, der sich in seiner Funktion als Ombudsmann der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR) sowie als Experte für die Rolle von Medien in der Schweizer Politik äußert.

  10. 10.

    Die MuK ist auch in der Berichterstattung zu Internationalen Konflikten präsent, etwa zu Kriegen oder Terroranschlägen. Typische Themen, zu denen sich KommunikationswissenschaftlerInnen äußern, sind öffentlichkeitswirksame Handlungen von (islamistischen) Terrorgruppen, aber auch Propaganda oder systematische Überwachung und Zensur durch staatliche Akteure.

  11. 11.

    Das Topic Öffentlichkeit und Gesellschaft wird durch den Kommunikationsforscher und Soziologen Kurt Imhof geprägt. Dabei steht auch das von ihm gegründete Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich im Fokus sowie die dort betriebene, soziologisch geprägte Medienforschung (z. B. zu Karrieren von Themen oder Krisen und Skandalen).

  12. 12.

    Das Topic Mediennutzung zeichnet sich vor allem durch die regelmäßige Präsentation von wissenschaftlichen und kommerziellen Nutzungsdaten aus. Im Unterschied zum Topic Entwicklung der Presseauflage stehen hier die durch Befragungen gewonnenen Daten zur Nutzung von Online‑, Print-, und Rundfunkmedien in der Schweizer Bevölkerung im Zentrum.

  13. 13.

    Zu den kleineren Topics gehören JournalistInnenbiografien. Die MuK wird hier beim Werdegang von JournalistInnen thematisiert, also bei Ernennungen oder Abgängen in Redaktionen.

  14. 14.

    Das Topic Medien als Institutionen der Gesellschaft beinhaltet typischerweise Beiträge von WissenschaftlerInnen zur Bedeutung und Rolle von Nachrichtenmedien für die (demokratische) Gesellschaft. Zum Teil wird hier auch die Rolle von sozialen Netzwerken diskutiert.

  15. 15.

    Als letztes Topic wurde Werbung und Public Relations identifiziert. Typische Beiträge befassen sich mit dem Erfolg von Unternehmen und ihren Marken (Branding) oder der Entwicklung des Werbemarkts im Allgemeinen.

Im nächsten Schritt haben wir die Visibilität derjenigen zehn Topics im Zeitverlauf untersucht, die sich in mehr als 5 % der Artikel des Corpus finden (vgl. Abb. 3). Dabei zeigen sich aufschlussreiche Veränderungen:

Abb. 3
figure 3

Visibilität der zehn resonanzstärksten Topics im Jahresverlauf (01.01.1999–30.06.2018). Dargestellt als Anteil der Medienbeiträge zu den einzelnen Topics am Total der Berichterstattung (n = 2.555.692) in den untersuchten Medien. Berücksichtigt werden alle Topics, die sich in mehr als 5 % der Artikel des Corpus finden

Erstens verlieren zwei der Topics, mit denen die MuK über viele Jahre stark in Verbindung gebracht wurde, in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung. Die Entwicklung der Presseauflage wird als Thema weniger wichtig, was den Bedeutungsverlust der gedruckten Presse im Mediensystem widerspiegelt. Auch das Topic Studium und Lehre verliert über die Zeit an Bedeutung. Es fand v. a. um das Jahr 2000 starke Beachtung, als das Studium stark nachgefragt und das Fach ausgebaut wurde, sowie nochmals 2013 im Kontext eines skandalisierten Berufungsverfahrens für die Nachfolge der Professur von Heinz Bonfadelli.

Zweitens gewinnen Fragen zu Medienpolitik und -regulierung massiv an Bedeutung. Der Bedeutungsgewinn ist eng mit der Debatte zum Service Public und dem öffentlichen Rundfunkanbieter SRG SSR verknüpft. Insbesondere in der Berichterstattung zur sogenannten No-Billag-Abstimmung, welche die Abschaffung der Rundfunkgebühren in der Schweiz forderte, waren VertreterInnen des Fachs präsent. Darüber hinaus zeigt sich jüngst eine Politisierung der Themen, mit denen die MuK in Schweizer Medien kontextualisiert wird: Die Topics Schweizer Politik und Internationale Konflikte gewinnen deutlich an Bedeutung.

Erstaunlicherweise gewinnen Digitalisierung und digitale Medien in der Berichterstattung über die MuK im Zeitverlauf nicht an Bedeutung. Das Topic Digitalisierung von Medien und Kommunikation hat gerade in den jüngsten Jahren ein sehr geringes Gewicht. In weiteren Themenfeldern, namentlich Medien, Alltag und Identität sowie Medien als Institutionen der Gesellschaft und Entwicklung von Journalismus und Medienqualität, wird die Rolle digitaler Medien am Rande diskutiert. Insgesamt war das Fach Anfang der 2000er Jahre, im Zuge der aufkommenden Internetforschung (u. a. zu Internetnutzung, E‑Commerce), mit Digitalthemen stärker öffentlich präsent als heute.

6 Diskussion und Fazit: Wirklich irrelevant?

Vor dem Hintergrund einer intensiv geführten und anhaltenden Diskussion über die gesellschaftliche Relevanz des Fachs haben wir die Sichtbarkeit der MuK in 20 Jahren Schweizer Presseberichterstattung nachgezeichnet und mit anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen verglichen. Die Ergebnisse zeigen ein ernüchterndes Bild: Die MuK liegt in puncto Mediensichtbarkeit deutlich hinter Soziologie und Politikwissenschaft. Zudem konnten die Vergleichsfächer ihre Visibilität seit 2010 steigern, während jene der MuK auf tiefem Niveau weitgehend konstant bleibt.

Dies lässt sich nur bedingt mit der Größe bzw. dem Wachstum der entsprechenden Fächer erklären. Zwar gehört die Politikwissenschaft zu den größten sozialwissenschaftlichen Disziplinen der Schweiz und verzeichnet im Vergleich zur MuK mehr Studierende, deren Zahl zudem im Zeitraum der letzten 20 Jahre stark angestiegen ist (vgl. Bundesamt für Statistik 2018). Allerdings ist die Soziologie in der Schweiz ein kleineres Fach als die MuK – und hat dennoch die stärkste Sichtbarkeit in den Medien. Obschon die MuK in der Schweiz seit den 2000er Jahren stark ausgebaut wurde (vgl. Brosius und Haas 2009, S. 179, 181; Probst et al. 2019, S. 10–11), stagniert ihre Medienpräsenz auf vergleichsweise niedrigem Niveau.

Die Mediensichtbarkeit der MuK darf allerdings nicht allein aus quantitativer Perspektive beurteilt werden. Aus qualitativer Sicht stellt sich die Frage, ob das Fach in der Öffentlichkeit auch zu besonders gesellschaftsrelevanten und teils dringlichen Fragen zu Wort kommt und Antworten liefern kann. Interessant ist dabei insbesondere der Vergleich mit den Themen, die VertreterInnen der MuK als potenziell besonders fruchtbar für ein gesellschaftliches Engagement des Faches identifiziert haben (siehe Abschn. 3).

Hier ist zunächst zufriedenstellend, dass die MuK in jüngsten Debatten zur Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie zu medienpolitischen Entscheidungen durchaus zu Wort kommt. Im Kontext der Schweizerischen No-Billag-Debatte, die nichts weniger als die Abschaffung des öffentlichen Rundfunks bezweckte, lässt sich mit unseren Daten zeigen, dass sich die MuK durchaus in den Diskurs eingeschaltet hat. Auch bei Themen zu politischer Kommunikation – etwa zu Schweizer Wahlen und Abstimmungen sowie zu internationalen Konflikten – ist die Disziplin medial zunehmend präsent.

Allerdings kommt die MuK in der Berichterstattung zu den drängenden Fragen der Digitalisierung von Medien und Kommunikation kaum zur Geltung, obschon diese in der Öffentlichkeit stark diskutiert werden (vgl. Jünger und Fähnrich 2020, S. 388; Pentzold und Fölsche 2019; Stöcker 2019). Ohne Zweifel ist die Digitalisierung ein Themenfeld, zu dem viele Disziplinen etwas beizutragen haben. Die geringe Präsenz der MuK in diesen Debatten ist allerdings bemerkenswert, da das Fach insgesamt im Bereich Digitalisierung eine besondere Expertise vorzuweisen hat (vgl. Chan und Grill 2020; Lewis 2020b, S. 175) und Digitalisierung auch in der Schweiz an medien- und kommunikationswissenschaftlichen Instituten als Forschungsschwerpunkt geführt wird. Diese fachinterne Expertise übersetzt sich in der Schweiz aber nicht in eine starke oder steigende medienöffentliche Wahrnehmung.

Die geringe Sichtbarkeit der MuK in Relation zu relevanten Vergleichsdisziplinen, das Stagnieren dieser Sichtbarkeit auf niedrigem Niveau und ihre thematische Kontextualisierung lassen den Eindruck entstehen, dass die öffentliche Positionierung der MuK verbesserungswürdig ist. Initiativen wie jene zur „Öffentlichen Wissenschaft“ scheinen durchaus berechtigt – auch weil die Schweizer Bevölkerung erwartet, dass WissenschaftlerInnen ihre Erkenntnisse in den öffentlichen Diskurs einbringen (vgl. Schäfer et al. 2018).

Abschließend sei festgehalten, dass unsere Studie auch Limitationen aufweist. So wurde die öffentliche Sichtbarkeit der MuK und der untersuchten Vergleichsfächer nur in Printmedien erfasst, und dies mittels weniger Suchbegriffe, die auf den Namen der jeweiligen Disziplinen basieren und eine automatische Erfassung ermöglichten. Unberücksichtigt blieb beispielsweise die Präsenz in Radio und Fernsehen sowie in Blogs und sozialen Medien, die mittlerweile wichtig für die Vernetzung und Dissemination von Informationen auch über wissenschaftliche Themen sind (vgl. Jünger und Fähnrich 2020; Waisbord 2020, S. 80; Yeo und Brossard 2017, S. 268). Auch verdeutlicht die MuK ihre gesellschaftliche Relevanz, indem sie Beratungsleistungen erbringt, in Kommissionen mitwirkt und auf öffentlichen Veranstaltungen Wissen vermittelt und diskutiert (vgl. Altmeppen 2012, S. 38–39; Just und Puppis 2012, S. 51; Waisbord 2020, S. 15, 92). Eine weitere Limitation besteht in der Beschränkung auf die Schweizer Medienöffentlichkeit. Obwohl die Annahme plausibel ist, dass wesentliche Befunde unserer Studie auch für Deutschland oder Österreich gelten, bliebe dies zu zeigen. Grundsätzlich scheint uns eine regelmäßige, möglicherweise dauerhafte empirische Beobachtung des Fremdbildes der MuK wünschenswert und sollte institutionalisiert werden – in der Schweiz und darüber hinaus.