Zusammenfassung
Seit der Bundestagswahl 2009 versuchen auch in Deutschland alle Parteien Social-Media-Angebote auf- und auszubauen, um auf diese Weise neue Wählergruppen zu erschließen. Diese Entwicklung findet nicht nur auf Bundesebene statt, sondern auch in den deutschen Ländern. Die vorliegende Studie untersucht die Entwicklung der Social-Media-Kommunikation nach 2009 auf Ebene der Bundesländer – konkret in Bezug zu allen sieben Landtagswahlen des Jahres 2011, also in den Ländern Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Trotz der Heterogenität der Untersuchungsergebnisse lässt sich als deutlicher Trend erkennen, dass auf Landesebene Parteien erst kurz vor der Wahl in den Social Media aktiv werden. Die politische Ausrichtung einer Partei macht keinen Unterschied bei deren Social-Media-Aktivität. Zwischen den einzelnen Bundesländern sind jedoch zum Teil erhebliche Differenzen feststellbar. Darüber hinaus ist bei allen Parteien eine Tendenz zur Mobilisierung zu erkennen, mit der sie teilweise auch Partizipation und Interaktion befördern – jedoch keinen regelmäßigen Dialog mit den interessierten Bürgern herstellen können.
Abstract
The present study examines post-2009 developments on political social media communication in Germany. 2011 presented itself as an ideal period of investigation, as seven new state parliaments were elected in this year – both in largely agricultural and rural states with comparatively low population density (e.g. Mecklenburg-Western Pomerania), heavily populated city states with a modern, urban electorate (e.g. Hamburg and Berlin), and states with several regional and local centres (such as Rhineland-Palatinate or Baden-Württemberg). The total of seven cases provided sufficient variance for a cross-sectional study. In all seven state election campaigns, the social media communication of six parties was examined. In spite of the heterogeneous results of the study, clear trends are evident: All political parties are especially active immediately prior to the election. A connection between a party’s political orientation and its activity on social media could not be shown. A tendency towards mobilization is seen at for all parties. In some cases they can actually promote participation and interaction, but never achieve a sustainable dialogue with interested citizens.
Notes
Würde sich langfristig gesehen empirisch herausstellen, dass das Web 2.0 im politischen Bereich gar kein „Mitmach-Netz“ ist, würde dies nicht die partizipatorische Demokratietheorie generell entkräften, da es ja im nicht-virtuellen Raum andere Formen der verfassten Beteiligung gibt (z. B. Bürgerbefragungen, Bürgerbeteiligung, Volksentscheide auf Länderebene). Diesem Gedanken soll jedoch hier nicht weiter nachgegangen werden.
Allerdings bindet sich der User damit in keiner Weise an die jeweilige Partei. Es handelt sich um eine unverbindliche Bekundung – eine virtuelle „Sympathie light“. Denn sein Handeln zeitigt keinerlei direkte Konsequenz. Bereits einige Minuten später kann er sein „Like“ widerrufen oder bei einer anderen Partei setzen bzw. gleich bei mehreren. Deswegen ist das „Liken“ keinesfalls mit einer Wahlentscheidung zu verwechseln. Im Gegensatz zu einem „Like“ legt sich der Bürger bei einer Wahl fest – zumindest für die kommende Legislaturperiode. Seine Entscheidung hat konkrete Konsequenzen für die Regierungsbildung.
Die Piratenpartei konstituierte sich in Deutschland in weiten Teilen im Internet (bspw. durch „liquid feedback“-Kanäle) und konzentriert sich auch in ihren thematisch-inhaltlichen Schwerpunkten auf das Netz. In Berlin und bei den Neuwahlen im Saarland konnten die Piraten in die Landtage einziehen.
Zur Bevölkerungszahl und Bevölkerungsdichte des Jahres 2011 wurden Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder genutzt (Quelle: http://www.statistik-portal.de/statistik-portal/de_jb01_jahrtab1.asp).
Die Verfügbarkeit von Breitbandinternet schwankt in den deutschen Bundesländern zwischen 97,2 und 100 % (Quelle: Breitbandatlas des TÜV Rheinland 2012, http://www.zukunft-breitband.de/Dateien/BBA/PDF/breitbandatlas-bericht-mitte-2012-teil-1,property = pdf, bereich = bba,sprache = de,rwb = true.pdf). Der Anteil der männlichen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung eines Bundeslandes schwankt unter den Ländern zwischen 49 und 50 % (Quelle: http://www.statistik-portal.de/statistik-portal/de_jb01_jahrtab1.asp).
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Danksagung:
Der Autor dankt Tanja Zavalishina, Andreas Köhler und Thomas Kappeller für ihre tatkräftige Mitarbeit an dem diesem Artikel zugrunde liegenden Forschungsprojekt.
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Elter, A. Interaktion und Dialog? Eine quantitative Inhaltsanalyse der Aktivitäten deutscher Parteien bei Twitter und Facebook während der Landtagswahlkämpfe 2011 . Publizistik 58, 201–220 (2013). https://doi.org/10.1007/s11616-013-0173-1
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