Zusammenfassung
Der Beitrag wendet die sozialpsychologische Forschung zur Theorie des sozialen Vergleiches auf Medieninhalte an. Ausgangspunkt ist der als „Optimistic Bias“ bekannte Befund, dass Menschen sich selbst tendenziell besser bewerten als andere, selbst wenn es dafür keine Grundlage in der Realität gibt. Dieses Phänomen findet sich auch in sozialen Gruppen. In Kleingruppen wird ein solcher Optimistic Bias auf dem Wege der interpersonalen Kommunikation etabliert und verbreitet; er kommt der Identifikation der Individuen mit der Gruppe und damit letztlich der Gruppenstabilität zugute. Der Beitrag unterstellt, dass sich dieses Phänomen auch auf größere soziale Gruppen wie Religionsgemeinschaften, Ethnien oder soziale Schichten übertragen lässt. Hier müsste die kommunikative Verbreitung des Optimistic Bias allerdings im Rahmen der medienvermittelten Kommunikation geschehen. Es wird ein theoretisches Modell vorgestellt, das die Verbindung von Medieninhalten, deren individuelle Rezeption und Verarbeitung sowie die Rückwirkungen dieser Verarbeitung auf die soziale Struktur berücksichtigt. Anschließend werden erste empirische Belege für die Auffindbarkeit von Optimistic-Bias-Darstellungen in der Medienberichterstattung vorgestellt und die daraus resultierenden Probleme und Fragestellungen für zukünftige Forschungsarbeiten diskutiert.
Abstract
The paper applies social psychology’s results on the theory of social comparison to media content. The finding that people tend to evaluate themselves better than they evaluate others, even if there is no foundation for that in reality, presents the starting point of these considerations. Such an optimistic bias can also be observed in social groups. It is established and distributed in small groups by interpersonal communication and contributes to the individuals’ identification with the group and, thus, to the group’s stability. The paper argues that this phenomenon should be applicable to larger social groups such as religious and ethnic groups or social strata. In these cases, the optimistic bias would have to be communicatively distributed through the media. We introduce a theoretical model that combines the role of media content, its individual reception and processing, and the reciprocal effect of processing on social structure. Subsequently, first empirical evidence of optimistic-bias presentations in media discourses is presented, and resulting problems for future research are discussed.
Notes
Im Rahmen des Beitrages wird der Optimistic Bias als Schema der Medienberichterstattung bezeichnet. Eine solche Verwendung des Begriffes Schema ist in der Kommunikationswissenschaft eher ungewöhnlich. Es hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eingebürgert, strukturelle Muster in Medieninhalten als „Frames“ zu bezeichnen (vgl. zusammenfassend Scheufele 2003). Verstanden wird unter Framing die zielgerichtete Auswahl von Aspekten der Realität, die die Intention verfolgt, bestimmte Problemdefinitionen, Kausalzusammenhänge, moralische Bewertungen oder Handlungsempfehlungen nahezulegen (vgl. Entman 1993, S. 52). Eine solche intentionale Auswahl bestimmter Deutungszusammenhänge scheint bei der Reflexion des Optimistic Bias in der Medienberichterstattung jedoch nicht vorzuliegen. Bei dem Phänomen handelt es sich um ein der menschlichen Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und schließlich auch der kommunikativen Darstellung der Realität unbewusst zugrundeliegendes Muster. In diesem Zusammenhang bietet sich der Schemabegriff an, der ursprünglich eben solche mentalen Wissensstrukturen bezeichnet (vgl. Smith und Queller 2001).
Um den nun folgenden Überlegungen zustimmen zu können, muss akzeptiert werden, dass es sich auch bei solchen sehr großen sozialen Gemeinschaften um „soziale Gruppen“ handelt. Im Sinne der Sozialpsychologie ist dies der Fall. Hier wird zwar häufig in Klein- und Großgruppen unterschieden, grundsätzlich ist die Anzahl der Mitglieder einer sozialen Gruppe jedoch nach oben hin unbegrenzt. Nach Tajfel und Turner (1986) ist die hinreichende Bedingung für das Bestehen einer sozialen Gruppe, dass sich deren Mitglieder als Elemente einer gemeinsamen sozialen Kategorie wahrnehmen, eine gewisse emotionale Bindung an diese Gruppe verspüren und ihre gemeinsame Gruppenmitgliedschaft übereinstimmend wahrnehmen und bewerten. Akzeptiert man diese Definition, handelt es sich auch bei den hier genannten um soziale Gruppen. Inwiefern sich das bisher für Kleingruppen überprüfte Phänomen Optimistic Bias auch auf Großgruppen anwenden lässt, bleibt freilich weiterhin empirisch zu untersuchen.
Als Vertreter eines Rational-Choice-Ansatzes sehen Coleman und Esser für die Individualebene die Handlung als prozessuale Einheit vor. Die kognitionspsychologischen Prozesse der Informationsverarbeitung, die in diesem Beitrag in das Modell integriert werden, sind freilich nicht als Handlungen zu begreifen. Die Grundstruktur des Colemanschen/Esserschen Modells lässt sich jedoch auch auf unseren Kontext anwenden.
Im Gegenteil ließe sich gemäß dem Hostile-Media-Phänomen (vgl. Vallone et al. 1985) erwarten, dass das große Publikumsmedium von Mitgliedern kleinerer sozialer Gruppen als feindlich und verzerrt über die eigene Gruppe berichtend wahrgenommen wird – selbst wenn dies objektiv betrachtet gar nicht der Fall sein sollte.
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Müller, P. „Wir sind besser als die anderen“. Publizistik 56, 441–459 (2011). https://doi.org/10.1007/s11616-011-0130-9
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