Zusammenfassung
Medien und Medieninhalte beeinflussen die Gespräche, die wir mit anderen Personen führen. Doch in welchem Kontext finden diese „Gespräche über Medien“ statt? Und wie haben sich diese Gespräche in den letzten zehn Jahren verändert? Auf der Basis verschiedener theoretischer Ansätze, die sich mit dem Wechselspiel von Medieninformationen und gesprochener Sprache beschäftigen, zeigt eine Wiederholungsbefragung aus den Jahren 1996/97 und 2007, dass sich rund die Hälfte aller Gespräche über Medien aus Fernsehinhalten speisen. Doch auch das Internet wird als Quelle wichtiger. Die Gespräche finden eher im privaten Umfeld statt. Die Gesprächsthemen sind heterogener geworden. Gleichzeitig rücken Mediengattungen sowie die Medien selbst mehr in den Mittelpunkt der Konversation. Die Befunde der Studie sind ein Ansporn, künftig bei der Messung von Medienwirkungen den Faktor Individualkommunikation (wieder) stärker zu berücksichtigen.
Abstract
Media and media content affect the conversations that we have with other people. In which context do these conversations take place? And how have they changed in the last ten years? On the basis of a selection of theoretical approaches to the interplay between media information and spoken language, a repeated survey from the years 1996/97 and 2007 shows that about half of the talks about media deal with television content. The importance of the Internet as a source for conversation has increased. Most talks take place in a private setting. The subjects of the talks have become more heterogeneous, as media types as well as the media themselves have moved more into the focus of conversations. The results are a motivation for (re-)considering more strongly the factor of interpersonal communication when measuring media effects.
Notes
Im Zufallsverfahren ausgewählt wurden als Bruttostichprobe 2.000 Telefonnummern pro Stadt. Befragt wurde jeweils die Person im Haushalt, die als letzte ihren Geburtstag gefeiert hatte.
Ein nicht zu vernachlässigender Unsicherheitsfaktor ist allerdings die Formulierung des Themas durch den Befragten. Es kann sein, dass er mit anderen über ein sehr spezielles Thema gesprochen hat- z. B. über einen Gesetzesentwurf zum Jugendschutz –, aber nur „Politik“ im Interview geäußert hat. In diesem Fall fällt seine Nennung zusammen mit anderen Äußerungen, die ebenfalls nur als „Politik“ codiert wurden. Es ist aber zu erwarten, dass diese Unschärfe in der Formulierung in beiden Messzeiträumen etwa gleich stark auftritt.
Dies steht im Gegensatz zu den Befunden von Schönbach et al. (2005), die bei häufigen Lesern von Online-Newsdiensten einen deutlich engeren Fokus von aktuell behandelten Nachrichtenthemen feststellen als bei Zeitungslesern (Ausnahme: Befragte mit hohem Bildungsgrad). Die Papier-Zeitung stößt nach der damaligen Untersuchung den Leser eher auf Themen außerhalb seines unmittelbaren Interesses als das Internet-Pendant. Die vorliegende Studie „Gespräche über Medien“ zeigt hingegen für das Jahr 2007, als das Internet stärker verbreitet war als zehn Jahre zuvor, ein breiteres Themenspektrum bei allen Befragten zusammen. Für eine endgültige Klärung dieses divergierenden Ergebnisses müssten in einer Folgestudie die Mediennutzungsgewohnheiten sowie die Anzahl der Themennennungen der einzelnen Befragten berücksichtigt werden.
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Danksagung
Ein besonderer Dank gilt den Studierenden zweier Methodenseminare am Institut für Kommunikationswissenschaft an der WWU in Münster und am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung (IJK) der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Ein herzlicher Dank geht auch an die Institutsleitungen, die durch Erstattung der Telefonkosten die Studie finanziell unterstützt haben. Weiterhin gilt unser Dank der ersten Münsteraner BA-Kohorte im Studiengang Kommunikationswissenschaft, die die Daten von 2007 im Rahmen ihres Methodenmoduls erhoben haben.
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Gehrau, V., Goertz, L. Gespräche über Medien unter veränderten medialen Bedingungen. Publizistik 55, 153–172 (2010). https://doi.org/10.1007/s11616-010-0082-5
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