Zu den Unsitten des modernen Buchmarkts gehören die kurzen Texte in der Regel bekannter Fachvertreter:innen (neudeutsch: blurbs), die Vorschusslorbeeren (neudeutsch: praise) für die in der Regel als bahnbrechend ausgewiesenen Leistungen der Verfasser:innen enthalten. Dem von Manès Weisskircher herausgegebenen Sammelband zur radikalen Rechten in Deutschland gelingt das Kunststück, dem Anspruch seiner Lobenden gerecht zu werden. Dies liegt gleichermaßen daran, dass die hier waltenden Fachvertreter:innen auf übersteuerten Jubel verzichten, als auch daran, dass es an dem Sammelband in der Tat vieles hervorzuheben gibt. Ob der Band nun „extrem“ informativ ist (so Donatella della Porta auf dem Buchrücken), mag dahingestellt sein. Dass hier radikal rechter Protest sowohl auf der Ebene der sozialen Bewegungen als auch der Parteien analysiert wird, trifft nicht nur zu, sondern ist auch in der Tat sehr lobenswert. Swen Hutter hat recht, wenn er in seinem blurb hervorhebt, dass zwar dies allein schon innovativ ist, dass aber darüber hinaus zusätzlich die Querverbindungen zwischen radikaler Rechter auf den Straßen und in den Parlamenten analysiert werden. Cas Mudde, der den blurb-Reigen beschließt, hebt zu Recht hervor, dass der anzuzeigende Sammelband über diese Innovation hinaus immer auf internationale Vergleichbarkeit abzielt, die Analyse Deutschlands also stets vor dem Hintergrund internationaler Konzepte und im Hinblick auf internationale Entwicklungen stattfindet.

Gemäß seinem Anspruch, die Straße und die Parlamente zu analysieren, zerfällt der Band in zwei Teile (zur radikalen Rechten außerhalb der Parlamente und zum Aufstieg der AfD). Zusammengehalten wird das Ganze durch ein Vorwort von Manès Weisskircher, das sowohl aufgrund seiner nuancierten Einordnung des deutschen Falles in die internationalen Zusammenhänge als auch aufgrund seiner zugespitzten Thesen besonders positiv hervorsticht. Weisskircher betont eingangs, dass die deutsche Szene sich im Vergleich immer dadurch unterschieden habe, dass hier die radikale Rechte als Bewegung sehr einflussreich und vor allem sehr extrem gewesen sei, aber als Partei länger als in den meisten anderen etablierten Demokratien (zumal solchen mit einem Verhältniswahlrecht) nicht habe reüssieren können. Deutschland generell als Spätzünder des Nachkriegsrechtsradikalismus bezeichnen kann nur, wer ausschließlich die Parteien betrachtet und die sozialen Bewegungen übersieht. Gegen diese in der deutschen Debatte häufig anzutreffende Engführung wendet sich der Sammelband und lenkt so das Augenmerk auf eine ganze Reihe von Fragen. Was erklärt den verspäteten Aufstieg des parteipolitischen Rechtsradikalismus in Gestalt der AfD und, noch wichtiger und vor allem innovativer: Wie ist es um das Verhältnis radikal rechter sozialer Bewegungen und Parteien bestellt? Weisskircher stellt die These auf, dass es gerade der Erfolg und die damit einhergehende Radikalität ersterer war, der letztere lange kannibalisiert habe und dass sich just dieser Gegensatz in jüngster Zeit aufgelöst habe (S. 2). Auch wenn der vorliegende Sammelband diese These weder bestätigen noch entkräften kann, dürfte er damit den Ton für zukünftige Analysen des Rechtsradikalismus in Deutschland setzen.

Nimmt man Bewegungen und Parteien in den Blick, dann erscheint Deutschland nach wie vor im internationalen Vergleich als Sonderfall, diesmal eben einer erfolgreichen rechtsradikalen Partei, die mit regen und radikalen Bewegungen koexistiert. Dies ist die Essenz der von Weisskircher postulierten vierten Welle des Rechtsradikalismus in Deutschland. So ganz ohne Sonderfall-Verweis scheint es in diesem Forschungsfeld nach wie vor nicht zu gehen, auch wenn es sich hier um eine durchaus innovative Variante handelt, die zudem den Sammelband strukturiert. Die einzelnen Beiträge widmen sich erstens den diversen sozialen Bewegungen innerhalb der radikalen Rechten, namentlich Pegida (Maik Herold und Steven Schäller), Querdenken (Manès Weisskircher), und zwar auch symbolisch (Cynthia Miller-Idriss und Annett Gräfe-Geusch) sowie online und offline (Matthias Hoffmann und Julia Rone). Zweitens steht der elektorale Erfolg der AfD im Zentrum des Interesses, hier wird vor allem die Rolle der Migration (Theresa Gessler und Sophia Hunger) beleuchtet. Drittens werden auch die spezifisch deutschen formalen und informellen Normen der wehrhaften Demokratie analysiert, insbesondere im Hinblick auf die (Un‑)Willigkeit der etablierten Parteien, mit der AfD zu koalieren (David Art sowie Frank Decker, Fedor Ruhose und Philipp Adorf), aber auch deren allgemeinem Umgang mit der AfD (Anna-Sophie Heinze) sowie schließlich dem Verhältnis des deutschen Rechtsradikalismus zu Demokratie (Uwe Backes) und Gewalt (Pascal D. König und Sebastian Jäckle). Quer zu all diesen Zugriffen wird darüber hinaus die Frage nach der Rolle der Wiedervereinigung für die neue Sonderfallkonstellation in Deutschland untersucht (exklusiv von Kai Arzheimer, aber auch innerhalb der meisten anderen Beiträge).

Man mag nun sammelbandtypisch monieren, dass manche Beiträge ohne üble Nachrede auch als Aufgüsse von bereits anderswo – vor allem in Peer-Review-Zeitschriften, Stichwort Unsitten moderner Märkte – Publiziertem darstellen. Setzt man kurz die kulturkritische Brille ab, so ließe sich fragen, ob das nicht letztlich der Zweck von Sammelbänden ist: Beiträge zu versammeln, die auch anderswo existieren, aber eben mit dem Mehrwert eines eingangs benannten klaren Erkenntnisinteresses. Genau dies ist hier der Fall, und dass Manès Weisskircher in seinem Fazit noch einmal gemeinsame Ergebnisse betont, kann durchaus als Indikator für das Gelingen des ja oftmals abschätzig verhandelten Konzeptes Sammelband interpretiert werden. Festzuhalten ist aus Sicht Weisskirchers vor allem, dass rechtsradikale Bewegungen und Parteien eben keine One-Trick-Ponies mehr sind, die nur vom Thema Migration oder der damit verbundenen Betonung der nationalen Souveränität leben. Insbesondere die Covid-Pandemie habe vielmehr erwiesen, dass Rechtsradikale auch in Deutschland erstens anpassungsfähig mit ihren Themen seien und sich zweitens gar erfolgreich als Verteidiger der Freiheit stilisieren können, aktuell auch gegen (vermeintlich) zu weitreichende Belange des Klimaschutzes (S. 225). Diese Entwicklung eröffne die Möglichkeit einer fünften Welle des Rechtsradikalismus in Deutschland, mit der dessen nachholende Normalisierung verbunden sei. An dieser Stelle hätte man gern mehr darüber erfahren, ob hierzulande ein ähnlich ambivalentes Freiheitsverständnis wie beispielsweise in den USA im Entstehen ist und welche Rolle ebenjenes für den Erfolg des Rechtsradikalismus spielt. Festzuhalten bleibt dessen ungeachtet, dass der Ausblick des Sammelbandes zwar kein schöner ist, aber einer auf vorzüglich breiter konzeptioneller und empirischer Grundlage.