Einführungen in die Politische Theorie und Ideengeschichte, die auch für Studienanfänger*innen verständlich sind und sich zugleich auf der Höhe des Forschungsstands bewegen, sind nach wie vor eine gehörige Herausforderung. Erschwerend kommt hinzu, dass die gängigen autor*innen-, werk- oder diskurszentrierten Formate allesamt ihre blinden Flecken besitzen. Insofern ist die Lösung, die Ulrich von Alemann, Nina Basedahl, Gernot Graeßner und Sabrina Kovacs gefunden haben und die auf eine Kombination aller drei genannten Ansätze hinausläuft, im Prinzip durchaus zu begrüßen. Hinzu kommt, dass sich an dieser Stelle nicht unbedingt die üblichen Verdächtigen daran gemacht haben, um ein adäquates Lehrbuch über die politischen Ideen im Wandel der Zeit zu schreiben, sondern eine Autor*innengruppe, von der sowohl didaktisches Know-how als auch ein frischer Blick auf den Gegenstand zu erwarten war. Ein Bonmot eines der Verfasser aufgreifend, wonach die Politische Ideengeschichte gleichermaßen „Museum“, „Schule“ und „Ideendatenbank“ sei (S. 7; siehe von Alemann 1995, S. 187), lädt das bei UTB erschienene Buch zum „kritischen Gespräch“ mit den porträtieren Autor*innen ein. Dazu präsentiert es nicht nur 20 einschlägige Porträts von der Antike bis zur Gegenwart, sondern auch vier Essays über aktuelle demokratietheoretische Diskurse und Perspektiven.

Hintergrund der Publikation bilden drei Fernstudienhefte aus dem Masterstudiengang „Politikwissenschaft und Management“ an der Europäischen Fernhochschule Hamburg, die das vierköpfige Autor*innen-Team zu einem Lehrbuch verdichtete und erweiterte. Den weitaus größten Raum nimmt dabei das knapp 150 Seiten starke erste Kapitel zur klassischen Ideengeschichte ein, das von Gernot Graeßner, an der Euro-FH Professor für Lebenslanges Lernen, verfasst wurde. Als Auswahlkriterium für die zwölf diesbezüglich rekapitulierten Denker dient Graeßner eine (angeblich vorhandene) nicht näher benannte „Übereinstimmung in der Literatur“ (S. 11), die für die Antike Sokrates, Platon und Aristoteles, für das Mittelalter Augustinus, Marsilius von Padua und Machiavelli sowie für die neuzeitliche Vertragstheorie Hobbes und Locke ins Zentrum der Betrachtung stellt. Hieran schließen sich Montesquieu und Rousseau als Vertreter von konträren Modellen der (repräsentativen und direkten) Demokratie bzw. der Gewaltenteilung sowie Tocqueville und Marx als Analytiker der modernen Demokratie unter den ökonomischen Bedingungen des Kapitalismus an. Nach einigen kurzen methodischen Vorüberlegungen, die mit Marcus Llanque den Charakter der Politischen Ideengeschichte als „Archiv“ und „Arsenal“ für theoretische Ansätze und Argumente bestätigen (S. 14–15), sind die einzelnen Darstellungen im Anschluss jeweils grob nach dem Muster biografische Angaben – Werke – Diskussion von zentralen Positionen, Konzepten und Begriffen – Zusammenfassung aufgebaut. Kontinuierlich integriert werden überdies einschlägige Zitate aus der Primär- und Sekundärliteratur, illustrative Beispiele, Tabellen und Schaubilder sowie auch überblicksgebende Stichpunkte und Spiegelstriche, die eine didaktisch akkurate Aufbereitung des Stoffes gewährleisten und sporadisch zugleich Ausblicke auf andere Autoren (z. B. Cicero, Thomas von Aquin, Kant oder Comte), kritische Gegenstimmen oder überhaupt die Rezeptionsgeschichte geben. Am Schluss des Kapitels (S. 162) stehen zudem einige Aufgaben und Reflexionsfragen.

Die in Kapitel 1 gegebenen Informationen und Interpretationen sind in den meisten Konturen und Details verlässlich. Was unterwegs allerdings für manche Irritation sorgt, sind die gegebenen, meist zu pauschal anmutenden Einordnungen und fehlenden Kontextualisierungen. Da wird z. B. Sokrates lapidar zum „Gründer der abendländischen Philosophie“ (S. 23) deklariert, ohne etwa berühmte Vorsokratiker wie Thales, Pythagoras, Parmenides und Heraklit bzw. Sophisten wie Protagoras und Gorgias zu erwähnen oder den Konflikt zwischen Sokrates und seiner Heimatstadt Athen angemessen zu erläutern. Platon wird daraufhin unterstellt, der „Relativität“ des „eigene[n] (individuellen?) Denkens“ im Rahmen einer „lebendige[n] […] politischen Kultur“ und nicht etwa „abgeleiteten Konstruktionen“ eine „entscheidende Rolle“ eingeräumt zu haben (S. 28), was angesichts des epistemischen Fundaments der platonischen Ideenlehre sowie der konstitutiven Unterscheidung zwischen (Mehrheits‑)Meinung und elitärem Wissen zumindest missverständlich wirkt, genauso wie die Titulierung der „Gerechtigkeit als [auch] weltliches Phänomen“, bei dem sich stets die „Vorstellung […] der Stärkste[n] durchsetze“ (S. 41). Bei Aristoteles erstaunt wiederum nicht nur die eher sorglose Applikation der (neuzeitlichen) Begriffe des Staates und der Gesellschaft, sondern auch ein als Quintessenz gestalteter Kasten, der die „Modernität der aristotelischen Theorie“ in der „Balance der Macht im Kontext der Sozialstruktur und der Ökonomie“ veranschlagt, fast so, als hätte es die strikte Trennung zwischen Oikos und Polis bei ihm nie gegeben. Solche Beispiele ließen sich mühelos erweitern. So droht etwa die hervorgehobene Feststellung, dass „der Primat des Glaubens […] das Weltbild des gesamten Mittelalters, des christlichen Abendlands“ geformt habe (S. 64), zu immensen Verständnisproblemen oder sogar Irrtümern zu führen, wenn gleichzeitig Marsilius von Padua und Machiavelli eben jenem „Mittelalter“ zugeschlagen werden, zumal wenn die in diesem Fall stark verkürzte Darstellung von Marsilius auf die säkulare Grundperspektive seines Denkens erst gar nicht eingeht bzw. die von Henning Ottmann zitierte „Loslösung der Politik von der Religion“ unkommentiert lässt (S. 69). Machiavelli zudem nonchalant als „Ideengeber des Machiavellismus“ (S. 70) und Vordenker der „Fürstenherrschaft“ (S. 73) zu bezeichnen, versperrt von vornherein den Weg, den von Hans Baron oder John Pocock hypostasierten republikanischen „Bürgerhumanismus“ bei ihm und anderen Denkern der florentinischen Renaissance wahrzunehmen, selbst wenn der lancierte Bruch mit der mittelalterlichen Tradition an dieser Stelle registriert wird (S. 72). Und während bei Hobbes und Locke die Kontraste offenbar überschätzt werden (S. 88), geht bei Rousseau mehr oder weniger unter, dass der Genfer Philosoph letztlich gar kein Befürworter der Demokratie gewesen ist und die Besonderheiten seiner Vertragstheorie und seines Republikanismus weit eher durch die Konfrontation mit Hobbes sowie vor allem mit Kant zu gewinnen wären als durch einen Vergleich mit Montesquieus politischer Soziologie, die ihre Fortsetzung vor allem durch Tocqueville erfuhr. Dass Marx schließlich „heute kaum ohne die kommunistischen Diktaturen“ des 20. Jhd. zu denken sei (S. 145), wiederholt die Fehleinschätzung im Fall Machiavellis und verkennt, wie sehr Marx mit Werken wie „Die deutsche Ideologie“ oder „Das Kapital“ gegen all das angeschrieben hat, was später als Ideologie des Marxismus bekannt wurde.

Das zweite Kapitel, das Ulrich von Alemann, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, zusammen mit Sabrina Kovacs, M. A. (ebenfalls Düsseldorf), zu den politischen Ideen im 20. Jahrhundert und der Gegenwart verfasst hat, knüpft nahtlos an das erste Kapitel zur klassischen Ideengeschichte an. Im Mittelpunkt stehen die Porträts von acht Autor*innen „aus Fleisch und Blut“, die im relevanten Zeitraum „über Politik nachdachten“ (S. 169) und die sich zu einem „ausgewogenen Mix“ (S. 170) ergänzen. Die Rede ist von Max Weber, Rosa Luxemburg, Carl Schmitt, Karl Popper, Hannah Arendt, John Rawls, Jürgen Habermas und Chantal Mouffe, die den beiden Verfasser:innen entlang verschiedener Kriterien (z. B. die ideologische Ausrichtung: Liberalismus, Sozialismus oder Konservatismus; die Intensität der politikwissenschaftlichen Rezeption und Resonanz; die ggf. zugrunde liegende wissenschaftliche Theorieschule; der Gender-Gesichtspunkt sowie nicht zuletzt die Nationalität, siehe S. 238) als exemplarisch gelten, eine Auswahl, die zwar nicht näher begründet wird, aber dennoch nachvollziehbar erscheint. Auch in diesem Kapitel sollen wieder Zitate und Beispiele respektive viele Stich- und Schlagworte, die z. T. ähnlich einem Glossar konzipiert sind, die Verständlichkeit des Textes erhöhen und den Stoff mithilfe von Lernfragen und Übungsaufgaben vertiefen. Das Bemühen, mit den vorgestellten politischen Ideen und Theorien problem- und gegenwartsorientiert zu arbeiten sowie insbesondere ihren „Wandel“ aufzuzeigen, ist dabei unverkennbar. Neben den auch hier des Öfteren fehlenden oder missverständlichen Verortungen und Kontextualisierungen schlägt jedoch zusätzlich der teilweise arg legere, bisweilen flapsige Tonfall negativ zu Buche. Aus Platzgründen beschränke ich mich diesbezüglich auf ein paar wenige markante Aussagen über Carl Schmitt. Dieser avanciert bei von Alemann und Kovacs zum „Chefideologen“ der nationalsozialistischen Staatstheorie (S. 238), ohne hinreichend Einblick in das höchst komplexe, ambivalente Verhältnis des Katholiken Schmitt zum Dritten Reich zu gewähren, der dort gerade wegen seiner Theorie des autoritären Staates aufgrund ihres Kontrasts zum Fokus auf Partei und totalitäre Bewegung der NSDAP nicht wenigen verdächtig erschien. Schon zu Beginn des Buches (S. 7) verurteilte die vierköpfige Autor*innengruppe Schmitts Freund-Feind-Denken überdies als Stichwortgeber für eine „falsche Ideologie“, ohne zu bemerken, dass die Tücke der Schmittschen Freund-Feind-Dichotomie bzw. der berüchtigten sog. Schmittfalle gerade in ihrer Nicht-Falsifizierbarkeit besteht.

Kapitel 3 versammelt abschließend vier Essays über aktuelle, demokratietheoretisch relevante Diskurse, die nacheinander die Schwierigkeiten des Demokratiebegriffs (von Alemann), das verminte Feld der Identitätspolitik (Kovacs), das Verhältnis zwischen Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit (Graeßner) sowie den Zusammenhang von Toleranz, Pluralität und Streitkultur thematisieren. Der letzte Essay stammt von Nina Basedahl, Professorin für Politikwissenschaft an der Euro-FH Hamburg. Auch die Essays lassen an ihrem Anliegen, durch knappe Rekurse etwa auf Carl Schmitt und Jürgen Habermas in puncto Identitätspolitik (S. 253–254) bzw. auf Aristoteles, Rousseau, Marx und Rawls im Hinblick auf Gleichheit und Gerechtigkeit (S. 261–264) oder auf Locke, Tocqueville und Popper bezüglich der Toleranz (S. 270–272) eine anwendungsorientierte Perspektive für den zuvor geleisteten ideengeschichtlichen Überblick zu generieren, keinen Zweifel. Unter dem Strich fallen sie jedoch nicht nur allesamt zu kurz aus, um die praktischen Potenziale der Politischen Ideengeschichte für aktuelle Diskurse und Argumente wirklich zu verdeutlichen, sondern kommen vor allem im Hinblick auf die Demokratie im Grunde ohne Bezüge auf die zuvor vorgestellten Ansätze aus oder liefern wie im Essay über die Identität nur kosmetische bzw. wie im Essay über Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit weitgehend nur reproduzierende Hinweise. Dass ein neuerer Autor wie Thomas Piketty schließlich durchgängig falsch geschrieben wird (S. 263, 268) lässt nicht gerade auf eine sehr intensive Auseinandersetzung mit seinen Thesen schließen.

Die an dieser Stelle formulierte Kritik soll nicht als ein Herummäkeln an Dingen verstanden werden, die genauso für die meisten anderen Einführungen ähnlichen Kalibers gelten und bis zu einem gewissen Grad dem Format als solchem geschuldet sind. Überaus nachvollziehbar und glaubwürdig scheint es dem Rezensenten daher, dass sich Studierende der Euro-FH Hamburg mit den (Lern‑)Heften, die der vorliegenden Publikation zugrunde liegen, sehr zufrieden zeigten, eben weil das Buch von von Alemann et al. die Politische Theorie und Ideengeschichte als leicht verdauliche Kost verkauft, bei der man keinerlei Berührungsängste zu haben braucht. Indes bleibt für ideengeschichtlich etwas versiertere Leser*innen als übergreifender Eindruck doch hängen, dass die Lektüre von „Politische Ideen im Wandel der Zeit“ in mehrfacher Hinsicht an Wikipedia erinnert, will heißen: Wenn jemand über die Politische Theorie und Ideengeschichte wenig bis nichts weiß, so bietet das Buch subjektiv gefühlt einen guten Einstieg, der Orientierung verspricht. Sobald sich jemand aber ein wenig besser mit der Materie auskennt, dann überwiegen am Ende doch die Ungenauigkeiten und Verzerrungen in der Darstellung, die damit unweigerlich einhergehen, wenn ein an sich komplexer Gegenstand auf die präsentierte Art und Weise heruntergebrochen wird.