Unter den Triple-H-Autoren der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule – Max Horkheimer, Jürgen Habermas und Axel Honneth – ist es der letztgenannte, dessen sozialphilosophische Intuitionen die stärkste Prägung durch Hegel haben. Gleichzeitig ist er derjenige unter den gegenwärtigen Vertreter*innen dieser Traditionslinie der Kritischen Theorie, der in seinen Überlegungen am entschiedensten vom Marx’schen Postulat, dass der politische Staat und die kapitalistische Wirtschaft in Widerspruch zueinanderstehen, ausgeht. Und erneut hat Honneth ein gedankenreiches und originelles Werk vorgelegt, das trotz seiner strengen systematischen Disziplin so transparent argumentiert und über weite Strecken so elegant formuliert ist, dass es nahezu mühelos zu lesen ist.

Getrost darf das Buch als Generalangriff auf die gegenwärtige politikwissenschaftliche Demokratietheorie gelesen werden. Denn als „blinden Fleck der Demokratietheorie“ (S. 9) identifiziert er etwas, das ihr zwar voraus liegt, das von ihr aber niemals wirklich explizit thematisiert wird: eine in der kapitalistischen Gesellschaft existierende soziale Arbeitsteilung, die im Ergebnis dazu führt, dass die darin erlangten extrem unterschiedlich ausgestatteten sozialen Positionen darüber entscheiden, wer über welchen Einfluss auf den Prozess der demokratischen Willensbildung verfügen kann. Das ist ein eklatanter Verstoß gegen den egalitaristischen Anspruch der Demokratie. Aus Sicht Honneths ist die demokratietheoretische Vernachlässigung der Arbeitsverhältnisse umso fataler, als damit eines der ganz wenigen staatlichen Instrumente der Demokratiesicherung und -förderung ungenutzt bleibt.

En passant weist Honneth damit Ernst-Wolfgang Böckenfördes bekanntes Diktum in die Schranken, demzufolge der demokratische Rechtsstaat von Voraussetzungen zehrt, die er selbst nicht garantieren kann. Demgegenüber erläutert Honneth, dass der demokratische Rechtsstaat neben der Schulpolitik mit der Arbeitspolitik über den entscheidenden Hebel verfügt, mit dem er die Wahrscheinlichkeit der Herausbildung der Bestandsvoraussetzungen für die Demokratie gezielt erhöhen kann. An anderer Stelle attackiert Honneth ein zweites anerkanntes Diktum der modernen Demokratietheorie. Es handelt sich um Robert Putnams These, dass der ideale Nährboden für demokratisches Engagement vor allem in einem breiten Netzwerk zivilgesellschaftlicher Vereinigungen wie Sport- oder Gesangsvereinen bestehe. Dem hält Honneth die These entgegen, dass die in solchen Vereinigungen entstehenden sozialen Normen der gemeinsamen Verantwortung und reziproken Verpflichtung nicht hinreichend für das gesamte politische Gemeinwesen generalisiert sind; sie verbleiben gleichsam im Milieu der eigenen sozialen Kleingruppe.

Mit diesem Einwand ist man bereits beim Kern der Argumentation Honneths angelangt. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt in Überlegungen Hegels in den Paragrafen 250–256 seiner „Philosophie des Rechts“ über berufsständische Korporationen. Sie sollen, Hegel zufolge, neben den bedarfsdeckenden Versorgungsleistungen primär die Aufgabe erfüllen, „den gesellschaftlichen Wert der Arbeit hochzuhalten und ein Bewusstsein der wechselseitigen Abhängigkeit aller am Markt Beteiligten zu stärken“ (S. 65–66). Von diesem Hegel’schen Grundgedanken ausgehend, erschließt sich der Argumentationsgang des gesamten Buches ohne größere Schwierigkeiten.

In einem ersten Teil werden drei Paradigmen der Kritik an kapitalistischen Arbeitsverhältnissen vorgestellt. Neben der „Entfremdungskritik“, die einen intrinsischen Wert des Arbeitens unterstellen muss, sind dies die „republikanische Kritik“, wonach die Autonomie der Arbeitenden massiv eingeschränkt ist, sowie die „demokratische Kritik“. Dieses Paradigma unterscheidet sich von den anderen beiden darin, dass gesellschaftliche Arbeit als etwas verstanden wird, „das um eines anderen, höherrangigen Zweckes willen als wertvoll gelten muss“ (S. 41). Arbeit ist demnach eine soziale Praxis, die wertvoll ist, aber lediglich aufgrund der Erlangung eines übergeordneten Gutes. Dieses übergeordnete Gut, um dessentwillen Arbeit von Honneth als ein instrumentelles Gut verstanden wird, ist die demokratische Willensbildung aller Bürger*innen eines politischen Gemeinwesens. Das klingt auf den ersten Blick nach einer Abwertung der Arbeit in die Zweitrangigkeit. Tatsächlich führt es jedoch zu einer Aufwertung ihres Status für die politische Theorie. Denn die Antwort auf die Frage, wie die gesellschaftliche Arbeit organisiert werden soll, bestimmt sich somit nun nach dem intrinsischen Gut einer möglichst umfassenden und wirksamen Einbeziehung aller Gesellschaftsangehörigen in die Praktiken der Demokratie. Ähnlich wie das allgemeine und freie Wahlrecht sowie eine funktionierende Öffentlichkeit „konstitutiv“ (S. 42) für die Demokratie sind, sind es Honneth zufolge auch die ihr entgegenkommenden Arbeitsverhältnisse.

Breiten Raum nehmen in dem Buch sodann im zweiten Teil die Schilderungen der materiellen, mentalen und psychischen Einschränkungen und Beeinträchtigungen ein, die es seit Beginn des 19. Jahrhunderts vielen Bürger*innen aufgrund der mit den Arbeitsverhältnissen verbundenen Erfahrungen von Machtlosigkeit, quälenden Ängsten, zermürbenden Tätigkeiten, Unterbezahlung oder Überforderung bis heute nahezu unmöglich machen, in die Rolle von autonomen Teilnehmer*innen des demokratischen Willensbildungsprozesses zu schlüpfen. Gegen Hegel (und Marx und Arendt) verficht Honneth dabei einen deutlich umfassenderen Begriff der gesellschaftlichen Arbeit, zu dem auch unbezahlte Care-Tätigkeiten gehören. Besonders instruktiv sind in diesem Zusammenhang seine Kritik an der marxistischen Überbewertung der industriellen Arbeit und seine historischen Schilderungen zur Arbeit im Agrarsektor und der bis ins 20. Jahrhundert selbst im Mutterland des Industriekapitalismus, in Großbritannien, zahlenmäßig mit Abstand größten Beschäftigungskategorie des (überwiegend weiblichen) Dienstpersonals.

Für eine demokratieförderliche Politik der Arbeit kommt es Honneth zufolge umso mehr darauf an, neben der einzelnen Verrichtung und deren individueller Organisation und Bezahlung auch die Verknüpfung dieser Verrichtungen in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung kritisch unter die Lupe zu nehmen. Denn erst die faire Einbeziehung der Menschen in die soziale Arbeitsteilung „lässt ein Gefühl dafür entstehen, auf die anderen Gesellschaftsmitglieder angewiesen zu sein“ (S. 300). Erneut bemüht Honneth an dieser Stelle über die Art dieses Effektes eine Hegel’sche Gedankenfigur: Es sei primär die gesellschaftliche Arbeit, die „wie ein Schmelztiegel kulturell entgegengesetzte Gruppierungen zusammenbringt und damit hinterrücks […] Gemeinsinn stiftet“ (S. 300).

In dem Bild, das in dem Buch von den gegenwärtigen Arbeitsverhältnissen gezeichnet wird, „überwiegen die dunkleren Töne“ (S. 252) einer sich vertiefenden Kluft zwischen dem Anspruch auf demokratische Beteiligung und den Möglichkeiten zu deren faktischer Ausübung. Warum aber regt sich dann so wenig öffentlich wahrnehmbares Aufbegehren im Arbeitssektor? Honneth erklärt dies mit dem von den Arbeitsverhältnissen erzeugten Individualismus und Defätismus. Auf Widerstandspraktiken stoße man heute zumeist in aufmüpfiger Sabotage, im Zeitschinden oder kleinen Akten des gezielten Ungehorsams. Anders als Lenin sucht Honneth angesichts dieser Problematik jedoch nicht Zuflucht in einer Theorie der revolutionären Avantgarde. Stattdessen verficht er den Ansatz einer Politik der „transformativen Performativität“ (S. 316), die – nicht unähnlich dem rekonstruktiven Ansatz von Habermas – mit ihren Deutungsvorschlägen die bestehenden, aber zumeist verstreuten und lautlosen Widerstandsakte über ihre „noch unartikulierten Zielsetzungen aufzuklären versucht“ (S. 316) und dadurch einen „Bewusstseinsbildungsprozess in Gang setzt“ (S. 316). Mit diesem Ansatz stellt sich Honneth erneut in die Tradition einer Kritischen Theorie, die andere Menschen über ihr falsches Bewusstsein zu belehren trachtet, ohne darin ein Problem für ihr eigenes Demokratieverständnis zu sehen.

Laut Honneth fungieren die kleinen Widerstandsakte in der gegenwärtigen Arbeitswelt wie der Hegel’sche Maulwurf, der in ihrem „Inneren fortwühlt“ (S. 315) und an die eine demokratische Politik der Arbeit anknüpfen kann. Das Tableau seiner diesbezüglichen Vorschläge im letzten Teil des Buches beginnt mit einer fulminanten Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen. Stattdessen plädiert er für die Einführung einer allgemeinen sozialen Dienstpflicht, für den Ausbau staatlich unterstützter freiwilliger Sozialdienste sowie für eine bessere Entlohnung und gesellschaftliche Anerkennung von Haus‑, Sorge- und Pflegetätigkeiten. Institutionell schwebt ihm als gesellschaftliches Ideal in Anlehnung an John Stuart Mill ein System von autonom geführten Produktionsgenossenschaften sowie eine radikale Reorganisation der Arbeitsteilung vor. Da er selbst die politische Durchsetzung solcher Ideen für derzeit völlig unrealistisch hält, plädiert er für eine Politik, die sich zunächst der „Rückeroberung“ (S. 348) verlorener Errungenschaften verschreiben soll, wozu er in erster Linie die Austrocknung des Niedriglohnsektors, die Wiederbelebung von Team- und Gruppenarbeit in Betrieben sowie den Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung rechnet. Dies soll und kann nur ein starker Staat leisten.

Honneths These der Ergänzungsbedürftigkeit der politischen Demokratie durch eine ihr förderliche Organisation der gesellschaftlichen Arbeit sowie seine pragmatischen Reformvorschläge decken große Teile der arbeitspolitischen Agenda der Sozialdemokratie ab. Es ist deshalb auch wenig erstaunlich, dass sein Buch in Kreisen des Funktionärsapparats der SPD in kürzester Zeit Kultstatus erlangt hat. Das seit Kurzem einsetzende Wiederaufflammen von Arbeitskonflikten und neuen Debatten über angemessene Arbeitszeiten passt ebenfalls in die Programmatik seines Buches. Linke Kritiker*innen mögen monieren, dass er mit seinen konkreten Reformvorschlägen nicht weit genug gehe – im Zweifel blamiert sich solche wohlfeile Kritik aber nur einmal mehr vor den von Honneth nüchtern geschilderten praktischen Schwierigkeiten für die Durchsetzung weitergehender sozialistischer Vorstellungen.

Das eigentliche Problem sehe ich deshalb auch an anderer Stelle in Honneths Buch. Warum soll der von Hegel inspirierte Gedanke empirisch zutreffen, dass es primär die Erfahrungen der reziproken Anerkennung in der Arbeitswelt sind, die bei den Menschen eine generalisierte Perspektive für das Gemeinwohl des politischen Gemeinwesens erzeugt? Könnte man mit Putnam nicht doch argumentieren, dass auch in anderen lebensweltlichen Bereichen wie in Chören oder Fußballmannschaften Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebenswelten oder Ansichten aufeinandertreffen und miteinander umgehen lernen müssen? Oder, falls Honneth dagegen als Argument noch einmal den oben erwähnten Einwand aus dem Köcher zieht, dass diese zivilgesellschaftlichen Kleingruppen zu eng an bestimmte soziale Milieus gebunden sind, dann darauf replizieren, dass dies ebenso sehr für die meisten beruflichen Welten gilt? Darauf würde Honneth vermutlich wiederum antworten, dass aus diesem Grund eine einschneidende Veränderung in der Organisation der Arbeitsteilung nötig wäre – dies erscheint mir allerdings mindestens so utopisch wie eine ökonomische Welt voller autonomer Produktionsgenossenschaften. Unabhängig davon leuchtet nicht recht ein, warum die generalisierte Perspektive in der heutigen globalen Wirtschaft an den Grenzen eines einzelnen politischen Gemeinwesens Halt machen soll. Müsste nach der Logik von Honneth nicht eine in den Weltmarkt integrierte Arbeitswelt als Effekt haben, dass die Menschen in ihrem Bewusstsein den für die Umsetzung der oben genannten Reformagenda notwendigen starken Nationalstaat gedanklich transzendieren und sogleich die gesamte Menschheit als arbeitenden Kooperationszusammenhang erkennen und zum Referenzpunkt ihres politischen Denkens nehmen? Aus welcher soziomotivationalen Ressource soll sich dann aber der für Honneths politisches Projekt eminent wichtige starke Nationalstaat speisen?