Der Titel des Buches „World Statehood: The Future of World Politics“ lässt nur eingeschränkt Rückschlüsse auf seinen Inhalt zu. Zwar geht es durchaus auch um die (Kritik an der) bestehenden Literatur zu Weltstaat und Weltstaatlichkeit in der politischen Philosophie und in den Internationalen Beziehungen. Vor allem aber geht es darum, Weltpolitik neu und „groß“ zu denken. Unter Bezug auf Ansätze aus den Geschichtswissenschaften, der politischen Philosophie, den erklärenden Sozialwissenschaften und den kritisch-reflexiven Zukunftswissenschaften („futures studies“) soll die Gegenwart der Weltpolitik aufgearbeitet werden – und zwar „historically and reflexively and framed in various scales of time“.

Weltstaatlichkeit erscheint dabei als ein möglicher Fluchtpunkt (und im Vergleich zu vielen anderen Optionen zu präferierende Entwicklung) von Weltpolitik. Zur Abschätzung der Möglichkeit einer solchen Entwicklung werden dabei umfangreiche unterschiedliche Wissensbestände herangezogen, von der kritischen politischen Ökonomie über die kritische Reflexion von „big history“ (einschließlich der darin enthaltenen Perspektive auf die Verwobenheit sozialer und natürlicher Systeme) bis hin zum „scientific realism“.

Ein solches Unterfangen verlangt der Leserschaft einiges ab. Bemerkenswert ist dabei jedoch die Tiefe, in welcher der Autor (der nicht nur Politikwissenschaftler, sondern auch ausgebildeter Physiker ist) in die angesprochenen Wissensbestände eintaucht. Nicht einzelne Werke fremder Fachgebiete werden (wie oft üblich) durch eine disziplinäre Brille gelesen, sondern im besten Sinne transdisziplinär mit großer Sicherheit in Bezug auf die je unterschiedlichen Kontextdiskurse zurate gezogen.

Der erste Teil des Buches entwickelt einen kritischen Kosmopolitismus. Es geht dabei um den Entwurf eines Analyserasters unter Rückgriff auf eine (im planetaren Maßstab der „big history“) historische, kulturelle und philosophische Vielfalt von Kosmopolitismen. Eine Kritik unterschiedlicher Zentrismen ist dabei notwendiger Teil einer nicht-geozentrischen physischen Kosmologie, auf deren Grundlage ein Verständnis von Geschichte als Möglichkeit von in Stufen verlaufender, für Lernprozesse offener, dabei aber weder gerichteter noch notwendigerweise „fortschrittlicher“ Geschichte herausgearbeitet wird. Vor diesem Hintergrund widmet sich der zweite Teil des Buches der Frage, wie gegenwärtige Prozesse als Verknüpfung von sich ständig wandelnden Temporalitäten (im Sinne von nicht bestimmten Vergangenheiten und sich ändernden Antizipationen von Zukünften) verstanden werden können. Dieses Programm wird in einer Reihe stärker spezifizierter einzelner Kapitel entwickelt, so etwa zur Temporalstruktur des Kalten Krieges (bzw. des Nachdenkens darüber). Zentraler Punkt dabei ist jedoch das Argument, dass der Menschheitsgeschichte zwar eine (durch welche Rückschritte auch immer mitgekennzeichnete) Teleologie attestiert werden kann, diese aber eben nicht als Ausdruck etwa eines wirkenden Weltgeistes, sondern nur als Ergebnis transformativer, handlungsbasierter Praxis verstanden werden kann.

Dass aus einer solchen transformativen Praxis, als Ausdruck der skizzierten geschichtlichen Möglichkeit kollektiver Lernprozesse, Weltstaatlichkeit entsteht, erscheint keinesfalls als unausweichliche Entwicklung. Heikki Patomäki beschreibt jedoch, wie dies geschehen könnte. Dieser Beschreibung dient der dritte Teil des Buchs. Nach einer Auseinandersetzung mit Alexander Wendts These einer „Unausweichlichkeit“ des Weltstaates widmen sich zwei Kapitel mit einer deutlich stärkeren normativen und institutionellen Akzentuierung dem Design einer dynamischen globalen Steuer zur planetarischen Gestaltung der Governance des Klimawandels sowie der Idee eines Weltparlaments primär zum Zwecke der Auflösung von Unbestimmtheit im Völkerrecht. Das abschließende Kapitel widmet sich der Frage nach den Entstehungsbedingungen einer Weltstaatlichkeit legitimierenden global-planetarischen politischen Gemeinschaft. Deren Legitimität setzt laut Patomäki einen globalen Vorstellungshorizont voraus, welcher ethischen und politischen Pluralismus zulässt, eine Art „telos“ der Geschichte aber allein aus dieser selbst heraus in kollektiven Lernprozessen entwickelt. Der sich darin ausdrückende Kosmopolitismus schöpft seinen verhaltenen Optimismus nach der Möglichkeit solcher Lernprozesse dabei schlussendlich aus Lawrence Kohlbergs Analysen von in Stufen verlaufender moralischer Evolution in Verbindung mit Karl-Otto Apels Ausformulierung der Diskursethik als planetarische Makroethik.

Das vorliegende Buch zeichnet sich zunächst vor allem dadurch aus, dass es vielen verbreiteten Kritiken zu Abhandlungen über Weltstaat bzw. Weltstaatlichkeit mit teils erheblichem und tief fundiertem argumentativen Aufwand entgeht: Es enthält keinen Entwurf eines Welteinheitsstaates, keine Geschichtsphilosophie, wie etwa bei Wendts Thesen zum Weltstaat, und der kritische Kosmopolitismus ist in einer nicht-geozentrischen Version von „big history“ so angelegt, dass er nicht nur einen Euro-, sondern jeglichen Zentrismus dezentriert.

Wenn eine Kritik sticht, dann ist diese eher stilistischer Natur, denn das Buch mutet der Leserschaft in dieser Hinsicht einiges zu. Dass es dies auch in einer anderen Hinsicht tut, macht dieses Buch so außergewöhnlich: Wer dieses Buch zur Hand nimmt, lernt etwas über die globale Kritik an der kopernikanischen Perspektive, über eine Universalgeschichte der industriellen Revolution, über grundlegende Paradoxien und Blockaden im Völkerrecht, über Legitimitätsfragen einer globalen politischen Partei – und vieles mehr! Vor allem aber zeigt das Buch eine sehr anspruchsvolle Möglichkeit auf, gehaltvoll über weltpolitische Zukünfte durch die Einbindung hochgradig verschiedener disziplinärer und transdisziplinärer Wissensbestände nachzudenken. Eine solche mit auf Zukünfte abstellende Sichtweise erlaubt gerade vor dem Hintergrund der verbleibenden Kontingenz sozialer Evolution keine Vorhersagen. Aber sie erlaubt es doch, von weltpolitischen Umbrüchen wie denen der Jahre 1989 oder 2022 etwas weniger überrascht und im zugrunde liegenden Weltbild erschüttert zu sein, wie etwa weite Teile des Faches Internationale Beziehungen.

„World Statehood: The Future of World Politics“ ist lohnenswerte Lektüre, aber keinesfalls einfach zu verdauende Kost. Andererseits kommt es dabei in Zeiten, in denen man vielen Fachbeiträgen mit Fug und Recht einen oftmals nur geringen Grenznutzen in Bezug auf den darin enthaltenen Erkenntnisgewinn attestieren kann, wohl dem am nächsten, was (etwas altbacken klingend) auch als umfassende Gelehrsamkeit ausgezeichnet werden könnte.