Dieser Sammelband stellt ein Kompilat der Beiträge in einer Reihe von Workshops zu den Themen Partizipation, Ungleichheit und institutionelle Leistungsfähigkeit dar. Alle Beiträge nehmen die Performanz repräsentativer Institutionen in den Blick. Diese Anlage überzeugt, denn so gerät die Empirie auch in den eher theoretisch orientierten Beiträgen nie aus dem Blick. Nichts gegen Theorien der Repräsentation, aber in kaum einem Feld kommt es so sehr darauf an, die Welt nicht nur zu interpretieren, sondern sie zu verändern. Die Bandbreite reicht von Fallstudien (etwa zum „claims-making“ von Europaabgeordneten am Beispiel des Transatlatischen Freiheitsabkommens, Guri Rosén) bis zum Literaturüberblick zu bestimmten Fragestellungen. Sehr häufig betten die Autor:innen ihre eigene Forschung in einen breiteren Kontext ein. Auf diese Weise verbindet der Sammelband die beste beider Welten aus detaillierten Ergebnissen und generalisierbarem Forschungsüberblick. Im Ergebnis steht ein lesenswerter Überblick über den Stand der Repräsentationsforschung.

Wie bei Sammelbänden üblich schwankt der Informationsgehalt. Manche Befunde sind, gelinde gesagt, nicht kontraintuitiv. In der Tat: Frauen spielen in Parteien, die traditionellen Gendervorstellungen anhängen, eine geringere Rolle (Melody Crowder-Meyer). Bei anderen Beiträgen ließe sich hinterfragen, wie aufschlussreich die jeweilige Perspektive ist. Auch wenn in etablierten parlamentarischen und semipräsidentiellen Demokratien die Polarisierung keine Auswirkung auf die Dauer der Kabinettsbildung hat (Henning Bergmann und Thomas Saalfeld): Bestehen die größten Probleme der Repräsentation heute nicht eher dort, wo die Bildung von Kabinetten keine Schwierigkeiten darstellt, wohl aber ihr mittelfristiges Überleben wie in Großbritannien und Frankreich? Und welche Rolle spielt die Herausforderung des Klimawandels, der im gesamten Band nur am Rande erwähnt wird?

Eine Gesamtschau der drei Bereiche, die im Untertitel des Bandes angesprochen werden (Herausforderungen, Defizite, Reformen), ergibt im Hinblick auf die Frage, in welchem Ausmaß die Gegenwart durch eine Krise der Repräsentation gekennzeichnet ist, stets ein sehr gelungenes Nebeneinander von Pro- und Contra-Argumenten. Im Hinblick auf die Herausforderungen der Repräsentation betrachten konstruktivistische Ansätze, die davon ausgehen, dass Repräsentation auch im Wortsinn gemacht wird, den Populismus als Phänomen einer Krise der Repräsentation im Zuge der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung (so etwa Claudia Landwehr in Anlehnung an Nadia Urbinati; ähnlich argumentiert auch Michael Zürn in seinem Beitrag). Dennoch stärkt zunehmender gesellschaftlicher Protest die repräsentative Demokratie auch, weil er inklusiv wirkt (Daniel Q. Gillion). Die stärker ökonomisch motivierten Beiträge fallen etwas hinter das Niveau der Argumente des Bandes zurück. Sie führen durch die Hintertür ein von vornherein feststehendes Gemeinwohl in die Debatte ein, etwa wenn Ben Ansell und Jane Gingrich beklagen, dass eine alternde Bevölkerung keine marktgerechten politischen Präferenzen entwickelt.

Defizite als zweiter Bereich werden in diesem Band vor allem bei der deskriptiven Repräsentation verortet, namentlich im Hinblick auf die zunehmende sozioökonomische Kluft zwischen Repräsentierenden und von ihnen Repräsentierten. Hier besteht zumindest die Gefahr, dass die Entscheidungen Ersterer die Präferenzen von Geringverdienenden nicht mehr widerspiegeln (so etwa Svenja Hense und Armin Schäfer). Peter K. Enns hingegen differenziert diesen Befund und verweist darauf, dass die Defizite der Repräsentation auch vom zugrunde liegenden Modell der Responsivität abhängen. Schließlich beunruhigt im Zusammenhang mit den Defiziten der Repräsentation der Befund, dass es wenige Anzeichen dafür gibt, dass Repräsentierte sich für die Realität der deskriptiven Repräsentation interessieren (Nicholas Carnes und Noam Lupu).

Unter der dritten Rubrik, den Reformen, wird schließlich zuvorderst auf die Notwendigkeit verwiesen, über Vorstellungen von Repräsentation hinauszugehen, die nur promissorisch sind, also letztlich auf Versprechen beruhen. Die am häufigsten propagierte Abhilfe stellen Vorschläge vermehrter (Meta‑)Deliberation in vertrauensbasierten Mini-Öffentlichkeiten dar (Claudia Landwehr). Solche Mini-Öffentlichkeiten sollten allerdings nicht als ihrerseits repräsentativ missverstanden werden, sie können vielmehr Argumente liefern, aber nicht Entscheidungen treffen (Cristina Lafont). Allerdings besteht die Gefahr von Verzerrungen auch in diesem Fall fort (André Bächtiger und Vanessa Schwaiger).

Die vielleicht zentrale Frage des Bandes ist die nach der Rolle und dem Ort der Polarisierung. In den Beiträgen, die auf sozialkonstruktivistischen Vorstellungen von Repräsentation basieren, wird Polarisierung zu Recht als (mindestens auch) gemacht angesehen; in den Beiträgen, die stärker auf Fragen der Responsivität abheben, gilt hingegen gesellschaftliche Polarisierung als gegeben und begründet ihrerseits den Abbruch des politischen Diskurses der Repräsentation seitens der Repräsentierten. Insbesondere die Befunde des Unwissens und des Desinteresses aufseiten Letzterer – und zwar gleichermaßen bei formal wenig und umfassend Gebildeten ebenso wie bei sehr oder wenig Wohlhabenden – regen dazu an, Verweise auf vermeintlich objektive Defizite der Repräsentation zu hinterfragen. Ein solcher Befund würde auch zu empirischen Befunden passen, die Polarisierung weniger in „der“ Gesellschaft verorten als in ihr eine Strategie „politischer Entrepreneure“ (Catherine De Vries und Sara Hobolt 2020) sehen. Braucht es vor diesem Hintergrund wirklich deliberative Prozesse, um die Demokratie zu demokratisieren? Mit dieser – und vielen anderen – Fragen aus der Lektüre dieses Bandes entlassen zu werden und auf dem Weg viele Pro- und Contra-Argumente kennengelernt zu haben, zeugt von den Meriten eines überaus lesenswerten Überblicks über die Repräsentationsforschung.

Eine Frage bleibt offen: Warum dieser Umschlag? Hier ist ein Politiker zu sehen, der mit einer blauen Maske vor dem Gesicht zu einer Menschenmenge spricht. In seinem nur für uns sichtbaren Koffer hat dieser Politiker vier weitere verschiedenfarbige Masken im Gepäck. „Nach einer Idee von Carl Schmitt“, seufzt man hier im Geiste und hätte sich gerade in einem Band, der ausführlich auf sozialkonstruktivistische Repräsentationsvorstellungen abhebt, mehr Sensibilität für Metaphorik gewünscht (die übrigens im gesamten Band nicht angesprochen wird). Schade, gerade bei einem ansonsten so ausgewogenen und niveauvollen Sammelband.