Wie kommt es, dass der anfängliche Enthusiasmus für Joe Bidens Präsidentschaft schnell verpufft ist? Hat der linke Parteiflügel der Demokraten seinen Aufschwung zu früh gefeiert? Wie steht es um die Chancen progressiver Politik in den USA zur Halbzeit der Biden-Administration? In ihrer Monografie zieht Margit Mayer Bilanz. Sie fragt vor dem Hintergrund restriktiver Strukturen im politischen System, einer sich radikalisierenden Republikanischen Partei und einer tief ungleichen ökonomischen Realität nach den Erfolgen und Niederlagen der Biden-Amtszeit. Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf linke Bewegungen, allem voran die demokratisch-sozialistische Linke und Black Lives Matter, sowie deren Verhältnis zur Demokratischen Partei und ihren (bisweilen ausbleibenden) Einfluss auf verschiedene innenpolitische Felder, einschließlich der Klima‑, Wirtschafts‑, Gewerkschafts‑, Gesundheits- und Sozialpolitik.

Dass es die Linke, wie sie vielleicht in ihrer Hochzeit im Kalten Krieg als mehr oder weniger geeinigte politische Formation noch existiert haben mag, nicht mehr gibt, ist für Mayer ein Schlüssel zum Verständnis gegenwärtiger Politik in den USA. Die Fragmentierung progressiver Gruppierungen mit sehr unterschiedlichen Zielen und Vorstellungen von Politik bestimmt das politische Geschehen – und dies, wie die Autorin unterstreicht, mit oft negativen Folgen. Die ersten zwei Jahre unter Biden präsentiert sie nicht zuletzt deshalb als durchwachsen. Zwar habe seine Administration sehr wohl legislative Erfolge erzielt, allem voran mit der Verabschiedung des 1,9 Billionen Dollar Rescue Plan (S. 18) zur Pandemiebekämpfung, mit dem 1,2 Billionen Dollar Infrastrukturgesetz (S. 114) vom November 2021 und mit der im August 2022 verabschiedeten Inflation Reduction Bill (S. 116). Aber die ursprünglich zur Debatte stehende Sozial- und Klimagesetzgebung, die eigentlich hätte als zweites Infrastrukturpaket (Build Back Better) und als zentrales Anliegen der progressiven Linken geliefert werden sollen, sei in jener Inflation Reduction Bill bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschrumpft und den machtvollen konservativen Demokraten Kyrsten Sinema und Joe Manchin geopfert worden. Versprechungen und Ankündigungen zur Reform der Polizei und der Wahlgesetze wiederum oder in der Migrationspolitik und zur Ausweitung der Krankenversicherung seien größtenteils im Sande verlaufen, ganz zu schweigen von der Abtreibungspolitik, bei der man viel entschiedener hätte handeln können. Eine Streikwelle bei Starbucks und Amazon sei zwar ein Hoffnungsschimmer für die arbeitende Bevölkerung, aber sicherlich nicht als Erfolg der Biden-Administration zu sehen – die Führungspersonal von Amazon im eigenen Übergangsteam hatte (S. 160) und die Marktkräfte, wenn überhaupt, dann nur sehr widerwillig einschränke.

Besonders interessant ist Mayers Analyse der Reaktionen beider großer Lager der progressiven Linken auf Bidens Politik. So sei der Einfluss der Demokratischen Sozialisten auf nationaler Ebene insgesamt betrachtet „äußerst mager“, da progressive Kongressmitglieder sich dem „enormen disziplinierenden Druck“ (S. 173) der Demokratischen Partei und ihrem rechten Flügel hat fügen müssen. Durch die Verwässerung der Gesetzespakete habe man sich auf marktförmige Alternativen eingelassen, die die eigentlichen Probleme nicht bei der Wurzel packen könnten. Die Black-Lives-Matter-Bewegung für ihren Teil habe sich in internen Kämpfen aufgerieben und durch ihr intransparentes Finanzgebaren viel Vertrauen (und Geld) verspielt. In beiden Lagern habe man sich von den eigentlichen Hauptschauplätzen ablenken lassen: zum einen durch einen zu sehr auf diskursive Fragen fokussierten Identitätsdiskurs, der die Solidarität nicht als Frage der Klasse, sondern der individuellen (ethnischen oder sexuellen) Zugehörigkeit stellt, und zum anderen durch ein Verpuffen vieler finanzieller Mittel, die eben nicht einer neuen, post-neoliberalen Vorstellung des öffentlichen Gutes zugutegekommen, sondern oft über öffentlich-private Strukturen in den Händen von Unternehmen und Privatpersonen versickert sind (S. 191).

Diese Darstellung der US-Linken bietet ein differenziertes Bild, das über die gewöhnlichen Darstellungen beispielsweise in den deutschsprachigen Medien hinausgeht. Das Schlagwort Polarisierung ist dort fast zu einem Totschlagargument verkommen, um den Trumpismus und andere Übel der gesellschaftlichen Entwicklung in den USA zu erklären. In der politikwissenschaftlichen Forschung wird manchmal, wenn auch lange nicht immer, darauf verwiesen, dass auch innerhalb der Parteien tiefe Gräben entstanden sind. Aber selten wird erklärt, was genau das impliziert. Wie uns Margit Mayers Buch an vielen Beispielen vor Augen führt, verlaufen jene Spaltungstendenzen entlang wechselseitiger Abhängigkeiten: zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen, die auch für politische Zwecke kooptiert werden können, und einer Partei, die zwar für die arbeitende Bevölkerung argumentiert, aber oft de facto eine Politik für Großkonzerne und die Wall Street macht. Ob dabei allerdings die Kooptierung eine zwangsläufige ist und, zumindest theoretisch, Identitätspolitik nicht auch zusammen mit Klassenfragen angegangen werden könnte, statt im steten Zielkonflikt zu stehen, bleibt eine offene Frage.

Die progressive Linke, so viel scheint klar, befindet sich in einer Zwickmühle. Und die Demokratische Partei scheint dies für sich zu nutzen zu wissen. Denn das Gegenüber einer radikalisierten Republikanischen Partei zwingt den linken Flügel zu Kompromissen, zu denen er sich unter anderen Umständen wohl nicht hinreißen ließe. Gleichzeitig habe das Parteiestablishment die Chance verpasst, Graswurzelbewegungen der letzten Jahre wirklich für die Demokratische Partei zu mobilisieren. Vielmehr sei sie einem neoliberalen Status quo ante verhaftet, der angesichts republikanischer Versuche, Wahlprozesse zu beeinflussen und die Bürokratie des Staatsapparats umzubauen, fast unentrinnbar scheint. Das Bewusstsein um die Krise der Demokratie führt dann eben nicht mehr dazu, die Probleme einer tief ungleichen Gesellschaft politisch am Schopfe zu packen, sondern zu neuen Sachzwängen, die genau solche Krisenbewältigungsstrategien unterlaufen.

Das Buch von Margit Mayer ist hochaktuell in seiner Analyse der letzten zwei Jahre, die es mit großem Geschick und Überblick in historische Bezüge setzt. Es stellt wichtige Fragen über die Möglichkeitsräume der progressiven Linken unter gegenwärtigen institutionellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, ist ums Detail bemüht und verarbeitet eine Unmenge aufwendig recherchierter Quellen. Es dürfte damit Expertinnen und Experten genauso wie eine breitere Leserschaft ansprechen. Mayer argumentiert überzeugend und unaufgeregt, um den Blick von der unmittelbaren Vergangenheit auf die verbleibenden Jahre unter Biden und die bevorstehenden Krisen und Möglichkeiten der US-Demokratie zu richten. Allen, die das politische System, die Demokratische Partei und die sozialen Bewegungen der progressiven Linken in den USA sowie die großen Fragen und Konfliktlinien einer krisengeschüttelten Nation besser verstehen möchten, sei dieses Buch dringend empfohlen.