Die Herausforderungen, mit denen Regierungen und Verwaltungen im 21. Jahrhundert konfrontiert sind, lassen sich als multiple Krisen beschreiben. Sie resultieren aber auch aus einer zunehmenden und dauerhaften Komplexität der Gesellschaft und Turbulenzen in deren Entwicklung. Christopher Ansell definierte in einem 2016 erschienenen Buchbeitrag Turbulenz als „situations where demands interact in a highly variable, inconsistent, unexpected, and/or unpredictable manner“. Turbulenz, so seine Schlussfolgerung, erfordere eine anpassungsfähige Politik in flexiblen, d. h. multiplexen, redundanten und lose gekoppelten Organisationen und Institutionen. Der hier vorzustellende Band greift diese theoretischen Überlegungen auf mit dem Ziel, sie in exemplarische Fallstudien zu konkretisieren.

Die Herausgeberin und die Herausgeber präzisieren in ihren einleitenden Kapiteln die Begriffe „Komplexität“ bzw. „Turbulenz“ und erläutern die vier Leitbegriffe, denen sie die im Band enthaltenen Fallstudien zugeordnet haben, nämlich: „design“, „agency“, „power“ und „resilience“. Sie gehen davon aus, dass Regierungen und Verwaltungen ihre komplexen Aufgaben nur in einem integrativen, netzwerkartigen und anpassungsfähigen Organisationsgefüge erfüllen können, in dem öffentliche und private Akteure ihre Kompetenzen und Ressourcen bündeln, dabei aber vermeiden, dass Machtverhältnisse blockierend wirken. Wachsende Turbulenzen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik erfordern stabile und zugleich veränderbare Strukturen des Regierens, die etwa konstante primäre und variable sekundäre Organisationen kombinieren, lose gekoppelte Strukturen aufweisen und Reform routinisieren. Der skizzierte analytische Rahmen kann die empirische Forschung leiten. Die nachfolgenden Kapitel geben einen Einblick in die Breite des damit eröffneten Forschungsfelds.

Die im Band dargestellten empirischen Studien greifen den analytischen Rahmen mehr oder weniger gut auf. Die Autorinnen und Autoren stützen ihre Analysen auf jeweils unterschiedliche Theorien. Diese reichen vom Ideational Institutionalism (Kap. 3) über den von Morton Egeberg und Jarle Trondal entwickelten Organisational Approach (Kap. 5), das Advocacy Coalition Framework (Kap. 8) bis zur sozialpsychologischen Verhandlungstheorie (Kap. 10). Andere Beiträge gehen von Konzepten wie Public-Private Partnerships (Kap. 4), Networked Governance (Kap. 6 und 11), Participatory Democracy (Kap. 7), Power Dynamics (Kap. 9) oder organisatorische Resilienz (Kap. 11 und 12) aus. Ebenso vielfältig sind die Politikfelder und Aufgabenbereiche, in denen die beteiligten Autorinnen und Autoren mit verschiedenen Methoden den Umgang mit Komplexität und Turbulenz untersuchten. Es geht um künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Schutz vor Cyber-Angriffen auf kritische Infrastruktur, Anpassung der Landwirtschaft und Bekämpfung antimikrobieller Resistenz, Sexualerziehung sowie den Struktur- und Funktionswandel von italienischen Opernhäusern. Diese Vielfalt der Themen und theoretischen Ansätze ist durchaus interessant, wenngleich sie einem Vergleich der Ergebnisse entgegensteht. Eine derartige Heterogenität ist in einem Sammelbandprojekt schwerlich zu vermeiden, wenn die Autorinnen und Autoren auf ihre eigene Forschung zurückgreifen. Die Frage ist allerdings, welche Schlussfolgerungen sich aus den Kapiteln ziehen lassen, zumal die in ihnen dargestellten Studien von unterschiedlicher wissenschaftlicher Qualität sind.

Angesichts dessen, aber auch der Tatsache, dass das Thema nicht nur auf Komplexität verweist, sondern auch selbst höchst komplex ist, kann man verstehen, dass die Herausgeberin und die Herausgeber den Band nur mit der Skizze einer Forschungsagenda abschließen. Tatsächlich versuchen sie in ihrem Epilog auch, wichtige Erkenntnisse aus den Fallstudien zusammenzufassen und im Hinblick auf die Theorieentwicklung zu interpretieren. Nicht uninteressant ist ihre Ergänzung der Empirie um Gespräche mit Praktikerinnen und Praktikern, die mit dem Management der COVID-19-Pandemie in Australien bzw. Norwegen befasst waren. Allerdings messen sie den Berichten dieser Personen angesichts der geringen Zahl von je zwei pro Land zu viel Aussagekraft bei. Zudem fällt auf, dass die Einschätzungen der Expertinnen und Experten teilweise von den Folgerungen aus den Forschungsbeiträgen abweichen. Letztere betonen die Bedeutung von „meta-governance“ oder „design thinking“ (S. 267), während in der Praxis des Pandemie-Managements schnelle Reaktionen erforderlich waren und Strukturen und Prozesse ad hoc angepasst wurden. Die Forschung hebt die Bedeutung von Kooperation und interorganisatorischen Netzwerken hervor, in der Praxis scheinen aber Versuch und Irrtum, persönliche Kontakte und Durchsetzungsfähigkeit einzelner Akteure wichtiger zu sein. Vorausschauende Politik mag erforderlich sein, aber die Praxis reagiert auf Turbulenz wohl eher mit pragmatischem Vorgehen und inkrementellen Veränderungen. Diese Divergenzen sind bemerkenswert, werden aber nicht diskutiert.

Die Herausgeberin und die Herausgeber halten sich mit verallgemeinerbaren Schlussfolgerungen zurück oder formulieren diese in relativ abstrakten Begriffen. Ihre Kernbotschaft lautet, dass die empirische Forschung eine Vielfalt neuer, teils intendierter und teils emergenter Governance-Formen zeigt. Die künftige Forschung sollte daher dazu dienen, Entstehung, Strukturen und Funktionsweisen der diversen Governance-Formen und ihre Wirkungen im Regieren und Verwalten genauer zu beschreiben und zu verstehen. Dazu bedarf es systematisch angelegter vergleichender Analysen, die mit einem Sammelband schwerlich gelingen. Der vorliegende Band wirft zudem die Frage auf, ob und inwieweit man über das Regieren unter der Bedingung von Komplexität und Turbulenz überhaupt generalisierbare Erkenntnisse gewinnen kann. Schon der Gehalt dieser beiden Begriffe bedürfte der kontextbezogenen Konkretisierung, um Governance vergleichend untersuchen zu können und Theorien mittlerer Reichweite zu erarbeiten. Trotz einiger Schwächen bereitet der vorliegende Band dieser Forschung den Weg.