Die Bedeutung des Internets als Kerntechnologie für die zukünftige globale Weltordnung wird aktuell rege diskutiert. Im Mittelpunkt der Debatte stehen hier meist die USA und China mit ihren eigenen Technosphären und die Position Europas in diesem Spannungsfeld. In diesen Diskurs reiht sich die Studie von Niklas van Alst ein, die an seine Dissertation an der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr in Hamburg, anknüpft. Er nimmt eine historische Perspektive ein, mit der Begründung, dass sich die aktuellen Dominanzverhältnisse im Informationsraum bereits vor der Erfindung des Internets entwickelt haben. Den Ursprung insbesondere der dominanten Rolle der USA in den globalen informationstechnischen Netzwerken sieht van Alst in den Vorgängertechnologien des 20. Jahrhunderts: der Telegrafie und der Telekommunikation. Van Alst will mit seiner Studie einen „Beitrag zu einem besseren Verständnis der amerikanisch-chinesischen Konkurrenz um Einfluss auf die Telekommunikationsmärkte in Deutschland und Europa“ (S. 7) leisten. Hierfür beschreibt er auf 90 Seiten und in sieben Kapiteln die Geschichte der Informationstechnologie seit dem 19. Jahrhundert und deren geoökonomische und geopolitische Bedeutung.

Van Alst strukturiert seine Studie in historisch-thematischen Perioden. Kapitel zwei beschreibt die Geschichte der globalen Kommunikationsinfrastruktur (Telegrafie und Telefonie), die ausschlaggebend war für die Wahrnehmung des Internets als US-dominierte Technologie. Er beschreibt Großbritannien als Ursprungsland der Telegrafie und eines ersten globalen Kommunikationsnetzwerks, das es sowohl wirtschaftlich als auch in geopolitischen Konflikten nutzte. Diese Vormachtstellung wurde durch die Weltkriege und die Verdrängung der Telegrafie durch die Telekommunikation aufgeweicht. Die USA wurden ab den 1960er-Jahren zum zentralen Akteur bei der Bereitstellung von Kommunikationsinfrastruktur, besonders im Zuge des Kalten Krieges. Kapitel drei fokussiert den „unipolaren Moment“ (S. 23), der auf den Zerfall der Sowjetunion 1991 folgte und gute Voraussetzungen schuf, um das Internet und US-amerikanische Soft- und Hardware global zu verbreiten. Kapitel vier beschreibt das wachsende Verständnis für die Gefahren und Möglichkeiten der nachrichtendienstlichen Nutzung des Internets durch den sogenannten Global War on Terror, den der US-Präsident George W. Bush infolge der Terroranschläge am 11. September 2001 ausrief. Ferner entwickelte sich ein stärkeres Bewusstsein für die geopolitische Bedeutung der physischen Internetinfrastruktur in Deutschland nach der Aufdeckung der NSA-Überwachungsaffäre 2013. Bis zu diesem Zeitpunkt diagnostiziert van Alst Deutschland ein weitgehendes Desinteresse am Aufbau eigener Kommunikationsinfrastruktur, ja sogar Unverständnis gegenüber dessen geopolitischer Bedeutung. Deutschlands Schwäche in diesem Bereich war z. T. historisch bedingt. Nach den Niederlagen im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden die deutschen Seekabel unter den Siegermächten aufgeteilt. Kapitel fünf beschreibt eine neue Phase der Konkurrenz um die Kommunikationshoheit durch den Aufstieg Chinas. Van Alst diagnostiziert der USA den Verlust der Position als Weltsicherheitsmacht nach den erfolglosen militärischen Einsätzen im Irak und in Afghanistan sowie den Niedergang als Weltwirtschaftsmacht durch die Finanzkrise 2008/2009. Die Stellung als Weltkommunikationsmacht ist mit dem Aufstieg und der Internationalisierung Chinas nun ebenfalls in Gefahr. Die neue Qualität der Bedrohung der US-amerikanischen Vormachtstellung im Bereich der Kommunikationsinfrastruktur besteht van Alst zufolge darin, dass es nun nicht mehr (nur) um die Nutzung amerikanisch kontrollierter Internetinfrastruktur für Cyber Warfare geht, wie noch zur Zeit des Global War on Terror. Vielmehr handelt es sich bei China um einen Gegenspieler, „der sich nicht nur das Internet zunutze macht, sondern durch stärker werdende Innovations- und Wirtschaftskraft auch dessen technische Struktur und Funktionsweise zunehmend kontrollieren könnte“ (S. 49). Kapitel sechs beschreibt den Konflikt um das Unternehmen Huawei als „vorläufigen Höhepunkt der amerikanisch-chinesischen Konkurrenz um globale Kommunikationsnetzwerke, Absatzmärkte und Einflusszonen“ (S. 55) und wirft die Frage auf, ob das Internet drohe, in eine chinesische und eine amerikanische Technosphäre zu zerfallen. Der Positionierung Deutschlands und insbesondere der EU in diesem Spannungsfeld wird entscheidende Bedeutung beigemessen für das Entstehen einer bipolaren Weltordnung oder deren Vermeidung. Kapitel sieben zieht als Fazit, dass es mehr geopolitischem und geostrategischem Denken in der EU bedarf und sie auf dem Feld der Informations- und Kommunikationstechnologie aufholen muss. Informationstechnologische Konkurrenz zwischen China und den USA könne zudem Gestaltungsspielraum für Europa eröffnen, indem bewusst Technologie aus beiden Sphären eingebunden wird. Van Alst schließt seine Studie mit dem Hinweis auf den Handlungsspielraum Europas und die Bedeutung, die der Positionsfindung der EU beim Thema digitale Infrastruktur zukommt. Dies fügt sich ein in die geopolitischen Denkmodelle, die von Alst als zentral für die US-amerikanische Geopolitik des Internets erkennt, und die Europa bzw. Eurasien – unter Bezug auf die Heartland Theory von Halford Mackinder – als zentrale geografische Einflusszone definieren. Der Kontrolle über Osteuropa, das eine räumliche Verbindung zwischen Zentraleuropa und Asien herstellt, kommt hier eine besondere Bedeutung zu.

Van Alst bietet sowohl einen Deutungsansatz für die US-amerikanische Dominanz des Internets als auch für den Rückstand Deutschlands in diesem Bereich an. Seine Studie ist eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Geschichte und geopolitischen Bedeutung der Kommunikationsinfrastruktur seit der Telegrafie. Sie leistet eine intensive Auseinandersetzung mit der US-amerikanischen Geopolitik im Zeitalter des Internets und den dahinterstehenden Denkmodellen. Eine vergleichbare Tiefe lässt die Studie in den Kapiteln über den Aufstieg Chinas und den Konflikt um das Unternehmen Huawei jedoch vermissen. Die großen geo- und industriepolitischen Projekte Chinas wie die Belt-and-Road-Initiative (zu See, Land und digital) und die Made-in-China-2025-Strategie werden genannt und gedeutet, eine Auseinandersetzung mit den Denkmodellen, die die chinesische Geopolitik prägen, findet nicht statt. Ähnliches gilt für die Analyse des Unternehmens Huawei. Es wird als Gegenstand des seit 2018 andauernden US-amerikanisch-chinesischen Handelskriegs beschrieben, eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Unternehmen selbst, dessen strategische Ausrichtung, Firmengeschichte und Produktportfolio findet nicht statt.

Niklas van Alsts Studie ist eine interessante Lektüre für Leser*innen, die sich für die historische geopolitische Bedeutung von Kommunikationsinfrastruktur interessieren und schafft ein gutes Verständnis für die Bedeutung, die die USA dieser historisch wie auch aktuell beimisst. Was Chinas geopolitische und geostrategische Ausrichtung und das Unternehmen Huawei betrifft, bleiben Fragen offen.