Zu den Grundannahmen agonal-demokratischen Denkens gehört, dass die Demokratie konstitutiv auf das öffentliche Austragen von Dissens und Konflikt angewiesen ist. Das schließt nicht nur die potenzielle Infragestellung etablierter Institutionen, Verfahren und Regeln ein, sondern auch die Grundlagen politischer Ordnung selbst. Agonale Demokratie und staatliche Strukturen stehen gleichwohl nicht per se in einem oppositionellen Verhältnis. Die Debatte um das ungeklärte Verhältnis von agonaler Demokratie und Staat ist über die Kritik eines institutionellen Defizits agonaler Demokratietheorien hinaus mittlerweile in einer zweiten Diskussionsrunde angelangt. Der von Manon Westphal herausgegebene Band setzt hier an: Ausgehend von der Diagnose, „dass agonale Theoretiker*innen über das Thematisieren der allgemeinen Relevanz von Institutionen oft nicht hinausgehen und die Frage nach spezifisch agonalen Funktionen und Funktionsweisen von Institutionen weitgehend unbearbeitet lassen“ (S. 10), teilen die Autor*innen des vorliegenden Bandes das Anliegen, das institutionelle Profil agonaler Demokratie zu schärfen.

Die ersten drei Beiträge des Bandes untersuchen das Institutionenverständnis Chantal Mouffes. Ausgangspunkt ist die geteilte Diagnose, dass Mouffe einerseits klassisch politische Institutionen der liberalen Demokratie affirmiere und diesen zentrale demokratietheoretische Funktionen zuweise, durch dieses eher konventionell und einseitig angelegte sowie weitgehend unausgearbeitete Institutionenverständnis andererseits aber das radikale Potenzial ihrer Demokratietheorie nicht einlöse. Dieses muss erst erschlossen und weitergedacht werden. Für Dirk Jörke und Christoph Held besteht das Hauptproblem an Mouffes Institutionenkritik, dass sie das liberale Institutionenarrangement selbst nicht infrage stelle, sondern lediglich die fehlende agonale Konfrontation innerhalb der liberalen Repräsentationsdemokratie, woraus sie die unbestimmte Forderung nach einer Repolitisierung und Radikalisierung repräsentativer Institutionen ableite. In dieser grundsätzlichen Anerkennung des liberaldemokratischen Rahmens übersehe Mouffe politische und soziale Ausschlussmechanismen der liberalen Ordnung. Für eine radikalere und demokratischere Institutionentheorie brechen die Autoren mit dem liberalen Universalismus und schlagen unter Aktualisierung des Mischverfassungsdenkens Niccolò Machiavellis klassenspezifische Institutionen vor, die die Vielen vor Übergriffen durch die Wenigen schützen und zu politischer Einflussnahme auf die (Um‑)Gestaltung gerade auch klassisch liberaler Institutionen wie das Eigentum ermächtigen.

Auch Stefan Wallaschek stellt die Radikalität von Mouffes Demokratietheorie infrage: Mit der Reduzierung sozialer Bewegungen auf ihre Mobilisierungsfunktion zugunsten der Fokussierung auf Parteien als Orte, in denen die eigentliche Formierung von (Gegen‑)Hegemonien sowie deren produktive Umwandlung von antagonistischen in agonale Konfliktformationen stattfinde, erkenne Mouffe die Bedingungen repräsentativer Demokratie weitgehend an. Wallaschek plädiert demgegenüber für ein hierarchiefreies Verständnis von Bewegungen und Parteien und bringt dafür ein dynamisches Konzept von Solidarität als diskurstheoretische Äquivalenzkette in Stellung, das als ethische Basis agonaler Demokratie die Ressourcen sowohl zur Konstruktion kollektiver Identitäten als auch zum Kampf für die Rechte Ausgeschlossener bereitstellt. Offen bleiben indessen die Realisierungsbedingungen einer solchen agonalen solidarischen Praxis insbesondere in Hinblick auf die Gefahr, dass ein Gegen-Andere-Handeln aus Kampfsolidarität wie ein Füreinander-Handeln aus Gemeinschaftssolidarität kollektive Identitäten verhärten und konformieren kann und somit droht, eben doch keinen Raum für eine radikale Demokratisierung zu lassen.

Malte Miram setzt grundsätzlicher an. Der Debatte um das Institutionendefizit attestiert er selbst ein Defizit: nämlich einen unterbestimmten Institutionenbegriff. Dies nimmt er zum Ausgangspunkt für eine breit angelegte Untersuchung politikwissenschaftlicher und soziologischer Institutionenverständnisse, mit der eine originelle Perspektive auf Institutionen in Mouffes Demokratietheorie gewonnen wird: Neben dem Befund, dass in dieser klassischen politischen Institutionen zentrale Funktionen der Konfliktkonstituierung und -regulierung zukommen, ließen sich außerdem über einen soziologischen Zugriff hegemoniale Diskurse und verstetigte soziale Praktiken als soziale Institutionen identifizieren. Zum Gegenstand der Kritik müssten nach Maßgabe des Mouffe’schen Politikverständnisses dann die politischen wie auch sozialen Institutionen werden, die keine Möglichkeiten des Einspruchs, der Infragestellung und Kritik aufweisen.

Im Mittelpunkt der beiden Folgebeiträge stehen demokratische Repräsentationsbeziehungen. In seinem Plädoyer für einen radikaldemokratischen Republikanismus führt Steffen Herrmann zentrale Einsichten beider Denkrichtungen in einem Konzept der deskriptiven Gruppenrepräsentation als spezifisch agonale Institution fruchtbar zusammen: die aus Philip Pettits Konzept der Freiheit als Nichtbeherrschung gewonnene republikanische Einsicht, dass nicht jede Form der staatlichen Einmischung in einem Gegensatz zur individuellen Freiheit steht, sondern staatliche Regelungen und Gesetze im Gegenteil die Bedingungen ihrer Realisierung bereitstellen, und das radikaldemokratische Bewusstsein für institutionelle Exklusionsmechanismen. Wenngleich Herrmann für die konzeptionelle Weiterentwicklung einer emanzipativen politischen Institutionentheorie das Potenzial republikanischen Denkens zugunsten der Radikaldemokratisierung politischer Institutionen nicht ausschöpft, so bringt der Beitrag doch eine Reihe weiterer republikanischer Leitideen ins Spiel – von einem Konzept politischer Urteilskraft über das emanzipative Potenzial von Narrationen bis hin zum Theorem der Integration durch Konflikt.

Auch Milos Rodatos und Rieke Trimçev nähern sich der Institutionenfrage in der agonalen Demokratietheorie über den Repräsentationsbegriff. Dazu wählen sie mit Jacques Rancière und Ernesto Laclau zwei besonders institutionenskeptische, aber – wie Rodatos und Trimçev argumentieren – nicht antiinstitutionelle Denker. Vielmehr ließe sich aus ihren radikaldemokratischen Demokratietheorien ein alternatives Konzept repräsentativer Demokratie entwickeln, das durch die institutionelle Ausgestaltung asymmetrischer Repräsentationsbeziehungen nach dem Prinzip der Unterbrechung (Rancière) oder nach dem Prinzip der Multiplikation (Laclau) der Realisierung des radikaldemokratischen Versprechens auf Emanzipation entgegenkomme.

Im Spannungsfeld zwischen kollektiver Ermächtigung in potenziell emanzipatorischer Absicht und der Exklusion bestimmter Bevölkerungsteile lässt sich aus radikaldemokratischer Sicht auch der Demosbegriff verorten. Diesem demokratietheoretischen Kernbegriff wendet sich Franziska Martinsen im ersten von drei Beiträgen zu den Institutionen Verfassung und Recht zu. Sie identifiziert in agonalen und radikalen Demokratietheorien eine Sensibilität für den ambivalenten Charakter des Demosbegriffs. Aus dem Streit um Zugehörigkeit resultiere jedoch nicht die radikaldemokratische Forderung der Aufhebung jeglicher Grenzen, sondern der Institutionalisierung vielfältiger und fortlaufender Aushandlungsmodi von Demosgrenzen.

In den beiden Folgebeiträgen entwickeln Oliver W. Lembcke sowie Danny Michelsen entlang der Theorien von Bonnie Honig, James Tully und Chantal Mouffe verschiedene Ideen für die Gestaltung einer konfliktorientierten Rechts- bzw. Verfassungsordnung. Als gemeinsame Kernannahme eines agonalen Konstitutionalismus gilt der politische Ursprung des Rechts und die daraus abgeleitete Forderung nach einer Institutionalisierung von Offenheit für demokratische Neuaushandlungen von Verfassungsnormen und -prinzipien. In der von den Beiträgern aufgebotenen Dreierkonstellation vertrete Mouffe den Vorrang der Politik gegenüber dem Recht zwar am stärksten, doch wie Michelsen darlegt, stelle auch ihr Ansatz eines konfliktiven Konsenses auf die institutionelle Offenlegung des politischen Kampfes um die hegemoniale Auslegung der konstitutionellen Prinzipien Freiheit und Gleichheit in Verfassungsgerichten ab. Für Lembcke zeigt Mouffes Rekurs auf ein demokratisches Zivilbürgerschaftskonzept zudem, dass ein radikaldemokratisches Rechtsverständnis nicht trotz, sondern gerade wegen des Streits um grundlegende Verfassungsnormen das Gemeinwesen integriere.

Den Abschluss des Bandes bilden zwei Beiträge zu den Herausforderungen der agonalen Demokratie durch rechte Institutionenkritik und -politik. Luzia Sievi fragt mit Blick auf die rechte Kritik an der Institution Wissenschaft nach den Grenzen der Institutionenkritik und bietet hierfür die kategoriale Unterscheidung zwischen wünschenswerten, auszuhaltenden und abzulehnenden Formen und Inhalten der Institutionenkritik an. In ihrer umfassenden Analyse der Dieselfahrverbots-Debatte gelangt Sievi zu der Beurteilung, dass rechte Institutionenkritik zwischen agonistischen, nämlich (re-)politisierenden und damit begrüßenswerten, und antagonistischen, nämlich ent- oder hyperpolitisierenden und damit abzulehnenden Strategien changiert. Dass wissenschaftliche Institutionen trotz des Verdachts der autoritativen Einhegung demokratischen Streits eine Pluralität an Wissensbeständen sowie kritische Ressourcen zur Infragestellung von Machtstrukturen bereitstellen und damit eine wichtige Säule agonaler Demokratie im Sinne Mouffes darstellen, ist argumentativ überzeugend. Offen lässt der Beitrag jedoch, welche Konsequenzen sich aus der Herausforderung antagonistischer Strategien der Verschleierung, Falschinformation, Diffamierung und Lüge für einen postmodernen Wahrheitsbegriff ergeben.

In Abgrenzung zur gängigen Rechtspopulismusforschung theoretisiert Gabriele Wilde das Autoritäre als ein Machtdispositiv, das über bestimmte diskursive Praktiken autoritäres Denken und Handeln in politischen Gesellschaften verankert und damit seinen Ausgang in der Gesellschaft und nicht erst in rechtspopulistischen Parteien nimmt. Dabei komme für die Legitimation autoritärer Politiken und die Institutionalisierung autoritärer Machtstrukturen der Differenzkategorie Geschlecht eine treibende Kraft zu, indem über die Neuformierung geschlechtlicher Machtverhältnisse die Pluralität von Identitäten zerstört und eine geschlossene und entpolitisierte Gesellschaft konstruiert würde. Eine Antwort auf die Herausforderung des Autoritären biete Judith Butlers agonal-demokratisches Konzept der Volkssouveränität als eine Handlungspraxis, in der insbesondere die Inszenierung einer Vielzahl an Körpern bestehende ungerechte Geschlechterverhältnisse, Prekarität und Diskriminierung entlarve.

Der Sammelband zeigt, dass „agonale Demokratietheoretiker*innen nicht bei einem Plädoyer für (mehr) Streit stehen bleiben“ (S. 11). Er bietet eine Fülle konzeptioneller Überlegungen, wie sich die Institutionen einer agonalen Demokratie denken lassen. Für die Konturierung eines konfliktorientierten Institutionensettings mobilisieren die Autor*innen des Bandes institutionentheoretische Ressourcen aus einem breiten Spektrum unterschiedlicher agonaler Ansätze, präzisieren die zum Teil konventionellen, vagen oder defizitären Überlegungen und tragen damit selbst zur innovativen Weiterentwicklung einer institutionentheoretischen Fundierung agonaler Demokratie bei. Es handelt sich bei dem Band jedoch nicht um ein einheitliches Programm. Zum einen liegen den Beiträgen in Hinblick auf die Definition agonaler Politiktheorien unterschiedliche begriffliche Strategien zugrunde: Während einige Beiträge agonale und radikaldemokratische Demokratietheorien gleichsetzen, widersprechen andere dieser Gleichsetzung und votieren für einen Oberbegriff agonaler Demokratietheorien, unter dem sich nicht nur radikaldemokratische, sondern auch konfliktive Spielarten des Liberalismus und Republikanismus versammeln lassen. Jede dieser Strategien steht vor der Herausforderung, die Alternative agonaler Politik- und Institutionentheorien gegenüber anderen demokratietheoretischen Ansätzen zu verteidigen.

Zum anderen lässt sich in der Gesamtschau eine Spannung in Hinblick auf die Zielsetzung der einzelnen Beiträge erkennen: Geht es der defensiv-bescheideneren Perspektive vorrangig um das Entwickeln agonaler Kriterien und Maßstäbe für die normative Bewertung institutioneller Strukturen und Verfahren sowie für das kritische Befragen existierender Institutionen, ist die offensiv-ambitioniertere Perspektive an der Entwicklung einer agonalen Institutionentheorie interessiert, die Orientierungshilfe zur Beantwortung der Frage leistet, wie spezifisch agonale, nichtliberale Institutionen aussehen. Wie die Herausgeberin in der Einleitung pointiert, braucht es angesichts des agonalen Spannungsverhältnisses von Ordnungskonstituierung und -unterminierung beides: Institutionenkonzeption und Institutionenkritik. Die große Stärke des Bandes liegt darin, dass er die Pluralität der Debatte um eine politische Theorie agonaler Institutionen widerspiegelt und zugleich die einzelnen Kapitel als Beiträge zu einer konstruktiven Bestimmung des Verhältnisses von Agonaler Demokratie und Staat zusammenführt.