Mehr als 15 Jahre nach Erscheinen von „Postdemokratie“ hat Crouch nun einen, zunächst rein optisch betrachtet, deutlich umfangreicheren Band zur aktuellen Bestandsaufnahme seiner Thesen vorgelegt. In der Politikwissenschaft ist Crouchs Beschreibung des drohenden Übergangs der Demokratie hin zur Postdemokratie bisweilen recht kritisch aufgefasst worden und nicht nur deshalb kann „Postdemokratie revisited“ als Versuch verstanden werden, dieser Kritik zu begegnen. Da außerdem die vielen Veröffentlichungen der jüngeren Zeit zur Entwicklung der etablierten Demokratien nach wie vor keine Einigkeit aufzeigen, in welche Richtung diese Entwicklung geht (u. a. Regression, Transformation, Krise, Aushöhlung, Pathologie oder gar Tod) oder welchen Anteil ökonomische, soziokulturelle oder politische Ursachen haben, kann der These der Postdemokratie nach wie vor eine hohe Bedeutung und Aktualität zugesprochen werden. Neben einigen kleineren Irrtümern seines ersten Bandes, die Crouch zu Beginn einräumt, wie etwa die vernachlässigte Bedeutung nichtmajoritärer Institutionen zum Schutz der Demokratie oder das unterschätzte Potenzial des Rechtspopulismus (der sowohl Antwort auf postdemokratische Zustände ist als auch diese weiter verschärft), findet die grundlegende Kritik an seinem Konzept jedoch wenig Erwiderung: Die Überhöhung eines demokratischen Höhepunktes – Crouch nennt es den Augenblick der Demokratie – in den 1950er- und 1960er-Jahren zum idealtypischen Maßstab, der zentrale Errungenschaften der Demokratie und den Wertewandel in demokratischen Gesellschaften außen vor lässt oder die Verallgemeinerung von lose und unsystematisch aneinandergereihten Einzelbeispielen sind nur zwei Beispiele für solch zahlreich geäußerten Kritikpunkte.

Aber gerade die Möglichkeit der schleichenden, eher hintergründigen Entfernung von einem demokratischen Ideal (wenn es so etwas jemals gegeben haben sollte) hin zu einem anderen demokratischen Zustand hat Crouch prominent ins Bewusstsein gerückt. Der Autor selbst will sein Buch also erneut in erster Linie als Warn- und Weckruf über die schlechte Verfassung der westlichen Demokratien verstanden sehen. Man nimmt das neue Buch allerdings doch auch mit der Hoffnung in die Hand, eine systematische Ausdifferenzierung des namensgebenden Postdemokratiekonzeptes vorfinden zu können, die über das doch recht essayistische Format des ersten Büchleins hinausgeht und möglicherweise auch für komparative Studien besser geeignet ist. Dieser Anspruch wird allerdings nicht erfüllt, wie im Folgenden zu begründen ist.

Im ersten Kapitel erläutert und bekräftigt Crouch zunächst seine grundlegende These der Postdemokratie und der Demokratiegeschichte als Verlauf einer Parabel. Daraus ergebe sich eines der wichtigsten Charakteristika der Postdemokratie: Sie sei kein vor- oder nichtdemokratischer Zustand, sondern demokratische Institutionen, Werte und Verfahren blieben bestehen, erfüllen jedoch nicht oder nur eingeschränkt die eigentliche Funktion. So „merken wir nicht, dass die Demokratie geschwächt und die Macht innerhalb des politischen Systems auf eine kleine Elite aus Politikern und Konzernen übergegangen ist, die eine Politik nach den Wünschen Letzterer betreiben“ (S. 21). Als zentrale Ursachen dafür benennt Crouch erstens die Globalisierung und den damit einhergehenden Verlust des Gestaltungsspielraumes nationalstaatlicher Politik sowie zweitens den Rückgang der politischen Bindung der Bürgerinnen und Bürger an die Demokratie durch die Parteien. So wichtig die Benennung dieser möglichen Ursachen ist, so wenig Platz nimmt deren Ausformulierung in diesem ersten zentralen Kapitel ein. Auch bleibt mehr oder weniger unbegründet, warum somit niemand „Schuld“ an der postdemokratischen Entwicklung haben soll, da die genannten beiden „Hauptursachen sich dem Zugriff der Akteure weitgehend“ (S. 9) entziehen. Diese werden im Verlauf des Buches zwar teilweise weiter ausgeführt, allerdings nicht systematisch eingebettet. An anderer Stelle scheint Crouch sich auch zu widersprechen, wenn beispielsweise als wichtigste Grundlage für das Gedeihen der Postdemokratie der individuelle, „auf Ermüdung beruhende Unwille […], seinen Pflichten als politischer Bürger weiterhin gerecht zu werden“ (S. 39), genannt wird.

Der darauffolgende zweite Abschnitt ist mit „Ungleichheit und Korruption“ betitelt. Dort findet in erster Linie die von Crouch bereits aus anderen Werken bekannte kritische Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus, dem New Public Management und dem Outsourcing staatlicher Leistungen statt. Erweitert wird die Neoliberalismuskritik hier um ein Argument, dass auf die Veränderung der politischen Kommunikation durch die sozialen Medien und Manipulationsmöglichkeiten von Unterhaltungs- und Medienkonzernen abzielt, denn, so Crouch, es lasse sich „Reichtum auch dazu verwenden, die Meinungen der Durchschnittsbürger zu beeinflussen“ (S. 49). Die Kapitel drei und vier beschreiben exemplarisch die Entwicklung eines postdemokratischen Zustandes während der globalen Finanzkrise 2008 und der europäischen Schuldenkrise, vor allem durch das Einsetzen der Expertenregierungen in Italien und Griechenland. Diese Abschnitte folgen sehr erhellend dem konzeptuellen Gerüst des Ansatzes und bieten den größten Erkenntnisgewinn im Sinne einer empirischen Analyse. Dies wird verstärkt durch gewinnbringende Unterkapitel wie „Was können wir aus der Krise über die Postdemokratie lernen“ (S. 91). Leider fehlen ähnliche systematische Zusammenführungen in vielen anderen Kapiteln. Im fünften und siebten Abschnitt widmet sich Crouch der Rolle des Rechtspopulismus, der „Politik des nostalgischen Pessimismus“ (S. 136) und dem Ende der traditionellen politischen Bindungen an die großen Parteien des Konservatismus und der Sozialdemokratie. Da das eine für Crouch mit dem anderen zusammenhängt und auch jeweils zur Postdemokratisierung beiträgt, ist nicht wirklich ersichtlich, warum die Ausführungen in zwei getrennten Kapiteln behandelt werden und außerdem ein sechstes Kapitel zu den politischen Implikationen der Coronakrise dazwischengeschoben worden ist. Im abschließenden Kapitel acht soll die düstere Prognose etwas aufgehellt werden, indem Crouch auf die Kraft sozialer Bewegungen, engagierter Bürgerinnen und Bürger und nichtdemokratischer Institutionen wie Zentralbanken und Rundfunkanstalten setzt. Auf dem Weg hin zu einer starken und aktiven Bürgerschaft, die den postdemokratischen Entwicklungen kritisch gegenübersteht, sieht Crouch die weiterwachsende Zahl gebildeter Menschen als zentrale Stellschraube, diese seien „das Reservoir, aus dem sich politisch aktive Gruppen bilden und Kampagnen führen können“ (S. 270).

Neben den vielfach diskutierten Schwächen des Postdemokratiekonzeptes, die auch in diesem Buch zu erkennen sind, aber letztendlich zu Recht bereits Gegenstand einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung geworden sind, erscheint insbesondere der Aufbau des Buches problematisch. Die wenig stringente Reihung der Kapitel erschwert die Nachvollziehbarkeit der Argumentation. Symptome, Ursachen und Folgen von Postdemokratie müssen von Leserinnen und Lesern bisweilen mühsam auseinanderdividiert werden. Was bleibt, ist ein aktueller Beitrag zu vielen bekannten Problembereichen der Demokratie. Jedoch erweist sich insgesamt der systematische Mehrwert sowohl für die Postdemokratiedebatte als auch für den allgemeinen Diskurs zum Zustand der westlichen Demokratien als eher ernüchternd.