Die vorliegende Arbeit von Vincent August rekonstruiert die Entstehung der Kybernetik in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Damit soll ein Diskurs des Regierens sichtbar werden, der bislang, so die These, von Beschreibungskategorien wie Technokratie und Neoliberalismus nur unzureichend bezeichnet wurde. Auch wenn sich die Untersuchung dafür zunächst in die Grenzbereiche der Politischen Theorie begeben muss, so liegt doch eine Pointe von August darin zu zeigen, wie groß der Einfluss des kybernetischen Paradigmas auf die Frage des Regierens im Allgemeinen und auf zwei der Großtheorien des vergangenen Jahrhunderts im Besonderen gewesen ist. So erkennt er im Werk von Michel Foucault und Niklas Luhmann zentrale Motive dieses theoriegeschichtlichen Umbruchs wieder.

Die als Dissertationsschrift bei Herfried Münkler und Hartmut Rosa entstandene umfangreiche Abhandlung siedelt dabei zwischen Politischer Theorie, Ideengeschichte und Sozialtheorie. August geht in drei großen Schritten vor: Im ersten Schritt zeichnet er zunächst die Renaissance des Souveränitätsdenkens in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg nach. Dieser Schritt dient ihm dazu, die nachfolgenden Krisen dieser Souveränitätsidee und der damit verbundenen Vorstellungen von staatlicher Handlungsfähigkeit, Autonomie und Steuerung umso deutlicher hervorheben zu können. Hier greift August zu einer innovativen und durchaus unerwarteten Gliederung in unterschiedliche Souveränitätsnarrative, die sowohl klassisch-nationalstaatliche Ordnungsvorstellungen wie aber auch die postkoloniale Widerstandstheorie eines Frantz Fanon umfassen. Der zweite Schritt bildet dann aber erst den eigentlichen Kern der Untersuchung. Hier arbeitet August den Technokratiediskurs der Hochmoderne auf und deutet ihn als eine Reaktion auf die beginnende Steuerungskrise des souveränen Nationalstaates. Der Clou von Augusts Argumentation liegt nun darin, die Entstehung der Kybernetik nicht etwa naheliegend der technokratischen Entwicklung zuzuschlagen. Die Technokratie wird von ihm vielmehr als ein letztes Aufbäumen des modernen Autonomiegedankens interpretiert, der im Moment seiner Krise zu einer gesteigerten mechanisch-technischen Zweck-Mittel-Rationalität greift, um der zunehmenden Komplexität gesellschaftlicher Steuerungsaufgaben gerecht zu werden. In diesem Krisenmoment der hochmodernen Steuerungsansprüche entwickelt sich nun die Kybernetik laut August als eine radikale Alternative zum technokratischen Modell des Regierens. Die von ihm sogenannte „technologische Gesellschaftskritik“ kritisiert die „veraltete Rationalität der Moderne“ (S. 200), weil sie die neuen Herausforderungen von Differenz, Kontingenz und Autonomie der Subsysteme nicht angemessen darstellen kann. Damit korrigiert August eine zeitdiagnostische Fehlwahrnehmung: Wenn die Entwicklung der westlichen Demokratien in den vergangenen Jahrzehnten als Siegeszug des Neoliberalismus auf der Grundlage einer rationalen Handlungstheorie dargestellt wird, so unterschlagen solche Deutungen nach August, dass es neben dieser Vorstellung auch noch ein kybernetisch geprägtes technologisches Narrativ gegeben hat, in dem Fragen der gesellschaftlichen Autonomisierung eine ungleich größere Rolle spielten. Im dritten Schritt widmet sich August schließlich der umfangreichen Diskussion von Foucault und Luhmann und zeigt, an welchen Kategorien sich der Einfluss des kybernetischen Denkens nachweisen lässt.

Nun ließen sich Einwände erheben, ob diese Entwicklungsskizze nicht zu großflächig erscheint, zumal dann, wenn man das neoliberale Modell – ob in der affirmativen Selbst- oder kritischen Fremdbeschreibung – ohnehin schon für einen Scheinriesen gehalten hat. Die große Stärke der Arbeit besteht aber gerade darin, dass August seine Abgrenzung der Diskurse immer wieder kenntnisreich einordnet und präzise justiert, dabei auch gegenläufige Tendenzen und Positionen nicht unterschlägt. So wird der kybernetische Diskurs nicht einfach als die Negation der staatlichen Steuerungstechniken oder des Neoliberalismus präsentiert, sondern als ambivalente Transition von Government zur Governance eingeordnet.

Gerade weil die Rekonstruktion so filigran gearbeitet ist, fallen aber auch einige Leerstellen auf: So hätte im Diskurs der Technokratiekritik sicherlich Günther Anders einen Platz verdient, auch Hans Blumenberg oder Lewis Mumford fehlen. Hinzu kommt, dass die Abkehr vom handlungsfähigen Subjekt nicht nur in der Netzwerktheorie und der Kybernetik stattfand. Auch die bis heute einflussreiche Verhaltenslehre des Behaviorismus, der Sozialpsychologie und der kognitionswissenschaftlich basierten Ökonomie haben die politische Ordnungsvorstellung vom handlungsfähigen Individual- und Kollektivsubjekt nachhaltig unterminiert. Zudem hätten Verbindungen zum genuin politikwissenschaftlichen Steuerungsdenken beispielsweise eines Harold Lasswell nahegelegen. Auch ließe sich fragen, ob Regierung, Regulierung und Steuerung nicht trennschärfer unterschieden werden müssten.

Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass August ein bislang vernachlässigtes Forschungsgebiet für die sozialwissenschaftliche Diskussion auf beeindruckende Weise neu erschlossen hat. Die Komplexität seiner Rekonstruktion ermöglicht zudem eine ganze Reihe von produktiven Anschlussfragen. So ließe sich die theoriegeschichtliche Überlegung mit der Frage erweitern, ob das Zeitalter der Digitalisierung die Renaissance eines technischen Steuerungs- und Verfügbarkeitsdenkens darstellt, oder ob die kybernetische Diagnose sich gegenseitig abschließender, für staatliche oder politische Zugriffe unverfügbare autonome Systeme die „Grenzen der Verfügbarkeit“ (S. 163) aufzeigt. Auch wäre von Interesse, inwieweit man in den von August gezeichneten Entwicklungen auch ein normatives Potenzial erblicken kann: Liegt in der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Subsysteme nicht selbst ein Autonomiegarant gegen die übergreifenden Steuerungsansprüche nicht mehr staatlicher, sondern zunehmend privater Akteure? Läge dann die Bedrohung demokratischer Gesellschaftsordnungen nicht zuerst in einer diffusen Kolonialisierung der Lebenswelt (Habermas), sondern in den potenziellen Entdifferenzierungseffekten digitaler Technologien? Die Arbeit von August macht einen wichtigen Schritt in die Richtung einer politischen Theorie des digitalen Zeitalters. Sie ist nicht nur ideengeschichtliche Rekonstruktion, sondern auch kritische Zeitdiagnose der Transformation politischer Möglichkeitsräume.