Jan-Werner Müller vollzieht mit dieser Monografie eine Art persönlichen „institutional turn“. Die aktuell in vielen Demokratien zunehmend diagnostizierten Probleme mit populistischen Bewegungen seien, so lässt sich die zentrale Aussage des Bandes knapp zusammenfassen, undemokratischen Einstellungen und Verhaltensweisen weniger geschuldet als der Fehlkonstruktion oder Verkümmerung demokratienotwendiger intermediärer Strukturen. (Die Doppeldeutigkeit des Originaltitels, der das Vorherrschen von Demokratie subtil mit ihren Regeln verbindet und so auch den Fokus auf Institutionen andeutet, geht in der deutschen Ausgabe verloren: „Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit. Wie schafft man Demokratie?“, übers. v. Michael Bischoff, Frankfurt a. M.: Suhrkamp).

In vier Kapiteln, umrahmt von einem Vorwort und einem hoffnungsvollen, aber nicht optimistischen Nachwort, geht der Autor zwei Hauptfragen nach, die er eingangs aufwirft: Was ist der Kern von Demokratie? Und woran liegt es, dass dieser Kern aktuell (in den USA, aber auch anderswo) v. a. durch autoritär-populistische Bestrebungen in Gefahr scheint? Die Beantwortung dieser Fragen ist Voraussetzung für Überlegungen dazu, wie sich die Gefahr effektiv bannen ließe.

Müller buchstabiert folglich zunächst Grundlagen liberaler Demokratietheorie durch: Kern von Demokratie sind die Prinzipien politischer Gleichheit und Freiheit, umgesetzt werden diese durch Institutionensysteme, die unterschiedlich aussehen können, aber bestimmte notwendige Elemente enthalten müssen. Zu dieser sogenannten „kritischen Infrastruktur“ gehörten v. a. Parteien und Medien als intermediäre Institutionen, deren Funktionieren wiederum von ihrer politisch zu gestaltenden institutionellen Einbettung abhänge. Veränderungen des institutionellen Gefüges sollten nicht gescheut werden, wenn sie geeignet scheinen, die demokratischen Grundprinzipien besser als die bisherigen Institutionen umzusetzen – und zwar selbst dann, wenn Letztere infolge langer Tradition quasi als unantastbar gelten. Und zumindest einige Veränderungen, die empfehlenswert oder gar nötig wären, lassen sich nennen.

Diese im Vorwort skizzierte Argumentationslinie wird in den vier Hauptkapiteln ausgearbeitet. Im ersten Kapitel erläutert Müller mit deutlichem Fokus auf politische Entwicklungen in den USA, wie Demokratien zu populistisch orientierten Pseudo-Demokratien entarten können. Dem stellt er im zweiten Kapitel das gegenüber, was „echte“ Demokratie ausmache, nämlich „Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit“. Einige grundlegende Aspekte der Umsetzung dieser Prinzipien werden behandelt. Das dritte Kapitel ist folgerichtig der institutionellen Infrastruktur gewidmet, die notwendig sei, um derart „echte“ Demokratie wirksam gegen populistische Gefahren zu schützen, wobei sich Müller ausschließlich auf Parteien und Medien konzentriert. Fragen der Parteien- und Medienfinanzierung werden ebenso angesprochen wie etwa die Tendenz von Mehrheitswahlsystemen zu parteipolitischer Polarisierung, die ihrerseits populistische Bestrebungen fördere. Die ausdrückliche Feststellung, dass Wahlsysteme änderbar seien und das Mehrheitswahlrecht in den USA nicht Verfassungsrang habe, hat deutlich politischen Appellcharakter. Im letzten Kapitel schließlich geht es um Möglichkeiten der Staatsgewalten und letztlich die Verantwortung der gesamten demokratischen Bürgerschaft, sich der Verkümmerung und Entartung demokratischer Institutionen entgegenzustellen, – wenn nötig, durch Akte zivilen Ungehorsams „if all else fails“, wie die Überschrift des allerletzten Abschnitts besagt. Das Kapitel ist m. E. das schwächste des Buches. Es ist nicht nachvollziehbar strukturiert, und die Abschnitte zur wehrhaften Demokratie und zum zivilen Ungehorsam wirken wenig durchdacht – eine sehr heiße Nadel scheint hier gestrickt zu haben. Die in der „Coda“ abschließend geäußerte Hoffnung des Autors beruht auf den erläuterten Stützungsoptionen für die gefährdeten Institutionen; was die Bürgerschaft daraus macht, sei aber offen, weswegen Optimismus, dass die aktuellen Krisen überwunden werden können, verfrüht sei. Ein letzter politischer Appell, gerichtet an „mobilized citizens“, steht folglich am Schluss: Bei ihnen liege die Verantwortung für „the sake of restoring the spirit behind the rules“ (S. 185).

Der Band ist kleinformatig und schmal und umfasst bei großzügiger Formatierung nur 180 Seiten Text, ergänzt um 35 Seiten Endnoten. Eine Literaturliste gibt es nicht. Im Index hat „Lufthansa“ ebenso viele Erwähnungen wie „Kant“ (je eine), die umfangreichste Listung für eine Person ist die für Donald Trump. Der Index belegt im Übrigen, dass der Autor breit belesen ist in Literatur und Geistesgeschichte. Demokratietheoretische Klassiker wie Habermas und Rawls kommen auf 2–3 Erwähnungen; aktuellere Demokratietheoretiker wie etwa Thomas Christiano, David Estlund oder Niko Kolodny, um nur einige zu nennen, sucht man dagegen vergeblich.

Jan-Werner Müller pflegt einen gut lesbaren Schreibstil und illustriert seine Überlegungen mit einer Fülle konkreter Fallbeispiele aus Politik und Geschichte. Die weltläufige Belesenheit wird gelegentlich zwar arg dick aufgetragen (die simple Phrase „riduzione verso il principio“ etwa hat es Müller so sehr angetan, dass er sie wieder und wieder verwendet, als sei sie seit Machiavelli sakrosankt und unübersetzbar); aber das ist kein Versehen, das ein gutes Lektorat hätte korrigieren sollen, sondern bestens abgestimmt auf die offenbar anvisierte Leserschaft: ein politisch interessiertes breites Publikum insbesondere in den USA, das kein Fachbuch lesen möchte, aber von einem Sachbuchautor erwartet, dass er Expertise und überragende Bildung trotzdem deutlich zeigt. (Dass eine Leserschaft angesprochen wird, die allenfalls geringe Sozialkundekenntnisse mitbringt, zeigt sich etwa daran, dass in Kap. 3 über fast 20 Seiten von Grund auf erklärt wird, warum Parteien und Medien in Demokratien wichtig sind).

Fachwissenschaftlich gesehen ist manches zweifelhaft, wichtige Differenzierungen fehlen ebenso wie eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der jeweils einschlägigen Fachliteratur (weswegen der Band m. E. selbst für Einführungsveranstaltungen im Studium nicht geeignet ist). Aber dies zu kritisieren, würde dem Zweck des Bandes nicht gerecht, denn der ist offenkundig kein fachwissenschaftlicher. Vielmehr geht es dem Autor einerseits sicher um einen Beitrag zur fundamentalen politischen Bildung über Sinn und Funktionieren von Demokratie; in diesem Sinne bietet das Buch eine beachtliche Transferleistung von politikwissenschaftlichem Grundwissen quasi nebenbei, ohne es (etwa durch eine systematischere Strukturierung) allzu deutlich zu zeigen oder den Zugang durch die Verwendung von Fachjargon zu erschweren. Um dies als Verdienst zu würdigen, muss man nicht aus fachwissenschaftlicher Sicht mit allen Behauptungen und Interpretationen einverstanden sein; man kann dem Buch trotzdem eine breite Leserschaft wünschen, der es interessante Einsichten und Anregungen bietet. Die wichtigste Leserschaft wäre aber wohl gerade die, die es vermutlich nicht erreichen wird; denn andererseits beteiligt sich der Autor mit dem Text zugleich auch direkt an der politischen Auseinandersetzung über die – von den verschiedenen Lagern aus ganz unterschiedlichen Gründen – für kritisch gehaltene Lage der Demokratie in den USA, was die potenzielle Leserschaft von vornherein beschränken dürfte. Fazit: Kritikerzitate auf dem Einband der Originalausgabe attestieren dem Buch, es sei „erudite and urbane“ und ein „work of democratic theory“. Das erste ist ohne Zweifel richtig.