Gegen den alarmistischen Zeitgeist stemmt sich Adam Przeworski mit seiner Analyse der Krisen der Demokratien. Statt die Singularität populistischer Wahlerfolge und der Erosion des Vertrauens in die Demokratie herbeizuschreiben, will die Monografie die Gewöhnlichkeit dieser Phänomene aufklären. Der erste Baustein dieser Aufklärung ist die Zurückweisung normativer Erwartungen an die Demokratie. Przeworski versteht sie minimalistisch, als eine institutionalisierte Ordnung zur Selektion politische Repräsentant*innen durch Wahlen (S. 15). Wahlen garantieren, dass die Repräsentierten ihre Regierungen regelmäßig absetzen bzw. ihnen das Vertrauen aussprechen können. Zwar sind auch die rechtsstaatlichen Grundlagen der Demokratie wichtig und stützen die gegenseitige Orientierung von Repräsentant*innen und Repräsentierten, doch allein die Wahl ist das einzig wirksame Mittel, um diese Orientierung auf Dauer zu stellen (S. 16). Daraus entwickelt Przeworski den zweiten Baustein seiner Aufklärung – die Konfliktlösungsfähigkeit der Demokratie als exklusives Kriterium zur Bewertung ihrer Krise (S. 17). Demokratische Institutionen kanalisieren politische Konflikte, übersetzen sie in Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition wie auch in Abgrenzungen diverser Parteien. Dank dieser Überführung werden Konflikte in der Demokratie politisch lösbar bzw. durch die Aussicht auf die nächsten Wahlen nachhaltig zivilisiert. Erst wenn ihr diese Fähigkeit abhandenkommt, steckt die Demokratie in einer wirklich kritischen Krise. Dementsprechend, und das ist der dritte Baustein seiner Aufklärung, sucht und bewertet Przeworski Anzeichen potenzieller Gefahren für die Funktionalität des demokratischen Konfliktlösungsmechanismus.

Seine Untersuchung wird in drei Teilen organisiert. Im ersten Teil konsultiert er historische Krisen der Demokratie, welche den Zusammenbruch oder die Erneuerung demokratischer Herrschaft erzwangen (S. 37). Ein erster Vergleich zeigt, dass wirtschaftliche Aspekte und die institutionelle Ordnung der Demokratie den Niedergang beeinflussen können (S. 50). Gleichzeitig hält die Demokratie Proteste wie Unruhen und Streiks aus, wenn sie friedlich bleiben (S. 50). Für eine detailliertere Auswertung historischer Demokratiekrisen erzählt der Autor anschließend vier Geschichten, wobei zwei von Demokratiezusammenbrüchen in der Weimarer Republik und Chile und zwei von erfolgreichen Konfliktlösungen in Frankreich und den USA handeln. Die programmatische Konsultation der Geschichte sensibilisiert ihn für die Institutionen, welche zur Bildung mehrheitsfähiger Regierungen beitragen und auch in der aktuellen Krise genau beobachtet werden sollten (S. 96). Eine umfassendere Heuristik für die Gegenwart liefern die Geschichten jedoch nicht (S. 97), wohl aber die Erkenntnis, dass die Konfliktlösungsfähigkeit der Demokratie begrenzt ist und einen Zusammenbruch nicht prinzipiell verhindern kann.

Der Mittelteil des Buches befasst sich mit der Gegenwart. Przeworski sucht nach Anzeichen einer Krise der Demokratie in den sich verändernden Parteiorientierungen und zitiert eine Reihe empirischer Studien zum Status der traditionellen Parteien (S. 102) und dem Aufstieg populistischer Parteien (S. 106). Hier ist zwar vieles in Bewegung, doch einen systemischen Vertrauensschwund in die Demokratie kann er nicht erkennen (S. 124). Als mögliche Ursachen der Verschiebungen im Parteienspektrum diskutiert er die ungleichen Einkommensentwicklungen (S. 127) wie auch die pessimistischen Zukunftserwartungen der Menschen. Letzteres stellt seiner Ansicht nach tatsächlich einen historischen Bruch dar (S. 129). Hinzu kommt die der sozialen Ungleichheit folgende politischen Spaltung des Demos, die Risiken für die Konfliktlösungsfähigkeit der Demokratie birgt. Die Spaltung provoziert Polarisierungen und Feindschaften, die den politischen Ausgleich unmöglich machen (S. 140). Diese Dynamik wird in der Welt der Postwahrheiten gefährlich, da die für die Verständigung notwendige gemeinsame Wirklichkeitsperzeption nicht mehr vorausgesetzt werden kann (S. 142).

Der dritte Teil wendet sich der Zukunft zu. Zu Beginn wird dazu nochmal die Konfliktlösungsfähigkeit der Demokratie im Kontext politischer Institutionen entfaltet (S. 169) und die Folgen der krisenhaften Polarisierung der politischen Einstellungen systematisiert. Abschließend befasst sich Przeworski mit dem Trend demokratischer Rückentwicklung. Deren Gefahr ist nicht die plötzliche Implosion der Demokratie, sondern die sukzessive Dysfunktion demokratischer Prozesse. Insbesondere bei einer verdeckten antidemokratischen Subversion durch legitime Regierungen sind die Möglichkeiten legaler Gegenmaßnahmen begrenzt. Hier wird der Autor pessimistisch, denn der sukzessive Gang in den Autoritarismus wird nicht durch Verfassungen, Gerichte noch die Medien ernsthaft aufgehalten (S. 204). Er polemisiert gegen jedes Sicherheitsgefühl, welches dazu verleitet, antidemokratische Tendenzen in der Ferne zu verorten. Am Ende wird Przeworski damit doch noch alarmistisch.

Das Buch überrascht nicht durch eine neue Erklärung oder Bewertung der Krisen der Demokratie. Mit der Absicht, die wissenschaftliche Debatte ohne emotionale Zuspitzungen zu führen, wofür er seine ganze historische Erfahrung einbringt, sortiert Przeworski umfassend die Krisendiagnosen in Bezug zur Funktionalität der Demokratie. Viele Krisensymptome kann er so relativieren. Das ist beruhigend! Indes bleibt der Eindruck, dass er zwar mit der Radikalisierung politischer Konflikte, die so nicht mehr in der Demokratie lösbar werden, das wirkliche Krisenmoment erkennt, jedoch wenig zu seiner Aufklärung beiträgt. Er zeigt, was nötig ist, um die Demokratie weiterhin als erfolgreichen Konfliktlöser zu bewahren. Doch ohne ein genaues Verständnis dafür, welche Konflikte aus welchen Gründen sich radikalisieren, ob dies womöglich selbst demokratisch intendiert ist, lässt sich die Krise der Demokratie nicht besser verstehen. Dafür müsste die Ursachensuche über die von ihm genutzten traditionellen Sozialdaten, die nur Gewinner*innen‑/Verlierer*innen-Differenzierungen erlauben, hinausgehen. Die von ihm behandelten Identitätskonflikte zeigen die mögliche Richtung der Ursachensuche bereits an. Gleichzeitig wäre die Demokratie selbst, so wie sich als routinierte politische Praxis derzeit darstellt, kritisch zu hinterfragen. Der Fokus auf eine funktionierende Praxis blendet institutionelle wie auch normative Probleme aus, die für die Unzufriedenheit mit ihr verantwortlich sind. Die Diskussion zur Funktion von Wahlen macht dies deutlich (S. 188). Diesen Anspruch entwickelt das Buch aber nicht. Es fasst die aktuelle Debatte lesenswert zusammen, ohne weitergehende Akzente zu setzen.