Mit jedem Medienbericht über andauernde Misshandlungen in der Massentierhaltung wächst das gesellschaftliche Unbehagen am Umgang mit Tieren. Die Proteste von Tierschützerinnen und Tierschützern haben problematische Zustände in Ställen, Schlachthöfen und Versuchslaboren auf der Agenda der Politik weiter nach oben gerückt. In der Öffentlichkeit werden inzwischen auch lange für selbstverständlich gehaltene Praktiken wie Dressuren im Zirkus oder die Haltung von Tieren in Zoos kritisch betrachtet. Vor diesem Hintergrund werfen Tierrechtsaktivistinnen und Tierrechtsaktivisten grundsätzliche Fragen der Mensch-Tier-Beziehungen auf. Sie bedienen sich dabei einer Sprache, in der von Ausbeutung und Unterdrückung, Herrschaft und Befreiung die Rede ist – Begriffe, die in öffentlichen Diskursen und politischen Konflikten bisher nur oder doch ganz überwiegend in Bezug auf Beziehungen zwischen Menschen gebräuchlich waren.

In Deutschland hat die Politikwissenschaft vergleichsweise spät auf die zunehmende Politisierung des gesellschaftlichen Umgangs mit Tieren reagiert. Ein erster, für viele zunächst eher befremdlich anmutender Meilenstein der Rezeption von Debatten aus dem angelsächsischen Sprachraum war die Tagung „Animal Politics. Politische Theorie des Mensch-Tier-Verhältnisses“, die 2014 von der Sektion Politische Theorie und Ideengeschichte der DVPW auf Initiative von Peter Niesen in Hamburg ausgerichtet wurde. Bernd Ladwig war Co-Organisator dieser Tagung. Er hat sich mittlerweile als engagierter Promotor dieses Feldes profiliert. Während die Beiträge der Tagung in eher fachfernen Zeitschriften erschienen, wird die weitverzweigte angelsächsische Diskussion mit seiner Monografie aus dem Suhrkamp Verlag nun einem breiteren deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht – und zwar auf einer sehr kenntnisreichen Basis und in einer Strukturierung, die ebenso kritisch bewertend wie zielorientiert auf eine eigene Position hin ausgerichtet ist.

Anlass und Bezugspunkt der Tagung über „Animal Politics“ war das nunmehr zehn Jahre zurückliegende Erscheinen eines anderen Buches. Unter dem provozierenden Titel „Zoopolis“ hatte ein kanadisches Autorenpaar – Sue Donaldson und Will Kymlicka – der zuvor ethisch dominierten Debatte eine „politische Wende“ gegeben und eine erklärtermaßen „Politische Theorie der Tierrechte“ vorgelegt. Darin fordern sie eine Anerkennung von Tieren als gleichberechtigte Mitbürger (im Fall von domestizierten Tieren) oder als souveräne Gemeinschaften (im Fall von „wilden“ Tieren).

Ladwig weist ihrer Vision einer „Zoopolis“ in seinem Buch „mehr als jedem anderen Ansatz das Verdienst zu, Mensch-Tier-Beziehungen für die politische Philosophie erschlossen zu haben“ (S. 34). Er unterzieht diese Vision zwar einer Kritik, in der er vor allem die Vorstellung einer Aktivbürgerschaft von Tieren problematisiert. Er teilt aber die Überzeugung, „dass wir eine zweistufige politische Philosophie brauchen“ (S. 35). Grundlage der anzustrebenden Konzeption müsse die Klärung des „moralischen Status von Tieren“ (S. 35) sein. Erst auf einer solchen theoretisch explizierten moralischen Basis für die Rechte von Tieren ließen sich auf einer zweiten Stufe Bestimmungen über politisch bedeutsame Beziehungsformen zwischen Menschen und Tieren formulieren. Aus dem angenommenen Vorrang der (Tier‑)Ethik vor der (Tier‑)Politik ergibt sich die Gliederung seines Buches in zwei etwa gleichgroße Teile.

Im ersten Teil argumentiert Ladwig, dass Tierrechte nicht im Rahmen von diskursethischen Zugängen oder kontraktualistischen Modellen, sondern auf der Basis einer Interessentheorie zu begründen seien. Ein solcher Ansatz, demzufolge „Individuen als Träger von Interessen ein Recht auf Rechte haben“, hätte sich bereits bei den Menschenrechten als „beste Konzeption“ erwiesen (S. 36). Zwar gäbe es „Grenzen der Analogie zu den Menschenrechten“ (S. 26). Auf der Basis einer Interessentheorie ergäbe sich aber eine „konzeptionelle Kontinuität zwischen Menschen- und Tierrechten“ (S. 26). Wie Menschen, so besäßen auch „viele Tiere Interessen in den Dimensionen der Existenz, des Wohlbefindens und der willensbestimmten Aktivitäten und sie können sowohl durch Leidzufügung als auch durch Deprivation geschädigt werden“ (S. 37). Eine „Schädigung durch Deprivation“ stellt für Ladwig nicht zuletzt die „Tötung eines empfindungsfähigen Tieres“ (S. 166) dar, „weshalb wir Tieren auch ein moralisches Recht auf Leben zuerkennen sollten“ (S. 37). Wenn Tiere über Interessen verfügen, „die wir bei Menschen für rechtlich schützenswert halten“ (S. 26), so die interessentheoretisch fundierte Prämisse der Argumentation Ladwigs, dann müsste eine solche Zuweisung von Rechten auch über Speziesgrenzen hinweg gelten. Lege man als weitere normative Prämisse das moralische „Grundgebot der Gleichbehandlung gleicher Fälle“ zugrunde, dann folge daraus, „dass ein Tier in genau der Hinsicht ein Recht besitzt, in der es einem Menschen hinreichend ähnelt, der in ebendieser Hinsicht ein Recht besitzt“ (S. 26).

Im zweiten Teil thematisiert Ladwig „politische Kontexte“, in deren Rahmen die moralisch begründeten Rechte und Pflichten in Mensch-Tier-Beziehungen praktische Bedeutung und institutionelle Formen erhalten sollen. Ausgangspunkt für seine Wende von der Tierethik zur Tierpolitik ist die Annahme, dass auch „nicht-menschliche“ Tiere politisch geschaffenen Zwängen unterworfen sind und daher „vieles, was wir Tieren antun, institutionalisiertes Unrecht ist“ (S. 10). Da dieses Unrecht systemischen Charakter hat und „zur Grundordnung unserer Gesellschaften gehört“ (S. 7.), hätten Tiere einen Anspruch auf politische Berücksichtigung ihrer Interessen. Mehr noch: Betrachtet man die Lage der Tiere in Analogie zur Position von Menschen, die einer politischen Herrschaftsordnung unterworfen sind, dann begründet diese Unterwerfung aus Sicht von Ladwigs Gerechtigkeitstheorie in „speziesgemischten Gemeinwese[n]“ (S. 289) auch den Anspruch, als Mitglied anerkannt und in den politischen Entscheidungsprozessen bei der Bestimmung des Gemeinwohls angemessen beachtet zu werden. Im Unterschied zu vielen radikalen Abolitionistinnen und Abolitionisten in der Tierrechtsbewegung schließt ein solcher Mitgliedschaftsstatus für Ladwig die Haltung von Tieren nicht grundsätzlich aus (S. 244–288). Die Repräsentation von Tieren in politischen Prozessen sei allerdings nicht – wie in der Vision einer „Zoopolis“ – als „Aktiv-Bürgerschaft“ zu denken (S. 323–359). Stattdessen schlägt Ladwig vor, die geforderte Einbeziehung von Tieren auf allen politischen Ebenen in Analogie zum etablierten Gender-Mainstreaming als „Spezies-Mainstreaming“ zu konzipieren (S. 296–304). Angesichts absehbarer Probleme der Akzeptanz und Normbefolgung einer moralisch fundierten Philosophie der Tierrechte macht Ladwig im letzten Kapitel seines Buchs einen weiteren Schritt der Kontextualisierung in Richtung politischer Vermittlung und Umsetzbarkeit. Neben einer idealen, an moralischen Prinzipien der Gerechtigkeit für Tiere orientierten Theorie bestehe die Aufgabe auch darin, auf einer handlungsorientierten Ebene eine nichtideale Theorie zu formulieren. Diese solle zunächst im Rahmen des weithin anerkannten Verständnisses von Mensch-Tier-Beziehungen auf das Tierwohl abstellen, diese anerkannte Orientierung aber im Sinne eines „radikalisierten Tierschutzverständnis[ses]“ (S. 361) konsequenter umsetzen und notfalls auch auf dem Wege eines zivilen Ungehorsams auf die Tagesordnung bringen (S. 361–399).

Ladwig hat seine zweistufige Konzeption einer Philosophie der Tierrechte auf der Ebene der (moral-)theoretischen Fundierung wie im Hinblick auf die politische Kontextualisierung in einer ebenso differenzierten wie kritischen argumentativen Auseinandersetzung mit wichtigen Positionen in der breit gestreuten Literatur entwickelt. Wenn sie ihm auf seinem Weg folgen, dann können seine Leserinnen und Leser einen sehr instruktiven Überblick über die einschlägigen Debatten gewinnen. Bei der Orientierung über den Gedankengang hilft ein ausführliches Inhaltsverzeichnis, das nachträgliche Auffinden von Autorinnen und Autoren wird durch ein Namenregister erleichtert (S. 400–410). Ladwigs Buch stellt einen weiteren Meilenstein in der deutschsprachigen Debatte über Tierrechte dar, an dem in Zukunft niemand vorbeigehen kann.

Ungeachtet dieser Verdienste und der Vorzüge der gewählten „Vorgehensweise mit stark diskursiven Zügen“ (S. 8) ist allerdings nicht zu übersehen, dass seine Rekonstruktion und Kritik der vorliegenden Ansätze und Argumente trotz aller Differenzierung im Einzelnen insgesamt zielorientiert angelegt ist und insoweit selbst das Design eines positionellen Diskurses aufweist: Es geht ihm darum, sein eigenes Konzept einer normativ akzentuierten politischen Philosophie der Tierrechte (im Singular) zu begründen und theoretisch sowie praktisch gegenüber anderen Ansätzen zu profilieren. Dieses übergreifende Ziel bestimmt auch seinen Umgang mit anderen normativen Grundlegungen und alternativen praktischen Perspektiven. Viele Aspekte und Argumente aus anderen Ansätzen werden zwar an verschiedenen Stellen seines Buchs benannt, in ihren Implikationen aber nicht systematisch auf die mit der Hamburger Tagung anvisierte übergreifende „Politische Theorie des Mensch-Tier-Verhältnisses“ bezogen.

Was seine eigene Konzeption und ihre Kohärenz angeht, so verbleiben in theoretischer wie in praktischer Hinsicht und nicht zuletzt in der Verbindung von (moral-)theoretischer Grundlegung und politischer Kontextualisierung einige Leerstellen und Spannungsfelder. Fragen stellen sich insbesondere in Bezug auf die Prämissen vieler Analogiebildungen und die Tragweite der Analogieschlüsse, auf denen Ladwig seine Begründung einer grundlegenden politischen Rekonzeptualisierung der Mensch-Tier-Beziehungen aufbaut.

Was heißt es, „die Perspektiven der Tiere ernst“ zu nehmen? Ladwig geht zwar auf diese Forderung ein (S. 263), beantwortet die damit verbundenen Fragen einer Perspektivenübernahme im Verhältnis zwischen unterschiedlichen Arten am Ende aber im Modus der einseitigen Zuschreibung aus der Sicht von (präsumtiv aufgeklärten) Exemplaren der eigenen Gattung. In seiner Kritik am Anthropozentrismus in der Ethik vertritt er eine in normativer Hinsicht sehr entschiedene Position. Es ist ihm aber nicht immer gelungen, dabei die Klippen zu umschiffen, die in epistemischer Hinsicht klassisch unter dem Titel des Anthropomorphismus verhandelt worden sind: die Beschreibung von nichtmenschlichen Entitäten und die Konzeptualisierung ihres Verhaltens in Begriffen, die mit Bezug auf Menschen entwickelt wurden und deren Bedeutung weiterhin zuvörderst mit Bezug auf menschliches Denken und Handeln verstanden wird. Es gibt zwar in seinem Buch an einigen Stellen Hinweise auf eine problematische „Vermenschlichung nichtmenschlicher Tiere“ (S. 26). Wie bei vielen anderen Beiträgen zur Tierethik, so zeigen sich indessen auch in seinem Buch bei verschiedenen Analogiebildungen Zuschreibungen von Interessen und Spezifizierungen von Rechten im Sinne eines „Als ob“ – gestützt auf Annahmen über Befindlichkeiten und Orientierungen von Tieren, die auf dem Wege des „uns Menschen“ aus eigener Erfahrung Vertrauten plausibilisiert werden. Ergänzt wird dieser Rekurs auf das vermeintlich Selbstevidente gelegentlich durch Hinweise auf „objektive“ Ergebnisse aus biowissenschaftlichen Forschungsvorhaben, deren Theorie- und Methodenabhängigkeit und Übertragbarkeit allerdings selbst nicht weiter reflektiert wird. Analogien und Anthropomorphismen können nicht alle argumentativen Leerstellen überzeugend ausfüllen, die bei näherem Durchdenken hier wie andernorts erkennbar werden. Festzustellen ist vielmehr ein ums andere Mal ein Ausweichen vor den grundlegenden epistemischen und methodologischen Fragen nach der Herstellung von Intersubjektivität und dem Machtgefälle zwischen Tieren und Menschen. Deren Implikationen werfen für die Bedürfnisinterpretation von Tieren eine ganze Reihe von prozeduralen Problemen der Wahrnehmung ihrer Interessen im Kontext der angedachten institutionellen Modelle einer politischen Repräsentation von tierlichen Mitgliedern in speziesgemischten Gemeinwesen auf. So plädiert Ladwig „für die grundsätzlich gleichberechtigte Einbeziehung mancher Tiere als Mitglieder unseres Gemeinwesens“ (S. 38). Aber welche sollen das sein – und welche müssen leider draußen bleiben? Für ihn „verfügen viele Tiere über Interessen, die wir bei Menschen für rechtlich schützenswert halten“ (S. 26). „Viele“ sind weniger als alle – wo soll die Grenze gezogen werden? Bei seiner interessentheoretischen Grundlegung ist offenkundig eine Selektion erforderlich: In welchen Verfahren und nach welchen Kriterien soll festgelegt werden, welche Tiere als „Mitglieder unseres Gemeinwesens“ zu klassifizieren und bei der Bestimmung des Gemeinwohls zu berücksichtigen sind? Mit welchen Rechten sollen sie dann jeweils ausgestattet werden? Gibt es Unterschiede, die einen Unterschied machen?

In der Tierethik und in der darauf aufbauenden Diskussion über Tierrechte dominiert eine Herangehensweise an das Mensch-Tier-Verhältnis, die ausgewählte Tierarten in den Vordergrund rückt. Die geforderte grundlegende Neuausrichtung wird vorzugsweise an vertrauten Beispielen direkter Beziehungen zu einzelnen Tieren illustriert. Für diese direkten Beziehungen zu bestimmten Haus- und Nutztieren mögen anthropomorphe Beschreibungen bei vielen Leserinnen und Lesern ein unmittelbares Nachempfinden ermöglichen und so auch auf einer diskursiven Ebene leichter eine gewisse Plausibilität für den postulierten Mitgliedschaftsstatus vermitteln. Formen der systemisch durch die „Grundordnung moderner Gesellschaften“ (S. 18) bedingten indirekten „Deprivation“ lassen sich auf diesem Wege allerdings nicht angemessen erfassen. Dafür wäre es nötig, zunächst das real existierende „Zusammenleben“ von Menschen und Tieren in all seinen Ausprägungen und in seinen komplexen gesellschaftlichen Wechselwirkungen auf allen relevanten Ebenen in den Blick zu nehmen. Was ihre Grundlagen und ihre Reichweite angeht, so stößt eine politische Philosophie, die von der Tierethik aus über die Begründung von Tierrechten zu einer Tierpolitik gelangen will, konzeptionell an Grenzen. Für eine politische Theorie des Mensch-Tier-Verhältnisses wäre es nötig, einen Bezugsrahmen zu entwickeln, mit dessen Hilfe die politischen Dimensionen vorhandener und alternativer Praktiken des Umgangs mit Tieren einschließlich ihrer gesellschaftlichen Voraussetzungen, Gestaltungsbedingungen und Folgen umfassender analysiert und bewertet werden können. Auf einer solchen, komplexer angelegten analytischen Grundlage ließe sich dann auf verschiedenen Ebenen differenzierter nach politischen Strategien und praktischen Handlungsoptionen einer Tierpolitik fragen.