Pistor, Katharina (2020): Der Code des Kapitals. Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft. Berlin: Suhrkamp. 440 Seiten. 32 €

Mazzucato, Mariana (2019): Wie kommt der Wert in die Welt? Von Schöpfern und Abschöpfern. Frankfurt/New York: Campus. 407 Seiten. 26 €

Seit Beginn der Coronapandemie wird über deren ökonomische Auswirkungen diskutiert. Mit der Entwicklung von Impfstoffen hat diese Diskussion an Brisanz gewonnen. Denn mehrere Pharma- und Biotechnologieunternehmen konkurrieren um staatliche Fördermittel und Lieferaufträge. Dieser „Förderpolitik“ ist durch Staaten des Globalen Südens mit Verweis auf das Patentrecht widersprochen worden. Eine WTO-Eingabe zur Aussetzung des Abkommens zum Schutz geistigen Eigentums (TRIPS) wurde bis auf Weiteres vertagt. Die Pharmaindustrie hat ihren Widerstand angekündigt und wird von den Sitzländern dieser Unternehmen unterstützt; eine Aussetzung von TRIPS wird vermutlich nicht erfolgen. Dadurch gerät die kostengünstige Bereitstellung von Impfstoffen ins Stocken. Mehr noch sichert das Patentrecht den Aktionären der Pharmaunternehmen zusätzliche Kapitaleinkommen: Die Zusage einer Projektförderung von rund 375 Mio. Euro allein für das Mainzer Unternehmen Biontech durch die Bundesregierung führte im Herbst 2020 zu einer Aktienhausse. Der durch öffentliche Unterstützung erzielte wirtschaftliche Erfolg wird dadurch privatisiert.

Die Rolle des Patent- und Lizenzwesens, also der rechtlichen Garantie von Kapitaleinkommen und ihres Beitrags zur Wertschöpfung, kritisieren die vorliegenden Monografien. Katharina Pistor, Rechtswissenschaftlerin an der Columbia University, problematisiert die Frage, warum Kapital unabhängig von Konjunkturkrisen die bestgeeignete ökonomische Machtquelle und Ursprung von Ungleichheit ist. Sie findet ihre Antwort in der heutigen Funktion des Wirtschaftsrechts (Vertrags‑, Eigentums‑, Gesellschafts- und Steuerrecht), das von Anwälten im Interesse von Kapitaleignern begründet und fortentwickelt wird und Privatinteressen gegenüber dem Gemeinwohl priorisiere. Mariana Mazzucato, Ökonomin am University College London, kritisiert ein falsches Verständnis von Wert und Wertschöpfung und plädiert für eine Neufassung der amtlichen Maßzahlen zur Wohlstandserfassung sowie für einen Rückbau der Finanzspekulation und geistiger Eigentumsrechte, da diese wirkliche Innovation zugunsten von kurzfristigen Gewinninteressen blockierten.

Pistor vollzieht ihren Argumentationsgang in acht Schritten: Einleitend hebt sie die konstitutive Rolle des Rechts in der Schaffung von Kapital hervor. Hierbei grenzt sie sich von neoklassischen und marxistischen Positionen ab, da diese die Rolle des Rechts entweder als reine Bilanztechnik oder aber zugunsten des Klassenkampfes unterbelichtet hätten, also mal zu technisch, mal zu ökonomistisch argumentierten. Sie führt stattdessen die Unterscheidung von Rechtsgebieten nach Common Law- und Civil Law-Perspektive ein, die aus der Corporate-Governance-Literatur vertraut sind und institutionelle Pfadabhängigkeiten in der Beurteilung rechtlicher Handlungsspielräume von Akteuren darstellen. Ihre Kritik gerät etwas holzschnittartig, denn nicht alle Erklärungsbeiträge lassen sich auf einen Dualismus von Rational-Choice-Theorien und staatsmonopolistischem Kapitalismus zuspitzen, wie ihre Ausführungen nahelegen. Interessierte sollten zudem die englischsprachige Originalausgabe konsultieren, da dort ein umfangreiches Sachregister mitgegeben wird, das die Arbeit mit dem Buch erheblich erleichtert.

Die Kapitel 2 bis 6 problematisieren Teilbereiche der Verrechtlichung des Sozialen und des Vermögensschutzes: So werden die rechtliche Einhegung von Grund und Boden, die Rechtsform der Kapitalgesellschaft als Instrument zur Sicherung von Kapital mittels Haftungsprivileg, die Etablierung eines zweiten Geldkanals durch das System privater Verbriefungen und Schuldverschreibungen und die Durchsetzung geistigen Eigentums über das Patent- und Lizenzwesen behandelt. Bezugsrahmen für ihre Fallbeispiele sind überwiegend die Vereinigten Staaten, was Pistor mit der Rolle dort ansässiger multinationaler Unternehmen für die Aushöhlung der Rechtsetzung begründet (S. 241). Anschließend diskutiert sie die Rolle von Fachanwälten für Wettbewerbs- und Gesellschaftsrecht, den „wahren Herren des Codes“ (S. 253). Dieses Kapitel ist für Interessierte aus der Professionsforschung von Bedeutung, da es die Relevanz von Expertise und Diskurskoalitionen in der Gesetzgebung betont. Anwälte, so Pistor, könnten weitgehend unbemerkt parlamentarische Entscheidungen unterlaufen. Als Beleg führt sie die Ratifikation von bi- und multilateralen Investitionsabkommen an. Man könnte ihre Aufzählung mit Hinweis auf Doppelbesteuerungsabkommen erweitern, da diese von Parlamentsausschüssen meist ohne öffentliche Anhörung durchgewunken werden, obwohl sie nationales Steuerrecht beeinflussen.

Eine Alternative kann Pistor zufolge nicht in der Revolution der Rechtsordnung bestehen, auch wenn eine solche keineswegs mehr ausgeschlossen scheine (S. 365). Doch eine ausgearbeitete andere Theorie des Rechts fehle, wie Pistor mit Verweis auf die Beiträge von Christoph Menke (postjuridische Rechtskritik zur Etablierung von Gegenrechten in der liberalen Demokratie) und Eric Posner und Glen Weyl (neoliberale Begründung „radikaler Märkte“ als überragenden Informationsprozessoren gegenüber kollektiver politischer Planung) leider nur andeutet. Vielmehr müsse man aus dem Vorgehen von Kapitaleignern und ihren Anwälten lernen und sich für einen inkrementellen Rückbau von Ausnahmen, Vergünstigungen und anderen Maßnahmen einsetzen, sodass „der relative Wert des Kapitals abnehmen wird, wenn mehr Vermögenswerte eine vergleichbare Behandlung genießen“ (S. 364).

Mazzucato setzt ein, wo Pistor aufhört, bei der Frage, was überhaupt als Beitrag zum Wirtschaftsprodukt gilt. Ihre Argumentation ist in drei Teile gegliedert: Die Kapitel 1 bis 3 erinnern an frühere Werttheorien (Smith, Ricardo), die der menschlichen Arbeitskraft wertbildende Funktion zumaßen. Von Marx wurde sie in Form der Ausbeutungstheorie der Arbeit zur Kapitalismus- und Gesellschaftsanalyse ausgeweitet. Mit der Durchsetzung der subjektiven Wertlehre als hegemonialem Paradigma der Wirtschaftstheorie gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Konjunktur- und Wachstumsforschung in andere Bahnen gelenkt. Unternehmergewinn wurde nicht mehr durch Ausbeutung von Arbeitskraft erklärt, sondern als „Ertrag der Sparsamkeit, als Belohnung für die Abstinenz von der Konsumption“ (S. 90) verstanden. Rechtfertigungen, die bis heute nicht an Bedeutung verloren haben. Da die subjektive Wertlehre die Statistik informiere, deklariere sie „die Abschöpfung von Wert zur Wertschöpfung um“ (S. 140).

Der zweite Teil (Kapitel 4 bis 6) behandelt Aufstieg und Dominanz der Finanzindustrie, stellt deren Instrumente zur Abschöpfung von Extraprofiten dar und setzt sich kritisch mit der Shareholder-Value-Orientierung auseinander. Die Ausführungen zum Finanzmarktkapitalismus sind nicht neu, gewinnen angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase in Europa jedoch an gesellschaftlicher Relevanz, da sie die Sparentscheidungen vieler Menschen berühren. Mazzucato setzt sich zudem mit dem Asset-Management oder dem Schattenbankensektor auseinander und gibt instruktives Zahlenmaterial an die Hand, das deren Bedeutungszuwachs und damit korrespondiere Machtpositionen untermauert. In den Kapiteln 7 bis 9 fasst die Autorin ihre Argumente zur Stärkung des öffentlichen Sektors zusammen. Dieser sei jedoch angesichts der Dominanz der Philosophie des New Public Management und betriebswirtschaftlicher Kennzahlensysteme auch in den Behörden diskreditiert. Politiker würden allzu häufig in eine Bürokratiekritik einstimmen und dem Markt Vorzug vor politischer Planung einräumen (S. 349). Zur Stärkung einer wirklichen Innovationskultur bedürfe es Mazzucato zufolge nicht nur einer Abwertung aus ihrer Sicht unproduktiver Branchen (Finanzspekulation, Digitalwirtschaft), sondern einer Aufwertung öffentlicher Innovationspolitik.

Mittel dafür sollten neben der Revision der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die Einschränkung von Aktienrückkäufen und Patentlaufzeiten, Preisreduzierungen für Medikamente und ein aktives Mandat für staatliche Investitionsbanken sein. Den nötigen Mentalitätswandel will Mazzucato durch die demokratisch kontrollierte Festlegung von Planzielen erreichen, die von einer „Ökonomie der Hoffnung“ (S. 346) angeleitet werden sollen. Ihr Plädoyer findet Widerhall in Forderungen nach einem Green New Deal, wie er von einer Minderheit der US-Demokraten während des Präsidentschaftswahlkampfes vorgebracht wurde. Einige dieser Argumente sind in früheren Beiträgen, z. B. ihrem Buch „Das Kapital des Staates“ (2014) ausführlicher behandelt worden. Mechanismen, wie ihre Forderungen realisiert werden können, diskutiert Mazzucato nicht, sondern will „eine neue Debatte anstoßen“ (S. 358).

Das Verdienst beider Autorinnen ist es, den Prozesscharakter und die Interessenbindung des Wirtschaftsrechts zum Gegenstand der Analyse zu machen und die beschränkten Perspektiven auf Kapital und Wert durch eine Kategorienkritik zu weiten. Deren Herstellung durch stets neue „Codierungstechnik“ (Pistor, S. 46) legt Grenzen der Willensbildung offen, wenn nicht gar deren systematische Umgehung. Die politischen Prozesse, die hierfür verantwortlich sind, werden in beiden Büchern allerdings zu wenig behandelt. Nicht immer handelt es sich bei den kritisierten Zuständen um bloße Abweichungen und Überdehnungen des Rechts, die von Interessengruppen und „Rentiers“ ausgeschlachtet werden. Vielmehr weisen beide Autorinnen selbst auf strukturelle Machtasymmetrien in der Rechtsetzung, vor allem aber auf verfestigte wirtschaftspolitische Konzepte hin, die von den maßgeblichen Akteuren nicht ohne Weiteres hinterfragt werden dürften. In anderen Besprechungen wurde Mazzucato deswegen mangelnde Ambition vorgehalten. Wenn es um eine politische Theorie der Innovationsförderung geht, ist dem wohl zuzustimmen, da ihre Kritik der Interessenbevorzugung von Finanzindustrie und Digitalwirtschaft politikwissenschaftlich vervollständigt werden muss. Was den Reformoptimismus angeht, ist dem gleichwohl zu widersprechen. Denn schon die von Mazzucato vorgeschlagenen Maßnahmen gelten heute als politisch kaum umsetzbar. Man denke nur an die jahrzehntealten Bemühungen um eine Besteuerung der Finanzspekulation. Der von Pistor favorisierte inkrementelle Rückbau des Steuer- und Regulierungswettbewerbs wäre schon als bedeutender Terraingewinn zu begreifen.