Bevilacqua, Alexander (2018): The Republic of Arabic Letters. Islam and the European Enlightenment. Cambridge: Harvard University Press. 368 Seiten. 32,50 €

Malcolm, Noel (2019): Useful Enemies. Islam and The Ottoman Empire in Western Political Thought, 1450–1750. Oxford: Oxford University Press. 512 Seiten. £ 25.00


Das Selbstverständnis demokratischer Gesellschaften im westlichen Erfahrungsraum ist bis heute stark geprägt von den Normen und Idealen der Aufklärung. Wir leben immer noch – trotz allen Rückschlägen und Anfechtungen – im Erwartungs- und Hoffnungshorizont, den die Aufklärung infolge eines langwierigen und schwierigen Lernprozesses erkämpft und abgesteckt hat. Dem Islam hingegen wird heute in Europa recht pauschal die Problemdiagnose erstellt, keine Aufklärung durchlaufen und erfahren zu haben. Umso wichtiger ist es herauszufinden, ob und wenn ja inwiefern, der islamische Orient zur Entstehung des europäischen politischen Denkens im Zeitalter der Aufklärung beigetragen hat. Mit Erstaunen stellt man aber fest, dass diese Frage in der politischen Ideengeschichtsschreibung Europas bis vor Kurzem kaum gestellt, geschweige denn beantwortet wurde, wenn wir einmal von der maßgeblich von Edward Said entfachten Orientalismusdebatte absehen.

Hier sollen zwei herausragende englischsprachige Monografien angezeigt werden, die nicht nur die Bedeutung der Frage nach der Rolle des Islams im politischen Denken Europas betonen, sondern Elemente einer Antwort zusammentragen: Alexander Bevilacqua porträtiert in seiner quellengesättigten, klug konzipierten und elegant geschriebenen Studie die „arabische Gelehrtenrepublik“ Europas im Zeitalter der Aufklärung, während Noel Malcolm die politische Ideengeschichte Europas von 1450 bis 1750 systematisch daraufhin abklopft, wie der Islam und das Osmanische Reich wahrgenommen wurden und ihre Betrachtung das politische Denken Europas befruchtet hat. Die Stärke beider Studien liegt in der Erschließung der Primärquellen der politischen Ideengeschichte Europas, wobei sie keine Gipfelwanderung zu den kanonisierten Denkern unternehmen, sondern weniger bekannte Autoren und Werke aus den dunklen Kammern der Geschichte hervorkramen und würdigen.

Bevilacqua verfolgt die Wege des europäischen Wissens über die islamische Zivilisation bis zu den Quellen zurück. Im ersten Kapitel seiner Studie zeigt er, wie Gelehrte, Diplomaten, Missionare, Händler und neugierige Reisende aus Europa auf eigene Initiative oder aber im Auftrag der Staaten, denen sie angehörten und dienten, arabische, persische und osmanische Manuskripte auf dem Büchermarkt in Istanbul kauften, sammelten und nach Europa schafften, um hier orientalische Bibliotheken zu gründen. Die Sammel- und Kaufwut der Europäer war zeitweilig so groß, dass die osmanischen Herrscher sich veranlasst sahen, im Jahre 1715 einzugreifen und den weiteren Bücherverkauf an Fremde zu untersagen (S. 30). Bereits in diesem Zusammenhang wird deutlich, dass die europäische Neugierde auf den Islam und das Osmanische Reich nicht „unschuldig“ war, insofern es dabei doch auch um die Aneignung von „Herrschaftswissen“ ging. Wie man aus den Bücherwunschlisten des französischen Ministers Jean-Baptiste Colbert an seinen gelehrten Diplomaten Antoine Galland ersehen kann, wollten die politischen Entscheidungsträger in Europa der frühen Neuzeit nicht nur über die Geschichte der islamischen Religion mehr erfahren, sondern auch über die Funktionsweise des Osmanischen Reichs, die Gewohnheiten und Mentalitäten der Gesellschaft, die Natur der Sprachen und Kulturen, den Entwicklungsstand der Künste und Wissenschaften. Gleichwohl ist die europäische Wahrnehmung des islamischen Erfahrungsraumes von Anfang an „religions- und buchlastig“, wobei es zwischen beiden Aspekten einen Zusammenhang geben dürfte, da die monotheistischen Buchreligionen glauben, die Wahrheit der Menschheit zwischen zwei Buchdeckeln unterbringen zu können. Es verwundert denn auch nicht, dass die Übersetzung des Korans eines der ersten und wichtigsten Beiträge der arabischen Gelehrtenrepublik Europas darstellte, die Bevilacqua im zweiten Kapitel eingehend würdigt.

Im dritten Kapitel entwickelt Bevilacqua seine zentrale These, wonach die arabische Gelehrtenrepublik Europas zwischen etwa 1650 und 1750 einen qualitativen Wandel in der Wahrnehmung des Islams bewirkt hätte. Zum ersten Mal in der Geschichte seien arabische Quellen und Erfahrungswelten von europäischen Gelehrten wie George Sale, Edward Pocock, Richard Simon, Adriaan Reland, Henry Stubbe, Humphrey Prideaux, Friedrich Spanheim, Johann Jacob Reiske, Simon Ockley, John Toland, Eusèbe Renaudot und Henri de Boulainvilliers breitenwirksam erschlossen, übersetzt und gedeutet worden, um die islamische Welt zu verstehen und in den europäisch-christlichen Erfahrungs- und Deutungshorizont aufzunehmen. Die Wissensproduktion habe eine Neubewertung der islamischen Religion und Zivilisation ermöglicht, die zudem durch den Umstand begünstigt worden sein dürfte, dass die Furcht der Europäer vor dem Osmanischen Reich in dem Zeitraum nachgelassen hatte (S. 76). Dabei seien die Angehörigen der arabischen Gelehrtenrepublik Europas nicht säkulare Denker, sondern Katholiken und Protestanten, die auf verschiedenen Ebenen den Islam mit dem Christentum, Judentum oder der griechischen Antike verglichen hätten, um das Blickfeld Europas für eine allgemeine Geschichte der Menschheit zu öffnen.

Aus der Gründungsgeneration der europäischen Orientalistik hebt Bevilacqua im vierten Kapitel seiner Studie einen Autor hervor, nämlich Barthélemy d’Herbelot de Molainville. Sein monumentales Werk, die mehrbändige „Bibliothèque orientale“, die zwei Jahre nach seinem Tod 1697 in Paris erschien, wurde im 18. Jahrhundert in ganz Europa übersetzt und gelesen, sie galt bis in das 19. Jahrhundert hinein als das bedeutendste europäische Referenzwerk über die islamische Welt. Im sechsten und letzten Kapitel seiner Untersuchung geht Bevilacqua auf die Wahrnehmungsgeschichte des Islams in der Aufklärungsepoche am Beispiel von Montesquieu, Voltaire und Gibbon ein. Er zeigt überzeugend, dass diese drei berühmten Schriftsteller, Philosophen und Historiker ihr Wissens- und Argumentationsmaterial über die islamische Welt aus Werken der arabischen Gelehrtenrepublik Europas bezogen, auch wenn die Reiseliteratur daneben eine bedeutende Rolle als Erkenntnisquelle spielte, die als eine eigene Literaturgattung mit den eher „wissenschaftlichen“ Werken der ersten Orientalisten um die richtige Deutung des Islams konkurrierte. Bevilacqua thematisiert denn auch die Reiseliteratur nur am Rande, wenn es darum geht, die literarischen Quellen der drei Denker zu erschließen; sie war vor allem für Montesquieu von herausragender Bedeutung, der sie vielfach heranzog, um seine Konzeption von orientalischem Despotismus zu entwickeln bzw. zu bestätigen (S. 169, 196). In seinen „Persischen Briefen“ bediente sich Montesquieu mit literarisch raffinierten Stilmitteln des orientalischen Spiegels, um die politischen Verhältnisse in der absoluten Monarchie Frankreichs zu kritisieren. Bevilacqua argumentiert, dass dieser eher erkenntnis-instrumentelle Umgang mit dem islamischen Orient typisch sei für die Philosophen und politischen Denker der Aufklärung. Sie hätten sich nicht sonderlich dafür interessiert, den Islam und die von ihm geprägten Gesellschaften und Imperien aus sich heraus zu verstehen wie die Autoren der arabischen Gelehrtenrepublik, sondern hätten ihre philosophischen Wunsch- und Schreckensbilder auf diese gewissermaßen übergestülpt. So schwankte Voltaires Haltung gegenüber Mohammed, dem Islam und den Arabern zwischen Dämonisierung und Idealisierung, Abscheu und Bewunderung, je nachdem, wieviel er über den Islam wusste und welche kritische Botschaft er an sein europäisches Publikum adressieren wollte. Am ehesten zeigt sich Bevilacqua von Gibbons Interpretationsleistung beeindruckt, der in seiner monumentalen Geschichte des Römischen Reichs auch die Entstehungsgeschichte des Islams bis zur osmanischen Eroberung Konstantinopels behandelte. Aber auch Gibbon wird dafür kritisiert, dass er mit den historischen Fakten und Quellen nicht immer verlässlich umgegangen sei, da er den Islam in seine große Geschichtserzählung vom Aufstieg und Niedergang einpassen wollte, in der das Fortschrittsnarrativ der Aufklärung wirksam war (S. 195, 197). Überhaupt sei die Wahrnehmung des Islams etwa ab 1750 in Europa eher ins Negative gekippt, konstatiert Bevilacqua: Die für die Gründungsgeneration der Orientalistik und Arabistik typische Annahme einer Art entfernten Familienähnlichkeit mit der islamischen Zivilisation sei verschwunden, da das aufklärerische Geschichtsbild Europa eine besondere Vorreiterrolle in der Weltgeschichte zugesprochen habe. Der politische und wirtschaftliche Aufstieg sei Europa zu Kopf gestiegen und habe ihm ein Bewusstsein der Überlegenheit verschafft, das dann später in Imperialismus und Kolonialismus umschlagen sollte (S. 200). Gleichwohl sei die philologische Erschließungs- und Deutungsarbeit der arabisch-islamischen Welt durch die europäischen Gelehrten im 16. und 17. Jahrhundert nicht verloren gegangen, da sie mit ihren Werken den Grundstein gelegt hätten für die späteren Bemühungen um Verständigung.

Eine anders akzentuierte und kompliziertere Wahrnehmungs- und Einflussgeschichte des Islams und Osmanischen Reichs im politischen Denken des westlichen Erfahrungsraumes vom späten Mittelalter bis zur Aufklärung im 18. Jahrhundert erzählt Malcolm in seiner Studie. Malcolm konzentriert sich zwar auf das politische Denken Europas im weiten Wortsinne, bezieht aber stärker als Bevilacqua den historischen Kontext und die jeweiligen Machtkonstellationen in seine Darstellung ein, sodass das politische Denken streckenweise als eine Begleit- und Folgeerscheinung der machtpolitischen Veränderungen im Verhältnis des europäischen Staatensystems zum Osmanischen Reich erscheint, auch wenn es längst nicht darin aufgeht. Ein Teil der von Bevilacqua behandelten und gewürdigten Autoren kommen auch bei Malcolm vor, aber nicht als kompakte Gelehrtengruppe, die des Arabischen mächtig war und über die Geschichte und Gegenwart des islamischen Orients forschte. Gleichwohl wird aber auch an dem von Malcolm erschlossenen ideengeschichtlichen Material sichtbar, dass es einen relativ engen europäischen Diskussionszusammenhang über den Islam und das Osmanische Reich gab.

Seine Monografie besteht aus 16 Kapiteln, in denen chronologische und systematische Gesichtspunkte miteinander verknüpft werden. Er beginnt seine Darstellung mit dem Fall Konstantinopels im Jahr 1453 und den Reaktionen darauf im christlichen Europa. Die europäische Wahrnehmung des Osmanischen Reichs als machtvoll, erfolgreich, gefährlich und angsteinflößend geht zurück auf dieses weltgeschichtliche Ereignis, das von beiden Seiten auch als ein heilsgeschichtliches gedeutet wurde. Malcolm zeigt, dass es schon im hohen Mittelalter neben der weitverbreiteten Feindschaft und Verdammung auch versöhnliche Reaktionen auf den Islam gab, etwa bei Nikolaus von Kues, der in seiner Abhandlung über den „Frieden des Glaubens“ dem Islam einen gewissen Wahrheitsgehalt zusprach, um Vielfalt und Einheit als Gottes Wille zusammenzudenken (S. 42). Nach der Reformation wurde der Islam in den Strudel des konfessionellen Wettstreits gezogen, Katholiken und Protestanten beschuldigten einander, den „ungläubigen“ Türken und Mohammedanern zu ähneln; Malcolm bringt das auf die Formel „calvinoturcism“ und „turcopapalism“. Die Abgrenzung vom Islam war jedenfalls ein wichtiges Moment der konfessionellen Identitätsstiftung, wobei die Frage nach der Trennung von Religion und Politik bereits hier einen Zankapfel darstellte: Luther warf den „Papisten“ vor, sich wie die „Mohammedaner“ allzu sehr der Welt und ihren Gütern anheim geliefert zu haben. Erst Philipp Melanchton erkannte, dass die Osmanen den reformierten Glauben respektvoller behandelten als die Katholiken und deshalb Toleranz die angemessenere Strategie im Umgang mit dem Islam sein könnte (S. 93).

Und tatsächlich gab es ja zwischen dem Königreich Frankreich, der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich immer wieder macht- und interessenpolitisch begründete Bündnisse und Allianzen; nicht zuletzt der Handel bewirkte eine Intensivierung der Beziehungen und Austauschprozesse, die auch die gegenseitige ideengeschichtliche Wahrnehmung bereicherte. Im sechsten Kapitel seiner Studie formuliert Malcolm seine zentrale These, es habe im 16. Jahrhundert einen Paradigmenwechsel in der europäischen Wahrnehmung des Islams und Osmanischen Reichs gegeben, den er wiederum vor allem an dem französischen Staatsdenker Jean Bodin festmacht (S. 131). Bis dahin habe man in Europa das Osmanischen Reich als eine grausame, vom Islam gestützte Eroberungsmacht wahrgenommen, die Europa bedrohte und die christliche Bevölkerung in ihrem Herrschaftsbereich unterdrückte. Nun aber, mit der Zunahme an empirisch gehaltvollen Informationen über das Funktionieren der Gesellschaft und des Reiches durch Reiseberichte und Studien, habe sich eine andere Sichtweise aufgedrängt: Das Osmanische Reich sei als ein stabiles politisches Gemeinwesen betrachtet worden, das in mancherlei Hinsicht den europäischen Monarchien überlegen sei und deshalb als Vorbild ernstgenommen werden müsse (S. 149). Die europäischen Gelehrten entkräfteten im Lichte der empirischen Befunde die überlieferten Vorurteile gegenüber dem Islam und des Osmanischen Reichs, erkannten die Ordnung und Disziplin im erfolgreichen Militärwesen an, würdigten das ausgeklügelte Rechtssystem und lobten die Toleranzpolitik der Osmanen. Damit wollten sie nicht den Muslimen gefallen, sondern die politischen Akteure Europas tadeln und Reformen anmahnen; Malcolm nennt diese Argumentationsstrategie „shame-praising“ (S. 38). Dass Machiavelli und die von ihm geprägte Staatsräson-Literatur, die die Eroberung und Erhaltung der Macht im Staat in den Mittelpunkt ihres politischen Denkens rückten, sich auch für das Osmanische Reich interessierten, überrascht nicht. Sie konnten insbesondere auch den Islam und die Unwissenheit des Volkes als ein politisches Herrschaftsinstrument der Elite und Mohammed als „bewaffneten“ Propheten und Gesetzgeber gut in ihr analytisches Tableau einordnen, da diese in Europa allesamt ihr Gegenpendant hatten. Überraschend ist aber, dass – wie Malcolm in einem seiner besten Kapitel zeigt – Tommaso Campanellas utopischer „Sonnenstaat“ maßgeblich durch das osmanische Gesellschaftsmodell und den Islam inspiriert sein soll (S. 192, 200).

Bemerkenswert ist auch, wie selbstverständlich das Osmanische Reich im 17. Jahrhundert in manchen Friedensentwürfen für Europa integriert wurde, etwa in demjenigen von Émeric Crucé (S. 263). Von den Denkern der Aufklärung wurde immer wieder auch die osmanische Toleranz gegenüber Christen gelobt und mit der Unduldsamkeit und Unterdrückung in den „christlichen“ Reichen Europas kontrastiert – von Pierre Bayle bis Voltaire. Gleichwohl beherrschten diese positiven Stimmen und Würdigungen nie den europäischen Diskurs über den Islam und das Osmanische Reich, es gab vielmehr eine widersprüchliche Vielfalt ihrer Wahrnehmungen und Konzeptualisierungen im politischen Denken Europas. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch an dem vielschichtigen Diskurs über den orientalischen Despotismus, den Malcolm in drei Kapiteln von den frühen Anfängen in der Antike bei Aristoteles über dessen Wiederauftauchen in der Staatstheorie von Bodin bis zu Montesquieu rekonstruiert. Zu dem ideengeschichtlichen Befund gehört auch die Erkenntnis, dass einige politische Denker von Rang wie etwa Hobbes, Spinoza oder Locke in ihren Werken kaum auf den Islam und das Osmanische Reich eingegangen sind und deshalb auch in der Studie von Malcolm nur am Rande gestreift werden. Im Rückblick staunt man auch etwas ungläubig darüber, dass es kaum einen bedeutenden Denker aus dem islamisch-arabischen Erfahrungsraum gegeben haben soll, der das politische Denken Europas in dem untersuchten Zeitraum direkt beeinflusst hätte, wie es etwa später der große Historiker Ibn Khaldun tat.

Am Ende seiner Untersuchung erwähnt Malcolm die einflussreiche Studie von Edward Said über den „Orientalismus“, um dessen Hauptthese zu widersprechen, Europa habe den islamischen Orient von jeher als sein „Gegenbild“ definiert, um es machpolitisch beherrschen zu können. Tatsächlich lässt sich diese These von Said nicht ohne weiteres auf das politische Denken Europas in der frühen Neuzeit und in der Aufklärung anwenden, er selbst hatte ja vor allem das 19. Jahrhundert und die machtgestützte Wissensproduktion der orientalistischen Fächer im Blick. Insofern bieten die beachtenswerten Monografien von Bevilacqua und Malcolm keine Korrektur, sondern eine sinnvolle Ergänzung der bahnbrechenden Studie Saids.