Cagé, Julia (2020): The Price of Democracy. How Money Shapes Politics and What to Do about It. Cambridge: Harvard University Press. 464 Seiten. 36 €

Piketty, Thomas (2020): Kapital und Ideologie. München: C. H. Beck. 1312 Seiten. 39,95 €

Rupert Breitling veröffentlichte Anfang der 1960er-Jahre in dieser Zeitschrift einen Beitrag über die Spendenpraxis der Industrie (Das Geld in der deutschen Parteipolitik, PVS 1961 2[4]). Er stellte heraus, wie Union und FDP im Wahlkampf 1949 um Zuwendungen der Unternehmen warben und dafür Spenden von Berufsverbänden und später auch für allgemeine politische Zwecke steuerlich begünstigten. Ihre Taktik ging auf, die Parteien konnten ihren Wahlerfolg 1953 konsolidieren. Eine wichtige Rolle spielten hierbei die Staatsbürgerlichen Vereinigungen, über die Großspenden der Wirtschaft eingesammelt wurden und an Parteigliederungen und Stiftungen zurückflossen. Das gesamte Ausmaß dieser „politischen Landschaftspflege“ wurde erst mit dem Flick-Skandal 1982 offenbar. Eine Deckelung von Parteispenden existiert bis heute nicht.

Die vorliegenden Monografien von Julia Cagé und Thomas Piketty greifen den Problemkomplex von wirtschaftlicher Macht und politischer Ungleichheit auf und behandeln ihn aus komplementären Perspektiven. Während Piketty mit seiner historisch angelegten Grundlagenstudie die Ideologie des Privateigentums in den Vordergrund rückt, fokussiert Cagé auf die Institutionen der Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Beide haben Professuren am Sciences Po in Paris inne und sind durch gemeinsame Forschungsaktivitäten arbeitsteilig und persönlich verbunden. Beide greifen für ihre Problemdiagnose auf teils neu erhobene, teils über die Jahre zusammengetragene Datenbestände aus Steuer- und Spendenstatistiken zurück, die sie der Öffentlichkeit zugänglich machen. Und beide machen tiefgreifende Vorschläge zur Reduktion ökonomischer Ungleichheit, die sie als notwendige Bedingung für eine funktionierende repräsentative Demokratie und eine Demokratisierung des Wirtschaftslebens erkennen.

Zunächst zu Cagé: Deren Untersuchungsziel lässt sich in der Forschungsfrage bündeln, warum die Institutionen der Politikfinanzierung die Reproduktion politischer Ungleichheit fördern (S. 2). Die Antwort sieht Cagé in größeren Einflusschancen hoher Einkommen und Vermögen, die statistisch gesehen mehr für die Politikfinanzierung aufwenden, sodass „money still occupies center stage in politics; democracy means who pays wins“ (S. 1). Ihre Beweisführung nimmt sie in drei Schritten vor und macht zunächst eine etwa einhundert Seiten umfassende Bestandsaufnahme der Politikfinanzierung in den USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Deutschland und Italien. Neben den konventionellen Formen der Parteien- und Wahlkampffinanzierung beleuchtet sie auch weniger beachtete Einflussmechanismen wie die Gründung von Denkfabriken, Stiftungen und die wirtschaftliche Beteiligung an Massenmedien und der Tagespresse. Letztere erlange Bedeutung, da hierdurch die Presse- und Medienkonzentration vorangetrieben werde. Der Kauf der Washington Post durch Amazon-Gründer Jeff Bezos sei hierfür nur das prominenteste Beispiel. Die Beteiligung an Dienstleistern wie Cambridge Analytica hingegen wäre eine Vorstufe der Beeinflussung der politischen Öffentlichkeit, wie die Wahl Trumps und das Brexit-Referendum zeigten (S. 126–127).

Kernaussage dieses Abschnitts ist, dass die bestehenden Systeme der Politikfinanzierung Vermögende dreifach begünstigen: Sie verfügten zum ersten über einen größeren finanziellen Handlungsspielraum, der per se als politische Einflussgröße in die Waagschale geworfen werden könne, gleich ob er geltend gemacht würde oder nicht. Vermögende könnten zum zweiten durch Spenden und Stiftungen ihre politischen Zwecke finanziell stärker als andere Menschen fördern. Sie würden hierfür schließlich zum dritten überproportional steuerlich begünstigt (S. 66). Möglich machten dies die Regeln zum Abzug von Aufwendungen für politische Parteien, für Zwecke der politischen Bildung und der Kulturförderung von der Einkommen- und der Körperschaftsteuer. Dass Stiftungen auch noch das Verfügungsrecht über das eingebrachte Vermögen der demokratischen Kontrolle durch den Gesetzgeber entzögen, mache sie nicht zuletzt zu beliebten Steuersparmodellen einer neuen Oligarchie superreicher Philanthropen (S. 9).

Während die Autorin im zweiten Abschnitt verfehlte Gelegenheiten der Finanzreform und die Beschränkungen der öffentlichen Wahlkampffinanzierung diskutiert, bietet der dritte Abschnitt Vorschläge zur Trendumkehr. So soll ein Spendenlimit das Ausmaß der Zuwendungen pro Person und Jahr auf maximal 200 Euro begrenzen, „in order to encourage activist commitment“ (S. 278). Um dies zu erreichen, will Cagé das Steuerprivileg für Parteispenden abschaffen und allen Bürgerinnen und Bürgern eine gleiche Spendensumme einräumen. Sie spricht an dieser Stelle von der Einführung von „Democratic Equality Vouchers“ (S. 277), Gutscheinen, mit denen jedes Jahr von jeder Person ein kleiner Betrag für eine politische Partei oder einen politischen Zweck gespendet werden kann. Für den französischen Fall ermittelt sie einen Spendenbetrag von 7 Euro je Einwohnerin und Einwohner. Der dafür erforderliche Gesamtbetrag soll sich aus Einsparungen im Staatshaushalt ergeben, wobei der Wegfall des steuerlichen Spendenprivilegs die Kosten weitgehend egalisiere.

Um die Parlamente sozial repräsentativer zu machen, schlägt Cagé vor, ein Drittel aller Mandate nach beruflicher Stellung zu vergeben (S. 299). Hierdurch sollen Arbeiterinnen und Arbeiter und prekär Beschäftigte in den Parlamenten Gehör finden. Cagé verspricht sich hierüber nicht nur eine Steigerung der deskriptiven Repräsentation, sondern auch ein verändertes Abstimmungshandeln. Hintergrund sei der berufliche Sozialisationseffekt, denn ein gemeinsam geteilter Erfahrungshorizont aus der Arbeitswelt würde unter den Parlamentarierinnen und Parlamentariern das Bewusstsein für die gesellschaftlichen Realitäten schärfen. Sie würden schlicht wieder Interessen der abhängig Beschäftigten zur Kenntnis nehmen müssen (S. 317). Hätten früher die Gewerkschaften für eine Transmission dieser Interessen in die politische Arena sorgen können, sei dieses Band durch Deregulierung des Arbeitsmarktes, Zersplitterung der Tariflandschaft und Mentalitätswandel durchbrochen (S. 302). Die Parteien würden den Klassenkonflikt nicht mehr politisieren.

Eine mangelnde Politisierung des Klassenkonflikts kritisiert auch Piketty und führt dies auf einen Wandel des Parteiensystems zurück. Insbesondere die sozialdemokratischen Parteien, so Piketty, hinterließen ein Repräsentationsdefizit. Denn der Kern ihrer Anhängerschaft bestünde heute aus zumeist hochgebildeten, multikulturell orientierten Gruppen. Diese hätten wiederum für die realen Nöte der arbeitenden Klasse und der wachsenden Schar hochqualifizierter Prekarisierter kein Verständnis. Die Populismus-Debatte der letzten Jahre hätte die wechselseitige Sprachlosigkeit eindrücklich bestätigt (S. 1180). Dieser Befund ist nicht neu, Piketty bettet ihn jedoch in eine übergreifende Geschichte ein, die von den Versuchen zur Rechtfertigung von Ungleichheit berichtet. Hierfür findet er den sperrigen Begriff der „Ungleichheitsregime“, will diese aber anders als Marx und Engels nicht als Abbild der gesellschaftlichen Produktivkräfte verstanden wissen, sondern beharrt auf einer „genuinen Autonomie der Ideen, das heißt der ideologisch-politischen Sphäre“ (S. 22).

Seine Beweisführung vollzieht er in vier Schritten: Zunächst stellt er in einem allgemeinen Abriss von etwa 200 Seiten den Verlauf verschiedener Ungleichheitsregime über Raum und Zeit dar, widmet sich dann der Frage, wie Sklavenhalter- und Kolonialgesellschaften soziale mit ökonomischer Ungleichheit verknüpften (weitere 260 Seiten), ehe er im dritten Teil eine Rekonstruktion des „demokratischen Kapitalismus“ vornimmt. Darin grenzt er die wohlfahrtsstaatlichen Errungenschaften der sozialdemokratischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegungen von den Revolutionsversuchen der (real-)sozialistischen und kommunistischen Parteien ab und konfrontiert diese mit dem neoliberalen „Rollback“ seit den späten 1970er-Jahren (in Westeuropa, den USA und China) bzw. ab den 1990er-Jahren in Osteuropa und Russland. Dem schließt sich eine knapp 300 Seiten umfassende Interpretation der aktuellen Situation an, in der Piketty die aus seiner Sicht neuen Konfliktlinien nachzeichnet, vor einem Rückfall in nationalistische und identitätspolitische Verkürzungen politischer Konflikte warnt und eine Reformalternative entwirft.

Die Alternative, die er mit Rücksicht auf gescheiterte Reformversuche als „partizipativen Sozialismus“ (S. 1186) bezeichnet, führt fiskalpolitische und demokratische Instrumente zusammen. Neben einer Wiederherstellung der Steuerprogression in allen direkten Steuern soll vor allem eine auf die Vermögenssubstanz zielende Erbschaftsteuer eine „Dekonzentration des Eigentums“ (S. 1197) leisten und egalitäre Startchancen für alle Bürgerinnen und Bürger gewährleisten. Um langfristig die Logik des Privateigentums zu überwinden, die aus Sicht von Piketty heute von einem exklusiven „Proprietarismus“ (S. 50) zur Rechtfertigung der Vermögensungleichheit ideologisch abgestützt werde, müsse der Anteil von öffentlichem und Gemeineigentum ausgeweitet werden. Demokratie in der Wirtschaft, schließlich, könne nur dann herrschen, wenn auch die Mitbestimmung der Beschäftigten qualitativ ausgeweitet würde. Der Herrschaft des Shareholder-Value stellt er die Einführung von Höchststimmrechten in Aktiengesellschaften und einen Ausbau der Gemeinwirtschaft entgegen.

Cagé und Piketty sehen sich der Politischen Ökonomie verpflichtet. Das mag auch Grund dafür sein, dass ihre Bücher viel zu möglichen Alternativen aussagen, aber wenig Angaben darüber enthalten, wie diese politisch realisiert werden sollten. An dieser Stelle liegt ihr Reformoptimismus im Widerspruch zur vorausgeschickten Analyse. Wenn doch wirtschaftliche Macht heute auf verschiedenen institutionellen Ebenen garantiert und durch stets neue Legitimationsmuster auch ideologisch abgesichert werde, wie kann dann unter sonst gleichbleibenden Bedingungen ein politischer Wandel erreicht werden? Und durch wen? Berücksichtigt man ferner, dass es überwiegend Ökonominnen und Ökonomen sind, die politikberatend tätig werden, dies aber ohne eine politische Theorie tun, dann obliegt es der Politik, nach Umsetzungsszenarien zu suchen. Und dies kann Verkürzungen und Umdeutungen zur Folge haben, die die gut gemeinte Absicht verkehren. Möglicherweise wäre daher kein neuer „großer Wurf“ angezeigt, sondern eine policy-relevante Theorie der Distribution, für die Cagé und Piketty so elaboriert Eckpunkte und Hürden benennen.