Seit dem Beginn ihres Aufstiegs in den frühen 1990er-Jahren hat die deliberative Demokratietheorie mehrere Wenden genommen. Eine empirische Wende um die Jahrtausendwende hat die empirische Deliberationsforschung, die sich vorwiegend mit Bürgerbeteiligung in Mini-Publics befasst, zu einem fruchtbaren Forschungsfeld werden lassen. Die systemische Wende etwa zehn Jahre später stellt eine Rückbesinnung auf frühe Beiträge und insbesondere Jürgen Habermas dar sowie auf die Einsicht, dass sich Legitimationsansprüche nicht an einzelne deliberative Foren, sondern an das politische System als Ganzes richten müssen. Mit ihrem neuen Buch ergänzt Cristina Lafont nun diese systemische Perspektive um einen dezidiert partizipatorischen Fokus. Anders als den zahlreichen Fürsprecherinnen und Fürsprechern deliberativer und direktdemokratischer Innovationen geht es ihr allerdings weniger darum, repräsentativdemokratische Entscheidungsverfahren und Institutionen zu ergänzen oder gar zu ersetzen. Stattdessen steht für Lafont die Frage im Mittelpunkt, wie unter Bedingungen moderner Massendemokratien das Ideal demokratischer Selbstbestimmung so verwirklicht werden kann, dass Bürgerinnen und Bürgern nicht abverlangt wird, sich den Entscheidungen anderer blind zu unterwerfen. Die Mehrzahl der aktuell diskutierten und auch umgesetzten Reformen, etwa zur Stärkung direktdemokratischer Elemente oder Einrichtung deliberativer Bürgerforen, ziele, so Lafonts zentrales Argument, jedoch darauf ab, an der demokratischen Öffentlichkeit vorbei Abkürzungen (Shortcuts) zu legitimen Entscheidungen zu finden. Allerdings führe keine dieser Abkürzungen zum Ziel: „The only road to better political outcomes is the long, participatory road that is taken when citizens forge a collective political will by changing one another’s hearts and minds. Commitment to democracy simply is the realization that there are no shortcuts“ (S. 4).

Im ersten Teil des Buches rechtfertigt Lafont ihre Konzeption deliberativer Demokratie in Abgrenzung von pluralistischen Theorien, welche die Legitimation von Entscheidungen rein prozedural über die Möglichkeit zur freien und gleichen Teilnahme an demokratischen Verfahren begründen. Entgegen pluralistischer Theorien, die aus der Unüberwindbarkeit von Interessengegensätzen und Meinungsunterschieden folgern, dass majoritäre Verfahren hinreichend für demokratische Entscheidungen seien, argumentiert sie für die Notwendigkeit wechselseitiger Rechtfertigung und Überzeugung in politischen Konflikten. Solange Mehrheitsentscheidungen, und zwar auch und gerade direktdemokratische, nicht an deliberative Prozesse anschlössen, stellten sie nichts anderes als den letztlich vergeblichen Versuch einer Abkürzung dar: Solange die Gründe für eine Entscheidung nicht öffentlich geprüft und nachvollzogen sind, werden diese soziale Konflikte nicht befrieden können, sondern im Gegenteil erst recht befeuern – ein naheliegendes Beispiel hierfür wäre das Brexit-Votum. Zudem mache ein rein prozeduralistisches Demokratieverständnis auch die Kontestation von Entscheidungen aus substanziellen Gründen widersinnig: Wenn das Verfahren allein jede denkbare Entscheidung hinreichend legitimiert, kann diese auch nur aus prozeduralen Gründen infrage gestellt und revidiert werden. Dieses Verständnis von Demokratie widerspreche jedoch der alltäglichen Praxis von Bürgerinnen und Bürgern, in welcher diese sowohl vor als auch nach Entscheidungen versuchen, andere von der Richtigkeit ihrer Position zu überzeugen.

Im zweiten Teil des Buches behandelt Lafont in ihren Augen problematische Konzeptionen deliberativer Demokratie, welche ebenso wie fundamentalpluralistische Theorien auf illegitime Abkürzungsversuche in der demokratischen Willensbildung hinauslaufen. Epistemische Konzeptionen deliberativer Demokratie, welche die Demokratie als Instrument der Wahrheitssuche begreifen, liefen auf expertokratische Abkürzungsversuche hinaus, etwa die Delegation von Entscheidungen an Expertengremien. Die noch einflussreicheren „lottokratischen“ Konzeptionen, die durch Zufallsauswahl rekrutierten deliberativen Bürgerforen Entscheidungskompetenzen verleihen wollen, führten zu einem ähnlichen Shortcut: Auch hier würde den nicht beteiligten Bürgerinnen und Bürgern abverlangt, sich der Entscheidung eines aufgrund von Deliberation vermeintlich besser informierten Bürgerforums blind zu unterwerfen, ohne die Gelegenheit gehabt zu haben, Beweggründe nachzuvollziehen und infrage zu stellen.

Vor dem Hintergrund dieser Kritik präzisiert Lafont anschließend ihre Konzeption partizipativer deliberativer Demokratie und öffentlichen Vernunftgebrauchs. Im dritten Teil des Buches läuft diese auf den praktischen Vorschlag hinaus, politische Debatten zu konstitutionalisieren und die Institution der Normenkontrolle partizipativ aufzufassen: Bürgerinnen und Bürger „in Roben“ könnten Entscheidungen in öffentlichen Diskursen darauf prüfen, ob sie fundamentale Rechte und Freiheiten wahren. Hinsichtlich der institutionellen Voraussetzungen solch konstitutionalisierender Diskurse bleibt Lafont jedoch eher vage. Zudem erschließt sich das Potenzial einer Konstitutionalisierung von Diskursen vor allem für eher moralische Konflikte etwa über Fragen nach LGBT-Rechten oder den Umgang mit religiösen Geltungsansprüchen, der in einem eigenen Kapitel sehr aufschlussreich behandelt wird. Offener bleibt jedoch, inwieweit die Bezugnahme auf grundlegende Rechte auch in massiven Verteilungskonflikten, beispielsweise über die Verteilung der Lasten in der Bekämpfung des Klimawandels und in einer zunehmend postnationalen Konstellation, Diskurse in einer verständigungsorientierten Weise strukturieren kann.

Lafonts partizipative Konzeption deliberativer Demokratie stellt für die theorieimmanente Diskussion eine wichtige Ergänzung der systemischen Perspektive sowie eine überfällige und scharfsinnige Kritik problematischer, insbesondere expertokratischer und lottokratischer, Entwicklungen im deliberativen Paradigma dar. Darüber hinaus sind dem Buch aber auch zahlreiche Leserinnen und Leser einer breiteren Fachöffentlichkeit zu wünschen: Mit ihrem zugänglichen Schreibstil und der klaren Argumentation bietet Lafont eine auch alleinstehend schlüssige und überzeugende Demokratietheorie an.