Seit den für viele überraschenden Erfolgen von populistischen Politikern (wie Donald Trump) und Politiken (wie dem Brexit) hat die Suche nach politikwissenschaftlichen Erklärungen Hochkonjunktur. Woher kommt die Freude an populistischen „Lösungen“ und Persönlichkeiten und wie lassen sich zumindest die demokratiegefährdenden Elemente dieser Entwicklung zurückdrehen? In dieser Debatte haben sich zwei herausragende Vertreter der Disziplin, Pippa Norris und Ronald Inglehart, klar positioniert. Kulturelle Triebkräfte – so verraten sie schon im Titel – sehen sie hinter den jüngeren Entwicklungen und dies soll auf 540 Seiten auch bestätigt werden.

Das Buch gliedert sich in vier größere Teile. In der „introduction“ wird zunächst die Theorie des „cultural backlash“ entwickelt, die auf den prominenten früheren Arbeiten Ingleharts fußt. Da sie in zunehmender materieller Sicherheit aufwachsen, adaptieren die Nachkommen der Kriegsgeneration demnach kontinuierlich progressivere Werte als ihre Eltern (z. B. befürworten sie Umweltschutz, sexuelle Selbstbestimmung und Geschlechtergleichheit). Diese schleichende, aber weitreichende „stille Revolution“ bleibt jedoch nicht unwidersprochen. Vor allem abseits der städtischen Zentren verharren viele Menschen (mit tendenziell niedrigeren Bildungsabschlüssen) weiterhin in einem konservativen Wertegerüst und akzentuieren Sicherheit, Konformität und Folgebereitschaft. Sie sehen diese Werte jedoch atemberaubend schnell verfallen. Durch Einwanderung beförderte kulturelle und ethnische Vielfalt überfordert sie weiter und ökonomische Kümmernisse wirken als Katalysator ihrer kulturellen Rückbesinnung. Die Konfrontation zwischen Progressiven und Konservativen kann schließlich einen „tipping point“ erreichen, an dem letztere zur leichten Beute für die Ansprache autoritärer Populisten werden. Diese komplexen Entwicklungen skizziert das Buch anhand von Daten des World Value Surveys und des European Social Surveys (ESS) für die USA und Europa.

Zu dieser Nachfrage muss sich nun nur noch ein passendes politisches Angebot gesellen, das Norris und Inglehart im autoritären Populismus erkennen. Ihre Populismusdefinition ist ähnlich (aber nicht identisch) zu Cas Muddes prominentem Konzept der „thin-centered ideology“: Populismus sei vor allem ein rhetorischer Stil und Populisten spielten ein vermeintlich homogenes, moralisch reines Volk gegen eine verkommene Elite aus. Beimengungen autoritärer Grundeinstellungen begründen schließlich einen „cult of fear“ (S. 7), aus dem heraus Ressentiments gegen das politische Establishment und ethnisch bzw. kulturell definierte Outgroups gerichtet werden. Der dritte Teil beleuchtet, wie sich (teils) autoritär-populistische Werte auf individueller Ebene in die Wahl autoritär-populistischer Parteien übersetzen. Dazu wird zunächst auch die Angebotsseite umfangreich vermessen. Auf Basis von Items des Chapel Hill Expert Survey werden dazu 268 Parteien aus 31 Ländern auf drei abstrakten politischen Dimensionen verortet (autoritär-liberal, populistisch-pluralistisch und links-rechts). Dabei plädiert das Buch dafür, dichotome Konzepte durch kontinuierliche zu ersetzen – eine Partei kann demnach mehr oder weniger populistisch bzw. pluralistisch sein. Auf Basis verschiedener Regressionsmodelle wird sodann argumentiert, dass generationelle Unterschiede (vermittels des Wertewandels) eine wichtige Teilerklärung für Wahlbeteiligung und Neigung zu autoritären bzw. populistischen Politikangeboten liefern. Im Kern zeigt sich, dass autoritäre Politikangebote vor allem vom mittlerweile auch hierzulande sprichwörtlichen alten weißen, geringer gebildeten, religiösen Mann vom Lande gewählt werden.

Schließlich wird auch der institutionelle Einfluss des Wahlsystems berücksichtigt und Norris und Inglehart zeigen, wie Disproportionalität die elektorale Fortune verschiedener autoritär-populistischer Bewegungen (z. B. FPÖ in Österreich, PVV in den Niederlanden oder UKIP im Vereinigten Königreich) beeinflusst (allerdings wirkt dieser Teil etwas bemüht aus Norris’ früheren Arbeiten in den Band hineinbugsiert). Abschließend folgen Fallstudien zu Trumps Amerika und Großbritanniens Brexit, wobei hier neben der bekannten quantitativen Perspektive auf generationell vermittelten Wertewandel auch interessante qualitative Empirie zu Wort kommt.

Norris und Inglehart haben ein konzeptionell und empirisch sehr reichhaltiges Buch vorgelegt. Darin finden auch diejenigen interessante Ideen und Zusammenfassungen, die sich abseits der Populismusliteratur allgemeiner mit der Einordnung von Parteien oder der Theorie des Wertewandels beschäftigen wollen. Der Umfang der bearbeiteten Daten ist zweifellos beeindruckend und dokumentiert den fundamentalen Wandel der Wählermärkte und Parteiensysteme in Europa.

Mit der klaren Vorfestlegung auf den „cultural backlash“ als zentrale Erklärung des autoritären Populismus fügt sich das Buch aber m. E. in einen unnötigen und auch unfruchtbaren Streit eigentlich komplementärer ökonomischer und kultureller Erklärungen. Die Verengung auf das Kulturelle macht zwar eine verlockend einfache Theorie, aber eben noch keine überzeugende Erklärung. Zuletzt hat Philip Manow etwas überspitzt überzeugend dargelegt, dass populistische Reflexe (auch) von (zu befürchtenden) ökonomischen Entbehrungen angetrieben sind.

Zudem steht die klare Festlegung auf Kultur auch in der eigenen Empirie auf wackligen Beinen. Bereits bei der Messung der zentralen Konzepte werden teils arg entfernte Proxies verwendet. So werden Parteien im empirischen Modell populistischer, je wichtiger ihnen Antikorruptionspolitik ist und aus ESS-Items zu politischem Vertrauen in Parlamente, Parteien und Politiker werden Indikatoren für populistische Orientierungen („critical democrats“ können jedoch geringes Vertrauen in die Politik haben ohne gleichzeitig antipluralistischen Ideen anzuhängen). Norris und Inglehart ist zugutezuhalten, dass die verfügbaren Surveys keine besseren Items bereithalten, da sie vor Trump, Brexit und AfD eben noch nicht für den (autoritären) Populismus geeicht waren. Auch gehen sie sehr transparent mit diesen Limitationen um.

Die in der gesamten Empirie betonte Unterteilung in vier Generationen anhand des Geburtsjahrs (1900–1945, 1946–1964, 1965–1979 und 1980–1996) kommt sehr grob daher und hat, wenig überraschend, auch gar keine große Erklärungskraft. Werden in den Regressionsmodellen zum Wahlverhalten zusätzliche Variablen auf individueller Ebene aufgenommen (z. B. Bildung, Geschlecht, Religion, Klasse), schmelzen die Generationeneffekte zusammen. Teils werden sie trotz der riesigen gepoolten ESS-Samples sogar insignifikant. Die oft über zwei Seiten laufenden Regressionstabellen sind spätestens für die leicht ablenkbare Generation der Millennials ohnehin schwer verdaulich. Visualisierungen der zentralen substanziellen Effekte hätten hier den Zugang vereinfacht.

Für kulturelle Erklärungen des Rechtspopulismus wird das Buch sicher zu einer Standardreferenz. Auf ein ähnlich opulentes Werk zum komplizierten Verhältnis von Kultur und Ökonomie in der Erklärung populistischer bzw. autoritärer Reflexe müssen wir aber weiter warten.