Zur Erklärung der Konjunktur populistischer Parteien und Bewegungen in den liberalen Demokratien westlicher Provenienz wird seit einigen Jahren wieder verstärkt auf die sozialen Voraussetzungen partizipativer Systeme eingegangen. Zeitdiagnostische Schlagwörter wie Postdemokratie, Repräsentationskrise oder neue ökonomische und kulturelle Polarisierungen prägen die Debatten über einen Legitimationsschwund der politischen Nachkriegsordnung, die ihre Integrationsleistung vor allem aus dem Zusammenwirken von sozialer Aufwärtsmobilität und politischer wie wirtschaftlicher Stabilität bezog. Die Erosion dieser Legitimationsquelle führt auch Grégoire Chamayou in seiner Studie zu der Frage, ob eine „postkeynesianische Demokratie“ (S. 319) überhaupt möglich ist, oder ob sie neue Gegenbewegungen im polanyischen Sinne hervorruft. Als eine solche „dritte Bewegung“ (S. 11) versteht er die „geistig-politische Mobilmachung“ von „oben“ (S. 10), deren Beginn er in den 1970er-Jahren verortet und die das Ziel verfolgt, der schwindenden Sozialintegration durch eine neue Form neoliberaler Gouvernementalität zu begegnen. Die zentrale Innovation dieses Neoliberalismus sieht Chamayou in neuen „Formen der Metakontrolle“ (S. 88), die externe Disziplinierungsmaßnahmen in subtilen Selbstoptimierungsdruck überführt und die Subjekte dafür in die Verantwortung nimmt. Weil die Politik durch diesen Formwandel der Regierungstechnik aber nicht an Macht verliere, sondern vielmehr an Effizienz gewinne, bezeichnet er den Neoliberalismus unter Rückgriff auf Hermann Heller als „autoritären Liberalismus“ und schreibt eine Geschichte seiner Genealogie aus philosophischer Sicht.

Damit ist der konzeptuelle Anspruch der Arbeit benannt. Sie ist keine „Ideengeschichte des Neoliberalismus“ (S. 11), sondern zeichnet seine programmatischen Widersprüche, seine „Theorieprogramme und Praxisideen“ (S. 11) vor dem Hintergrund sozialer Auseinandersetzungen und historischer Kontingenzen nach. Laut Chamayou sollte der Neoliberalismus nicht als Doktrin verstanden werden, sondern als Reaktion auf eine spezifische Krisensituation. Entsprechend versteht er ihn als „hybrides Produkt […], dessen eigentümliche Synthesen nur aus der Geschichte der Konflikte erklärbar sind, die ihre Entstehung prägten“ (S. 12). Immer wieder wird im Laufe der Untersuchung auf den Synkretismus und die Heterogenität des Neoliberalismus verwiesen. Weil er zugleich eine geistige und politische Mobilmachung ist, gebe es Diskrepanzen zwischen der Legitimationstheorie und seiner politischen Steuerungspraxis, was sich auch in Widersprüchen zwischen „ökonomischer Firmentheorie und strategischem Unternehmensdenken“ (S. 181) niederschlage. So dominierten in der neoliberalen Diskurspraxis „amphibische Konzepte“ (S. 192), die abwechselnd als ethische Begriffe und strategische Kategorien verwendet werden.

Chamayou rekonstruiert die Diskurse um „Unregierbarkeit“, die in den 1960er- und 1970er-Jahren in den westlichen Massendemokratien von zumeist konservativen Akteuren geführt wurden, um neue Konfliktfelder in postindustriellen Gesellschaften zu sistieren. Dazu untersucht er englischsprachige Quellen aus dem Umfeld der Wirtschaftstheorien und des Managements, die den Charakter von „Kampfschriften“ (S. 15) tragen und strategisch auf diese Konfliktfelder reagierten. Durch eine systematische Montagetechnik ist aus Fragmenten und Zitaten dieses Korpus ein strukturierter Text entstanden, der von Chamayou in sechs Problemachsen gegliedert ist. Von Berichten über eine steigende Disziplinlosigkeit der Arbeiter und neuen Konflikten zwischen Unternehmenseigentümern und Managern schlägt die Studie einen Bogen über aufkommende Forderungen nach einer Demokratisierung der hierarchischen Wirtschaftsstruktur, die Kritik aus dem Umfeld der Neuen Sozialen Bewegungen an unmoralischen Unternehmenspraktiken, administrative Regulierungsvorhaben bis zum vermeintlichen Erwartungsdruck von „pressure groups“ an den Wohlfahrtsstaat.

In all diesen Problemfeldern zeichnet Chamayou die Entstehung von Gegenbewegungen nach, die auf die „Krise der disziplinarischen Regierbarkeit“ (S. 25) reagierten und ihre Konvergenz in der Entwicklung von neuen Kontrollstrategien fanden. So wurden etwa Forderungen nach Autonomie und Selbstbestimmung aufgegriffen und in eine „neue Kunst der Arbeitsführung“ (S. 25) überführt, während der Börsenmarkt als ein „Instrument sozialer Regulierung“ (S. 91) der verselbstständigten Manager entdeckt wurde. Als Resultat dieser Bewegungen entstand eine „marktbasierte Unternehmenstheorie“ (S. 81), aus der sich schließlich ein neoliberales „Gouvernancedenken“ (S. 66) entwickelte. Chamayou zeigt eindrucksvoll, wie Unternehmensreformer neben dieser Managementreform auf einen strategischen Gegenaktivismus setzten und mit „epistemischen Attacken“ (S. 177) in eine „Ideenschlacht“ (S. 107) eintraten. Ihr Ziel sei die Delegitimierung der Kritik gewesen, die aus dem Umfeld der sozialen Bewegungen formuliert wurde und die Profitraten der Unternehmen in Form von staatlichen Regulierungsvorgaben bedrohte. Durch eine „Kreuzung aus Militär‑, Partei- und Marktstrategie“ (S. 162) sollten einerseits die sozialen Bewegungen proaktiv neutralisiert und gespalten werden. Andererseits setzten viele Unternehmenslobbyisten auf eine „Methode der Responsabilisierung“ (S. 259), wobei die sozialen Kosten der Privatproduktion auf die Endverbraucher übertragen wurden. Als Beispiel führt Chamayou die Werbekampagnen gegen Umweltverschmutzung und „littering“ an, mit denen die Wiedereinführung eines Pfands auf Flaschen erfolgreich verhindert wurde.

Das Regierungsdilemma des Neoliberalismus deutet Chamayou in dieser Perspektive einer „Externalisierungsgesellschaft“, wie sie in Deutschland der Soziologe Stephan Lessenich beschrieben hat. Weil die kapitalistische Definition des Werts nur die ökonomischen Kosten berücksichtige und die sozialen Kosten implizit voraussetze, sei sie auf immer neue Formen der Verhaltensdisziplinierung angewiesen, um einen „Aufstand der Externalisierten“ (S. 234) zu verhindern. Der Unregierbarkeitsdiskurs sei daher keine zutreffende Gesellschaftsdiagnose, sondern lediglich Ausdruck einer relativen Unregierbarkeit, einer Krise der Externalisierung.

Die große Leistung von Chamayous Studie liegt darin, den omnipräsenten Zeitdiagnosebegriff des Neoliberalismus historisch zu kontextualisieren und gegen aktuelle Vereinfachungen zu schärfen. Trotz der latenten Ohnmacht, die angesichts des ausgebreiteten Materials zurückbleibt, erinnert Chamayou auch daran, dass die neoliberale Ordnung keineswegs alternativlos ist, sondern das Produkt einer politischen Hegemoniestrategie und sozialer Kämpfe. Nur in der Retrospektive erscheinen seine Akteure als kohärent und mächtig. Damals waren sie sich jedoch „keineswegs sicher, diese Schlacht zu gewinnen“ (S. 207).