Ideengeschichtliche Abhandlungen sind in der Verwaltungswissenschaft eher selten. Dementsprechend fehlt es an einem breiten Verständnis für die intellektuellen Wurzeln des eigenen akademischen Tuns. Der hier besprochene Band von Sager und KollegInnen ist diesbezüglich eine positive Ausnahme. Die „transatlantische Geschichte“, die erzählt wird, verdeutlicht, wie reichhaltig die intellektuellen Wurzeln der modernen Verwaltungswissenschaft dies- und jenseits des Atlantiks sind. Darüber hinaus zeigt sie, wie insbesondere in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine intensive wechselseitige Rezeption des verwaltungswissenschaftlichen Denkens zu Anpassungsprozessen und zur Modernisierung der verwaltungswissenschaftlichen Theorien, Perspektiven und Methoden geführt hat.

Das Forschungsprogramm des Buches zielt darauf zu belegen, dass für die intellektuelle Ausprägung der verwaltungswissenschaftlichen Disziplin in Deutschland, Frankreich und den USA nicht nur die klassischen Verwaltungstraditionen verantwortlich sind – was der gängige Kanon der vergleichenden Verwaltungsforschung nahelegt –, sondern dass vielmehr nationale Traditionen und wechselseitige Rezeptionen sich überlagert haben und daher die Diskurse, die in den jeweiligen Ländern akademisch und auch verwaltungspraktisch geführt werden, deutlich näher beieinander liegen, als es die Rede von der Verwaltungstradition suggerieren würde. Mit diesem Forschungsprogramm trägt das Buch in zweierlei Hinsicht zu einem wertvollen Erkenntnisgewinn bei. Erstens liefert es eine detaillierte und analytisch scharfsinnige Darstellung vieler intellektueller Quellen modernen verwaltungswissenschaftlichen Denkens von Hegel, Weber und Wilson über Fayol, Gournay oder Crozier bis zu den Behavioristen und Kybernetikern. In dieser Hinsicht könnte es fast als Lehrbuch der Ideengeschichte der Verwaltungswissenschaft dienen. Zweitens bettet es diese in eine Erzählung der Entwicklung der Verwaltungswissenschaft im Laufe des 20. Jahrhunderts dies- und jenseits des Atlantiks ein, die von zeitgeschichtlichen Entwicklungen und Herausforderungen einerseits, von wechselseitiger Wahrnehmung und Adaption andererseits geprägt ist. Auf diese Weise befördert es ein historisch fundiertes Selbstverständnis der Disziplin.

Das Buch ist argumentativ in drei Blöcke gegliedert. Die Kapitel eins bis drei dienen der Einführung – der Beschreibung der Forschungslücke, der Verwaltungstraditionen in den drei untersuchten Ländern sowie der Darstellung des analytischen Konzepts und der Methode zur Untersuchung des Transfers. In den Kapiteln vier bis sechs werden jeweils verschiedene Transferwege beleuchtet. Kapitel vier stellt dar, wie Klassiker der verwaltungswissenschaftlichen Ideengeschichte aus Deutschland und Frankreich – Hegel, Fayol und Weber – in den USA rezipiert wurden. Kapitel fünf widmet sich dem Import von Ideen aus den USA in Deutschland, vor allem zwischen 1900 und 1970. Kapitel sechs beschreibt drei Akteursgruppen, die wesentlich für die Rezeption US-amerikanischer Ansätze im französischen verwaltungswissenschaftlichen Denken verantwortlich waren. Übrigens wird keine wechselseitige Rezeption zwischen Deutschland und Frankreich dargestellt. Ob diese nicht existiert oder der Fallauswahl im Buch zum Opfer gefallen ist, wird nicht thematisiert. Der dritte Block, bestehend aus den Kapiteln sieben und acht, fasst die gewonnenen Erkenntnisse im gemeinsamen analytischen Konzept zusammen und abstrahiert daraus allgemeine Einsichten.

Diese allgemeinen Einsichten lassen sich in drei Gedanken wesentlich zusammenfassen. Erstens verdeutlicht die Analyse, dass zweifelsfrei Transfer und Rezeption intellektueller Bausteine in beiden Richtungen über den Atlantik stattgefunden haben. In einer tabellarischen Übersicht identifizieren die AutorInnen insgesamt neun Transfersituationen (S. 132). Die modernen Ausprägungen der Verwaltungswissenschaft in Deutschland, Frankreich und den USA sind also jedenfalls durch diese wechselseitige Wahrnehmung beeinflusst. Transfer und Rezeption, so die zweite Einsicht, fanden aber gezielt und selektiv statt, nämlich dann, wenn Lösungen für aktuelle Probleme in einem Land in den intellektuellen Traditionen der anderen Länder gesucht wurden. Dann wurden Versatzstücke intellektuellen Gedankenguts in den nationalen Wissenskanon eingespeist und zugleich an die existierenden Traditionen angepasst. Traditionen, so die dritte Einsicht, bilden somit den Rahmen, innerhalb dessen Transfer und Rezeption nicht quasi automatisch oder unvermeidlich stattfinden, sondern vielmehr gezielt durch interessierte Akteure bzw. Netzwerke in der aufnehmenden Umgebung gesteuert werden. Entsprechend sind auch Verwaltungstraditionen mehr als nur eine „Heuristik zur Familienbildung auf dem Makrolevel“ (S. 150), wie die AutorInnen Overeem und Sager 2015 zitieren. Vielmehr bilden sie das notwendige Gegenstück zum Transfer, sodass institutioneller und intellektueller „fit“ oder „misfit“ jeweils die Ausprägung anderer neuer Hybride mitbestimmen.

Zwei kleinere Kritikpunkte an der Untersuchung seien angemerkt: Zum einen wird das heuristische Modell in den einzelnen Transferkapiteln nicht konsequent angewandt, was angesichts der Prominenz, mit der es in Abschnitt 3.2 eingeführt wird, verwirrt. Vielmehr folgt jedes der Kapitel vier bis sechs seiner eigenen Argumentationslogik, wobei nur Kapitel vier näherungsweise die Leitfragen der Heuristik abbildet. Erst im siebten Kapitel wird diese systematisch aufgegriffen, um daran überzeugend die großen argumentativen Linien herauszuarbeiten. Ein zweiter Kritikpunkt bezieht sich auf den Untersuchungszeitraum 1870 bis 1970. In der Schlussbetrachtung vermuten die AutorInnen, dass Tradition heutzutage unter den Bedingungen von Globalisierung und Digitalisierung noch eine deutlich geringere Rolle spielen sollte als im Untersuchungszeitraum (S. 152). Wenn aber ihre Analyse zutrifft und Transfer immer als gezielte Rezeptionsbewegung in Aneignung, Ablehnung oder Umdefinition fremder Einflüsse durch die VertreterInnen einer bestehenden Tradition stattfindet, dann ist es unplausibel anzunehmen, dass genau dieser Prozess der Selektion und ggf. Umdeutung heutzutage keine Rolle mehr spiele. Dies illustriert etwa die – mittlerweile auch schon historische – New-Public-Management-Bewegung in der westlichen Welt des ausgehenden 20. Jahrhunderts: Während die angelsächsischen Länder schier hemmungslos ökonomisierten und privatisierten, zeigten sich Deutschland und Frankreich deutlich zurückhaltender. Gerade die vergangenen 60 Jahre stellen daher einen wichtigen empirischen Test für die Gültigkeit der in dem Buch entwickelten und vermuteten Wirkmechanismen dar.

Insgesamt ist die „transatlantische Geschichte“ ein lesenswerter und verdienstvoller Beitrag sowohl zur Ideengeschichte der Verwaltungswissenschaft als auch als Fundierung für eine vergleichende Analyse verwaltungswissenschaftlicher Institutionen, Traditionen und Kulturen. Die Analyse ist reichhaltig, scharfsinnig und zieht in erfreulicher Weise große Linien über intellektuelle Traditionen, zeigt anregende Verbindungen und Aneignungen auf, die man selbst nicht immer so entdeckt hätte. Gemessen an den recht hohen erkenntnistheoretischen Ansprüchen, die in der Einleitung formuliert werden, wird vielleicht doch eher ein Strohmann geschlachtet. So geben die AutorInnen in ihrem Fazit selbst zu, dass möglicherweise die Frage anders gestellt werden muss, nicht ob Traditionen existieren, sondern wie sie gerahmt und benutzt werden (S. 145). Richtig ist aber, dass die Frage nach Hybridsystemen als Ergebnis von Ideentransfer bislang nicht systematisch gestellt wurde (S. 129). Hier liefert die „transatlantische Geschichte“ wertvolle neue Einsichten.