Die Energiewende stellt eine gesellschaftliche Mammutaufgabe dar. Weit mehr als „nur“ die Umstellung von fossil-nuklearer auf erneuerbare Energieversorgung umfasst sie vielfältige sozioökonomische Aspekte: Langfristige Planungshorizonte im Kontext von Multi-Level-Governance und politikfeldübergreifende (Neben‑)Folgen potenzieren die Herausforderungen für politische Steuerung. Entsprechend gefordert ist auch die Politikwissenschaft – eine umfassende Problemsondierung muss die landläufig unter „Energiewende“ subsumierten Einzelprozesse sichten, ordnen und im Zusammenhang untersuchen.

Der von Radtke und Kersting herausgegebene Sammelband „Energiewende. Politikwissenschaftliche Perspektiven“ nimmt sich genau dieser Aufgabe an. Er bietet eine Übersicht des aktuellen Forschungsstands zur Energiewende und zeichnet die sich im Zuge der Transformation ergebenden gesellschaftlichen Konfliktlinien nach.

Der Band gliedert sich in vier Teile. Teil 1 führt in die Grundproblematik ein und stellt in drei Einzelkapiteln die materiellen und damit einhergehenden konzeptionellen Herausforderungen vor. Das dabei entstehende Bild changiert „zwischen Partizipationschancen und Verflechtungsfalle“, wie Radtke et al. ihr Einführungskapitel treffend untertiteln.

Teil 2 des Sammelbands widmet sich der Dynamik im Mehrebenensystem mit vier Einzelstudien. Zwei Kapitel fokussieren auf Aspekte des innerdeutschen Föderalismus, etwa Städte und Regionen als zentrale Akteure einer Energiewende von unten. Die beiden anderen Kapitel werfen Seitenblicke auf die energiepolitischen Pfade der Nachbarländer Dänemark, Frankreich und die Niederlande – die europäische Ebene selbst (etwa Wechselwirkungen zwischen EU-Energiepolitik und Bundespolitik) rückt jedoch nicht in den Analysefokus.

In Teil 3 des Bands werden recht unterschiedliche Aspekte von Partizipation und Akzeptanz im Rahmen der Energiewende beleuchtet: Dies umfasst Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung beim Netzausbau, die Rolle von Energiegenossenschaften und kommunale Abwasserunternehmen als Standbein einer dezentralen Energiewende.

Der abschließende Teil 4 beleuchtet beispielhaft soziale Konfliktpotenziale sowie Optionen, die im Zuge der Energiewende entstehenden Konflikte zu befrieden oder im Sinne einer Demokratisierung produktiv zu nutzen. Konkret befassen sich Einzelkapitel mit Protesten gegen Windkraftanlagen, mit der Rolle von Stadtwerken und mit Initiativen gegen Energiearmut in Nordrhein-Westfalen.

Von seiner starken Seite zeigt sich dieser Sammelband in empirisch fundierten Einzelkapiteln, die mit überraschenden und theoretisch gut abgesicherten Ergebnissen aufwarten. Gerade zur Thematik Partizipation/Akzeptanz bietet der Band eine Reihe sehr wertvoller Beiträge. So können Fink und Ruffing in ihrer Analyse der Beteiligungsverfahren zu den Netzentwicklungsplänen nachweisen, dass die Eingaben aus der Zivilgesellschaft im Konsultationsprozess keinen messbaren Einfluss auf die tatsächliche Netzplanung zeitigten. Entsprechend hoch ist die Gefahr, dass Öffentlichkeitsbeteiligung „große Erwartungen der Einflussnahme weckt, die dann nicht erfüllt werden“ (S. 263). Dass bestehende Beteiligungsverfahren zu einer höheren Akzeptanz bei der Bedarfsplanung für den Netzausbau führen, darf also bezweifelt werden. Ähnliches weist das Kapitel von Eichenauer zu Konflikten beim Windkraftausbau nach. Auch hier legen empirische Ergebnisse die Inadäquatheit existierender Beteiligungsverfahren nahe: So kann Protest gegen Windenergieanlagen teilweise auf Kritik an als ungerecht empfundenen Beteiligungsverfahren zurückgeführt werden. Wirken solche Verfahren zur vermeintlichen Einhegung von „Energiekonflikten“ aber kontraproduktiv, können sie zudem, wie Eichenauer argumentiert, das Vertrauen in demokratische Institutionen insgesamt beschädigen.

Der Sammelband offenbart auch einige Schwachstellen. Wie so oft bei Sammelbänden, vermisst man auch hier eine explizite Reflexion teils konträrer Einschätzungen einzelner Kapitel: Etwa stellt ein Beitrag auf den „Mythos vom Energiewendekonsens“ ab, wobei argumentiert wird, ein solcher Konsens – ausdrücklich abgegrenzt vom bloßen Kompromiss – sei notwendig, um bestehende Zersplitterung in Einzelfragen und daraus resultierende Steuerungsprobleme der Energiewende zu lösen. Ganz im Gegensatz dazu fordert ein anderer Beitrag gerade die transparente Institutionalisierung von Konflikten und betont die Gefahren einer Unterdrückung derselben.

Schwierig erscheint auch die den Band durchziehende Engführung der Energie- auf eine Stromwende, obwohl das Einleitungskapitel von Radtke et al. ausdrücklich feststellt, dass nur eine alle Sektoren umfassende Transformation Erfolg verspricht: Insbesondere werden die deutschen Klimaziele selbst dann verfehlt, wenn zwar die Sektoren Strom und Wärme ihre Ziele erreichen, aber im Verkehrssektor keine drastische Emissionsreduktion gelingt (S. 20). Entsprechend irritiert daher die an anderen Stellen zu findende Aussage, die (ohne Corona-Krise) absehbare Verfehlung der Emissionsreduktionsziele 2020 sei ein Resultat mangelnder Koordination von „Kernenergieausstieg, Kohleverstromung, Wind und Solarenergieausbau“, die nicht „von vornherein aufeinander abgestimmt betrieben wurden“ (S. 60), oder Resultat mangelnder Koordination unterschiedlicher Akteure (S. 161). Das gravierende, von Radtke et al. benannte Problem, dass die Transformation in den Sektoren Verkehr und Wärme derjenigen im Stromsektor stark hinterherhinkt, bleibt im Rest des Bands meist ausgeblendet. Nebenbei bemerkt liegt das „Kohlerevival“ der frühen 2010er-Jahre im Stromsektor zuvorderst am damals extrem laschen EU-Emissionshandel. Mit steigenden Zertifikatspreisen sinken auch die Emissionen im deutschen Stromsektor wieder – während sie im Verkehrssektor heute höher liegen als im Jahr 2010.

Überfordert die Klimakrise grundsätzlich die klima- und energiepolitische Steuerungsfähigkeit des politischen Systems? Der hochaktuelle Band Radtkes und Kerstings sondiert die weite Problemlandschaft der Energiewende und weist auf vermeidbare Kurzschlüsse à la „mehr Beteiligungsmöglichkeiten = mehr Akzeptanz“ hin. Gleichzeitig zeigt der Band, dass auch die analytische Aufarbeitung der Energiewende noch einen weiten Weg vor sich hat.