Nimmt man als Politikwissenschaftler Thorsten Holzhausers historische Dissertation über die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) im bundesdeutschen Parteiensystem zur Hand, so gerät man schon vor dem Blick auf den Inhalt ins Schwärmen. Dieses Buch ist wie all seine Pendants in der Reihe des Instituts für Zeitgeschichte so opulent ausgestattet, wovon Leser der hektografierten Zirkulare, in denen sozialwissenschaftliche Forschung in der Regel dargeboten wird, nur träumen können. Allerdings drängt sich bisweilen auch die Vermutung auf, dass die seriöse Aufmachung ihrer Publikationen die Historikerzunft dazu verleitet, vor lauter nuanciert-gediegenem Abwägen auf immens breiter Quellenbasis die Kernthesen ihrer Forschung nachgerade nebenher darzubieten. Das ist auch in dieser klassischen Politikgeschichte der Fall, deren Fokus auf den politischen Eliten und der Programmatik der PDS liegt. Wer sich jedoch die Mühe macht, allen argumentativen Verästelungen zu folgen, wird reichhaltig belohnt, denn Holzhausers Monografie hat durchaus das Zeug, für eine ganze Weile das letzte Wort über die PDS darzustellen.

Die Kernthese des Buchs erweckt zunächst den Anschein eines elaborierten Sowohl-als-auch: Angelehnt an Philipp Ther postuliert Holzhauser eine Ko-Transformation, in deren Folge sich nicht nur die PDS durch Adaption im deutschen politischen System integriert habe, sondern im Gegenzug auch die politische Kultur Deutschlands im Hinblick auf Akzeptanz der „Nachfolgepartei“ und ihrer (post-)sozialistischen Positionen einen Wandel durchlaufen habe. Die alte politikwissenschaftliche Frage nach der Einordnung der PDS lässt Holzhauser vordergründig kalt. Zwar referiert er alle gängigen Thesen von der ostdeutschen Regional- bis zur extremistischen Partei, legt sich im Hinblick auf deren Stichhaltigkeit allerdings nicht fest. Interessanter ist für ihn, und der Rezensent teilt diese Einschätzung, dass die Integration der PDS im Kern um die Frage nach der Demokratie(theorie) kreiste. War die PDS bereit, sich rigoros von ihrer Vergangenheit als Einheitspartei zu verabschieden und Pluralismus und Parlamentarismus anzuerkennen? Solange der bundesrepublikanische Konsens strikt antitotalitär war, hatte die PDS wenig Chancen. Holzhausers Monografie verdeutlicht in vier Großkapiteln, wie die PDS zunächst in die Bundesrepublik und insbesondere den Bundestag hineinsozialisiert und schließlich von dieser (und namentlich der westdeutschen WASG) absorbiert wurde.

Holzhauser kommt dabei immer wieder zu interessanten Befunden: So war die vergleichsweise bessere Integration der PDS in den ostdeutschen Landtagen bekannt, nicht aber, dass der Parteivorsitzende Gregor Gysi schon 1992 freundliche Briefe von Bundestagsabgeordneten der SPD und sogar der Union erhielt (S. 113). Ab 1994 nahm die Integration der PDS dann Fahrt auf, und das gilt auch für Holzhausers Analyse. Die immer wieder (neu-)formulierten Bedingungen der anderen Parteien (und namentlich der SPD) an eine Zusammenarbeit mit der PDS verdeutlichen eindrucksvoll die Rolle der Demokratiefrage. Bemerkenswerterweise sprach sich ausweislich der Akten des SPD-Präsidiums intern nicht nur Oskar Lafontaine, sondern auch Gerhard Schröder schon 1994 für eine „Integration der PDS“ (S. 135) aus. Öffentlich schlug der spätere Kanzler stets andere Töne an.

Auch gelingt es Holzhauser schließlich, die extremismustheoretische Diskussion um die PDS zu erhellen, indem er zeigt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinen Berichten Aussagen führender Protagonisten der PDS bewusst zuspitzte, um den Eindruck zu erwecken, auch der vermeintlich pragmatische Flügel fröne extremistischen Vorlieben (S. 197). Allerdings sorgte die demokratietheoretische Aufladung der Debatte über die PDS dessen ungeachtet für eine Schwächung des Mitte-Links-Lagers, das im Gegensatz zu Union und FDP in der Frage einer Koalitionsbildung mit der PDS gespalten war. Nur in der kurzen Phase von 2000 bis 2002 konnte die PDS als in der Bundesrepublik angekommen gelten. Der antitotalitäre Konsens der alten Bundesrepublik wurde selbst von der CDU weniger rigoros ausgelegt. Der PDS waren Westbindung und soziale Marktwirtschaft zur „Richtschnur“ (S. 367) geworden und sie hatte den Zenit ihrer Macht bzw. Akzeptanz erreicht. Nur die CSU ließ sich von den neuen Tatsachen nicht beirren und löckte weiter wider den Stachel des Kommunismus.

Holzhauser zufolge trug die neue Akzeptanz der PDS bereits den Kern von deren späterem Scheitern in sich. Die PDS habe als Protestpartei nicht mehr punkten können und verpasste deshalb den Einzug in den Bundestag. Aber stimmt dies wirklich? Bis heute erzielt die Partei ihre größten Wahlerfolge dort, wo sie plausibel eine Regierungsbeteiligung anstrebt. Dass sie dann in der Regierung meist Federn lässt, hat sie mit den meisten kleineren Koalitionspartnern gemeinsam. Die selbstkritischen Töne der PDS-Reformer, die Holzhauser für seine Interpretation anführt, stammen mehrheitlich erst aus der Zeit nach der sozialpolitischen Neuausrichtung der SPD, als die Möglichkeit zum Protest im Wortsinn auf der Straße lag. Im Kern war die alte PDS keine Protest-, sondern eine ostdeutsche Regionalpartei. Dies bestätigt auch Holzhausers Analyse der Gründung der Linkspartei: „Die ‚SED-Nachfolgepartei‘ zu wählen, blieb für Alt-Bundesbürger undenkbar. Als ostdeutsche Regionalpartei allerdings wurde die PDS als natürlicher Bündnispartner für eine neue, linke (Protest‑)Partei angesehen“ (S. 383).

In der Linkspartei trat als zentrale Mission der populistische Kampf gegen den Neoliberalismus an die Stelle der Integration in die bundesrepublikanische Demokratie. Selbst dem Bundesverfassungsschutz galt die neue Partei nicht (mehr) als extremistisch (S. 393). Damit steht die Frage im Raum, wer nun der tiefgreifenden Polarisierung und Fragmentierung des deutschen Parteiensystems nach 2005 den Boden bereitet hat: Die SPD mit ihrer Aufkündigung des Sozialmodells der alten BRD? Die Union mit ihrem traditionell größeren Furor gegen linken Extremismus? Oder doch die Linkspartei, die auch auf dem Ressentiment gegen Arbeitsmigration gegründet war (S. 396)? Dies ist nicht mehr Holzhausers Frage, aber sein Buch führt gekonnt auf sie hin und zeigt so, dass Verweise auf Eurorettung und „Migrationskrise“ zu kurz greifen, wenn man den deutschen Weg in den polarisierten Pluralismus nachzeichnen will. Das ist kein geringes Verdienst.