1 Einleitung

Fast überall gehören Militärangehörige und Staatsbeamte zu den ersten Berufsgruppen, die von staatlicher Sozialpolitik erfasst wurden. Die Verbreitung der allgemeinen Wehrpflicht und die massiven Fortschritte in der Waffentechnologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts läuteten jedoch das Zeitalter des industrialisierten Massenkriegs ein, sodass die bestehenden und meist auf Berufsmilitärs zugeschnittenen Versorgungssysteme bei Kriegsausbruch völlig überfordert waren und angesichts horrender Opferzahlen durch neue und äußerst kostspielige Programme und Eingliederungsmaßnahmen ersetzt werden mussten. Während die Genese und Ausgestaltung der Kriegsopferversorgung für viele Länder gut aufgearbeitet ist (u. a. Pironti 2015, S. 38–67, 101–186, 275–388; siehe Pawlowsky und Wendelin 2015; Skocpol 1992, S. 102–152), wurde die Frage, ob und wie die im Zeitalter des industrialisierten Massenkriegs geschaffenen Kriegsopferversorgungsprogramme die Entwicklung und Struktur des (zivilen) Wohlfahrtsstaats beeinflusst haben, von der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung weitgehend ausgeklammert.

Dieser Beitrag will dieser Frage aus vergleichender Perspektive nachgehen, indem wir die kurz- und langfristen Policyfeedbackeffekte der Kriegsopferversorgung für die zivile Sozialpolitik untersuchen, die aus den Kosten und der Ausgestaltung dieser Programme im Hinblick auf Anspruchsbedingungen, Empfängerkreis und Politikinstrumente resultierten. Die Fallauswahl konzentriert sich mit Deutschland, Österreich, Australien und den USA auf vier Staaten, die in beide Weltkriege involviert, davon aber höchst unterschiedlich betroffen waren.

Nach einem kurzen Theorieteil folgen vier Länderkapitel, in denen zunächst die Ausgestaltung der Kriegsopferversorgung dargestellt wird, ehe dann die kurz- und langfristigen Folgen für die staatliche Sozialpolitik untersucht werden. Der letzte Abschnitt führt die Fallstudien zusammen und diskutiert aus vergleichender Perspektive die Auswirkungen der Kriegsopferversorgung auf die Entwicklung und Struktur des Sozialstaats. Wir zeigen, dass die Kriegsopferversorgung die zivile Sozialpolitik nachhaltig, aber in ambivalenter Weise geprägt hat. Zum einen gingen von der militärischen Kriegsopferversorgung langfristig bedeutende Innovations- und Struktureffekte für die staatliche Sozialpolitik aus, zum anderen haben die enormen Kosten der Kriegsopferversorgung die Sozialausgaben in die Höhe getrieben und zumindest kurzfristig die „zivile“ Sozialpolitik gebremst.

2 Theoretische Überlegungen und Fallauswahl

Aufgrund der enorm hohen Opferzahlen des modernen Massenkriegs waren alle kriegführenden Staaten gezwungen, nach Kriegsende zumindest eine Grundversorgung für die militärischen und zivilen Kriegsopfer zu schaffen. Zudem mussten nach der Demobilisierung der Millionenheere die heimkehrenden Veteranen in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt reintegriert werden. Wir argumentieren, dass die oft unter enormem Zeitdruck geschaffenen Versorgungsprogramme und Eingliederungsmaßnahmen tiefe Spuren in der Sozialpolitik hinterlassen haben, wobei sowohl die Ausgestaltung dieser Programme hinsichtlich Leistungsart, Inklusionsgrad und Generosität als auch ihre Auswirkungen auf die Entwicklung des Wohlfahrtsstaats in Abhängigkeit von zwei Kontextfaktoren variieren.

Dazu gehört zum einen der Entwicklungsstand des zivilen Sozialstaats „ante bellum“. Je früher der zivile Sozialstaat etabliert wurde und je weiter er ausgebaut war, desto enger sollte er mit der Kriegsopferversorgung verzahnt sein. Dadurch sind nicht nur wechselseitige Spillover-Effekte in der Gestaltung und Verwaltung militärischer und ziviler Sozialpolitik wahrscheinlicher, sondern es ist auch anzunehmen, dass die Kriegsfolgen in stärkerem Ausmaß von den bereits bestehenden „zivilen“ Sozialschutzprogrammen absorbiert wurden (Hypothese 1). Zum anderen ist bedeutsam, ob das eigene Staatsgebiet Kriegsschauplatz war oder nicht. Kampfhandlungen auf dem eigenen Territorium forderten nicht nur viele zivile Opfer, sondern führten auch zu einem massiven Wirtschaftseinbruch. Kämpften Staaten hingegen ausschließlich in Übersee, gab es weder eine vergleichbare Wirtschaftskrise noch viele zivile Opfer, sodass die Kriegsopferprogramme ausschließlich auf die Versorgung von Veteranen und ihrer Familien zugeschnitten waren. In diesem Fall ist die Entstehung eines eigenen, von der zivilen Sozialpolitik abgegrenzten „militärischen Sozialstaats“ wahrscheinlich, insbesondere wenn zivile Sozialschutzprogramme bei Kriegsausbruch unterentwickelt waren (Hypothese 2).

Diese beiden Hypothesen leiten die Fallauswahl. Unsere Länderauswahl umfasst vier Staaten, die in beide Weltkriege involviert waren, sich aber im Hinblick auf die skizzierten Kontextbedingungen unterscheiden. Mit Deutschland und Österreich untersuchen wir zwei Pioniernationen staatlicher Sozialpolitik, die in beiden Weltkriegen auf der Verliererseite standen und Kampfhandlungen und Zerstörungen auf dem Staatsgebiet erfahren haben, die gemessen an der Bevölkerung viele zivile und militärische Opfer gefordert haben. Mit den USA und Australien nehmen wir zwei Länder in den Blick, deren Armeen in beiden Weltkriegen ausschließlich in Übersee kämpften und als Sieger hervorgingen. In beiden Staaten war der Sozialstaat am Vorabend des Ersten Weltkriegs weniger ausgebaut als in den deutschsprachigen Ländern. Die USA unterscheiden sich von Australien im Hinblick auf einen geringeren Ausbaugrad des Sozialstaats sowie darin, dass mit dem Bürgerkrieg der erste industrielle Massenkrieg der Geschichte auf eigenem Territorium stattgefunden hat. Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika. Aus Platzgründen behandeln wir Österreich und Australien als „shadow cases“, deren Einbeziehung in den Vergleich aber deshalb erfolgt, um die Überprüfung unserer Hypothesen auf eine breitere empirische Basis zu stellen.

3 USA

3.1 Die Entstehung und Ausgestaltung der Kriegsopferversorgung

Der „big bang“ der US-Sozialpolitik erfolgte erst im Zuge des New Deals mit der Einführung einer Renten- und Arbeitslosenversicherung. Zwischen 1911 und 1949 führten zudem alle Staaten eine Unfallversicherung ein. Während der zivile Sozialstaat als Nachzügler gilt, wurde bereits 1776 ein erstes Rentengesetz für Militärangehörige und Invalide des Unabhängigkeitskriegs erlassen (Aaronson 1942, S. 10).

1818 legte das Service Pension Law den Grundstein für die weitere Veteranenversorgung. Das Gesetz sprach allen Veteranen des Unabhängigkeitskriegs eine Alterspension zu, sofern diese mindestens neun Monate gedient hatten und Bedürftigkeit nachweisen konnten. 1832 wurden diese Anspruchsvoraussetzungen auf sechs Monate Dienstzeit herabgesetzt (Aaronson 1942, S. 11). Zur Programmverwaltung wurde 1833 das Bureau of Pensions geschaffen, das zunächst dem Kriegs- und später dem Innenministerium unterstellt wurde. Die neue Institution war damit die erste Behörde weltweit, die sich ausschließlich mit der Veteranenversorgung befasste (Weber 2017, S. 234).

Die bisherigen Pensionssysteme bezogen sich auf den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und waren nicht auf kommende Konflikte übertragbar. Ohnehin stellte der amerikanische Bürgerkrieg alle bisherigen Kriege in den Schatten, handelte es sich doch um einen der ersten maschinellen Massenkriege. 1863 führten die Nordstaaten die allgemeine Wehrpflicht ein, sodass am Ende des Konflikts 37 % der wehrfähigen Männer (mehr als 2,2 Mio.) zu den Waffen gerufen worden waren. Von ihnen waren 364.000 Männer gefallen, was prozentual eine höhere Opferzahl als in beiden Weltkriegen bedeutete (Skocpol 1992, S. 103).

Frühzeitig erkannte die Regierung der Union, dass ein generöses Pensionssystem ein geeignetes Mittel war, um neue Soldaten anzuwerben. Im Februar 1862 wurde daher der General Pensions Act verabschiedet, der Renten für invalide Soldaten vorsah. Die Höhe der Pensionen richtete sich zunächst allein nach dem Dienstgrad, ab 1864 auch nach der Art der Beschädigung (Verlust eines Körperteils, Erblindung usw.). In den Folgejahren wurden auch Schädigungen infolge von Erkrankungen wie Tuberkulose berücksichtigt (Weber 2017, S. 235). Witwen und Waisen erhielten ebenso großzügige Unterstützungsleistungen wie erstmals auch Mütter oder abhängige Geschwister des Gefallenen (Skocpol 1992, S. 107). Das Gesetz ließ die Zahl der Empfänger von Soldatenpensionen von 10.700 im Jahr 1862 auf 126.700 im Jahr 1866 emporschnellen, während die Kosten im gleichen Zeitraum von 1 Mio. auf 15,5 Mio. $ stiegen (Skocpol 1992, S. 107–108). Ungeachtet der hohen Kosten stellten in den ersten Nachkriegsjahren nur knapp 43 % der beschädigten Veteranen einen Antrag auf Leistungen, während von den Angehörigen sogar nur 25 % ihr Recht wahrnahmen (Skocpol 1992, S. 108–110). Zudem galten die Bestimmungen nur für die Soldaten der Union, nicht für jene der Konföderierten (Weber 2017, S. 235)!

Erst zwei weitere Gesetze führten dazu, dass ca. 93 % der (Unions‑)Veteranen des Bürgerkriegs finanzielle Leistungen erhielten: Zunächst wurde 1879 der Arrears of Pension Act verabschiedet, der die Rentenzahlungen auf das Datum der ehrenhaften Entlassung oder den Tod des Soldaten zurückdatierte, sodass Antragssteller ihre Pension rückwirkend bis zum Bürgerkrieg ausbezahlt bekamen. In der Folge stiegen die Anträge und die Kosten für Veteranenpensionen noch einmal deutlich an (Skocpol 1992, S. 115–118). 1890 trat schließlich der Dependent Pension Act in Kraft, der den Empfängerkreis erheblich erweiterte. Fortan hatten alle Veteranen, die mehr als 90 Tage lang Dienst geleistet hatten und keiner körperlichen Arbeit mehr nachgehen konnten, Anspruch auf eine Pension. Dabei war es gleichgültig, ob die Arbeitsunfähigkeit auf eine Verwundung während der Dienstzeit zurückzuführen war oder aus dem hohen Alter des Veteranen resultierte (Skocpol 1992, S. 111). Die Veteranenversorgung wurde so zu einer Altersversorgung und die Altersgrenze später auf 62 Jahre festlegt (Aaronson 1942, S. 12). Dadurch stieg die Zahl der pensionsberechtigten Veteranen innerhalb von drei Jahren von 489.000 auf 996.000 (Weber 2017, S. 235).

3.1.1 Erster Weltkrieg

Die USA traten erst spät in den Krieg ein und mobilisierten bis Kriegsende 4,73 Mio. Soldaten, wovon ca. 2,8 Mio. in Übersee eingesetzt wurden. Knapp 117.000 kamen dabei ums Leben, mehr als 200.000 wurden verletzt (DeBruyne 2018, S. 2). Im Ersten Weltkrieg wurde die Kriegsopfer- und Veteranenversorgung aufgrund der hohen Kosten der Veteranenversorgung des Unabhängigkeits- und Bürgerkriegs grundlegend reformiert. Ihren Höhepunkt erreichten die Zahlungen auf Bundesebene nämlich erst 40 (Unabhängigkeitskrieg) bzw. 28 Jahre (Bürgerkrieg) nach Kriegsende (Skocpol 1997, S. 102). Die Reform sollte eine vergleichbare Kostenexplosion über ein System von freiwilligen und subventionierten Lebens- und Invaliditätsversicherungen verhindern, die im Todesfall bzw. bei Invalidität einen Großteil der Leistungen abdecken sollten.

1914 wurde der War Risk Insurance Act erlassen, der vom Finanzministerium gedeckte Versicherungen für Schiffe der Handelsmarine vorsah. Mit Kriegseintritt wurde dieses Gesetz massiv erweitert und legte fortan Ausgleichszahlungen im Falle von Tod, Verwundung oder Behinderung von Soldaten, die in Übersee kämpften, fest (Love 1918, S. 46). Die Höhe richtete sich nach einem festgelegten System von Erwerbsminderungen durch Behinderungen und der Größe der Familie (Aaronson 1942, S. 12). Kriegsversehrte, die ihren Beruf nicht mehr ausüben konnten, erhielten ein Anrecht auf berufliche Umschulung. Zentraler Bestandteil des Gesetzes war die Möglichkeit für Soldaten, freiwillige Lebens- und Invaliditätsversicherungen abzuschließen, deren Prämien deutlich unter denen der privaten Anbieter lagen (Altschuler und Blumin 2009, S. 25). Zusätzlich wurde den Familien der Soldaten im Einsatz monatlich ein Teil des Solds übermittelt, der durch eine staatliche Zusatzzahlung ergänzt wurde (Pietruska 2017, S. 249). Darüber hinaus waren alle geschädigten Veteranen, die in Übersee gekämpft hatten, fortan zur Inanspruchnahme der vom National Asylum for Disabled Volunteer Soldiers bereitgestellten medizinischen Versorgungs- und Rehabilitationsmaßnahmen berechtigt. Das von der Regierung geplante System scheiterte jedoch weitgehend. Die Lebens- und Invaliditätsversicherungen der Soldaten sollten nach Kriegsende in das Zivilleben übernommen werden, aber 90 % der Veteranen kündigten ihre Versicherungen im Laufe der 1920er-Jahre (Altschuler und Blumin 2009, S. 30).

Nach Kriegsende waren drei Verwaltungen für Kriegsopfer- und Veteranenfragen zuständig: das Veterans Bureau, das Bureau of Pensions im Innenministerium und das National Home for Disabled Volunteer Soldiers, die 1930 zur Veterans Administration, dem Vorläufer des heutigen Veteranenministeriums, vereinigt wurden.

Vor allem der Arbeitsmarkt stellte ein Problem für Veteranen und insbesondere Kriegsversehrte dar. Mit dem Vocational Rehabilitation Act 1917 und dem Soldier’s Rehabilitation Act 1918 wurde die berufliche Wiedereingliederung gesetzlich geregelt (Bryan 2002, S. 229). 128.000 Veteranen durchliefen bis 1928 entsprechende Trainings (Ortiz 2010, S. 15). 1920 wurden die Regelungen mit dem Smith-Fess Act (Civilian Vocational Rehabilitation Act) 1920 auch auf behinderte Zivilisten übertragen. Das nach dem Vorbild der militärischen Kriegsopferversorgung gestaltete Gesetz sah eine finanzielle Beteiligung der Regierung in Höhe von 50 % der Kosten für Maßnahmen der Bundesstaaten vor. Während zuvor nur acht Staaten Programme zur beruflichen Wiedereingliederung ziviler Behinderter aufgesetzt hatten, waren es 18 Monate nach Inkrafttreten des Smith-Fess Acts bereits 34 (Bitter 1979, S. 16). Außerdem erhielten ehemalige Kriegsteilnehmer einen Bonus, wenn sie nach der Ausmusterung eine Anstellung im Staatsdienst antreten wollten. Im verpflichtenden Civil Service Exam wurden behinderten Veteranen zehn Bonuspunkte, gesunden Veteranen fünf Bonuspunkte gutgeschrieben (Altschuler und Blumin 2009, S. 26).

Eine zentrale Stellung in der Veteranenversorgung hatten bis zum Ersten Weltkrieg einmalige Bonuszahlungen eingenommen. Nach Kriegsende erhielten die Soldaten jedoch nur eine Bonuszahlung von 60 $, was zur Gründung von Interessenverbänden der Veteranen führte (Zacchea 2013, S. 33). Die Arbeitslosigkeit unter den ehemaligen Soldaten war, trotz guter Wirtschaftslage bis zum Ausbruch der Great Depression, überproportional hoch. 1924 verabschiedete das Parlament mit dem World War Adjusted Compensation Act („Bonus Act“) daher ein zusätzliches Unterstützungsprogramm für Kriegsteilnehmer, die zwischen April 1917 und Juli 1919 in der Armee Dienst geleistet hatten (Weber 2017, S. 237). Veteranen erhielten für jeden Tag Dienst 1 $ bzw. 1,25 $, wenn sie in Übersee gedient hatten. Maximal konnten 500 $ bzw. 625 $ beansprucht werden. Kleinere Beträge bis 50 $ wurden umgehend ausgezahlt. Die Erben von verstorbenen Veteranen konnten sofort die ihnen zustehende Summe beanspruchen. Der Großteil wurde jedoch in Form von Zertifikaten ausgegeben, die erst ab 1945 eingelöst werden konnten und bis dahin als Sicherheit für Kredite dienen sollten (Waller 1944, S. 241). Unzufriedenheit mit dem Bonus Act und die rapide ansteigende Arbeitslosigkeit führten 1932 zum Marsch der Weltkriegsveteranen auf Washington („Bonus Army“), um eine Ausweitung der Sozialleistungen, v. a. jedoch die Möglichkeit zur sofortigen Einlösung der Zertifikate einzufordern. Ein Ausbau der Veteranen- und Kriegsopferversorgung war jedoch politisch höchst umstritten. Mehrere Präsidenten argumentierten, dass der Kriegsdienst eine patriotische Pflicht und daher keine Besserstellung gegenüber der Zivilbevölkerung angebracht sei (Zacchea 2013, S. 33). Insbesondere Präsident Franklin D. Roosevelt forcierte mit dem Social Security Act den Ausbau des zivilen Sozialstaats, der in Teilen auch den Veteranen zugutekommen würde. 1936 wurde der World War Adjusted Compensation Act durch den Adjusted Compensation Payment Act abgelöst. Dieser sollte die Verarmung von Weltkriegsveteranen bekämpfen und gleichzeitig die Binnennachfrage stärken. Weltkriegsveteranen erhielten Staatsanleihen in Höhe von 1,745 Mrd. $, die bis 1945 jährlich mit 3 % verzinst wurden, was über dem Zinssatz für Spareinlagen lag (Telser 2003, S. 242). Veteranen konnten ihre Staatsanleihen auch an das Finanzministerium verkaufen, was innerhalb des ersten Jahres von knapp 75 % wahrgenommen wurde und zur Auszahlung von 1,4 Mrd. $ führte. Lediglich 30.000 Anleihen blieben bis 1945 im Besitz von Veteranen (Altschuler und Blumin 2009, S. 30).

3.1.2 Zweiter Weltkrieg

Die von den Veteranen als ungenügend empfundene und auch politisch höchst umstrittene Versorgung ehemaliger Soldaten änderte sich grundlegend während des Zweiten Weltkriegs. Der Serviceman’s Readjustment Act 1944 („GI Bill of Rights“) bedeutete einen Bruch mit der bisherigen Veteranenversorgung (Skocpol 1997, S. 95–115). Das Gesetz gewährte erstmals Leistungen für junge gesunde Veteranen mit dem Ziel, sie beim Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz zu unterstützen und so wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Gleichzeitig zielten die Maßnahmen auf die Vermeidung kostspieliger Pensionslasten für nichtinvalide Veteranen, wie sie im Zuge des Bürgerkriegs entstanden waren. Die Alterssicherung der erwerbsfähigen Veteranen des Zweiten Weltkriegs wurde der 1935 eingeführten zivilen Rentenversicherung überantwortet. Nach Schätzungen der 1955 eingerichteten President’s Commission on Veterans’ Pensions würden 90 % der Veteranen einen Anspruch auf entsprechende Leistungen des beitragsfinanzierten Rentensystems erwerben (March 1956, S. 13). Dafür war jedoch ihre Integration in den Arbeitsmarkt unabdingbar.

Die Leistungen der GI Bill of Rights umfassten geförderte Kredite für den Erwerb von Wohnraum, die Gründung eines Unternehmens oder den Erwerb einer Farm. Hinzu kam die Kostenübernahme für eine Berufsausbildung oder für Studiengebühren bis zu 500 $, was auch die Studiengebühren von Spitzenuniversitäten wie Harvard abdeckte (Skocpol 1997, S. 97), die Finanzierung von Lernmaterialien sowie Zuschüsse zum Lebensunterhalt von in Ausbildungen befindlichen Veteranen und ihrer Familien. Veteranen hatten ferner einen Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von 60 $/Woche für bis zu 52 Wochen. Auch Selbstständige mit geringem Einkommen konnten Zuschüsse bis zu 100 $/Monat erhalten. Gleichzeitig festigte das Gesetz die traditionelle geschlechtsspezifische Rollenverteilung, da fast ausschließlich Männer von ihm profitierten: „The only way for women to obtain these benefits was to marry veterans, which millions, of course, did“ (Cherlin 2009, S. 69–70).

Von den ca. 15,5 Mio. Veteranen des Zweiten Weltkriegs absolvierten 5,6 Mio. eine Berufsausbildung und 2,2 Mio. eine College- oder Universitätsausbildung. 14 % der Veteranen erhielten Arbeitslosengeld und 29 % Kredite für den Erwerb von Wohnraum, Farmen oder Unternehmensgründungen (Mettler 2005, S. 345). Mit den Fördermaßnahmen wurden 4,3 Mio. Wohnstätten von Veteranen erworben. Fiskalisch zählt die GI Bill zu den größten jemals aufgelegten sozialpolitischen Bundesprogrammen. Die Gesamtkosten für die Programmlaufzeit (1944–1956) beliefen sich auf 14,5 Mrd. $, was heute ca. 115 Mrd. $ oder 15.000 $ pro Empfänger entspricht (Congressional Research Service 2017, S. 40).

Flankiert wurde die GI Bill durch medizinische Rehabilitationsmaßnahmen und Rentenzahlungen zugunsten verwundeter und invalider SoldatenFootnote 1, Hinterbliebenenleistungen sowie die bevorzugte Beschäftigung von Veteranen im öffentlichen Sektor, die mit dem Veterans’ Preference Act (1944) neu geordnet wurde. Die Ausgaben der Veterans Administration für alle Maßnahmen beliefen sich 1947 einschließlich der Leistungsverpflichtungen früherer Kriege auf knapp 7,5 Mrd. $ (March 1956, S. 15) oder 3 % des BIP. Hinzu kamen Sach- und Geldleistungen für Veteranen auf Staatenebene, wie bevorzugte Beschäftigung,Footnote 2 Steuerbefreiungen, Ausbildungsbeihilfen oder Unterbringungen in Heimen (Aaronson und Rosenbloom 1945, S. 12–20).

3.2 Sozialpolitische Auswirkungen der Kriegsopferversorgung

Am Anfang des amerikanischen Wohlfahrtsstaats standen Veteranenrenten, die immer mehr zu Altersrenten mutierten und infolge explodierender Kosten die zivile Alterssicherung bremsten (Skocpol 1992, S. 102–152). 1930 beliefen sich die Gesamtkosten der Veteranenversorgung auf ein Viertel der Bundesausgaben und überstiegen sogar den Verteidigungsetat (US Department of Commerce 1966, S. 109). Die hohen Kosten führten bereits im Ersten Weltkrieg zu einem Umdenken. In der Zwischenkriegszeit legte die Regierung im Kontext der Großen Depression die Priorität auf den Ausbau der zivilen Sozialpolitik. Ein Kurswechsel erfolgte erst im Zweiten Weltkrieg mit der Zurückdrängung militärischer Altersrenten zugunsten von Eingliederungsmaßnahmen für junge und gesunde Veteranen (GI Bill 1944). Nach dem Zweiten Weltkrieg diente sie als Vorbild für über ein Dutzend weiterer GI Bills und Förderprogramme für Veteranen und ihre Angehörigen. Beispiele sind die Korean Conflict GI Bill (1952), die Post-Korean Conflict and Vietnam Era GI Bill (1966) und die Post-Vietnam Era GI Bill (1976) oder in jüngerer Zeit die sog. Post-9/11 GI Bill und zuletzt die unter Präsident Trump verabschiedete sogenannte Forever GI Bill (2017). 1956 wurden auch die Kinder und Ehegatten getöteter oder invalider Veteranen in die Ausbildungsprogramme miteinbezogen (War Orphans’ Educational Assistance Act bzw. Survivors’ and Dependents’ Educational Assistance Program). Sowohl die Take-up-Raten als auch die Kosten dieser Ausbildungs- und Eingliederungsmaßnahmen waren hoch, insbesondere bei den nach Massenkriegen geschaffenen Programmen (Tab. 1).

Tab. 1 Take-up-Raten und Kosten ausgewählter GI Bills

Diese GI Bills waren aber nur Teil eines insgesamt unübersichtlichen und teuren Systems der Veteranenversorgung, dessen Kosten durch die häufige Kriegsbeteiligung der USA auch nach 1945 hoch blieb (Tab. 2) und nach Konfliktende stets auf circa ein Fünftel der Bundesausgaben hochschnellte.

Tab. 2 Kosten der US-Veteranenversorgung bis 1977

Der Kalte Krieg sorgte zudem dafür, dass die Zahl der aktiven Armeeangehörigen hoch blieb und die Wehrpflicht bis 1973 beibehalten wurde. Nach ihrer Abschaffung stand jedoch die „All Volunteer Army“ bei der Rekrutierung von qualifiziertem Personal in Konkurrenz mit der Privatwirtschaft. Als Folge wurden nicht zuletzt auf Initiative hochrangiger Militärs Sozialleistungen und Ausbildungsfördermaßnahmen für Armeeangehörige und ihrer Familien ausgebaut, um qualifiziertes Personal (vor allem die weiße Mittelschicht) für die Armee zu gewinnen oder es in der Armee zu halten (Mittelstadt 2015, S. 99). Diese Programme wurden insbesondere unter Präsident Reagan ausgebaut, während gleichzeitig die zivile Sozialpolitik gekürzt wurde (Mittelstadt 2015, S. 94–119). Dadurch entstand ein militärischer Wohlfahrtsstaat, der Armeeangehörigen und ihren Familien vergleichsweise generöse Sozialleistungen und Bildungschancen bietet. Das Spektrum reicht u. a. von kostenloser medizinischer Versorgung, steuerfreiem Wohngeld und Übernahme der Wohnnebenkosten, Trennungs- und Umzugsgeld, Subventionen für Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs bis hin zu Kinderbetreuungseinrichtungen. Hinzu kommen vielfältige Fördermaßnahmen im Bereich Aus- und Weiterbildung (Mittelstadt 2015, S. 232–236). Dieser militärische Wohlfahrtsstaat ist von beachtlicher Größenordnung und bildet ein eigenes Segment innerhalb eines ohnehin komplexen sozialen Sicherungssystems. Abzulesen ist dies an einer eigenen Verwaltungsstruktur, spezifischen AnspruchsbedingungenFootnote 3 und generösen Sozialleistungen, die außerhalb des Militärs kein Äquivalent besitzen (Gifford 2006, S. 382–391). Auch heute ist die Armee der größte Arbeitgeber der USA und bietet zehn Mio. Personen medizinische Versorgung. Bezieht man noch die Veteranenversorgung ein, dann ist die potenzielle Zielgruppe des militärischen Wohlfahrtsstaats von enormer Größenordnung. 1955 betrug die Zahl der Veteranen samt Familienangehörigen 74,8 Mio. Personen. Zusammen mit den 5,9 Mio. aktiven Armeeangehörigen und ihren Familien entsprach dies 49 % der amerikanischen Bevölkerung (March 1956, S. 13).

4 Deutschland

4.1 Die Entstehung und Ausgestaltung der Kriegsopferversorgung

Die einheitliche deutsche Kriegsopferversorgung basierte zunächst auf dem Krieg gegen Frankreich (1870/71), blieb aber unzureichend (Pironti 2015, S. 41–46, 59–61). Erst 1906 entschloss sich die Regierung zu einer Reform, die allerdings die bestehende Trennung zwischen Berufssoldaten (Offiziere und Unteroffiziere) und Wehrpflichtigen nicht aufhob. Während Offiziere dank der Renten des neuen OffizierspensionsgesetzesFootnote 4 fortan ihren sozialen Status sichern konnten, hatten nun auch Wehrpflichtige erstmals Anspruch auf dauerhafte Rentenzahlungen im Rahmen des Mannschaftsversorgungsgesetzes.Footnote 5 Nach dem Vorbild der Unfallversicherung wurden diese an den Grad der Erwerbsunfähigkeit gekoppelt, wobei Invaliden ab einem Grad von 10 % eine Rente zustand. Ab 50 % erhielten Invalide zudem eine Verstümmelungszulage. Ungeachtet dieser Fortschritte blieben die Renten der Wehrpflichtigen jedoch sehr karg. Beide Gesetze sahen zudem nur Rentenzahlungen, jedoch keine Heilbehandlung oder soziale und berufliche Eingliederungsmaßnahmen vor (Pironti 2015, S. 51–57). Abgerundet wurde die Vorkriegsgesetzgebung 1907 durch das Militärhinterbliebenengesetz, das in einem kohärenten Versorgungssystem sowohl Friedensrenten als auch Kriegsrenten zusammenfasste (Pironti 2015, S. 64–66).

4.1.1 Erster Weltkrieg und Weimarer Republik

Insgesamt waren die Gesetze von 1906/07 vor allem für eine Berufsarmee in Friedenszeiten, nicht jedoch für die Versorgung von Invaliden eines modernen Massenkriegs geschaffen worden. Dementsprechend rasch zeigte sich während des Ersten Weltkriegs, dass die Bestimmungen der Kriegsopferversorgung vollkommen unzureichend waren. Der Krieg hinterließ allein im Deutschen Reich 1,5 Mio. Verstümmelte und Invaliden, darunter 500.000 Schwerbeschädigte mit mindestens 50-prozentiger Erwerbsunfähigkeit, 525.000 Kriegerwitwen und 1.130.000 Kriegswaisen. Insgesamt belief sich die Zahl der Kriegsopfer sogar auf vier Mio. (eingerechnet die Ehefrauen, Waisen und gegebenenfalls Eltern der Invaliden) (Pironti 2015, S. 19). Wie in den meisten anderen kriegführenden Staaten erließ nun auch die Reichsregierung neue Bestimmungen, die den Invaliden einen Weg zurück in die Normalität ebnen sollten. Das Reichsversorgungsgesetz (RVG) von 1920Footnote 6 wies eine gänzlich neue Qualität auf als die bisherigen Bestimmungen: Geschädigte hatten nun einen an Staatsbürgerschaft geknüpften Rechtsanspruch auf Versorgung, wobei eine Bedürftigkeit nicht mehr nachgewiesen werden musste (Whalen 1984, S. 131–139). Die Renten des RVG orientierten sich nicht mehr am Dienstgrad, sondern am Zivilberuf (zudem am Familienstand und am Wohnort). Passend zur Ausschaltung des Dienstgradprinzips war die Verantwortung für die Kriegsopferversorgung 1919 von den Militärbehörden auf das neue Reicharbeitsministerium (RAM) übergegangen, die Kriegsopferversorgung damit entmilitarisiert worden (Frerich 1987, S. 109). Alle Invaliden mit einer Erwerbsminderung ab 15 % (ab 1923 erhöht auf 25 %) hatten fortan Anspruch auf eine Grundrente, Schwerbeschädigte (ab 50 % Erwerbsminderung) erhielten darüber hinaus eine Schwerbeschädigtenzulage.

Sehr bedeutend waren auch die weitreichenden Bestimmungen über die Heilfürsorge und die soziale Fürsorge/Berufsfürsorge. Invalide hatten nun erstmals Anspruch auf eine kostenlose Heilbehandlung, die vom Reich getragen wurde, sowie auf eine Berufsberatung und -ausbildung und eine berufliche Wiedereingliederung. Die vierte Säule des RVG bildete die Hinterbliebenenrente, die nun keinen eigenständigen Komplex mehr bildete wie noch in den Gesetzen von 1906/07. Bei Fehlen direkter Familienangehöriger erhielten die Eltern des Gefallenen ein Elterngeld in Höhe von 30 % der Rente (Hudemann 1991, S. 275–278). Zivilpersonen, die infolge des Kriegs Gesundheitsschäden erlitten hatten, wurden durch das RVG nicht direkt erfasst. Stattdessen erließ die Reichsregierung 1922 das Kriegspersonenschädengesetz,Footnote 7 das für Zivilgeschädigte und deren Hinterbliebene die Anwendung des RVG vorsah (Frank 2003, S. 160–161).

Flankiert wurde das RVG durch das bereits kurz zuvor erlassene Schwerbeschädigtengesetz.Footnote 8 Dieses schrieb den Arbeitgebern vor, 2 % der Stellen mit Schwerbeschädigten (mehr als 50 % Erwerbsminderung) zu besetzen. Bei gleicher Spezialisierung und beruflicher Erfahrung musste der Invalide eingestellt werden. Dieser genoss darüber hinaus einen besonderen Kündigungsschutz. In Betriebsräten und Arbeitnehmervertretungen musste fortan mindestens ein Schwerbeschädigter vertreten sein (Rühland 1957, S. 63–65). Erstmals fasste das Gesetz zivile (Unfall‑)Geschädigte und Militärgeschädigte zusammen (Göpfert 2006, S. 39). Zwar wurde die vorgeschriebene Beschäftigungsquote von 2 % in der Praxis nur selten erreicht, doch waren von den 425.000 Schwergeschädigten (325.000 Kriegs- und 100.000 Unfallgeschädigte) 1927 etwa 376.000 vermittelt worden (Hudemann 1988, S. 393, Anm. 24).

4.1.2 „Drittes Reich“ und Zweiter Weltkrieg

Nach weitgehender Rücknahme der wirtschaftsbedingten Leistungseinschränkungen der Weimarer Zeit setzte das NS-Regime ab 1938 eigene Akzente in der Kriegsopferversorgung. Mit dem Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsgesetzFootnote 9 begann nicht nur ihre Remilitarisierung, sondern auch ihre erneute Zweiteilung. Während die zivilen Versorgungsämter und das RAM die Zuständigkeit für die Versehrten der früheren Kriege behielten und das RVG in Kraft blieb, wurden Wehrmachtsangelegenheiten wieder vom Militär bearbeitet (Diehl 1985, S. 175). Der Soldat stand demnach ganz im Mittelpunkt (Diehl 1987, S. 715–727): Fortan ging es um „Versehrtheit“ statt um den „Grad der Erwerbsminderung“, wobei das Gesetz nur noch nach vier Stufen unterschied. Die Stufen und damit die Schwere der Verwundung legten die Rentenhöhe fest (Rühland 1957, S. 73–76). Um den Primat der militärischen und nicht der zivilberuflichen Leistung anzuerkennen, führte das Gesetz die Differenzierung nach Dienstgraden wieder ein. Oberstes Ziel der Bestimmungen war es, die Wehrtauglichkeit oder die Arbeitsverwendungsfähigkeit des Geschädigten wiederherzustellen oder zu erhalten. Für alle anderen Fälle sah das Gesetz eine Arbeitsverwendungsunfähigkeitsrente (AVU) vor (Hudemann 1988, S. 395–399). Damit hatte das NS-Regime ein Versorgungssystem geschaffen, das „zwar die Grundprinzipien des RVG von 1920 teilweise weiterentwickelte, sie jedoch in wesentlichen Bereichen unter dem Primat der Aufrüstung und Kriegsbereitschaft abwandelte bzw. ergänzte“ (Hudemann 1988, S. 397).

Das für Friedenszeiten geschaffene Wehrmachtsfürsorge und -Versorgungsgesetz (WFVG) wurde schließlich kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs durch das Einsatzfürsorge- und -versorgungsgesetzFootnote 10 ergänzt. Dieses nahm zwar keine strukturellen Änderungen am System von 1938 vor, führte aber ein breit gefächertes Zulagesystem für Soldaten ein, „welche bei opferfreudigem Einsatz ihrer Gesundheit und ihres Lebens während eines besonderen Einsatzes durch Waffen oder sonstige Kampfmittel oder im Kampfgebiet einen Körperschaden erlitten haben“, wie es in der Präambel hieß (Hudemann 1988, S. 398). Da es auch für zivile Kriegsbeschädigte galt, legte es gewissermaßen die Voraussetzungen für die Vorbereitung der deutschen Kriegsopferversorgung auf den Zweiten Weltkrieg (Diehl 1985, S. 174).

4.1.3 Besatzungszeit und Bundesrepublik

Nach dem Ende des „Dritten Reichs“ bestimmten die alliierten Besatzungszonen bis 1949 über die Kriegsopferversorgung. Die Bestimmungen des RVG, des WFVG und des EWFVG wurden durch den Obersten Kontrollrat der Alliierten 1946 aufgehoben, die Rentenzahlungen gestoppt. Bis zur Regelung von zonalen Systemen durch die Besatzungsmächte waren Kriegsopfer auf Sozialhilfe angewiesen. Nach Gründung der Bundesrepublik stand die soziale Bewältigung der Kriegsfolgen an erster Stelle der politischen Agenda (Frank 2003, S. 157). Allerdings waren der Handlungsfähigkeit enge finanzielle Schranken gesetzt. Anknüpfend an ein Überbrückungsgesetz (Diehl 1993, S. 87–108) erließ die Regierung am 20. Dezember 1950 das Bundesversorgungsgesetz (BVG),Footnote 11 das bewusst die Traditionen des RVG weiterführte (Diehl 1985, S. 185) und rückwirkend zum 1. Oktober 1950 in Kraft trat. Wie das RVG fußte es auf vier Säulen: Heilbehandlung, Berufs- bzw. soziale Fürsorge, Rentenzahlungen und Hinterbliebenenrente. Versorgungsberechtigt waren nicht nur ehemalige Soldaten und ihre Angehörigen, sondern auch zivile Kriegsgeschädigte (einschließlich Kriegsgefangene und Internierte) (Frerich 1987, S. 110). Auf diese Weise war sowohl für die Militär- und Zivilinvaliden des Zweiten Weltkriegs, als auch für die Militär- und Zivilbeschädigten des Ersten Weltkriegs erstmalig eine einheitliche Versorgung geschaffen worden (Rühland 1957, S. 239). Ab 30-prozentiger Erwerbsminderung erhielten Invalide fortan eine Grundrente, die zunächst als bescheidener Schadensausgleich gedacht und einkommensunabhängig war. Ab einem Erwerbsminderungsgrad von 50 % kam eine einkommensabhängige Ausgleichsrente hinzu, die wirtschaftlichen Schaden ausgleichen und den Lebensunterhalt sichern sollte (Göpfert 2006, S. 40). Eine Hinterbliebenenrente stand Witwen, Waisen und ggf. den Eltern des gefallenen Soldaten zu.

Wichtiger als die Renten waren hingegen die Leistungen der Heilfürsorge und der Berufs- bzw. sozialen Fürsorge, die das BVG im Vergleich zum RVG noch einmal ausbaute: Invalide sollten so umfassend wie möglich betreut und so schnell wie möglich in Arbeitsmarkt und Gesellschaft integriert werden. Der Staat kam dabei für alle Kosten auf (Wulfhorst 1999, S. 1048). Folglich waren die Renten zunächst bewusst niedrig gehalten worden, um den Invaliden Anreize zur Wiederaufnahme der Arbeit zu geben (Rüfner 2005, S. 694). Schließlich kam im Jahr 1960 der Berufsschadensausgleich hinzu, um den individuellen beruflichen und wirtschaftlichen Schaden besser berücksichtigen zu können (Frerich 1987, S. 110, 257).

Die Kriegsopferversorgung wurde drei Jahre nach dem Inkrafttreten des BVG durch die Verabschiedung des Schwerbeschädigtengesetzes komplettiert.Footnote 12 Dieses sah eine Pflichteinstellungsquote für Schwerbeschädigte von 8 % bei privaten und 10 % bei öffentlichen Arbeitgebern ab sieben Beschäftigten vor (Bösl 2009, S. 172). Das Gesetz hielt am Kausalprinzip fest und beschränkte sich auf die Gleichstellung von Kriegs- und Unfallgeschädigten, während von Geburt an Behinderte nicht miteinbezogen wurden (Göpfert 2006, S. 40). Hinzu kam, dass das BVG und das Schwerbeschädigtengesetz, ähnlich wie die Weimarer Vorbilder, das klassische Rollenbild des männlichen Familienernährers festigten und somit strukturkonservativ wirkten.

4.2 Sozialpolitische Auswirkungen der Kriegsopferversorgung

Die nach dem Ersten Weltkrieg reformierte Kriegsopferversorgung hatte Vorbildcharakter für die Sozialgesetzgebung. Das RVG und das Schwerbeschädigtengesetz bildeten fortan die Richtlinie „für eine rationalere Intervention des Staates im sozialen Bereich“, die zunächst „vor allem die Kriegsopfer betraf, aber langfristig immer weitere Teile der Bevölkerung interessieren sollte“ (Pironti 2015, S. 348). Dabei sind die Bestimmungen der beiden Grundlagengesetze auch aus heutiger Sicht noch äußerst innovativ: Statt auf Rentenzahlungen setzte das RVG auf die Reintegration der Invaliden in Gesellschaft und Arbeitsmarkt mithilfe einer umfangreichen Heil- und Berufsfürsorge mit einem „sozialtherapeutischen Anspruch“, der den Invaliden allerdings auch eine bestimmte Form der Wiedereingliederung „zudiktierte“ (Geyer 1983, S. 245–248). Die soziale Fürsorge wurde verstaatlicht und zentralisiert, die dazu notwendigen regionalen Strukturen wurden modernisiert (Pironti 2015, S. 349–350).

Auf beide Pfeiler des Gesetzes hatten die Invaliden nun erstmals einen Rechtsanspruch. Dass der Staat nicht nur die Verantwortung für das ökonomische Überleben, sondern v. a. auch Gesundheit und Arbeitskraft seiner kriegsbeschädigten Staatsangehörigen übernahm, ist ein modernes Element der Weimarer Kriegsopferversorgung (Hudemann 1991, S. 278). Deutsche Kriegsbeschädigte konnten auf diese Weise wesentlich schneller in ihren Beruf zurückkehren als beispielsweise ihre britischen Pendants (Löffelbein 2014, S. 356). Die vom RVG gesetzlich verankerten Instrumente der Heilfürsorge und der sozialen Fürsorge wirken bis heute nach und bilden auch im 2001 in Kraft getretenen Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX, Abschnitt „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“) „die tragenden Säulen für ein von Selbstbestimmung und Gleichberechtigung geprägtes Leben behinderter Menschen“ (Frank 2003, S. 161).

Eine weitere wirkungsvolle Weiterentwicklung war die Abschaffung der Unterscheidung nach Dienstgraden: Die Rentenhöhe wurde nun nicht mehr nach militärischen, sondern nach zivilberuflichen Kriterien mithilfe des „Grads der Erwerbsminderung“ festgelegt. Dadurch sorgte das RVG nicht nur für Rechtssicherheit, sondern auch für Gerechtigkeit bei der Verteilung der knappen Mittel und für egalisierende Effekte (Pironti 2015, S. 349–350). Diese Egalisierung setzte sich auch bei der Anerkennung von psychisch Kranken als Kriegsopfer durch. Der allgemeine Rentenanspruch wirkte auf diese Weise als „Schrittmacher des modernen Sozialstaats, deren Grundzüge auch das bundesrepublikanische Rentensystem bis heute prägen“ (Löffelbein 2014, S. 356).

Dass die Kriegsopferversorgung keine neue militärische Säule des deutschen Wohlfahrtsstaats bildete, verdeutlicht der Zuständigkeitswechsel von den Militärbehörden auf das RAM 1919 (Diehl 1985, S. 172). Das RVG hob damit den bisherigen Dualismus zwischen Militärversorgung und der traditionellen Fürsorge auf (Pironti 2015, S. 66). Nach dem Bruch der NS-Zeit, in der die Kriegsopferversorgung mit Kriegsbeginn an das Oberkommando der Wehrmacht überging, wurde sie in der Bundesrepublik dem Bundesarbeitsministerium unterstellt.

Die Bundesrepublik knüpfte an die beiden Weimarer Kriegsopfergesetze an. Teilweise griff das BVG einige Bestimmungen des RVG wörtlich wieder auf (Rühland 1957, S. 238). Wie das RVG legte auch das BVG seinen Schwerpunkt auf Integration sowie Rehabilitation und nicht auf Geldleistungen. Folglich war das Rentenniveau im westeuropäischen Vergleich recht niedrig. Eine Dynamisierung der Renten erfolgte erst 1970, 13 Jahre später als in der Rentenversicherung (Hudemann 1991, S. 289–291).

Die Anspruchsvoraussetzungen des RVG waren an die Staatsbürgerschaft geknüpft. Damit beruhte die Entschädigung nicht auf den Prinzipien von Versicherung und Fürsorge, sondern auf dem Versorgungsprinzip, das sogar mit einem Rechtsanspruch versehen wurde. Dieser resultierte aus einer Schädigung in Zusammenhang mit einer staatlich auferlegten Staatsbürgerpflicht, nämlich der allgemeinen Wehrpflicht (Geyer 1983, S. 236). Diese Quid-pro-quo-Logik setzte sich im BVG ab 1950 fort und wurde später auf das Soldatenversorgungsgesetz (1957), das Zivildienstgesetz (1960) und das Bundesseuchengesetz (1961; 2000 abgelöst durch das Infektionsschutzgesetz) ausgedehnt. Damit ist das BVG der zentrale Bestandteil des Sozialen Entschädigungsrechts, das auf der Kriegsopferversorgung basiert (Frank 2003, S. 165).

Die soziale Absicherung nichtversehrter Veteranen wurde sowohl in der Weimarer Republik als auch in der Bundesrepublik durch den zivilen Sozialstaat gewährleistet, dessen Ausbau weitaus fortgeschrittener war als in den USA. Der zivile Sozialstaat erfuhr nach jedem der beiden Weltkriege einen enormen Schub und wurde – auch im Hinblick auf die Kriegsfolgenbewältigung – ausgebaut. Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg lassen sich hier beispielsweise die Erwerbslosenfürsorge von 1918 bzw. die 1927 eingeführte Arbeitslosenversicherung nennen (siehe Obinger und Schmitt 2019), für die BRD die 1957 umgesetzte Rentenreform, aber auch der Ausbau der Sozialhilfe durch das Bundessozialhilfegesetz von 1961. Auch wurden Soldaten ihre Dienstzeiten beim Militär nach beiden Weltkriegen als Anwartschaftszeiten für die Sozialversicherung anerkannt (Hockerts 1980, S. 171–194).

Der Grundstein zur Gleichstellung von Behinderten wurde mit dem Schwerbeschädigtengesetz 1920 gelegt, auch wenn sich das Kausal- lange gegen das Finalprinzip behaupten konnte. Gerade hier ging von der Kriegsopferversorgung „eine Zugkraft für die Etablierung einer allgemeinen Sozialgesetzgebung aus“ (Pironti 2015, S. 339). Während zivile Unfallbeschädigte bereits zu diesem Zeitpunkt einbezogen wurden, erfolgte die Einbeziehung von Menschen mit angeborenen Behinderungen erst 1974 mit dem Schwerbehindertengesetz. Vorausgegangen waren Proteste der (zivilen) Behindertenverbände (Bösl 2006, S. 57–65). Sie wiesen wiederholt auf die ihrer Meinung nach ungerechtfertigte Besserstellung der Kriegsopfer hin und hatten mit dieser Argumentation letztlich auch Erfolg. Kriegs- und Zivilbehinderte sind seitdem in der Berufsfürsorge gleichgestellt, wobei Arbeitgebern eine Beschäftigungsquote von 6 % auferlegt wurde. Wird diese nicht erfüllt, muss eine Ausgleichsabgabe geleistet werden, die einem zweckgebundenen Ausgleichsfonds zugutekommt (Göpfert 2006, S. 42–43). Die Rechte auf bevorzugte Arbeitsvermittlung und Einstellung, auf besonderen Kündigungsschutz, auf Zusatzurlaub – die erstmals durch Kriegsopferversorgungsgesetze eingeführt wurden – gelten somit seit 1974 für alle Schwerbehinderten, unabhängig von der Ursache ihrer Behinderung. Das Finalprinzip hatte sich somit endgültig gegen das Kausalprinzip durchgesetzt. Die Dritte Novelle zum Bundessozialhilfegesetz schuf ausnahmslos für alle körperlich, geistig und seelisch Behinderten einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe (Hartmann 1981, S. 86). Eine weitere Angleichung erfolgte durch das Rehabilitationsangleichungsgesetz von 1974, welches das unterschiedliche Leistungsrecht der verschiedenen Rehabilitationsträger – Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung, Kriegsopferversorgung – aneinander anpasste (Hartmann 1981, S. 85). Im Jahr 1986 wurde schließlich die „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ in „Grad der Behinderung“ umbenannt. Die Regelungen der Kriegsopferversorgung können daher als Wurzeln des Schwerbehindertenrechts in Deutschland angesehen werden (Göpfert 2006, S. 47), was den Innovationsgehalt der frühen Weimarer Gesetzgebung unterstreicht. Passend dazu kümmert sich der größte deutsche Kriegsopferverband, der Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands (VdK), mittlerweile nicht mehr allein um Kriegsbeschädigte, sondern setzt sich für sozialpolitische Verbesserungen für alle Menschen, besonders aber auch für Zivilbehinderte, ein (Spörke 2008, S. 44–55).

Nur geringen Einfluss übte die Kriegsopferversorgung hingegen auf die Gesetzgebung zur Wiedergutmachung des NS-Unrechts aus. Für das 1953/56 verabschiedete und 1965 noch einmal novellierte Bundesentschädigungsgesetz (BEG) standen vor allem jene Regelungen Pate, welche die amerikanische Besatzungsmacht kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Kraft gesetzt hatte (Hockerts 2001, S. 181–183). Allerdings nahm § 1 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Kriegsopferversorgung für Berechtigte im Ausland von 1953 auf das BVG Bezug, um den Kreis der bezugsberechtigen Personen festzulegen. Insofern konnten sich Teile der äußerst umfangreichen und vielschichtigen Wiedergutmachungsgesetzgebung bereits auf Grundlagen berufen, die durch die Kriegsopferversorgung geschaffen worden waren.

Anders als bei der Entmilitarisierung der Kriegsopferversorgung und der Gleichstellung von Kriegs- und Zivilbehinderten lassen sich im Bereich der Geschlechterbeziehungen hingegen keine egalisierenden Effekte konstatieren. Vielmehr verstärkten das RVG, das BVG und die beiden Schwerbeschädigtengesetze das traditionelle Geschlechterverhältnis im Sinne des „male breadwinner models“. Während versehrten Veteranen der (Wieder‑)Einstieg in das Erwerbsleben erleichtert wurde, konnten Frauen lediglich abgeleitete Ansprüche (Witwenrenten) erwerben. Typischerweise waren sie zudem für die Pflege und Betreuung kriegsbeschädigter (Ehe‑)Männer und Waisen verantwortlich (Schnädelbach 2009, S. 88–104, 312).

Große Auswirkungen hatte die Kriegsopferversorgung aber auch auf die Höhe der Kriegsfolgekosten und die Sozialausgaben, vor allem in den ersten zehn Jahren nach den beiden Weltkriegen. Während nach dem Ersten Weltkrieg etwa vier Mio. Menschen oder 6,35 % der Gesamtbevölkerung versorgungsberechtigt waren, waren es in der frühen Bundesrepublik sogar 4,278 Mio. oder 8,5 % (Hudemann 1991, S. 274). Entsprechend hoch waren die Kosten: 1922 beliefen sich die Ausgaben auf 10,7 Mrd. Reichsmark, was etwa 30 % der Haushaltsmittel des Reichs entsprach (Whalen 1984, S. 143–145). 1952 mussten etwa 16 % des Haushalts für die Kriegsopferversorgung aufgewendet werden (Hudemann 1988, S. 533–534). In den 1950er-Jahren entsprachen die Ausgaben teilweise mehr als 2,5 % des BIP. Angesichts dieser fiskalischen Größenordnung ist sowohl für die Weimarer Republik als auch für die BRD zumindest in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein fiskalischer Crowding-out-Effekt im Sinne einer Verdrängung „ziviler Sozialpolitik“ plausibel. Schließlich waren die Kriegsopfer die erste soziale Gruppe, für welche die Nachkriegsregierungen aufkamen; der Leistungsausbau in anderen Bereichen musste bis zur wirtschaftlichen Erholung zurückgestellt werden.

5 Australien

5.1 Die Entstehung und Ausgestaltung der Kriegsopferversorgung

Bis zum Ersten Weltkrieg waren nur wenige sozialstaatliche Kompetenzen auf der Bundesebene geregelt (vor allem Unfallversicherung ab 1902, Alterssicherung ab 1908, Mutterschaftsleistungen ab 1912). Eine große Bedeutung hatte die Regulierung der Einkommen über Mindestlöhne für die Entstehung des „wage earner’s welfare state“. Einschneidende Veränderungen brachte der Erste Weltkrieg mit sich. 420.000 Australier meldeten sich zum freiwilligen Militärdienst (Lloyd und Battin 2018, S. 241). Davon wurden 330.000 im Kampfgeschehen eingesetzt. Knapp 60.000 Soldaten starben, weitere 152.000 kehrten verwundet zurück (siehe National Archives 2019).

1914 wurde der War Pensions Act verabschiedet, der Zahlungen im Falle von Verwundung, Krankheit und Tod im Einsatz festlegte (Lloyd und Reese 1994, S. 19–20). Mit dem Australian Soldiers’ Repatriation Fund Act 1916 und dem Australian Soldiers’ Repatriation Act 1917 wurden weitere Kompensationsregelungen für Soldaten getroffen. Daneben schuf die australische Regierung 1917 ein Federal Department of Repatriation, den Vorläufer des heutigen Veteranenministeriums. 1918 wurde innerhalb des Departments die Repatriation Commission als zentrale Verwaltung für die Kriegsopferversorgung eingerichtet. Ein umfassendes Kriegsopferversorgungssystem wurde jedoch erst mit dem Australian Soldiers’ Repatriation Act 1920 (später in Repatriation Act umbenannt) geschaffen.Footnote 13 Die Repatriation Commission war teilweise auch verantwortlich für die Auszahlung einer einmaligen Kriegsgratifikation an Frontsoldaten, Rentenzahlungen und medizinische Versorgung für Veteranen und Angehörige, berufliche Wiedereingliederung, die Bereitstellung von Krankenhäusern und Einrichtungen für Behinderte sowie verbilligte Angebote zum Haus- oder Landkauf (Murphy 2011, S. 119).

Die Kriegsopferversorgung verursachte hohe und langanhaltende Kosten. So waren die Kriegsrenten höher als die regulären Altersrenten und Frauen von Veteranen erhielten nach dem Tod ihres Mannes dessen Veteranenrente. 1934 flossen bereits 72 % aller Kriegsrenten an Frauen, wodurch die klassische Rollenverteilung im „male breadwinner model“ gestärkt wurde (Lloyd und Battin 2018, S. 244). Nach Kriegsende stiegen die Kosten von ca. 3 Mio. australischer Pfund 1918 auf 18 Mio. im Jahr 1922 an und fielen anschließend bis zum Zweiten Weltkrieg auf ein konstantes Niveau zwischen 8 und 9 Mio. Die Kriegsopferversorgung beanspruchte so zwischen 15 (1922) und 10 % (1939) der Staatsausgaben (Murphy 2011, S. 124–126). In der Zwischenkriegszeit entsprachen die kriegsbedingten Sozialausgaben für Veteranen in etwa denen des zivilen Sozialstaats. Nicht zuletzt aufgrund dieser Kosten und dem Abbau der Kriegsschulden stockte in der Zwischenkriegszeit der Ausbau des Sozialstaats.

Die im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg immanente Bedrohung einer japanischen Invasion führte im Zweiten Weltkrieg zu einer umfassenden Mobilmachung. Von 993.000 Soldaten wurden ca. 550.000 außerhalb des Mutterlands im Kampfgeschehen eingesetzt. Australien beklagte knapp 35.000 Tote und ca. 23.500 Verletzte (siehe National Archives 2019). Unter der Labor-Regierung kam es zu einem Ausbau und einer Zentralisierung des Wohlfahrtsstaats. Eingeführt wurden ein Kindergeld (1941), eine Witwenrente (1942), ein Bestattungsgeld (1943), ein Kranken- und Arbeitslosengeld (1944) und der Commonwealth Employment Service (1945). Ein zweiwöchiger Urlaubsanspruch und eine wöchentliche Maximalarbeitszeit von 40 Stunden traten 1945 bzw. 1948 in Kraft. Dieser Ausbau war jedoch verfassungsrechtlich umstritten. Ein von der Regierung 1944 angesetztes Referendum zur Legitimierung der Kompetenzübertragung an den Bund scheiterte. Bemerkenswert war, dass die Mehrheit der Militärangehörigen für die Annahme votierte. Ein weiteres Referendum (1946), das der Regierung die meisten Kompetenzen im Bereich der Sozialpolitik sicherte (Macintyre 2015, S. 385–387), war erfolgreich. Der Social Services Consolidation Act übertrug entsprechend 1947 die Verantwortung für einen Großteil der Sozialleistungen dem Department of Social Services.

Der Re-establishment and Employment Act legte ab 1945 eine Bevorzugung von Veteranen bei der Vergabe von zivilen und staatlichen Arbeitsplätzen fest. Eine Neuerung stellte die Möglichkeit dar, verpflichtende Quoten für die Anstellung behinderter Arbeitnehmer festzulegen. Durch die Gründung des Commonwealth Rehabilitation Service (CRS) 1948 übernahm die Regierung die Verantwortung für den Großteil der Behindertenpolitik. Nach dem Vorbild der militärischen Behindertenpolitik legte der CRS den Grundstein für die zivile australische Behindertenpolitik (Carson und Kerr 2017, S. 274–275).Footnote 14 Die berufliche Wiedereingliederung ziviler Behinderter kann daher als „product of the greater awareness of the community’s obligation for war veterans“ betrachtet werden (Mpofu et al. 2018, S. 337).

Im Hinblick auf den militärischen Sozialstaat sind vor allem die Erweiterungen (1940, 1943) des Australian Soldiers’ Repatriation Act sowie des War Service Homes Act (1941) zu nennen. Benachteiligungen, beispielsweise in der Pensionshöhe, traten allerdings bei Veteranen auf, die den indigenen Minderheiten der Aborigines und Torres-Strait-Insulaner entstammten (Sheffield 2017, S. 72–73).

Auch im Zuge der australischen Kriegsbeteiligungen im Kalten Krieg (Korea, Malaysia, Vietnam) wurde der War Service Homes Act erweitert. Militärangehörige, die in Friedenszeiten Dienst leisten, dürfen seit 1973 an dem Programm teilnehmen. Der Titel wurde in Defence Service Homes Act geändert, was mit dem Ende der Wehrpflicht 1972 zusammenhing. Die Regierung hoffte durch diese Reform eine hohe Zahl an Freiwilligen zum Militärdienst zu bewegen (Australian Housing Commission 1976, S. 19).

Bedeutsam für die weitere Entwicklung der Sozialpolitik war der durch beide Weltkriege angestoßene (soziale) Wohnungsbau. Bereits durch den War Service Homes Act von 1918 konnten Veteranen vergünstigte Kredite für den Kauf oder Bau eines Hauses beziehen (Cousley et al. 2016, S. 8). In den 1920er-Jahren wurde ihnen v. a. Land angeboten („A land fit for heroes“, Scates und Oppenheimer 2016, S. 4–5). Aufbauend auf diesen Erfahrungen wurde die Wohnungspolitik während und nach dem Zweiten Weltkrieg forciert. Das 1945 zwischen der Regierung und den Bundesstaaten verhandelte Commonwealth-State Housing Agreement (CSHA) legte fest, dass die Zentralregierung Gelder für die Bundesstaaten zum Zweck des Wohnungsbaus bereitstellt. Das überaus erfolgreiche Programm wurde in der Folgezeit von Tausenden Veteranen genutzt.

5.2 Sozialpolitische Auswirkungen der Kriegsopferversorgung

Die Kriegsopferversorgung übte erhebliche Effekte auf die Entwicklung des australischen Wohlfahrtsstaats aus. Mit dem Repatriation Act wurde ein separater „veterans’ welfare state“ geschaffen. In der Zwischenkriegszeit lässt sich ein Bremseffekt feststellen, der durch die hohen Kriegsfolgekosten entstand und von der Great Depression verstärkt wurde. Strukturelle Reformen konnten erst im Zweiten Weltkrieg implementiert werden, der ein „window of opportunity“ zur Zentralisierung sozialpolitischer Kompetenzen bot. Der Ausbau des zivilen und militärischen Wohlfahrtsstaats während des Kriegs und die verfassungsmäßige Absicherung durch das Referendum von 1946 können daher als eigentlicher Beginn eines australischen Sozialstaats auf nationaler Ebene betrachtet werden. Zwischen 1939 und 1949 erhöhten sich die Sozialstaatsausgaben von 16 auf 123 Mio. australische Pfund (Watts 1999, S. 84). Auch im australischen Fall stellt der Aufbau einer Infrastruktur für kriegsversehrte Veteranen einen neuen sozialpolitischen Interventionsbereich dar. Die berufliche Wiedereingliederung geschädigter Soldaten, insbesondere durch die Schaffung des CRS, war der Beginn der zivilen Behindertenpolitik. Eine besondere Rolle nehmen sozialpolitische Leistungen für Soldaten als „loyalty benefits“ ein. So konnten Veteranen, die im Zweiten Weltkrieg außerhalb des Mutterlands gekämpft hatten, bereits mit 60 statt regulär mit 65 Jahren in Rente gehen (Castles 2010, S. 95). Durch die ungleiche Behandlung ethnischer Minderheiten beim Bezug sozialpolitischer Leistungen können hingegen keine egalisierenden Effekte festgestellt werden. Eine Sonderrolle stellt die Wohnungsfrage dar, die nach Kriegsende zu einem integralen Bestandteil des australischen Wohlfahrtsstaats wurde. Die Hälfte der ab 1945 neugebauten Wohnungen waren für Veteranen bestimmt und die staatlichen Ausgaben für das Programm stiegen von vier (1946/47) auf 50 Mio. Pfund (1950/51) deutlich an (Phibbs und Hanna 2010, S. 3). Während ursprünglich nur Mietwohnungen vorgesehen waren, markierte das zweite CSHA ab 1956 den Wechsel vom öffentlich geförderten Wohnungsbau zum Konzept des „home ownership“. Staatliche Unterstützung gab es nun in Form von verbilligten Krediten für Hausbauer oder -käufer, während Mieten nur noch für sozial Bedürftige bezuschusst wurden (Murphy 1995, S. 17–24). In den ersten 30 Jahren nach Kriegsende wurden 426.000 solcher Kredite von Veteranen beantragt (Cousley et al. 2016, S. 8). Bis 1970 wurden 265.000 neue Wohnungen gebaut (Castles 2010, S. 95). Mitte der 1960er-Jahre lebten bereits 70 % der australischen Bevölkerung in einem Eigenheim, was eine der höchsten Quoten weltweit und ein sozialpolitisches funktionales Äquivalent in der Alterssicherung darstellte. In Form des CSHA kann die Baupolitik daher nicht nur als Loyalitätsvorteil für Veteranen angesehen werden, sondern auch als sozialpolitische Innovation.

6 Österreich

6.1 Die Entstehung und Ausgestaltung der Kriegsopferversorgung

Vor Kriegsausbruch 1914 hatte die westliche Reichshälfte der Donaumonarchie eine Kranken- und Unfallversicherung für Arbeiter (1887, 1888) sowie eine Alterssicherung für Angestellte (1907) eingeführt. Das Militärversorgungsgesetz 1875 regelte die Versorgung invalider Soldaten, die Leistungen waren aber trotz der 1868 eingeführten allgemeinen Wehrpflicht in erster Linie auf ein Berufsheer zugeschnitten (Pawlowsky und Wendelin 2015, S. 53–55). Dementsprechend war dieses Gesetz mit den horrenden Opferzahlen des Ersten Weltkriegs (fast 500.000 Tote und 250.000 Invalide und Hinterbliebene) völlig überfordert.

Schon im April 1919 wurde das Gesetz „über die staatliche Entschädigung der Kriegsinvaliden, -witwen und -waisen (Invalidenentschädigungsgesetz)“ verabschiedet. Es sah einen Rechtsanspruch auf Geld- und Sachleistungen für invalide Soldaten und die Hinterbliebenen getöteter Soldaten sowie für bestimmte Zivilpersonen (Kriegsleistungsgesetz 1912) vor. Das Leistungsspektrum umfasste kostenlose medizinische Behandlungen und Hilfsmittel, Krankengeld, kostenlose berufliche Ausbildung, Invaliden- sowie im Todesfall Hinterbliebenenrenten und Sterbegeld. Die medizinischen Leistungen und der Anspruch auf einjährige Berufsausbildung zielten auf rasche Arbeitsmarktintegration. Die Invalidenrenten wurden nach Vorbild der Unfallversicherung nach dem Erwerbsminderungsgrad bemessen. Dauerhaft auf Hilfe angewiesene Invalide hatten Anspruch auf einen Hilflosenzuschuss. Alle Leistungen waren steuerfrei und steuerfinanziert. Mit der Einführung von Invalidenentschädigungskommissionen (später Landesinvalidenämter) wurde die Verwaltung entmilitarisiert.

Eng mit dem Invalidenentschädigungsgesetz war das „Gesetz vom 1. Oktober 1920 über die Einstellung und Beschäftigung Kriegsbeschädigter“ verbunden. Es verpflichtete private und staatsmonopolitische Betriebe je 20 Arbeitnehmer mindestens einen Kriegsbeschädigten (Erwerbsminderung ab 45 %) und für je weitere 25 Arbeitnehmer einen zusätzlichen Kriegsinvaliden einzustellen. Andernfalls mussten die Unternehmen eine Ausgleichstaxe entrichten, deren Erträge der Kriegsbeschädigtenfürsorge zugutekamen. Das Gesetz blieb selbst nach dem „Anschluss“ in Kraft, während die reichsdeutschen Versorgungsgesetze auf die „Ostmark“ übertragen wurden.

Auch der Zweite Weltkrieg führte zu enormen Opferzahlen (ca. 350.000 Tote und 120.000 Kriegsbeschädigte) und erneut erfolgte die Neuordnung der Kriegsopferversorgung unter prekären wirtschaftlichen und politischen Bedingungen. Beide „Stammgesetze“ von 1919 und 1920 dienten dafür als Vorbilder. Die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus schuf mit den Opfern politischer Verfolgung eine neue Kategorie von Kriegsopfern, deren Versorgung mit den „Opferfürsorgegesetzen“ 1945 bzw. 1947 geregelt wurde.

Das Invalideneinstellungsgesetz 1946 orientierte sich stark am Erstgesetz von 1920. Neu war die Ausweitung auf Unfallinvalide (also zivile Behinderte) und die Opfer des Nationalsozialismus. Zudem wurde die Einstellungsquote erhöht und auch die Gebietskörperschaften mussten jetzt fünf Prozent der Arbeitsplätze mit Kriegsbeschädigten besetzen.

Die materielle Versorgung der Kriegsopfer wurde im Juni 1945 zunächst provisorisch und dann 1949 mit dem „Kriegsopferversorgungsgesetz“ neu geregelt. Die am Erwerbsminderungsgrad berechneten Beschädigtenrenten setzten sich nun aus Grund- und Zusatzrenten zusammen. Schwerbeschädigte ab 18 Jahren hatten Anspruch auf eine Zusatzrente, sofern sie keine Arbeit finden konnten und bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschritten. Hinzu kamen Familienzulagen sowie eine Pflegezulage für hilflose Personen, die in Abhängigkeit des Pflegaufwands in vier Stufen unterteilt war.

Eine 1945 geschaffene provisorische Unterstützung von Widerstandskämpfern und ihrer Hinterbliebenen wurde 1947 vom „Opferfürsorgegesetz“ abgelöst, das nun auch die Opfer politischer Verfolgung und ihre Hinterbliebenen einschloss, wobei der Empfängerkreis zunächst eng gezogen war. Das Leistungsspektrum bestand im Wesentlichen aus Begünstigungen (in der Sozialversicherung und im Steuerrecht, der Ausbildung oder bei Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche) und Fürsorgemaßnahmen (Renten gemäß Kriegsopferversorgungsgesetz, bedarfsabhängige Unterhaltsrenten, Heilbehandlung und Kinderfürsorge).

6.2 Sozialpolitische Auswirkungen der Kriegsopferversorgung

Mit dem Invalidenentschädigungsgesetz 1919 wurde ein neuer Programmtyp im Sozialstaat verankert. Es ist das erste Beispiel eines Entschädigungssystems, das nicht auf den Grundsätzen der Versicherung oder Fürsorge, sondern auf dem mit einem Rechtsanspruch versehenen Prinzip der Staatsbürgerversorgung basiert. Dieses Recht leitete sich aus einer Schädigung in Zusammenhang mit der staatlich auferlegten allgemeinen Wehrpflicht ab. Zielgruppe waren durch Kriegshandlungen geschädigte Wehrdienstleistende (also überwiegend Männer) und Zivilpersonen, die gemäß Kriegsleistungsgesetz zu militärischen Assistenzleistungen verpflichtet wurden. Das Invalidenentschädigungsgesetz 1919 war das erste nationale Sozialschutzprogramm, das aus dem Staatshaushalt finanziert wurde. In der Zweiten Republik diente es nicht nur als Vorbild für das Kriegsopferversorgungsgesetz 1949, sondern auch für die Gestaltung neuer Entschädigungssysteme wie z. B. das bereits erwähnte Opferfürsorgegesetz (1947), das Heeresversorgungsgesetz (1964), das Verbrechensopfergesetz (1972), das Impfschadengesetz (1973) oder das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz (2000). Dieser Komplex der Entschädigungssysteme bildet heute neben der Sozialversicherung, der Sozialhilfe und universellen Leistungen (Familienbeihilfe, Bundespflegegeld) eine vierte, wenngleich kleine Säule des Sozialstaats.

Die Kriegsopferversorgung lieferte überdies wichtige Impulse für die zivile Behindertenpolitik und das in den 1990er-Jahren eingeführte Bundespflegegeld. Eine wesentliche Triebfeder war die sozialpolitische Besserstellung der Kriegsopfer, während von Geburt an behinderte und pflegebedürftige Personen im Wesentlichen auf Fürsorgeleistungen und familiale Unterstützung angewiesen waren. Insgesamt waren die Leistungen für Zivilbehinderte deutlich geringer als jene der Kriegsopferversorgung, die noch dazu vorrangig Männern zugutekamen. Der Österreichische Zivilinvalidenverband forderte deshalb die Einführung eines Pflegegelds für alle schwerbehinderten Menschen nach Vorbild der Kriegsopferversorgung mit ihren sechs pauschalierten Pflegegeldstufen (ÖAR 2016, S. 10). 1993 waren diese Bemühungen mit der Verabschiedung des Bundespflegegeldgesetzes schließlich erfolgreich. Ähnlichkeiten mit der Kriegsopferversorgung sind unübersehbar, da es sich beim Bundespflegegeld um ein steuerfinanziertes Programm handelt, das allen pflegedürftigen Personen in Abhängigkeit des Pflegebedarfs Geldleistungen gewährt. Die Höhe richtet sich nach sieben Pflegestufen, die wie im § 18 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1949 gestaffelt nach dem Pflegeaufwand bemessen werden.

Eine nachhaltige Wirkung auf die Sozialpolitik entfaltete auch das Prinzip „Eingliederung vor Rente“. Schon die Erstgesetze der Kriegsopferversorgung zielten vorrangig auf die Rehabilitation und Integration der Kriegsinvaliden in das Erwerbsleben. Die Stärkung sozialer Teilhabe, vor allem aber Kostengründe sowie die Gewinnung von Arbeitskräften für den Wiederaufbau waren wichtige Motive. Dieses Grundprinzip wurde in der Zweiten Republik in zweifacher Weise ausgedehnt. Zum einen wurden schrittweise die zivilen Behinderten in die arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen einbezogen und zum anderen wurde der Integrationsbegriff über das Erwerbsleben hinaus erweitert, indem nun die Inklusion behinderter Menschen in alle Lebensbereiche angestrebt wird. So verankerte das Invalideneinstellungsgesetz 1969 im Grundsatz das Finalprinzip anstelle des Kausalprinzips, indem nun auch Personen mit einem Erwerbsminderungsgrad von mindestens 50 % und unabhängig von der Ursache der Behinderung in den begünstigten Personenkreis einbezogen wurden. Das Invalideneinstellungsgesetz wurde schließlich durch das Behinderteneinstellungsgesetz ersetzt. Es verpflichtet heute alle Arbeitgeber, die 25 oder mehr Arbeitnehmer beschäftigen, auf je 25 Arbeitnehmer mindestens einen begünstigten Behinderten einzustellen. Neben den Beschäftigungsquoten finden sich heute weitere Kernelemente des „Stammgesetzes“ im Behinderteneinstellungsgesetz wieder. Dies betrifft die Staatsbürgerschaft als Anspruchsvoraussetzung, die Ausgleichstaxe und den vom Sozialministerium verwalteten Ausgleichstaxfonds samt zweckgebundener Mittelverwendung oder die Schutzvorschriften bezüglich Entgelt- und Kündigungsschutz, die heute zudem von vielfältigen Antidiskriminierungsbestimmungen flankiert werden.

Während langfristig die Kriegsopferversorgung wichtige Anstöße für die staatliche Behindertenpolitik gab, waren kurzfristig ihre Effekte auf die Sozialpolitik negativ. Dies lag an den enormen Kosten aufgrund der hohen Opferzahlen, der Steuerfinanzierung und der prekären Finanzlage in der unmittelbaren Nachkriegszeit. 1950 bezogen ca. 510.000 Personen (7,5 % der Bevölkerung) Leistungen der Kriegsopferversorgung. Die Ausgaben beanspruchten 45 % des Sozialbudgets des Bunds oder ca. 1 % des BIP und überstiegen den Bundeszuschuss zur Sozialversicherung sowie die Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik. Die hohen Kosten trieben die staatlichen Sozialausgaben in die Höhe, bremsten aber auch die „zivile Sozialpolitik“ (einschließlich der Maßnahmen für Zivilbehinderte). Zwar sind die Ausgaben für die Kriegsopferversorgung aufgrund von Tod des Begünstigten, Erreichung einer Altersgrenze (Waisen) oder Wiederverheiratung (Witwen) stetig gesunken, dennoch warfen beide Weltkriege lange fiskalische und sozialpolitische Schatten. So bezogen 1980 immer noch ca. 200.000 Personen (ca. 3 % der Bevölkerung) entsprechende Versorgungsleistungen, darunter befanden sich ca. 10.000 Kriegsopfer des Ersten Weltkriegs.

7 Effekte der Kriegsopferversorgung im internationalen Vergleich

Trotz horrender Opferzahlen hat die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung die Kriegsopferversorgung und ihre Folgen für die staatliche Sozialpolitik bislang weitgehend ignoriert. Unser Ländervergleich enthüllt neben Gemeinsamkeiten auch beträchtliche Unterschiede in der Ausgestaltung der Kriegsopferversorgung sowie ihren Auswirkungen auf die Struktur und Entwicklungsdynamik des Sozialstaats.

Hinsichtlich ihrer Ausgestaltung haben alle Länder Renten für kriegsgeschädigte Veteranen und diverse Eingliederungsmaßnahmen geschaffen. Im Einklang mit unserer zweiten Hypothese zeigen sich jedoch erhebliche Unterschiede in Bezug auf den Empfängerkreis und das Leistungsspektrum (vgl. Tab. 3). In den in Übersee kriegsführenden Ländern USA und Australien blieben die Leistungen auf Veteranen und ihre Familien beschränkt, während in Deutschland und Österreich auch kriegsgeschädigte Zivilisten erfasst wurden, die v. a. nach dem Zweiten Weltkrieg eine bedeutende Empfängergruppe bildeten. Allerdings kamen in Deutschland und Österreich die Leistungen nur den Kriegsgeschädigten und ihren Angehörigen zugute, während in den USA, beginnend mit der GI Bill 1944, sowie in Australien auch körperlich unversehrte und damit erwerbsfähige Veteranen in den Genuss sozial- und bildungspolitischer Fördermaßnahmen und Gratifikationsleistungen kamen. Dies hängt im Einklang mit unserer ersten Hypothese einerseits damit zusammen, dass die soziale Sicherung unversehrter Soldaten in Deutschland und Österreich über den früher institutionalisierten zivilen Sozialstaat erfolgte, indem z. B. bereits im Ersten Weltkrieg die Kriegsdienstzeiten als Ersatzzeiten angerechnet und so Anwartschaften auf Sozialversicherungsleistungen gesichert wurden. Auch das Arbeitslosigkeitsrisiko wurde durch im November 1918 eingeführte Fürsorgeleistungen bzw. 1920/1927 über die Arbeitslosenversicherung deutlich früher abgedeckt. Demgegenüber erhielten unversehrte Soldaten in den Siegerstaaten Bonuszahlungen wie beitragsunabhängige Alterspensionen, Ausbildungsmöglichkeiten und geförderten Kredite zum Erwerb von Land oder Eigenheimen. Solche Gratifikationen fehlten naturgemäß in den besiegten Staaten. Zu diesem Muster passt auch, dass die Soldaten der unterlegenen Konföderation von den nach dem US-Bürgerkrieg eingeführten Rentenleistungen ausgeschlossen blieben.

Tab. 3 Leistungsspektrum der Kriegsopferversorgung ca. 1955

Bezüglich ihrer Auswirkungen auf die Sozialpolitik können Innovationseffekte, fiskalische Effekte und Struktureffekte unterschieden werden, die in der Zusammenschau die Entwicklungsdynamik und Struktur des Sozialstaats nachhaltig, aber in ambivalenter Weise geprägt haben.

7.1 Policyinnovation

Die überall geschaffenen Eingliederungsprogramme für invalide Veteranen beinhalteten aus heutiger Sicht moderne Politikinstrumente wie Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen, Beschäftigungsquoten oder die bevorzugte Einstellung von Veteranen. Diese auf rasche Integration (von Männern) in die Arbeitswelt zielenden Maßnahmen können als früher Vorläufer einer aktiven Arbeitsmarktpolitik sowie einer Sozialinvestitionspolitik gesehen werden. Letzteres gilt besonders für die GI Bill von 1944, die über Bildungs- und Ausbildungsförderungsmaßnahmen Aufstiegschancen für Millionen junger Männer aus unteren Gesellschaftsschichten bot und gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zu einer „civic culture“ leistete (siehe Skocpol 1997; Mettler 2005, S. 163–176). Obwohl vorrangig aus Kostengründen eingeführt, entfalteten diese Programme auf lange Sicht eine erhebliche Schubwirkung. So war die Kriegsopferversorgung in allen Ländern langfristig ein entscheidender Schrittmacher der zivilen Behindertenpolitik. Zahlreiche Maßnahmen wie beispielsweise obligatorische Beschäftigungsquoten, Umschulungen, Kündigungsschutzregelungen oder die bevorzugte Beschäftigung invalider Soldaten wurden insbesonders nach 1945 schrittweise auf alle Behinderten übertragen. Wesentliche Triebfeder waren Zivilbehindertenverbände, die auf eine Gleichstellung drängten. In Österreich war die Kriegsopferversorgung zudem ein Katalysator für die Einführung und Gestaltung der sozialen Absicherung bei Pflegebedürftigkeit, während in den USA und Australien die kostenlose medizinische Versorgung von Veteranen einen der ersten Staatseingriffe im Bereich der Gesundheitspolitik bedeutete.

7.2 Fiskalische Effekte

Überall waren die Kosten der Kriegsopferversorgung enorm hoch und betrugen nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen 1 und 3 % des BIP. Damit waren zwei Implikationen verbunden. Einerseits stiegen die Sozialausgabenquoten erheblich und nachhaltig an (Obinger und Schmitt 2018). Im Einklang mit unserer ersten Hypothese zeigt sich, dass in Deutschland und Österreich ein größerer Teil der sozialen Kriegslasten durch den weiter ausgebauten zivilen Sozialstaat abgefedert wurde. Trotz höherer Opferzahlen war nämlich der Anteil der kriegsinduzierten Sozialausgaben an den Gesamtsozialausgaben deutlich geringer als in den USA und Australien, wo die Veteranenversorgung nach dem Zweiten Weltkrieg ein Drittel bzw. ein Fünftel der Sozialausgaben ausmachte (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Kriegsinduzierte Sozialausgaben in % der Gesamtsozialausgaben, 1950–75. GER Deutschland, AUT Österreich, AUS Australien, USA Vereinigte Staaten von Amerika. (Quelle: ILO: The Cost of Social Security, verschiedene Jahre)

Andererseits blockierten die hohen Ausgaben der Kriegsopferversorgung zumindest vorübergehend die zivile Sozialpolitik. Für die USA ist dieser Crowding-out-Effekt bereits früh zu beobachten, zumal die Rentenzahlungen an Bürgerkriegsveteranen und ihre Angehörigen die Einführung einer zivilen Alterssicherung bremsten (Skocpol 1992, S. 102–152). Ähnliches gilt für Australien in der Zwischenkriegszeit sowie in Deutschland und Österreich unmittelbar nach Ende der beiden Weltkriege.

7.3 Struktureffekte

Die Kriegsopfer- und Veteranenversorgung führte zu einem deutlichen Zuwachs von Staatsinterventionismus sowie einer Zentralisierung sozial- und gesundheitspolitischer Kompetenzen, zumal private Träger und lokale Behörden angesichts horrender Opferzahlen industrieller Massenkriege völlig überfordert waren. Zur Bewältigung der sozialen Kriegsfolgen wurde gleichzeitig auf zentralstaatlicher Ebene eine Sozialstaatsbürokratie aufgebaut, wobei sich Unterschiede zwischen den deutsch- und englischsprachigen Ländern zeigen.

Vor allem in den USA ist als Folge eines frühen industriellen Massenkriegs und zahlreicher Kriege ein militärischer Sozialstaat entstanden, der im Hinblick auf Leistungen, Anspruchsbedingungen und Verwaltung eine Sonderstellung einnimmt und angesichts einer großen Zahl aktiver und ehemaliger Armeeangehöriger eine bedeutende Rolle in der sozialen Sicherung spielt. Politisch einflussreiche Veteranenverbände forcierten nicht nur den Ausbau, sondern setzen auch dem Rückbau dieses „veterans’ welfare state“ enge Grenzen (Burtin 2020, im Erscheinen). Auch in Australien entstand in der Zwischenkriegszeit ein kostspieliger, separater Veteranensozialstaat, ehe der sozialpolitische Ausbau im Zweiten Weltkrieg zu einer engeren Verzahnung zwischen militärischer und ziviler Sozialpolitik führte. Dieser „veterans’ welfare state“ (Hypothese 2) spiegelt sich in den englischsprachigen Ländern in einer separaten Verwaltungsorganisation mit eigener sozialpolitischer Infrastruktur wider, während in Deutschland und Österreich die Kriegsopferversorgung seit Ende des Ersten Weltkriegs in die Kompetenz des Sozial- bzw. Arbeitsministeriums fällt. Auch in Deutschland und Österreich prägte die Kriegsopferversorgung die Struktur des Sozialstaats nachhaltig, indem sie nach 1945 als Modell für die Einrichtung neuer, auf Staatbürgerschaft und mit einem Rechtsanspruch versehener sozialer Entschädigungssysteme fungierte. Dadurch entstand jedoch kein paralleler militärischer Sozialstaat, sondern durch „layering“ (Streeck und Thelen 2005, S. 22–24) eine zusätzliche Programmsäule innerhalb des zivilen Sozialstaats.

Neben strukturverändernden Effekten hatte die Kriegsopferversorgung auch strukturkonservative Auswirkungen, da überall das traditionelle Geschlechterverhältnis („male breadwinner model“) gefestigt wurde. Die Eingliederungs- und Ausbildungsprogramme sowohl für beschädigte als auch unversehrte Veteranen (z. B. GI Bills) erleichterten Millionen junger Männer den (Wieder‑)Einstieg in den Arbeitsmarkt, während Frauen lediglich abgeleitete Ansprüche in Gestalt von Witwenrenten erwerben konnten und/oder mit der Pflege und Betreuung kriegsbeschädigter (Ehe‑)Männer und Waisen betraut waren.