„Zur rechten Zeit“ ist ein flüssig geschriebenes, gut lesbares und an ein breites Publikum gerichtetes Sachbuch. Es will die Geschichte der Bundesrepublik „unter dem Eindruck der gegenwärtigen rechten Konjunktur anders denn als gängige Erfolgsgeschichte“ (S. 10) erzählen. Die Autorinnen und Autoren sind nicht bestrebt, das Erfolgsnarrativ radikal zu dekonstruieren und damit den Forschungsertrag der Zeitgeschichtsschreibung zu ignorieren, wohl aber rekonstruieren sie Abschattungen und Brüche, die zeigen, dass der Prozess weniger geradlinig war als häufig angenommen – und dass seine Ergebnisse nicht irreversibel sind.

Wie Norbert Frei im Nachwort bekennt, war der Anlass das Insistieren des Verlags Ullstein, es „könne doch nicht sein, dass die Zeithistoriker […] zur aktuellen politischen Situation nichts zu sagen hätten“ (S. 221). Hier liegt das Problem, mit dem der Band zu ringen hat: Die Zeitgeschichtsforschung hat der eigenständigen Entwicklung antidemokratischer Tendenzen von rechts in der deutschen Nachkriegsdemokratie kaum Aufmerksamkeit gewidmet. Indem der Band Forschungsergebnisse zusammenfasst und dem Publikum zur Verfügung stellt, markiert er diese Lücke. Die Autorinnen und Autoren folgen der deutschen Geschichte in acht Kapiteln und vier Erzählsträngen. Frei zeichnet die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Erbe nach, Christina Morina die Eigen- und Sonderentwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und den ostdeutschen Ländern, Franka Maubach stellt den Umgang der beiden Nachkriegsgesellschaften mit Migration dar und Maik Tändler erinnert an einige Interventionen und Debatten rund um das Thema Nationalismus, darunter auch solche, die politikwissenschaftlich als rechtsextrem bezeichnet werden.

Frei rekapituliert in seinen beiden Beiträgen den Ertrag der Forschung zur Vergangenheits- und Erinnerungspolitik, zu denen er maßgeblich beigetragen hat. Allerdings fällt das Fehlen rechtsextremer beziehungsweise radikalnationalistischer Akteure in diesem Prozess ins Auge. Wenig erfährt man über deren Interventionen und Gegennarrative, über die Kulturgemeinschaften, Verlage und Zeitschriften, die aktiv an der Rekonstruktion eines überkommenen und Dekonstruktionen eines kritischen Geschichtsbilds mitwirkten.

Die Abschnitte zu DDR und Ostdeutschland zeigen, dass sich der Ertrag aus 30 Jahren quellengestützter Forschung in der Zwischenzeit in Neubewertungen und Korrekturen allzu eindimensionaler Bilder der Dikatatur der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) niederschlägt. Morina liefert darüber hinaus eine gelungene historisch-genetisch angelegte Darstellung der Radikalisierung der Alternative für Deutschland (AfD).

Tändler entwickelt keinen vergleichbaren Erzählstrang, was nicht zuletzt dem schlechteren Forschungsstand geschuldet ist, möglicherweise aber auch einer gewissen Vorliebe für überschätze Randaspekte. Einige Rechtsparteien – zeitgeschichtlich noch am besten erforscht – werden in ihrem Aufstieg und ihrer Entwicklung vorgestellt. Besonderes Gewicht liegt auf der „Neuen Rechten“, die aber nicht systematisch erfasst und in ihrer Gesamtbedeutung für das rechtsextreme Lager – wie häufig in der Literatur – gegenüber dem Neonazismus und der „Alten Rechten“ eher zu hoch angesetzt wird. Das politikwissenschaftlich umstrittene Konzept hätte von einer Präzisierung im Rückgriff auf die Methode der Begriffsgeschichte deutlich profitieren können; diese bleibt leider aus. Konturen und Charakteristika des radikalnationalistischen Lagers, Entwicklungslinien und spezifische Erscheinungs- und Aktionsformen werden allenfalls in Ansätzen erkennbar.

Aus den Kapiteln zu Migration und ihrer Abwehr war für mich der größte Gewinn zu ziehen. Die deutsche Zeitgeschichte hat sich – was in den Sozialwissenschaften mitunter kaum wahrgenommen wird – relativ früh des Themas angenommen und kann auf ihre Forschungserträge stolz sein. Darüber hinaus reflektiert Maubach Einsichten und Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen Migrations- und Rassismusforschung, stellenweise sogar relevante Erkenntnisse aus dem journalistischen und aktivistischen Feld.

Die Autorinnen und Autoren kündigen in der Einleitung an, die gegenwärtigen Herausforderungen durch einen erstarkten Nationalismus „zeithistorisch [zu] perspektivieren“ und sich dabei „von den oft eher situativen Befunden der Politik- und Sozialwissenschaften zu lösen“ (S. 10). Gelungen ist die Kontextualisierung durch Rückbezug auf den historischen Rahmen. Was aber könnten spezifisch zeithistorische Forschungen – neben begriffsgeschichtlicher Präzisierung – zum Themenfeld „Rechtsextremismus/Nationalismus“ beitragen? Hier wäre eine historisch-genetische Perspektive zu erwarten, die Phänomene und Ereignisse in ihrer Prozesshaftigkeit erfasst. Eine entsprechende Einordnung der Eigenentwicklung der extremen Rechten in die Geschichte der Bundesrepublik leistet der Band noch nicht. Entscheidend wäre zweitens eine eigenständige Quellenempirie und -hermeneutik. Doch mit Ausnahme weniger leicht greifbarer Buchpublikationen werden fast keine Primärmaterialien verwendet. Wo aus dem rechtsextremen Quellenkorpus zitiert wird, geschieht dies in der Regel im Rückgriff auf die vermeintlich so unhistorischen Darstellungen von Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftlern, darunter Hans-Gerd Jaschke, Christoph Kopke, Claus Leggewie, Armin Pfahl-Traughber und Horst W. Schmollinger.

Rechtsextremismus bildet bislang keinen eigenständigen Forschungsstrang im Rahmen der Zeitgeschichte der Bundesrepublik. Diese Forschungslücke ist den Autorinnen und Autoren nicht anzulasten, ihre Zuwendung zum Thema vielmehr zu begrüßen. Das Vorhaben würde indes besser gelingen im komplementären Austausch mit der Politikwissenschaft und den anderen sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen. Unter dieser Prämisse ist eine quellenbasierte, empirische, historisch-genetisch angelegte und begriffsgeschichtlich reflektierte zeithistorische Rechtsextremismusforschung dringend erwünscht.