Zusammenfassung
Im Mittelpunkt des geschichts- und politikwissenschaftlichen Werkes von Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860) steht seine Verfassungslehre. Verfassung verstand er weniger in einem formalen Sinne als die geschriebene Verfassungsurkunde, sondern mehr in einem materialen, an Aristoteles anknüpfenden Verständnis als die materiale Ordnung eines politischen Gemeinwesens. Diese Verfassungskonzeption war auch grundlegend für drei politische Bewährungsproben, die Dahlmann als Kieler Protagonist der schleswig-holsteinischen Zugehörigkeit zum deutschen Nationalverband, als Wortführer des Protestes der Göttinger Sieben gegen den Verfassungsbruch des hannoverschen Königs und schließlich als Bonner Professor bei der Konzipierung der Reichsverfassung von 1849 zu bestehen hatte. Dahlmanns wesentliches Vermächtnis ist die Einsicht in die Bedeutung einer politikwissenschaftlichen Verfassungslehre.
Abstract
The primary focus of the historian and political scientist Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860) was the importance of constitution. Dahlmann perceived the concept of constitution not as a written legal document but rather, following the thinking of Aristotle, as the good order of a political community. This constitutional concept was Dahlmann’s guide in dealing with three particular political challenges: the quest for Schleswig-Holstein’s unity with the German nation, his leadership in the protest of seven Göttingen professors against the constitutional coup of the new king of Hanover in 1837, and his contribution to the German Constitution of 1849. Dahlmann’s main legacy is the importance of integrating constitutional topics into today’s research and teaching of politics and polity.
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Additional information
Ausgearbeitetes Manuskript eines Vortrages am 23. Mai 2006 in der Universität Bonn. Karl Dietrich Bracher, dem ich mein Interesse für Friedrich Christoph Dahlmann verdanke, zu seinem 85. Geburtstag am 13. März 2007 gewidmet.
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Bleek, W. Friedrich Christoph Dahlmann und die „gute“ Verfassung. PVS 48, 28–43 (2007). https://doi.org/10.1007/s11615-007-0005-x
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