1 Einleitung

Die innerfamiliäre Care-Arbeit ist ein zentraler Aspekt des Familienlebens. Sie ist in der Regel unbezahlt (May 2022) und umfasst Kinderbetreuung und Hausarbeit sowie die Organisation aller familiären Angelegenheiten (Nester 2021). Care-Arbeit verlangt einen hohen Einsatz an emotionaler und gefühlsbezogener Arbeit, wodurch sie besonders komplex und zeitaufwendig ist (Derboven 2019). Eigene Bedürfnisse werden dabei oft zugunsten anderer zurückgestellt (Schrammel 2022).

Frauen übernehmen meist den Großteil der Care-Arbeit (Dreas 2019). Insbesondere in heteronormativ gelebten Familien mit Kindern ist es in der Regel die Mutter, die hauptverantwortlich für die Care-Arbeit ist (Dolderer et al. 2016). Normative Rollenbilder von ‚guter Mutterschaft‘ spielen hierbei eine bedeutende Rolle (Flaake 2015). Diese normativen Ansprüche an eine ‚gute Mutter‘ bleiben oft auch unter herausfordernden Umständen wie Drogenabhängigkeit (Härtl 2017) oder psychischen Erkrankungen (Montgomery et al. 2006; Halsa 2018) bestehen. Doch inwieweit zeigt sich auch in solchen Kontexten eine geschlechtsspezifische Verteilung der Care-Arbeit?

Die vorliegende Studie konzentriert sich auf die Organisation von Care-Arbeit in Familien mit einer psychisch erkrankten Mutter. Anhand von 20 teilnarrativen Interviews mit Müttern mit einer psychischen Erkrankung, die im Zuge eines Pilotprojekts für Kinder von Eltern mit einer psychischen Erkrankung erhoben wurden, stellt sie folgende Forschungsfragen: Wie wird aus Sicht der Mütter die Care-Arbeit in der Familie verteilt und organisiert? Inwiefern treten im Zuge der psychischen Erkrankung Veränderungen in den Praktiken und Wahrnehmungen der Care-Arbeit auf?

1.1 Die Verteilung von Care-Arbeit (im Kontext einer psychischen Erkrankung)

Obwohl Männer in den letzten Jahrzehnten mehr Aufgaben im Bereich der Care-Arbeit übernommen haben (Göltl und Berghammer 2023) und Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten (Koppetsch und Speck 2015), bleibt Care-Arbeit nach wie vor überwiegend Frauenarbeit (Häußler 2019; Samtleben 2019). Zugleich lässt sich auch teils eine Re-Traditionalisierung der Rollenbilder beobachten (Meuser 2019; Winter 2021). Der Gender Care Gap in Österreich im Jahr 2021 zeigt, dass Frauen nahezu doppelt so viel Care-Arbeit leisten wie Männer (Arbeiterkammer Wien 2021). In Familien mit Kindern übernehmen Mütter etwa zwei Drittel der Care-Arbeit (Schrammel 2022). Eine Studie zu österreichischen Partnerschaften bestätigt, dass Kinder die geschlechtstypische Aufteilung bei Paaren zusätzlich verstärken. Insbesondere Paare mit Kindern im Alter von zwei bis zwölf Jahren gestalten die Verteilung der Care-Arbeit tendenziell nach klassischen Rollenmustern (Geserick et al. 2023). Eine Schweizer Studie aus dem Jahr 2016 stellt fest, dass sich selbst bei Paaren, die vor der Geburt egalitäre Absichten und Verhaltensweisen bezüglich der elterlichen Aufgabenverteilung hatten, die Praxis nach der Geburt des Kindes oft in Richtung traditioneller Modelle entwickelte (Levy 2016). Auch in Partnerschaften, in denen die Frau die Rolle der Familienernährerin übernimmt, bleibt Care-Arbeit vorwiegend Frauensache (Koppetsch und Speck 2015). Bei getrennten Paaren trägt häufig die Mutter die alleinige elterliche Verantwortung (Walper 2020). Die Tatsache, dass vor allem Mütter für die Care-Arbeit zuständig sind, erweist sich also als äußerst veränderungsresistent (Hobler et al. 2017; Possinger 2017), was nicht zuletzt während der Covid-19-Pandemie besonders deutlich wurde (Kohlrausch und Zucco 2020). Denn auch hier waren Frauen durch Care-Arbeit stärker belastet als Männer (Reis et al. 2021).

Auch im Kontext einer psychischen Erkrankung bei Eltern gibt es Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass eine ungleiche Verteilung der Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern besteht. Mütter mit einer psychischen Erkrankung, so eine Studie von Howard und Underdown (2011), berichten beispielsweise häufiger als Väter über mangelnde Kinderbetreuungsangebote. Eine kanadische Studie zeigt, dass Mütter die Verpflichtung gegenüber ihren Kindern oft als eine Barriere für den Zugang zu psychosozialen Behandlungen erleben (Slaunwhite 2015). In einer Befragung in den USA gaben 33 % der Mütter an, dass Kinderbetreuung ein Hindernis für den Zugang zu Behandlungen darstelle (Goodman 2009). Eine Untersuchung zu drogenabhängigen Eltern aus Großbritannien kommt zu ähnlichen Ergebnissen und hebt Geschlecht als wichtigen Faktor hervor. Frauen seien insofern benachteiligt, als dass sie seltener als Männer eine:n Partner:in haben, die/der sich aktiv an der Betreuung der Kinder beteilige (Stewart et al. 2007). Mowbray et al. (2001) weisen ebenfalls darauf hin, dass angesichts einer psychischen Erkrankung Mütter häufiger aktive Eltern sind als Väter. Auch Barnett et al. (2021) stellen fest, dass Mütter bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung meist mit mehr Anforderungen an die Elternschaft konfrontiert werden als Väter. Frauen mit schweren psychischen Erkrankungen, so Halsa (2018), leben zudem öfter als Männer mit ihren Kindern allein, und im Fall einer Scheidung oder Trennung ist es meist die Mutter, die die Hauptverantwortung für die Kinder übernimmt.

1.2 Forschungsfokus

Zahlreiche Studien dokumentieren, dass Care-Arbeit in Familien hauptsächlich von Müttern geleistet wird (siehe 1.1). Einzelne Untersuchungen deuten darüber hinaus darauf hin, dass diese geschlechtsspezifische Aufteilung auch im Fall einer psychischen Erkrankung besteht (siehe 1.1). Bisherige Studien, die eine vergeschlechtlichte Verantwortung gegenüber Kindern bei Müttern mit einer psychischen Erkrankung thematisieren, wurden allerdings meist im englischsprachigen Raum durchgeführt und stellen vorwiegend deskriptive Analysen dar. Die vorliegende Studie bietet hingegen eine qualitative Analyse der Perspektiven von Müttern mit einer psychischen Erkrankung in Tirol, Österreich. Die Analyse erfolgt anhand einer geschlechtertheoretischen Sicht auf Care-Arbeit, in der die Organisation von Care-Arbeit als sozial-kulturelles Phänomen gesehen wird (Thiessen 2019; Krüger-Kirn 2021; Malich und Weise 2022) und mit einem Ansatz, der die Veränderbarkeit von sozialen Verhältnissen betont (Hartmann 2004; Bublitz 2017; Laufenberg 2019). Angesichts des bestehenden Forschungstands ist anzunehmen, dass trotz Veränderungen aufgrund der psychischen Erkrankung weiterhin eine geschlechtsspezifische Aufteilung der Care-Arbeit vorzufinden ist.

Die Studie erhebt nicht den Anspruch, repräsentative Ergebnisse darzulegen. Jedoch ermöglicht sie tiefere Einblicke in die Verteilung der Care-Arbeit und die zugrundeliegenden (Veränderungs‑)Prozesse. Darüber hinaus ermöglicht die Untersuchung Einsichten in die Herausforderungen, denen Mütter mit psychischen Erkrankungen durch die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit gegenüberstehen.

2 Methode

2.1 Daten

Die Analyse umfasst 20 teilnarrative Interviews mit Müttern mit einer psychischen Erkrankung, die im Zeitraum von 2020 bis 2022 im Zuge des Forschungsprojekts Village erhoben wurden. Das Village ist ein Pilotprojekt in Tirol, Österreich, das für Kinder von Eltern mit einer psychischen Erkrankung entwickelt wurde. Das Hauptziel bestand darin, soziale Unterstützungsnetzwerke für das Kind zu schaffen (Christiansen et al. 2019; Goodyear et al. 2022). Die Familien wurden von Psychiater:innen rekrutiert. Das Village dauerte für jede Familie etwa ein halbes Jahr. Nach Abschluss des Projekts wurden teilnarrative Interviews mit den Eltern (n = 22) mit einer psychischen Erkrankung erhoben.

Der Interviewleitfaden, der zur Orientierung für das Interviewgespräch diente, enthielt sowohl Fragen zum Village als auch zu allgemeinen Erfahrungen im Alltag. Nach dem ersten Erzählstimulus (siehe Tab. 1) wurden die weitere Frageabfolge und -formulierung entsprechend dem Erzählverlauf des Interviews angepasst und die Gespräche durch Nachfragen erweitert. Das Forschungsteam entschied sich für die Verwendung eines Erzählstimulus in der dritten Person (siehe Tab. 1). Dennoch neigten die Mütter dazu, sofort oder kurz darauf persönliche Erfahrungen zu teilen.

Tab. 1 Interviewleitfragen zu allgemeinen Erfahrungen

Fragen über das Village dienten der Evaluierung des Projekts (Bauer et al. 2024); Fragen zu den allgemeinen Erfahrungen vor allem der Untersuchung diskursiver Konstruktionen, normierter Praktiken und struktureller Rahmenbedingungen. Da auch in den Erzählungen über das Village Bezüge zu Care-Arbeit hergestellt wurden, bezieht sich die vorliegende Studie auf die gesamten Transkripte.

Die Interviews dauerten im Durchschnitt eineinhalb Stunden und wurden aufgenommen, transkribiert und pseudonymisiert. Die Leitfäden wurden von der Ethikkommission der Medizinischen Universität Innsbruck genehmigt (Zulassungsnummer: ESC 1197/2019). Um eine freiwillige Teilnahme sicherzustellen, unterzeichneten die Frauen vor der Erhebung eine Einwilligungserklärung. Die Teilnehmerinnen wurden darüber informiert, dass sie das Interview jederzeit abbrechen, Pausen einlegen und nach Belieben Fragen nicht beantworten können.

2.2 Teilnehmerinnen

Die interviewten Mütter (n = 20) waren zum Zeitpunkt der Befragung volljährig, wohnhaft in Tirol, hatten mindestens ein minderjähriges Kind (älter als zwei Jahre) und beherrschten Deutsch entweder als Erstsprache oder verfügten über gute Deutschkenntnisse. Ebenso lebten die Mütter zum Zeitpunkt der Befragung zu Hause. Tab. 2 gibt einen Überblick über weitere Informationen.

Tab. 2 Informationen über die interviewten Frauen gemäß ihren Angaben

Die Daten erfassen keine Angaben der Aufteilung der Care-Arbeit vor dem Auftreten der psychischen Erkrankung. Von Veränderungen wird gesprochen, wenn in den Interviews thematisiert wird, dass Care-Arbeit vor und nach der psychischen Erkrankung anders verteilt wird, oder wenn die Frauen erzählen, dass die Erkrankung zu einer bestimmten Care-Praxis geführt hat.

2.3 Analyseprozess

Die Interviews wurden im ersten Schritt nach Braun und Clarke (2021) codiert. Der Codier-Prozess verlief induktiv. Durch wiederholtes Lesen des gesamten Datensatzes wurde ein Verständnis für den Inhalt entwickelt und wiederkehrende Muster sowie besonders interessant erscheinende Stellen zum Thema Mutterschaft im Kontext einer psychischen Erkrankung wurden mit Codes versehen. Anschließend wurden die einzelnen Codes zu übergeordneten Themes und dann wiederum zu Themenblöcken gebündelt. Ein zentraler Themenblock war Care-Arbeit, wobei Verteilung der Care-Arbeit und Veränderungen in der Care-Arbeit (siehe Abb. 1) zwei Unterthemen dieses Blocks darstellten.

Abb. 1
figure 1

Abstrahierte Codes und Themes zu den Unterthemen Verteilung der Care-Arbeit und Veränderungen in der Care-Arbeit

Für diese Studie wurden die Sequenzen, die den Codes zugeordnet wurden (siehe Abb. 1), anschließend einer detaillierteren Analyse – nun unter Verwendung feministischer Perspektiven und mit Blick auf vergeschlechtlichte Narrative und Strukturen (Thiessen 2019) – unterzogen. Dieser Schritt orientierte sich weniger an einer starren Vorgehensweise als an einer methodologischen Forschungshaltung, die vor allem dafür plädiert, auch das „Zwischen den Zeilen“ (Angehrn 2005; DeVault und Gross 2021) in die Interpretation zu integrieren. Das bedeutet, dass sowohl Umstände, die als ‚selbstverständlich‘ und ‚natürlich‘ dargelegt wurden, als auch solche, die im Verlauf der Interviews nicht explizit genannt wurden, in dieser Analyse berücksichtigt wurden. Wenn beispielsweise eine Mutter über Care-Arbeit sprach und dabei den Vater des Kindes nicht erwähnte, wurde dies ebenfalls als relevanter Aspekt für die Analyse betrachtet. Durch das bewusste Einbeziehen des Ungesagten und Selbstverständlichen in bereits codierte Sequenzen sollte ein tieferes Verständnis für die Verteilung der Care-Arbeit sowie die zugrunde liegenden geschlechtlichen Strukturen und Narrative erlangt werden.

Neben dem stetigen Rückbinden der Sequenzen auf das gesamte Interview, um mögliche Zusammenhänge, Widersprüche und Brüche herauszuarbeiten, wurden die codierten Sequenzen in kleinere Einheiten zerlegt. Dabei wurden auch spezifische Verben, Wiederholungen oder Interjektionen in die Interpretation einbezogen. Die Ergebnisse werden in diesem Artikel anhand exemplarischer Beispiele in jener feinanalytischen Vorgehensweise (wenn auch in einer verkürzten Form im Vergleich zum angewandten Analyseprozess) dargestellt und in feministische Theorien rund um Mutterschaft und Care-Arbeit eingebettet.

3 Ergebnisse

3.1 Care-Arbeit als vergeschlechtlichte Praxis

Die Analyse zeigt, dass grundsätzlich die Mütter für Care-Arbeit verantwortlich sind. Dieser Umstand wird häufig als etwas Selbstverständliches dargestellt, wie auch im folgenden Zitat:

M11: „Das ist normal, dass ich jetzt viel Arbeit habe, wegen das ich habe […]Footnote 1 meine Kinder auf die Welt …, dass ich kann kümmern auf die Kinder. […] Manchmal ich habe Gefühl, dass ich will auch etwas machen … selber. Aber, ich denke, so ist es jetzt mit den Kindern und das ist auch eine schöne Zeit und wenn die Kinder wird groß, … wenn die Kinder werden für mich Abstand machen, dann kann ich machen […] was ich will […]. Jetzt ist die wichtige Zeit […], er braucht mich jetzt.“

Bereits der erste Satz impliziert, dass es von der Frau als „normal“ empfunden wird, dass sie als Mutter keine Zeit für sich und „viel Arbeit [mit den] Kindern“ hat. Die Aussage „Jetzt ist die wichtige Zeit“ verdeutlicht die Priorität, die die Mutter der Kindererziehung gegenwärtig einräumt. Das Bedürfnis, etwas für sich selbst zu tun, wird zwar genannt, jedoch durch ein „aber“ gedämpft und auf die Zukunft verschoben. Das Argument „wegen das habe ich meine Kinder auf die Welt“ verweist auf die Sichtweise, dass ein Kind zu bekommen „Resultat einer wohlüberlegten Wahl“ (Lutz 2018, S. 65) ist. Im Vergleich zur Mutterideologie vor dem 21. Jahrhundert, die Fürsorge vor allem durch essentialistische Begründungen rechtfertigte, zeigt sich im 21. Jahrhundert neben den essentialistischen Argumenten (Thiessen 2019) eine Betonung der Wahlfreiheit, die nun eine hingebungsvolle Praxis der Mutter voraussetzt. Interessanterweise scheint diese Wahl in diesem Interview hauptsächlich die Frau zu betreffen. Der Vater der Kinder bleibt in Erzählungen über Kinderbetreuung unerwähnt, obwohl er im gleichen Haushalt lebt. Dass die Mutter eine psychische Erkrankung hat, fällt bei ihrer Interpretation der Verteilung der Care-Arbeit nicht ins Gewicht.

Auch im nächsten Zitat beschreibt eine Mutter Care-Arbeit als primär ihre Aufgabe:

M14: „Und dann kamen die Kinder ähm … dann ist es wieder schlechter geworden. […] mit zwei kleinen Kindern, da war ich komplett überfordert gewesen. […] ich habe halt, da halt alles machen müssen, mich um alles kümmern müssen […], weil man ja auch noch die Verantwortung für die Kinder hat. […] Für den Mann [muss ich] natürlich dann halt auch noch [sorgen], weil der will am Abend auch noch irgendwas essen und und und frische Wäsche im Schrank haben. […] Er geht arbeiten von sieben bis sieben, ja deswegen bin ich halt eben die meiste Zeit allein. Er schaut schon, wenn er abends halt kommt, dass wir eben zusammen essen und dass er dann halt die Kinder ins Bett bringt. Am Wochenende schaut er, dass er auch mit den Kindern was macht. Aber er mag zum Beispiel nicht so gerne jetzt spielen oder sowas, er geht dann lieber irgendwie Fahrrad fahren oder Skifahren.“

Die Verantwortung für ihre Kinder, so schildert es die Frau, belaste ihre Gesundheit zusätzlich. Diese Tatsache ändere jedoch kaum etwas daran, dass die Verantwortung für die Hausarbeit und die Kinderbetreuung größtenteils bei ihr liegt. Dies geschieht vor allem durch die vergeschlechtlichte Aufteilung von Erwerbs- und Care-Arbeit zwischen den Elternteilen. Die Aufteilung zwischen bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Care-Arbeit – so hat es den Anschein – führe dazu, dass sich die Beteiligung des Mannes auf das Ins-Bett-Bringen der Kinder und auf Freizeitaktivitäten mit den Kindern am Wochenende beschränkt. Der Wortlaut „er schaut schon“ schwächt die Aussage zudem ab. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie institutionalisiert das Geschlechterverhältnis und somit die Aufteilung der Care-Arbeit ist. Auch Väter, die nicht abwesend sind und aktiv Teil des Familienalltags sein möchten, treten hauptsächlich zu den Randzeiten, sprich an den Abenden oder Wochenenden, auf. Ein noch stärkeres Beispiel für Care-Arbeit an Randzeiten ist folgendes Zitat:

M04: „Job und Kind […] alles das auch zu managen […]. Da musst du auch immer schauen […] ob Babysitter am Sonntag […] ich arbeite am Sonntag auch, wenn mit dem Vater vom Tobias wieder was ist, eine Spinnerei, nachher fällt das weg für mich […]. Stefan (= der Vater des Kindes)Footnote 2 weiß oft gar nicht, was der mir antut.“

In dieser Sequenz schildert eine Mutter, dass sich die Unterstützung des Vaters auf jeden zweiten Sonntag reduziere, wobei selbst diese sporadische Unterstützung nicht immer eingehalten werde. Tolasch (2015, S. 59) verwendet Begriffe wie „Wochenendvater“, „Praktikant“ oder „Freizeitvater“, um die Position zu beschreiben, in der Väter in Familien oft agieren. Auch bei der Analyse dieses Samples wird auf die Väter häufig in einer der genannten Rollen referiert. Unterstützung in der Care-Arbeit im Alltag erfolge, so berichten viele der Mütter, vor allem durch die Großmütter (mütterlicher- und väterlicherseits) der Kinder. Ein Beispiel: „Meine Mama ist ganz viel mit meinen Kindern zusammen, […] ohne die [würde] gar nichts laufen“ (M13).

3.2 Veränderungsprozesse in der Verteilung von Care-Arbeit durch die Erkrankung

Aufgrund der psychischen Erkrankung der Mütter kommt es teilweise auch zu einer Umverteilung der Care-Arbeit zwischen den Elternteilen. Doch selbst in diesen Fällen zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass die Annahme, dass vor allem Frauen für Care-Arbeit verantwortlich sind, fortbesteht:

M01: „Wo ich jetzt in der Klinik war, ähm da haben die Väter halt die Kinder nehmen müssen, weil anders wäre es nicht gegangen …, wenn ich auf der Intensivstation lieg’ […] ich war nur einen Tag.“

In diesem Zitat wirken die psychische Erkrankung und der damit verbundene stationäre Aufenthalt als Anstoß dafür, dass die Verantwortung für die Kinder von der Mutter auf die Väter übergeben wird. Die Norm, dass die Mutter grundsätzlich die Hauptverantwortliche für die Kinder ist, bleibt jedoch bestehen. Das Modalverb „müssen“ in der Formulierung „da haben die Väter halt die Kinder nehmen müssen“ signalisiert, dass eine Betreuungsablöse der Väter als Ausnahme angesehen wird. Ebenso begrenzt sich die Verantwortung für die Kinder vonseiten der Väter auf die Zeit, in der die Mutter „in der Klinik war“. Im Alltag, so die interviewte Mutter, würden die Väter jedoch kaum Verantwortung für die Kinder übernehmen und es wären hier wiederum die Mütter der Väter, die sie in der Kinderbetreuung unterstützten:

M01: „Ich brauch Zeit für mich zum Schlafen […] und das ergänzt sich […] gut […], dass sie (= Großmutter des Kindes) dann den Buben ein paar Tage hat und ich halt auch ein bisschen zur Ruhe komme.“

Wichtig ist zu ergänzen, dass die Mutter mit keinem der Väter der Kinder zusammenlebt. Eine Übernahme der alleinigen elterlichen Verantwortung durch die Mutter bei getrennten Paaren stellt ein häufiges Szenario dar (Walper 2020). Die Tatsache, dass dies auch für Mütter mit einer psychischen Erkrankung zutrifft, wurde bereits in der Literatur diskutiert (Stewart et al. 2007; Halsa 2018) und scheint in dieser Studie ebenso der Fall zu sein. Von neun Müttern, die angeben, nicht mit dem Vater der Kinder zusammen zu sein, geben sieben an, alleinerziehendFootnote 3 zu sein, eine macht keine explizite Angabe und eine berichtet, dass die Care-Verantwortung zwischen ihr (60 %) und dem Vater (40 %) der Kinder aufgeteilt wird.

Jene Frauen, die nicht mit dem Vater der Kinder zusammen sind, scheinen in der Regel weniger von den Vätern als durch die Großmütter der Kinder Unterstützung in der Kinderbetreuung zu erfahren: „[wenn] es mir nicht gut geht […] sag [ich] dann zu meiner Mama, ob sie die Kinder nimmt“ (M03); oder „als ich in der […] Psychiatrie war, war ich stationär. Neun Wochen lang. Maya (= ihr Kind) war bei meiner Mama“ (M07). In diesen Fällen spielen die Väter laut Angaben der Mütter keine Rolle im Leben der Kinder.

In Haushalten, in denen die Elternteile zusammenleben, treten Väter in Narrativen über Care-Arbeit häufiger in Erscheinung. Dies lässt sich an einem konkreten Beispiel verdeutlichen:

M14: „Also mittlerweile funktioniert es mit den Kindern schon besser, wenn es mir mal nicht gut geht; vor allem, wenn mein Mann sagt, ‚lasst die Mama in Ruhe, die muss sich ein bisschen ausruhen‘.“

In diesem Zitat kommt der Vater in einer Care-Situation vor und entlastet in gewisser Weise die Frau, indem er ihr helfe, eine Pause einzufordern. Allerdings wurde im Zuge der sequenziellen Analyse sichtbar, dass die in dieser Situation genannte Hilfe des Vaters darauf abzielt, die Care-Situation grundsätzlich zu beenden. Von einem „ausdauerfordernden Tun“, das geistige, manuelle und emotionale Ressourcen abverlangt (Laslett und Brenner 1989), kann hier nicht die Rede sein. Auch in der Situation, in der es der Mutter psychisch nicht gut geht und sie keine Care-Arbeit leistet, wird die vergeschlechtlichte Organisation also nicht wirklich verschoben. Ein Umzug habe zudem dazu geführt, dass die Familie kein soziales Netzwerk mehr vor Ort hat, wodurch die Mutter kaum Unterstützung von anderen Bezugspersonen erhalte: „Jetzt in den Sommerferien“, so berichtet die Mutter, war ihre eigene Mutter für zwei Wochen auf Besuch, und hat sich um die Kinder gekümmert“.

In manchen Beispielen wird der Vater oder der Partner in einer aktiven Rolle beschrieben. In diesen Fällen wird jedoch deutlich, dass dies nicht als selbstverständlich betrachtet wird, wie an folgender Sequenz exemplarisch gezeigt wird:

M10: „Ich schaue, dass ich Zeit auch für mich habe. Da muss ich sagen ist mein Mann extrem unterstützend. Also wenn ich sage, du, kannst du mal bitte kommen, ich möchte jetzt einfach mal kurz hier raus und eine Runde schwimmen, dann ist er da.“

Vor allem, wenn es ihr gesundheitlich nicht gut gehe, entlaste der Vater der Kinder die Frau und helfe ihr, dass sie „Zeit [für sich]“ habe. Die Formulierung „extrem unterstützend“ sowie der Umstand, dass sie ihn darum bitten muss, zu kommen, deuten darauf hin, dass diese Entlastung jedoch nicht als selbstverständlich empfunden wird. Bei genauerer Betrachtung des gesamten Interviews wird erkennbar, dass auch in diesem Fall Care-Arbeit vergeschlechtlicht ist. Wird beispielsweise mitbedacht, dass die Frau in einem 20-Stunden-Job in einer höheren Position, in der sie „sehr oft, sehr herausgefordert“ ist, tätig ist, so unterstreicht die Wortwahl „extrem […] unterstützend“ die Norm, nach der grundsätzlich die Frau ihre Zeit für die Kinder aufwendet. Obwohl die Care-Arbeit in diesem Interview sowohl von der Mutter als auch vom Vater aktiv geleistet wird, bleibt der Vater ein Unterstützer.

Auch bei M18 taucht der Partner als Unterstützer auf:

M18: „Er spielt mit ihr, damit ich einfach die Ruhe habe, die ich oft brauche. Und ja, ich meine, es ist halt einfach oft dann das Gefühl, ich will ihn nicht ausnutzen. […] Das ist halt für mich noch ein bisschen so ein großer Schritt, dieses Annehmen von Hilfe von einem nichtfamiliären Mitglied.“

Neben der Tatsache, dass in diesem Interview wiederum die eigene Mutter als eine Hauptstütze in der Betreuung des Kindes genannt wird, verdeutlicht diese Sequenz, wie schwierig es für die Frau zu sein scheint, Unterstützung von ihrem Partner (auch wenn dieser die VaterrolleFootnote 4 für das Kind eingenommen hat) anzunehmen. Die Verwendung des Wortes „ausnutzen“ lässt darauf schließen, dass sie unsicher ist, inwieweit es für den Partner zumutbar ist, gelegentlich die Betreuung des Kindes zu übernehmen. Im Gegensatz dazu wird eine Ablösung von der eigenen Mutter mit keinerlei Schuldgefühlen beschrieben.

In einem weiteren Interview, in dem der Vater des Kindes aufgrund der psychischen Erkrankung der Mutter für einen gewissen Zeitraum den Großteil der Care-Arbeit übernimmt, werden ebenso Schuldgefühle erwähnt. Der Fokus der Erzählung liegt auf der Belastung des Mannes: „Da war mein Mann schon sehr belastet, da ist natürlich auch viel dann bei meinem Mann hängengeblieben“ (M06). Vor der psychischen Erkrankung habe sich vor allem die Mutter selbst – neben der Erwerbsarbeit, die sie zum Teil im Homeoffice verrichtete, um diese besser mit der Betreuung des Kindes zu vereinbaren – um Haushalt und Kind sowie um ihren erkrankten Bruder gesorgt. Die Umverteilung der Care-Arbeit innerhalb der Kernfamilie von der Mutter auf den Vater erfolgte im Zuge der psychischen Erkrankung. Im gesamten Interview wird diese Verschiebung eher als defizitär gedeutet und es wird angestrebt, dass die ‚ursprüngliche Ordnung‘ – in der der Mann von Care-Arbeit entlastet ist – wieder hergestellt wird.

3.3 Veränderungen in den Vorstellungen und Praktiken der Mütter

Eine umfassende Betrachtung der Daten zeigt, dass die Veränderungen der Care-Arbeit, die sich nicht auf begrenzte Zeitspannen beziehen oder Notfalllösungen darstellen, weniger die Aufgabenverteilung betreffen, sondern sich eher auf die Praktiken und Vorstellungen der Care-Arbeit der Mütter selbst beziehen. Ein Beispiel für Veränderungen in der Care-Arbeit einer Mutter ist folgendes Zitat:

M12: „Ich war immer 24 h im Dauerstress […] ich habe auf mich eigentlich überhaupt nicht geschaut. Es war einfach immer, ja, funktionieren. […] Das muss passen, da muss es passen, da muss es auch laufen. Überall muss alles laufen. […] Obwohl ich schon gemerkt habe, mir geht die Puste aus, aber man hat einfach dann mit Gewalt weitergemacht […]. 15 Jahre ist das so gegangen. […] [Hab nun] gelernt, lerne auf dich zu achten! […] War für die Family schon eine große Umstellung. ‚Was, die Mama schon wieder beim Meditieren?‘ […] früher immer ‚ja‘ gesagt. Auch wenn ich schon gemerkt habe, ‚ach, eigentlich möchte ich mich jetzt zehn Minuten hinsetzen‘. Und dann bin ich wieder gelaufen! Einfach immer auf dem Anschlag. Das mache ich jetzt nicht mehr, wenn ich jetzt merke, mir geht die Puste aus, dann bin ich weg, dann bin ich auf meinem Sofa, in meinem Bett. Da hat sich jetzt super viel verändert, ja. Und ich merke auch, dass mir das sehr guttut und dass ich, wenn ich mal diese Auszeiten für mich nehme, dass ich einfach die Kraft habe, die Familie zu organisieren.“

In dieser Sequenz reflektiert eine Mutter darüber, dass der langanhaltende Stress und der stetige Druck, zu funktionieren, zu einer psychischen Erkrankung geführt haben. Die psychische Erkrankung stelle nun einen entscheidenden Wendepunkt dar, der bewirke, dass sie die Bewältigung jener Aufgaben, die den Stress verursacht haben, nicht mehr mit der gleichen Intensität verrichtet wie vor der Erkrankung.

Dennoch erscheint Care-Arbeit weiterhin ihr zugeordnet. Trotz Elementen der Veränderung in Bezug darauf, wie und in welchem Maße Care-Arbeit von der Mutter durchgeführt wird – was auch mit dem Älterwerden der Kinder zusammenhängen könnte (Geserick et al. 2023) – bleibt sie an diese Aufgaben gebunden. Dies wird im obigen Zitat insbesondere durch die Äußerung „dass ich einfach die Kraft habe, die Familie zu organisieren“ deutlich. Anstatt manche Aufgaben auszulagern, wird ein Aushandeln von Familienmanagement (Krüger-Kirn 2021, S. 107) und psychischer Gesundheit sichtbar. Indem die Mutter ihr seelisches „Gleichgewicht im Blick [behält]“ (Speck 2016, S. 38) kann sie sich (wieder) um ihre Familie sorgen. Ähnlich wie in Thesings (2017) Arbeit zu psychischen Erkrankungen, Tichys und Krüger-Kirns zu Müttern sowie Gebrandes (2021) zu Müttern mit Depressionen, zeigt sich hier ein Diskurs, der die Verantwortung für das eigene Wohlbefinden auf das Individuum überträgt. Jeder Mensch kann – so das Narrativ – den Alltag frei gestalten (und Risiken für eine psychische Erkrankung vermeiden). Materielle und organisatorische Widersprüche (Thesing 2017; Gebrande 2021; Malich und Weise 2022) werden dabei außer Acht gelassen und auch eine Reflexion der Vaterrolle (Krüger-Kirn 2021, S. 107) kommt nicht vor.

Ein ähnliches Beispiel ist folgende Sequenz:

M15: „Ich war ja glücklich in meiner Mutterrolle, aber ich habe die einfach zu ernst genommen. […] [Früher sollte mir] jeder […] sagen, dass ich […] das super mache. […] [Jetzt,] wenn er (= Sohn) […] in den Kindergarten lieber ein Joghurt mitnimmt als ein Wurstbrot// wo ich immer gedacht habe, er braucht ein Wurstbrot mit Karotten und den Tomaten und so wie die schöne Jause halt überall gerichtet ist; nein, er bekommt ein Joghurt mit, das Joghurt ist vom Bauern, ich fülle das um, ich bin trotzdem eine gute Mama.“

Obwohl die Mutterrolle an sich Glück vermittelte, empfand die Frau sie als belastend. Das Bedürfnis nach Bestätigung als Mutter verstärkte den Druck, den sie vor der Erkrankung verspürte. Die psychische Erkrankung bewirke nun einen Bruch mit ihren früheren Erwartungen. Dieser Bruch wird unter anderen durch die Erzählung der Jause für ihr Kind dargelegt. „Wurstbrot mit Karotten und Tomaten“ – ein buntarrangiertes Jausen-Ensemble – und „Joghurt“ stehen symbolisch für die Veränderung ihrer Wahrnehmung von einer ‚guten Mutter‘. Durch die Erkrankung sei ihr nun bewusst geworden, dass eine ‚gute Mutter‘ dem Kind nicht zwangsläufig täglich diese „schöne Jause“ mit in den Kindergarten geben muss. Die Textpassage bringt also zum Ausdruck, dass die Erkrankung dazu geführt habe, dass sie mit dem Ideal der ‚guten Mutter‘ bricht; unter der Oberfläche bleibt dieses Ideal jedoch bis zu einem gewissen Grad bestehen. Denn mit der Ergänzung „das Joghurt ist vom Bauern“ signalisiert sie, dass es ihr wichtig ist, zu betonen, dass es sich um ein hochwertiges Joghurt (vom Bauern) handelt. Ebenso hat es auch hier – wie im vorherigen Fall – den Anschein, als wäre sie größtenteils selbst für ihre früheren Denkmuster und Bedürfnisse und folglich für ihr Wohlbefinden verantwortlich.

Auch im Interview von M06, in dem vorrangig thematisiert wird, wie belastet der Mann war, als er sich verstärkt um das Kind und den Haushalt kümmerte, beschreibt die Mutter, wie sie dann ihre eigene Care-Praxis veränderte:

M06: „Ich binde meinen Sohn einfach ein bisschen mehr mit ein. Also er muss jetzt einfach mitfahren zum BIPA oder […] mal mitgehen den Müll raustragen […]. Bevor es mir schlecht gegangen ist [habe] ich immer das Gefühl gehabt, jetzt muss alles schon fertig sein, wenn ich den Kleinen [von der Krippe] hole. Das habe ich jetzt nicht mehr. […]. Dann steht halt einmal was herum und da ist halt einmal etwas noch nicht aufgeräumt, dann hilft er halt. [Ich habe gelernt], dass man sich selber nicht mehr so unter Druck setzt […]. Den Anspruch muss man halt selber runterschrauben. Und das ist halt schwer, wenn man es nicht gewohnt ist, weil vorher alles gegangen ist und dann fühlt sich’s halt schwer an, zu akzeptieren […]. Man muss halt wirklich die Organisation, wie man sie sich selber einbildet, ein bisschen umstellen … Weil wenn man wieder gleich weitermacht wie vorher, dann rutscht man da recht schnell wieder rein.“

Statt jegliche Care-Arbeit, die nicht unmittelbar mit dem Kind zusammenhängt, in der Zeit zu verrichten, in der das Kind nicht daheim ist, verbinde sie nun die Betreuung des Kindes und andere Care-Tätigkeiten wie Einkaufen gehen oder Aufräumen. Ebenso bemühe sie sich, ihren eigenen Anspruch „runterzuschrauben“ und sich nicht zu sehr unter Druck zu setzen. Auch hier, wie im vorherigen Beispiel, geht es also um die Vermeidung von übermäßigem Perfektionismus.

Gegen Ende der Sequenz wird allerdings erkennbar, dass die veränderte Praxis von der Mutter als nicht einfach zu akzeptieren empfunden wird und nicht durch und durch erstrebenswert erscheint. Auch die Begründung für das Fortführen der neuen Organisation – „Weil wenn man wieder gleich weitermacht wie vorher, dann rutscht man da recht schnell wieder rein“ – verweist darauf, dass die neue Organisation eher als notgedrungen gesehen wird, als frei entschieden. Die Veränderungen der Care-Praxis können also weniger als Resultat einer Kritik an den Anforderungen an Mütter gedeutet werden, als dass sie der Vereinbarkeit von Care-Arbeit und einer psychischen Erkrankung dienen. In einigen Interviews wird zudem deutlich, dass der psychische Zustand oft auch von Schuldgefühlen gegenüber den Kindern begleitet wird. Eine veränderte Care-Praxis taucht ebenso vereinzelt als Grund für das Schuldgefühl auf. Ein Beispiel: „ein bisschen Schuldgefühle [waren es auch] […], jetzt kann ich nicht mehr das tun, was wir sonst tun“ (M15).

Im nächsten Zitat erzählt eine Mutter ebenfalls, wie die psychische Erkrankung im Alltag mit Kindern bewältigt werden kann, und äußert dabei eine positive Bewertung:

M01: „[Wenn es mir nicht gut geht, dann schauen wir] halt den halben Tag nur Film […]. Es ist auf der einen Seite eh auch was Feines, auch für die Kinder einmal, weil wann darf man das schon? […] Wenn sie jetzt spielen wollen, [ist es so], dass ich nicht im anderen Raum lieg, sondern dass ich im Endeffekt bei ihnen im Kinderzimmer halt am Bett lieg.“

Die Frau signalisiert mit „auch was Feines“ eine Abwehr gegenüber der Vorstellung, dass es für die Kindern zwangsläufig negativ ist, wenn die Care-Praxis an den psychischen Gesundheitszustand angepasst wird. Praktiken, die nicht dem dominanten gesellschaftlichen Bild einer ‚Top Mom‘ (Malich und Weise 2022), die stets pädagogisch handelt (Hungerland 2018), entsprechen, die jedoch dabei helfen, den Familienalltag zu gestalten, werden in diesem Zusammenhang aufgewertet. Ebenso betont sie, dass – auch wenn es ihr nicht gut geht – sie Zeit mit den Kindern verbringe, indem sie beispielsweise im Kinderzimmer bei ihnen am Bett liege. Ähnliche Strategien wie das Spielen am Boden werden auch in anderen Interviews genannt, um auch bei einem schlechten Gesundheitszustand für die Kinder zu sorgen. Das hier angeführte Beispiel ist von derselben Mutter, bei der die Väter der Kinder während ihres eintägigen Aufenthaltes auf der Intensivstation die Verantwortung für die Kinder übernahmen, im täglichen Leben jedoch kaum Kinderbetreuung leisten.

4 Fazit

Basierend auf 20 teilnarrativen Interviews mit Müttern mit einer psychischen Erkrankung wurde analysiert, wie Care-Arbeit in Familien mit einer psychisch erkrankten Mutter organisiert ist. Die Analyse zeigt, dass überwiegend die Mütter für Care-Arbeit verantwortlich sind. Die Ergebnisse scheinen also die Annahme zu verhärten, dass auch bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung Care-Arbeit hauptsächlich von den Müttern geleistet wird (siehe hierzu Stewart et al. 2007; Halsa 2018; Barnett et al. 2021).

Für einen gewissen Zeitraum übernahmen auch andere Personen aufgrund der psychischen Erkrankung vermehrt die Kinderbetreuung. Dabei traten vor allem die Großmütter der Kinder in Erscheinung, die sich entweder ganz oder teilweise mit dem Vater der Kinder gemeinsam um die Kinder kümmerten. Dieses Ergebnis stimmt somit mit einer Studie zu Familien in Österreich überein, die ebenfalls Großmütter als Hauptunterstützung unter Verwandten ermittelte (Kaindl 2023). Wie auch in zahlreichen anderen Studien wird Care-Arbeit also als eine geschlechtsspezifische Aufgabe erkennbar (siehe hierzu Dreas 2019; Häußler 2019).

In den Interviews, bei denen Väter oder Partner als aktive Akteure im Familienalltag genannt werden und infolge der psychischen Erkrankung der Mütter vermehrt Care-Arbeit übernahmen, wurde dies selten als etwas Selbstverständliches gedeutet. Manchmal wurden in diesem Zusammenhang Schuldgefühle vonseiten der Frauen gegenüber den Männern erwähnt. Im Gegensatz dazu wurde eine Umverteilung an die Großmütter ohne Schuldgefühle beschrieben. Die Gesamtanalyse verdeutlicht, dass Care-Arbeit nicht nur Praktiken umfasst, sondern auch Geschlechteridentitäten sowie damit verbundene vergeschlechtlichte Zuschreibungen (Tolasch 2015; Krüger-Kirn 2021; Toppe 2022).

In den Erzählungen wird insgesamt deutlich, dass langfristige Veränderungsprozesse oft die Care-Praxis und -Interpretationen der Mütter betreffen und weniger die der Väter. Dies vermittelt den Eindruck, dass sich Mütter aufgrund der geschlechtsspezifischen Verteilung der Care-Arbeit aufgefordert fühlen, ihre eigenen Praktiken und Vorstellungen anzupassen, um den Alltag mit Kind zu bewältigen. In der vermeintlich unverrückbaren Rollenverteilung gelangen die Frauen hierbei nicht nur in die Position, die Hauptverantwortung für Care-Arbeit zu tragen, sondern werden auch zu Hauptakteurinnen bei der Anpassung dieser Arbeit, die es ermöglicht, das Familienleben mit einer psychischen Erkrankung zu gestalten.

Die Beispiele, die sich auf Veränderungen der Care-Arbeit der Mütter selbst beziehen, zeigen jedoch auch, wie durch eine psychische Erkrankung Brüche in den Vorstellungen darüber entstehen können, wie Care-Arbeit geleistet werden muss. Frühere Vorstellungen von Care-Arbeit werden nicht mehr als einzige Option wahrgenommen. Das neue Verständnis geht teilweise mit einem veränderten Mutterschaftsbild einher, das sich auf einen Abbau von Perfektionismus richtet.

Veränderungen der eigenen Care-Praxis werden von den Frauen größtenteils als etwas Positives beschrieben. Zum Teil treten beim Erzählen der Veränderungen aber auch Enttäuschungen von sich selbst und Schuldgefühle gegenüber den Kindern auf. Dass zu einem gewissen Ausmaß ambivalente Gefühle gegenüber den Veränderungen der eigenen Care-Praxis geäußert werden, erscheint mit Blick auf das Mutterschaftskonzept, das generell Druck auf Mütter auslösen kann (Tichy und Krüger-Kirn 2019; Malich und Weise 2022), nicht verwunderlich.

Relevant scheinen die Ergebnisse dieser Studie auch in Hinblick darauf, dass sich die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit negativ auf das psychische Wohlbefinden von Müttern auswirken kann (Xue und McMunn 2021; Halla et al. 2024). Die hohen Erwartungen an Mütter können wichtige Faktoren sein, um chronischen Stress von Frauen oder das Aufkommen einer Depression zu verstehen (Gebrande 2021). Bei der Untersuchung von Mutterschaft im Kontext einer psychischen Erkrankung sollte dies berücksichtigt werden, und die psychische Gesundheit sollte um den Faktor vergeschlechtlichte Elternschaft ergänzt werden. Im Kontext einer psychischen Erkrankung geht eine vergeschlechtlichte Verteilung der Care-Arbeit mit einer weiteren Problematik einher: So kann eine starre Verteilung der Care-Arbeit eine Barriere für stationäre Aufenthalte für Mütter mit psychischen Erkrankungen darstellen (Goodman 2009; Slaunwhite 2015).

Zu betonen ist, dass die vorliegende Studie einen Blick auf Mütter in Tirol, Österreich, warf. In diesem Kontext sei darauf hingewiesen, dass „Österreich nach wie vor eher von traditionellen Geschlechterrollen geprägt [ist]“ (Göltl und Berghammer 2023, S. 56). Trotz einer signifikanten Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten ist das „Hausfrauenmodell“ (Pfau-Effinger 2005, S. 4) verwurzelt, wodurch hauptsächlich Frauen als für die Kinderbetreuung verantwortlich gelten (Pfau-Effinger 2005). Es ist also wichtig, die Ergebnisse im Kontext des Samplings zu interpretieren. Alle Mütter in dieser Studie sind in Tirol wohnhaft, leben – sofern in einer Beziehung – in einer heterosexuellen Partnerschaft und wurden im Rahmen eines Projekts zur Unterstützung ihrer Kinder rekrutiert. Mütter, die nicht an einem solchen Projekt teilnehmen möchten oder nicht die erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, berichten vielleicht von anderen Erfahrungen.

Darüber hinaus wurde die Forschungsfrage dieser Studie aus der Beobachtung abgeleitet, dass Mütter in Interviews über Erfahrungen mit einer psychischen Erkrankung häufig über Care-Arbeit sprachen. Der Interviewleitfaden enthielt jedoch keine explizite Frage zu Aspekten der Verteilung von Care-Arbeit und den potenziellen Veränderungen durch die psychische Erkrankung. Es besteht die Möglichkeit, dass spezifische Fragen zu Care-Arbeit noch weitere interessante Aspekte zutage bringen können.