1 Einleitung

Der Schwangerschaftsabbruch hat als gesellschaftspolitisches Thema besonders in den vergangenen zwei Jahren weltweit an Intensität gewonnen. Dabei rückt nicht nur die US-amerikanische Debatte um das historische Kippen des Gerichtsurteils im Fall „Roe vs. Wade“ in den Vordergrund, sondern auch die zunehmende Diskussion in einigen anderen Ländern zu einer ethisch-adäquaten Regulierung von Reproduktion und Schwangerschaftsabbrüchen. In Österreich wurde in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren intensiv über eine vollständige Entkriminalisierung diskutiert, wodurch deutlich wurde, dass das Recht auf einen legalen Schwangerschaftsabbruch auch hierzulande in einem schwer zugänglichen Graubereich verharrt.

So ist der Schwangerschaftsabbruch in Österreich seit der Familienrechtsreform 1974 durch § 96, 97, 98 im Strafgesetzbuch (StGB) geregelt und ausschließlich unter Einhaltung bestimmter Regelungen und Fristen – innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen, bei Gefahr des körperlichen und/oder geistigen Wohlbefindens des Fötus, bei Unmündigkeit der schwangeren Person oder einer durch die Fortführung der Schwangerschaft lebensbedrohlichen Situation für die schwangere Person – straffrei gestellt. Außerhalb dieser Bestimmungen steht der Schwangerschaftsabbruch in Österreich für ungewollt Schwangere und für diejenigen, die einen solchen als medizinisches Personal durchführen, unter Strafe. Nach den zentralen feministischen Errungenschaften in den 1970er-Jahren gab es keine wesentlichen Weiterentwicklungen mehr bezüglich der Rechte um den Schwangerschaftsabbruch in Österreich.

Wie der folgende Beitrag zeigt, ist der Diskurs um den Schwangerschaftsabbruch dennoch – oder gerade deshalb – aufrecht, weil er neben der katholischen Kirche und vereinzelten Politiker*innen primär von Vertreter*innen der „Pro Life“- und „Pro Choice“Footnote 1-Bewegungen aufgegriffen wird. Die Debatte ist stark von Polarisierung geprägt, selten stehen auch die Lebensrealitäten der ungewollt Schwangeren im Mittelpunkt, während doch ebendiese die eigentlichen Leidtragenden der „unzureichenden Informations- und Zugangsmöglichkeiten“ (BMG 211, in: Schlintl 2023) sind. Unter anderem durch die Gewissensklausel der Ärzt*innen, die sie abgesehen von der Lebensgefahr einer schwangeren Person nicht zum Schwangerschaftsabbruch verpflichtet.

Dieser Artikel nimmt die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch in Österreich zum Anlass, um eine erweiterte Perspektive auf den Begriff der Selbstbestimmung einnehmen zu können und das Thema der Reproduktion – genauer der ungewollten Schwangerschaft – aus einem im wissenschaftlichen Diskurs bislang noch unterrepräsentierten soziologischen Blickwinkel zu betrachten (Kristler 2023; Sacksofsky 2022; Schlintl 2023; Wieland 2022). Der folgende Beitrag argumentiert, dass die gesellschaftspolitischen Bedingungen einer Selbstbestimmung oft ausgeblendet und damit zusammenhängende Reproduktionsdiskurse zu eng gedacht werden (Marling 2010). Das Festhalten an engmaschigen, polarisierten Reproduktionsdiskursen kann auch als Reaktion auf eine mangelnde Problematisierung dessen betrachtet werden, was Selbstbestimmung aus diskursiver Perspektive in der Debatte zum Schwangerschaftsabbruch bedeutet. Der Artikel schlägt daher vor, anhand einer intersektionalen Analyse des öffentlich zugänglichen Webmaterials von in Österreich aktiven Organisationen (Vereine, NGOs, strategische Netzwerke, die auf Gesetzesänderungen einwirken), die sich zum Schwangerschaftsabbruch positionieren, Reproduktionsdiskurse als ein Regulativ von Wissen, Körper und Emotionen zu konzeptualisieren, um die diskursiven Verhandlungen rund um das Thema einer selbstbestimmten Reproduktion besser sichtbar machen zu können.

Auf dieser Konzeptualisierung aufbauend, plädiert der Artikel außerdem für eine intersektionale Erweiterung des Reproduktionsdiskurses durch die Reproduktive Gerechtigkeit (Ross 1993). Das Konzept der Reproduktiven Gerechtigkeit ermöglicht, die aktuellen Reproduktionsdiskurse – welche zumeist in einen eurozentristischen, vornehmlich weißen, heterosexuellen Mittel- bis Oberschichtsfeminismus eingebettet sind –, differenzierter zu betrachten (Ross und Solinger 2017; Ross et al. 2017). Im Folgenden wird daher durch eine intersektionale Analyse der heuristische Wert des Konzepts der Selbstbestimmung für die Problematisierung im Kontext des Schwangerschaftsabbruchs diskutiert. Dabei wird der aktuelle Forschungsstand berücksichtigt und gezeigt, wie der Begriff der Selbstbestimmung für die Analyse des Schwangerschaftsabbruchs nutzbar gemacht werden kann. Zugleich ermöglicht die Diskussion, zu verdeutlichen, dass eine intersektionale Perspektive hilfreich ist, um die komplexen Zusammenhänge zu erfassen.

2 Theoretische Einbettung & Forschungsstand

Die Selbstbestimmung wird generell als Ermächtigung des Individuums, genauer gesagt des Gefühls der Ermächtigung, über das eigene Leben zu entscheiden, verstanden (Durnová 2018). Besonders deutlich wird das im Gesundheitswesen, wo sich eine zunehmende Ermächtigung von Patient*innen in Entscheidungen betreffend ihrer Gesundheit bzw. ihres Körpers unmittelbar auf die Wahrnehmung ihrer Position als Bürger*innen auswirkt (Larsen 2016; Novas 2006) Die Fokussierung auf Reproduktion als ein zentraler Teil von Gesundheitsdiskursen ermöglicht es daher einerseits, sich mit den verschiedenen (gesellschaftspolitischen) Rahmungen von Körpern auseinanderzusetzen, und anderseits, zu verstehen, wie etablierte Normen, Werte, Denk- und Handlungsweisen, den Diskurs darum, wer sich unter welchen Bedingungen überhaupt wie reproduzieren darf, kann oder gar muss, beeinflussen – ein Vorgehen, das sich in der diskursanalytischen Forschung zum Thema Reproduktion als äußerst fruchtbar erwiesen hat (Braun 2000; Memmi 2003, 2022; Metzler 2007).

Eine auf Diskurs fokussierte Zugangsweise geht über eine bestimmte Argumentationslinie hinaus, indem sie nicht vorgibt, ob „Pro Life“- oder „Pro Choice“-Diskurse eine Selbstbestimmung automatisch fördern, sondern untersucht, wie und für wen sie diese Selbstbestimmung fordern. So zeigen zum Beispiel Mohammadi und Durnova (2021) anhand einer umfassenden interpretativen Analyse der Reproduktionsdebatte im hochkonservativen Iran, wie trotz der Anerkennung einer Diversität von sexuellen Lebensweisen diese nur einer bestimmten Gruppe ermöglicht wird: verheirateten heterosexuellen Frauen. Der folgende Beitrag möchte daher auf ähnliche Weise die Reproduktionsdiskurse in Bezug auf Schwangerschaftsabbruch erörtern und zugleich daraus ableitend eine Reflexion des Begriffs der Selbstbestimmung anbieten.

Bei genauerer Betrachtung der in den vergangenen 20 Jahren entstandenen soziologischen Auseinandersetzungen zu dem Thema zeigt sich nämlich, dass dieses ähnlich wie in gesellschaftlichen, politischen und juristischen Diskursen auch innerhalb der Soziologie ein Schattendasein fristet. Kaum überraschend erscheint es daher, dass neben ein paar wenigen Sammelbänden, wie dem von Busch und Hahn (2015), der die wissenschaftlichen und öffentlichen Debatten analysiert, die Soziologie der Abtreibung von Boltanski (2007) nach wie vor als zentralstes Bezugs- und Grundlagenwerk im Fach fungiert. Neben der Beschäftigung mit dem Paradoxon, dass der Schwangerschaftsabbruch, obwohl er in einigen westlichen Ländern legalisiert ist, ein kontroverses Gesellschaftsthema bleibt, widmet sich Boltanski (2007) auch den rechtlichen und philosophischen Auseinandersetzungen mit dem Fötus sowie den Erfahrungen von 100 interviewten ungewollt Schwangeren.

Soziologische Befassungen mit dem Thema sind aber nicht nur dünn gesät, sondern auch in ihrem thematischen Fokus wenig differenziert. Wie Purcell (2015) anhand einer intensiven Literaturstudie dazu zeigt, konzentrieren sich die soziologischen Untersuchungen zumeist auf das gesellschaftliche Stigma (Evans und O’Brien 2015; Hanschmidt et al. 2016; Kumar 2013) rund um einen Schwangerschaftsabbruch, den Kontext, in dem dieser stattfindet, sowie den Zugang zu diesem (Doran und Hornibrook 2014; Kimport et al. 2012; Purcell et al. 2014) und die Gründe für die Entscheidung zu einem Abbruch (Hoggart 2012; Kimport 2012; Kimport et al. 2011; Lee und Ingham 2010; Nickerson et al. 2014). Mit Bezug auf Österreich ist darüber hinaus auf die von Tazi-Preve und Kytir (2001) durchgeführte Studie zu verweisen, die basierend auf empirischen Befunden zur gesellschaftspolitischen Lage in Österreich zeigt, dass zwar ein relativer Konsens darüber besteht, bei Gefährdung der Frau oder Behinderung des Fötus einen Abbruch vornehmen zu lassen, dass jedoch ohne diese Indikationen die Entscheidung für einen Abbruch mehrheitlich abgelehnt wird. Ebenfalls wichtige Erkenntnisse liefert die Studie von Helfferich et al. (2016), in der Frauen gebeten werden, zu erzählen, welchen Einfluss ihre jeweilige Lebensphase auf die Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft hatte.

Hervorzuheben ist an dieser Stelle außerdem die erst kürzlich erschienene vergleichende Literaturstudie von Kimport und Weitz (2024), die eine differenzierte Analyse bestehender soziologischer Auseinandersetzungen mit Schwangerschaftsabbrüchen entlang von Kategorien unter anderem von „Rasse“, Geschlecht und Körper liefern. Diese bietet eine erste Problematisierung der Reproduktionsdiskurse betreffend Schwangerschaftsabbruch. Bislang unterrepräsentiert in soziologischen Arbeiten zeigt sich eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Thema unter dem Aspekt der Selbstbestimmung, die auch eine wichtige Grundlage für die Wahl eines Schwangerschaftsabbruchs bildet. Dass Forderungen nach einem selbstbestimmten Leben eng mit dem Thema verknüpft sind, zeigt sich in Österreich anhand der in den 1970er-Jahren geführten Debatten rund um eine Fristenregelung, für deren Umsetzung die damalige SPÖ-Abgeordnete Johanna Dohnal an vorderster Front der feministischen Bewegung kämpfte: „Solange mehrheitlich Männer darüber entscheiden können, was für Frauen, Kinder und sie selbst gut ist, wird es die erforderlichen substanziellen Quantensprünge nicht geben“ (Glösel 2020).

Ausgehend vom Prinzip der selbstbestimmten Wahl zeigt die gesellschaftspolitische Debatte um den Schwangerschaftsabbruch die Notwendigkeit auf, das Zusammenspiel von Geschlechterrollen, Gesundheitswissen und den damit verbundenen Emotionen besser zu durchleuchten. Das Narrativ „mein Körper, meine Entscheidung“ war entscheidend für die zweite Welle der Frauenbewegung im Westen und bildete eine führende Argumentationslinie um reproduktive Entscheidungen in öffentlichen Debatten und deren Untersuchung in der Soziologie (Kulawik 2009; Martin 2001; Roseneil et al. 2017). In diesem Kontext argumentiert jedoch Repo (2016), dass Gleichstellungsstrategien nicht immer zu mehr Selbstbestimmung und Freiheit des Individuums führen, sondern auch als Machtinstrument verstanden werden können. Daher schlägt Repo (2016) vor, das Wissen zu analysieren, das mit diesen Strategien verknüpft wird. Ähnlich argumentiert Kulawik (2009) in ihrer diskursanalytischen Untersuchung der Reproduktionsdiskurse in Polen: Das Wissen über den Körper wird in einer bestimmten Weise diskursiv gerahmt und dadurch von den politischen Institutionen entweder legitimiert oder abgelehnt.

Das Heranziehen des Konzepts der Reproduktiven Gerechtigkeit bzw. Reproductive Justice (Ross 1993) veranschaulicht in diesem Kontext die breiteren Zusammenhänge einer solchen diskursiven Rahmung von Körper und Wissen. Das Konzept versteht sich als eine Veranschaulichung darüber, wie die Forderungen für Selbstbestimmung und ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch auf einem exklusiven, weißen, heterosexuellen Wir der Mittelschicht basieren. Das aus dem Schwarzen Feminismus kommende Konzept fokussiert dabei im Wesentlichen auf die gesellschaftlichen Bedingungen einer selbstbestimmten und gewaltfreien Reproduktion sowie auf eine umfassende Betrachtung der Vielschichtigkeit reproduktiver Entscheidungen und der sozialen Kontexte, in denen sie getroffen werden (Perez 2013; Ross 1993, 2021; Silliman et al. 2004). Das Konzept sieht sich als eine intersektionale Erweiterung der „Adressierung systemischer Ungleichheit“ (Ross 2021: 23) und Kritik an einer verengten, meist individualisierenden liberalen Wahrnehmung reproduktiver Rechte. Es adressiert zum einen das Problem, dass der Kampf um Schwangerschaftsabbruchsrechte zu sehr auf formale Rechtsfragen reduziert wird. Zum anderen bleiben der ungleiche Zugang zur Gesundheitsversorgung sowie alltägliche Erfahrungen der Gewalt und Diskriminierung als strukturelle Bedingungen von Reproduktion außer Acht gelassen.

Das Konzept der Reproduktiven Gerechtigkeit ist gebunden an jenes der Intersektionalität, das eine ganzheitliche Betrachtung der Überkreuzungen struktureller Diskriminierungsachsen auf Basis von „Rassen“Footnote 2, KlassenFootnote 3-, und GeschlechterverhältnissenFootnote 4 ermöglicht (Davis 2008; Klinger und Knapp 2008; Winker und Degele 2009). Für eine solche Betrachtung der strukturellen Bedingungen ist daher die diskursive Einrahmung des Wissens über den Körper zentral; die Betrachtung ist als eine epistemische Macht zu verstehen (Kulawik 2009). Somit bietet sich an, die aktuelle Forschung zu Reproduktionsdiskursen, um das Konzept der Reproduktiven Gerechtigkeit zu erweitern. Chadwick (2021) ruft in diesem Zusammenhang zu einem radikalen Bruch (epistemic rupture) mit jenen vorherrschenden Wissenssystemen auf, die schwangeren Personen Wissen über ihren eigenen Körper und Entscheidungsmacht über die eigene Reproduktion absprechen. Dieser Umstand kann nämlich zu einer Normalisierung von Gewalt gegenüber schwangeren Personen beitragen, wie auch aktuelle polarisierte Debatten rund um Reproduktion zeigen (Chadwick 2021). Eine Erweiterung der diskursiven Einrahmung durch die Kategorie der Emotionen bietet sich in diesem Sinne als ein geeigneter Schritt an, um diese Dynamik besser zu veranschaulichen.

Der Nexus zwischen Emotion und Wissen kann durch emotionssoziologische Arbeiten aufgezeigt werden, die diese als semantische Grenzziehung auffassen. Dabei wird der Körper nicht weggelassen, sondern selbst zu einer analytisch wertvollen Semantik und diskursiven Fläche (Bührmann et al. 2007). Diese diskursive Fläche – der sich (nicht) zu reproduzierende Körper – gibt dem jeweiligen Nexus von Wissen und Emotionen eine konkrete Form. Durnová (2018) schlägt daher in ihrer Analyse zur Intimität vor, den Körper generell niemals getrennt von Emotionen zu betrachten. Die Emotionen formen das Wissen über den Körper, darüber, was man durch den Körper und von dem Körper wissen darf (Durnová 2018: 200). Emotionen sind also nicht komplett von Körper oder Wissen trennbar, sondern produzieren diese auch stets mit (Martin 2001). Durch eine Analyse der Emotionen im Kontext einer reproduktiven Selbstbestimmung wird somit eine Verhandlung zwischen subjektiven Wahrnehmungen (Emotionen und Körper) und kollektiven Werten sowie Überzeugungen (Wissen) deutlich (Ahmed 2004).

In ihrer Forschung zu Emotionen und deren Wechselwirkung mit unterschiedlichen Wissensformen, die durch Kultur vermittelt werden, betont Ahmed (2004) die Bedeutung der Einflüsse von Macht, Status und Geschlecht auf individuelle Emotionen und hebt damit den externen Ursprung von Emotionen sowie ihre kollektive Rahmenbildung hervor. Im Gegensatz zu psychologischen Modellen, die sich auf körperliche Ausdrücke und Empfindungen konzentrieren, untersucht Ahmed die diskursive Performanz von Emotionen und konzentriert sich darauf, wie ein Körper durch Ethnizität und Geschlecht kollektiv gerahmt wird. Dies beeinflusst nämlich die Art und Weise, wie Emotionen bezogen auf unterschiedliche Körper auch unterschiedlich verstanden werden. Darüber hinaus beeinflussen individuelle Emotionen das Wissen – sie wirken von innen nach außen – auf die diskursive Einrahmung und sind langfristig in persönlichen Gefühlen verwurzelt, wodurch die Grenzen zwischen individuell und kollektiv verschwimmen.

In dieser Diskussion wird deutlich, dass die Dimensionen von Körper, Wissen und Emotionen im Kontext von Reproduktionsdiskursen nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Das eröffnet die Perspektive, diese Trias zu analysieren, um aufzuzeigen, für wen welche Emotions‑, Körper- und Wissensbezüge überhaupt zugelassen sind. Damit können soziale Dimensionen, institutionelle Normen und kulturelle Erwartungen in Bezug auf die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch sichtbar gemacht und somit auch der Reproduktionsdiskurs besser verstanden werden.

3 Methodisches Vorgehen

Um die latenten Dimensionen der verschiedenen Kategorien – einerseits von Emotionen, Körper und Wissen, anderseits von Klassen-, „Rassen“-, und Geschlechterverhältnissen – im österreichischen Diskurs um Schwangerschaftsabbrüche herausarbeiten zu können, wurde sich dem interpretativen Paradigma qualitativer Sozialforschung (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2021) bedient, unter der besonderen Berücksichtigung der interpretativen Politikfeldanalyse, die spezifisch auf Diskurse der Organisationen einzugehen weiß (Schwartz-Shea und Yanow 2013). Schwartz-Shea und Yanow (2013) schlagen vor, öffentliche Dokumente als Spuren von Diskursen zu betrachten, die Bedeutungen enthalten, durch die Akteur*innen in einer gesellschaftlichen Debatte die sozialen Phänomene strukturieren und mitdefinieren. Sprachmittel und Kontexte werden in diesem Sinne als zentrale Mechanismen der Hervorbringung von Argumenten und Narrativen anerkannt (Durnová 2022).

Durch die Sichtung relevanten Materials in Bezug auf das Thema Reproduktion im Allgemeinen (Fachliteratur, Medienberichte, Soziale Medien, Policy Papers, Internetrecherche) wurde festgestellt, dass es sich in Österreich vorrangig auf den Schwangerschaftsabbruch konzentriert. Daher wurde dieser Schwerpunkt auch für die Webseitenauswahl gewählt. Der Fokus auf den Gegenstand Schwangerschaftsabbruch hilft, einen klaren Überblick über die Diskurse zu schaffen, wobei die Webseiten als zentrale Elemente der Emotionalisierung und Informierung gesellschaftlicher Reproduktionsdiskurse verstanden werden müssen, weil sie zur (ausgewählten) Wissensvermittlung sowie zur Rekrutierung von Anhänger*innen gedacht sind. Zwischen Juli und September 2022 wurden Daten von Webseiten aller in Österreich tätigen „Pro Life“- und „Pro Choice“-Organisationen erhoben, die sich öffentlich mittels Internetauftritt präsentieren und thematisch auf den Schwangerschaftsabbruch fokussieren (siehe Tab. 1).

Tab. 1 Ausgewählte Inhalte der Webseiten für die Analyse

Das Datenmaterial wurde auf dreifache Weise gesammelt. Es wurden: (1) die auf den Webseiten vorgefundenen Diskurse zum Thema Schwangerschaftsabbruch identifiziert, (2) die Seiten nach den einer selbstbestimmten Praxis inhärenten Dimensionen von Wissen, Emotionen und Körper systematisch betrachtet und (3) hinsichtlich ihrer strukturellen Prägung durch die sich wechselseitig hervorbringenden Kategorien Klasse, Geschlecht und „Rasse“ analysiert, um sie als Regulative einer selbstbestimmten Praxis herausarbeiten zu können. Für die Analyse wurden jeweils die Startseiten, FAQs, Informationsspalten sowie Visionen und Forderungen herangezogen. Der Fokus lag auf der (emotionalen) Selbstpositionierung der jeweiligen Organisation und der Wissensvermittlung. Aufgrund inhaltlicher Variationen wurde neben den Startseiten auch auf die thematisch entsprechenden Raster Bezug genommen (siehe Tab. 1).

Das Ziel der Analyse ist es, gesellschaftliche Reproduktionsdiskurse rund um selbstbestimmte Reproduktion als Regulative von Wissen, Emotionen und Körper herauszuarbeiten und dabei auf deren klassistische, sexistische und rassistische Prägungen zu fokussieren. Die Webseiten erweisen sich dabei als eine besonders wertvolle Quelle, da sie klare Positionierungen und Standpunkte samt Argumentation bereitstellen (Mautner 2005) – und daher im Sinne von Schwartz-Shea und Yanow (2013) als öffentliche Dokumente betrachtet werden können, weil sie zum inhärenten Teil des Diskurses und offizieller Repräsentation der zentralen Akteur*innen gehören (Hammersley und Treseder 2007).

Das identifizierte Datenmaterial wurde im Sinne des Intersektionalen Mehrebenenansatzes nach Winker und Degele (2009) analysiert, wobei sich die Analyse auf die drei für eine selbstbestimmte Praxis bzw. Reproduktion theoretisch als relevant herausgearbeiteten Dimensionen von Wissen, Emotionen und Körper fokussiert. Bei dem Intersektionalen Mehrebenenansatz von Winker und Degele (2009) handelt es sich um ein Kodierverfahren in acht Schritten, die das Datenmaterial intersektional aufzubrechen versuchen. Die acht Schritte teilen sich dabei in zwei Analyseblöcke, wobei der erste eine Analyse der einzelnen Texte (in diesem Fall die jeweiligen Webseitentexte) im Sinne einer Selbstpositionierung entlang von „Rassen“-, Klassen‑, Geschlechtermerkmalen vorsieht und der zweite auf die vergleichende Analyse aller in die Auswertung miteinbezogenen Texte entlang derselben Merkmale fokussiert. Anders als Winker und Degele (2009), die die Kategorie des Körpers als eine zentrale Erweiterung der intersektionalen Trias von Klasse, Geschlecht und „Rasse“ verstehen, möchte der vorliegende Beitrag die Kategorie des Körpers getrennt und durch ihre klassizistische, sexistische und rassistische Prägung auf den herangezogenen Webseiten analysieren sowie in ihrer Verbindung mit den Kategorien Wissen und Emotionen betrachten.

Der jeweilige Webseitentext wurde hinsichtlich seiner klassistischen, rassistischen und sexistischen Positionierung in Bezug auf die Vermittlung von Wissen, den Umgang mit Emotionen und die Wahrnehmung von Körpern betrachtet: Während auf der Ebene der Identitätskonstruktion (Schritt 1) vordergründig die Selbstpositionierung als Webseite angesehen wurde, lag der Fokus bei der Ebene der symbolischen Repräsentation (Schritt 2) auf gesellschaftlichen Wert- und Normenvermittlungen und auf der Ebene der Sozialstrukturen (Schritt 3) auf Referenzen zu Institutionen wie der Kirche, dem Staat oder auch dem Recht. In einem vierten Schritt fand schließlich die erste Zusammenschau der Wechselwirkungen der intersektionalen Kategorien auf allen drei Ebenen der jeweiligen Webseitentexte statt, um sie anschließend vergleichend auf der Ebene der Identitätskonstruktionen (Schritt 5), symbolischen Repräsentationen (Schritt 6) und Sozialstrukturen (Schritt 7) mit den anderen Webseitentexten in Beziehung zu setzen. Jeder Text durchlief somit die einzelnen Schritte und wurde schließlich ab dem fünften Schritt in Verhältnis mit den anderen Webseitentexten gesetzt. Nicht mehr der einzelne Webseitentext, sondern die übergreifenden Prägungen von „Rassen“-, Klassen- und Geschlechterverhältnissen standen somit im Fokus und ermöglichten schließlich die Gesamtschau klassistischer, sexistischer und rassistischer Verhandlungen von Wissen, Emotionen und Körpern im Kontext von Schwangerschaftsabbrüchen bzw. einer selbstbestimmten Reproduktion (Schritt 8). Die Ergebnisse im folgenden Kapitel sind das Resultat der acht Analyseschritte und werden zusammengefasst besprochen, um die Lesbarkeit zu verbessern. Diese abstrahierte Darstellung hebt sich daher von der Beschreibung der einzelnen Schritte ab.

An dieser Stelle sei kurz auf die Limitierung der nachstehenden Ergebnisse verwiesen, die sich nur auf Inhalte beziehen, die auf den entsprechenden Webseiten innerhalb des angegebenen Erhebungszeitraums, von Anfang Juli bis Ende September 2022, zugänglich waren. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse insbesondere als eine exemplarische Darstellung des theoretischen Arguments zu verstehen, das Selbstbestimmung als ein Regulativ von Wissen, Emotionen und Körper konzipiert, das wiederum von sich wechselseitig hervorbringenden Klassen-, „Rassen“- und Geschlechterverhältnissen durchzogen ist. Das Ergebniskapitel illustriert primär dieses theoretische Argument, anstatt alle Kategorien systematisch aufzuschlüsseln. Für eine verbesserte Nachvollziehbarkeit und Lesbarkeit der Ergebnisse wurde entschieden, die theoretisch untrennbaren und sich wechselseitig bedingenden Dimensionen (Wissen, Emotionen und Körper) im darauffolgenden Ergebnisteil getrennt darzustellen. Diese Trennung erfolgt ausschließlich zu analytischen Zwecken, um die einzelnen Bausteine deutlicher herauszuarbeiten. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Dimensionen werden durch entsprechende Verweise auf die jeweils anderen Dimensionen kenntlich gemacht.

4 Ergebnisse

Im Folgenden wird jede der drei durch gesellschaftliche Reproduktionsdiskurse regulierten Dimensionen von Wissen, Emotionen und Körper entsprechend ihrer Beschreibungen von Seiten der „Pro Life“- oder „Pro Choice“-Positionierung und ihren Prägungen durch Klassen-, „Rassen“- und Geschlechterverhältnisse betrachtet. Es zeigt sich, dass die Dimension Wissen dabei auf den ausgewählten „Pro Choice“-Webseiten vor allem von Klassenverhältnissen geprägt ist. Zudem wird das Wissen als besonders akademisch, emotionslos und aufklärend zu vermitteln versucht. Im Gegensatz dazu wird die Dimension Wissen auf den herangezogenen „Pro Life“-Webseiten vor allem durch religiöse Bezüge, die im Sinne eines intersektionalen Zugangs rassistischen und auf die Ethnizität bezogenen Verhältnissen zugeordnet werden können, emotional vermittelt und personifiziert dargestellt. Die Dimension der Emotionen wird auf „Pro Choice“- wie auch auf „Pro Life“-Seiten insbesondere in einem Aufruf zum Kampf für bzw. gegen reproduktive Rechte sichtbar.

Die Verwobenheit der drei Dimensionen – im Folgenden zwecks besserer Lesbarkeit getrennt dargestellt – zeigt sich beispielsweise anhand der unter der Dimension Wissen besprochenen emotionalen Resonanz oder des unter der Dimension Körper beschriebenen psychischen Leids. Der Charakter des Aufrufs zu einer Solidarisierung entsprechend den eigenen Überzeugungen, und gegen die der anderen, bedient sich dabei einer Sprache, die an jene von Klassenkämpfen erinnert. Die Dimension des Körpers wird dabei vor allem über Bezüge zu Geschlechterverhältnissen thematisiert, die sich im Fall der analysierten „Pro Choice“-Webseiten in Forderungen für mehr Autonomie über den eigenen Körper, ohne spezifische Verweise auf das Geschlecht, und auf den „Pro Life“-Webseiten in einer Überbetonung des Frauenkörpers zeigen.

5 Wissen

5.1 „Pro Choice“: akademisch, emotionslos, aufklärend

Die Dimension des Wissens wird auf den ausgewählten „Pro Choice“-Webseiten akademisch und auf wissenschaftlicher Expertise basierend präsentiert. Das zeigt sich einerseits an der nahezu vollständigen Auslassung jeglichen Bezugs auf Emotionen, die somit zu einem Gegensatz von rationalen, wissenschaftlich fundierten Argumenten werden, und anderseits anhand der Sprache und Wortwahl. Nicht nur kennzeichnet diese „Pro Choice“-Webseiten eine Mehrsprachigkeit – meist werden die Inhalte neben Deutsch und Englisch zusätzlich in den Sprachen der an Österreich grenzenden Länder angeboten –, auch die Wortwahl zeichnet sich durch wissenschaftlich anerkannte Termini aus: beispielsweise durch den Begriff „Schwangerschaftsabbruch“ anstatt „Abtreibung“, „Fötus“ oder „Embryo“ anstatt des Begriffs „Kind“ oder „Ungeborenes“; auch ist nicht die Rede von „Frauen“ bzw. „Müttern“, sondern von der „schwangeren Person“, was eine geschlechtsneutrale und inklusive Ansprache schafft. Interessant ist dabei, dass eine Art Doppelcharakter von sprachlicher Zugänglichkeit geschaffen wird, der einerseits versucht, rassistischer Ausgrenzung durch das Angebot der Mehrsprachigkeit entgegenzuwirken oder eine inklusive Ansprache durchzuführen, sich andererseits aber eines Sprachbildes bedient, das vor allem höher gebildeten, mit der akademischen Sprache vertrauten Klassen zugänglich ist.

„Abortion in Austria: Ab dem 3. Monat kann ein Schwangerschaftsabbruch in Österreich nur nach Genehmigung durch eine Ethikkommission und bei Vorliegen einer der folgenden Indikationen durchgeführt werden: Es wird erwartet, dass der Fötus eine schwere körperliche oder geistige Behinderung hat. Das Leben oder die körperliche/seelische Gesundheit der schwangeren Person ist stark gefährdet. Die schwangere Person war zum Zeitpunkt der Empfängnis unmündig minderjährig (jünger als 14 Jahre).“ (Abortion in Austria o. J.)

Insbesondere in der vergleichenden Betrachtung zu den ausgewählten „Pro Life“-Webseiten ist auffallend, dass auf „Pro Choice“ primär von „ungewollt schwangeren Personen“ gesprochen wird und vor allem deren rechtliche und medizinische Möglichkeiten im Zuge eines Schwangerschaftsabbruchs thematisiert werden. Auch der Fötus wird nahezu ausschließlich im Kontext der Darlegung von Gesetzestexten, wie der Indikationenregelung, genannt und findet sonst keine weiteren Beschreibungen. Besonders stark wird damit die strukturelle Ebene im Diskurs um Schwangerschaftsabbrüche auf den ausgewählten „Pro Choice“ Webseiten sichtbar. Vergleichsweise unterrepräsentiert bleiben Bezugnahmen auf gesellschaftliche Wert- und Normvorstellungen (symbolische Repräsentationen) oder spezifische Bezüge zu Identitätskategorien wie beispielswiese das Geschlecht.

5.2 „Pro Life“: personifiziert, religiös, emotional, überzeugend

Die Dimension des Wissens auf den ausgewählten „Pro Life“-Webseiten wird im Vergleich dazu vorwiegend personifiziert vermittelt. Dabei sind es insbesondere Erfahrungsberichte über Schwangerschaftsabbrüche, hier jedoch zumeist als „Abtreibung“ bezeichnet, sowie religiöse Akteur*innen, die zur Wissensvermittlung eingesetzt werden. Zentral erscheinen hierbei moralische Bezüge, die sich vorrangig an einer „Kultur des Lebens“ oder einer „Kultur des Todes“ orientieren und damit vor allem die Ebene der symbolischen Repräsentationen des Reproduktionsdiskurses bedienen.

„Jugend für das Leben: Jugend für das Leben ist eine Initiative junger Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine Kultur des Lebens aufzubauen.“ (Jugend für das Leben o. J.)

Neben moralischen Anrufungen werden auch von Emotionen geprägte Darstellungen von Schwangerschaftsabbrüchen verwendet. So wird primär auf den analysierten „Pro Life“-Webseiten der Fötus als „Kind“ oder „ungeborener Mensch“ bezeichnet, diese Bezeichnungen werden auch ins Zentrum der Argumentation der Organisation gestellt. Die Wortwahl erzeugt eine stärkere emotionale Resonanz, da sie den Fötus als bereits vollwertiges menschliches Wesen darstellt und somit das Mitgefühl und die moralische Dringlichkeit erhöht. Ungewollt Schwangere, die ausschließlich als Frau und Mutter benannt werden, bleiben in einer passiven Rolle beschrieben. Diese passive Rollenzuschreibung wird insbesondere dadurch ersichtlich, dass der ungewollt schwangeren Person ihr Wissen und ihre eigene Entscheidungsmacht abgesprochen werden und der „Gesellschaft“ eine Vormachtstellung in der Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft eingeräumt wird.

„Marsch fürs Leben: Für uns ist klar: Abtreibung ist ein Phänomen unterlassener Hilfeleistung. Kaum eine Frau will wirklich abtreiben, sieht sich jedoch durch die Umstände dazu gezwungen. Sehr viele Frauen wissen sehr genau, dass durch die Abtreibung ihr Kind stirbt, sehen aber trotzdem keinen anderen Ausweg. Hier ist unsere gesamte Gesellschaft mitverantwortlich.“ (Marsch fürs Leben o. J.)

Folglich dient die Wissensvermittlung auf den ausgewählten Webseiten von „Pro Life“ weniger der Aufklärung über Möglichkeiten als vielmehr der Überzeugungsarbeit, sich gegen einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Darüber hinaus erscheint es im Kontext der Wissensvermittlung im Diskurs interessant, dass sich bei der Sprache auf den „Pro Life“-Webseiten oftmals einer „Pro Choice“-Wortwahl bedient wird, die jedoch im Sinne einer „Pro Life“-Logik instrumentalisiert wird. Deutlich wird diese sprachliche Aneignung beispielsweise in der Verwendung des Slogans „We stand with Poland“ als Teil einer „Pro Life“-Argumentation. Während dieser in erster Linie seinen Einsatz zum Aufzeigen der restriktiven Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs in Polen findet, wird mit der Platzierung von diesem auf den „Pro Life“-Seiten das Gegenteil beabsichtigt, nämlich eine Solidarisierungsbekundung mit der polnischen Regierung.

6 Emotionen

6.1 „Pro Choice“: Aufruf zum Kampf für reproduktive Rechte

Die Dimension der Emotionen findet, wie bereits unter dem Punkt der Wissensvermittlung thematisiert, anders als bei „Pro Life“ auf den Webseiten von „Pro Choice“ kaum bis gar keine direkte Nennung. Wissenschaftlichkeit und Emotionen treten auf den ausgewählten Seiten als etwas Gegensätzliches auf, was insbesondere darin deutlich wird, dass sich für unwissenschaftliche, nicht korrekte oder als „zu emotional“ formulierte Beiträge auf den „Pro Choice“-Webseiten entschuldigt wird. Bei genauerer Betrachtung positionieren sich auch die „Pro Choice“-Seiten durchaus emotional, obwohl Emotionen wie Wut, Leid und Schmerz nicht klar benannt werden. Dies geschieht aber, wenn sie beispielsweise als Reaktion auf die Forderungen von „Pro Life“-Vertreter*innen zu einem „Kampf“ für „reproduktive Rechte“ aufrufen: Der Begriff „Kampf“ ist eng mit Emotionen verbunden, da er auf eine leidenschaftliche und engagierte Auseinandersetzung hinweist, die letztlich durch starke Gefühle motiviert ist.

„Pro Choice Austria: Es braucht internationale Solidarität, kämpfen wir gemeinsam für den freien Schwangerschaftsabbruch und reproduktive Rechte!“ (Pro Choice Austria o. J.)

Besonders interessant in diesem Zusammenhang erscheint der Gebrauch von Wörtern wie „Solidarität“ und „Kampf“, die ganz anders als etwa der von „Pro Life“ verwendete Begriff der „Kultur“ thematisiert werden. Die beiden Begriffe referieren weniger auf Ethnizitätsverhältnisse (wie es der Begriff der „Kultur“ tut), sondern beziehen sich vielmehr auf Klassen- und Geschlechterverhältnisse, wie Aufrufe zur Solidarisierung der Arbeiter*innenklasse gegen das Kapital oder der Feminist*innen gegen das Patriarchat. So werden im oben angeführten Beispiel Emotionen durch Formulierungen wie „internationale Solidarität“ und „kämpfen wir gemeinsam“ artikuliert, die Gefühle von Zusammengehörigkeit und entschlossener Auseinandersetzung hervorrufen. Die Phrasen „freier Schwangerschaftsabbruch“ und „reproduktive Rechte“ betonen Freiheit und Selbstbestimmung, was wiederum auf starke emotionale Reaktionen wie Hoffnung und Dringlichkeit hinweist. Ersichtlich wird dadurch, wie auch in den Forderungen nach einer Überarbeitung gesetzlicher Regelungen, dass auch die Dimension der Emotionen in den auf „Pro Choice“-Webseiten geführten Diskursen auf einer Strukturebene anzusiedeln ist.

6.2 „Pro Life“: Aufruf zum Lebensschutz

Auf den ausgewählten Seiten der „Pro Life“-Bewegung kommen Emotionen deutlich direkter zum Einsatz. Einerseits werden emotionale Sprachbilder gezeichnet, etwa durch „Kultur des Todes“ oder die Selbstbezeichnung von „Pro Life“-Vertreter*innen als Lebensschützer*innen (hier jedoch meist im Maskulinum verwendet). Andererseits finden sich direkte Benennungen von Emotionen auf den Webseiten, wie beispielsweise ein durch einen Schwangerschaftsabbruch ausgelöstes „Leid“ oder ein dadurch entstandener gesellschaftlicher sowie individueller „Schmerz“. Auch etliche mit Emotionen zusammenhängende Wörter wie „fröhlich“ und „aggressiv“ finden häufig Gebrauch. Interessant ist dabei auch die Bezugnahme auf die Gegenseite, also die „Pro Choice“-Vertreter*innen, die meist als „aggressiv“ und eine „Kultur des Todes“ etablierend bzw. legitimierend dargestellt werden. Die Verwendung des Begriffs „Kultur des Todes“ ist emotional äußerst aufgeladen. Semantisch ruft der Ausdruck starke negative Assoziationen hervor, da „Tod“ in den meisten Kulturen als etwas Endgültiges und Bedrohliches wahrgenommen wird. Auf der Ebene des Diskurses verstärkt der Begriff die emotionale Wirkung, indem er das Verhalten oder die Ansichten der Gegenseite mit einem moralischen Urteil verbindet, das tief in die emotionalen Reaktionen der Leser*innen eingreift.

„Marsch fürs Leben: Trotz starkem Gegenwind haben wir ein fröhliches Fest fürs Leben auf den Straßen Wiens feiern können! […] Danach wollten die Teilnehmer des Marschs vom Stephansplatz über den Ring zurück zum Stephanplatz ziehen, wurden aber von aggressiven Gegendemonstranten aufs Gröbste blockiert und belästigt. Dennoch waren Stimmung und Atmosphäre ungebrochen gut und die Teilnehmer bedankten sich mit fröhlichem Applaus bei der Polizei.“ (Marsch fürs Leben o. J.)

Die Dimension der Emotionen wird auf den „Pro Life“-Webseiten damit vor allem für eine Selbst- und Fremdbeschreibung genutzt. Während die Vertreter*innen ihre Demonstrationen als ein „fröhliches Fest“ bezeichnen und sich mit „fröhlichem Applaus“ bei der Polizei für ihre Arbeit bedankt wird, werden die „Gegendemonstranten“ als „aggressiv“, „blockierend“ und „belästigend“ beschrieben. Besonders auffallend in diesem Zusammenhang ist die Nennung der Polizei, die neben der Kirche – auf die sie sich ebenfalls durchgängig positiv beziehen – eine weitere zentrale gesellschaftliche Institution markiert und den Reproduktionsdiskursen auf den „Pro Life“-Seiten als ein wesentlicher struktureller Bezugspunkt dient. Eine weitere emotionale Selbst- und Fremdpositionierung findet dabei über die Begriffspaare „Kultur des Lebens“ und „Kultur des Todes“ statt.

7 Körper

7.1 „Pro Choice“: Autonomie (über den Körper) der schwangeren Person

Die Dimension des Körpers zeigt sich auf den analysierten „Pro Choice“-Seiten insbesondere in der schwangeren Person und deren Autonomie. Daraus, wie der Körper angesprochen wird, lässt sich ableiten, dass hier das Verständnis über den schwangeren Körper vorherrscht, dass dieser nicht ausschließlich einer Frau zuzuordnen ist, sondern als geschlechterneutral aufgefasst wird. Es ist zudem ein Körper, der als von Klassenunterschieden sowie Ethnizitätsverhältnissen geprägt wahrgenommen wird.

„Changes for Women: CHANGES for women ist der Auffassung, dass der barrierefreie Zugang zu umfassenden Informationen sowie ein Fonds zum Zweck der Soforthilfe zur Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen für Frauen* in besonderen Notlagen einen erheblichen Teil zur Selbstbestimmung der Frau* und der Fortführung und Verbesserung der Frauen*Gesundheit in Österreich beitragen. (Changes for women o. J.)

Die Klassen- und Ethnizitätsdifferenzierung im Körperbegriff zeigt sich deutlich anhand von zwei Aspekten. Einerseits wird auf den Webseiten explizit auf finanzielle Zugangsbarrieren und Unterstützungsleistungen hingewiesen, die besonders gravierende Auswirkungen auf die autonome Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft bei sozial benachteiligten Personen haben können. Andererseits sind die Inhalte in mehreren Sprachen verfasst, was entscheidend für den Zugang zu Informationen und Wissen ist. Des Weiteren finden sich Verweise auf die rechtlichen Dimensionen in den zum Teil unterschiedlichen, nicht-österreichischen Herkunftsländern der ungewollt Schwangeren. Vergleichsweise wenig wird hingegen der Körper der schwangeren Person auf den „Pro Choice“-Webseiten als fühlend beschrieben. Die autonome Entscheidung wird als eine von einem gut informierten Körper rational zu treffende dargestellt.

7.2 „Pro Life“: Schutz des ungeborenen Lebens, Patronisierung des „Frauenkörpers“

Der auf den „Pro Life“-Webseiten beschriebene Körper ist insbesondere einer, der heteronormativ, binär und an den Traditionen einer tendenziell weißen und mittelständig imaginierten Kernfamilie ausgerichtet ist. Die schwangere Person wird nahezu ausschließlich in ihrer Rolle als Mutter bzw. werdende Mutter beschrieben, dabei ist sie nicht nur „Friedensstifterin“ und „Meisterköchin“, sondern auch „Vertrauensperson“ und „Superheldin“. Der Vater, als geschlechtlicher Gegenpart in einem heterosexuellen Paarverständnis, wird in seinen Rollen als „Fußballtrainer“, „Technikexperte“ und „Geschichtenerzähler“ im Sinne stereotyper Männlichkeitsbilder beschrieben. Die Webseiten sind ausschließlich in deutscher Sprache verfasst, finanzielle Unterstützungsleistungen für einen Schwangerschaftsabbruch oder für Paare, die sich für die Schwangerschaft entschieden haben, finden hier keine Erwähnung. Der Körper der Frau wird auf den untersuchten Webseiten als naturmäßig stark fühlend beschrieben, indem er bereits durch die monatliche Menstruation als ein „Ort des Leidens“ und der „Schmerzen“ wahrgenommen wird. Der Schwangerschaftsabbruch, hier meist als Abtreibung bezeichnet, wird dabei als eine „Wunde des Körpers“ verstanden, der ebenfalls mit psychischem und physischem „Leid“ und „Schmerz“ einhergeht.

„Human Life International: Die Gebärmutter, von ihrer ursprünglichen Bestimmung her als ein Ort der Geborgenheit und des Schutzes für das ungeborene Kind gedacht, wird durch die Abtreibung zu einem Ort des Todes, zu einem Friedhof.“ (Human Life International o. J.)

Obwohl der Frauenkörper als solcher hervorgehoben wird, insbesondere im Gegensatz zu den „Pro Choice“-Webseiten, liegt hier der primäre Fokus auf einem anderen Körper – nämlich dem des als besonders schützenwert, weil wehrlos, beschriebenen ungeborenen Kindes, das es insbesondere im „Auftrag Gottes“ vor gesellschaftlichen Zwängen zu schützen gilt. Die ungewollt schwangere Person bleibt hierbei, wie bereits erwähnt, in einer passiven Rolle und wird in weiterer Folge auf ihre Gebärmütter als zentralem Austragungs- und Verhandlungsort einer „Kultur des Todes“ (bzw. „Lebens“) reduziert. Dieser Person wird damit nicht nur ihr Wissen, sondern auch ihre Entscheidungsmacht über den eigenen Körper abgesprochen. Die Dimension des Körpers verharrt damit im Reproduktionsdiskurs auf den besprochenen „Pro Life“-Webseiten in einem traditionellen Geschlechterverhältnis, das einerseits auf heteronormative Paarbeziehungen fokussiert, anderseits die Frau in eine passive Rolle und Unterordnung unter gesellschaftliche Verhältnisse zwingt.

8 Fazit

Selbstbestimmung ist ein zentraler Aspekt gesellschaftspolitischer Diskurse zur Reproduktion, der bisher in soziologischen Analysen zum Schwangerschaftsabbruch vernachlässigt wurde. Aufbauend auf der aktuellen Forschung zu Reproduktionsdiskursen wird die Selbstbestimmung und der Diskurs darüber als ein Regulativ von den sich wechselseitig bedingenden Dimensionen von Körper, Wissen und Emotionen verstanden. Zudem bietet die intersektionale Perspektive einen differenzierten Blick, indem Emotionen, Körper und Wissen auch in ihrer Prägung durch klassistische, sexistische und rassistische Verhältnisse betrachtet werden. Dadurch werden die gesellschaftspolitischen Bedingungen einer Selbstbestimmung verdeutlicht. Die für die Analyse herangezogenen Webseiten der „Pro Choice“-Bewegung rufen zu einem Überwinden struktureller Barrieren auf, was anhand von Formulierungen wie etwa „ungewollt Schwangere“ und „Fötus“ sowie an dem Webseitenangebot in mehreren Sprachen ersichtlich wird. Hingegen bedienen sich die ausgewählten „Pro Life“-Webseiten beispielsweise an dem Bild einer heteronormativen, mittelständigen Kernfamilie und rücken die ungewollte schwangere Person, durchwegs als „Frau“ oder „Mutter“ bezeichnet, in eine passive Rolle.

Mit der Dimension des Wissens wird der Schwangerschaftsabbruch auf das Sprechen darüber zentriert: „Pro Choice“-Seiten bieten wissenschaftliche, emotionslose Informationen, während „Pro Life“-Seiten emotionsbetonte Überzeugungsarbeit leisten, indem sie einen Schwangerschaftsabbruch mit Tötung gleichsetzen. Ein solcher Diskurs beeinflusst, wie über selbstbestimmte Reproduktion gedacht und gesprochen wird. Während die „Pro Choice“-Webseiten eine wissenschaftliche Sprache nutzen, die jedoch klassistisch wirken kann, gleichzeitig aber auch Zugänglichkeit für verschiedene Sprachgemeinschaften schafft, bedienen sich die „Pro Life“-Seiten einem religiös und patriarchal aufgeladenen Sprachbild. Emotionen dienen auf beiden Seiten der Abgrenzung und Solidarisierung.

Die Dimension des Körpers zeigt sich im Reproduktionsdiskurs auf den ausgewählten Seiten vor allem in der Frage, wer autonom handeln darf. „Pro Choice“-Seiten betonen die Handlungsmacht über den eigenen Körper, „Pro Life“ die Schutzbedürftigkeit des Fötus. Beide Bewegungen legen dabei besonderen Wert auf das Geschlechterverhältnis: Während bei „Pro Choice“ eine geschlechterneutrale Sprache verwendet wird, beschreiben „Pro Life“-Seiten den weiblichen Körper in der Rolle der ungewollt schwangeren Person. Diese Argumentationen sind eng mit dem jeweiligen Körperbegriff verbunden.

Mit der Dimension der Emotionen werden die Unterschiede zwischen „Pro Choice“ und „Pro Life“ besonders sicht- bzw. spürbar. Sie werden in erster Linie zur Abgrenzung von den unterschiedlichen Positionen im Diskurs verwendet. Während auf den „Pro Life“-Seiten vor allem die Mutterrolle und das Frau-Sein hervorgehoben werden und mit emotionalen Bindungen, wie einem glücklichen und erfüllten Leben durch Mutterschaft, aufgeladen werden, geht es bei „Pro Choice“ um eine rationale Entscheidung und den Zugang zu Informationen – emotionale Appelle finden sich ausschließlich im Aufruf zum Kampf um reproduktive Rechte und einer feministischen Solidarisierung wieder.

Eine intersektionale Betrachtung der Beziehungen zwischen Emotionen, Körper und Wissen ist auch über das Thema Schwangerschaftsabbruch hinaus relevant. Sie ermöglicht es, gesellschaftliche Strukturen kritisch zu hinterfragen und bietet eine Grundlage für alternative Ansätze zur gerechteren Gestaltung von Selbstbestimmung. In Zeiten intensiver gesellschaftspolitischer Diskussionen rund um Reproduktion oder Identität stellt dies einen vielversprechenden Ansatz dar. Darüber hinaus trägt dieser Ansatz dazu bei, die Komplexität der Diskurse, die in den öffentlichen Debatten durch unterschiedliche Informationskanäle verbreitet werden, zu beleuchten und analytisch expliziter zu erfassen.